Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Apr. 2015 - 6 Sa 95/14

ECLI:ECLI:DE:LAGST:2015:0428.6SA95.14.0A
bei uns veröffentlicht am28.04.2015

Tenor

I.

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 09.01.2014 – 1 Ca 522/13 – teilweise unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 zum 31.05.2013 aufgelöst worden ist.

2. Die klagerweiternden Anträge aus der Berufungsbegründung sowie aus den Schriftsätzen vom 16.06.2014, 09.10.2014 und 10.04.2015 (Vergütung für die Monate Januar 2014 bis April 2015) werden abgewiesen.

II.

Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 09.01.2014 teilweise unter Zurückweisung der Anschlussberufung im Übrigen abgeändert:

Die Klage wird hinsichtlich des Klagantrages zu 2. (restliche Vergütung für den Monat Mai 2013) abgewiesen.

III.

Die im ersten Rechtszug angefallenen Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 4/5. Die Beklagte trägt 1/5.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses und damit im Zusammenhang über Ansprüche des Klägers auf Verzugslohn.

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Der Kläger ist seit 05.03.2012 bei der Beklagten nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 21.02.2012 (Bl. 4 bis 7 d. A.) als Produktionsmitarbeiter/Lagerarbeiter mit einer Vergütung von 9,50 Euro brutto pro Stunde und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt.

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Die Beklagte, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 02.05.2013 (Bl. 9 d. A.) außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31.05.2013 und erteilte dem Kläger zugleich Hausverbot.

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Sie stützt diese Kündigung auf einen Vorfall in der Nachtschicht vom 30.04./01.05.2013. Der Kläger hatte in jener Nachtschicht gegen 24.00 Uhr die Polizei verständigt und als Grund hierfür angegeben, er habe Geräusche auf dem Dach der Produktionshalle vernommen und gehe davon aus, es handele sich um Eindringlinge. Die herbeigerufene Polizei konnte – Schreiben des Polizeireviers Jerichower Land vom 30.07.2013 (Bl. 44 d. A.) – keine Eindringlinge feststellen. Ihr gegenüber gab der Kläger an, er habe Geräusche und Musik gehört. Außerdem existiere in der Produktionshalle ein Rohr, das auf der einen Seite in eine Trennwand einmünde, auf der anderen Seite jedoch nicht wieder erscheine. Es gehe etwas nicht mit rechten Dingen vor. Im weiteren Verlauf der Nachtschicht – gegen 02.00 Uhr – bat der Kläger vergeblich einen Kollegen, mit Hilfe des Gabelstaplers, den er vor die Fabrikhalle gefahren hatte, auf das Vordach derselben gehoben zu werden, um nach den Eindringlingen zu suchen. Weiter schlug er – zumindest einmal – mit einer Eisenstange gegen den Stützpfeiler des Vordachs, um vermutete Eindringlinge zu vertreiben. Einer gegen 03.00 Uhr von der Schichtleiterin M getätigten Aufforderung, er möge den Arbeitsplatz verlassen und nach Hause gehen, kam der Kläger nicht nach, sondern forderte die Schichtleiterin auf, sie möge sich um das Einbruchsgeschehen kümmern. Im weiteren Verlauf der Nachtschicht ließ der Kläger von seinen Versuchen, Eindringlinge zu entfernen ab und beendete die Nachtschicht zusammen mit den anderen Kollegen.

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Bereits in den Monaten zuvor hatte der Kläger mehrfach gegenüber dem Technischen Leiter K darauf hingewiesen, dass er vermummte Gestalten beobachtet habe, die über den Zaun des Fabrikgeländes gesprungen seien. Auch befinden sich in der Produktionshalle hinter Verkleidungen Funklautsprecher, über die Durchsagen erfolgen, wobei Inhalt dieser Durchsage auch der Standort des jeweiligen Funklautsprechers sei. Der Kläger hat hierzu eine Zeichnung (Bl. 41 d. A.) gefertigt. Weiter hat der Kläger an den Wänden der Produktionshalle Zettel angebracht, die auf das Vorhandensein von Lautsprechern und sog. LED-Boxen hinweisen sollen (vgl. die zur Akte gereichten Fotos Bl. 105 bis 110 d. A.). Nachdem die Inspektion einer von dem Kläger benannten Stelle durch den Technischen Leiter in seinem Beisein das Vorhandensein von Funklautsprechern nicht bestätigen konnte, hat der Kläger die Vermutung geäußert, die Lautsprecherdurchsagen erfolgen durch auf umliegenden Masten und Türmen angebrachte technische Geräte – vgl. die zur Akte gereichten Fotos Bl. 88 f d. A. Teilweise seien diese Anlagen, die sich in einer Entfernung von 200 bis 500 m von der Produktionshalle befinden, zwischenzeitlich wieder entfernt worden. Der Technische Leiter der Beklagten kommentierte die Hinweise des Klägers mit der Bemerkung, man nenne dies in G „Volksbeschallung“.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 02.05.2013 zum 31.05.2013 beendet ist.
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2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Mai 2013 noch restlichen offenen Lohn in Höhe von 1.596,00 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.06.2013 zu zahlen.
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3. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger noch weiteren offenen Lohn für den Monat Juni 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto, für den Monat Juli 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto, für den Monat August 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto, für den Monat September 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR und für den Monat Oktober 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto unter Berücksichtigung von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten Arbeitslosengeldes nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.07.2013, 11.08.2013, 11.09.2013, 11.10.2013 und 11.11.2013 zu zahlen.
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4. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger noch offenen Lohn für den Monat November 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto unter Berücksichtigung von Arbeitslosengeld zu zahlen und ebenfalls für den Monat Dezember 2013 1.520,00 EUR brutto unter Berücksichtigung von gezahltem Arbeitslosengeld zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, schon der streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigung komme Rechtswirksamkeit zu. Sie hat das Verhalten des Klägers zunächst dahin bewertet, dieser leide unter Wahnvorstellungen. Dennoch sei sie berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis der Parteien ohne Einhaltung der Kündigungsfrist aufzukündigen, um die Arbeitskollegen vor einer Gefährdung durch den Kläger zu schützen. In der besagten Nachtschicht habe der Kläger nicht nur einmal mit einer Eisenstange gegen einen Stützpfeiler geschlagen, sondern sei über einen längeren Zeitraum mit diesem Werkzeug durch die Produktionshalle gelaufen und habe an verschiedenen Stellen gegen Wandverkleidungen und Pfeiler geschlagen. Dabei habe er gegenüber der Schichtleiterin laut schreiend erklärt, er halte die Schritte und Stimmen auf dem Dach nicht mehr aus. Gegen 01.30 Uhr habe er sich ins Freie begeben, Steine auf das Vordach der Produktionshalle geworfen und dabei laut gerufen: „Verschwindet ihr Schweine, euch mach ich fertig“. Die Schichtleiterin M habe den Kläger auch nicht unverbindlich gebeten, den Arbeitsplatz zu verlassen, sondern diesen mehrfach vergeblich dazu aufgefordert. Dabei habe der Kläger sie angeschrien, sie sei „blöd“ und wisse genau, er sei im Recht. Sie solle sich um die Lautsprecher kümmern. Der Kläger habe sich erst gegen 05.30 Uhr beruhigt und sich in den Aufenthaltsraum begeben. Dort habe er erklärt, die Leute seien nun vom Dach geholt worden, jetzt sei endlich Ruhe.

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Darüber hinaus sei der Kläger bereits im März 2013 gegenüber einem Arbeitskollegen ausfällig geworden und habe diesem „Schläge angedroht“, wenn er noch einmal Einstellungen an der von beiden Kollegen bedienten Teigmaschine vornehme.

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Der Kläger hat hierzu entgegnet, er habe keineswegs in der besagten Nachtschicht seine Arbeitskollegen bedroht. Ihm sei es lediglich darum gegangen, Schaden von dem Eigentum der Beklagten abzuwenden, indem er mit Hilfe der Polizei bzw. durch eigenes Handeln die auf dem Dach befindlichen Eindringlinge verjage. Jedenfalls vermöge sein Verhalten weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung zu rechtfertigen. Das Arbeitsverhältnis sei bis zu dem vorgenannten Ereignis beanstandungsfrei verlaufen. Insbesondere habe es – unstreitig – zuvor kein dem Vorfall in der besagten Nachtschicht entsprechendes Verhalten seinerseits gegeben.

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Das Arbeitsgericht hat im Termin am 09.01.2014 unter anderem über die Behauptung der Beklagten zu dem Ablauf der Nachtschicht am 30.04./01.05.2013 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.01.2014 (Bl. 90 bis 103 d. A.) Bezug genommen.

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Im Anschluss hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom selben Tage festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 nicht aufgelöst worden ist, dem Kläger Verzugslohn für den Zeitraum 03. bis 31.05.2013 in Höhe von 1.596,00 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen, die Klage im Übrigen abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien anteilig auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten sei nach den Grundsätzen der verhaltensbedingten Kündigung rechtlich zu bewerten. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere der Beweisaufnahme, stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger sich in der Nachtschicht 30.04./01.05.2013 entsprechend den Behauptungen der Beklagten verhalten habe. Hierin liege zwar ein wichtiger Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung. Aufgrund der weiterhin vorzunehmenden Interessenabwägung im Einzelfall sei diese jedoch deshalb nicht gerechtfertigt, weil es der Beklagten zumutbar war, den Kläger jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – gegebenenfalls nicht mehr in Nachtschicht – weiterzubeschäftigen. Der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung komme hingegen Rechtswirksamkeit zu. Diese sei als verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Das sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bietende Verhalten des Klägers erfülle die diesbezüglichen Voraussetzungen. Dies gelte ungeachtet der Frage, ob der Kläger schuldhaft seine vertraglichen Pflichten verletzt habe. Angesichts der Dimension des Vorfalls sei eine verhaltensbedingte Kündigung ausnahmsweise auch dann sozial gerechtfertigt, wenn der Kläger ohne Verschuldensvorwurf gehandelt haben sollte. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst zum 31.05.2013 stehe dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges die vereinbarte Arbeitsvergütung für den nicht abgerechneten Zeitraum in vorgenannter Höhe zu. Hingegen bestehe kein Anspruch auf Verzugslohn für den nachfolgenden Zeitraum, da das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.05.2013 beendet worden sei. Im Übrigen sei die Klage insoweit auch nicht hinreichend bestimmt, weil der Kläger das in jenem Zeitraum von ihm bezogene Arbeitslosengeld in seinem Klagantrag nicht exakt beziffert habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Blatt 113 bis 131 der Akte verwiesen.

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Gegen die ihm am 10.02.2014 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 07.03.2014 Berufung eingelegt und diese am 09.04.2014 begründet. Die Beklagte wiederum hat – innerhalb der Berufungserwiderungsfrist – am 23.04.2014 Anschlussberufung eingelegt und diese sogleich begründet.

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Mit ihren wechselseitigen Rechtsmitteln verfolgen die Parteien ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter. Der Kläger hat darüber hinaus in der Berufungsbegründung sowie mit klagerweiternden Schriftsätzen vom 16.06.2014, 09.10.2014 und 10.04.2015 Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum Januar 2014 bis April 2015 in Höhe von jeweils 1.520,00 Euro brutto geltend gemacht, wobei er sich – nunmehr exakt beziffert – die erhaltenen Leistungen der Bundesagentur für Arbeit und des Jobcenters Jerichower Land in jenem Zeitraum anrechnen lässt.

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Der Kläger hält an seiner Auffassung, er habe im Verlauf der Nachtschicht 30.04./01.05.2013 keine Pflichtverletzung begangen, fest. Vielmehr habe er zum Wohle der Beklagten gehandelt, indem er versucht habe, deren Eigentum zu schützen. Zwar habe er an jenem Abend keine fremden Personen auf dem Betriebsgelände der Beklagten beobachten können. Er habe jedoch Geräusche auf dem Dach gehört, die auf die Anwesenheit von Eindringlingen hingedeutet haben. Aber selbst wenn sein Verhalten pflichtwidrig gewesen sein sollte, so hätte dies jedenfalls nicht ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung rechtfertigen können.

21

Zudem sei davon auszugehen, dass entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die streitgegenständliche Kündigung am Maßstab der krankheitsbedingten Kündigung zu messen sei. Die Beklagte selbst habe erstinstanzlich zur Begründung der Kündigung angeführt, der Kläger leide unter Wahnvorstellungen. Die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung, insbesondere eine negative Gesundheitsprognose, seien jedoch auch nicht ansatzweise gegeben.

22

Schlussendlich habe das Arbeitsgericht auch zu Unrecht den von der Beklagten behaupteten Geschehensablauf als bewiesen angesehen. Der Inhalt der Zeugenaussagen rechtfertige diesen Schluss nicht. Diese seien vielmehr als widersprüchlich anzusehen.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 09.01.2014 teilweise abzuändern und

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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 zum 31.05.2013 beendet worden ist.
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2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger noch weiteren offenen Lohn für den Monat Juni 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 642,00 EUR für den Monat Juli 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat August 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat September 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat Oktober 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat November 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat Dezember 2013 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.07.2013, 11.08.2013, 11.09.2013, 11.10.2013, 11.11.2013, 11.12.2013 und 11.01.2014 zu zahlen.
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Klagerweiternd beantragt der Kläger,

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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger noch weiteren offenen Lohn für für den Monat Januar 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat Februar 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat März 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR den Monat April 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR und für den Monat Mai 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.02.2014, 11.03.2014, 11.04.2014, 11.05.2014 und 11.06.2014 zu zahlen.

29

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger noch weiteren offenen Lohn für den Monat Juni 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat Juli 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR, für den Monat August 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR und für den Monat September 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten 720,60 EUR nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.07.2014, 11.08.2014, 11.09.2014 und 11.10.2014 zu zahlen.

30

Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger noch weiteren offenen Lohn für den Monat Oktober 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich vom Jobcenter Jerichower Land gezahlter 106,58 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.11.2014, für den Monat November 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich vom Jobcenter Jerichower Land gezahlter 509,94 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.12.2014, für den Monat Dezember 2014 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 154,61 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.01.2015, für den Monat Januar 2015 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 161,61 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.02.2015, für den Monat Februar 2015 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 161,61 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.03.2015, für den Monat März 2015 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich vom Jobcenter Jerichower Land gezahlter 161,61 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.04.2015 sowie für den Monat April 2015 in Höhe von 1.520,00 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 161,61 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.05.2015 zu zahlen.

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Darüber hinaus beantragt der Kläger,

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die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung des Klägers zurückzuweisen, die klagerweiternden Anträge abzuweisen sowie das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 09.01.2014 teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

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Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung, soweit sie zu ihren Gunsten ergangen ist. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht die streitbefangene Kündigung unter dem Gesichtspunkt der verhaltensbedingten Kündigung auf ihre Rechtswirksamkeit hin überprüft habe. Ihr erstinstanzliches Vorbringen, der Kläger leide unter Wahnvorstellungen, beruhe auf der damaligen Einschätzung der Geschehnisse. Nachdem der Kläger jedoch – unstreitig – auch auf mehrmaliges Befragen des Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts in der mündlichen Verhandlung am 09.01.2014 erklärt habe, er sei nicht erkrankt, gehe nunmehr die Beklagte davon aus, der Kläger sei für die Geschehnisse in der Nachtschicht 30.04./01.05.2013 voll verantwortlich. Das von den Zeugen bestätigte Geschehen rechtfertige auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Eine andere Möglichkeit, die von dem Kläger ausgehende Bedrohung seiner Arbeitskollegen zukünftig abzuwenden, habe für die Beklagte nicht gestanden. Dementsprechend sei auch die auf Arbeitsvergütung gerichtete Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung insgesamt abzuweisen.

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Das Landesarbeitsgericht hat im Beschluss vom 20.10.2014 die folgenden Hinweise bzw. Auflagen erteilt:

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3. Das Gericht weist die Parteien auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin:

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a. Nach dem sich bietenden Sachverhalt ist die Rechtmäßigkeit der Kündigung anhand der für eine krankheitsbedingte (personenbedingte) Kündigung geltenden Grundsätze zu überprüfen. Die Beklagte hat eine im Zeitpunkt der Kündigung bestehende Erkrankung des Klägers wie auch hieraus folgende erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen schlüssig dargelegt. Der Kläger hat das Vorliegen einer Erkrankung bestritten.

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Dem Vortrag der Beklagten ist jedoch bisher nicht mit der erforderlichen Substanz zu entnehmen, auf welcher Grundlage sie zum Zeitpunkt der Kündigung von einer negativen Gesundheitsprognose, wonach mit einer Wiederherstellung der Gesundheit des Klägers in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei, ausgehen konnte. Nach dem Vorbringen des Klägers – er bestreitet das Vorliegen einer Erkrankung – ist davon auszugehen, dass er sich hinsichtlich des von der Beklagten geschilderten Verhaltens zum Zeitpunkt der Kündigung nicht in ärztlicher Behandlung befunden hat.

41

Der Beklagten, der für sämtliche Voraussetzungen der streitbefangenen Kündigung die Darlegungs- und Beweislast obliegt, wird daher Gelegenheit gegeben, ihr Vorbringen diesbezüglich unter Beweisantritt binnen 3 Wochen zu ergänzen. Sie mag insbesondere mitteilen, ob mit dem Kläger Gespräche über die Aufnahme einer ärztlichen Behandlung geführt worden sind.

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Dem Kläger bleibt nachgelassen, auf den zu erwartenden Schriftsatz der Beklagten binnen 3 Wochen nach Zugang abschließend zu erwidern.

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b. Der Anspruch des Klägers auf Verzugslohn gem. § 615 BGB dürfte vorliegend nicht nur davon abhängen, ob zwischen den Parteien über den 31.05.2013 hinaus ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

44

Die Beklagte hat schlüssig Tatsachen vorgetragen, die die Einwendung begründen, der Kläger sei im streitigen Zeitraum hinsichtlich der zu erbringenden Arbeitsleistung nicht leistungsfähig gewesen (§ 297 BGB) bzw, ihr sei die Annahme der Arbeitsleistung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zumutbar gewesen. Sie hat behauptet, der Kläger leide an Wahnvorstellungen, die zu einem aggressiven Verhalten führen. Auch insoweit trifft die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagte hat hierzu die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweis angeboten.

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Der Kläger mag binnen 3 Wochen mitteilen, ob er bereit ist, sich einer Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen zu unterziehen.

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c. Beide Parteien werden auf §§ 56 Abs. 2, 64 Abs. 7 ArbGG hingewiesen.

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Der Kläger hat hierauf über seinen Prozessbevollmächtigten mitteilen lassen, er werde sich keiner Begutachtung durch einen Sachverständigen unterziehen lassen.

49

Er hat sodann mit weiterem Schriftsatz vom 21.04.2015 ergänzend vorgetragen, der erstinstanzlich vernommene Zeuge C habe auf eine Party am 11.04.2015 ihm wie auch weiteren anwesenden Gästen gegenüber geäußert, er und auch die weiter vernommenen Zeugen seien zu einer Falschaussage vor dem Arbeitsgericht Stendal genötigt worden.

50

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

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Die jeweiligen Rechtsmittel sind zulässig.

I.

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Das Rechtsmittel des Klägers ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthaft. Der Kläger hat die Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingehalten.

II.

53

Die Anschlussberufung der Beklagten ist ebenfalls zulässig.

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1. Sie entspricht den Vorgaben des § 524 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO.

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2. Die Anschlussberufungsbegründung genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Zwar lässt sich der Umfang der Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht unmittelbar aus den angekündigten Anträgen entnehmen. Aus dem Inhalt der Berufungsbegründung ergibt sich aber, dass die Beklagte die vollständige Abweisung der Kündigungsschutz- und der Vergütungsklage begehrt.

B.

56

Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet, soweit sie hiermit die vollständige Abweisung der Kündigungsschutzklage (betreffend die außerordentliche Kündigung vom 02.05.2013) begehrt. Hingegen hat die Anschlussberufung Erfolg, soweit sie sich gegen die von dem Arbeitsgericht ausgesprochene Verurteilung zur Zahlung von Verzugslohn für den Monat Mai 2013 richtet.

I.

57

Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Kündigungsschutzklage, gerichtet gegen die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 stattgegeben. Durch diese Kündigung wird das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht fristlos aufgelöst. Ihr kommt keine Rechtswirksamkeit zu, weil die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB, wonach das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, nicht gegeben sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09) sind die Voraussetzungen dieser Norm in einem zweistufigen Verfahren zu prüfen. Erforderlich ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes „an sich“ (erste Stufe) sowie darüber hinaus eine auf den Einzelfall bezogene umfassende Interessenabwägung, die dazu führt, dass das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das gegenläufige Interesse des Arbeitnehmers überwiegt (zweite Stufe). Diese Voraussetzungen liegen weder bei Annahme eines personen- noch eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes vor.

58

1. Nach dem sich bietenden Sachverhalt bestand kein wichtiger Grund für eine außerordentliche, krankheitsbedingte Kündigung des Klägers. Eine solche kommt nur ausnahmsweise in Betracht, etwa bei Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen (BAG 20.12.2012 – 2 AZR 32/11). Diese Voraussetzungen hat die Beklagte nicht dargelegt. Der Kläger ist ordentlich kündbar mit der relativ kurzen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB.

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Bei Vorliegen einer Erkrankung des Klägers bestehen keine schutzwürdigen Interessen der Beklagten, das Arbeitsverhältnis bereits vor Ablauf jener Kündigungsfrist zu beenden. Die Beklagte wäre in diesem Fall nicht verpflichtet, den Kläger tatsächlich zu beschäftigen. Die anfallenden Entgeltfortzahlungskosten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sind ihr – gegenteiliger Sachvortrag liegt nicht vor – zumutbar.

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2. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB sind nach dem sich bietenden Sachverhalt auch dann nicht gegeben, wenn das kündigungsrelevante Verhalten des Klägers unter dem Gesichtspunkt der verhaltensbedingten Kündigung bewertet wird.

61

a) Grundsätzlich stellen Tätlichkeiten gegenüber Kollegen einen wichtigen Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung dar (BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06). Diese liegen jedoch nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung nicht vor. Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass der Kläger gegenüber Kollegen tätlich geworden ist. Auch nach ihrem Sachvortrag hat der Kläger die von ihm mitgeführte Brechstange ausschließlich dazu genutzt, auf Teile der Produktionshalle einzuschlagen.

62

b) Weiter liegt in der Bedrohung von Vorgesetzten ein wichtiger Grund an sich (BAG 12.01.1995 – 2 AZR 456/94). Vorliegend hat die Beklagte jedoch eine objektive Bedrohungslage, ausgelöst von dem Kläger gegenüber der Schichtleiterin M nicht beweisen können. Aus der Aussage der Zeugin M ergibt sich eine solche nicht. Danach beruhte die „Bedrohlichkeit“ der Situation, die die Zeugin empfunden hat, darauf, dass sie und der Kläger sich in einem engen Raum in geringem Abstand gegenüberstanden. Im Übrigen hat sich die Zeugin – so ihre ausdrückliche Aussage – von dem Kläger während der Nachtschicht nicht bedroht gefühlt. Hat die Zeugin damit inhaltlich bereits die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt, so kommt es auf ihre Glaubwürdigkeit insoweit nicht an.

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c) Schlussendlich stellt das Herumlaufen des Klägers mit einer Brechstange in der Produktionshalle, das von der Beklagten behauptete Werfen von Steinen auf das Vordach sowie das Schlagen mit der Brechstange gegen Gebäudeteile aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls keinen ausreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.

64

aa) Dabei kann dahinstehen, ob das von der Beklagten behauptete Verhalten des Klägers einen wichtigen Grund an sich darstellt.

65

bb) Jedenfalls fehlt es an einer Unzumutbarkeit für die Beklagte, den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Der von ihr behauptete Vorfall rechtfertigt aufgrund seiner speziellen Ausgestaltung eine außerordentliche Kündigung nicht ohne eine vorangegangene einschlägige Abmahnung. Diese ist in Ausprägung des im Kündigungsrecht generell geltenden Ultima-ratio-Grundsatzes und auch im Hinblick auf die gesetzgeberische Vorgabe des § 314 Abs. 2 BGB bei einer Pflichtverletzung, die auf steuerbarem Verhalten beruht, grundsätzlich erforderlich. Entbehrlich ist die Abmahnung ausnahmsweise dann, wenn sie erkennbar nicht erfolgversprechend ist oder aber die Pflichtverletzung derart schwer wiegt, dass der Arbeitnehmer nicht schutzwürdig darauf vertrauen konnte, der Arbeitgeber werde den Vorfall nicht unmittelbar zum Anlass einer Kündigung nehmen (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 36 f). Eine Abmahnung ist dem Kläger unstreitig nicht erteilt worden. Insbesondere hat die Beklagte nicht vorgetragen, der Kläger sei aufgrund der von ihr behaupteten verbalen Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen („Androhung von Schlägen“) im Rechtssinne abgemahnt worden. Eine Abmahnung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Ungeachtet der medizinischen Bewertung des Verhaltens des Klägers macht dieses – jedenfalls wenn man den Sachvortrag der für die Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung darlegungspflichtigen Beklagten zugrunde legt – deutlich, dass der Kläger sich in einer psychischen Ausnahmesituation in der Nachtschicht am 30.04./01.05.2013 befunden hat. Berücksichtigt man weiter, dass – unbestritten – der Kläger zuvor nicht durch entsprechendes Verhalten auffällig geworden ist, so wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, dem Kläger eindringlich deutlich zu machen, dass eine derartige Verhaltensweise ungeachtet der Frage, ob er hierfür subjektiv verantwortlich ist, im Wiederholungsfall zur (sofortigen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen wird. Aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers wäre es für die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung – unmittelbar nach dem Vorfall – zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst Gelegenheit zu geben, die Verhaltensauffälligkeiten, sei es im Wege der Selbsthilfe, sei es durch ärztliche Hilfe, abzustellen. Dass der Kläger bereits im Zeitpunkt der Kündigung nachhaltig auf dem Standpunkt verharrt hat, sein Verhalten habe weder eine krankheitsbedingte Ursache, noch sei es als pflichtwidrig zu beanstanden, hat die Beklagte nicht dargetan. Nach dem sich bietenden Sachverhalt ist vielmehr davon auszugehen, dass es vor Ausspruch der Kündigung keine, den Vorfall aufarbeitenden Personalgespräche zwischen den Parteien – dem Kläger wurde Hausverbot erteilt – gegeben hat.

66

Diese Bewertung der Kammer beruht auf den sich nach Abschluss der mündlichen Verhandlung ergebenden Besonderheiten des vorliegenden Falls. Zwar hat der Kläger im Laufe des Rechtsstreits mehrfach erklärt, er leide nicht an einer (psychischen) Erkrankung und sehe keine Veranlassung sich diesbezüglich ärztlich untersuchen zu lassen. Andererseits stellt sich bezogen auf den für die Rechtswirksamkeit der Kündigung maßgeblichen Zeitpunkt ihres Zugangs die Sachlage in einem anderen Licht dar. Die Beklagte selbst ist davon ausgegangen, der Kläger leide unter Wahnvorstellungen. Ungeachtet der Frage, wie das Verhalten des Klägers in der Nachtschicht 30.04./01.05.2013 medizinisch zu bewerten ist, ist dieses – auch nach dem von ihm eingeräumten Sachverhalt – derart gestaltet, dass sich für einen verständigen Arbeitgeber der Schluss aufdrängen muss, der Kläger sei zumindest an jenem Abend „nicht Herr seiner Sinne“ gewesen. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet es dann aber, nicht sogleich mit dem schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Sanktionsmittel, der außerordentlichen Kündigung, zu reagieren, sondern zunächst auf andere Weise den Versuch zu unternehmen, den Kläger zu einer zukünftig pflichtgemäßen Erfüllung seiner Arbeits- und Nebenpflichten zu veranlassen. Zuzugeben ist der Beklagten, dass sie auch gegenüber den Arbeitskollegen des Klägers eine Fürsorgepflicht trifft und das Verhalten des Klägers – so wie es die Beklagte geschildert hat – durchaus die Besorgnis rechtfertigt, der Kläger könne zukünftig erneut in ähnlicher Weise auffällig werden und werde dabei möglicherweise auch Kollegen bedrohen oder gar tätlich angreifen. Um dieser Besorgnis entgegenzutreten, hätte es jedoch nicht (sofort) einer außerordentlichen Kündigung bedurft. Die Beklagte hätte den Kläger bis zur Klärung seines Gesundheitszustandes von der Arbeitsleistung freistellen können, wobei – wie noch auszuführen sein wird – eine Vergütungspflicht aus § 615 BGB bis zur Klärung der Sachlage nicht gegeben ist. Für die Beklagte hätte allenfalls das Risiko bestanden, im Fall einer Erkrankung des Klägers diesem Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten, was ihr schon von Gesetzes wegen zumutbar ist.

II.

67

Erfolg hatte die Anschlussberufung der Beklagten, soweit diese die Abweisung der auf Verzugslohn für den Monat Mai 2013 gerichteten Klage begehrt. Dem Kläger steht ein solcher Anspruch aus § 615 BGB, wonach der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung auch ohne Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu entrichten hat, wenn er mit der Annahme der Dienstleistung in Verzug geraten ist, nicht zu. Vorliegend scheitert ein auf diese Grundlage gestützter Anspruch des Klägers im Ergebnis daran, dass es der Beklagten nicht zumutbar war, die Arbeitsleistung des Klägers in Anspruch zu nehmen.

68

1. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum (Mai 2013) zwischen den Parteien (noch) ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Beklagte befand sich auch grundsätzlich, ohne dass es eines Angebotes der Arbeitsleistung seitens des Klägers bedurft hätte, in Annahmeverzug nach Maßgabe des § 296 BGB aufgrund der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung (BAG 15.05.2013 – 5 AZR 130/12).

69

2. Dahinstehen kann, ob die Wirkungen des Annahmeverzuges durch § 297 BGB ausgeschlossen sind, wonach der Gläubiger nicht in Annahmeverzug gerät, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebotes außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann gegeben, wenn der gekündigte Arbeitnehmer aufgrund Erkrankung nicht arbeitsfähig ist.

70

3. Jedenfalls steht der Zuerkennung eines Anspruchs auf Annahmeverzugslohn entgegen, dass es der Beklagten nach Maßgabe des § 242 BGB unzumutbar war, die Arbeitsleistung des Klägers entgegenzunehmen.

71

Ein Arbeitgeber kommt trotz Nichtannahme der Arbeitsleistung nicht in Annahmeverzug, wenn sich der Arbeitnehmer so verhält, dass der Arbeitgeber nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Arbeitslebens die Annahme der Leistung zu Recht ablehnt. Dies kann der Fall sein, wenn bei Annahme der angebotenen Dienste strafrechtlich geschützte Interessen des Arbeitgebers, seiner Angehörigen oder anderer Betriebsangehöriger unmittelbar und nachhaltig so gefährdet werden, dass die Abwehr dieser Gefährdung Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes haben muss. Es ist auf die objektive Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Arbeitnehmers abzustellen; Verschulden ist nicht erforderlich. Wann ein solcher Fall vorliegt, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Dabei sind die Gepflogenheiten des Arbeitslebens zu berücksichtigen. Es muss ein ungewöhnlich schwerer Verstoß gegen allgemeine Verhaltenspflichten vorliegen, der den Arbeitgeber schlechterdings berechtigt, die Dienste abzulehnen (BAG 16.04.2014 – 5 AZR 739/11 – Rn. 17).

72

Eine solche Unzumutbarkeit ergibt sich bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt. Auf die Frage, ob die von der Beklagten weiter behaupteten Geschehnisse in der Nachtschicht 30.04./01.05.2013 als bewiesen anzusehen sind, kommt es mithin nicht an. Der unstreitige Sachverhalt betreffend den Vorfall am 30.04./01.05.2013 und auch die Geschehnisse im Vorfeld stellen sich wie folgt dar: Der Kläger ging und geht nach wie vor davon aus, dass sowohl im Produktionsgebäude als auch an umliegenden, mehrere 100 Meter entfernten Gittermasten und Türmen Lautsprecher angebracht sind/waren, die dazu dienen, die Produktionshalle zu „beschallen“, was nicht nur einmal sondern mehrfach seit Monaten (vor Ausspruch der Kündigung) passiert ist. Der Kläger hat hierzu Zeichnungen und Merkzettel angefertigt, die er an jenen Stellen in der Produktionshalle anbrachte, an denen nach der jeweiligen Lautsprecherdurchsage diese verdeckt installiert seien sollten, jedoch nicht auffindbar waren. Weiter sollen „LED-Boxen“ verbaut worden sein. Der Kläger hat sodann am 30.04.2013 Geräusche auf dem Dach der Produktionshalle als Anlass genommen, sich mit einer Eisenstange auszustatten und jedenfalls einmal auf den Stützpfosten des Vordachs einzuschlagen. Er hat gegenüber der Polizei nach dem unbestrittenen Schreiben des Polizeireviers Jerichower Land vom 30.07.2013 geäußert, er höre Stimmen und auch Musik. Weiter hat er auf ein in der Wand der Produktionshalle verschwindendes Rohr hingewiesen. Personen wurden nach der Mitteilung der Polizei bei dem Einsatz gegen Mitternacht nicht angetroffen. Diese Geräusche nimmt der Kläger zum Anlass, den Versuch zu starten mit Hilfe eines Gabelstaplers auf das Vordach der Produktionshalle zu gelangen – unbestritten gegen 2.00 Uhr. Einer Bitte seiner Vorgesetzten – unbestritten gegen 3.00 Uhr ausgesprochen, sich nach Hause zu begeben, kommt der Kläger nicht nach, sondern verweist die Schichtleiterin auf den „Radau auf dem Dach“ (Seite 3 der Klagschrift) bzw. fordert sie auf, sie solle sich um das Einbruchsgeschehen kümmern (Schriftsatz vom 05.09.2013, Seite 2). Ungeachtet dieser Vorkommnisse hält der Kläger sich nach wie vor für gesund und sieht keinen Anlass, sich diesbezüglich ärztlich untersuchen zu lassen.

73

Dieser Sachverhalt lässt den Schluss darauf zu, dass der Kläger auf von ihm – und nur von ihm – vernommene Geräusche mit aggressivem Verhalten reagiert und dabei auch körperliche Gewalt gegen Sachen anwendet (Schlag mit der Brechstange). Aufforderungen, sich aufgrund dieses Zustandes vom Arbeitsplatz zu entfernen, ignoriert er. Dieses zumindest auffällige Verhalten zieht sich über mehrere Stunden hin. Die Polizei trifft nach Alarmierung durch den Kläger gegen Mitternacht auf dem Betriebsgelände der Beklagten ein. Das Gespräch mit der Schichtleiterin findet gegen 3.00 Uhr morgens statt.

74

Bis zu jenen Geschehnissen hat sich das Verhalten des Klägers betr. die von ihm vernommenen Geräusche gesteigert. Er hat zunächst lediglich durch Information des Technischen Leiters und Kennzeichnung von Gebäudeteilen bzw. Anfertigen von Zeichnungen auf die vermeintliche Ursache der Geräusche reagiert, während er in der besagten Nachtschicht mehrere Stunden „aktiv“ gegen die Geräusche – teilweise in aggressiver Form – vorgegangen ist.

75

Ein verständiger Arbeitgeber in der Position der Beklagten muss damit rechnen, dass sich ein derartiges Verhalten des Klägers jederzeit wiederholen kann, weil der Kläger sich weigert, sich deswegen in ärztliche Behandlung zu begeben. Das Verhalten des Klägers ist auch aus objektiver Sicht jedenfalls so beschaffen, dass eine ärztliche Untersuchung dringend angezeigt ist. Die Annahme einer über mehrere Monate andauernden „Volksbeschallung“ durch in der Produktionshalle versteckte Lautsprecher, die sich jedoch nicht auffinden lassen und Lautsprecher auf mehreren 100 Metern entfernten Masten/Türmen, die nach den vorgelegten Bildern das Aussehen von Mobilfunkanlagen haben und angesichts der Entfernung zu der Produktionshalle Geräusche in einer Lautstärke absondern müssten, die zu einer erheblichen Störung der öffentlichen Ordnung in großen Teilen der Gemeinde B führen würden, stellt ein Verhalten dar, dass aus der Sicht eines verständig denken Arbeitgebers massiv Anlass gibt, an dem Geisteszustand des Klägers Zweifel zu haben.

76

Aufgrund dieses Verhaltens kann die Beklagte auch zu Recht davon ausgehen, der Kläger stelle permanent eine Gefahr für sich (möglicher Absturz vom Vordach nach Hinauffahren mit dem Gabelstapler) und die Kollegen (zumindest fahrlässig verursachte Verletzungen) dar. Weiter ist das Verhalten des Klägers geeignet, den Produktionsablauf nachhaltig zu stören. Es liegt auf der Hand, dass durch Herbeirufen der Polizei aber erst Recht durch aktives Handeln des Klägers, das der Beseitigung der Geräuschquellen dient, die Produktionsabläufe „ins Stocken“ geraten.

C.

77

Die Berufung des Klägers ist ebenfalls nur teilweise erfolgreich. Sie ist begründet, soweit er sich mittels Kündigungsschutzklage auch gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 zum 31.05.2013 wendet. Hingegen konnte die Berufung keinen Erfolg haben, soweit er Arbeitsvergütung für den Zeitraum Juni bis Dezember 2013 begehrt.

I.

78

Der streitgegenständlichen ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 02.05.2013 kommt keine Rechtswirksamkeit zu. Sie ist sozial nicht gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG.

79

1. Gründe für eine personenbedingte Kündigung in Form der krankheitsbedingten Kündigung, die eine negative Gesundheitsprognose, hierauf beruhende erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen sowie ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (BAG 30.09.2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 11), trägt die Beklagte nicht vor.

80

2. Die von ihr als darlegungs- und beweisbelastete Partei (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen auch nicht eine verhaltensbedingte Kündigung. Diese ist sozial gerechtfertigt, wenn eine erhebliche – regelmäßig schuldhafte – Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegt, die Auswirkungen auf die zukünftige Abwicklung des Arbeitverhältnisses hat, der Kündigung – sofern nicht ausnahmsweise entbehrlich – eine einschlägige Abmahnung vorausgegangen ist und letztendlich die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die gegenläufigen Interessen des Arbeitnehmers überwiegen (BAG 11.07.2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 20).

81

Vorliegend scheitert die auf den einmaligen Vorfall am 30.04./01.05.2013 bezogene ordentliche Kündigung – wie bereits die außerordentliche Kündigung – an einer fehlenden Abmahnung. Bezogen auf den Zeitpunkt der Kündigung war die Situation (noch) nicht derart eskaliert, dass der Beklagten aus der Sicht eines verständig denkenden Arbeitgebers als einziges Mittel zur Beseitigung der Vertragsstörung die ordentliche Kündigung verblieben ist. Den berechtigten Interessen der Beklagten am Schutz ihrer übrigen Arbeitnehmer sowie ihrem Interesse, der Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger in Form der Verhinderung einer Selbstgefährdung nachzukommen, konnte sie durch die berechtigte Weigerung, bis zu einer Klärung der gesundheitlichen Situation des Klägers die Arbeitsleistung entgegenzunehmen, Rechnung tragen.

82

Mithin kommt es auf die weitere Frage, ob der Kläger für die Geschehnisse am 30.04./01.05.2013 verantwortlich war und ob ausnahmsweise bei fehlender Verantwortlichkeit dennoch eine ordentliche Kündigung bereits nach einem einmaligen Vorfall – ohne zuvor die Ursachen desselben aufzuklären – sozial gerechtfertigt ist, nicht mehr an.

II.

83

Hingegen konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, soweit er gestützt auf § 615 BGB Verzugslohn für die Monate Juni bis Dezember 2013 abzüglich erhaltener Leistungen der Bundesagentur für Arbeit geltend macht. Auf die Ausführungen unter B. II.) wird verwiesen.

D.

84

Schlussendlich steht dem Kläger auch der im Wege der Klageerweiterung geltend gemachte Verzugslohn für die Monate Januar 2014 bis April 2015 – jeweils abzüglich der von der Bundesagentur für Arbeit und dem Jobcenter Jerichower Land erhaltenen Leistungen – nicht zu.

I.

85

Die Klageerweiterung ist im Rahmen der eingelegten Berufung gemäß § 533 ZPO zulässig. Die Kammer hält diese für sachdienlich. Die Entscheidung hierüber kann aufgrund der gemäß § 67 ArbGG zu berücksichtigenden Tatsachen ergehen.

II.

86

Der auf § 615 BGB gestützte Anspruch ist jedoch in der Sache nicht gegeben, weil jedenfalls die Beklagte berechtigt war, nach Maßgabe von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die Arbeitsleistung des Klägers auch in jenem Zeitraum abzulehnen. Auf die Ausführungen unter B. II. wird Bezug genommen.

87

Dies gilt auch für den bei Abschluss der mündlichen Verhandlung noch nicht fälligen Anspruch auf Verzugslohn für den Monat April 2015, sodass eine Abweisung der Klage insoweit als zurzeit unbegründet nicht in Betracht kam. Einer Sachentscheidung hinsichtlich dieses Monats steht auch nicht § 259 ZPO entgegen. Bei feststehender Unbegründetheit der Klage kann deren Zulässigkeit dahinstehen (BAG 06.10.2011 – 6 AZR 172/10 – Rn. 16).

E.

88

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO und entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien im ersten Rechtszug sowie im Berufungsrechtszug. Im Hinblick auf § 12a Abs. 1 ArbGG war die Kostenentscheidung getrennt nach Rechtszügen auszusprechen (vgl. BAG 04.05.2010 – 9 AZR 183/09).

F.

89

Gegen diese Entscheidung findet in weiteres Rechtsmittel nicht statt.

90

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Kammer weicht mit ihrer Entscheidung auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

91

Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.


Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Apr. 2015 - 6 Sa 95/14

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Apr. 2015 - 6 Sa 95/14

Referenzen - Gesetze

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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Apr. 2015 - 6 Sa 95/14 zitiert 20 §§.

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Ist für die von dem Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, so bedarf es des Angebots nur, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitig vornimmt. Das Gleiche gilt, wenn der Handlung ein Ereignis vorauszugehen hat und ein

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(1) Der Vorsitzende hat die streitige Verhandlung so vorzubereiten, daß sie möglichst in einem Termin zu Ende geführt werden kann. Zu diesem Zweck soll er, soweit es sachdienlich erscheint, insbesondere

1.
den Parteien die Ergänzung oder Erläuterung ihrer vorbereitenden Schriftsätze sowie die Vorlegung von Urkunden und von anderen zur Niederlegung bei Gericht geeigneten Gegenständen aufgeben, insbesondere eine Frist zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte setzen;
2.
Behörden oder Träger eines öffentlichen Amtes um Mitteilung von Urkunden oder um Erteilung amtlicher Auskünfte ersuchen;
3.
das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen;
4.
Zeugen, auf die sich eine Partei bezogen hat, und Sachverständige zur mündlichen Verhandlung laden sowie eine Anordnung nach § 378 der Zivilprozeßordnung treffen.
Von diesen Maßnahmen sind die Parteien zu benachrichtigen.

(2) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Die Parteien sind über die Folgen der Versäumung der nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 gesetzten Frist zu belehren.

(1) Im ersten Rechtszug sind die Arbeitsgerichte zuständig, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet die Berufung an die Landesarbeitsgerichte nach Maßgabe des § 64 Abs. 1 statt.

(3) Gegen die Urteile der Landesarbeitsgerichte findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 72 Abs. 1 statt.

(4) Gegen die Beschlüsse der Arbeitsgerichte und ihrer Vorsitzenden im Beschlußverfahren findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 87 statt.

(5) Gegen die Beschlüsse der Landesarbeitsgerichte im Beschlußverfahren findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe des § 92 statt.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sie ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist gilt nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen (§ 323) zum Gegenstand hat.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2, 4 und des § 520 Abs. 3 sowie des § 521 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. Oktober 2010 - 17 Sa 540/10 - teilweise aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 8. März 2010 - 1 Ca 2434/09 v - wird zurückgewiesen.

3. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

a) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Mai 2009 nicht aufgelöst worden ist.

b) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.971,69 Euro brutto abzüglich 3.688,96 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus je 3.281,68 Euro seit dem 1. Juli 2009 und dem 1. August 2009, aus 2.971,92 Euro seit dem 1. September 2009 und aus je 2.436,88 Euro seit dem 1. Oktober 2009, dem 1. November 2009, dem 1. Dezember 2009 und dem 29. Januar 2010 zu zahlen.

4. Die weitergehende Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.

5. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens haben zu 1/6 der Kläger, zu 5/6 der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Beklagten und Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Der 1948 geborene Kläger war seit Juli 1997 bei dem beklagten Verein als Ergotherapeut beschäftigt. Der Beklagte betreibt eine Fachklinik für Suchterkrankungen. In ihr werden insbesondere alkohol-, medikamenten- und drogenabhängige Patienten behandelt. Der Kläger war im Bereich der sog. Arbeits- und Kreativtherapie tätig. In deren Rahmen sollen die Patienten von Suchtmitteln entwöhnt werden. Der Kläger ist selbst „Alkoholiker“. Dies war dem Beklagten bei der Einstellung bekannt. Die Einstellung erfolgte in der Annahme, dass der Kläger „trocken“ sei.

3

Im Herbst 2006 kam es beim Kläger zu einem Rückfall. Am 20. Dezember 2006 wurde während des Dienstes bei ihm Alkoholgeruch festgestellt. Der Kläger gab an, alkoholhaltige Hustentropfen eingenommen zu haben. Ein mit seinem Einverständnis durchgeführter Test ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,76 Promille. Aufgrund dieses Umstands erteilte ihm der Beklagte am 10. Januar 2007 eine Abmahnung. Am 5. Februar 2007 wurde beim Kläger während der Arbeitszeit erneut Alkoholgeruch festgestellt. Am 13. Februar 2007 erteilte ihm der Beklagte eine weitere Abmahnung. Vom 14. März bis 24. April 2007 unterzog sich der Kläger einer stationären Entwöhnungsbehandlung. Anschließend nahm er seinen Dienst wieder auf.

4

Am 16. August 2007 wurde beim Kläger bei einer Teamsitzung abermals Alkoholgeruch festgestellt. Ein Test ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,3 Promille. Mit Schreiben vom 17. August 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Im Gütetermin am 22. Februar 2008 verständigten sich die Parteien auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und die Entfernung der Abmahnungen von Januar und Februar 2007 aus der Personalakte. Der Kläger erklärte sich bereit, sich bei Verdacht auf Alkoholkonsum während der Arbeitszeit einer Alkoholkontrolle zu unterziehen. Entsprechende Tests im März und im September 2008 blieben ohne Befund.

5

Am Vormittag des 22. Mai 2009 - zwischen 10:00 und 12:00 Uhr - stellte eine Mitarbeiterin des Beklagten wiederum Alkoholgeruch beim Kläger fest. Tests ergaben eine Atemalkoholkonzentration von 0,39 Promille und einen Blutalkoholwert von 0,42 Promille. Der Kläger gab an, morgens ab 6:00 Uhr wegen starker Halsschmerzen mehrfach 10 bis 12 Tropfen „Meditonsin“ eingenommen zu haben.

6

Mit Schreiben vom 26. Mai 2009 hörte der Beklagte die im Betrieb gebildete Mitarbeitervertretung zu seiner Absicht an, das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. Dezember 2009 zu kündigen. Die Mitarbeitervertretung stimmte der fristgerechten Kündigung zu. Mit Schreiben vom 28. Mai 2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. Dezember 2009.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, der Vorfall vom 22. Mai 2009 vermöge die Kündigungen nicht zu rechtfertigen. Es liege weder ein auf Krankheit beruhender Grund in seiner Person noch ein Grund in seinem Verhalten vor, der die Kündigung bedinge. Er habe nicht Alkohol, sondern Medizin zu sich genommen. Im Übrigen sei er selbst dann, wenn er in privatem Umfeld Alkohol konsumiert habe, als Therapeut von Suchtkranken nicht ungeeignet. Die Mitarbeitervertretung sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Sie sei über die näheren Umstände des gerichtlichen Verfahrens aus dem Jahr 2007 und über seine Bemühungen zur Verlängerung der Entwöhnungstherapie nicht ausreichend unterrichtet worden. Außerdem habe der Beklagte vor Ausspruch der Kündigung eine Eingliederungsmaßnahme versuchen müssen. Überdies sei die zum Umgang mit suchtkranken Beschäftigten abgeschlossene Dienstvereinbarung nicht beachtet worden. Der Kläger hat ferner Vergütung für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und darüber hinaus bis einschließlich Oktober 2010 geltend gemacht. Erhaltenes Arbeitslosengeld lässt er sich anrechnen.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung des Beklagten vom 28. Mai 2009 unwirksam ist;

        

2.    

für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 28. Mai 2009 den Beklagten zu verurteilen, an ihn 22.971,69 Euro brutto abzüglich 3.688,96 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus gestaffelten Beträgen ab unterschiedlichen Zeitpunkten sowie weitere 31.567,60 Euro brutto abzüglich 8.448,00 Euro netto zu zahlen.

9

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei wegen schwerwiegender Beeinträchtigung seiner betrieblichen Interessen gerechtfertigt. Aufgrund des Rückfalls sei es ihm unmöglich, den Kläger weiter als Therapeuten von Suchtpatienten einzusetzen. Diese könnten auf untrügliche Art feststellen, dass er rückfällig geworden sei. Dieser Umstand gefährde die Therapie. Einer Maßnahme nach § 84 Abs. 2 SGB IX habe es nicht bedurft. Der Kläger weise keine dort vorausgesetzten längeren Fehlzeiten auf. Die Vorgaben der - zwischenzeitlich gekündigten - Dienstvereinbarung seien eingehalten worden. Die Mitarbeitervertretung habe er ordnungsgemäß unterrichtet. Ihr seien die Umstände des früheren Verfahrens bekannt gewesen.

10

Das Arbeitsgericht hat auf die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erkannt und den Beklagten zur Gehaltszahlung bis zum 31. Dezember 2009 verurteilt. Soweit sie sich gegen die ordentliche Kündigung richtet, hat es die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat es die Unwirksamkeit auch der ordentlichen Kündigung festgestellt und dem weitergehenden Zahlungsantrag des Klägers stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers stattgegeben hat. Im Übrigen ist sie weitgehend unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung als unwirksam erachtet (I.). Die ordentliche Kündigung ist dagegen wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Dezember 2009 aufgelöst (II.). Bis dahin kann der Kläger Vergütungszahlung verlangen; allerdings hat schon das Arbeitsgericht ihm zuviel Zinsen zugesprochen. Weitergehende Vergütungsansprüche stehen dem Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu (III.).

12

I. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich dagegen richtet, dass das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung für unwirksam gehalten hat. Die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28. Mai 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ( BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, NZA-RR 2012, 567; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ).

14

2. An eine Kündigung, die auf ein Verhalten des Arbeitnehmers gestützt wird, das im Zusammenhang mit einer Alkoholsucht steht, sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie an krankheitsbedingte Kündigungen zu stellen (BAG 9. April 1987 - 2 AZR 210/86 - zu B II der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 18). Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit; verstößt ein Arbeitnehmer infolge seiner Abhängigkeit gegen arbeitsvertragliche Pflichten, ist ihm zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen (BAG 9. April 1987 - 2 AZR 210/86 - zu B II 2 der Gründe, aaO). Krankheit ist zwar nicht generell ungeeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Schon an eine ordentliche Kündigung wegen Erkrankung des Arbeitnehmers ist jedoch ein strenger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen (BAG 16. September 1999 - 2 AZR 123/99 - zu II 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 159 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 2; 9. Juli 1998 - 2 AZR 201/98 - zu II 1 c der Gründe, EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 1).

15

3. Danach ist die fristlose Kündigung hier weder aus Gründen im Verhalten noch aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

16

a) Ein vorwerfbarer Pflichtverstoß liegt nicht vor. Zwar verletzt der Kläger, wenn er unter Alkoholeinfluss seine Tätigkeit ausübt, seine arbeitsvertraglichen Hauptpflichten. Die therapeutische Arbeit in der Entwöhnungsbehandlung von Suchterkrankten erlaubt es nicht, dass der Therapeut selbst unter Alkoholeinfluss steht. Die Vermittlung eines Bewusstseins dafür, die Sucht beherrschen zu können, würde erheblich erschwert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zustand einer - merklichen - Alkoholisierung durch den Konsum alkoholhaltiger Getränke oder die Einnahme alkoholhaltiger Medikamente herbeigeführt wurde. Dem Vorliegen einer Pflichtverletzung steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte den Kläger in Kenntnis von dessen Alkoholabhängigkeit eingestellt hat. Die Einstellung erfolgte in der Annahme, dass er „trocken“, also in der Lage sei, stabil abstinent zu leben. Aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit kann dem Kläger aber kein Schuldvorwurf gemacht werden.

17

b) Die fristlose Kündigung ist auch als krankheitsbedingte Kündigung nicht wirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Es sind keine Tatsachen festgestellt, aufgrund derer es dem Beklagten unzumutbar gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Dezember 2009 fortzusetzen.

18

aa) Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses war für den Beklagten nicht ausgeschlossen, eine fristgerechte Beendigung des Arbeitsverhältnisses also grundsätzlich möglich.

19

bb) Die Kündigungsfrist betrug gemäß § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien iVm. § 33 Abs. 1 BAT-KF sieben Monate zum Monatsende. Sie war damit zwar nicht unbeträchtlich. Angesichts der Umstände des Streitfalls war dem Beklagten aber die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zu ihrem Ablauf zumutbar. Zum einen war dem Beklagten von Beginn an bekannt, dass der Kläger Alkoholiker ist und damit das Risiko eines Rückfalls bestand. Zum anderen war der Kläger bereits Ende des Jahres 2006 rückfällig geworden, ohne dass dies seiner Weiterbeschäftigung ab sofort entgegengestanden hätte. Der Beklagte beließ es vielmehr zunächst bei Abmahnungen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Alkoholauffälligkeiten des Klägers auch nach seinem Rückfall vereinzelt geblieben sind. Der Kläger war überdies nach der Entwöhnungsbehandlung im Jahr 2007 zunächst für etwa vier Monate, zuletzt für anderthalb Jahre unauffällig. Damit war es dem Beklagten zuzumuten, den Kläger für die begrenzte Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen und solange ggf. etwas häufigere Kontrollen durchzuführen.

20

II. Die Revision ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht auch die fristgerechte Kündigung für unwirksam gehalten hat.

21

1. Die ordentliche Kündigung vom 28. Mai 2009 ist durch Gründe in der Person des Klägers bedingt und deshalb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

22

a) Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel - etwa eine Versetzung - nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (vgl. zu den Anforderungen an krankheitsbedingte Kündigungen BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 18, EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 55).

23

b) Im Streitfall war im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme gerechtfertigt, der Kläger biete aufgrund seiner Alkoholsucht nicht mehr die Gewähr, seine Tätigkeit als Ergotherapeut in der Suchtklinik des Beklagten auf Dauer ordnungsgemäß erbringen zu können.

24

aa) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, der Kläger sei nach Einnahme von Alkohol für die von ihm zu erbringende Tätigkeit als Therapeut von Suchtkranken nicht einsetzbar. Als Ergotherapeut arbeitet er eng mit den Patienten zusammen. Es besteht die Gefahr, dass diese in ihrem eigenen Kampf gegen die Sucht erheblich beeinträchtigt werden, wenn sie bemerken, dass ihr Therapeut unter Alkoholeinfluss steht.

25

bb) Aufgrund der Vorfälle in der Vergangenheit war im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, beim Kläger sei auch künftig mit Alkoholauffälligkeiten während der Arbeitszeit zu rechnen.

26

(1) Eine Alkoholisierung war beim Kläger erstmals am 20. Dezember 2006 und am 5. Februar 2007 festgestellt geworden. Obwohl er sich im Zeitraum vom 14. März bis 24. April 2007 einer stationären Entwöhnungsbehandlung unterzogen hatte, wurde er am 16. August 2007 erneut alkoholauffällig. Zwar hat der Beklagte die wegen der ersten beiden Auffälligkeiten erteilten Abmahnungen aus der Personalakte entfernt und an der auf den Vorfall vom August 2007 gestützten Kündigung nicht festgehalten. Die zugrunde liegenden Tatsachen bleiben aber berücksichtigungsfähig. Am 22. Mai 2009 versah der Kläger abermals unter Alkoholeinfluss seinen Dienst.

27

(2) Dies rechtfertigte die Prognose, der Kläger habe seine Alkoholkrankheit auch nach der Entwöhnungsbehandlung nicht verlässlich unter Kontrolle. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass zwischen den beiden nach der Behandlung festgestellten Alkoholisierungen ein Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahren lag. Er zeigt gerade, dass trotz der längeren „trockenen“ Periode eine günstige Prognose nicht gestellt werden konnte.

28

(3) Nach dem Vorbringen des Klägers ist nicht ersichtlich, warum für die Zukunft gleichwohl mit weiteren Beeinträchtigungen durch seine Alkoholabhängigkeit nicht zu rechnen gewesen sei. Er hat nicht etwa behauptet, dass er vor Ausspruch der Kündigung eine neuerliche, nunmehr möglicherweise erfolgreichere Entwöhnungsbehandlung durchgeführt habe. Unerheblich ist, ob die festgestellten Alkoholisierungen Folge der Einnahme alkoholhaltiger Medikamente oder alkoholhaltiger Getränke waren. Die Tätigkeit eines Therapeuten von Suchtkranken wird durch Alkoholauffälligkeiten während des Dienstes unabhängig davon beeinträchtigt, in welcher Form er den Alkohol zu sich genommen hat.

29

c) Aus dem Umstand, dass eine auf Dauer ordnungsgemäße Leistung des Klägers nicht zu erwarten war, folgt eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen.

30

aa) Der Beklagte musste befürchten, dass bei auch zukünftig zu erwartenden Alkoholauffälligkeiten des Klägers die sachgerechte Behandlung der Patienten beeinträchtigt und ein Therapieerfolg gefährdet würde. Schon eine solche Gefährdung ist für den Beklagten nicht hinnehmbar. Er hat gegenüber Patienten und Leistungsträgern die Pflicht, schädliche Einflüsse auf den Behandlungserfolg möglichst auszuschließen.

31

bb) Eine andere Möglichkeit, den Kläger zu beschäftigen, bestand nach dem Vorbringen des Beklagten nicht. Auch der Kläger hat sich auf eine solche Möglichkeit - etwa eines Einsatzes bei anderen als suchtkranken Patienten oder mit anderen als therapeutischen Tätigkeiten - nicht berufen. Den Beklagten trifft insoweit nicht deshalb eine erhöhte Darlegungslast, weil er vor der Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt hat. Diese Verpflichtung, deren Missachtung zu einer Erweiterung der Darlegungslast des Arbeitgebers hinsichtlich des Fehlens anderer Einsatzmöglichkeiten führen kann (vgl. dazu BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 44, BAGE 123, 234), betrifft nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Diese Voraussetzung lag im Streitfall nicht vor.

32

d) Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass die Belange des Beklagten überwiegen. Die mit der nicht beherrschten Alkoholabhängigkeit des Klägers einhergehenden Belastungen muss der Beklagte auf Dauer nicht hinnehmen.

33

aa) Hierbei kommt es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht entscheidend darauf an, dass mit erheblichen Ausfallzeiten des Klägers nicht zu rechnen war. Die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt nicht aus der Dauer der zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers. Sie folgt daraus, dass wegen der beim Kläger auch künftig nicht auszuschließenden Alkoholauffälligkeiten während der Arbeitszeit eine sachgerechte Behandlung der Patienten nicht gewährleistet war. Selbst wenn der Kläger in einem anderen Umfeld auch unter Alkoholeinfluss ergotherapeutische Maßnahmen fachgerecht mag anleiten können, steht seiner weiteren Beschäftigung als Therapeut suchtkranker Patienten die von ihm nicht beherrschte Gefahr neuerlicher Alkoholauffälligkeiten während der Arbeitszeit entgegen.

34

bb) Das betriebliche Interesse des Beklagten, die ihm anvertrauten Suchtkranken nicht in die Behandlung eines Therapeuten zu geben, bei dem die Gefahr besteht, dass er während seiner Arbeit unter Alkoholeinfluss steht, wiegt schwer. Die Beschäftigung persönlich geeigneter Therapeuten liegt nicht nur im unmittelbaren unternehmerischen Interesse des Beklagten. Vielmehr verlangt auch die Verantwortung für die sachgerechte Behandlung der Patienten danach, mit dieser keine persönlich ungeeigneten Therapeuten zu betrauen.

35

cc) Es war dem Beklagten nicht zumutbar, der Gefahr einer Alkoholisierung des Klägers dauerhaft durch verstärkte Kontrollen zu begegnen. Eine effektive Kontrolle hätte stattzufinden, bevor es zu einem Kontakt mit den Patienten kommt. Sie vorzunehmen ist auf Dauer kaum möglich, dem Beklagten jedenfalls nicht zumutbar. Der Kläger war rückfälliger Alkoholiker. Es war davon auszugehen, dass er es darauf anlegen würde, Mittel und Wege zu finden, etwaige Kontrollen zu umgehen.

36

dd) Die Belange der Beklagten werden durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit von zwölf Jahren und das Alter des Klägers von über 60 Jahren nicht aufgewogen. Der Beklagte hat dem Kläger nach Alkoholauffälligkeiten im Dienst mehrfach die Chance einer Bewährung gegeben. Er hat die stationäre Entwöhnungsbehandlung im Jahr 2007 abgewartet (vgl. zu diesem für die Interessenabwägung relevanten Gesichtspunkt BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96) und auch nach einer erneuten Alkoholauffälligkeit im August 2007 an einer Kündigung nicht festgehalten. Er hat damit alles ihm Zumutbare für einen Erhalt des Arbeitsverhältnisses getan. Jedenfalls nach dem erneuten Vorfall im Mai 2009 überwogen seine Interessen an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

37

ee) Ein anderes Ergebnis wäre auch dann nicht gerechtfertigt, wenn - wie der Kläger geltend gemacht hat - die Entwöhnungsbehandlung im Jahr 2007 medizinisch nicht ausreichend gewesen wäre, der Versicherungsträger aber eine Verlängerung abgelehnt hätte. Das Scheitern der Behandlung wäre jedenfalls nicht dem Beklagten zuzurechnen. Der Kläger hat nicht etwa behauptet, dieser habe ihn zu einer unzureichenden oder zu kurzen Therapie gedrängt oder ihm eine längere Therapie verweigert.

38

2. Die Kündigung ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte gegen die „Dienstvereinbarung gemäß § 36 MVG zum Umgang mit Sucht“ vom 1. Januar 2004 verstoßen hätte.

39

a) Die Dienstvereinbarung sieht unter den Ziff. 3.1 bis 3.5 ein näher bestimmtes Verfahren für den Umgang mit Beschäftigten mit Suchtproblemen vor. § 36 Abs. 3 des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland(MVG-EKD) bestimmt, dass Dienstvereinbarungen unmittelbar gelten und im Einzelfall nicht abbedungen werden können.

40

b) Feststellungen zur Anwendbarkeit kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen. Einer Aufklärung bedarf es nicht. Selbst wenn unterstellt wird, dass § 36 Abs. 3 MVG-EKD Anwendung findet und danach die Einhaltung des in der Dienstvereinbarung vorgesehenen Verfahrens Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit eines Mitarbeiters ist, ist die Kündigung nicht unwirksam. Das Verfahren nach der Dienstvereinbarung wurde eingehalten.

41

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es genüge nicht, dass die in der Dienstvereinbarung vorgesehenen Maßnahmen - Gespräche und Abmahnungen - vor Ausspruch der Kündigung im Jahr 2007 ergriffen worden seien, wenn es danach - wie im Streitfall - zu einer längeren beanstandungsfreien Tätigkeit gekommen sei.

42

bb) Diese Auffassung überzeugt nicht. Die Auslegung der Dienstvereinbarung führt - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht dazu, dass der Beklagte nach der zwischenzeitlich beanstandungsfreien Ausübung der Tätigkeit des Klägers die einzelnen Reaktionsschritte erneut hätte durchführen müssen.

43

(1) Hat die Dienstvereinbarung, wie der Kläger meint, normativen Charakter, ist sie - ebenso wie Betriebsvereinbarungen - wie ein Gesetz auszulegen. Auszugehen ist dementsprechend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner der Sinn und der Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG 10. Februar 2009 - 1 AZR 767/07 - Rn. 27, BAGE 129, 302; 26. August 2008 - 1 AZR 346/07 - Rn. 21, EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 28).

44

(2) Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Regelungen der Dienstvereinbarung ergeben, dass das dem Ausspruch einer Kündigung vorgeschaltete gestufte Interventionsverfahren jedenfalls nicht schon nach weniger als zwei Jahren Abstinenz erneut Anwendung finden muss. Dies entspricht dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung. Das unter Ziff. 3 der Dienstvereinbarung geregelte Verfahren abgestufter Reaktionen auf jede weitere Suchtauffälligkeit eines Arbeitnehmers ist ersichtlich auf einen Erhalt des Arbeitsverhältnisses gerichtet. Es nimmt dafür einen längeren Interventionszeitraum in Kauf, sieht jedoch als letzte Maßnahme auch eine Kündigung und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Nicht vorgesehen ist, dass das Verfahren bei einem längeren Abstand zwischen zwei suchtbedingten Auffälligkeiten erneut und von vorne zu beginnen hätte. Unter Ziff. 5 der Dienstvereinbarung ist zwar bestimmt, dass abstinent lebende Suchtkranke nach zwei Jahren Anspruch darauf haben, Hinweise auf die Abhängigkeit aus der Personalakte zu entfernen. Dies lässt aber erkennen, dass eine Zeit der Abstinenz von weniger als zwei Jahren nach dem Willen der Regelungsgeber noch keine erhebliche Zäsur darstellt.

45

(3) Danach bedurfte es vor Ausspruch der Kündigung im Mai 2009 keiner neuerlichen Durchführung des in der Dienstvereinbarung vorgesehenen Verfahrens bei suchtauffälligen Arbeitnehmern. Seine Einhaltung vor Ausspruch der Kündigung im Jahr 2007 war ausreichend. Bei der Alkoholabhängigkeit des Klägers, die sowohl zur Kündigung im Jahr 2007 als auch zur hier streitgegenständlichen Kündigung führte, handelte es sich um eine im Sinne der Dienstvereinbarung einheitliche Suchtproblematik. Zwischen der Arbeitstätigkeit des Klägers unter Alkoholeinfluss am 16. August 2007 und der Alkoholauffälligkeit am 22. Mai 2009 lag ein Zeitraum von weniger als zwei Jahren. Beanstandungsfrei tätig war der Kläger von der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am 3. März 2008 bis zum Vorfall am 22. Mai 2009 sogar nur knapp 15 Monate.

46

(4) Auch aus dem Umstand, dass der Beklagte die zuvor erteilten Abmahnungen aus der Personalakte entfernt und an der ersten Kündigung nicht festgehalten hat, folgt nicht, dass das Verfahren nach der Dienstvereinbarung in den Stand vor Ausspruch der Abmahnungen zurückversetzt worden wäre. Der Beklagte war nicht gehalten, wegen der erneuten Alkoholauffälligkeit des Klägers wiederum zunächst nur eine Abmahnung auszusprechen. Die freiwillige Entfernung der schon erteilten Abmahnungen aus der Personalakte änderte nichts daran, dass diese im Sinne der Dienstvereinbarung wegen Suchtauffälligkeiten ausgesprochen worden waren. Dass auch die Parteien trotz ihrer Einigung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht davon ausgingen, Belastungen durch die Suchtauffälligkeiten des Klägers seien überwunden, zeigt sich daran, dass sich der Kläger bereit erklärte, sich bei einem Verdacht auf Alkoholkonsum während der Arbeitszeit einer Kontrolle zu unterziehen.

47

3. Die ordentliche Kündigung vom 28. Mai 2009 ist - unterstellt, auch das „Kirchengesetz über die Bildung von Mitarbeitervertretungen in kirchlichen Dienststellen in der Evangelischen Kirche im Rheinland (MVG-EKiR)“ komme zur Anwendung - nicht wegen fehlerhafter Anhörung der Mitarbeitervertretung unwirksam.

48

a) Gemäß § 42 Buchst. b MVG-EKiR hat die Mitarbeitervertretung bei einer ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht nach §§ 41, 38 MVG-EKiR. Die Ausübung des Mitbestimmungsrechts setzt voraus, dass die Vertretung zuvor von der Dienststellenleitung über alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte informiert worden ist. Auch wenn sich die Unwirksamkeitssanktion nach § 38 Abs. 1 Satz 2 MVG-EKiR ausdrücklich nur auf Kündigungen ohne Beteiligung der Mitarbeitervertretung bezieht, ist sie im Interesse der Möglichkeit einer effektiven Ausübung des Mitbestimmungsrechts - vergleichbar der Situation nach § 102 Abs. 1 BetrVG - auf den Fall der unzureichenden Unterrichtung zu erstrecken(so auch Andelewski in Berliner Kommentar zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland § 38 Rn. 74; vgl. ferner Fey/Rehren Kirchengesetz der Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland Stand August 2012 § 38 Rn. 42 f.).

49

b) Der Beklagte hat die Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 26. Mai 2009 ausreichend über die Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterrichtet. In dem Schreiben wurde auch auf die bereits 2007 ausgesprochene Kündigung und das im Zusammenhang mit ihr durchgeführte arbeitsgerichtliche Verfahren verwiesen. Damit hat der Beklagte die eine Kündigung aus seiner Sicht bedingenden Umstände hinreichend mitgeteilt. Ergänzender Hinweise auf die Umstände, unter denen das damalige Kündigungsschutzverfahren beendet wurde, bedurfte es nicht. Hierauf kam es aus Sicht des Beklagten für seinen Kündigungsentschluss nicht an. Die Anhörung ist auch nicht deshalb unvollständig, weil der Beklagte der Mitarbeitervertretung nicht den Schriftwechsel über den Versuch des Klägers vorgelegt hat, bei der Deutschen Rentenversicherung eine Verlängerung seiner sechswöchigen Entwöhnungsbehandlung zu erlangen. Für den Kündigungsentschluss des Beklagten war dieser vergeblich gebliebene Versuch ohne Belang. Es handelte sich auch nicht um einen der Mitarbeitervertretung mitzuteilenden entlastenden Umstand. Bei einer personenbedingten Kündigung kommt es nicht darauf an, ob und ggf. in welchem Maße die Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer vorwerfbar sind. Es kommt damit auch nicht darauf an, ob und ggf. welche „entlastenden“ Umstände es gibt. Maßgeblich ist, ob und in welchem Ausmaß auch künftig mit Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist, welche Beeinträchtigungen für den Arbeitgeber daraus folgen und ob diese ggf. so erheblich sind, dass sie die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen.

50

III. Die Revision ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht den Beklagten zur Zahlung von Vergütung für Zeiten nach Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Dezember 2009 und von Zinsen auf die vollen Bruttobeträge der Vergütungen bis zu diesem Zeitpunkt verurteilt hat. Der Kläger hat dagegen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung - abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes - für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2009 aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG und § 615 Satz 1 BGB, § 11 Nr. 3 KSchG.

51

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand bis zum 31. Dezember 2009 fort. Soweit der Kläger arbeitsunfähig krank war - nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vom 22. Mai bis zum 4. Juni 2009 - folgt der Vergütungsanspruch aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Im Übrigen ergibt er sich aus § 615 Satz 1 BGB, § 11 Nr. 3 KSchG. Der Beklagte befand sich nach Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 22. Mai 2009 im Annahmeverzug iSd. §§ 293 ff. BGB. Der Anspruch des Klägers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er über die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit hinaus leistungsunfähig gewesen wäre (§ 297 BGB). Ein Arbeitnehmer ist leistungsunfähig iSv. § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten selbst teilweise nicht mehr verrichten kann(BAG 18. März 2009 - 5 AZR 192/08 - Rn. 13, BAGE 130, 29).Dies war auch nach dem Vorbringen des Beklagten beim Kläger nicht der Fall. Die bloße Gefahr neuerlicher Alkoholauffälligkeiten während der Arbeitszeit ließ sein Leistungsvermögen nicht generell entfallen. Der Beklagte hat nicht behauptet, es habe insoweit etwa ein - eindeutiges (vgl. dazu BAG 18. März 2009 - 5 AZR 192/08 - Rn. 15, aaO) - Beschäftigungsverbot bestanden.

52

2. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Er besteht allerdings nicht in der vom Kläger geltend gemachten und ihm von den Vorinstanzen zugesprochenen, auf die vollen Bruttobeträge abstellenden Höhe. Der Kläger kann im Umfang des von ihm ab August 2009 bezogenen Arbeitslosengeldes keine Zinsen verlangen (vgl. BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 391/01 - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 101, 328).

53

IV. Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens waren im Verhältnis von jeweiligem Obsiegen und Unterliegen der Parteien zu teilen (§ 97 Abs. 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei einem Streitwert von 30.768,60 Euro in der Berufungs- und 29.127,77 Euro in der Revisionsinstanz - wegen § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG war der mit einem uneigentlichen Hilfsantrag verfolgte Zahlungsanspruch für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 nicht anzusetzen - ist der Kläger mit seinem gegen die ordentliche Kündigung gerichteten Antrag, dh. im Umfang eines Streitwerts von 4.922,52 Euro unterlegen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen

1.
zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2.
fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3.
acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4.
zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5.
zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6.
15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7.
20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,

1.
wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
2.
wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

Ist für die von dem Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, so bedarf es des Angebots nur, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitig vornimmt. Das Gleiche gilt, wenn der Handlung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Handlung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 8. Juni 2011 - 4 Sa 252/10 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 4. März 2010 - 4 Ca 8208/09 - in den Ziffern 3. und 4. abgeändert und insoweit die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 93/100 und die Beklagte 7/100 zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Monat Oktober 2009.

2

Der 1959 geborene Kläger war seit Juni 1991 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt und bezog zuletzt ein Bruttomonatsentgelt iHv. 2.200,00 Euro.

3

Der vormalige, zwischenzeitlich einem Krebsleiden erlegene Inhaber der Beklagten suchte den damals arbeitsunfähigen Kläger am 27. Juni 2009 zuhause auf und übergab ihm ein auf den 30. Juni 2009 vordatiertes Schreiben, das lautet:

        

„K Ü N D I G U N G

        

Sehr geehrter Herr Sch,

        

hiermit kündigen wir Ihnen fristgemäß zum 30.09.09.

        

Die Kündigung erfolgt aus betriebsbedingten Gründen.

        

Mit freundlichen Grüßen

        

D S“   

4

Vom Kläger, der eine außerordentliche Kündigung vermeiden wollte, darauf angesprochen, versicherte Herr S, er habe dies geprüft. Die ordnungsgemäße Frist zum 30. September 2009 sei wie das Wort „fristgemäß“ ausdrücklich im Kündigungsschreiben enthalten. Der Kläger zeichnete das Kündigungsschreiben gegen und wurde von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt.

5

Zum 1. November 2009 ging der Kläger ein neues Arbeitsverhältnis ein, in dem er 1.800,00 Euro brutto monatlich verdiente.

6

Mit einem per Telefax am 27. Oktober 2009 eingereichten und der Beklagten am 31. Oktober 2009 zugestellten Schriftsatz hat der Kläger zunächst Kündigungsschutzklage erhoben, mit der er die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht hat. Außerdem hat er einen allgemeinen Feststellungsantrag anhängig gemacht und ein Zeugnis sowie - für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag - Weiterbeschäftigung begehrt. Darüber hinaus hat er „vorsorglich Wiedereinsetzung“ beantragt und dazu unter Beweisantritt vorgetragen, er sei im Anschluss an die Übergabe des Kündigungsschreibens schwer erkrankt und weder prozess- noch geschäftsfähig gewesen. Erst am 26. Oktober 2009 sei er wieder soweit hergestellt gewesen, dass er erkannte, der Beklagten müsse bei der Kündigungsfrist offenbar ein Irrtum unterlaufen sein.

7

Nach der Güteverhandlung hat der Kläger erklärt, es sei ihm - auch wenn Wiedereinsetzungsgründe vorlägen - nur noch an der Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und dem Erhalt der entsprechenden Vergütung gelegen. Er sei im Oktober 2009 arbeitslos gewesen, habe aber wegen fehlender Arbeitsbescheinigung kein Arbeitslosengeld erhalten.

8

Der Kläger hat erstinstanzlich - unter Klagerücknahme im Übrigen - zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.760,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.200,00 Euro seit dem 1. November 2009, weiteren 160,00 Euro seit dem 1. Dezember 2009 und weiteren 400,00 Euro seit dem 1. Januar 2010 zu zahlen;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses eine Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III auszustellen und zuzusenden.

9

Die Beklagte hat wegen eines Betrags von 2.200,00 Euro brutto Klageabweisung beantragt und im Übrigen die Anträge anerkannt. Sie hat zunächst geltend gemacht, im Monat Oktober 2009 nicht im Annahmeverzug gewesen zu sein. Der Kläger habe erstmals mit der Zustellung der Kündigungsschutzklage seine Arbeitsleistung angeboten und zuvor das Arbeitsverhältnis für beendet gehalten. In der Revisionsinstanz hat die Beklagte sich darauf berufen, die Kündigung sei nach § 7 KSchG zum 30. September 2009 wirksam geworden und habe das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt beendet.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Teilanerkenntnis- und Schlussurteil stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Monat Oktober 2009 beschränkte Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klage ist, soweit sie in der Revisionsinstanz anhängig geworden ist, unbegründet. Der Kläger hat für den Monat Oktober 2009 keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gemäß § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB.

12

I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat durch die Kündigung der Beklagten nicht zum 30. September 2009, sondern erst zum 31. Dezember 2009 geendet. Davon geht das Landesarbeitsgericht mit der Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts im Ergebnis zutreffend aus.

13

1. Die ordentliche, auf den 30. Juni 2009 vordatierte und zum 30. September 2009 ausgesprochene Kündigung der Beklagten hat die gesetzliche - verlängerte - Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gewahrt. Ohne dass es auf den wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht mehr anwendbaren § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB(vgl. EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 43, Slg. 2010, I-365; BAG 1. September 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 18 mwN, BAGE 135, 255) ankäme, hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt der Kündigung mehr als 15 Jahre bestanden. Die Kündigungsfrist beträgt somit nach § 622 Abs. 2 Nr. 6 BGB sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats. Das Arbeitsverhältnis konnte deshalb durch eine am 27. Juni 2009 übergebene ordentliche Kündigung erst zum 31. Dezember 2009 beendet werden.

14

2. Die Kündigung der Beklagten ist nicht nach § 7 KSchG zum 30. September 2009 wirksam geworden.

15

Ob bei einer ordentlichen Kündigung die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden muss, hängt davon ab, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zur Unwirksamkeit der Kündigungserklärung führt. Das ist der Fall, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt. Bedürfte die Kündigung der Umdeutung in ein anderes Rechtsgeschäft, nämlich in eine Kündigung mit zulässiger Frist, gilt die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis zum „falschen Termin“, wenn die zu kurze Kündigungsfrist nicht als anderer Rechtsunwirksamkeitsgrund binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege(§ 4 Satz 1, § 6 KSchG) geltend gemacht worden ist (BAG 1. September 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 20, BAGE 135, 255; vgl. auch APS/Linck 4. Aufl. § 622 BGB Rn. 66 ff.; ErfK/Kiel 13. Aufl. § 4 KSchG Rn. 5; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 6 KSchG Rn. 18 ff.; KR/Rost 10. Aufl. § 7 KSchG Rn. 3b und KR/Friedrich 10. Aufl. § 13 KSchG Rn. 289; Schwarze Anm. zu BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 71, jeweils mwN zum Streitstand im Schrifttum). Insoweit besteht entgegen der Auffassung des Klägers keine Divergenz zwischen dem Fünften und dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 714/08 - Rn. 12, BAGE 135, 278).

16

3. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat allerdings in der Vergangenheit angenommen, die Auslegbarkeit einer ordentlichen Kündigung mit fehlerhafter Kündigungsfrist als solche zum richtigen Kündigungstermin sei der Regelfall. Denn der Empfänger der Kündigungserklärung dürfe sich nicht einfach auf den wörtlichen Sinn der Erklärung verlassen, sondern müsse seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein können, danach trachten, das Gemeinte zu erkennen. Bei einer ordentlichen Kündigung sei für den Kündigungsadressaten erkennbar, dass der Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren wolle, weil er aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden sei (BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 25 ff., BAGE 116, 336; dem folgend: BAG 9. Februar 2006 - 6 AZR 283/05 - Rn. 32, BAGE 117, 68; ausdrücklich offengelassen: BAG 21. August 2008 - 8 AZR 201/07 - Rn. 31; nicht entscheidungserheblich: BAG 9. September 2010 - 2 AZR 714/08 - Rn. 13, BAGE 135, 278). Einer solchen Auslegungsregel fehlt die hinreichende Tatsachenbasis. Ob Arbeitgeber tatsächlich stets - und für die Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger erkennbar - die objektive einzuhaltende Kündigungsfrist wahren wollen, ist bislang empirisch unerforscht geblieben. Zudem ist eine Kündigung zum 30. September ein anderes Rechtsgeschäft als eine solche zum 31. Dezember. Das Risiko, einen ausdrücklich genannten Kündigungstermin rechtlich zutreffend bestimmt zu haben, darf nicht auf den Empfänger der Kündigungserklärung abgewälzt werden (zutr. Schwarze Anm. zu BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 71; vgl. auch vHH/L/Linck 15. Aufl. § 4 KSchG Rn. 22a).

17

4. Ob eine ordentliche Kündigung mit objektiv fehlerhafter Kündigungsfrist im Regelfall als eine solche mit rechtlich zutreffender Kündigungsfrist ausgelegt werden kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung des Senats. Im Streitfall kann die Kündigung der Beklagten nach ihrem Inhalt und den festgestellten Begleitumständen als eine solche zum 31. Dezember 2009 ausgelegt werden.

18

a) Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigungserklärung der Beklagten nicht ausgelegt, sondern ist durch Bezugnahme auf das Urteil des Arbeitsgerichts ohne nähere Begründung der Auslegungsregel des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, obwohl es in der Berufungsverhandlung zur Erläuterung seines Vergleichsvorschlags noch auf - vermeintlich - „unterschiedliche Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts“ hingewiesen hatte. Die Auslegung der atypischen Willenserklärung kann der Senat aber selbst vornehmen, weil der erforderliche Sachverhalt vollständig festgestellt und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (st. Rspr., vgl. nur BAG 1. September 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 24 mwN, BAGE 135, 225).

19

b) Gegen eine Auslegung als Kündigung zum 31. Dezember 2009 spricht, dass die Kündigungserklärung ausdrücklich das Datum 30. September 2009 enthält. Damit hat die Beklagte den Wirkungszeitpunkt ihrer Willenserklärung bestimmt und grundsätzlich das Risiko der rechtlichen Zulässigkeit des Termins übernommen. Das Datum relativiert sich aber durch den Zusatz „fristgemäß zum“. Damit lässt die Kündigungserklärung erkennen, dass die Beklagte auch Wert darauf legte, die maßgebliche Kündigungsfrist einzuhalten (insoweit aA Schwarze Anm. zu BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 71). Ob es der Beklagten entscheidend auf das Datum oder die Einhaltung der „richtigen“ Kündigungsfrist angekommen ist, erschließt sich aus den vom Landesarbeitsgericht durch Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung festgestellten, außerhalb der Kündigungserklärung liegenden Begleitumständen. Diese bieten hinreichende Anhaltspunkte dafür, die Beklagte habe die Kündigung (auch) zu einem anderen Termin gewollt als (nur) zu dem im Kündigungsschreiben festgehaltenen Datum. Denn bei der Übergabe des Kündigungsschreibens wurde dem Kläger auf sein Begehr, keine außerordentliche Kündigung zu erhalten, von dem damaligen Inhaber der Beklagten versichert, er habe dies geprüft, die ordnungsgemäße Frist sei im Kündigungsschreiben benannt. Daraus ist - für den Kläger erkennbar - deutlich geworden, dass es der Beklagten wesentlich um die Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist ging und sich das in das Kündigungsschreiben aufgenommene Datum lediglich als das Ergebnis einer fehlerhaften Berechnung der zutreffenden Kündigungsfrist erweist.

20

c) Einer Auslegung der Kündigungserklärung als Kündigung zum 31. Dezember 2009 steht das Bestimmtheitsgebot nicht entgegen. Danach muss sich aus der Kündigungserklärung ergeben, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis beendet werden soll (BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 24, BAGE 116, 336), ohne dass der Arbeitnehmer darüber rätseln muss, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung genannten Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte (BAG 1. September 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 27, BAGE 135, 225). Dem genügt die Kündigung der Beklagten. Sie enthält nicht nur ein bestimmtes Datum, sondern den Zusatz „fristgemäß zum“. Nachdem zwischen den Parteien außer Streit steht, dass für ihr Arbeitsverhältnis keine anderen als die gesetzlichen Kündigungsfristen gelten, kann der Kläger anhand von § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB in einem einfachen Rechenschritt die maßgebliche Kündigungsfrist selbst berechnen, ohne dass er von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB in die Irre geführt werden könnte.

21

II. Die Beklagte befand sich im Monat Oktober 2009 nicht im Annahmeverzug.

22

1. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Streiten die Parteien über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, genügt gemäß § 295 BGB ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber mit der Berufung auf das Ende des Arbeitsverhältnisses erklärt, er werde keine weitere Arbeitsleistung mehr annehmen. Dieses wörtliche Angebot kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses protestiert und/oder eine Bestandsschutzklage einreicht (BAG 19. September 2012 - 5 AZR 627/11 - Rn. 28 mwN). Lediglich für den Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung geht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von der Anwendbarkeit des § 296 BGB aus(zuletzt BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 14; 16. April 2013 - 9 AZR 554/11 - Rn. 18, jeweils mwN). Soweit der Zweite Senat in einer älteren Entscheidung (BAG 21. März 1996 - 2 AZR 362/95 -) angenommen hat, § 296 BGB könne auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis Anwendung finden, hält der nunmehr nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Vergütung wegen Annahmeverzugs allein zuständige erkennende Senat daran nicht fest.

23

2. Gemessen an diesen Grundsätzen war ein Angebot der Arbeitsleistung nicht nach § 296 BGB entbehrlich. Die fehlerhafte Kündigungsfrist bedingt im Streitfall nicht die Unwirksamkeit der Kündigung, sondern lässt sich als solche zu dem „richtigen“ Termin auslegen.

24

Andererseits war der Kläger nicht gehalten, die Arbeitsleistung tatsächlich anzubieten. Auch bei einem Streit lediglich über den Zeitpunkt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses genügt gemäß § 295 BGB ein wörtliches Angebot jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber mit der Aufnahme eines Datums in die Kündigung erklärt, er werde nach diesem Zeitpunkt keine weitere Arbeitsleistung mehr annehmen. Ein wörtliches Angebot ist aber erst mit der am 31. Oktober 2009 zugestellten Kündigungsschutzklage erfolgt. Dieses Angebot wirkt nicht zurück. Danach hat der Kläger für den gesamten Monat Oktober 2009 die Arbeitsleistung nicht wörtlich angeboten. Er hat bis dahin auch nicht gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2009 in anderer Weise protestiert.

25

3. Ein Angebot der Arbeitsleistung wäre entbehrlich gewesen, wenn der Kläger im Monat Oktober 2009 von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt gewesen wäre. Denn die Aufhebung der Arbeitspflicht bedeutet einen Verzicht auf das Angebot der Arbeitsleistung (BAG 23. Januar 2008 - 5 AZR 393/07 - Rn. 13). Ob der Kläger über den 30. September 2009 hinaus freigestellt war, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, zwischen den Parteien sei eine Freistellungsvereinbarung zustande gekommen, die sich zumindest auch auf den Monat Oktober 2009 bezogen habe, steht im Widerspruch zur - vorherigen - Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der damalige Inhaber der Beklagten habe bei Übergabe des Kündigungsschreibens am 27. Juni 2009 den Kläger von der Erbringung der Arbeitsleistung „einseitig“ freigestellt. Mit welchem (ungefähren) Wortlaut dies erfolgte, ist ebenso wenig festgestellt wie möglicherweise für die Auslegung ergiebige Begleitumstände der Freistellungserklärung.

26

4. War der Kläger - zu seinen Gunsten unterstellt - im Oktober 2009 von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt und deshalb ein Angebot der Arbeitsleistung nicht erforderlich, ist die Klage gleichwohl unbegründet. Denn unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen des Annahmeverzugs kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Leistung zu bewirken, § 297 BGB. Die objektive Leistungsfähigkeit ist eine von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Die Aufhebung der Arbeitspflicht bedeutet zwar einen Verzicht des Arbeitgebers auf das Angebot der Arbeitsleistung. Jedoch muss der Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fähig sein, ein Absehen von den Erfordernissen des § 297 BGB bedarf der ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien(BAG 23. Januar 2008 - 5 AZR 393/07 - Rn. 13 mwN).

27

Grundsätzlich hat bei Streit über die Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung objektiv außer Stande war. Er muss hierfür Indizien vortragen, aus denen darauf geschlossen werden kann (BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 16 f. mwN). Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass sich bereits aus dem Sachvortrag des Arbeitnehmers selbst Indizien ergeben, aus denen auf eine fehlende Leistungsfähigkeit in dem Zeitraum, für den Vergütung wegen Annahmeverzugs begehrt wird, geschlossen werden kann. In einem solchen Falle ist die Klage unschlüssig, wenn der Arbeitnehmer die selbst geschaffene Indizwirkung nicht ausräumt und substantiiert darlegt, dass er gleichwohl arbeitsfähig war.

28

Im Streitfall hat der Kläger vorgetragen, nach Übergabe des Kündigungsschreibens schwer erkrankt und bis fast Ende Oktober 2009 prozess- und geschäftsunfähig gewesen zu sein. Er hat dafür sogar Beweis angeboten durch das Zeugnis des ihn behandelnden Arztes. War der Kläger aber aufgrund einer schweren Erkrankung bis zum 26. Oktober 2009 prozess- und geschäftsunfähig, musste er erläutern, aufgrund welcher Tatsachen er gleichwohl ab dem 1. Oktober 2009 für die geschuldete Tätigkeit als Kraftfahrer arbeitsfähig gewesen sein soll. Das ist nicht erfolgt.

29

III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben gemäß § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO der Kläger 93/100 und die Beklagte 7/100 zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger nach § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.

       

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

       

        

        

    Ilgenfritz-Donné    

        

    A. Christen    

                 

Der Gläubiger kommt nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Dezember 2008 - 14 Sa 1428/08 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

2

Der 1971 geborene Kläger ist gelernter Anlagenmechaniker der Fachrichtung Versorgungstechnik. Er war bei der Beklagten seit dem 1. September 1994 als Gasrohrnetzwerker, zuletzt in der Funktion eines Vorarbeiters, bei einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.500,00 Euro beschäftigt. Bei dem Kläger ist durch bisher nicht bestandskräftigen Bescheid ein Grad der Behinderung von 20 festgestellt.

3

Die Beklagte betreibt Rohrleitungs- und Anlagenbau. Sie beschäftigt etwa 200 Arbeitnehmer. Sie hat ihren Sitz in W und eine Außenstelle in B. Der Kläger war nahezu ausschließlich in der Außenstelle eingesetzt. Die Beklagte hat sieben Bauleitungen gebildet, darunter die Bauleitung „Rohrleitungsbau B“, zu welcher der Kläger und der weitere Vorarbeiter H gehörten. Ein Betriebsrat ist nicht gewählt.

4

Der Kläger erkrankte am 25. September 2006 arbeitsunfähig. Er leidet unter Wirbelsäulenschäden. Am 16. März 2007 bot er der Beklagten die Wiederaufnahme der Arbeit an. Dabei wies er darauf hin, dass ihm seit Januar 2007 eine Rehabilitationsmaßnahme in Aussicht gestellt worden sei. Die Beklagte hatte gegen einen weiteren Einsatz des Klägers Bedenken und vereinbarte einen Untersuchungstermin mit dem zuständigen arbeitsmedizinischen Dienst. Der Kläger nahm den Termin wahr. Mit Schreiben vom 12. April 2007 schlug die Krankenkasse einen Arbeitsplatzwechsel vor. Vom 4. Juli 2007 bis 25. Juli 2007 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme in einer Fachklinik teil. Mit Schreiben vom 19. September 2007 teilte die Rentenversicherung mit, es sei festgestellt worden, dass der Kläger nur noch körperlich leichte Arbeit überwiegend im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen/Gehen verrichten solle und Gefährdungen durch Kälte, Nässe, Zugluft und starke Temperaturschwankungen zu vermeiden seien.

5

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2008. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er könne zwar seine bisherigen Arbeiten nicht mehr verrichten, die Beklagte könne ihn aber als Sicherheitsbeauftragten oder in der Materialverwaltung der Außenstelle B, außerdem in ihrem Materiallager in W oder zur Erfüllung der verwaltungstechnischen Aufgaben aller Poliere und Vorarbeiter einsetzen. Auch ein Einsatz bei der Rohrleitungsumhüllung, bei der Arbeit an Gasleitungen mit Hochdrucksystem, beim Schweißen oder im Büro mit Zuarbeit für die Bauleiter komme in Frage. Ebenso könne sie ihm wie dem Mitarbeiter H einen Schonarbeitsplatz in W einrichten. Im Übrigen habe es die Beklagte versäumt, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

6

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Oktober 2007 nicht beendet worden ist.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe nicht. Sie verfüge über keine freien Arbeitsplätze, die eine der Qualifikation, den Fähigkeiten und den gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers entsprechende Tätigkeit zuließen. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) habe sie mangels Bestehens einer betrieblichen Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX nicht durchführen müssen. Die dem Mitarbeiter H übertragenen Aufgaben könnten vom Kläger mangels ausreichender Qualifikation und wegen der mit ihnen verbundenen körperlichen Belastungen nicht ausgeführt werden.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage keinen Erfolg haben. Die Beklagte hat nach Maßgabe von § 1 Abs. 2 KSchG hinreichend substantiiert vorgetragen, weshalb eine andere Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestanden habe(I.). Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen gleichwohl nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist(II.).

10

I. Unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat die Beklagte hinreichend vorgetragen, dass eine andere Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestanden habe.

11

1. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist nach der Rechtsprechung des Senats in drei Stufen vorzunehmen. Die Kündigung ist im Falle lang anhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe - (Senat 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - BAGE 101, 39; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BAGE 91, 271; 21. Mai 1992 - 2 AZR 399/91 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 38). Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 45 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53). Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (Senat 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - aaO).

12

2. Eine Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in Betracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. „freizumachen“ (vgl. Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 29, BAGE 123, 234; 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 d der Gründe, BAGE 85, 107).

13

3. Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Kündigung bedingen. Dazu gehört auch die Darlegung des Fehlens - alternativer - Beschäftigungsmöglichkeiten.

14

a) Der Arbeitgeber kann - außerhalb der Verpflichtung zur Durchführung eines BEM - zunächst pauschal behaupten, es bestehe für den dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer keine andere Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Behauptung umfasst den Vortrag, es bestehe keine Möglichkeit einer leidensgerechten Anpassung des Arbeitsverhältnisses oder des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer muss sodann konkret darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine Beschäftigung - an einem anderen Arbeitsplatz - vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 43, BAGE 123, 234; 26. Mai 1977 - 2 AZR 201/76 - zu II 4 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 14 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 30). Es ist dann Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (vgl. Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 47, aaO).

15

b) Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall vom Landesarbeitsgericht angenommen - der Arbeitnehmer keinen oder nur einen oberflächlichen Einblick in die organisatorischen Arbeitsabläufe in anderen betrieblichen Bereichen hat. Dem Grundsatz, dass einer Partei nicht ein ihr unmöglicher Grad an Konkretisierung ihres Vortrags abverlangt werden darf, ist dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer lediglich konkret darlegen muss, wie er sich die anderweitige Beschäftigung vorstellt; von ihm wird nicht verlangt, dass er dazu ganz bestimmte Arbeitsplätze im Betrieb oder Unternehmen benennt (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 43, BAGE 123, 234; 26. Mai 1977 - 2 AZR 201/76 - zu II 4 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 14 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 30). Aus dem Sachvortrag des Arbeitnehmers muss sich allerdings ergeben, dass er die seinen Vorstellungen entsprechende Tätigkeit trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben kann (Senat 26. Mai 1977 - 2 AZR 201/76 - zu II 4 b der Gründe, aaO).

16

4. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte ihrer Darlegungslast genügt.

17

a) Die Beklagte hat zunächst vorgetragen, es bestehe keine andere Möglichkeit, den Kläger leidensgerecht zu beschäftigen.

18

b) Daraufhin hat der Kläger vorgetragen, er sei als Vorarbeiter mit der Funktion eines Poliers weiterhin in der Lage, die für den entsprechenden Mitarbeiterkreis anfallenden verwaltungstechnischen Aufgaben zu erfüllen. So könne er Aufmaße erstellen, Bauzeichnungen fertigen, Baustellen einrichten und leiten. Ferner könne er als zweiter „hauptamtlicher“ Sicherheitsbeauftragter beschäftigt werden, die Materialverwaltung in der Außenstelle in B übernehmen oder als Magaziner, Gerätewart oder Lagermeister in dem Material- und Werkzeuglager der Beklagten in W tätig sein. Außerdem sei er - unter Vermeidung von körperlichen Belastungen - in der Lage, Rohrleitungen zu umhüllen, mit Hochdrucksystem an Gasleitungen zu arbeiten oder zu schweißen. Er könne sich auch eine Bürotätigkeit mit Zuarbeit für die Bauleiter vorstellen. Schließlich könne ihm die Beklagte einen dem des Mitarbeiters H entsprechenden Schonarbeitsplatz in W einrichten.

19

c) Hierauf hat die Beklagte erwidert und dargelegt, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei.

20

aa) Die Übernahme der verwaltungstechnischen Aufgaben sämtlicher Vorarbeiter und Poliere erfordere die Übertragung von Bauleitertätigkeiten, was einer Beförderung gleichkomme. Dies ist ein erheblicher Einwand. Der Kläger kann eine Beförderung nicht verlangen. Im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes ist der Arbeitgeber regelmäßig nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine Beförderungsstelle anzubieten (Senat 23. Februar 2010 - 2 AZR 656/08 - Rn. 40; 21. September 2000 - 2 AZR 440/99 - zu III 2 d cc der Gründe, BAGE 95, 350).

21

bb) Eine Beschäftigungsmöglichkeit ausschließlich als Sicherheitsbeauftragter bestehe nicht. Auch dieser Einwand ist beachtlich. Der Sicherheitsbeauftragte übt ein freiwilliges Ehrenamt aus, das neben dem eigentlichen Arbeitsverhältnis besteht (vgl. MünchArbR/Wlotzke 2. Aufl. § 208 Rn. 26).

22

cc) Die Beklagte hat behauptet, in der Außenstelle in B beschäftige sie keine Arbeitnehmer, eine Beschäftigungsmöglichkeit in der Materialverwaltung in der Außenstelle bestehe daher ebenfalls nicht. Tätigkeiten als Magaziner, Gerätewart oder Lagermeister in dem Material- und Werkzeuglager in W oder - unter Vermeidung von körperlichen Belastungen - das Umhüllen von Rohrleitungen, die Arbeit an Gasleitungen mit Hochdrucksystem, das Schweißen oder eine Tätigkeit im Büro mit Zuarbeit für die Bauleiter, die der Kläger nach seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausüben könne, gebe es in ihrem Unternehmen nicht.

23

dd) Die Beklagte hat ferner vorgetragen, die dem Mitarbeiter H übertragenen Arbeiten fielen nur im B Raum an. Die davon abweichende Feststellung des Landesarbeitsgerichts, auch am Stammsitz der Beklagten würden Hochdruck-Rohrleitungsarbeiten und Hausanschluss-Versorgungsarbeiten ausgeführt, ist für den Senat nicht bindend. Die Beklagte hat sie mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO) angegriffen. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie findet keine Grundlage im Parteivorbringen. Im Übrigen hat die Beklagte behauptet, der Kläger könne die dem Mitarbeiter H übertragenen Tätigkeiten nach seiner Qualifikation und seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ohnehin nicht ausüben.

24

II. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung aus personenbedingten Gründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist.

25

1. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine negative Gesundheitsprognose im Zeitpunkt der Kündigung gerechtfertigt war.

26

2. Anhand der bisherigen Feststellungen lässt sich auch nicht beurteilen, ob die Kündigung deshalb unverhältnismäßig ist, weil die Beklagte mangels Durchführung eines BEM eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten trifft.

27

a) Der Kläger war vor Ausspruch der Kündigung innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen krank. Damit war die Beklagte gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX grundsätzlich verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement vorzunehmen. Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen(Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

28

b) Ein BEM ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen, wenn keine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX gebildet ist(FKS-SGB IX-Feldes § 84 Rn. 41; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 342; Knittel SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 84; Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 18; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 34; Schulz PersV 2008, 244, 245; Zorn br 2006, 42, 43; LAG Schleswig-Holstein 7. November 2005 - 4 Sa 328/05 - zu II 2 e der Gründe, br 2006, 170). Das ergibt die Auslegung von § 84 Abs. 1 SGB IX. Die Durchführung eines BEM ist weder unmöglich noch sinnlos, wenn eine betriebliche Interessenvertretung nicht besteht.

29

aa) Der Wortlaut der Bestimmung erlaubt kein zweifelsfreies, eindeutiges Verständnis. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX klärt der Arbeitgeber dann, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, mit der zuständigen Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten bleiben kann. Die Klärung hat danach zwar „mit der zuständigen Interessenvertretung“ zu erfolgen. Daraus kann aber nicht zwingend geschlossen werde, eine Klärung habe gar nicht zu erfolgen, wenn eine betriebliche Interessenvertretung nicht gebildet sei. Der Wortlaut lässt sich ebenso gut dahin verstehen, dass dann, wenn eine solche besteht, die Klärung mit der Interessenvertretung und den übrigen Beteiligten, anderenfalls nur mit den übrigen Beteiligten vorzunehmen ist.

30

bb) Für dieses Verständnis sprechen systematische Gesichtspunkte. Auf der Tatbestandsseite des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist als Voraussetzung für die Verpflichtung zur Durchführung eines BEM nur formuliert, dass ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen sein muss. Davon, dass eine betriebliche Interessenvertretung bestehen müsse, ist nicht die Rede. Wenn der Gesetzgeber ihre Existenz als notwendige Voraussetzung für die Verpflichtung zur Vornahme eines BEM angesehen hätte, wäre stattdessen zu erwarten gewesen, dass er das an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringt. Hinzu kommt, dass § 84 Abs. 2 SGB IX zu demjenigen Regelungskomplex des SGB IX gehört, welcher sonstige Pflichten der Arbeitgeber und Rechte schwerbehinderter Menschen normiert. Die in diesem Abschnitt geregelten Arbeitgeberpflichten sind vom Bestehen einer betrieblichen Interessenvertretung durchweg unabhängig. Aus § 93 SGB IX ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift bestimmt, dass Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialräte die Eingliederung schwerbehinderter Menschen fördern und insbesondere darauf achten, dass die dem Arbeitgeber nach §§ 71, 72 und §§ 81 bis 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt werden. Diese Aufgabe besteht im Hinblick auf die Verpflichtungen des Arbeitgebers aus § 84 Abs. 2 SGB IX in gleicher Weise wie für die nach den anderen genannten Vorschriften. Der Umstand, dass die Interessenvertretungen darauf achten sollen, dass der Arbeitgeber seinen Pflichten aus § 84 Abs. 2 SGB IX nachkommt, spricht dafür, dass diese Pflichten als solche gerade unabhängig von der Existenz einer Interessenvertretung bestehen.

31

cc) Entscheidend sprechen Sinn und Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX für ein Verständnis der Vorschrift, demzufolge ein BEM auch dann durchzuführen ist, wenn eine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX nicht besteht. Die Durchführung eines BEM ist auch in diesem Fall möglich und geboten (Düwell in LPK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 48).

32

(1) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sollen durch das BEM krankheitsbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern verhindert werden. Durch die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten soll ein betriebliches Eingliederungsmanagement geschaffen werden, das durch geeignete Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft sichert (BT-Drucks.15/1783 S. 16). Die Gesetzesbegründung nennt die betriebliche Interessenvertretung ausdrücklich nur als eine von mehreren Beteiligten, mit denen eine gemeinsame Klärung möglicher Maßnahmen erfolgen soll, um kurzfristig Beschäftigungshindernisse zu überwinden und den Arbeitsplatz durch Leistungen und Hilfen zu erhalten (BT-Drucks.15/1783 S. 12). Durch die dem Arbeitgeber gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll damit möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden(Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 40, BAGE 123, 234). Ziel des BEM ist - wie das der gesetzlichen Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX(vgl. dazu BAG 4. Oktober 2005 - 9 AZR 632/04 - BAGE 116, 121) - die frühzeitige Klärung, ob und ggf. welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung einer Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter und kranker Menschen(Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 40, aaO).

33

(2) Die Verwirklichung des Gesetzeszwecks setzt nicht die Existenz einer betrieblichen Interessenvertretung voraus. Das gesetzliche Ziel ist auch dann sinnvoll und erreichbar, wenn eine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX nicht gebildet ist. Das Gesetz beschreibt den im Wege des BEM durchzuführenden Klärungsprozess nicht als formalisiertes Verfahren, sondern lässt den Beteiligten jeden denkbaren Spielraum (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18, EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 57). Die betriebliche Interessenvertretung ist dabei nur eine der vom Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 SGB IX einzubeziehenden Beteiligten. Beteiligte des BEM sind außer ihr der betroffene Beschäftigte, soweit erforderlich zudem der Werks- oder Betriebsarzt und ferner die örtlichen gemeinsamen Servicestellen und ggf. das Integrationsamt, wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. Auch und gerade dann, wenn eine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX nicht gebildet ist, ist ein BEM zum Schutz betroffener Arbeitnehmer vor einer vermeidbaren krankheitsbedingten Kündigung geboten.

34

c) War danach im Streitfall ein BEM nicht mangels Bestehens einer betrieblichen Interessenvertretung entbehrlich, darf die Beklagte als Arbeitgeberin aus ihrer dem Gesetz widersprechenden Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile ziehen können (vgl. Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 44, BAGE 123, 234). Dieser Grundsatz führt nicht dazu, dass der Senat über die Wirksamkeit der Kündigung vom 15. Oktober 2007 abschließend entscheiden könnte.

35

aa) § 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das BEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56; 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 25, EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 55; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BAGE 123, 234). Möglich ist, dass auch ein BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen. Wäre ein positives Ergebnis dagegen möglich gewesen, darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 19, aaO). Dies geht über die Darlegungslast des Arbeitgebers für das Nichtbestehen einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen hinaus. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt.

36

bb) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM deswegen entbehrlich war, weil es wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können, trägt der Arbeitgeber. Die objektive Nutzlosigkeit eines BEM führt zu einer Einschränkung der nach § 84 Abs. 2 SGB IX bestehenden Pflicht des Arbeitgebers zu dessen Durchführung. Es obliegt daher dem Arbeitgeber, die tatsächlichen Umstände im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, aufgrund derer ein BEM wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.

37

cc) Dazu, ob ein BEM aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers ohnehin keine andere Beschäftigungsmöglichkeit erbracht hätte, hat die Beklagte bislang nicht vorgetragen. Da das Landesarbeitsgericht diesen Gesichtspunkt nicht als entscheidungserheblich angesehen hat, ist ihr Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.

38

(1) Die Beklagte hat bisher nicht hinreichend dargelegt, dass weder eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers noch sein Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit möglich gewesen sei. Es fehlt insbesondere an hinreichend konkretem Vortrag dazu, dass auch die Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes durch Umstrukturierung der betrieblichen Abläufe ausgeschlossen gewesen sei. Der bloße Verweis auf betriebsablauforganisatorische Störungen im Baubereich genügt hierfür nicht. Was die mögliche Beschäftigung des Klägers auf einem anderen Arbeitsplatz betrifft, hat die Beklagte mit Blick auf ihr Material- und Werkzeuglager in W lediglich vorgetragen, leidensgerechte Tätigkeiten in der Materialverwaltung gebe es dort nicht und auch bei den Tätigkeiten im Bereich Disposition/Lager/Werkstatt handele es sich um körperlich schwere Arbeiten. Welche Tätigkeiten in W im Einzelnen anfallen und warum eine für den Kläger leidensgerechte Umstrukturierung der Arbeitsabläufe nicht möglich gewesen ist, lässt sich ihrem Vorbringen nicht entnehmen.

39

(2) Der Beklagten ist durch Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Zwar hat sich der Kläger durchgängig auf die Erforderlichkeit eines BEM und die daraus folgende Erweiterung der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten berufen. Das Landesarbeitsgericht hat die Parteien aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es seiner Auffassung nach auf die Erforderlichkeit eines BEM nicht ankomme. Es ist nicht auszuschließen, dass die Beklagte im Hinblick hierauf von weiterem Vortrag abgesehen hat.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Dr. Roeckl    

        

    Baerbaum    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nur zulässig, wenn

1.
der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und
2.
diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hat.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder § 61a Abs. 3 oder 4 gesetzten Frist nicht vorgebracht worden sind, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Landesarbeitsgerichts glaubhaft zu machen.

(3) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 der Zivilprozessordnung nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 der Zivilprozessordnung nicht rechtzeitig mitgeteilt worden sind, sind nur zuzulassen, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hatte.

(4) Soweit das Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nach den Absätzen 2 und 3 zulässig ist, sind diese vom Berufungskläger in der Berufungsbegründung, vom Berufungsbeklagten in der Berufungsbeantwortung vorzubringen. Werden sie später vorgebracht, sind sie nur zuzulassen, wenn sie nach der Berufungsbegründung oder der Berufungsbeantwortung entstanden sind oder das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf Verschulden der Partei beruht.

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Klage auf künftige Leistung kann außer den Fällen der §§ 257, 258 erhoben werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 10. Dezember 2009 - 7 Sa 333/09 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den beklagten Insolvenzverwalter persönlich wegen Nichterfüllung der in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarten Abfindungsverpflichtung auf Schadenersatz in Anspruch.

2

Der 1942 geborene Kläger war seit dem 1. Oktober 1989 bei der Schuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin als Außendienstmitarbeiter tätig. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover - Insolvenzgericht - (902 IN 395/04 - 0 -) vom 2. April 2004 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 26. Mai 2004 kündigte die Schuldnerin mit Zustimmung des Beklagten das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen zum 31. März 2005. Am 1. Juni 2004 wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser kündigte mit Schreiben vom 15. Juni 2004 das Arbeitsverhältnis mit der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO zum 30. September 2004.

3

Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Im Gütetermin vom 1. Juli 2004 erklärte der Vertreter des Beklagten, der Fortbestand der Schuldnerin hänge davon ab, dass der Beklagte einen share- oder asset-deal erreiche. In diesem Fall könnten ohne Weiteres Abfindungen an die ausscheidenden Arbeitnehmer gezahlt werden. Anderenfalls bleibe nur die Abwicklung des Unternehmens. Der daraufhin geschlossene Vergleich sah die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 15. Juni 2004 zum 30. September 2004 aus betriebsbedingten Gründen sowie die Zahlung einer Abfindungssumme von 9.000,00 Euro vor. Außerdem war eine beidseitige Widerrufsfrist bis zum 13. August 2004 vereinbart, um das Gelingen eines share- oder asset-deals abzuwarten. Der Vergleich wurde nicht widerrufen.

4

Am 26. August 2004 erkundigte sich der Beklagtenvertreter telefonisch beim Klägervertreter, auf welches Konto die Abfindungssumme überwiesen werden solle. Dieser teilte mit, dass der Betrag auf sein Konto geleistet werden könne und forderte den Beklagten unter dem 10. September 2004 zur Zahlung auf. Am 23. September 2004 stellte der Klägervertreter den mit einer Klausel versehenen Vergleich vom 1. Juli 2004 zu und forderte den Beklagten erneut zur Zahlung unter Fristsetzung bis zum 30. September 2004 auf. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2004 informierte der Beklagtenvertreter den Klägervertreter darüber, dass aufgrund der Verfahrenssituation noch nicht absehbar sei, in welchem Umfang Masseverbindlichkeiten zu decken seien. In den nächsten Wochen sei eine Klärung zu erwarten. Aktuell könne deshalb eine Zahlung nicht angekündigt werden. Es werde gebeten, den Vorgang zumindest bis Ende Oktober 2004 zurückzustellen. Der Beklagte zeigte mit Schreiben vom 10. November 2004 gegenüber dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit an. Zum 31. Dezember 2004 stellte die Schuldnerin ihren Geschäftsbetrieb ein.

5

Mit seiner am 30. November 2005 erhobenen Klage nimmt der Kläger den Beklagten persönlich auf Schadenersatz in Anspruch. Der von ihm zunächst beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2006 (- IX ZB 57/06 -) rechtskräftig für unzulässig erklärt worden und der Rechtsstreit an die Arbeitsgerichte verwiesen worden.

6

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe planmäßig in zahlreichen Verfahren Abfindungsvergleiche mit ungewöhnlich geringen Abfindungen geschlossen. Sodann habe er die Kläger von der Vollstreckung abzuhalten versucht, indem er Erfüllungsbereitschaft signalisiert habe. Die Abfindungsforderung des Klägers aus dem Prozessvergleich hätte bedient werden können und müssen, nachdem mehrere Millionenbeträge im laufenden Verfahren an gleich- und nachrangige Gläubiger gezahlt worden seien.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er müsse im Wege des negativen Interesses so gestellt werden, wie er ohne den Prozessvergleich bei Obsiegen im Kündigungsschutzprozess stünde. Ohne den Vergleich hätte er den Prozess gewonnen und hätte sein Arbeitsverhältnis bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 17. April 2007 fortsetzen können. Der Schaden liege damit in der Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und dem bis zum 17. April 2007 verdienten Nettomonatsentgelt sowie in der Differenz zwischen der tatsächlichen Altersrente und der Rente, die der Kläger bei einer durchgehenden Beschäftigung bis zum 17. April 2007 beziehen würde. Weil diese Beträge bei Erheben der Klage noch nicht bekannt gewesen seien und äußerst diffizil ermittelt werden müssten, sei eine Feststellungsklage zulässig. Jedenfalls müsse der Beklagte Ersatz für die Abfindung leisten.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

        

1.    

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die dieser infolge des Abschlusses eines Prozessvergleiches in dem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Hannover zu Aktenzeichen 11 Ca 949/04 am 1. Juli 2004 und der hiernach vom Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G AG beim Amtsgericht Hannover - Insolvenzgericht - zu Aktenzeichen 902 IN 395/04-01 angezeigten Masseunzulänglichkeit erlitten hat und noch erleiden wird.

        

2.    

Hilfsweise für den Fall, dass das erkennende Gericht den Antrag zu 1. zurückweist, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 9.000,00 Euro netto nebst Zinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. August 2008 zu zahlen.

9

Der Beklagte hat sein Begehren auf Klageabweisung damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs, insbesondere eine Pflichtverletzung bei Begründung der Verbindlichkeit, nicht dargelegt habe. Er hat behauptet, zum Zeitpunkt des Ablaufs der Widerrufsmöglichkeit am 13. August 2004 sei indiziert gewesen, dass die Abfindung gezahlt werden könne.

10

Bezüglich des Hilfsantrags hat der Beklagte behauptet, er habe in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter lediglich solche Forderungen bedient, deren Gläubiger dem Kläger gegenüber vorrangig gewesen seien. Später eingegangene Beträge hätten den ab- und aussonderungsberechtigten Gläubigern zugestanden. Es hätten noch nicht einmal alle bevorrechtigten Gläubiger befriedigt werden können.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Beklagte weder nach § 61 InsO noch nach § 60 InsO auf den vom Kläger geltend gemachten Schaden haftet. Auch aus Normen außerhalb des Insolvenzrechts folgt kein Anspruch auf die mit dem Hilfsantrag verfolgte Zahlung der Abfindung aus dem Vergleich vom 1. Juli 2004.

13

I. Einer Entscheidung des Senats in der Sache stehen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

14

1. Ob das für den Hauptantrag erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO, das als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, gegeben sein muss und dessen Vorliegen von Amts wegen zu prüfen ist(st. Rspr., zuletzt BAG 19. Januar 2011 - 3 AZR 111/09 - Rn. 29, NZA 2011, 1054), besteht, erscheint allerdings fraglich.

15

a) Ausnahmsweise ist dem Kläger ein Übergang zur Leistungsklage zuzumuten, wenn lange vor Beendigung der ersten Instanz die Schadensentwicklung abgeschlossen ist, der Beklagte deshalb den Übergang zur Leistungsklage anregt und dies die Entscheidung nicht verzögert (BGH 31. Januar 1952 - III ZR 131/51 - LM ZPO § 256 Nr. 5). Aufgrund des Zuständigkeitsstreits ist die erste Instanz erst im November 2008 und damit auch unter Zugrundelegung des Rechtsstandpunkts des Klägers, der mit dem Hauptantrag inhaltlich Schadenersatz für das ihm bis zum Rentenbeginn im April 2007 entgangene Entgelt und Ersatz der Rentennachteile begehrt, erst deutlich nach Eintritt der Bezifferbarkeit des Schadens beendet worden. Der Beklagte hat nach Abschluss des Zuständigkeitsstreits im Schriftsatz vom 25. Juni 2008 auf die Bezifferbarkeit des Schadens hingewiesen. Der Kläger wäre deshalb gehalten gewesen, den Schaden zu beziffern. Ob dies den Rechtsstreit verzögert hätte, bedürfte weiterer Aufklärung durch das Landesarbeitsgericht.

16

b) Das Vorliegen des Feststellungsinteresses kann jedoch dahingestellt bleiben. Es ist echte Prozessvoraussetzung nur für das stattgebende Urteil (BAG 15. Juli 2009 - 5 AZR 921/08 - Rn. 12; 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 13, BAGE 128, 73). Deshalb ist das Revisionsgericht auch bei Fehlen des Feststellungsinteresses jedenfalls dann zu einer Sachentscheidung befugt, wenn gewichtige prozessökonomische Gründe gegen eine Prozessabweisung sprechen, etwa wenn die Klage eindeutig und unzweifelhaft abweisungsreif ist (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - aaO).

17

Derartige gewichtige prozessökonomische Gründe liegen hier vor. Der Rechtsstreit müsste zur Aufklärung der Verzögerung des Rechtsstreits durch eine erstinstanzliche Bezifferung zurückverwiesen werden, obwohl die Klage materiell eindeutig der Abweisung unterliegt. Bei einer solchen Konstellation ist dem Ziel der Feststellungsklage, den Rechtsfrieden unter Beachtung des Gebots prozessökonomischen Verhaltens zu sichern, mit einer Abweisung der Feststellungsklage durch das Revisionsgericht besser gedient als mit einem Prozessurteil (BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 14, BAGE 128, 73).

18

2. Der Streitgegenstand der Anträge ist hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO(vgl. dazu BAG 1. Juni 2006 - 6 AZR 59/06 - Rn. 10, AP InsO § 61 Nr. 2 = EzA InsO § 61 Nr. 2; BGH 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03 - zu III 4 der Gründe, BGHZ 159, 104). Der Kläger hat eine eindeutige Zuordnung zu den Haftungstatbeständen der §§ 61, 60 InsO vorgenommen. Nur für den Fall, dass der Hauptantrag, mit dem er die von ihm angenommenen Ansprüche aus § 61 InsO verfolgt, keinen Erfolg hat, soll sich der Hilfsanspruch aus § 60 InsO ergeben.

19

3. Der Kläger ist für die Geltendmachung der Schadenersatzansprüche prozessführungsbefugt. Er behauptet Pflichtverletzungen vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Bei einer derartigen Schädigung liegt regelmäßig ein Einzelschaden vor. Dieser kann schon während des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden (BAG 25. Januar 2007 - 6 AZR 559/06 - Rn. 16, BAGE 121, 112; BGH 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03 - zu II 2 a der Gründe, BGHZ 159, 104).

20

II. Die Klage ist unbegründet.

21

1. Der Kläger begehrt mit dem Hauptantrag, so gestellt zu werden, als habe das Arbeitsverhältnis bis zum Beginn der Regelaltersrente im April 2007 fortbestanden und stützt diesen Anspruch auf § 61 InsO.

22

a) Eine Haftung des Beklagten nach § 61 InsO scheidet bereits aufgrund der von diesem vor Abschluss des Vergleiches abgegebenen Erklärungen aus. Die dem Insolvenzverwalter durch § 61 InsO auferlegte Pflicht zur Prüfung, ob er von ihm eingegangene Masseverbindlichkeiten erfüllen kann, soll das gegenüber den allgemeinen Gefahren eines Vertragsabschlusses erhöhte Risiko des Vertragspartners reduzieren(BGH 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03 - zu II 1 c der Gründe, BGHZ 159, 104; Gerhardt in Jaeger InsO § 61 Rn. 21). Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist für eine Haftung nach dieser Norm dann kein Raum, wenn die Entscheidung eines Arbeitnehmers, in einem Kündigungsschutzprozess einen Vergleich mit Abfindungsregelung zu schließen, auf einer eigenverantwortlichen, in Kenntnis aller Tatsachen und Risiken getroffenen Beurteilung der Sach- und Rechtslage und damit auf einem bewussten Handeln auf eigenes Risiko beruht (vgl. OLG Düsseldorf 26. März 2004 - I-16 U 216/02, 16 U 216/02 - zu II 1 der Gründe, OLGR Düsseldorf 2004, 259; Gerhardt in Jaeger InsO aaO; HambKomm/Weitzmann 3. Aufl. § 61 Rn. 1; vgl. auch Bank/Weinbeer NZI 2005, 478, 485, die bei einer Warnung vor den Risiken des Vertragsschlusses eine Entlastung des Verwalters nach § 61 Satz 2 InsO annehmen). Das gilt jedenfalls dann, wenn, wie vom Landesarbeitsgericht festgestellt, eine weiträumige Widerrufsfrist für beide Parteien, also auch und gerade für den Arbeitnehmer, vereinbart wird, um den Parteien Gelegenheit zu geben, den Erfolg von Veräußerungsbemühungen bzw. gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen abzuwarten, von dem nach der Erklärung des Insolvenzverwalters vor Abschluss des Vergleiches die Erfüllbarkeit der Abfindung als Masseverbindlichkeit abhängt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass der Insolvenzverwalter den Vergleich widerruft, wenn sich die Verkaufsbemühungen zerschlagen oder verzögern. Vielmehr muss der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich nach dem Stand dieser Bemühungen und der Zahlungsfähigkeit der Masse erkundigen. Genau zu diesem Zweck hat er sich den Widerruf vorbehalten. Tut er das nicht und verwirklicht sich das ihm bei Vergleichsabschluss bekannte und von ihm in Kauf genommene Zahlungsrisiko, kann er den Insolvenzverwalter nicht aus § 61 InsO in Anspruch nehmen. Der Verwalter hat kein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitnehmers in Anspruch genommen und ein solches deshalb auch nicht verletzt.

23

b) Darüber hinaus hat der Kläger einen nach § 61 InsO ersatzfähigen Vertrauensschaden auch nicht schlüssig dargelegt.

24

aa) Gemäß § 61 Satz 1 InsO ist der Insolvenzverwalter einem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet, wenn eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann. Der Umfang des Schadenersatzes nach § 61 InsO ist begrenzt auf das negative Interesse. Der Gläubiger ist nach § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er ohne die die Masseverbindlichkeit begründende Handlung stünde(BAG 25. Januar 2007 - 6 AZR 559/06 - Rn. 36, BAGE 121, 112 im Anschluss an BGH 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03 - zu III 1 c bb der Gründe, BGHZ 159, 104). Der Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens ist also auf die Herstellung des Zustandes gerichtet, der ohne das Fehlverhalten bestehen würde (vgl. BGH 14. Oktober 1971 - VII ZR 313/69 - BGHZ 57, 137). Entscheidend ist, wie sich die Vermögenslage des Geschädigten entwickelt hätte, wenn sich der Schädiger pflichtgemäß verhalten hätte (BGH 10. Juli 2003 - III ZR 155/02 - zu I 4 a der Gründe, BGHZ 155, 354 für die Verpflichtung zur Erteilung einer Auskunft).

25

bb) Lägen hier die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten nach § 61 InsO vor, wäre der Kläger demnach so zu stellen, wie er ohne den im Kündigungsschutzprozess geschlossenen Vergleich stünde. Ohne diesen hätte der Prozess fortgeführt werden müssen. Bereits das Arbeitsgericht hat im Gütetermin zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger als Teil seiner Darlegungslast für den ihm entstandenen Schaden (vgl. dazu BGH 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03 - zu III 1 der Gründe, BGHZ 159, 104) substantiiert hätte vortragen müssen, dass und warum die Kündigung vom 15. Juni 2004 sozial ungerechtfertigt war und das Arbeitsverhältnis über den 30. September 2004 fortbestanden hätte. Anderenfalls wäre das Arbeitsverhältnis auch ohne den Prozessvergleich mit Ablauf des 30. September 2004 beendet gewesen, ohne dass dem Kläger weitere Ansprüche gegen die Schuldnerin bzw. den Beklagten zugestanden hätten.

26

Dieser Darlegungslast hat der Kläger nicht genügt. Das operative Geschäft der Schuldnerin ist Ende September 2004 eingestellt und ihr Betrieb zum 31. Dezember 2004 geschlossen worden. Der Kläger hat sich darauf beschränkt zu bestreiten, dass Sozialdaten abgewogen worden seien. Zu den Voraussetzungen eines Betriebsübergangs hat er nicht substantiiert vorgetragen. Das genügt zur schlüssigen Darlegung seines Vertrauensschadens nicht.

27

c) Schließlich richtet sich die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters, der erkennen kann, dass er eine in einem Vergleich zu vereinbarende Abfindung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht aus der Masse wird zahlen können, nicht auf die Garantie der Erfüllung des Arbeitsvertrags bis zum Bezug der Regelaltersrente, wie es der Kläger begehrt. Der Arbeitnehmer kann in einem solchen Fall nach § 61 InsO vielmehr nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis rechtzeitig und ordnungsgemäß gekündigt und den Kündigungsschutzprozess mit der von ihm geschuldeten Sorgfalt(dazu Gerhardt in Jaeger InsO § 60 Rn. 80) geführt hätte (vgl. BAG 25. Januar 2007 - 6 AZR 559/06 - Rn. 36, BAGE 121, 112; 19. Januar 2006 - 6 AZR 600/04 - Rn. 17, BAGE 117, 14). Ein ersatzfähiger Schaden ist vom Kläger nicht dargelegt. Mangels entsprechenden Vortrags des Klägers ist davon auszugehen, dass der Beklagte im Kündigungsschutzprozess obsiegt hätte.

28

2. Auch der Hilfsantrag ist unbegründet.

29

a) Der Kläger kann die Zahlung der im Vergleich vom 1. Juli 2004 vereinbarten Abfindung nicht im Wege des Schadenersatzes aus § 60 InsO verlangen. Danach ist der Insolvenzverwalter zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft Pflichten verletzt, die ihm nach diesem Gesetz obliegen. Das Vorbringen des Klägers zur Verletzung solcher insolvenzspezifischer Pflichten ist unschlüssig.

30

aa) Der Kläger hat keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Verkürzung der Masse vorgetragen. Er hat insoweit lediglich pauschal behauptet, vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit seien ständig neue Masseverbindlichkeiten begründet und bedient worden. Zwar kann auch die Begründung von Masseverbindlichkeiten zu einer Massekürzung führen. Aufgrund des Ermessensspielraums des Insolvenzverwalters bei der Verwertung der Masse genügt für eine Haftung nach § 60 InsO allerdings nicht bereits der Vertragsabschluss als solcher(Gerhardt in Jaeger InsO § 60 Rn. 32). Anhaltspunkte für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten, die aufgrund der vorübergehenden Fortführung des Betriebs durch den Beklagten als Insolvenzverwalter ohnehin unvermeidlich waren, hat der Kläger nicht vorgetragen.

31

bb) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der Kläger habe mit der Behauptung, der Beklagte habe die Abfindung nicht gezahlt, gleichwohl aber gleich- bzw. nachrangige Masseverbindlichkeiten bedient, keinen Verteilungsfehler des Beklagten dargelegt. Die Aufklärungsrüge, mit der der Kläger einen Verstoß des Landesarbeitsgerichts gegen die Hinweispflicht aus § 139 ZPO geltend macht, verhilft der Revision daher ebenso wenig zum Erfolg wie die als Verstoß gegen formelles Recht bezeichnete, sich tatsächlich aber auf eine Verkennung der Darlegungs- und Beweislast beziehende und damit materiellrechtliche Rüge(vgl. dazu GK-ArbGG/Mikosch Stand April 2011 § 73 Rn. 44), nicht der Kläger, sondern der Beklagte habe die Zahlungsverläufe dezidiert erklären müssen.

32

(1) Vor Befriedigung einzelner Massegläubiger trifft den Insolvenzverwalter die insolvenzspezifische Pflicht zur Prüfung, ob die Masse ausreicht, um alle Masseforderungen zu bedienen. Sind mehrere Masseschulden fällig und einredefrei, darf der Verwalter sie nur anteilig befriedigen, sofern er momentan zur vollständigen Bezahlung nicht in der Lage ist. Erkennt er eine drohende Masseunzulänglichkeit, darf er gleichrangige Masseverbindlichkeiten allenfalls in Höhe der nach § 209 Abs. 1 InsO zu erwartenden Quote begleichen(BAG 25. Januar 2007 - 6 AZR 559/06 - Rn. 28, 33, BAGE 121, 112; 1. Juni 2006 - 6 AZR 59/06 - Rn. 21, AP InsO § 61 Nr. 2 = EzA InsO § 61 Nr. 2; BGH 21. Oktober 2010 - IX ZR 220/09 - Rn. 12, ZIP 2010, 2356).

33

(2) Nach den allgemeinen Beweisregeln ist der Kläger darlegungs- und beweisbelastet für alle rechtsbegründenden Tatsachen (allg. zu diesem Grundsatz BGH 18. Februar 2009 - XII ZR 163/07 - Rn. 19, NJW-RR 2009, 1142; Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. vor § 284 Rn. 17a). Dies gilt auch für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten als Voraussetzung einer Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO. Bei dieser Vorschrift ist im Unterschied zu § 61 InsO eine Beweislastumkehr zugunsten der Beteiligten gerade nicht vorgesehen.

34

(3) Aus den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast ergibt sich in der vorliegenden Konstellation nichts anderes.

35

(a) Hat die darlegungspflichtige Partei alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft, um ihrer primären Darlegungspflicht zu genügen, und steht sie außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind, kann vom Prozessgegner nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände und damit der Vortrag positiver Gegenangaben verlangt werden (BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 53, AP AGG § 3 Nr. 3 = EzA AGG § 10 Nr. 3).

36

(b) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Kläger Verteilungsfehler des Beklagten nicht ausreichend aufgezeigt hat. Der Kläger hat nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu näherem Tatsachenvortrag zu der von ihm behaupteten Pflichtverletzung des Beklagten ausgeschöpft. Der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter hätten versuchen müssen, durch Einsicht in die gerichtliche Insolvenzakte Informationen über die vom Beklagten an andere Gläubiger geleisteten Zahlungen zu erlangen. Unabhängig davon, ob nur Insolvenzgläubiger oder auch Massegläubiger als Parteien iSd. § 4 InsO iVm. § 299 Abs. 1 ZPO ein Recht zur Akteneinsicht haben(zum Meinungsstand Martini jurisPR-InsR 17/2010 Anm. 5), dürfte jedenfalls das nach § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an einer Einsicht in die Insolvenzakte zur Vorbereitung möglicher Schadenersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter bestehen(vgl. BGH 5. April 2006 - IV AR (VZ) 1/06 - NZI 2006, 472, 473). Der Kläger hat jedoch nicht einmal den Versuch unternommen, Akteineinsicht zu erhalten. Soweit sein Prozessbevollmächtigter im Termin vor dem Senat vorgetragen hat, erfahrungsgemäß ließen sich für einen Beteiligten aus der Insolvenzakte zur näheren Begründung eines Schadenersatzanspruchs nur schwer geeignete Tatsachen entnehmen, ist dieser Vortrag unsubstantiiert und zudem gem. § 559 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Auch kommt es bei einer anwaltlich vertretenen Partei nicht auf deren Erkenntnismöglichkeiten, sondern auf die ihres Rechtsanwalts an.

37

cc) Hätte der Beklagte den Kläger, wie dieser annimmt, planmäßig von der Zwangsvollstreckung aus dem am 1. Juli 2004 geschlossenen Vergleich abgehalten, könnte dies keine Haftung aus § 60 InsO begründen. Der Beklagte hat den Vergleich in seiner Eigenschaft als Verwalter der Masse geschlossen. Mit Eintritt der Fälligkeit am 30. September 2004 war er zur Auszahlung der Abfindungssumme verpflichtet. Diese Pflicht stellt jedoch keine spezifische insolvenzrechtliche Verpflichtung dar, denn die Erfüllung der Abfindungsforderung aus diesem Vergleich als Masseforderung und ihre Durchsetzung richteten sich bis zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht nach der Insolvenzordnung, sondern ausschließlich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Zivilprozessordnung (vgl. BAG 1. Juni 2006 - 6 AZR 59/06 - Rn. 22, AP InsO § 61 Nr. 2 = EzA InsO § 61 Nr. 2; Lohmann in HK-InsO 5. Aufl. § 60 Rn. 41, 42). Hätte der Beklagte eine der ihn danach treffenden Pflichten verletzt, würde die Insolvenzmasse, nicht aber der Beklagte persönlich nach § 60 InsO haften. Dessen persönliche Haftung kann neben der Haftung der Masse nur aus Vorschriften außerhalb der Insolvenzordnung, etwa bei Begründung eines Vertrauenstatbestandes oder aus Delikt, begründet sein (BAG 1. Juni 2006 - 6 AZR 59/06 - Rn. 24, aaO; BGH 18. Januar 1990 - IX ZR 71/89 - ZIP 1990, 242).

38

b) Der Kläger hat auch die Voraussetzungen für eine persönliche Haftung des Beklagten aus allgemeinen Vorschriften außerhalb des Insolvenzrechts nicht dargelegt.

39

aa) Der Beklagte hat nicht in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst. Eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB scheidet deshalb aus.

40

Mehr als das im Geschäftsverkehr übliche Verhandlungsvertrauen nimmt auch ein Insolvenzverwalter nicht in Anspruch, der als solcher in Erscheinung tritt. Von einem besonderen Vertrauenstatbestand lässt sich erst dann sprechen, wenn er beim Verhandlungspartner ein zusätzliches, von ihm persönlich ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen und die Durchführbarkeit des vereinbarten Geschäftes hervorgerufen hat (BGH 24. Mai 2005 - IX ZR 114/01 - zu II 1 b der Gründe, ZIP 2005, 1327). Davon kann im vorliegenden Fall auch nach dem Vorbringen des Klägers nicht ausgegangen werden. Der Kläger hat aufgrund der Erklärung des Vertreters des Beklagten im Gütetermin vom 1. Juli 2004 das Risiko, dass die Abfindung bei Misslingen eines share- oder asset-deals nicht werde gezahlt werden können, gekannt.

41

bb) Der Beklagte hat mit dem Vergleich auch keine Garantieerklärung abgegeben und keine sich daraus ergebende vertragliche Einstandspflicht begründet (zu den Voraussetzungen und Folgen einer solchen Erklärung im Einzelnen siehe BAG 25. Juni 2009 - 6 AZR 210/08 - Rn. 16 ff., AP InsO § 60 Nr. 3 = EzA InsO § 60 Nr. 2). Im Gegenteil hat sein Vertreter mit dem Hinweis auf die Ungewissheit der Erfüllung der Abfindung eine solche Garantie gerade ausgeschlossen.

42

cc) Die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten aus § 826 BGB, die etwa dann in Betracht käme, wenn dieser den Kläger über die Risiken des abzuschließenden Vergleiches getäuscht, insbesondere die künftige Zulänglichkeit der Masse als sicher vorgespiegelt, dadurch den Kläger zum Abschluss des Vergleiches bewogen und einen ihm daraus möglicherweise erwachsenden Schaden erkannt und in Kauf genommen hätte(BGH 14. April 1987 - IX ZR 260/86 - zu 2 b der Gründe, BGHZ 100, 346), sind nicht dargelegt. Das Vorbringen des Klägers zu der von ihm behaupteten „Ausschaltung der Vollstreckungsbereitschaft“ ist widersprüchlich. Ungeachtet seiner Behauptung, durch den Anruf des Beklagtenvertreters vom 26. August 2004, in dem nachgefragt worden ist, wohin die Abfindungssumme überwiesen werden solle, und das Schreiben vom 13. Oktober 2004 sei seine Vollstreckungsbereitschaft ausgeschaltet worden, hat der Klägervertreter bereits am 23. September 2004 - also noch vor Fälligkeit - den mit der Klausel versehenen Prozessvergleich an den Beklagten zustellen lassen und damit die Vollstreckung eingeleitet. Ohnehin bestand spätestens Ende Oktober 2004 auch im Hinblick auf das Schreiben vom 13. Oktober 2004 keine Veranlassung zu weiterem Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen mehr.

43

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Klapproth    

        

    Lorenz    

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) In Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder Beistands. Vor Abschluß der Vereinbarung über die Vertretung ist auf den Ausschluß der Kostenerstattung nach Satz 1 hinzuweisen. Satz 1 gilt nicht für Kosten, die dem Beklagten dadurch entstanden sind, daß der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanz- oder Sozialgerichtsbarkeit angerufen und dieses den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat.

(2) Werden im Urteilsverfahren des zweiten und dritten Rechtszugs die Kosten nach § 92 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung verhältnismäßig geteilt und ist die eine Partei durch einen Rechtsanwalt, die andere Partei durch einen Verbandsvertreter nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 vertreten, so ist diese Partei hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten so zu stellen, als wenn sie durch einen Rechtsanwalt vertreten worden wäre. Ansprüche auf Erstattung stehen ihr jedoch nur insoweit zu, als ihr Kosten im Einzelfall tatsächlich erwachsen sind.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Die Begründung muss enthalten:

1.
die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit,
2.
die Bezeichnung der Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, oder
3.
die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Vorschriften des § 719 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.

(5) Das Landesarbeitsgericht ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dem Beschluss soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(7) Hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Bundesarbeitsgericht abweichend von Absatz 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.