Bundesgerichtshof Urteil, 16. Sept. 2009 - IV ZR 246/08

bei uns veröffentlicht am16.09.2009
vorgehend
Landgericht Würzburg, 22 O 1859/04, 20.12.2007
Oberlandesgericht Bamberg, 1 U 12/08, 02.10.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 246/08 Verkündetam:
16.September2009
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterinnen
Dr. Kessal-Wulf und Harsdorf-Gebhardt auf die mündliche Verhandlung
vom 16. September 2009

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 2. Oktober 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Marktwert-Versicherung in Anspruch, die er für den Fall der Invalidität der Spieler seiner in den Jahren 2000 bis 2002 in der Zweiten Fußball-Bundesliga spielenden Mannschaft abgeschlossen hat. Versichert ist unter anderem der nigerianische Spieler S. M. , für den die Versicherungssumme auf 1.500.000 DM - 766.937,82 € - festgesetzt ist, deren Zahlung mit der Klage verfolgt wird.
2
DerMarktwert-Versicherungliege n Versicherungsbedingungen der Beklagten (VB) zugrunde, die auszugsweise lauten: "§ 1 Versicherungsumfang 1. Für den Fall, dass die versicherte Person einen Personenschaden nach Maßgabe des § 3 Nr. 2 erleidet, der ausschließlich durch einen während der Geltungsdauer dieses Vertrags auftretenden Unfall verursacht wird und der ausschließlich von sich aus und unabhängig von irgendeiner anderen Ursache binnen sechs Monaten vom Unfalltag an zur Vollinvalidität führt, die unmittelbar in eine dauernde Vollinvalidität der versicherten Person übergeht , erbringt der Versicherer dem Versicherungsnehmer die im Versicherungsvertrag genannten Leistungen. (…) § 3 Begriffsbestimmungen (…) 4. 'Vollinvalidität' bezeichnet das vollkommene und vollständige physische Unvermögen der versicherten Person, ihre im Versicherungsvertrag festgehaltene berufliche Tätigkeit auszuüben. 5. 'Dauernde Vollinvalidität' bedeutet, dass die versicherte Person für die Dauer von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten unter einer Vollinvalidität gelitten hat und dass aufgrund des unfallbedingten Personenschadens oder der durch diese Police gedeckten physischen Behinderung, die zu der Vollinvalidität führten, für die versicherte Person keine Aussicht auf eine derartige Besserung besteht, die ausreichend wäre, um jemals wieder ihre in dem Versicherungsvertrag festgehaltene berufliche Tätigkeit auszuüben. (…) 8. 'Ausüben'/'Teilnehmen', 'Ausübung' bedeuten, dass sich die versicherte Person auf der aktiven Spielerliste der professionellen Sportmannschaft befindet, für die zu spielen die versicherte Person, wie im Versicherungsvertrag fest- gehalten, vertraglich verpflichtet ist, und/oder das Trikot trägt, um mit der betreffenden Mannschaft zu trainieren oder zu spielen und/oder dafür zur Verfügung steht und/oder tatsächlich dazu in der Lage ist.
§ 5 Leistungsvoraussetzungen, Obliegenheiten und weitere Bestimmungen I. (…) 5. Gesundheitliche Wiederherstellung: sollte die versicherte Person während der Dauer von zwölf Monaten ab Beginn der Vollinvalidität oder vor Beendigung der Saison, welche unmittelbar auf diejenige folgt, in der die Vollinvalidität der versicherten Person eintritt, je nachdem, welcher Zeitraum länger ist, an der in den Vertragdaten aufgeführten Anzahl von Spielen teilnehmen, so wird die versicherte Person folglich als voll gesundheitlich wiederhergestellt erachtet und es wird keine Leistung unter vorliegender Police ausgezahlt.
II. Der Versicherungsnehmer und die versicherte Person haben im Versicherungsfall, für den Leistungen des Versicherers begehrt werden, folgende Obliegenheiten zu erfüllen : (…) 3. Vorlage des Nachweisformulars über dauernde Vollinvalidität : innerhalb von 20 Tagen nach Beginn der dauernden Vollinvalidität hat die versicherte Person ein Nachweisformular zur dauernden Vollinvalidität vorzulegen, in welchem von einem niedergelassenen Arzt attestiert wird, dass die versicherte Person eine dauernde Vollinvalidität im Sinne von § 3 Nr. 5 erlitten hat. Das Formular hierzu ist bei dem Versicherer oder seinem Agenten erhältlich. Ein derartiges Formular kann erst nach dem Beginn der dauernden Vollinvalidität eingereicht werden, wobei vereinbart wird, dass erst nach Vollendung eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten der Vollinvalidität und bei Erfüllung aller Bestimmungen und Bedingungen
dieser Police Forderungen hierunter gedeckt sind und Leistungen fällig oder zahlbar werden. (…) 6. Verletzen der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person eine der vorstehenden Obliegenheiten, ist der Versicherer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in § 6 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei."
3
Bei einem Punktspiel am 29. September 2000 zog sich der Spieler M. eine Knieverletzung zu. Im März 2001 nahm er wieder am Mannschaftstraining teil. Im Zeitraum von Dezember 2001 bis März 2002 wurde er bei insgesamt sechs Punktspielen der Zweiten Fußball-Bundesliga aktiv eingesetzt, bei vier weiteren Spielen war er als Ersatzspieler benannt. Mit Schreiben vom 16. Juli 2002 zeigte der Kläger die dauernde Vollinvalidität des Spielers gegenüber der Beklagten an.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:

5
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Beklagte grundsätzlich zur Leistung nach § 1 Nr. 1 VB verpflichtet ist. Der Lizenzspieler M. habe als versicherte Person am 29. September 2000 eine Knieverletzung erlitten, die unmittelbar zu einer "Vollinvalidität" nach § 3 Nr. 4 VB geführt habe. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei von einem vollkommenen und vollständigen physischen Unvermögen der versicherten Person auszugehen, ihre im Versicherungsvertrag festgehaltene berufliche Tätigkeit i.S. des § 3 Nr. 8 VB "auszuüben". Hierfür sei nicht nur erforderlich , dass die versicherte Person das Trikot trage, um mit der betreffenden Mannschaft zu trainieren oder zu spielen, sondern zusätzlich, dass die versicherte Person hierzu in der Lage sei. Dies sei jedoch zu verneinen. Es liege auch eine "dauernde Vollinvalidität" nach § 3 Nr. 5 VB vor, da die infolge des Unfalls vom 29. September 2000 eingetretene "Vollinvalidität" für einen Zeitraum von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten bestanden habe. Hierauf habe die Teilnahme des Spielers am Trainingsund Spielbetrieb der Saison 2001/2002 keinen Einfluss, da er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, seinen Sport "auszuüben".
7
Die Beklagte sei jedoch wegen einer grob fahrlässigen Verletzung der sich aus § 5 II Nr. 3 VB ergebenden Obliegenheit leistungsfrei. Der Kläger habe nicht innerhalb von 20 Tagen nach Beginn der "dauernden Vollinvalidität" das geforderte Nachweisformular vorgelegt. Zudem habe er durch Schreiben vom Dezember 2000 und Januar 2001 - den Tatsachen zuwider - zum Ausdruck gebracht, dass eine zuvor angezeigte "Vollinvalidität" wieder beendet sei. Erst im Juli 2002 - und damit nach Ablauf der in den Vertragsbedingungen vereinbarten Fristen - habe der Kläger die unfallbedingte "dauernde Vollinvalidität" angezeigt. Da dem Kläger und dem Vereinsarzt, dessen Wissen dem Kläger zuzurechnen sei, die Beschwerden des Spielers und das objektive Beschwerdebild bekannt gewesen seien, seien die fehlerhaften und unterbliebenen An- zeigen als grob fahrlässig zu qualifizieren. Dem Kläger sei der Nachweis fehlender Relevanz der Verletzung der Obliegenheit nicht gelungen. Dies beruhe vor allem darauf, dass eine rechtzeitig durchgeführte zweite Operation eine erhebliche Chance auf Wiederherstellung des verletzten Kniegelenks geboten hätte, was den Eintritt der "dauernden Vollinvalidität" hätte verhindern können. Die Verletzung der Obliegenheit habe der Beklagten die Möglichkeit genommen, eine rechtzeitige Überprüfung vorzunehmen und/oder weitere erforderliche Maßnahmen zu veranlassen sowie den verfrühten Einsatz des Spielers zu verhindern.
8
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
1. Die hier genommene Marktwert-Versicherung ist eine Summenversicherung i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 VVG a.F., die nicht auf die Deckung eines konkreten Schadens ausgerichtet ist. Die Leistungspflicht des Versicherers geht dahin, bei Eintritt des in § 1 Nr. 1 VB näher umschriebenen Versicherungsfalls eine bestimmte, vorher festgelegte Summe zu zahlen, die in ihrer Höhe unabhängig von einem etwaigen Schaden ist (vgl. Senatsurteil vom 4. Juli 2001 - IV ZR 307/00 - VersR 2001, 1100 unter II 2 b; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 1 Rdn. 4).
10
Schon 2. im rechtlichen Ausgangspunkt unzutreffend nimmt das Berufungsgericht an, eine Leistungspflicht der Beklagten nach § 1 Nr. 1 VB sei wegen einer Verletzung der Obliegenheit aus § 5 II Nr. 3 VB nicht gegeben.
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a) Angesichts des einleitenden Satzes in § 5 II VB, in dem ausdrücklich von der Erfüllung nachfolgend im einzelnen aufgeführter Oblie- genheiten die Rede ist, und des Wortlauts und Sinngehalts der Nr. 3 ist aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis der Klausel bemühten Versicherungsnehmers (vgl. nur BGHZ 123, 83, 85) grundsätzlich von der Vereinbarung einer Obliegenheit auszugehen, als deren Rechtsfolge in § 5 II Nr. 6 VB i. V. mit § 6 Abs. 3 VVG a.F. Leistungsfreiheit des Versicherers vorgesehen ist.
12
b) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht beachtet, dass die Kenntnis der nach Eintritt eines Versicherungsfalls mitzuteilenden oder - wie hier - nachzuweisenden Umstände oder Tatsachen bereits zum objektiven Tatbestand der Verletzung einer solchen Obliegenheit gehört. Fehlt dem Versicherungsnehmer oder der versicherten Person diese Kenntnis, läuft die entsprechende Obliegenheit ins Leere. Schon objektiv kann sie nicht verletzt werden, denn es gibt nichts, worüber Versicherungsnehmer und versicherte Person nach ihrem Kenntnisstand den Versicherer aufklären könnten. Dieses positive Wissen um die die Obliegenheit auslösenden Umstände muss der Versicherer, will er sich auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Obliegenheit berufen, beweisen (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 2006 - IV ZR 252/05 - VersR 2007, 389 Tz. 10, 13 f. und vom 30. April 2008 - IV ZR 227/06 - VersR 2008, 905 Tz. 15, 18; Römer aaO § 6 Rdn. 19). Die Beklagte als Versicherer hätte also belegen müssen, wann die Kenntnis - und nicht das bloße Kennenmüssen - vom "Beginn der dauernden Vollinvalidität" gegeben war, damit die Nachweisfrist von 20 Tagen überhaupt in Gang gesetzt werden konnte. Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Stattdessen hat es ein Kennenmüssen ausreichen lassen und dieses zudem der Prüfung des Verschuldens zugeordnet; damit hat es zugleich die Maßstäbe der von ihm zugrunde gelegten groben Fahrlässigkeit verkannt.
13
c) Nach ihrem eindeutigen Wortlaut richtet sich die Obliegenheit zudem - nur - an die versicherte Person. Daher kommt es von vornherein nicht darauf an, ob der Kläger als Versicherungsnehmer Kenntnis vom Gesundheitszustand des Spielers M. hatte; vielmehr ist allein auf den Kenntnisstand der versicherten Person abzustellen. Auch das hat das Berufungsgericht übersehen.
14
Weiter - und jedenfalls missverständlich - untersucht das Berufungsgericht , ob dem Kläger ein ihm obliegender Nachweis fehlender Relevanz der Obliegenheitsverletzung gelungen ist. Diese Frage stellt sich nach der Rechtsprechung des Senats im Falle einer vorsätzlichen folgenlosen Obliegenheitsverletzung (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Mai 2009 - IV ZR 62/07 - VersR 2009, 968 unter Tz. 9; Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - VersR 2007, 785 Tz. 15; vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97 - VersR 1998, 447 unter 2 b, jeweils m.w.N.). Bei Annahme grober Fahrlässigkeit, von der das Berufungsgericht ausgeht, ist hingegen nach § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG a.F. zu prüfen, ob dem Versicherungsnehmer ein Kausalitätsgegenbeweis gelingt (vgl. BGHZ 169, 86, 93; Senatsurteil vom 10. Februar 1999 - IV ZR 60/98 - VersR 1999, 1004 unter II 3).
15
3. Darauf kommt es letztlich jedoch nicht an, denn die Klausel in § 5 II Nr. 3 VB benachteiligt den Versicherungsnehmer wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) unangemessen und ist deshalb unwirksam. Sie ist ferner nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da sie mit dem durch die Rechtsprechung geprägten Leitbild des Rechts der Obliegenheiten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls (§ 6 VVG a.F.) nicht zu vereinbaren ist.
16
a) Von der versicherten Person wird in § 5 II Nr. 3 VB gefordert, ein Nachweisformular innerhalb von 20 Tagen nach "Beginn der dauernden Vollinvalidität" vorzulegen. Diese setzt nach § 3 Nr. 5 VB voraus, dass die versicherte Person für die Dauer von zwölf aufeinander folgenden Monaten unter "Vollinvalidität" gelitten hat und aufgrund des unfallbedingten Personenschadens, der zur Vollinvalidität geführt hat, eine Aussicht auf Besserung nicht besteht. "Vollinvalidität" wiederum ist gemäß § 3 Nr. 4 VB anzunehmen, wenn ein vollkommenes oder physisches Unvermögen der versicherten Person besteht, ihre im Versicherungsvertrag festgehaltene berufliche Tätigkeit auszuüben.
17
Die Begriffe der "Vollinvalidität" und der "dauernden Vollinvalidität" nach § 3 Nrn. 4, 5 VB sind unter Einbeziehung des § 3 Nr. 8 VB zu bestimmen. Dort ist festgelegt, was unter der Ausübung der beruflichen Tätigkeit der versicherten Person - hier als Berufsfußballer - zu verstehen ist. Erforderlich soll zunächst sein, dass sich die versicherte Person auf der aktiven Spielerliste der professionellen Sportmannschaft befindet , für die zu spielen sie vertraglich verpflichtet ist. Über verschiedene Und-, aber auch Oder-Verknüpfungen werden sodann bestimmte weitere Voraussetzungen aufgeführt, bei deren Vorliegen ein "Ausüben" anzunehmen ist, nämlich und/oder das Tragen des Trikots, um mit der betreffenden Mannschaft zu trainieren oder zu spielen, und/oder dafür zur Verfügung zu stehen und/oder tatsächlich dazu in der Lage zu sein.
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b) Mit diesem Inhalt wird die Klausel des § 5 II Nr. 3 VB dem Erfordernis des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nach ausreichender Transparenz nicht gerecht.
19
Danach (1) ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (vgl. BGHZ 136, 394, 401 f.; 141, 137, 143; 147, 354, 361 f.; Senatsurteile vom 30. April 2008 - IV ZR 241/04 - VersR 2008, 816 Tz. 14 f. und vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06 - VersR 2007, 1690 Tz. 16).
20
Schon auf erste Sicht kann die Klausel diesen Anforderungen nicht genügen. Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer bzw. hier eine gleichermaßen um Verständnis bemühte versicherte Person kann nicht erkennen, was von ihr verlangt wird, um den Anspruch auf Versicherungsleistung nicht zu gefährden.
21
(2) Sie muss in ihre Überlegungen verschiedene, in ihren Voraussetzungen nicht eindeutig festgelegte Ereignisse einbeziehen, um beurteilen zu können, ob die - mit nur 20 Tagen zudem knapp bemessene - Nachweisfrist in Gang gesetzt ist.
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Fristbeginn Der hängt zum einen vom Eintritt einer dauernden - d.h. zwölf aufeinander folgende Monate umfassenden - Vollinvalidität ab. Darüber muss die versicherte Person, die regelmäßig nicht über medizinisches Fachwissen verfügt, sich zunächst ein Urteil bilden. Eine "dauernde Vollinvalidität" ist nach § 3 Nr. 5 VB überdies nicht allein objektiv nach dem Zustandsbild dieser zwölf Monate zu bestimmen, son- dern es tritt die auf ihren Ablauf bezogene Prognose hinzu, ob für die Zukunft Aussicht auf Besserung besteht. Auch das muss die versicherte Person erkennen, denn nur dann hat sie Veranlassung, sich um die erforderliche ärztliche Feststellung zu kümmern und nach § 5 II Nr. 3 Satz 2 VB das entsprechende Formular beim Versicherer oder seinem Agenten zu beschaffen, ohne das ausweislich der Klausel der Nachweis einer dauernden Vollinvalidität nicht erbracht werden kann. Dazu werden ihr umfassende, bis ins Einzelne gehende medizinische Überlegungen und Bewertungen abverlangt, zu denen sie ebenfalls in aller Regel nicht in der Lage ist.
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Zum anderen wird die versicherte Person darüber im Unklaren gelassen , ob die in § 5 II Nr. 3 VB aufgenommene Frist von 20 Tagen schon, wie es der Wortlaut nahe legt, ab dem tatsächlichen Beginn der dauernden Vollinvalidität zu laufen beginnt, so dass sie binnen dieser kurzen Frist für die ärztliche Feststellung und die Einreichung des Nachweises beim Versicherer zu sorgen hat, oder ob sich die Frist erst ab der ärztlichen Feststellung hierüber berechnet, wofür der Sinn und Zweck der Regelung spricht, dem Versicherer anhand der Invaliditätsbescheinigung Gelegenheit zu geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf der Grundlage der ärztlichen Feststellung zeitnah zu überprüfen (vgl. Senatsurteil vom 7. März 2007 - IV ZR 137/06 - VersR 2007, 1114 unter Tz. 12).
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Ihre (3) Unklarheit über den Fristbeginn wird dadurch verstärkt, dass die Umschreibung des Versicherungsfalls in § 1 Nr. 1 VB nicht deckungsgleich ist mit den Voraussetzungen der dauernden Vollinvalidität, wie sie sich in § 3 Nr. 5 VB finden. Während für den Eintritt des die Versicherungsleistung auslösenden Versicherungsfalls erforderlich ist, dass ein unfallbedingter Personenschaden binnen sechs Monaten vom Unfalltag an zu einer Vollinvalidität führt, sofern diese unmittelbar in eine dauernde Vollinvalidität "übergeht" (nicht: "übergegangen ist"), muss nach der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 5 VB die Vollinvalidität über zwölf Monate bestanden haben, um (erstmals) als eine "dauernde" bezeichnet werden zu können. Da in § 5 II Nr. 3 VB jedenfalls für das den Beginn der 20-tägigen Frist auslösende Ereignis keine Bezugnahme auf § 1 Nr. 1 VB oder § 3 Nr. 5 VB erfolgt, ist für die versicherte Person nicht hinreichend durchschaubar, woran die Verhaltensanforderung anknüpft, ob also für die Nachweisobliegenheit der "Übergang" der binnen sechs Monaten nach dem Unfallereignis eingetretenen Vollinvalidität in eine dauernde, also eine künftig mindestens zwölf Monate währende Vollinvalidität entscheidend ist, oder ob auf den Ablauf der zwölf Monate abzustellen ist. Diese Unsicherheit verstärkt sich mit Blick auf § 5 II Nr. 3 Satz 4 VB. Dort ist geregelt, dass das erforderliche Formular erst nach dem "Beginn" der dauernden Vollinvalidität eingereicht werden kann, was auf § 1 Nr. 1 VB deutet. Zugleich wird vereinbart, dass erst nach Vollendung eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten der Vollinvalidität Leistungen "fällig und zahlbar" werden, was der versicherten Person den Hinweis auf einen Zusammenhang mit § 3 Nr. 5 VB gibt.
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(4) Weiter erschließt sich ihr der Begriff einer "Ausübung" der beruflichen Tätigkeit i.S. des § 3 Nr. 8 VB nicht einmal ansatzweise. Zunächst soll maßgeblich sein, dass die versicherte Person auf der aktiven Spielerliste "geführt" wird. Was dies im Einzelnen bedeutet, wird nicht näher erläutert. Vielmehr wird das Verständnis von § 3 Nr. 8 VB nachfolgend durch die Aufzählung mehrerer Und/Oder-Alternativen erschwert. Es ist angesichts der Fülle der sich daraus ergebenden Kombinationsmöglichkeiten nicht klar, ob es bereits ausreichend ist, dass ein Spieler sich überhaupt auf der aktiven Liste befindet. Steht die versicherte Person nicht auf dieser Liste, muss sie jedenfalls entweder das Trikot tragen , um mit der betreffenden Mannschaft zu trainieren oder zu spielen, und/oder dafür zur Verfügung stehen und/oder tatsächlich dazu in der Lage sein. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen wäre ein "Ausüben" selbst dann anzunehmen, wenn der Spieler lediglich das Trikot trägt, um am Mannschaftstraining teilzunehmen, obwohl sein physischer Zustand dies eigentlich nicht erlaubt. Insoweit verhalten sich die Formulierung "zur Verfügung stehen", die auf eine subjektive Bereitschaft zur Teilnahme am Spiel- und Trainingsbetrieb deutet, und die Formulierung "tatsächlich in der Lage sein", die auf das objektive Leistungsvermögen abstellt, in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander.
26
Die Klausel ist mithin derart weit und konturenlos gefasst, dass die versicherte Person auch nach der gebotenen verständigen Durchsicht der Versicherungsbedingungen nicht in der Lage ist, verlässlich zu bestimmen, wann ihr vollkommenes und vollständiges physisches Unvermögen vorliegen soll, um die im Versicherungsvertrag festgehaltene Tätigkeit i.S. des § 3 Nr. 4 VB "auszuüben". Sie widerspricht damit evident dem Transparenzgebot.
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c) Das Wesen einer vertraglich vereinbarten, mit der Sanktion der Leistungsfreiheit verbundenen Obliegenheit besteht weiter darin, dass ein Verhalten - also bestimmte Handlungen oder ein Unterlassen - vorgeschrieben wird, das es zu beachten gilt, wenn der Versicherungsschutz erhalten werden soll. Wegen der einschneidenden Wirkung der Leistungsfreiheit muss das auferlegte Tun oder Unterlassen ausdrücklich vereinbart sein, klar und eindeutig erkennen lassen, was im Einzelnen verlangt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2008 - IV ZR 53/05 - VersR 2008, 961 Tz. 5; Senatsurteile vom 17. Dezember 2008 - IV ZR 9/08 - VersR 2009, 341 Tz. 18; vom 9. Dezember 1987 - IVa ZR 155/86 - VersR 1988, 267 unter II und vom 12. Juni 1985 - IVa ZR 261/83 - VersR 1985, 979 unter 4 b; BGH, Urteil vom 18. Dezember 1989 - II ZR 34/89 - VersR 1990, 384 unter 3). Diese durch Rechtsprechung und Literatur geprägte Auslegung des Obliegenheitsbegriffs gehört zum gesetzlichen Leitbild i.S. des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 33/92 - VersR 1993, 830 unter I 3 a).
28
Dem widerspricht es, wenn in § 5 II Nr. 3 VB aus den genannten Gründen Anforderungen an die versicherte Person gestellt werden, die sie deshalb nicht zu erfüllen vermag, weil sie ihr nicht deutlich genug aufgezeigt werden. Daran ändern der gemäß § 5 II Nr. 6 VB i.V. mit § 6 Abs. 3 VVG a.F. vorbehaltene Entschuldigungsbeweis und der Kausalitätsgegenbeweis nichts (BGHZ 111, 278, 281). Denn der Versicherungsnehmer bzw. hier die versicherte Person werden dadurch in die Lage gebracht , sich entlasten zu müssen. Sie sind - entgegen dem zum Recht der Obliegenheiten entwickelten Leitbild - schlechter gestellt, weil Zweifel an Inhalt und Umfang der Obliegenheit im Ergebnis zu ihren Lasten gehen. Anders ist es, wenn es dem Versicherer aufgegeben ist, die Verhaltensanforderung unmissverständlich zu formulieren und den objektiven Verstoß gegen die in ihren Voraussetzungen eindeutig festgelegte Obliegenheit zu beweisen.
29
III. Für das weitere Verfahren ist auf Folgendes hinzuweisen:
30
Die 1. Voraussetzungen eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls folgen aus § 1 Nr. 1 VB. Dabei ist zwischen den Parteien mittlerweile unstreitig, dass durch den Vorfall vom 29. September 2000 und die dabei erlittene Verletzung bei dem Spieler M. ein unfallbedingter Personenschaden eingetreten ist. Nach den bisherigen Feststellungen ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass es noch an diesem Tage zu einer "Vollinvalidität" gemäß § 3 Nr. 4 VB gekommen ist. Allerdings kann die Vollinvalidität, mithin das Unvermögen der versicherten Person, ihre berufliche Tätigkeit "auszuüben", nicht nach Maßgabe des § 3 Nr. 8 VB bestimmt werden, da diese Klausel - wie aufgezeigt - ebenfalls intransparent und damit auch außerhalb ihrer Verknüpfung mit § 5 II Nr. 3 VB unwirksam ist.
31
2. Die Prüfung der Voraussetzungen einer "dauernden Vollinvalidität" nach §§ 1 Abs. 1, 3 Nr. 5 VB durch das Berufungsgericht ist nicht vollständig. Es fehlt an Feststellungen dazu, dass zwölf Monate nach dem Unfallereignis bei dem versicherten Spieler keine Aussicht auf eine Besserung seines Zustands bestand, die ausreichend gewesen wäre, um jemals wieder die Tätigkeit als Berufsfußballer auszuüben. Das wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.
32
3. Zu § 5 I Nr. 5 VB sind gleichfalls noch keine Feststellungen getroffen.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Würzburg, Entscheidung vom 20.12.2007 - 22 O 1859/04 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 02.10.2008 - 1 U 12/08 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 16. Sept. 2009 - IV ZR 246/08

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 16. Sept. 2009 - IV ZR 246/08

Referenzen - Gesetze

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 307 Inhaltskontrolle


(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 6 Beratung des Versicherungsnehmers


(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 1 Vertragstypische Pflichten


Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versiche
Bundesgerichtshof Urteil, 16. Sept. 2009 - IV ZR 246/08 zitiert 4 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 307 Inhaltskontrolle


(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben,

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 6 Beratung des Versicherungsnehmers


(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 1 Vertragstypische Pflichten


Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versiche

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Dez. 2008 - IV ZR 9/08

bei uns veröffentlicht am 17.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 9/08 Verkündetam: 17.Dezember2008 Heinekamp Justizhauptsekretär alsUrkundsbeamter derGeschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 16. Sept. 2009 - IV ZR 246/08.

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Apr. 2018 - IV ZR 104/17

bei uns veröffentlicht am 04.04.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 104/17 Verkündet am: 4. April 2018 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Reisea

Sozialgericht Detmold Urteil, 21. Okt. 2014 - S 22 R 424/12

bei uns veröffentlicht am 21.10.2014

Tenor Der Bescheid der Beklagten vom 21.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 wird aufgehoben, soweit die Beklagte Nachforderungen für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2006 geltend macht. Im Übrigen wird die Klage abg

Sozialgericht Detmold Urteil, 21. Okt. 2014 - S 22 R 923/12

bei uns veröffentlicht am 21.10.2014

Tenor Der Bescheid der Beklagten vom 24.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2012 wird aufgehoben, soweit die Beklagte Nachforderungen für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2006 geltend macht. Im Übrigen wird die Klage abg

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 06. Okt. 2010 - 5 U 88/10 - 16

bei uns veröffentlicht am 06.10.2010

Tenor 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27.01.2010 – 12 O 236/09 – wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckba

Referenzen

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.

(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.

(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.

Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 307/00 Verkündet am:
4. Juli 2001
Heinekamp
Justizsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
VVG §§ 178 a, b, 67

a) Die §§ 178 a, b VVG ändern nichts an der Gestaltungsfreiheit des Versicherers,
die Krankentagegeldversicherung als Summen- oder Schadensversicherung auszuformen.

b) Eine nach den MB/KT 94 abgeschlossene Krankentagegeldversicherung ist
Summenversicherung. Die Vorschrift des § 67 VVG ist deshalb nicht anwendbar.
BGH, Urteil vom 4. Juli 2001 - IV ZR 307/00 - OLG Stuttgart
LG Tübingen
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt
und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung vom
4. Juli 2001

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2000 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Krankentagegeldversicherer eines Unfallopfers, die Beklagte Haftpflichtversicherer des Schädigers. Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus übergegangenem Recht die Erstattung von Krankentagegeld in Höhe von 14.030,- DM, das sie ihrem Versicherungsnehmer nach Ablauf einer Karenzzeit von 42 Tagen gezahlt hat.
Dem Versicherungsvertrag zwischen der Klägerin und ihrem Versicherungsnehmer liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung zugrunde. Diese enthalten in Teil I die Rahmenbedingungen 1994 (RB/KT 94).

In § 4 RB/KT 94, der § 4 der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung für die Krankentagegeldversicherung aus dem Jahre 1994 (MB/KT 94; abgedruckt bei Prölss/Martin VVG 26. Aufl. S. 1679 ff.) entspricht, heißt es u.a.:
"(1) Höhe und Dauer der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif, diesen Rahmenbedingungen und den Tarifbedingungen. (2) Das Krankentagegeld darf zusammen mit sonstigen Krankentage - und Krankengeldern das auf den Kalendertag umgerechnete, aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Nettoeinkommen nicht übersteigen. Maßgebend für die Berechnung des Nettoeinkommens ist der Durchschnittsverdienst der letzten 12 Monate vor Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, sofern der Tarif keinen anderen Zeitraum vorsieht. (4) Erlangt der Versicherer davon Kenntnis, daß das Nettoeinkommen der versicherten Person unter die Höhe des dem Vertrage zugrunde gelegten Einkommens gesunken ist, kann er ohne Unterschied , ob der Versicherungsfall bereits eingetreten ist oder nicht, das Krankentagegeld und den Beitrag mit Wirkung vom Beginn des zweiten Monats nach Kenntnis entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen herabsetzen. Bis zum Zeitpunkt der Herabsetzung wird die Leistungspflicht im bisherigen Umfang für eine bereits eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht berührt. ..." Nr. 3 des maßgeblichen Tarifs KTN bestimmt u.a. folgendes: 3.1. Allgemeine Leistungsanpassung "In Abständen von längstens zwei Jahren wird das vereinbarte Krankentagegeld entsprechend der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt (allgemeine Leistungsanpassung). ...

Das aufgrund einer allgemeinen Leistungsanpassung angepaßte Krankentagegeld darf das Nettoeinkommen nicht übersteigen (§ 4 (2) RB/KT 94). Erlangt der Versicherer davon Kenntnis, daß aufgrund von allgemeinen Leistungsanpassungen das versicherte Krankentagegeld höher ist als das Nettoeinkommen, so werden die allgemeinen Leistungsanpassungen zurückgenommen, die zur Überhöhung des Krankentagegeldes führten, und das versicherte Krankentagegeld insofern entsprechend rückwirkend herabgesetzt. ... 3.2 Individuelle Leistungsanpassung Der Versicherer verpflichtet sich, den Versicherungsschutz zum Ersten des auf den Antrag des Versicherungsnehmers folgenden Monats den geänderten Verhältnissen anzupassen, wenn und soweit
a) durch eine Ä nderung des regelmäßigen, aus der beruflichen Tätigkeit herrührenden Nettoeinkommens eine Erhöhung des vereinbarten Krankentagegeldes notwendig ist, um das vorherige prozentuale Verhältnis des Krankentagegeldes zum Nettoeinkommen wiederherzustellen. ..."
Die Klägerin stützt ihren Rückgriff auf § 67 VVG. Sie meint, die Vorschrift sei über § 178 a Abs. 2 Satz 1 VVG direkt oder zumindest entsprechend anzuwenden, weil die vorliegende Krankentagegeldversicherung in Form einer Schadensversicherung geführt werde. Die Beklagte geht von einer Summenversicherung aus und hält deshalb § 67 VVG für nicht anwendbar.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Erstattungsanspruch mit folgender Begründung versagt:
Die Krankentagegeldversicherung sei eine Summenversicherung. Versichert sei nicht der jeweilige konkrete Verdienstausfall, sondern der abstrakte Bedarf, von dem angenommen werde, daß er bei Arbeitsunfähigkeit eintreten könne. Daran habe sich durch § 178 a Abs. 2 Satz 1 VVG, eingefügt durch das Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (BGBl. I 1630), nichts geändert. Diese Vorschrift treffe keine Aussage darüber, ob eine Versicherung nach den Grundsätzen der Schadensversicherung betrieben werde, sondern erkläre § 67 VVG lediglich für anwendbar, soweit der Versicherungsschutz nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt werde. Das aber hänge jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab. Auch aus der amtlichen Begründung zu § 178 b VVG ergebe sich nichts anderes.
Die Möglichkeit zur Anpassung der Höhe des Tagegeldes gemäß § 4 RB/KT 94 rechtfertige ebenfalls keine Einordnung der Tagegeldversicherung als Schadensversicherung. Die Anpassung sei lediglich für die Zukunft möglich und erfolge nicht automatisch. Nr. 3.1 des vereinbarten Tarifs KTN sei nur eine Ausgestaltung von § 4 Abs. 2 RB/KT 94.

Schließlich sei es für eine Beurteilung der Tagegeldversicherung als Schadensversicherung ohne Belang, daß tariflich eine Karenzzeit vereinbart worden sei.
II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zutreffend die Anwendung des § 67 VVG abgelehnt, weil es sich bei der hier genommenen Krankentagegeldversicherung um eine Summenversicherung handelt.
1. Richtig ist sein Ausgangspunkt, daß § 67 VVG grundsätzlich nur auf eine Schadensversicherung, nicht aber auf eine Summenversicherung anwendbar ist (Senatsurteil vom 20. Dezember 1972 - IV ZR 171/71 - VersR 1973, 224 unter III; BGH, Urteil vom 8. Juli 1980 - VI ZR 275/78 - VersR 1980, 1072 unter II 1 a; Langheid in Römer/Langheid, VVG § 67 Rdn. 6, 7, jeweils m.w.N.).
2. a) Über den Charakter der Krankentagegeldversicherung als Summen- oder Schadensversicherung werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten. Die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und in der Literatur ordnet sie – unter Berücksichtigung des jeweiligen Leistungsversprechens - dem Bereich der Summenversicherung zu (vgl. etwa OLG Hamm VersR 1997, 862, 863; OLG Nürnberg VersR 1986, 588, 589; OLG Frankfurt VersR 1989, 1290 f.; OLG Karlsruhe VersR 1990, 1340 unter 2; OLG Köln VersR 1994, 356 ; Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung , 2. Aufl. § 1 MB/KT 94 Rdn. 4; Neeße, VersR 1976, 704, 706 f; Wriede, r+s 1991, 65; abweichend OLG Zweibrücken VersR 1976,

386; Hof, VersR 1974, 111, 113; Sieg in Bruck/Möller/Sieg, VVG 8. Aufl. § 67 Anm. 20; ders., VersR 1994, 249).
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Krankentagegeldversicherung wiederholt als Summenversicherung eingestuft und einen Übergang von Schadensersatzforderungen des Versicherten auf den Versicherer gemäß § 67 VVG verneint (Urteil vom 11. Mai 1976 - VI ZR 51/74 - VersR 1976, 756 unter II 3 m.w.N.; Urteil vom 15. Mai 1984 - VI ZR 184/82 - VersR 1984, 690 unter II 2 b cc).

b) Der erkennende Senat hat sich zwar zur Anwendbarkeit des § 67 VVG auf die Krankentagegeldversicherung noch nicht ausdrücklich geäußert, diese aber aufgrund der jeweils verwendeten Versicherungsbedingungen als Summenversicherung eingeordnet (Urteile vom 19. Dezember 1973 - IV ZR 130/72 - VersR 1974, 184 unter II; vom 13. März 1974 - IV ZR 36/73 - VersR 1974, 741 unter I 3 c; vom 12. Juli 1989 - IVa ZR 201/88 - VersR 1989, 943 unter 3). Dabei hat er zur Abgrenzung darauf abgestellt, ob die genommene Krankentagegeldversicherung auf die Deckung eines konkreten Schadens ausgerichtet ist (Schadensversicherung) oder ob sie einen abstrakt berechneten Bedarf zu decken verspricht (Summenversicherung). In der Krankentagegeldversicherung sind beide Versicherungsformen grundsätzlich möglich (vgl. schon Senatsurteil vom 19. Dezember 1973 aaO); welche Ausformung die Krankentagegeldversicherung hat, hängt damit letztlich von dem durch die jeweiligen Versicherungsbedingungen ausgestalteten Leistungsversprechen des Versicherers ab.

3. Diese grundsätzliche Gestaltungsfreiheit der Versicherer wird durch die mit dem Dritten Durchführungsgesetz vom 21. Juli 1994 in das VVG eingefügten Vorschriften über die Krankenversicherung nicht berührt.

a) § 178 a Abs. 2 Satz 1 VVG erklärt u.a. § 67 VVG für anwendbar, "soweit der Versicherungsschutz nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt wird". Damit hat der Gesetzgeber nicht vorgeschrieben , daß die Krankentagegeldversicherung als Schadensversicherung betrieben werden muß. Vielmehr hat er den Versicherern ihre schon vor dem Dritten Durchführungsgesetz vom 21. Juli 1994 bestehende Gestaltungsfreiheit belassen. Maßgeblich sind unverändert der Versicherungsvertrag und die ihm zugrunde liegenden Bedingungen. Ebenso wenig ergibt sich aus dieser Vorschrift, daß eine Krankentagegeldversicherung bereits nach den Grundsätzen der Schadensversicherung Versicherungsschutz gewährt, die zur Bestimmung der Versicherungsleistung auf den Durchschnittsverdienst in zurückliegender Zeit zurückgreift.

b) Etwas anderes läßt sich auch nicht § 178 b Abs. 3 VVG entnehmen. Diese Bestimmung beschreibt - ebenso wie § 1 Abs. 1 Satz 2 MB/KT 94 - Inhalt und Umfang des Vertrages über eine Krankentagegeldversicherung dahin, daß der Versicherer den als Folge von Krankheit oder Unfall durch Arbeitsunfähigkeit verursachten Verdienstausfall durch das “vereinbarte” Krankentagegeld zu ersetzen hat. Dadurch ist aber nicht der Grundsatz der konkreten Schadensdeckung verankert worden. Wie das zu vereinbarende Tagegeld zu bemessen ist, schreibt § 178 b Abs. 3 VVG gerade nicht vor. Denn er bestimmt nicht, daß die

Höhe der Ersatzleistung an den tatsächlichen Einkommensverlust zu binden ist.
c) Auch die amtliche Begründung des Entwurfs von § 178 b VVG (BT-Drucks. 12/6959) rechtfertigt keine andere Bewertung. Dort heißt es: "Dem Charakter der Tagegeldversicherung als einer nach den Grundsätzen der Schadensversicherung betriebenen Summenversicherung entspricht es, daß die Leistungsverpflichtung des Versicherers bis zur Höhe des versicherten Tagegeldes durch die Höhe des Nettoverdienstausfalls des Versicherten bestimmt wird und deshalb auch unter der vereinbarten Summe liegen kann." Daraus wird nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber von der oben beschriebenen Abgrenzung zwischen Schadens- und Summenversicherung abgehen und die Krankentagegeldversicherung generell als Schadensversicherung einordnen wollte (vgl. BK-Hohlfeld § 178 b VVG Rdn. 14). Die Entwurfsbegründung gibt, wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, lediglich eine Erklärung dafür, daß bei entsprechender vertraglicher Gestaltung des Versicherungsvertrages die Höhe des Tagegeldes wegen eines geringeren Einkommens auch unter dem vereinbarten Entschädigungssatz liegen kann.
4. Die zwischen der Klägerin und ihrem Versicherungsnehmer abgeschlossene Krankentagegeldversicherung ist eine Summenversicherung.

a) Die für diese Versicherungsform charakteristische abstrakte Bedarfsdeckung ist dann gegeben, wenn der Versicherte im Versicherungsfall eine im voraus bestimmte Entschädigung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit erhält, ohne Rücksicht darauf, welchen Verdienstausfall

er tatsächlich hat. Vielmehr soll pauschal ein Bedarf gedeckt werden, von dem angenommen wird, daß er bei durch Arbeitsunfähigkeit eintretendem Verdienstausfall entstehen könne. Dagegen wäre die Krankentagegeldversicherung als Schadensversicherung einzuordnen, wenn sie auf Deckung des konkreten Verdienstausfallschadens des Versicherten zielte und sich demgemäß die zu erbringende Versicherungsleistung den Einkommensschwankungen des Versicherten ständig und automatisch anpaßte (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 1973 aaO, VersR 1974, 184 unter II; Neeße, VersR 1976, 704, 707).

b) Eine solche Berechnung der Versicherungsleistung nach Maßgabe des konkreten Verdienstausfalls sehen der Versicherungsvertrag und die ihm zugrunde liegenden Bedingungen hier aber nicht vor. Die Klägerin schuldet dem Versicherten grundsätzlich ein vertraglich von vornherein vereinbartes Tagegeld von 115,- DM für – von der Karenzzeit abgesehen – jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit. Es ist also – wie für eine Summenversicherung typisch – eine pauschale Bedarfsdeckung vereinbart. Das Regelungsgefüge von § 4 RB/KT 94 und Nr. 3 der vereinbarten Tarifbedingungen KTN ändert daran nichts.
aa) § 4 Abs. 2 RB/KT 94 enthält - ebenso wie der gleichlautende § 4 Abs. 2 MB/KT 94 - eine Bestimmung der oberen Leistungsgrenze, die sich aus dem durchschnittlichen Nettoeinkommen der letzten 12 Monate vor Abschluß des Vertrages bzw. vor Eintritt des Versicherungsfalles errechnet. Die Klausel, die nicht zuletzt der Begrenzung des subjektiven Risikos dient, beschränkt die Versicherungsleistung bei Eintritt des Versicherungsfalls indes nicht auf den tatsächlichen Einkommensverlust.

Dieser kann sowohl höher als auch niedriger sein als der Durchschnittsverdienst der letzten 12 Monate vor Abschluß des Versicherungsvertrages bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit.
bb) Eine Angleichung des Krankentagegeldes an den aktuellen Verdienst des Versicherten ergibt sich ferner nicht aus der dem Versicherer in § 4 Abs. 4 Satz 1 RB/KT eingeräumten Möglichkeit, das Tagegeld herabzusetzen, wenn das Nettoeinkommen der versicherten Person gesunken ist. Derartige Herabsetzungen des Tagessatzes werden erst für die Zukunft wirksam, frühestens zwei Monate nach Kenntnis des Versicherers von der Einkommensminderung. Selbst bei bereits eingetretener Arbeitsunfähigkeit sind Leistungen in der Zeit davor in ungeschmälerter Höhe zu erbringen. Eine ständige und automatisch sofort wirksame Anpassung an die jeweiligen Einkommensverhältnisse des Versicherten ist mit der Klausel also gerade nicht vorgesehen.
cc) Das Berufungsgericht hat zudem Nr. 3.1 des Tarifs KTN zutreffend als Ausgestaltung des § 4 Abs. 2 RB/KT 94 gewertet. Die darin vorgesehene allgemeine Leistungsanpassung führt zwar zu einer automatischen Ä nderung insoweit, als die Tagegeldsätze in Abständen von längstens zwei Jahren entsprechend den Bemessungsgrundlagen für die Rentenversicherung angepaßt werden. Auf diese Weise wird aber nur die Versicherungsleistung an die Entwicklung der allgemeinen Einkommensverhältnisse angeglichen. Wie sich das Einkommen des Versicherten entwickelt hat, ist unerheblich. Ebensowenig wird die Entschädigungshöhe im Versicherungsfall an den konkreten Bedarf gekoppelt.

Soweit Nr. 3.1 der Tarifbedingungen eine rückwirkende Herabsetzung des versicherten Krankentagegeldes ermöglicht, soll diese Rückstufung nur die frühere Bemessungsgrundlage - das durchschnittliche Nettoeinkommen der letzten 12 Monate – erhalten, nicht aber den Leistungsumfang im Versicherungsfall an der tatsächlichen Verdiensteinbuße ausrichten.
Ergänzend stellt Nr. 3.2. des Tarifs KTN sicher, daß zeitnahe Anpassungen an die individuellen Einkommensverhältnisse des Versicherungsnehmers möglich bleiben. Diese Veränderungen der Tagegeldhöhe sind nicht von einem im Krankheitsfall zu erwartenden Schaden abhängig. Vielmehr soll der Versicherer auf Veränderungen der Berechnungsgrundlage für die Bemessungsgrenze des Tagegeldes gemäß § 4 Abs. 2 RB/KT 94 reagieren können. Danach schuldet er gerade nicht den konkreten Verdienstausfall, sondern einen bestimmten Tagessatz, der nur das in den letzten 12 Monaten vor Antragstellung bzw. vor Eintritt des Versicherungsfalles erzielte durchschnittliche Nettoeinkommen nicht übersteigen darf.
dd) Schließlich bietet die unter Nr. 2 des Tarifs KTN bestimmte, je nach Tarifgruppe hinsichtlich ihrer Dauer unterschiedliche Karenzzeit, ab deren Ablauf der Versicherer das Tagegeld zu leisten hat, für die Einordnung der Krankentagegeldversicherung als Schadensversicherung keinen Anhaltspunkt. Sie legt nur den Beginn der Leistungspflicht des Versicherers fest, besagt aber nichts über die Berechnung der Leistung.

5. Da nach alledem die hier genommene Krankentagegeldversicherung eine Summenversicherung ist, kommt eine Anwendung des § 67 VVG nicht in Betracht. Auch für eine entsprechende Anwendung dieser auf die Schadensversicherung ausgerichteten Vorschrift ist kein Raum.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Wendt Dr. Kessal-Wulf

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.

(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.

(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 252/05 Verkündetam:
13.Dezember2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG § 6 Abs. 3; AKB §§ 7 (I) Abs. 2 Satz 3, (V) Abs. 4
Die Kenntnis der nach Eintritt des Versicherungsfalles mitzuteilenden Umstände gehört
zum objektiven Tatbestand der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, den der
Versicherer zu beweisen hat.
Steht fest, dass der Versicherungsnehmer zunächst Kenntnis von dem Versicherer
mitzuteilenden Umständen hatte, wird vorsätzliches Handeln vermutet, wenn er diese
dem Versicherer nicht vollständig mitteilt. Für seine Behauptung, die Kenntnis der
betreffenden Umstände nachträglich durch eine tief greifende Bewusstseinsstörung
verloren zu haben (hier: retrograde Amnesie), trägt der Versicherungsnehmer die
Beweislast.
BGH, Urteil vom 13. Dezember 2006 - IV ZR 252/05 - Kammergericht
LG Berlin
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Dezember 2006

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 4. Oktober 2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Versicherungsleistungen aus einer Kaskoversicherung für einen von ihm geleasten Pkw. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) zu Grunde.
2
Fahrzeug Das kam in der Nacht zum 21. Oktober 2001 ohne Fremdeinwirkung von der Fahrbahn ab, überschlug sich und blieb stark beschädigt auf dem Dach liegen. Ein Zeuge traf kurze Zeit nach dem Unfall lediglich den Kläger im Fahrzeug an und half diesem beim Aussteigen. Der Kläger hatte neben multiplen Prellungen sowie Schürf- und Schnittwunden im Gesicht auch ein Schädelhirntrauma geringeren Grades erlitten. Eine noch in der Nacht bei ihm entnommene Blutprobe er- gab eine Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille. Nach der von der Beklagten bestrittenen Behauptung des Klägers war das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt von einem Mann gefahren worden, den er kurz zuvor in einer Diskothek kennen gelernt hatte. Er selbst sei unangeschnallt auf dem Beifahrersitz mitgefahren. An das Unfallgeschehen habe er wegen der Kopfverletzung keine Erinnerung. Zur Identität des Fahrers könne er deshalb ebenfalls keine Angaben machen. Entsprechende Eintragungen nahm der Kläger in seiner Schadensmeldung vom 13. Dezember 2001 vor.
3
Ein von der Beklagten beauftragter Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle stellte bei einer Untersuchung des Unfallfahrzeugs fest, dass bei dem Unfall der pyrotechnische Gurtstrammer und die Airbags auf der Fahrerseite ausgelöst worden waren, auf der Beifahrerseite jedoch nicht. Das Fahrzeug war mit einer Sitzbelegungserkennung für den Beifahrersitz ausgestattet, bei der die Auslösung der Airbags auf der Beifahrerseite nur bei einer Sitzbelegung erfolgt. Die Beklagte verweigerte daraufhin die Regulierung des Schadens und berief sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles sowie wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB.
4
Landgericht Das hat die Klage auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes abzüglich Restwert (wirtschaftlicher Totalschaden) und Selbstbeteiligung in Höhe von insgesamt 28.964,68 € abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:


5
Die Revision hat keinen Erfolg.
6
I. 1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Leistungspflicht der Beklagten wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne von § 61 VVG entfallen sei. Ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Unfallspuren am Fahrzeug und zu den vorhandenen Airbag- und Sitzplatzerkennungssystemen könne nicht verlässlich beurteilt werden, ob die von der Beklagten zu beweisenden Voraussetzungen dieser Norm gegeben seien, ob also der Kläger entgegen seiner Behauptung das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt - unter Alkoholeinfluss - geführt habe.
7
2. a) Jedenfalls sei die Beklagte leistungsfrei, weil der Kläger jegliche Angaben zum Unfallhergang und zum Fahrer verweigert habe und damit entgegen § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB seiner Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung aller Tatumstände nach Eintritt des Versicherungsfalles nicht nachgekommen sei. Die Vermutung vorsätzlichen Handelns nach §§ 7 (V) Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG habe er nicht widerlegen können , da seine Behauptung, er habe als Folge der Kopfverletzung die Erinnerung an das Unfallgeschehen verloren, durch das Gutachten des medizinischen Sachverständigen nicht bestätigt worden sei.
8
b) Der Ansicht des Klägers, die Beweislast müsse davon abweichend verteilt werden, da er sich auf die Unkenntnis der aufklärungsbe- dürftigen Tatumstände berufen habe, ist das Berufungsgericht nicht gefolgt. Die Klausel des § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB sei so gefasst, dass die Kenntnis aufklärungspflichtiger Umstände nicht zu den objektiven Tatbestandsvoraussetzungen zähle. Vielmehr verlange die Klausel über eine Mitteilung bekannter Umstände hinaus auch, sich die Kenntnis von unbekannten Umständen zu verschaffen, die für den Versicherer von Bedeutung sein können. Dieses Verständnis des Inhalts der Aufklärungsobliegenheit schließe eine generelle Beschränkung der Aufklärungspflicht auf bekannte Tatumstände von vornherein aus. Auch der Bundesgerichtshof vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Kenntnis aufklärungsbedürftiger Umstände bei Obliegenheiten, die nach dem Versicherungsfall zu erfüllen seien, zum subjektiven Tatbestand derjenigen Klausel gehöre, aus der die Leistungsfreiheit des Versicherers folge.
9
II. Das hält nur im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
10
Der 1. Senat folgt dem Berufungsgericht nicht, soweit es die Kenntnis der Umstände, die der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles mitzuteilen hat, nicht zum objektiven Tatbestand der Aufklärungsobliegenheit (§ 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB) rechnet. Für diese Kenntnis trifft - wie für den objektiven Tatbestand insgesamt - die Beweislast den Versicherer.
11
a) Ob bei streitiger Kenntnis des Versicherungsnehmers von den mitzuteilenden Umständen der Versicherer diese Kenntnis als Bestandteil des objektiven Tatbestandes der Obliegenheitsverletzung zu bewei- sen hat oder der Versicherungsnehmer insoweit den vermuteten Vorsatz widerlegen muss, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Zur Begründung der Auffassung, die Kenntnis des Versicherungsnehmers gehöre als subjektives Element zur Schuldseite, für die generell die Beweislastverteilung des § 7 (V) AKB i.V. mit § 6 Abs. 3 VVG gelte, wird darauf hingewiesen, dass nur so entsprechende Obliegenheitsverletzungen wirkungsvoll unterbunden werden könnten (OLG Oldenburg VersR 1995, 952, 953; ähnlich OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 1496, 1497; offen gelassen von OLG Düsseldorf VersR 2001, 1019 f.; im Ergebnis ebenso Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 6 Rdn. 125). Dem wird entgegengehalten, ein Versicherungsnehmer könne nur das anzeigen, was ihm auch bekannt sei, so dass zum Nachweis eines - objektiven - Verstoßes gegen die Auskunftsobliegenheit auch der Nachweis gehöre, dass der Versicherungsnehmer die Tatsachen kennt, die von der Aufklärungsobliegenheit erfasst werden (OLG Hamm NJW-RR 1990, 1310; OLG Hamm RuS 1994, 42, 43 m. Anm. Langheid; ebenso Römer in Römer /Langheid, VVG 2. Aufl. § 6 Rdn. 113).
12
Auch b) in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, wer die Beweislast für die Kenntnis der dem Versicherer mitzuteilenden Umstände nach Eintritt des Versicherungsfalles zu tragen hat, bisher nicht eindeutig geklärt. In dem auch vom Berufungsgericht herangezogenen Senatsurteil vom 30. April 1969 (BGHZ 52, 86, 89) ist die Kenntnis des Versicherungsnehmers vom Versicherungsfall als subjektives Element der Schuldseite zugeordnet worden (ebenso Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 34/92 - VersR 1993, 828 unter 2 c, insoweit in BGHZ 122, 250 nicht abgedruckt). Einer anderen Entscheidung (BGH, Urteil vom 21. April 1966 - II ZR 239/63 - VersR 1966, 577 unter IV 2) lässt sich eine Zuordnung der Kenntnis mitteilungspflichtiger Umstände zu den objektiven Voraussetzungen einer Obliegenheitsverletzung entnehmen mit der Folge, dass die Kenntnis dieser Umstände der Versicherer darzulegen und im Streitfall zu beweisen hat.
13
c) Die Kenntnis der nach Eintritt des Versicherungsfalles mitzuteilenden Umstände gehört zum objektiven Tatbestand der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, den der Versicherer zu beweisen hat.
14
§ 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB verpflichtet den Versicherungsnehmer, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Geht es - wie hier - um den Eintritt des Versicherungsfalles, obliegt es dem Versicherungsnehmer demgemäß, seinem Versicherer alle Umstände mitzuteilen, die mit dem Ereignis in Zusammenhang stehen, das den Schaden verursacht hat, um ihm so eine sachgemäße Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen. Dazu gehören selbst solche mit dem Schadensereignis in Zusammenhang stehende Tatsachen, aus denen sich die Leistungsfreiheit des Versicherers ergeben kann (Senatsurteil vom 1. Dezember 1999 - IV ZR 71/99 - VersR 2000, 222 unter II 2 m.w.N.). Das setzt aber stets voraus, dass der Versicherungsnehmer Kenntnis von den Umständen oder Tatsachen hat, die er seinem Versicherer in Erfüllung der Obliegenheit mitzuteilen hat. Fehlt ihm diese Kenntnis, läuft die Aufklärungsobliegenheit ins Leere. Schon objektiv kann er sie nicht verletzen, denn es gibt nichts, worüber er nach seinem Kenntnisstand seinen Versicherer aufklären könnte. Auf eine etwaige Erkundigungspflicht des Versicherungsnehmers , die allerdings die Kenntnis von Anhaltspunkten für Umstände voraussetzt, die dem Versicherer nach § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB mitzuteilen sind, kommt es hier nicht an (vgl. dazu Senatsurteil vom 21. April 1993 aaO).
15
Ordnete man dagegen die Kenntnis von dem Versicherer mitzuteilenden Umständen als ein subjektives Element der Schuldseite zu, müsste sich der Versicherungsnehmer vom Vorwurf der objektiven Verletzung einer Obliegenheit entlasten, obgleich nicht feststeht, dass er überhaupt in der Lage war, sie zu erfüllen. Eine solche Einordnung ist auch Wertungsgesichtspunkten des § 6 Abs. 3 VVG nicht zu entnehmen, auf den § 7 (V) Abs. 4 AKB verweist. Diese gesetzliche Beweisregel, wonach sich der Versicherungsnehmer vom vermuteten Vorsatz entlasten muss, macht vielmehr erst und gerade vor dem Hintergrund Sinn, dass die Kenntnis des Versicherungsnehmers von einem dem Versicherer mitzuteilenden Umstand bereits feststeht, dieser die Mitteilung aber dennoch unterlässt.
16
2. Dass der Kläger zunächst Kenntnis vom Unfallgeschehen hatte, stellt das Berufungsgericht in tatrichterlicher und von der Revision nicht angegriffener Würdigung unter Berücksichtigung des Klägervortrags fest. Danach hat der Kläger die Vorgänge bis zum Unfall persönlich als Beifahrer bei ungetrübtem Bewusstsein miterlebt. Damit liegen die objektiven Voraussetzungen einer Verletzung von § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 AKB vor.
17
3. Die Beklagte wäre deshalb nur dann leistungsfrei, wenn der Kläger die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG widerlegt hätte. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger dies nicht gelungen ist.

18
a) Der Kläger hat behauptet, die Kenntnis der anzuzeigenden Umstände durch eine retrograde Amnesie als Folge des Unfalls nachträglich wieder verloren zu haben. Diese Behauptung ist zwar, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, grundsätzlich geeignet, den Vorwurf vorsätzlichen Handelns in Frage zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 1966 - II ZR 5/64 - VersR 1966, 458 unter III). Da der Kläger als Ursache für den nachträglichen Erinnerungsverlust eine tief greifende Bewusstseinsstörung im Sinne von § 827 BGB geltend macht, trifft ihn die volle Beweislast insoweit nicht nur nach § 6 Abs. 3 VVG, sondern auch nach dem Rechtsgedanken des § 827 Satz 1 BGB, wonach derjenige die Voraussetzungen dieser Vorschrift darzulegen und zu beweisen hat, der sich auf sie beruft (BGHZ 39, 103, 108).

19
Der b) im Berufungsrechtszug gehörte Sachverständige konnte weder bestätigen noch ausschließen, dass es entsprechend der Behauptung des Klägers bei ihm durch das erlittene Schädelhirntrauma zu einer Beeinträchtigung der Bewusstseinslage bzw. des Gedächtnisses gekommen war. Die danach verbleibenden Zweifel gehen zu seinen Lasten.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 25.03.2003 - 17 O 167/02 -
KG Berlin, Entscheidung vom 04.10.2005 - 6 U 233/03 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 62/07
vom
4. Mai 2009
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und die
Richterin Harsdorf-Gebhardt
am 4. Mai 2009

beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Februar 2007 zugelassen.
Nach § 544 Abs. 7 ZPO wird das vorgenannte Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:


1
I. Die Klägerin macht Leistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag geltend, den sie für ihre am 22. Februar 1920 geborene Mutter als versicherte Person im Oktober 2002 nach Vermittlung über eine Versicherungsmaklerin mit der Beklagten abschloss.
2
Am 29. Dezember 2002 stürzte die Mutter der Klägerin und brach sich dabei das rechte Handgelenk und die rechte Hüfte. In der ersten, auf einem Formular der Versicherungsmaklerin abgegebenen, von der Klägerin unterzeichneten Schadenanzeige vom 7. Januar 2003 wurden die Frage "War der Verletzte vor Eintritt des Unfalls vollkommen gesund und arbeitsfähig?" bejaht und die Frage "War der Verletzte in den letzten Jahren wegen allgemeiner Erkrankungen in ärztlicher Behandlung gewesen ?" verneint. In der zweiten Schadenanzeige vom 27. März 2003 auf einem Formular der Beklagten ließ die Klägerin die Frage "Leidet oder litt die/der Verletzte zur Zeit des Unfalls an einer Krankheit oder einem Gebrechen? (z.B. …)" unbeantwortet. Dieses Formular enthält - anders als die erste Schadenanzeige - eine Belehrung darüber, dass bewusst unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dem Versicherer durch diese Angaben kein Nachteil entsteht. Mit Schreiben vom 30. April 2004 bat die Beklagte unter Bezugnahme auf ein ärztliches Gutachten vom 18. März 2004 um Auskunft über den Gesundheitszustand der Mutter der Klägerin vor dem Unfall. Aus den daraufhin von der Klägerin übersandten Arztberichten ergab sich, dass ihre Mutter in der Vergangenheit wiederholt gestürzt war, was die behandelnden Ärzte auf Schwindelanfälle und Gangunsicherheiten infolge cerebraler Durchblutungsstörungen zurückführten.
3
Das Landgericht hat die auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme von 100.000 €, hilfsweise auf Rentenleistung gerichtete Klage abgewiesen.
4
Oberlandesgericht Das hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte sei gemäß § 15 Satz 1 AUB 99 i.V. mit § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit der Klägerin leistungsfrei. Ob die Klägerin eine Obliegenheitsverletzung begangen habe, indem sie in der zweiten Anzeige die Frage nach Vorerkrankungen ihrer Mutter unbeantwortet gelassen habe, könne dahinstehen. Jeden- falls habe sie in der ersten Anzeige diese Frage definitiv verneint. Dass dieser Fragebogen nicht die notwendige Belehrung über die Folgen wahrheitswidriger Angaben enthalte, sei unschädlich, weil die Gesamtumstände den Schluss auf ein arglistiges Verhalten der Klägerin zuließen. Dafür sprächen folgende Umstände: Schon in der ersten Schadenanzeige werde die Mutter der Klägerin fälschlich als vollkommen gesund bezeichnet und die Frage nach ärztlichen Behandlungen wegen allgemeiner Erkrankungen in den letzten Jahren wahrheitswidrig verneint. Nach dem Vorbringen der Klägerin habe sich die von ihr beauftragte Versicherungsmaklerin vor Abschluss des Vertrages eigens bei der Beklagten erkundigt, ob sie die Mutter der Klägerin ohne Gesundheitsprüfung versichere. Die Vorerkrankungen und gesundheitlichen Probleme ihrer Mutter seien der Klägerin demnach bewusst gewesen. Unstreitig sei die Mutter der Klägerin zuvor immer häufiger gestürzt. Bei ihr seien cerebrale Durchblutungsstörungen, wiederholt auftretende Schwindelanfälle und eine Gangunsicherheit ärztlich dokumentiert worden. Damit habe, und zwar für die Klägerin ohne weiteres erkennbar, ein signifikant erhöhtes Unfallrisiko bestanden. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich der Unfall lediglich zwei Monate nach Abschluss des Versicherungsvertrages ereignet habe.
5
Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
6
II. Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
7
1. Das Berufungsgericht hat den Unfallversicherungsvertrag ohne Rechtsfehler als wirksam angesehen. Eine Unfallversicherung für eigene Rechnung der Klägerin konnte nicht begründet werden, weil es an der nach § 179 Abs. 3 Satz 1 VVG erforderlichen schriftlichen Einwilligung der versicherten Person, der Mutter der Klägerin, fehlte. Entsprechend der Zweifelsregel des § 179 Abs. 2 Satz 1 VVG hat das Berufungsgericht den Unfallversicherungsvertrag als Fremdversicherung eingeordnet. Diese sei nicht durch den Vertragsinhalt ausgeschlossen; insbesondere sei dem Versicherungsvertrag nicht zu entnehmen, dass sich die Klägerin ausdrücklich die Auszahlung der Versicherungsleistung an sich selbst vorbehalten habe. Diese Auslegung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
8
2. Auf einer Verletzung des Rechts der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruhen die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht eine arglistige Obliegenheitsverletzung der Klägerin bei Abgabe der ersten Schadenanzeige angenommen hat.
9
Nach a) der dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Relevanzrechtsprechung des Senats kann sich der Versicherer bei einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn - was das Berufungsgericht hier bejaht hat - die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel (Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - VersR 2007, 785 Tz. 15; vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97 - VersR 1998, 447 unter 2 b, jeweils m.w.N.). Voraussetzung für die Leistungsfreiheit ist weiterhin, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer vorher deutlich über den Anspruchsverlust belehrt hat, der ihm bei vorsätzlich falschen Angaben droht (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2007 - IV ZR 152/05 - VersR 2007, 683 Tz. 2 m.w.N.; Senatsurteil vom 21. Januar 1998 aaO unter 2 c). Eine derartige Belehrung hatte die Klägerin vor Abgabe der ersten Schadenanzeige von der Beklagten nicht erhalten. In einem solchen Fall wird - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - der Versicherer gleichwohl leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer arglistig seine Aufklärungspflicht verletzt hat und deshalb den mit der Belehrungspflicht bezweckten Schutz nicht verdient (vgl. Senatsurteile vom 12. März 1976 - IV ZR 79/73 - VersR 1976, 383 unter 2; vom 20. Dezember 1972 - IV ZR 57/71 - VersR 1973, 174 unter VI 4; vom 10. Februar 1971 - IV ZR 143/69 - VersR 1971, 405 unter II 2; vom 20. November 1970 - IV ZR 1074/68 - VersR 1971, 142 unter II 3). Eine arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt (Senatsurteil vom 28. Februar 2007 aaO Tz. 8 m.w.N.). Eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass er einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH, Urteil vom 8. Juli 1991 - II ZR 65/90 - VersR 1991, 1129, 1131 unter 2 c (2) m.w.N.).
10
b) Das Berufungsgericht hat eine Arglist der Klägerin im Kern damit begründet, dass ihr schon bei Abschluss des Unfallversicherungsvertrages die Vorerkrankungen und gesundheitlichen Probleme ihrer Mutter und das daraus folgende erhöhte Unfallrisiko bewusst gewesen seien. Dieses Bewusstsein hat das Berufungsgericht daraus abgeleitet, dass sich die von der Klägerin beauftragte Versicherungsmaklerin vor Abschluss des Vertrages bei der Beklagten erkundigte, ob sie die Mutter der Klägerin ohne Gesundheitsprüfung versichere. Bei dieser Würdigung hat das Berufungsgericht unter Missachtung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs wesentlichen Sachvortrag nicht berücksichtigt. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, die Anfrage bei der Beklagten sei nicht von ihr veranlasst worden, sondern von der Versicherungsmaklerin ausgegangen. Dieses vom Berufungsgericht übergangene Vorbringen ist entscheidungserheblich. Wenn die Klägerin die Frage nach Versicherung ihrer Mutter ohne Gesundheitsprüfung nicht initiiert hatte, kann ihr nicht angelastet werden, den Vertrag bewusst in Kenntnis einer gesteigerten Unfallgefahr abgeschlossen zu haben und mit gleichgerichteter Täuschungsabsicht die Vorerkrankungen ihrer Mutter in der ersten Schadenanzeige verschwiegen zu haben. Die weiteren vom Berufungsgericht genannten Umstände lassen nach den dargelegten Maßstäben nicht den Schluss auf eine arglistige Obliegenheitsverletzung der Klägerin zu. Dafür genügt es nicht, dass in der ersten Schadenanzeige die Mutter der Klägerin fälschlich als vollkommen gesund bezeichnet und die Frage nach ärztlichen Behandlungen wahrheitswidrig verneint wurde. Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer vom Versicherer gestellten Frage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gibt es nicht (Senatsurteil vom 28. Februar 2007 aaO Tz. 8 m.w.N.). Welche Bedeutung der vom Berufungsgericht hervorgehobene relativ kurze Zeitablauf zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dem Unfall haben soll, ist nicht verständlich. Dass die Klägerin zur Zeit des Vertragsschlusses den späteren Unfall vorhersehen konnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Schließlich hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass die erste Schadenanzeige von der Versicherungsmaklerin auf ihrem Formular ausgefüllt und von der Klägerin unterschrieben wurde. Es spricht einiges dafür, dass sich der die Klägerin treffende Vorwurf darin erschöpft, die ausgefüllte Schadenanzeige vor Unterzeichnung nicht genau durchgelesen zu haben.
11
c) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Würdigung aller Umstände zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird es sich auch mit der zweiten Schadenanzeige zu be fassen und zu prüfen haben, ob die Klägerin durch Nichtbeantwortung der Frage nach Vorerkrankungen ihre Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich verletzt hat.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.04.2006 - 11 O 325/05 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.02.2007 - I-4 U 104/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 331/05 Verkündetam:
28.Februar2007
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG §§ 6, 22; AUB 94 § 9 (II)
Zur unterlassenen Angabe eines Schutzbriefes bei Abschluss einer Unfallversicherung.
BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2007

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 14. Oktober 2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an den 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die beklagten Rechtsanwälte als Sozien seines inzwischen verstorbenen früheren Prozessbevollmächtigten wegen Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen Unfallversicherer auf Schadensersatz in Anspruch. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger mit einer rechtzeitigen Klage obsiegt hätte.

2
Der Kläger hatte im Mai 2001 eine Unfallversicherung genommen. Im Versicherungsantrag hatte er auf eine entsprechende Frage eine weitere , seit 1996 gehaltene Unfallversicherung angegeben, nicht jedoch einen am 1. April 2001 erworbenen ADAC-Schutzbrief, der neben einer Auslandskrankenversicherung auch eine Auslandsunfallversicherung einschloss. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 2001 erlitt er mit seinem Pkw in K. einen Verkehrsunfall, bei dem er sich schwere Kopf- und Brustverletzungen zuzog, die - nach seiner Behauptung - zu einer Invalidität von 40% führten. Auch in der Schadensmeldung gab er den Schutzbrief nicht an. Der Unfallversicherer lehnte mit Schreiben vom 24. Mai 2002 Leistungen ab und wies den Kläger auf die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung hin (§ 12 Abs. 3 VVG). Gleichzeitig focht er den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an und erklärte - unstreitig nach Ablauf der Monatsfrist des § 20 Abs. 1 VVG - den Rücktritt vom Vertrag.
3
Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von insgesamt 166.468 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch nicht zu, weil er mit seiner Klage gegen den Unfallversicherer auch bei Beachtung der Sechs-Monats-Frist des § 12 Abs. 3 VVG keinen Erfolg gehabt hätte. Er habe im Versicherungsantrag und in der Schadensanzeige zwar die anderweitige Unfallversicherung angegeben, nicht aber die Unfallversicherung, die in dem Schutzbrief enthalten war. Damit habe er seinen Unfallversicherer arglistig getäuscht. Die Behauptung des Klägers, er habe nicht gewusst, dass in dem Schutzbrief auch eine Unfallversicherung enthalten gewesen sei, sei unglaubhaft. Schon auf dem Deckblatt dieses Schutzbriefes heiße es unmissverständlich "Kranken- und Unfallschutz". Die in dem Schutzbrief enthaltene nähere Beschreibung dieses Leistungsversprechens habe der Kläger, wie die handschriftlichen Unterstreichungen zeigten, auch gelesen. Deshalb habe ihm nicht verborgen bleiben können, dass der Schutzbrief auch Unfallversicherungsschutz enthielt, zumal er angesichts der bereits abgeschlossenen (Unfall-)Versicherungen insoweit auch nicht unerfahren gewesen sei. Damit stehe fest, dass er die Angabe dieses Schutzbriefes wider besseres Wissen und damit arglistig unterlassen habe. Zwar sei die Rücktrittserklärung im Hinblick auf § 20 Abs. 1 VVG verfristet; davon unberührt bleibe aber gemäß § 22 VVG die hier wirksame Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Im Verschweigen des Schutzbriefes in der Schadensanzeige liege ferner eine Verletzung von Obliegenheiten des Klägers nach Eintritt des Versicherungsfalles; der Unfallversicherer sei deshalb leistungsfrei geworden.
6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7
1. Mit Erfolg rügt die Revision, dass sich das Berufungsgericht seine Überzeugung, in der Nichtangabe des Schutzbriefes in dem Versicherungsantrag liege eine arglistige Täuschung, nicht rechtsfehlerfrei gebildet habe.
8
a) Die arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt (Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 22 Anm. 14). Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung nicht; einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gibt es nicht (vgl. nur Senatsurteile vom 22. Februar 1984 - IVa ZR 63/82 - VersR 1984, 630 unter I 1 und vom 18. September 1991 - IV ZR 189/90 - VersR 1991, 1404 unter 3; OLG Saarbrücken VersR 1996, 488; ebenso BK/Voit, VVG § 22 Rdn. 30). In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (vgl. Senatsurteile vom 28. November 1984 - IVa ZR 81/83 - VersR 1985, 156 unter II 4 a; vom 12. November 1986 - IVa ZR 186/85 - VersR 1987, 91 unter II und vom 20. November 1990 - IV ZR 113/89 - NJW-RR 1991, 411 unter I 2; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 22 Rdn. 4; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 6, beide jeweils m.w.N.).

9
b) Gemessen daran liegt den Ausführungen des Berufungsgerichts zum arglistigen Verhalten des Klägers ein verkürzter und deshalb rechtsfehlerhafter Maßstab zugrunde.
10
Berufungsgericht Das hat die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung schon deshalb als erfüllt angesehen, weil der Kläger nach den von ihm getroffenen Feststellungen wider besseres Wissen gehandelt habe. Das ergibt sich aus der im angefochtenen Urteil verwendeten Formulierung, der Kläger habe die Angabe des Schutzbriefes wider besseres Wissen "und damit" arglistig unterlassen. Diese Voraussetzung für eine wirksame Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer hätte das Berufungsgericht indessen nur bejahen dürfen, wenn es zuvor Feststellungen dazu getroffen hätte, dass der Kläger beim Ausfüllen des Versicherungsantrags in dem Bewusstsein handelte, nur durch ein Verschweigen der durch den Schutzbrief ebenfalls bestehenden Unfallversicherung werde er den Unfallversicherer zu einem Vertragsabschluss zu den vereinbarten Bedingungen oder zu einem Vertragsabschluss überhaupt bewegen können. Solche Feststellungen fehlen jedoch.
11
Schon im Hinblick darauf, dass der Kläger eine weitere von ihm schon 1996 genommene Unfallversicherung im Versicherungsantrag vermerkt hat, verstand sich die Annahme von Arglist hier nicht von selbst. Auch die weiteren, im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erweisen sich für die Annahme einer arglistigen Täuschung als nicht tragfähig. Soweit das Berufungsgericht darauf abhebt, in der Leistungsbeschreibung des Schutzbriefs seien Unterstreichungen vorgenommen worden, was zeige, dass der Kläger den genauen Umfang des Leistungsversprechens auch gelesen habe, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass die Unterstreichungen gerade vom Kläger stammen und zu welchem Zeitpunkt er sie gegebenenfalls vorgenommen hat. Dass der Kläger, wie das Berufungsgericht meint, angesichts der von ihm bereits abgeschlossenen Versicherungsverträge in Versicherungsangelegenheiten durchaus nicht unerfahren war, vermag genaue Feststellungen zu seinen Vorstellungen beim Abschluss des Versicherungsvertrages mit dem Unfallversicherer ebenfalls nicht zu ersetzen. Abgesehen davon ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass der Kläger mit Ausnahme der hier in Rede stehenden Unfallversicherungen weitere Versicherungen abgeschlossen hat.
12
Recht Zu hebt die Revision auch hervor, dass nach herkömmlichem Verständnis ein Schutzbrief anders als ein allgemeiner Unfallversicherungsvertrag mit einer Versicherungsgesellschaft aufgefasst wird. Vor diesem Hintergrund verliert die Erwägung des Berufungsgerichts, auf dem Deckblatt des Schutzbriefs heiße es unmissverständlich (Auslands-) "Kranken- und Unfallschutz", an Gewicht. "Unfallschutz" bedeutet nicht notwendig Unfallversicherungsschutz für Personenschäden. Der Kläger hat außerdem vorgetragen, dass er abgesehen von der bereits am 1. Oktober 1996 genommenen weiteren Unfallversicherung vor dem Unfall den Auslandsschutzbrief erworben habe, ohne hierbei zu wissen, dass der versprochene Schutz auch eine Unfall- und Invaliditätsversicherung umfasste. Der Erwerb sei vor dem Hintergrund der unsicheren Versicherungslage in der U. und für etwaige Leihwagen- oder Rückholkosten erfolgt. Ihm sei nicht ansatzweise bewusst gewesen, dass er mit dem Schutzbrief einen Versicherungsvertrag abgeschlossen habe. Die- sen Vortrag hat der Kläger im Berufungsrechtszug wiederholt und vertieft und dafür Beweis angeboten. Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen.
13
2.Durchgreifendenrechtlichen Bedenken begegnet ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger hätte mit einer fristgerechten Klage auch deshalb keinen Erfolg haben können, weil der Unfallversicherer wegen Verletzung einer vom Kläger nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachtenden Obliegenheit - die das Berufungsgericht nur ansatzweise benennt - leistungsfrei geworden sei.
14
a) Zwar wird die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe auch in der Schadensanzeige bei der Frage nach bestehenden Vorversicherungen den Schutzbrief nicht angegeben und damit die Aufklärungsobliegenheit (§ 9 II AUB 94) objektiv verletzt, von der Revision nicht angegriffen. Das Berufungsgericht hat indessen nicht bedacht, dass dem Versicherungsnehmer bei Feststellung des objektiven Tatbestandes einer Obliegenheitsverletzung die Möglichkeit offen steht, die gesetzliche Vermutung des § 6 Abs. 3 VVG, die Verletzung sei vorsätzlich geschehen , zu widerlegen. Dabei sind im Rahmen einer umfassenden Abwägung diejenigen Umstände zu prüfen, die es nahe legen, von einem geringeren Grad des Verschuldens auszugehen (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 1998 - IV ZR 89/97 - VersR 1998, 577 unter 3 und vom 26. Januar 2005 - IV ZR 239/03 - VersR 2005, 493 unter 2 b). Dem Vortrag des Klägers sind, wie bereits ausgeführt, Umstände dafür zu entnehmen ; diese hätten deshalb im Rahmen der gebotenen umfassenden Abwägung geprüft werden müssen.

15
Selbst b) wenn das Berufungsgericht erneut zur Annahme einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung kommen sollte, könnte sich der Unfallversicherer nach der Relevanzrechtsprechung nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und dem Kläger als Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel (Senatsurteil vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97 - VersR 1998, 447 unter 2 b). Damit hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
Terno Dr. Schlichting Wendt Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 13.01.2005 - 16 O 4295/03 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 14.10.2005 - 6 U 33/05 -

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.

(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.

(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.

(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.

(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 241/04 Verkündetam:
30.April2008
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB f. Feuervers. (AFB 87) § 11 Nr. 1
Die Bestimmung "Behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bleiben unberücksichtigt"
in § 11 Nr. 1 AFB 87 benachteiligt den Versicherungsnehmer wegen
Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 9 AGBG, jetzt § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB)
unangemessen und ist deshalb unwirksam.
BGH, Urteil vom 30. April 2008 - IV ZR 241/04 - OLG Köln
LG Köln
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Seiffert,
Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter
Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2008

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 28. September 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Feuerversicherung wegen zweier Brandschäden im Juni und Oktober 1998 auf ihrem Fabrikgelände in Anspruch, auf dem sie ein Edelstahlhammerwerk und ein Ringwalzwerk betreibt. Über den bereits regulierten Neuwertschaden von ca. 755.000 DM hinaus macht sie Ersatz von Mehrkosten in Höhe von ca. 130.000 € wegen behördlich vorgegebener Baumaßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Mitarbeiter geltend. Es geht um Schallschutzmaßnahmen für das Dach der Hammerhalle, eine doppelwandige Ausführung der Ölhärteanlage mit Leckageanzeige und eine Anlage zur Absaugung des Ölnebels. Die Durchführung der beiden zuerst genannten Maßnahmen hatte das Staatliche Umweltamt im Zuge des die Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen nach § 15 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) betreffenden Anzeigeverfahrens mit Schreiben vom 17./18. August 1998 verlangt. Die von der Klägerin nach dieser Vorschrift angezeigte Erneuerung des Dachs und der Ölhärteanlage erfüllte die geforderten Voraussetzungen. Demgemäß entschied das Umweltamt durch Freistellungsbescheide vom 8. September und 13. Oktober 1998, dass für die angezeigten Vorhaben kein Genehmigungsverfahren nach § 16 Abs. 1 BImSchG erforderlich sei. Den Einbau der Anlage zur Absaugung der Ölnebel verlangte das Umweltamt aus Gründen des Arbeitsschutzes nach Behauptung der Klägerin bei einer Besprechung vom 6. November 1998.
2
Dem Versicherungsvertrag vom März 1994 mit Nachtrag vom Dezember 1997 liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Feuerversicherung (AFB 87) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten: "§ 5 Versicherungswert 1. Versicherungswert von Gebäuden ist
a) der Neuwert; Neuwert ist der ortsübliche Neubauwert einschließlich Architektengebühren sowie sonstiger Konstruktions- und Planungskosten; … § 11 Entschädigungsberechnung; Unterversicherung 1. Ersetzt werden
a) bei zerstörten oder infolge eines Versicherungsfalles abhanden gekommenen Sachen der Versicherungswert (§ 5) unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles;
b) bei beschädigten Sachen die notwendigen Reparaturkosten zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles zuzüglich einer durch den Versicherungsfall etwa entstandenen und durch die Reparatur nicht auszugleichenden Wertminderung , höchstens jedoch der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles; die Reparaturkosten werden gekürzt, soweit durch die Reparatur der Versicherungswert der Sache gegenüber dem Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles erhöht wird. Restwerte werden angerechnet. Behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bleiben unberücksichtigt. …"
3
Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen sind durch die Klauseln 2302 und 2303 mitversichert, die auszugsweise wie folgt lauten: "Mehrkosten durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen (ohne Restwerte) (2302) 1. Abweichend von den dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind Erhöhungen des Schadenaufwandes durch Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen mitversichert. 2. Ersetzt werden bis zu der hierfür vereinbarten Versicherungssumme die tatsächlich entstandenen Mehrkosten für die Wiederherstellung der versicherten und vom Schaden betroffenen Sache durch behördliche Auflagen auf der Grundlage bereits vor Eintritt des Versicherungsfalles erlassener Gesetze und Verordnungen. Soweit behördliche Auflagen mit Fristsetzung vor Eintritt des Versicherungsfalles erteilt wurden, sind die dadurch entstehenden Mehrkosten nicht versichert. 3. Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen Reste der versicherten und vom Schaden betroffenen Sache nicht wieder verwertet werden können, sind nicht versichert. … Berücksichtigung von behördlichen Wiederherstellungsbeschränkungen für Restwerte (Klausel 2303) 1. Abweichend von den dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind bei der Anrechnung des Restwertes für die versicherte und vom Schaden betroffene Sache behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen zu berücksichtigen. …"
4
Beklagte Die verweigert die Erstattung der geltend gemachten Mehrkosten, weil das Umweltamt die Maßnahmen nicht durch förmliche Auflagen nach § 36 Abs. 2 Nr. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) angeordnet habe. Nur durch solche Auflagen verursachte Mehrkosten seien nach der Klausel 2302 mitversichert.
5
Demgegenüber meint die Klägerin, es komme nicht auf die Form der behördlichen Vorgaben an, sondern darauf, ob sie zur Wiederherstellung einer dem Versicherungswert entsprechenden Sache objektiv erforderlich seien und zu Recht verlangt würden. Der Anspruch ergebe sich im Übrigen nicht erst aus der Klausel 2302, sondern bereits aus §§ 5, 11 Nr. 1 AFB 87 und könne durch die die Erweiterung des Versicherungsschutzes bezweckenden Klauseln 2302 und 2303 nicht eingeschränkt werden.
6
Die gegen die Beklagte als führenden Versicherer gerichtete Klage auf Zahlung ihres Anteils in Höhe von 39.241,93 € hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe:


7
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
8
I. Das Berufungsgericht (VersR 2005, 265) hat offen gelassen, ob sich der Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Mehrkosten aufgrund behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen in der Neuwertversicherung aus §§ 5, 11 Nr. 1 AFB 87 ergebe und sich die Regelung in § 11 Nr. 1 Abs. 3 AFB 87, wonach behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen unberücksichtigt bleiben, nur auf die Anrechnung von Restwerten in Absatz 2 der Klausel beziehe. Bei den vereinbarten Klauseln 2302 und 2303 handele es sich um Besondere Bedingungen des Versicherungsvertrages. Diese Spezialregelungen zu Mehrkosten durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen verdrängten die allgemeine Regelung in den AFB 87. In Nr. 1 der Klausel 2302 werde zudem ausdrücklich klargestellt, dass nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen nicht mitversichert seien. Ein Anspruch aus Nr. 1 und 2 der Klausel 2302 scheitere bereits daran, dass eine behördliche Auflage i.S. der Klausel nicht vorliege. Zwar möge zweifelhaft sein, ob der Begriff "behördliche Auflage" allein auf die Definition und rechtliche Einordnung in § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zurückzuführen sei, weil der Begriff "Auflage" nicht nur im Verwaltungsrecht, sondern auch im Strafrecht und Zivilrecht verwendet werde. Es sei auch nicht zu verkennen, dass durch die Einführung des Anzeigeverfahrens in § 15 BImSchG ein gesetzliches Verfahren geschaffen worden sei, wonach die Abstimmung einer geplanten Änderung der Anlage mit der Behörde im Vorfeld den Erlass von sonst gebotenen rechtlichen Auflagen im Genehmigungsverfahren überflüssig machen und Zeit und Kosten - bei einer Betriebsunterbrechungsversicherung auch zum Vorteil des Versicherers - sparen könne. Trotz dieser Interessenlage sei bei der Auslegung des Begriffs "behördliche Auflage" aus Gründen der Rechtsklarheit an dem Erlass einer einzelfallbezogenen rechtsverbindlichen Regelung der Behörde festzuhalten. Den im Schreiben des Umweltamtes vom 17./18. August 1998 und in der Besprechung vom 6. November 1998 geforderten Maßnahmen habe keine für die Klägerin rechtsverbindliche, einzelfallbezogene Regelung der Behörde zugrunde gelegen. Ob die Klägerin nach der Gesetzeslage verpflichtet gewesen sei, die Maßnahmen durchzuführen, sei unerheblich.
9
II. Mit dieser Begründung lässt sich die Abweisung der Klage nicht rechtfertigen.
10
1. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Vertragswerks ist schon vom Ansatz her verfehlt. Es durfte nicht offen lassen , ob sich der geltend gemachte Anspruch bereits aus §§ 5, 11 Nr. 1 AFB 87 ergibt. Die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (hier der AFB 87) hängt nicht davon ab, ob Klauseln, die zusätzlich vereinbart werden können, vereinbart worden sind oder nicht (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - VersR 1999, 748 unter 2 und vom 15. November 1989 - IVa ZR 212/88 - VersR 1990, 200 f.; Martin , Sachversicherungsrecht 3. Aufl. Q IV Rdn. 64). § 11 AFB 87 ist vielmehr aus sich heraus auszulegen unabhängig davon, ob der sich aus den Allgemeinen Bedingungen ergebende Versicherungsschutz durch die Vereinbarung Besonderer Bedingungen oder von Zusatzklauseln eingeschränkt oder erweitert wird. Soll der Leistungsumfang abweichend von den AVB - wie hier durch die Klauseln 2302 und 2303 - erklärtermaßen und nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers unzweifelhaft erweitert werden (vgl. Boldt, Die Feuerversicherung 7. Aufl. S. 29 f.; Johannsen/Johannsen in Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. Bd. III Anm. H 167 S. 702), ist es rechtlich fehlerhaft, daraus eine Einschränkung des nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen versprochenen Versicherungsschutzes abzuleiten (Senatsurteil vom 17. März 1999 aaO; Schnitzler, Der Schaden als Leistungsgrenze in der Sachversicherung [§ 55 VVG] S. 209).
11
2. Die Grundlage für den geltend gemachten Anspruch ergibt sich demgemäß aus §§ 5, 11 Nr. 1 AFB 87. Als Versicherungswert ist - soweit hier von Bedeutung - der Neuwert vereinbart.
12
a) Nach § 11 Nr. 1a AFB 87 wird bei zerstörten Sachen der Versicherungswert (§ 5) unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles ersetzt. Versicherungswert von Gebäuden ist nach § 5 Nr. 1a AFB 87 der Neuwert, definiert als der ortsübliche Neubauwert einschließlich Architektengebühren sowie sonstiger Konstruktions- und Planungskosten. Der ortsübliche Neubauwert umfasst die Kosten, die erforderlich sind, um ein Gebäude gleicher Art, Güte und Zweckbestimmung im neuwertigen Zustand wieder herzustellen (vgl. § 11 Nr. 5a AFB 87; Martin aaO Q IV Rdn. 11). Ist eine Wiederherstellung aus tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in gleicher, sondern nur noch in besserer Art und Güte möglich, so ist die nächst bessere und realisierbare Art und Güte zugrunde zu legen (Senatsurteil vom 21. Februar 1990 - IV ZR 298/88 - VersR 1990, 488 unter 2; Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 5 AFB 87 Rdn. 3; Martin aaO Q IV Rdn. 14, 17; Engels, VP 1989, 88 f.). Der zu ersetzende ortsübliche Neubauwert umfasst da- mit insbesondere unvermeidliche Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen (Kollhosser aaO und § 55 VVG Rdn. 43, § 83 VVG Rdn. 2 a.E. sowie § 15 VGB 88 Rdn. 3; Martin aaO Q IV Rdn. 23-25 und 29-32; BK/Dörner/Staudinger, § 83 VVG Rdn. 6; Schnitzler aaO S. 199). Das folgt aus dem Zweck der Neuwertversicherung, den Versicherungsnehmer vor den ungeplanten, ihm durch den Versicherungsfall aufgezwungenen, mit der Wiederherstellung verbundenen Kosten zu schützen, auch soweit sie den Zeitwert übersteigen (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 1990 aaO und BGHZ 137, 318, 326 f.; Martin aaO R III Rdn. 20). Ob Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen zu ersetzen sind, hängt nicht von der Form der behördlichen Vorgaben ab, sondern davon, ob es rechtmäßig ist, die Wiederherstellung davon abhängig zu machen (vgl. Martin aaO Q IV Rdn. 44).
13
b) Die gleichen Grundsätze gelten für den Ersatz der notwendigen Reparaturkosten bei beschädigten Sachen, weil § 11 Nr. 1b AFB 87 ebenfalls auf den Versicherungswert abstellt, also den Neuwert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles als Obergrenze (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 2007 - IV ZR 84/05 - VersR 2007, 489 unter 3; Martin aaO R III Rdn. 13, 16, 28).
14
3. Der sich aus § 5 Nr. 1a i.V. mit dem ersten Satz/Absatz in § 11 Nr. 1 AFB 87 ergebende Anspruch wird durch den (üblicherweise und auch im Folgenden als Absatz 3 bezeichneten) Satz "Behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bleiben unberücksichtigt" nicht wirksam eingeschränkt. Diese Bestimmung benachteiligt den Versicherungsnehmer wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 9 AGBG, jetzt § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) unangemessen und ist deshalb unwirksam.
15
Nach a) dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGHZ 147, 354, 361 f.)
16
b) Diesen Anforderungen genügt § 11 Nr. 1 Abs. 3 AFB 87 nicht.
17
Schon aa) die Formulierung "Behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bleiben unberücksichtigt" weist den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnismöglichkeiten es ankommt (BGHZ 123, 83, 85), nicht mit der gebotenen und möglichen Klarheit darauf hin, dass es um Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen geht und diese nicht ersetzt werden. Der Satz wird vom Schriftbild her auch nicht ohne weiteres als selbständiger Absatz erkannt. Deshalb können Zweifel aufkommen, ob er sich nur auf die im Satz/Absatz davor erwähnten Restwerte oder auch auf die unter a) und
b) geregelten Wiederherstellungs- und Reparaturkosten bezieht.
18
bb)Demgemäßverwun dert es nicht, dass die Auslegung von § 11 Nr. 1 Abs. 3 AFB 87 in der Literatur umstritten ist (vgl. Schnitzler aaO S. 206 ff.).
19
Einige Autoren meinen, die Nichtberücksichtigung behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen beziehe sich allein auf die Anrech- nung von Restwerten (Kollhosser aaO § 5 AFB 87 Rdn. 3; Martin aaO Q IV Rdn. 33-36; Engels aaO; Josten/Horn, Die Feuer-IndustrieVersicherung S. 34).
20
Nach anderer Auffassung enthält die Klausel einen vollständigen Ausschluss der durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen verursachten Mehrkosten, und zwar für den Fall von Nr. 1a und Nr. 1b (Boldt aaO; Johannsen/Johannsen aaO Anm. H 167 S. 701 f.; ebenso wohl auch Dietz, Wohngebäudeversicherung 2. Aufl. R 2.2; Schnitzler aaO S. 208 ff.).
21
cc) Die Auslegung, die Klausel beziehe sich nur auf die Anrechnung von Restwerten, lässt sich zwar für denjenigen hören, der über vertiefte rechtliche Kenntnisse in der Neuwertversicherung von Gebäuden verfügt. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der § 11 Nr. 1 AFB 87 verständig würdigend aufmerksam durchsieht und einen Sinnzusammenhang mit der Bestimmung des Versicherungswerts in § 5 AFB 87 erkennt, wird sich dies nicht als ernsthaft in Betracht kommende Auslegungsmöglichkeit erschließen. Selbst Martin (aaO Q IV 33, 63, R II 25) kommt zu dem Ergebnis, dass der allein in Betracht kommende Verkaufswert der Reste durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen nicht beeinflusst werde und die Klausel deshalb kein Anwendungsgebiet habe.
22
Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird der Klausel aber nicht jede Bedeutung absprechen. Er kann ihr immerhin noch entnehmen, dass sie wie die Anrechnung der Restwerte auf eine Kürzung der Ersatzleistung abzielt. Ob die Nichtberücksichtigung von behördlichen Wiederherstellungsbeschränkungen nur die Wiederherstellung zerstörter Sachen oder auch die notwendigen Reparaturkosten bei beschädigten Sachen betrifft, bleibt allerdings im Dunkeln. Zudem werden die mit dem völligen Ausschluss solcher Mehrkosten verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dem Versicherungsnehmer auch nicht annähernd vor Augen geführt. Insbesondere bei älteren Industrieanlagen kann dies wegen neuer Gesetze zum Schutz der Umwelt und über die Anlagensicherheit zu Mehrkosten in einer Größenordnung führen, die eine Wiederherstellung für den Versicherungsnehmer wirtschaftlich unmöglich machen.
23
III. Nach der Zurückverweisung und eventuell ergänzendem Parteivortrag wird das Berufungsgericht die Sache in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären und die Rechtmäßigkeit der behördlichen Vorgaben zu prüfen haben. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass sich die in den vorinstanzlichen Schriftsätzen erwähnte Baugenehmigung für das Hal- lendach und das im Schriftsatz der Beklagten vom 24. Juni 2004 erwähnte Sachverständigengutachten F. (GA II 378) nicht bei den Akten befinden.
Seiffert Dr. Schlichting Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 11.12.2003 - 24 O 336/02 -
OLG Köln, Entscheidung vom 28.09.2004 - 9 U 9/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 252/06 Verkündetam:
26.September2007
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Klausel in einer Invaliditäts-Zusatzversicherung "Versicherungsschutz besteht
nicht für Invalidität, die ganz oder überwiegend eingetreten ist aufgrund angeborener
oder solcher Krankheiten, die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind", ist
unwirksam.
BGH, Urteil vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06 - Kammergericht
LG Berlin
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung
vom 26. September 2007

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 15. August 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Kläger Der verlangt von der Beklagten Versicherungsleistungen aus einer im April 1998 für seinen im Januar 1996 geborenen Sohn genommenen Invaliditäts-Zusatzversicherung. Dem Versicherungsverhältnis liegen unter anderem Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Invaliditäts-Zusatzversorgung von Kindern zugrunde (im Folgenden: AVB 97), die in ihrem Abschnitt C auszugsweise wie folgt lauten: "1 Wer kann versichert werden? Die Versicherung kann für Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten 16. Lebensjahr abgeschlossen werden.

2
Was ist durch diesen Vertrag versichert? (Versicherungsfall) 2.1 Wir bieten Versicherungsschutz für die während der Wirksamkeit des Vertrages durch schwere Krankheit oder Unfall unfreiwillig eingetretene Invalidität. Als solche gilt in diesem Zusatzvertrag eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, die nach den Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes einen Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 erreicht. 2.2 Als Zeitpunkt für den Eintritt der Invalidität gilt der Zugang des Antrags auf Feststellung einer Behinderung beim Versorgungsamt. …
5
Welchen Einfluss haben Versicherungsunfähigkeit und Ausschlüsse auf den Vertrag? 5.1 Nicht versicherbar und trotz Beitragszahlung nicht versichert sind Personen, bei denen bereits vor Vertragsbeginn eine Invalidität bestand. 5.2 Wird eine vor Vertragsbeginn bestehende Invalidität erst während der Wirksamkeit des Vertrages durch Bescheid festgestellt, erlischt der Vertrag rückwirkend ab Beginn; bereits gezahlte Beiträge werden erstattet. Dies gilt entsprechend, wenn wir nach 6.1 und 6.2 keine Leistung erbringen.
6
In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Versicherungsschutz besteht nicht für Invalidität, die ganz oder überwiegend eingetreten ist aufgrund 6.1 angeborener oder solcher Krankheiten, die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind."
2
Im September 1998 wurde beim Sohn des Klägers anlässlich einer Lippenbändchenblutung ein ererbter Blutgerinnungsdefekt (leichte Hämophilie
A) diagnostiziert. Das zuständige Versorgungsamt setzte mit Bescheid vom 24. August 2000 den Grad der Behinderung auf 20 fest. Nachdem beim Sohn des Klägers verschiedentlich Gelenkblutungen aufgetreten waren, gingen die behandelnden Ärzte von einer mittelschweren Form der Hämophilie A aus. Das Versorgungsamt erhöhte den Grad der Behinderung auf entsprechenden Antrag des Klägers mit Bescheid vom 7. Mai 2004 zunächst auf 30; im Widerspruchsverfahren erging am 12. November 2004 ein Abhilfebescheid, wonach der Grad der Behinderung mit Wirkung vom 1. Mai 2003 nunmehr 80 betrug.
3
Der Kläger machte daraufhin bei der Beklagten zugunsten seines versicherten Sohnes Rentenansprüche ab Mai 2003 geltend. Die Beklagte lehnte Versicherungsleistungen ab, weil gemäß Abschnitt C Ziff. 6.1 AVB 97 kein Versicherungsschutz für Invalidität bestehe, welche ganz oder überwiegend aufgrund von angeborenen Krankheiten eingetreten sei. Nach Ziff. 5.2 AVB 97 erlösche der Vertrag deshalb rückwirkend ab Beginn; die vom Kläger bis dahin entrichteten Beiträge zahlte die Beklagte zurück.
4
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente in Höhe von 282 € ab April 2005, der ab Juni 2003 bis März 2005 aufgelaufenen Rückstände in Höhe von 6.468 € nebst Zinsen und der außergerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 480,12 € nebst Zinsen verurteilt. Es hat die Klage lediglich wegen des Rentenanspruches für den Monat Mai 2003 abgewiesen, weil nach Ziff. 4.2 AVB 97 die Rente erst ab dem Ersten des auf den Eintritt der Invalidität folgenden Monats zu zahlen sei. Die Berufung der Beklagten hatte in vollem Umfang Erfolg. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


5
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Dieses hat ausgeführt: Der Sohn des Klägers leide unstreitig an einer angeborenen Krankheit. Daher bestehe kein Versicherungsschutz nach Ziff. 6.1 AVB 97. Die genannte Bestimmung sei kontrollfähig, da sie das unter Ziff. 2 AVB 97 gegebene Hauptleistungsversprechen der Beklagten einschränke. Sie sei jedoch weder unklar (§ 305c Abs. 2 BGB) noch inhaltlich unangemessen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB).
7
Die Klausel in Ziff. 6.1 AVB 97 sei eindeutig gefasst. Sie könne insbesondere nicht dahin ausgelegt werden, Versicherungsschutz bei angeborenen Erkrankungen sei lediglich dann ausgeschlossen, falls diese im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten seien. Der in Ziff. 6.1 AVB 97 enthaltene Relativsatz beziehe sich nur auf die zweite Alternative , die dadurch inhaltlich näher umschrieben werde. Kein Versicherungsschutz bestehe danach für angeborene oder im ersten Lebensjahr in Erscheinung getretene Krankheiten. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde den Begriff der "angeborenen Krankheit" als entweder genetisch bedingt oder während der Geburt entstanden verstehen.
Auch wenn es keinen abschließenden Katalog angeborener Krankheiten gebe, seien die bei der Geburt entstandenen Krankheiten regelmäßig von Anfang an bekannt, die genetisch bedingten zumindest in der Mehrzahl der Fälle aufgrund ihrer Erscheinungsform - wie etwa beim DownSyndrom - oder der durch Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen gewonnenen Erkenntnisse; bei der Bluterkrankheit sei jedenfalls der Erbgang bekannt. Da eine Versicherbarkeit nach den Zusatzbedingungen der Beklagten erst nach vollendetem ersten Lebensjahr bestehe, werde die angeborene Krankheit jedenfalls bei Stellung des Versicherungsantrages häufig bekannt sein. Vom Leistungsausschluss nicht erfasst seien hingegen die Erkrankungen, die erst nach der Geburt entstanden seien, auch wenn dabei genetische Dispositionen eine Rolle gespielt hätten. Die Abgrenzung einer bloßen genetischen Disposition von einer schon bestehenden genetisch bedingten Erkrankung möge im Einzelfall nicht einfach sein. Hier genüge es jedoch, den Ausschlusstatbestand eng auszulegen. Die Klausel sei somit hinreichend bestimmt; ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht gegeben.
8
Die Klausel in Ziff. 6.1 AVB 97 weiche auch nicht von den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in §§ 16 ff. VVG ab. Eine Konstellation , wonach der Versicherer von der Möglichkeit einer Risikoprüfung vor Vertragsschluss absehe, gleichwohl aber von seiner Leistungspflicht solche Fälle ausnehmen wolle, die aufgrund nachträglicher Feststellung auf vor Vertragsschluss gegebene Gefahrumstände zurückzuführen seien , liege hier nicht vor. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 2. März 1994 - IV ZR 109/93 - VersR 1994, 549) habe nicht entschieden, dass Leistungsausschlüsse generell eine unzulässige Aushöhlung des Versicherungsschutzes darstellten, wenn sie keine rein temporären nach ihrem Entstehungszeitpunkt eingegrenzten Risiken, sondern solche beträfen, die bereits vor Vertragsschluss angelegt, dem Versicherungsnehmer indes nicht bekannt gewesen seien und daher auch bei wahrheitsgemäßen Angaben nicht hätten berücksichtigt werden können. Der vorliegende Ausschluss beziehe sich auf einen bestimmten Ausschnitt von Erkrankungen , die anlage- oder geburtsbedingt und mit einem besonders hohen Risiko dauerhafter Invalidität verbunden seien. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer werde nicht ohne weiteres damit rechnen, dass die Invalidität seines Kindes aufgrund einer angeborenen Erkrankung überhaupt versicherbar sei; denn derartige Erkrankungen würden im Allgemeinen eher als schicksalhafte Fügung denn als versicherbares Risiko angesehen. Die Herausnahme bestimmter Erkrankungen im Wege des objektiven Risikoausschlusses gefährde den Vertragszweck nicht, sondern sei im Interesse der Begrenzung der Prämien sachgerecht und nicht von vornherein unangemessen. Das Versicherungsvertragsgesetz sehe auch nicht vor, dass der Versicherer alle vorvertraglich bestehenden oder angelegten Risiken übernehmen müsse, nach denen bei Antragstellung gefragt werde, die aber noch unbekannt seien und daher wahrheitsgemäß nicht angegeben werden könnten.
9
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
10
1. Zu folgen ist dem Berufungsgericht allerdings darin, dass sich für die Interpretation der streitbefangenen Klausel in Ziff. 6.1 AVB 97 Zweifel nicht ergeben und die Regelung daher nicht unklar im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB ist.
11
a) Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass es zunächst einer Auslegung der betreffenden Bestimmung bedarf, weil nur so Klarheit über ihren Inhalt gewonnen werden kann. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. BGHZ 123, 83, 85). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Unklar gemäß § 305c Abs. 2 BGB sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (BGHZ 112, 65, 68 f.; Senatsurteil vom 9. Juli 2003 - IV ZR 74/02 - VersR 2003, 1163 unter II 2 c). Davon ist bei Ziff. 6.1 AVB 97 nicht auszugehen.
12
Vielmehr b) folgt aus Wortlaut und systematischem Zusammenhang der Klausel, dass es um angeborene Krankheiten oder um solche Krankheiten geht, die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind; der betreffende Relativsatz bezieht sich allein auf die zweite Klauselalternative. Es müssen sich somit nicht auch die angeborenen Krankheiten schon im ersten Lebensjahr äußerlich manifestiert haben. Anderenfalls - und das wird der verständige Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennen - hätte die erste Alternative keine selbständige Bedeutung; sie wäre neben dem zweiten Klauselteil überflüssig. Es hätte genügt, allgemein von Krankheiten zu sprechen, die - ob angeboren oder nicht - im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind. Das Berufungsgericht formuliert den Klauselinhalt daher zutreffend als "angeborene oder im ersten Lebensjahr in Erscheinung getretene Krankheiten". Danach erweist sich die Klausel als eindeutig.
13
2. Dem Berufungsgericht ist weiter darin zuzustimmen, dass die Klausel mit ihrem durch Auslegung gewonnenen Inhalt grundsätzlich kontrollfähig ist. Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ist lediglich die Leistungsbeschreibung , die den unmittelbaren Gegenstand der geschuldeten Hauptleistung festlegt und ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann, einer Überprüfung entzogen. Die Vorschrift hindert eine richterliche Inhaltskontrolle hingegen nicht, wenn die betreffende Klausel nach ihrem Wortlaut und erkennbaren Zweck das vom Versicherer gegebene Hauptleistungsversprechen lediglich einschränkt, verändert, ausgestaltet oder sonst modifiziert (BGHZ 141, 137, 141; 142, 103, 109 f.). So liegt es hier.
14
Hauptleistungsversprechen Das der Beklagten wird in Ziff. 2.1 Satz 1 AVB 97 näher umschrieben. Die Beklagte bietet Versicherungsschutz für während der Wirksamkeit des Vertrages durch schwere Krankheit oder Unfall unfreiwillig eingetretene Invalidität. Dieses Versprechen wird durch die streitbefangene Klausel teilweise zurückgenommen , indem aus dem Kreis der versicherten, auf schwerer Krankheit oder Unfall beruhenden dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit solche Versicherungsfälle ausgenommen werden, bei denen sich die während der Wirksamkeit des Vertrages eingetretene Invalidität auf angeborene oder solche Krankheiten zurückführen lässt, die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten sind.
15
3. Eine inhaltliche Kontrolle von Ziff. 6.1 AVB 97 ergibt, dass die Klausel den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher unwirksam ist.
16
a) Die Klausel entspricht bereits nicht den Erfordernissen, die sich aus dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ergeben. Der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen ist gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Ist der Verwender diesem Gebot nicht gefolgt, liegt schon darin eine unangemessene Benachteiligung des anderen Vertragspartners (BGHZ 136, 394, 401 f.; 141, 137, 143; 147, 354, 361 f.).
17
(1) Der Versicherungsnehmer wird anhand einer Gesamtschau der Versicherungsbedingungen zu dem Schluss kommen, dass darin unterschieden wird zwischen dem Invaliditätseintritt, der Invaliditätsfeststellung und dem Nachweis bzw. der Geltendmachung der Invalidität. Als Invalidität gilt nach Ziff. 2.1 AVB 97 eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, die nach den Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 erreicht; für den Zeitpunkt ihres Eintritts ist nach Ziff. 2.2 AVB 97 auf den Zugang des Antrags auf Feststellung einer Behinderung beim Versorgungsamt abzustellen. Die Invalidität wird ferner durch Bescheid des Versorgungsamtes festgestellt und durch dessen Vorlage nachgewiesen und geltend gemacht (Ziff. 3.1 AVB 97). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
18
Der (2) Versicherungsnehmer erkennt ebenso, dass Versicherungsschutz allein dann besteht, wenn die Invalidität (erst) während der Wirksamkeit des Vertrages eingetreten ist. Das ergibt sich für ihn sowohl aus Ziff. 2.1 AVB 97 ("für die während der Wirksamkeit des Vertrages durch schwere Krankheit oder Unfall unfreiwillig eingetretene Invalidität") als auch aus Ziff. 5.1 und 5.2 AVB 97. Den Bestimmungen unter Ziff. 1 AVB 97 ist überdies zu entnehmen, dass die Versicherung überhaupt nur für Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr an abgeschlossen werden kann. Für eine Invalidität, die bereits im ersten Lebensjahr eingetreten ist, kann von vornherein kein Versicherungsschutz begründet werden, weil bei Abschluss des Versicherungsvertrages kein versicherbares Interesse besteht. Wenn die versicherte Person bereits invalide ist, kann sie für die Zukunft gegen dieses Risiko nicht (mehr) versichert werden (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 1989 - IVa ZR 189/87 - VersR 1989, 351 unter

1).


19
(3) Tritt aber die Invalidität während bestehenden Vertrages ein, so ist grundsätzlich Versicherungsschutz gegeben. Die Regelung unter Ziff. 6.1 AVB 97 enthält daher einen Ausschlusstatbestand, wenn es dort heißt, Versicherungsschutz bestehe nicht für Invalidität, die ganz oder überwiegend eingetreten sei aufgrund angeborener oder solcher Krankheiten , die im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten seien. Es gelten dann nach Ziff. 5.2 Satz 2 AVB 97 dieselben Rechtsfolgen, wie sie in Ziff. 5.2 Satz 1 AVB 97 formuliert werden. Der Vertrag soll rückwirkend ab Beginn erlöschen; bereits gezahlte Beiträge werden erstattet.
20
Dadurch (4) wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer zwar hinreichend transparent, dass der Versicherer unter anderem immer dann keine Leistungen erbringen will, wenn die während bestehenden Vertrages eingetretene Invalidität auf einer angeborenen Krankheit beruht , wie dies nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beim Sohn des Klägers als Folge einer ererbten Blutgerinnungsstörung der Fall ist. Dem Versicherungsnehmer erschließt sich aber nicht hinreichend, wann von einer "angeborenen Krankheit" auszugehen ist, weil ihm dieser Begriff nicht näher erläutert wird. Die Klausel veranschaulicht ihm nicht, unter welchen Voraussetzungen von einer "angeborenen Krankheit" auszugehen ist. Der bloße Hinweis in den Informationen und Erklärungen zum Versicherungsantrag auf angeborene und geburtsbedingte Krankheiten "wie Mongolismus etc.", reicht dafür nicht aus. Es ist für den Versicherungsnehmer - selbst bei enger Auslegung, wie sie für Ausschlussklauseln geboten ist (BGHZ 88, 228, 231) - daher nicht ohne weiteres durchschaubar , wann er Versicherungsschutz erwarten kann und wann dieser ausgeschlossen sein soll.
21
(5) Ohne Zweifel erfasst die Klausel solche Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, die bei Abschluss des Geburtsvorgangs äußerlich erkennbar werden und sich als "angeborene Krankheiten" ohne weiteres feststellen lassen. Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Klausel jedoch ersichtlich nicht, denn solche Beeinträchtigungen wären zugleich "im ersten Lebensjahr in Erscheinung getreten". Dem Versicherungsnehmer wird dennoch nicht vor Augen geführt , was der Versicherer unter dem unscharfen Begriff der "angeborenen Krankheiten" sonst verstehen möchte, ob also insbesondere auch solche Erkrankungen unter den Ausschlusstatbestand fallen sollen, die auf einer bestimmten ("angeborenen") genetischen Disposition beruhen. Dieser Umstand gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass im Zuge des medizinischen Fortschritts immer mehr - bis dahin nicht als "angeboren" erkannte und eingeordnete - Erkrankungen auf eine genetische Veranlagung zurückzuführen sind, die bereits bei Geburt bestanden hat, auch wenn die darauf beruhende Erkrankung erst zu einem wesent- lich späteren Zeitpunkt in Erscheinung tritt. Es bleibt allein dem Versicherungsnehmer überlassen, den Begriff der "angeborenen Krankheiten" zu interpretieren und die wirtschaftlichen Risiken abzuschätzen, die für ihn mit der Klausel in Ziff. 6.1 AVB 97 verbunden sein können, obwohl es Aufgabe des Versicherers wäre, ihm diese mit der gebotenen Transparenz zu verdeutlichen.
22
b) Zudem ist die von der Beklagten verwendete Klausel inhaltlich unangemessen, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, und auch wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB).
23
Die (1) Klausel unterliegt zum einen durchgreifenden Bedenken, soweit ausnahmslos alle angeborenen Krankheiten vom Leistungsausschluss erfasst werden; der Versicherer möchte auf diese Weise sämtliche vor Beginn des Vertrages durch "angeborene Krankheiten" angelegte Versicherungsfälle von seiner Leistungspflicht ausnehmen.
24
Durch einen derart weit reichenden Leistungsausschluss werden Sinn und Zweck des hier genommenen Versicherungsvertrages verfehlt. Die vom Kläger für seinen Sohn abgeschlossene Zusatzversicherung ist darauf gerichtet, die versicherte Person vom vollendeten ersten bis zum vollendeten 16. Lebensjahr gegen das Risiko einer Invalidität "durch schwere Krankheit oder Unfall" abzusichern. Gerade in dieser Lebensspanne tritt krankheitsbedingte Invalidität typischerweise nicht dadurch ein, dass sich eine "schwere Krankheit" neu entwickelt, sondern sie beruht häufig darauf, dass sich eine "angeborene Krankheit" in einer dau- ernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit manifestiert. In einem Leistungsausschluss, der solche "angeborenen Krankheiten" ohne jede Eingrenzung umfasst, liegt daher eine die Erreichung des Vertragszweckes gefährdende Einschränkung der Hauptleistungspflicht des Versicherers und des damit korrespondierenden Anspruchs auf Versicherungsschutz.
25
(2) Nach Ziff. 6.1 AVB 97 sind zum anderen neben den angeborenen auch alle sonstigen Krankheiten ausgenommen, die im ersten Lebensjahr der versicherten Person "in Erscheinung getreten" sind. Diese Formulierung schließt jedenfalls ein Verständnis nicht aus, dass nicht nur dem späteren Versicherungsnehmer bei Antragstellung bereits bekannte und bewusste Erkrankungen gemeint sind, sondern der Leistungsausschluss auch zum Tragen kommen soll, wenn die Erkrankung bei lediglich objektiver Betrachtung hervorgetreten ist, unabhängig davon, ob der Antragsteller diese erkennt oder erkennen konnte. Dafür spricht gerade die Wortwahl "in Erscheinung getreten", die weiter reicht als ein Abstellen auf solche Erkrankungen, von denen der Versicherungsnehmer Kenntnis hat. Die Eintrittspflicht des Versicherers hängt damit auch davon ab, ob bei Betrachtung ex post davon auszugehen ist, dass die später zur Invalidität führende Erkrankung - wenn nicht vom Versicherungsnehmer selbst, so doch von vertragsfremden Personen - anhand bestimmter Anzeichen hätte festgestellt und als solche eingeordnet werden können.
26
Mit diesem Inhalt der Klausel weicht die Beklagte bei Erkrankungen , die im ersten Lebensjahr der versicherten Person in Erscheinung getreten sind, zu Ungunsten des Versicherungsnehmers von den Grundgedanken der §§ 16 ff. VVG ab (§ 34a VVG).

27
Nach aa) den Vorschriften der §§ 16 ff. VVG hat der Versicherungsnehmer bei der Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände , die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen; aufgrund der angezeigten Umstände hat der Versicherer sodann eine Risikoprüfung vorzunehmen und zu entscheiden, ob er den Antrag auf Versicherungsschutz annehmen möchte. Werden hinsichtlich dem Versicherungsnehmer bekannter Umstände unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, sehen die §§ 16 ff. VVG dafür entsprechende Sanktionen vor.
28
Diese Regelungen sollen zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages eine Ausgewogenheit der für beide Seiten wichtigen Abschätzung der jeweiligen Gefahrenlage vor Vertragsschluss gewährleisten. Der Versicherungsnehmer soll gegen den Willen des Versicherers keinen Wissensvorsprung bezüglich derjenigen Umstände behalten dürfen , die für die Beurteilung von Bedeutung sind, ob sich im Laufe der Versicherung voraussichtlich ein Versicherungsfall ereignen wird oder nicht. Dementsprechend bezieht sich die gesetzliche Anzeigeobliegenheit , bei deren Verletzung der Versicherer durch Rücktritt leistungsfrei werden kann, auch nur auf Gefahrumstände, die dem Versicherungsnehmer bekannt sind, nicht dagegen auf ihm unbekannt gebliebene. Ob der Versicherer von der ihm gesetzlich eingeräumten Risikoprüfungsmöglichkeit mit vorangehenden Fragen zu Gefahrumständen Gebrauch macht und damit gegebenenfalls im Versicherungsfall Leistungsfreiheit erlangen kann, steht allerdings grundsätzlich in seinem Belieben. Da sich Leistungsfreiheit aber nur aus einer (schuldhaft begangenen) Verletzung der Anzeigeobliegenheit herleiten lässt, kann er, wenn er die Möglichkeit zur Risikoprüfung genutzt hat, nur dann zurücktreten, wenn ein dem Versicherungsnehmer bekannter Gefahrumstand ihm - gefragt oder ungefragt - nicht mitgeteilt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 2. März 1994 - IV ZR 109/93 - VersR 1994, 549 unter 2 b; vom 7. Februar 1996 - IV ZR 155/95 - VersR 1996, 486 unter 3).
29
bb) Der Versicherer entzieht sich dieser vom Gesetz vorgesehenen Risikoverteilung dadurch, dass er formularmäßig Leistungsausschlüsse für Vorerkrankungen vorsieht, selbst wenn diese dem Versicherungsnehmer (schuldlos) unbekannt geblieben sind. Die Vereinbarung eines solchen Leistungsausschlusses, der - wie hier - an die Stelle einer auf den Einzelfall bezogenen Risikoprüfung treten soll, wie sie vom Gesetz gefordert ist, läuft der dem Schutz des Versicherungsnehmers dienenden Bestimmung des § 34a VVG und der im Rahmen der §§ 16 ff. VVG dem Versicherer obliegenden Gefahrtragung zuwider. Wenn die Leistungspflicht des Versicherers nicht mehr davon abhängen soll, dass er nach eigenverantwortlicher Abschätzung der ihm vom Versicherungsnehmer offenbarten Gefahrenlage die Absicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen eines von beiden Parteien nur für möglich gehaltenen zukünftigen Ereignisses (hier: Eintritt der Invalidität) übernommen hat, wäre zugleich seine Hauptleistungspflicht unzulässig ausgehöhlt (vgl. Senatsurteil vom 2. März 1994 aaO unter 2 c); auch deshalb ist die Klausel unwirksam.
30
Soweit 4. sich die Beklagte darauf beruft, ihr Schreiben vom 5. Januar 2005 sei - ebenso wie ihre daran anschließenden Schreiben - zumindest konkludent als Erklärung des Rücktritts im Sinne des § 20 VVG zu verstehen, kann dem nicht gefolgt werden. In diesen Schreiben lehnt die Beklagte Versicherungsschutz unter Hinweis auf Ziff. 6.1 AVB 97 ab, nicht aber bezieht sie sich darauf, der Kläger habe die von ihr gestellten Gesundheitsfragen unrichtig beantwortet, insbesondere eine ihm bekannte Eigenschaft der Kindesmutter als Konduktorin der Bluterkrankheit nicht offenbart.
31
III. Das Berufungsgericht wird daher zu klären haben, ob - wie von der Beklagten geltend gemacht - Invalidität bereits bei Abschluss des Vertrages vorlag.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf RiBGH Dr. Franke ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert. Terno
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 15.11.2005 - 7 O 121/05 -
KG Berlin, Entscheidung vom 15.08.2006 - 6 U 175/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 137/06 Verkündetam:
7.März2007
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
AUB 95 § 7 I (1)
Zu den Anforderungen an eine ärztliche Feststellung als Voraussetzung für den
Anspruch auf Invaliditätsleistung nach § 7 I (1) AUB 95.
BGH, Urteil vom 7. März 2007 - IV ZR 137/06 - OLG Karlsruhe
LG Baden-Baden
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2007

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. Mai 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 2. April 2004 wird insgesamt zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Kläger Der unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 95) zugrunde liegen.
2
Am 7. April 1997 war er Fahrgast in einem Taxi, dessen Fahrerin einen Verkehrsunfall verschuldete. Der Kläger zog sich neben verschiedenen Prellungen und Schürfungen eine Hüftpfannenfraktur links zu, die den stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus bis zum 16. April 1997 erforderte. Nach seiner Darstellung leidet der Kläger seit dem Unfall unter Schmerzattacken, Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen ; zudem habe sich eine Depression entwickelt, die Folge der organischen Verletzung sei. Wegen des Hüftschadens und einer darauf beruhenden Invalidität von 10% zahlte die Beklagte an den Kläger 33.000 DM (16.872,63 €). Weitere Versicherungsleistungen lehnte sie unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 AUB 95 ab, der "krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen" vom Versicherungsschutz ausnehme, gleichgültig wodurch diese verursacht seien.
3
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Höhe weiterer 1.467.000 DM (750.065,19 €), einer Invaliditätsrente von 1.500 DM (766,94 €) monatlich für die Zeit von April 1997 bis Februar 2000 und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Rente in gleicher Höhe ab März 2000 - jeweils nebst Zinsen - abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger die Invaliditätsrente im begehrten Umfang und eine Invaliditätsentschädigung in Höhe weiterer 236.216,84 € zzgl. Zinsen zuerkannt, wobei es von einem Invaliditätsgrad in Höhe von 50 % ausgegangen ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Der Kläger hat sich dem Rechtsmittel angeschlossen und erstrebt eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in voller Höhe.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision der Beklagten hat Erfolg, während die Anschlussrevision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen war.
5
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die beim Kläger aufgetretene Depression und seine damit zusammenhängenden Beschwerden seien von § 2 IV AUB 95 nicht erfasst. Die Ausschlussklausel beziehe sich nicht auf psychische Störungen, welche sich durch eine unfallbedingte organische Beeinträchtigung erklären ließen, auch wenn im Einzelfall das Ausmaß, in dem sich die organische Ursache auswirke, von der psychischen Verarbeitung durch den Versicherten abhänge. Stehe - wie hier - eine unfallbedingte Invalidität fest, müsse der Versicherer für die geltend gemachte Leistungsfreiheit beweisen, dass und in welchem Umfang äußere Einwirkungen auf die Psyche oder eine psychische Fehlverarbeitung den krankhaften Zustand hervorgerufen hätten. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass die - als solche unstreitige - Depression auf der körperlichen Primärverletzung und deren Folgen, insbesondere der damit verbundenen zeitweiligen Immobilität, beruhe, ohne dass sich insoweit eine psychische Fehlverarbeitung feststellen lasse.
6
AuchdieVoraussetzu ngen des § 7 I (1) AUB 95 für die begehrten Invaliditätsleistungen seien gegeben. Die Invalidität, die sich aus der Depression entwickelt habe, sei binnen Jahresfrist eingetreten. Das Vorliegen einer Dauerfolge sei vom Versicherungsnehmer dann nachgewiesen , wenn der sich nach einem Jahr ergebende unfallbedingte Zustand nach Ablauf von drei Jahren - unbeschadet gradueller Unterschiede - noch immer vorhanden sei und sich sein Ende nicht absehen lasse. Die dazu vernommenen Zeugen hätten übereinstimmend geschildert, dass sie zeitnah zum Unfallereignis vom 7. April 1997 eine Wesensveränderung und eine deutlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit beim Kläger beobachtet hätten. Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie, der Zeuge D. , habe bereits am 26. Juni 1998 die Diagnose einer depressiven Störung gestellt. Der Arzt Dr. I. sei davon ausgegangen, dass dieser Zustand auf nicht absehbare Zeit (mindestens über drei Jahre) andauern werde. Diese ärztliche Prognose habe sich als zutreffend herausgestellt; aufgrund der eingetretenen Chronifizierung habe sich der Zustand des Klägers während der maßgeblichen Dreijahresfrist sogar noch verschlechtert.
7
Invalidität Die sei binnen 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt und - unstreitig - innerhalb dieser Frist beim Versicherer geltend gemacht worden. Die Invaliditätsbescheinigung des Zeugen Dr. I. vom 26. Juni 1998 nenne als die Invalidität verursachende Funktionsstörungen ständige Cephalgie, Gedächtnisreduzierung sowie Schmerzen in der linken Hüfte und der Lendenwirbelsäule. Zwar werde eine Depression in der Invaliditätsbescheinigung nicht ausdrücklich aufgeführt. Die Feststellungswirkungen der ärztlichen Bescheinigung seien indes nicht eng auszulegen, da sie lediglich den vom Arzt benannten Verletzungsbereich beschränkten. Bei den in der ärztlichen Bescheinigung beschriebenen Funktionsstörungen und der später diagnostizierten Depression handele es sich zweifelsfrei um denselben Defekt, zumal Cephalgie und Gedächtnisreduzierung oftmals im Zusammenhang mit einer Depression aufträten.
8
Allerdings sei aufgrund des Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen eine Gesamtinvalidität von lediglich 50% anzunehmen. Das ergebe unter Berücksichtigung der vereinbarten progressiven Invaliditätsstaffel , eines Treuebonus und unter Abzug der bereits erhaltenen Versicherungsleistung eine neben der Unfallrente zu zahlende Invaliditätsentschädigung von 236.216,84 €.
9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legen durfte, dass binnen Jahresfrist eine über den Hüftgelenkschaden hinausgehende unfallbedingte Invalidität eingetreten ist. Es fehlt jedenfalls an der Anspruchsvoraussetzung (BGHZ 137, 174, 176) einer innerhalb weiterer drei Monate ärztlich festgestellten Invalidität.
10
1. Nach § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 genügt das Vorliegen einer durch den Unfall verursachten dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, wie hier vom Kläger für die Depression als unfallbedingter Dauerschaden geltend gemacht, für sich allein nicht. Es bedarf für den Anspruch auf Invaliditätsleistung zusätzlich der Beachtung bestimmter Fristen. So muss die Invalidität binnen eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt worden sein. Das dient dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den Versicherungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft. Auch eine Leistungsablehnung des Versicherers ändert nichts daran, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers nicht entsteht, wenn die Invalidität nicht fristgerecht ärztlich festgestellt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2002 - IV ZR 238/00 - VersR 2002, 472 unter 1 c a.E.; Beschluss vom 23. Oktober 2002 - IV ZR 154/02 - VersR 2002, 1578 unter 3). Allerdings sind an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen. So muss sie sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern. Die Feststellung der Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens braucht noch nicht einmal richtig zu sein und dem Versicherer auch nicht innerhalb der Frist zuzugehen, sofern sie nur fristgerecht getroffen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 - IVa ZR 195/86 - VersR 1988, 286 unter 2 b; BGHZ aaO S. 177). In dieser Auslegung hält die Fristenregelung einer sachlichen Inhaltskontrolle stand (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB; BGHZ aaO S. 175 ff.). Sie wird überdies dem Maßstab des Transparenzgebotes gerecht (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB; BGHZ 162, 210, 214 ff.).
11
2. Aus der Invaliditätsfeststellung müssen sich aber die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben. Denn die Invaliditätsbescheinigung soll dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich soll sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen will (Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 aaO). Deshalb können nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.
12
Daraus folgt: Erforderlich ist die Angabe eines konkreten, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten beeinflussenden Dauerschadens (BGHZ 130, 171, 178). Allein das wird den berechtigten Interessen des Versi- cherers gerecht, die dieser an der zeitnahen Klärung seiner Leistungspflicht hat. Nur einem Dauerschaden, zu dessen Ursache und Auswirkungen sich die Bescheinigung bereits verhält, kann der Versicherer nachgehen. Führt die ärztliche Bescheinigung hingegen einen Dauerschaden , auf den sich der Versicherungsnehmer später für seinen Anspruch auf Invaliditätsleistung beruft, noch gar nicht auf, kann der mit der Regelung in § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 verfolgte Zweck nicht erreicht werden. Der Versicherer hat für diesen Fall keinen Anlass, den Sachverhalt weiter abzuklären, weil ihm der Dauerschaden, den der Versicherungsnehmer später geltend macht, durch die ärztliche Feststellung nicht bekannt wird. Umgekehrt kann der Versicherungsnehmer nicht davon ausgehen , dass eine ärztliche Bescheinigung, die (nur) einen bestimmten Dauerschaden benennt, ihn davon enthebt, einen weiteren, dort nicht aufgeführten Dauerschaden, der nach seiner Auffassung zusätzlich vorliegt , ärztlich feststellen zu lassen.
13
Dem Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 (aaO) ist Entgegenstehendes nicht zu entnehmen. Die Entscheidung befasst sich lediglich mit der Frage, ob die auf einen konkreten Dauerschaden bezogene ärztliche Feststellung der Unfallbedingtheit richtig sein muss, um den Anforderungen des § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 zu genügen. Aus ihr folgt nicht, dass die betreffende Anspruchsvoraussetzung auch gewahrt ist, wenn die ärztliche Feststellung unvollständig ist, weil sie einen (weiteren) Dauerschaden nicht benennt, oder ihr deshalb die inhaltliche "Richtigkeit" fehlt, weil an die Stelle des dort angeführten Dauerschadens später ein anderer Dauerschaden tritt, der von dem feststellenden Arzt als solcher nicht erkannt worden ist.
14
3. Diesen Anforderungen genügen die beiden ärztlichen Stellungnahmen vom 26. Juni 1998 nicht. Sie enthalten keine auf eine Depression als Dauerschaden bezogene und auf objektiven Befunden beruhende ärztliche Prognose, dass als Unfallfolge eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit gegeben ist. Die Stellungnahme des Zeugen D. beschränkt sich auf die Darstellung der von ihm erhobenen psychischen Befunde und die Diagnose einer depressiven Störung. Sie beschreibt aber keinen Dauerschaden und zieht nicht den wertenden und für die ärztliche Feststellung zwingend erforderlichen Schluss auf Invalidität. Die Invaliditätsbescheinigung des Zeugen Dr. I. besagt nichts über eine Depression als unfallbedingten Dauerschaden. Dem Kläger werden lediglich eine Cephalgie (Kopfschmerz ) und Gedächtnisreduzierung bescheinigt, was entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit einer Depression nicht gleichzusetzen ist und auch keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines solchen Dauerschadens zulässt.
15
Die Depression als Invalidität begründender Dauerschaden ist somit nicht ärztlich festgestellt. Die Bescheinigungen haben der Beklagten als Versicherer keinen Anlass gegeben, über die körperlichen Unfallfolgen hinaus eine Beeinträchtigung auch der geistigen Leistungsfähigkeit abzuklären. Sie sind daher zur Ausgrenzung von - dem Versicherungsschutz nicht unterfallenden - Spätschäden nicht geeignet.
16
Schon daran scheitert der Anspruch des Klägers auf die begehrten Versicherungsleistungen; auf weiteres kommt es nicht an.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Baden-Baden, Entscheidung vom 02.04.2004 - 2 O 95/00 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 02.05.2006 - 12 U 192/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 9/08 Verkündetam:
17.Dezember2008
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
1. Der Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln in Allgemeinen
Versicherungsbedingungen gilt auch, wenn es um die Frage geht, ob eine
Bestimmung überhaupt einen Risikoausschluss enthält oder einen im Bedingungswerk
an anderer Stelle enthaltenen oder einen gesetzlichen Risikoausschluss
(wie § 61 VVG a.F.) zum Nachteil des Versicherungsnehmers erweitert.
2. Eine Klausel, nach der der Versicherungsnehmer bei allen Handlungen die
Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns seines Geschäftszweiges wahrzunehmen
hat, ist als solche nicht als Erweiterung der Leistungsfreiheit nach § 61
VVG a.F. schon bei leicht fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles zu
verstehen (Aufgabe von BGH, Urteil vom 24. November 1971 - IV ZR 135/69 -
VersR 1972, 85).
BGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 - IV ZR 9/08 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Seiffert,
Dr. Schlichting, die Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. November 2007 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29. November 2007 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Klägerin, Die eine Schmuckherstellerin, nimmt die Beklagte aus einem Vertrag über eine Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung auf Zahlung von 113.464 € in Anspruch. Sie behauptet, ihrem Geschäftsführer sei am 7. Dezember 2005 während einer Verkaufsreise auf der niederländischen Antilleninsel Sankt Maarten in den Geschäftsräumen des Autovermieters bei der Rückgabe des Fahrzeugs eine Tasche mit 156 Schmuckstücken gestohlen worden.
2
Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger , jedenfalls aber leicht fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 61 VVG a.F. i.V. mit Nr. 7.1 der Allgemeinen Versi- cherungsbedingungen (AVB). Nr. 7 AVB enthält "Allgemeine vertragliche Bestimmungen". Nr. 7.1. AVB lautet: "Allgemeine Pflichten Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen."
3
Außerdemmachtdie Beklagte Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufsichtsobliegenheit nach Nr. 4.5.1 AVB und der Obliegenheit zur Anzeige bei der Polizei nach Nr. 7.5.3 AVB geltend.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von 84.835,20 € verurteilt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


5
Die Revision hat keinen Erfolg.
6
Das I. Berufungsgericht (VersR 2008, 679) hat Leistungsfreiheit nach § 61 VVG a.F. i.V. mit Nr. 7.1 AVB verneint, weil dem Geschäftsführer der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne und Nr. 7.1 AVB nicht so auszulegen sei, dass Leistungsfreiheit schon bei Herbeiführung des Versicherungsfalles durch einfache Fahrlässigkeit eintrete. Eine solche Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabes lasse sich der Klausel, deren Wortlaut zur Frage der Leistungsfreiheit schweige, im Rahmen der gebotenen Auslegung nicht entnehmen. Einer möglichen gegenteiligen Auslegung stehe jedenfalls die Unklarheitenregelung in § 305c Abs. 2 BGB entgegen. Im Übrigen wäre die Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 i.V. mit § 310 Abs. 1 BGB unwirksam.
7
Leistungsfreiheit Auf wegen Obliegenheitsverletzung könne die Beklagte sich nicht berufen.
8
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil zur Klärung der Voraussetzungen einer wirksamen Abänderung des § 61 VVG a.F. durch Allgemeine Versicherungsbedingungen eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich erscheine.
9
II. Die Revision ist unzulässig, soweit die Beklagte die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Frage der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung und zur Schadenhöhe angreift.
10
Das Berufungsgericht hat die Revision ersichtlich nur beschränkt auf die Leistungsfreiheit nach § 61 VVG a.F. zugelassen. Das ergibt sich aus der Begründung für die Zulassung und ferner aus Seite 12 unten/13 Abs. 1 und 2 des Urteils. Diese Beschränkung ist zulässig. Sie betrifft den Anspruch insgesamt dem Grunde nach. Eine Beschränkung der Revision auf den Anspruchsgrund ist zulässig (BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 - VI ZR 273/03 - NJW 2004, 3176 unter II 1 m.w.N.; ebenso nur auf die Höhe des Anspruchs, BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 - IX ZR 172/06 - NJW-RR 2008, 786 Tz. 9). Die Beschränkung auf die Leistungsfreiheit nach § 61 VVG a.F. ist auch unabhängig von den anderen, vom Berufungsgericht abgelehnten Gründen, auf die die Beklagte ihre Leistungsfreiheit stützt. Die Beschränkung der Revision auf eine von mehreren selbständigen Einwendungen gegen einen Anspruch ist ebenfalls zulässig (BGHZ 53, 152, 154 f.), allerdings nicht lediglich auf die Rechtsfrage , unter welchen Voraussetzungen eine dem Versicherungsnehmer nachteilige Abänderung von § 61 VVG a.F. wirksam ist.
11
Das III. Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte nicht nach § 61 VVG a.F. von der Verpflichtung zur Leistung frei ist.
12
Der 1. Geschäftsführer der Klägerin hat den Versicherungsfall nicht durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt.
13
a) Ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zu werten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln. Diese tatrichterliche Würdigung ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Nachgeprüft werden kann nur, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt worden ist oder ob beim Bewerten des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind (Senatsurteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 173/01 - VersR 2003, 364 unter II 3 c).
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Den b) Ausführungen des Berufungsgerichts ist zu entnehmen, dass es den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit (vgl. dazu Senatsurteil vom 29. Januar 2003 aaO unter II 2) nicht verkannt hat. Die Wertung des Verhaltens des Geschäftsführers der Klägerin als nicht grob fahrlässig beruht auf einer nachvollziehbaren Würdigung aller wesentlichen Umstände der konkreten Situation, in der er sich im Geschäftslokal des Autovermieters befand, und ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die beweispflichtige Beklagte in der Revisionsbegründung darauf hinweist, der Geschäftsführer der Klägerin sei möglicherweise von dem Dieb schon seit längerem als Schmuckhändler erkannt und bis zum Autovermieter verfolgt worden und er habe auch der im Geschäftslokal befindlichen unbekannten jungen Frau und dem hinter ihm befindlichen Mann misstrauen müssen, handelt es sich um bloße Vermutungen und - wie auch bei den übrigen Ausführungen - um unbeachtliche eigene Würdigung.
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2. § 61 VVG a.F. kann zwar grundsätzlich durch Vereinbarung zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgeändert werden (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 33/92 - VersR 1993, 830 unter I 3 b). Der Senat folgt aber der Auslegung des Berufungsgerichts, dass Nr. 7.1 AVB diesen Risikoausschluss nicht auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles durch einfache Fahrlässigkeit i.S. eines Verstoßes gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erweitert.
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a) aa) Nach heute gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGHZ 123, 83, 85 und Senatsurteil vom 17. Mai 2000 - IV ZR 113/99 - VersR 2000, 1090 unter 2 und ständig) und inzwischen allgemein anerkannter Auffassung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtli- che Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (Senatsurteil vom 17. Mai 2000 aaO unter 2 a; vgl. dazu und zum überholten Maßstab der "gesetzesähnlichen" Auslegung auch Römer in Römer /Langheid, VVG 2. Aufl. vor § 1 Rdn. 15 ff.). Entgegen der Ansicht der Revision kann die für individualvertragliche Vereinbarungen geltende Auslegungsregel, nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei anzunehmen , eine vertragliche Bestimmung solle nach dem Willen der Parteien einen bestimmten rechtserheblichen Inhalt haben (BGH, Urteil vom 18. Mai 1998 - II ZR 19/97 - NJW 1998, 2966 unter B I 2 vor a), bei Allgemeinen Versicherungsbedingungen jedenfalls dann nicht angewendet werden, wenn der vom Versicherer mit einer Klausel verfolgte Zweck für den Versicherungsnehmer nicht hinreichend erkennbar zum Ausdruck gebracht ist.
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Bei bb) Risikoausschlussklauseln führt das Interesse des Versicherungsnehmers in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - VersR 1999, 748 unter 2 a).
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Diese strengen Maßstäbe sind auch und erst recht dann anzulegen , wenn es um die Frage geht, ob eine bestimmte Klausel überhaupt einen Risikoausschluss enthält oder einen im Bedingungswerk an anderer Stelle enthaltenen oder einen gesetzlichen Risikoausschluss (wie § 61 VVG a.F.) zum Nachteil des Versicherungsnehmers erweitert. Dem Versicherungsnehmer muss schon in der Klausel oder im engen textlichen Zusammenhang damit unmissverständlich vor Augen geführt werden , dass bei Vorliegen bestimmter Umstände oder Nichtbeachtung ihm auferlegter Sorgfaltspflichten der Versicherungsschutz ausgeschlossen ist. Mithin setzt eine von § 61 VVG a.F. zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweichende und damit konstitutive Vereinbarung über Leistungsfreiheit bereits bei leicht fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles voraus, dass er auf diese Rechtsfolge deutlich hingewiesen wird. Das Berufungsgericht hat deshalb seine frühere gegenteilige Ansicht (VersR 1982, 1189, 1190) mit Recht aufgegeben. Bei einer an diesen Maßstäben orientierten Auslegung hält auch der Senat an seiner im Urteil vom 24. November 1971 (IV ZR 135/69 - VersR 1972, 85, 86) vertretenen Auffassung nicht mehr fest. Die dort beurteilten Versicherungsbedingungen enthielten zwar eine erkennbare Verknüpfung zwischen Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns und der Leistungsfreiheit, allerdings in § 9 AVB nach den für gefahrmindernde Obliegenheiten geltenden, auf die Beweislast des Versicherungsnehmers für fehlendes Verschulden abstellenden Grundsätzen. Eine solche vom Leitbild des § 61 VVG a.F. abweichende Verschärfung wäre auch nach § 307 BGB unwirksam.
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b) Aus Nr. 7.1 AVB ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht ansatzweise zu erkennen, dass bei Nichtbeachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns der Versicherungsschutz ausgeschlossen sein soll. Irgendein Bezug zur Leistungsfreiheit nach § 61 VVG a.F. und eine durch die Klausel zu seinem Nachteil bezweckte Her- absetzung des Verschuldensmaßstabes geht für ihn daraus nicht hervor. Unter welchen Voraussetzungen nachteilige Folgen für den Versicherungsschutz drohen, kann er erst den nachfolgenden Bestimmungen entnehmen. So enthält Nr. 7.2 AVB als Voraussetzung für den Versicherungsschutz konkrete Regelungen über die Aufbewahrung der versicherten Sachen und Sicherungseinrichtungen. Nr. 7.5 AVB trifft Bestimmungen für den Schadenfall. Nr. 7.8 AVB weist auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung nach Maßgabe der §§ 6 und 62 VVG a.F. hin. Weder diese Klauseln noch das Merkblatt für Reiselagerbegleiter enthalten einen Anhaltspunkt dafür, dass bei Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nach Nr. 7.1 AVB der Verlust des Versicherungsschutzes nach § 61 VVG a.F. in Betracht kommt. Auch die speziellen Klauseln zur Reiselagerversicherung weisen unter Nr. 4.3 AVB mit der Überschrift "Nicht versicherte Gefahren und Schäden" und unter Nr. 4.5 zu "Aufbewahrungsvorschriften" als "Voraussetzung für den Versicherungsschutz" darauf nicht hin. Dies kann den Versicherungsnehmer nur in der Annahme bestärken, dass Nr. 7.1 AVB ihn gemäß der Überschrift "Allgemeine Pflichten" nur allgemein auf diese hinweisen soll, nicht aber darauf, dass deren Nichtbeachtung konkrete Folgen für den Versicherungsschutz hat.
Seiffert Dr. Schlichting Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Franke

Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 01.03.2007 - 15 O 82/06 KfH IV -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 15.11.2007 - 12 U 69/07 -

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.

(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.

(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.