Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER

ECLI:ECLI:DE:SGMAINZ:2015:1112.S12AS946.15ER.0A
bei uns veröffentlicht am12.11.2015

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 937,10 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 31.12.2015 und in Höhe von 941,10 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.03.2016 zu zahlen.

2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Arbeitslosengeld II im Wege der einstweiligen Anordnung.

2

Der 1961 geborene Antragsteller ist spanischer Staatsangehöriger. Er lebt mit seiner Ehefrau (geboren1985) und zwei gemeinsamen Kindern zusammen in einer Genossenschaftswohnung in Mainz und war im Jahr 2014 aus Spanien nach Deutschland eingereist. Für die Wohnung ist eine Nutzungsgebühr in Höhe von monatlich 577,10 Euro monatlich zu entrichten, einschließlich 100 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 60 Euro Wärme- und Warmwasserkostenvorauszahlung. Vertragspartner der Baugenossenschaft ist ausschließlich der Antragsteller selbst. Der Antragsteller verfügt über eine Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügigkeitsG/EU. Vom 01.08.2014 bis zur arbeitgeberseitigen Kündigung zum 31.03.2015 übte der Antragsteller eine Erwerbstätigkeit in einem Arbeitsverhältnis im Umfang von 40 Stunden wöchentlich als Spüler aus und verdiente hierbei zuletzt 1.654 Euro brutto monatlich.

3

Der Antragsteller stellte für sich und seine Familie am 30.03.2015 erstmals einen Antrag auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Antragsgegner.

4

Mit Bescheid vom 26.05.2015 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Familie Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015. Für die Monate Mai bis September 2015 wurde dem Antragsteller hierbei ein monatlicher Betrag von 504,28 Euro bewilligt. Der Antragsgegner legte Gesamtkosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 577,12 Euro, bei dem Antragsteller einen „Kopfteil“ von 144,28 Euro zu Grunde. Des Weiteren wurde bei dem Antragsteller ein Regelbedarf in Höhe von 360 Euro berücksichtigt. Das Einkommen aus Kindergeld wurde bei den Kindern des Antragstellers bedarfsmindernd berücksichtigt. Für die ganze Familie belief sich die Leistungshöhe ab Mai 2015 auf 1.430,12 Euro monatlich.

5

Mit einem Bescheid vom 21.09.2015 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum vom 01.08.2015 bis zum 30.09.2015. Hierbei wurde die vorangegangene Bewilligungsentscheidung für den Monat August 2015 wegen Ortsabwesenheit teilweise aufgehoben, nachdem zuvor bereits eine vorläufige Zahlungseinstellung erfolgt war. Für den Monat September 2015 verblieb es bei der zuvor bewilligten Leistungshöhe.

6

Unter dem 05.10.2015 stellte der Antragsteller für sich und seine Familie einen Weiterbewilligungsantrag. Hierbei gab er an, dass – abgesehen vom Kindergeld in Höhe von jeweils 184 Euro – kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Einkommen erziele.

7

Mit Bescheid vom 07.10.2015 lehnte der Antragsgegner den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers ab. Zur Begründung führte er aus, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe. Der Arbeitnehmerstatus liege ab dem 01.10.2015 nicht vor und deshalb habe er keinen Anspruch mehr auf Leistungen nach dem SGB II. Der Arbeitnehmerstatus gelte für sechs Monate nach Beendigung der Beschäftigung. Diese sechs Monate seien im Falle des Antragstellers bis zum 30.09.2015 gegangen. Da er aktuell keine Beschäftigung innehabe, sei der Weiterbewilligungsantrag abzulehnen. Die Ehefrau und die Kinder des Antragstellers finden in dem Bescheid keine Erwähnung.

8

Der Antragsteller stellte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz am 12.10.2015 zu Protokoll der Geschäftsstelle unter Vorlage des Ablehnungsbescheids. Zur Begründung führt er aus, dass er am vorangegangenen Wochenende den Ablehnungsbescheid erhalten habe. Noch heute (am 12.10.2015) werde er Widerspruch einlegen. Er sei völlig ohne Einnahmen und wisse nicht, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten solle.

9

Auf Frage des Gerichts legte der Antragsteller einen aktuellen Kontoauszug vom 26.10.2015 vor, wonach er an diesem Tag über ein Guthaben in Höhe von 61,22 Euro verfügte. Eine Gutschrift in Höhe von 500 Euro vom 09.09.2015 durch einen Herrn Mohamed O. erklärt der Antragsteller damit, dass der Schwager ihm diesen Betrag für die Miete geliehen habe. Der Antragsteller hatte des Weiteren am 14.10.2015 eine Kindergeldzahlung in Höhe von 376 Euro und eine Kindergeldnachzahlung in Höhe von 64 Euro erhalten. Des Weiteren geht aus dem Kontoauszug hervor, dass die Vermieterin des Antragstellers am 10.09.2015 einen Betrag von 585,52 Euro und am 01.10.2015 einen Betrag von 589,10 Euro per Lastschrift eingezogen hat.

10

Die gerichtliche Aufforderung zur Mitteilung, ob der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auch für seine Ehefrau und seine Kinder gestellt werden sollte, ließ der Antragsteller hingegen unbeantwortet.

11

Der Antragsteller beantragt,

12

den Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten.

13

Der Antragsgegner beantragt,

14

den Antrag abzulehnen.

15

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz könne keinen Erfolg haben. „Die Antragsteller“ besäßen alle die spanische Staatsangehörigkeit und befänden sich seit Juni 2014 in Deutschland. Der Antragsteller sei in der Zeit vom 01.08.2014 bis zum 31.03.2015 weniger als ein Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Seit April 2015 seien „die (erwerbsfähigen) Antragsteller“ weder abhängig beschäftigt noch selbstständig tätig. Nach Art. 7 Abs. 3 c) der Richtlinie 2004/38 bleibe einem Erwerbstätigen, wenn er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stelle, seine Erwerbstätigeneigenschaft für mindestens sechs Monate aufrechterhalten. Während dieses Zeitraums behalte der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 der Richtlinie und könne sich auf das in Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie festgelegte Gleichbehandlungsgebot (Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen des Aufnahmestaates) berufen. Der Antragsteller habe die Erwerbstätigeneigenschaft gemäß Art. 7 Abs. 3 c) der Richtlinie 2004/38 bis zum 30.09.2015 behalten. Diesen Status habe der Antragsteller jedoch zum Zeitpunkt der Ablehnung der Leistungsbewilligung nicht mehr innegehabt. „Die Antragsteller“ könnten zwar ein Aufenthaltsrecht aus Art. 14 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/38 herleiten. Jedoch stünde dem Anspruch auf Leistungen Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie entgegen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stellten eine Leistung der Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dar. Die entsprechende deutsche Ausschlussvorschrift sei europarechtskonform.

16

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands und bezüglich des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

17

Der Antrag ist zulässig und begründet.

18

1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZivilprozessordnungZPO). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht sowohl eine Folgenabwägung vornehmen als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 596/05 – alle Entscheidungen zitiert nach juris). Handelt es sich - wie hier - um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren sind.

19

2. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde nur durch den Antragsteller selbst gestellt. Die Ehefrau und die Kinder des Antragstellers sind nicht am Verfahren beteiligt. Dies ergibt sich aus der Auslegung des zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellten Antrags. Protokolliert wurde ausschließlich der Name des Antragstellers selbst. Der Antrag ist durchweg in der Ich-Form formuliert. Die Ehefrau und die Kinder des Antragstellers werden im Protokoll nicht erwähnt. Als Grund für die Antragstellung wurde wörtlich festgehalten: „Ich bin völlig ohne Einkommen und weiß nicht, wie ich meinen Lebensunterhalt bestreiten soll“. Anlässlich der Antragstellung wurde lediglich der Ablehnungsbescheid vom 08.10.2015 zur Akte genommen. Dieser Bescheid richtete sich ebenfalls ausschließlich an den Antragsteller selbst, Ehefrau und Kinder finden keine Erwähnung. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich zwar, dass der Antragsteller vermutlich auch die der Ehefrau und den Kindern zustehenden Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtschutzes erlangen möchte. Weiterhin ist wohl davon auszugehen, dass der Antragsgegner meint, mit seinem Bescheid vom 08.10.2015 auch die Anträge der Ehefrau und der Kinder abschlägig beschieden zu haben. Nachdem der Antragsteller jedoch auch auf Anfrage des Gerichts nicht klargestellt hat, dass der Antrag auch für seine Familienmitglieder gestellt werden sollte, besteht kein Spielraum für eine Auslegung der Erklärung des Antragstellers dahingehend, dass er auch stellvertretend für die Ehefrau und die Kinder einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt hat.

20

3. Der Antragsteller hat für sich selbst einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Abgesehen vom fraglichen Vorliegen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II vor. Ob der Antragsteller seiner Ankündigung gemäß fristgerecht Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.10.2015 erhoben hat, ist für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs unerheblich, weil der Antragsgegner gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) innerhalb der zeitlichen Begrenzung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch dann zur Leistung verpflichtet bleibt, wenn eine rechtswidrige Ablehnungsentscheidung in Bestandskraft erwächst. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II).

21

3.1 Der Antragsteller ist erwerbsfähiger Leistungsberechtigter. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die für ihn nach § 7a Satz 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 66 Jahren und sechs Monaten noch nicht erreicht hat.

22

Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt auch im Bundesgebiet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Antragsteller lebt mit seiner Familie in einer Wohnung in Mainz und ist während seines Aufenthalts in Deutschland bereits einer mehrmonatigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Anhaltspunkte dafür, dass er sich nur vorübergehend in Mainz bzw. in Deutschland aufhalten wird, sind nicht erkennbar. Für die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es auf aufenthaltsrechtliche Aspekte nicht an (BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – Rn. 18 f.).

23

3.2 Der Antragsteller ist aller Wahrscheinlichkeit nach erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, da kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, dass er wegen Krankheit oder Behinderung außerstande sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Dem Antragsteller ist als Unionsbürger in Folge der Arbeitnehmerfreizügigkeit die Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland auch erlaubt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

24

3.3 Der Antragsteller hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass er hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Der Antragsteller verfügt nach seinen Angaben und nach den Erkenntnissen des Antragsgegners abgesehen von den Kindergeldzahlungen für seine Kinder nicht über Einkommen oder Vermögen. Dies hat der Antragsteller durch Vorlage von Kontoauszügen glaubhaft gemacht. Auch der Antragsgegner geht von der Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Antragstellers aus, was sich in der vorausgegangenen Leistungsbewilligung für den Zeitraum bis zum 30.09.2015 zeigt, bei der lediglich das Kindergeld bei den Kindern des Antragstellers bedarfsmindernd angerechnet wurde. Den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners lassen sich auch keine gegenteiligen Anhaltspunkte entnehmen. Die aus dem Kontoauszug ersichtliche Zahlung von 500 Euro durch Herrn O. vom 09.09.2015 hat der Antragsteller als Darlehen des Schwagers für die Miete bezeichnet. Diese Angabe ist insofern plausibel, als der Nachname des Überweisenden mit dem der Ehefrau des Antragstellers identisch ist und dem Antragsteller in Folge einer vorläufigen Zahlungseinstellung wegen des Verdachts unerlaubter Ortsabwesenheit die Leistungen für September 2015 zunächst nicht ausgezahlt wurden, so dass es zu einer akuten Bedarfsunterdeckung gekommen sein kann. Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller oder seiner Ehefrau andere Einkommensquellen zur Verfügung stehen könnten oder verwertbares Vermögen vorhanden sein könnte, liegen nicht vor. Die letzte Entgeltzahlung aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis hat der Antragsteller im April 2015 erhalten. Das Nettoeinkommen lag etwa 200 Euro unter dem später nach dem SGB II bewilligten Gesamtbetrag, so dass auch plausibel ist, dass keine nennenswerten Beträge hieraus angespart werden konnten.

25

Das Einkommen aus Kindergeld wird einschließlich der im Monat Oktober 2015 zugeflossenen Nachzahlung rechnerisch vollständig zur Deckung des Bedarfs der Kinder des Antragstellers, der sich nach der hier vertretenen Auffassung mangels eigener Belastung mit Kosten für Unterkunft und Heizung auf den Regelbedarf beschränkt (siehe oben unter 3.6.1), benötigt. Das Kindergeld ist in Folge dessen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht bei dem Antragsteller bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

26

3.4 Der Antragsteller ist nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da er sich bereits länger als drei Monate in Deutschland aufhält. Er ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II ausgeschlossen, da eine Leistungsberechtigung nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nicht gegeben ist. Insbesondere ist der Antragsteller – soweit erkennbar – nicht vollziehbar ausreisepflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG). Der Antragsteller ist auch nicht nach § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

27

3.5 Der Antragsteller ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, jedenfalls wenn sie nicht als Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGB II leistungsberechtigt sind.

28

Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist es möglich, dass der Antragsteller bereits tatbestandlich nicht unter die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fällt, weil er nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche verfügen könnte (3.5.1).

29

Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, dürfte die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht greifen, da diese Regelung gegen Art. 4 i.V.m. Art. 70 VO der Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) verstößt und in Folge dessen bei Unionsbürgern nicht anzuwenden ist (3.5.2).

30

Darüber hinaus ist der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach der Rechtsauffassung der erkennenden Kammer verfassungswidrig. Sollte die Anwendung der Vorschrift im Hauptsacheverfahren nicht ohnehin wegen des Verstoßes gegen Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht zur Anwendung kommen, wäre das Hauptsacheverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen. Im Falle einer Nichtigerklärung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II würde die Ausschlussregelung nicht greifen, mit der Folge, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätte (3.5.3).

31

3.5.1 Der Antragsteller könnte nicht unter die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fallen, da er möglicherweise nicht über ein Aufenthaltsrecht, das ausschließlich dem Zweck der Arbeitsuche dient, verfügt.

32

a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, für bis zu sechs Monate freizügigkeitsberechtigt, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist offen, ob der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt. Zum einen hält sich der Antragsteller bereits deutlich länger als sechs Monate in Deutschland auf, des Weiteren liegt dem Gericht derzeit kein Nachweis über eine Arbeitsuche des Antragstellers vor.

33

Sofern ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers zum Zweck der Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU nicht (mehr) bestünde, ergäbe sich für diesen nur noch ein (formelles) Aufenthaltsrecht aus der Freizügigkeitsvermutung. Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erst dann ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (Hessisches LSG, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER – Rn. 48 m.w.N.).

34

b) Der Wegfall des Aufenthaltsrechts aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU hätte zur Folge, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht zum Zuge käme. Dies ergibt sich aus dem insoweit klaren Wortlaut der Regelung, in der von Personen die Rede ist „deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt“ (vgl. zum Ganzen ausführlich und in jeder Hinsicht überzeugend: LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER – Rn. 49 bis 54 m.w.N. sowie LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER – Rn. 27 ff. und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.09.2015 – L 7 SF 535/15 ER – Rn. 8).

35

Die gegenteilige Auffassung, nach der der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch bei ausländischen Staatsangehörigen (und ihren Familienangehörigen) greift, die über kein (materielles) Aufenthaltsrecht verfügen, ist nicht vertretbar (vgl. bereits LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 – L 31 AS 1348/13 – Rn. 26), unabhängig davon, ob dies mit der Konstruktion einer „ungeschriebene(n) Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines Aufenthaltsrechts“ (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER – Rn. 55) oder mit Erörterungen von vermeintlichen Wertungswidersprüchen sowie Sinn- und Zweckerwägungen (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS L 1 AS 2358/15 B – Rn. 34 oder LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.09.2015 – L 34 AS 1868/15 B ER – Rn. 16 ff.) begründet wird.

36

Der Wortlaut eines Gesetzes steckt die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten ab. Entscheidungen, die den Wortlaut einer Norm offensichtlich überspielen, sind unzulässig (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 310, zum Ganzen Rn. 304 ff. und Rn. 526 ff.). Die Bindung der Gerichte an das Gesetz folgt aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. Dass die Gerichte dabei an den Gesetzestext (im Sinne des amtlichen Wortlauts bzw. Normtextes) gebunden sind, folgt aus dem Umstand, dass nur dieser Gesetzestext Ergebnis des von der Verfassung vorgegebenen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist. Eine Überschreitung der Wortlautgrenze verstößt sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot als auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Es ist den Gerichten daher verfassungsrechtlich strikt verboten, „ungeschriebene Anspruchsvoraussetzungen“ zu erschaffen oder sich anderweitig über die Grenzen des Gesetzeswortlautes hinwegzusetzen, beispielsweise mit der Behauptung, aus einer „allein am Wortlaut“ orientierten Auslegung ergäben sich Wertungswidersprüche.

37

Insbesondere ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen methodisch verfehlt, unter Berufung auf einen angeblich „im Gesetzeswortlaut objektivierte(n) Wille(n) des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang“ ergebe, den Gesetzeswortlaut für unmaßgeblich zu erklären (so aber Hessisches LSG, Beschluss vom 18.09.2015 – L 7 AS 431/15 B ER – Rn. 19). Bei einem solchen Vorgehen ermächtigt sich der erkennende Spruchkörper selbst, jenseits des Wortlautes eine „zweckmäßige, vernünftige und gerechte Regelung“ zu schaffen, weil die unter Berücksichtigung des Wortlauts zu formulierende Rechtsnorm nach Auffassung des Spruchkörpers an „offenbare(r) Sinnwidrigkeit“ leide.

38

Zur Normsetzung sind Gerichte auf Grund des Gewaltenteilungsprinzips allenfalls ausnahmsweise bei echten Regelungslücken befugt. Dies trägt dem Dilemma Rechnung, das aus dem Umstand entsteht, dass die Gerichte einerseits an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), andererseits zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG) sind. Denn Gerichte müssen auch dann, wenn eine gesetzliche Regelung fehlt, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In Folge des Grundsatzes der Gesetzesbindung darf allerdings von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke nur dann ausgegangen werden, wenn der zu entscheidende Fall andernfalls nicht zu lösen wäre. Wenn ein Fall auf Grundlage und in Übereinstimmung mit den einschlägigen Normtexten zu lösen ist, verstößt die Annahme einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke und in Folge dessen die (analoge) Heranziehung einer anderen Rechtsfolge gegen das Gesetzesbindungsgebot (vgl. SG Mainz, Gerichtsbescheid vom 21.09.2015 – S 3 KR 558/14 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

39

Eine solche Regelungslücke liegt hier nicht vor. Selbst wenn sich die These aufstellen lässt, der Gesetzgeber bzw. der Gesetzesautor habe das Bestehen eines Aufenthaltsrechts als Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II stillschweigend vorausgesetzt (was auf Grund der Formulierung „deren Aufenthaltsrecht“ durchaus plausibel ist), macht dies eine ausdrückliche gesetzliche Regelung einer solchen Voraussetzung schon auf Grund des rechtsstaatlichen Gebotes der Normenklarheit nicht entbehrlich. Eine solche Regelung ist nicht Gesetz geworden, auch wenn sie beabsichtigt gewesen oder vorausgesetzt worden sein mag. Personen ohne Aufenthaltsrecht werden jedenfalls von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht erfasst.

40

c) Da der Antragsteller sich länger als sechs Monate in Deutschland aufhält, ist es denkbar, dass die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht vorliegen. Denn das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1a FreizügG/EU würde nur fortbestehen, solange der Antragsteller nachweisen kann, dass er Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kann nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht beurteilt werden. Diesbezügliche Ermittlungen sind jedenfalls im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits deshalb nicht erforderlich, weil dem Antrag aus im Folgenden zu erläuternden anderen Gründen stattzugeben ist.

41

3.5.2 Denn auch für den Fall, dass der Antragsteller weiterhin über ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügen sollte, bestünde ein Anordnungsanspruch. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist bei Unionsbürgern auf Grund des Verstoßes gegen zwingendes Recht der Europäischen Union nicht anzuwenden. Die Regelung verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004). Der Gleichheitsverstoß kann nicht durch die Möglichkeiten, den Zugang zu nationalen System der Sozialhilfe auch für Unionsbürger zu beschränken (vgl. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (RL 2004/38/EG)) gerechtfertigt werden (a.A. wohl EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 63).

42

a) Die VO (EG) 883/2004 ist gemäß Art. 288 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedürfte. Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden.

43

Der Antragsteller unterfällt nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst wird der Antragsteller als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates (Spanien), der seinen Wohnort in einem (anderen) Mitgliedstaat (Deutschland) hat, für den die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden Staates gelten und der – wie hier über die Kindergeldberechtigung, über die frühere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und über den vorangegangenen Bezug von Arbeitslosengeld II – in ein Sozialversicherungs- und/oder Familienleistungssystem im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) 883/2004 eingebunden ist.

44

Das Arbeitslosengeld II als die hier streitige Leistung unterfällt gemäß Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 dem Anwendungsbereich der Verordnung. Nach dieser Regelung gilt die Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70 VO (EG) 883/2004. Das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II gehört zu den "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" nach Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 (so auch EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rn. 43). Diese Zuordnung setzt voraus, dass die Leistung einem besonderen Schutzzweck im Sinne eines zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutzes zu einem System der sozialen Sicherheit oder im Sinne eines besonderen Schutzes behinderter Menschen dient, beitragsunabhängig finanziert wird und dass sie im Anhang X der VO (EG) 883/2004 aufgeführt ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der besondere Schutzzweck des Arbeitslosengeldes II liegt darin, dass es sich um eine ergänzende Leistung im Rahmen des Leistungssystems zur Überwindung von Arbeitslosigkeit handelt. Diese besondere ergänzende Leistung ist nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert und in Anhang X zur Verordnung (EG) 883/2004 aufgeführt. Dementsprechend sind Leistungen nach dem SGB II auch nicht als Fürsorgeleistungen gemäß Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen, unabhängig davon, dass diese Leistungen zugleich als Sozialhilfeleistungen qualifiziert werden können.

45

Art. 70 VO (EG) 883/2004 nimmt besondere beitragsunabhängige Geldleistungen vom Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch nicht aus. Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 enthält nur die Aufhebung des so genannten Exportgebots, indem die Geltung des Art. 7 VO (EG) 883/2004 für die in Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 genannten Leistungen ausgeschlossen wird. Darüber hinaus wird die Geltung der weiteren Vorschriften „dieses“, d.h. des dritten Titels (Art. 17 bis Art. 69) der Verordnung ausgeschlossen. Daneben regelt Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 quasi als Gegenstück zum Ausschluss des Art. 7 VO (EG) 883/2004, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, nach dessen Rechtsvorschriften vom Träger des Wohnorts zu dessen Lasten gewährt werden.

46

b) Die Voraussetzungen des Art. 4 VO (EG) 883/2004 in der Person des Antragstellers sind erfüllt. Diese Bestimmung regelt, dass Personen, für die die Verordnung gilt und sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates haben wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Unter Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 4 VO (EG) 883/2004 sind auch Rechtsvorschriften zu verstehen, die sich auf besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne des Art. 70 VO (EG) 883/2004) beziehen. Zwar wird der Begriff der Rechtsvorschriften – soweit hier von Interesse – in Art. 1 l VO (EG) 883/2014 wie folgt definiert:

47

„(Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck) "Rechtsvorschriften" für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit.“

48

Leistungen nach dem SGB II unterfallen als besondere beitragsunabhängige Leistungen jedoch nicht unmittelbar dem Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004, sondern werden über Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 in den Geltungsbereich der Verordnung einbezogen. Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass sich das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 nur auf Rechtsvorschriften der in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten sozialen Sicherungssysteme bezieht (so mit ausführlicher Begründung: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.08.2012 – L 3 AS 250/12 B ER – Rn. 23 ff.). Hiergegen spricht aber, dass der Begriff „Rechtsvorschriften“ in der Verordnung offensichtlich nicht immer im Sinne der vorangestellten Legaldefinition verwendet wird (vgl. auch Groth, jurisPR-SozR 2/2015 Anm. 1, der ein Redaktionsversehen vermutet). Denn beispielsweise in Art. 70 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 und Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 ist ausdrücklich von „Rechtsvorschriften“ die Rede, die sich auf besondere beitragsunabhängige Leistungen beziehen. Deshalb liegt es näher, die in Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 bestimmte Geltung der Verordnung auch für besondere beitragsunabhängige Leistungen so zu verstehen, dass hiermit die Definition des Begriffs der „Rechtsvorschriften“ auf solche Rechtsvorschriften erweitert wird, die sich auf besondere beitragsunabhängige Leistungen beziehen. Wenn das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 für die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen hätte ausgeschlossen werden sollen, wäre dies dem Ausschluss der Geltung des Art. 7 VO (EG) 883/2004 in Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 entsprechend geschehen. Eine derart gravierende Einschränkung der Geltung der Verordnung für besondere beitragsunabhängige Leistungen hätte im Verordnungstext entsprechend deutlich zum Ausdruck kommen können und müssen. Auch der EuGH geht ausdrücklich von einer Anwendbarkeit des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auf besondere beitragsunabhängige Leistungen aus (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 – Rn. 55).

49

c) Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung (zum Begriff vgl. Bokeloh, ZESAR 2013, S. 402), denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. Von der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II können ausschließlich Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit betroffen sein. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung allgemein oder bei besonderen beitragsunabhängigen Leistungen unter bestimmten Umständen zulässt.

50

Die VO (EG) 883/2004 selbst enthält keine Bestimmungen im Sinne des Art. 4 EG (VO) 883/2004, die eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot im vorliegenden Fall zulassen.

51

d) Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich auch nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der RL 2004/38/EG (so auch SG Berlin, Urteil vom 19.12.2012 – S 55 AS 18011/12 – Rn. 26 ff.; Schreiber, NZS 2012, S. 651; Hofmann/Kummer, ZESAR 2013, S. 206). Die hierin enthaltene Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Unionsbürger unter bestimmten Voraussetzungen von Sozialhilfeleistungen auszuschließen, ist bereits deshalb nicht zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung geeignet, weil sich Beschränkungen nach dem Wortlaut des Art. 4 VO (EG) 882/2004 ausschließlich aus dieser Verordnung selbst ergeben dürfen. Die Verordnung enthält keine Vorschrift, nach der Normen aus anderen primären oder sekundären Rechtsakten der EU das Diskriminierungsverbot einschränken dürften.

52

Hieran vermag auch die Qualifikation der streitigen Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfeleistungen im Sinne der RL 2004/38/EG nichts zu ändern. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Sozialhilfeleistungen sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichtete Hilfssysteme, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann (EuGH, Urteil vom 19.09.2013 – C-140/12 – Rn. 61). Aus dem sich hieraus ergebenden Umstand, dass die RL 2004/38/EG neben der VO (EG) 883/2004 grundsätzlich anwendbar ist, folgt jedoch nicht, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG eingeschränkt ist.

53

Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der RL 2004/38/EG stellt zwar eine inhaltliche Einschränkung des Diskriminierungsverbots aus Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG dar. Nach letzterer Vorschrift genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund der Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates. Abweichend hiervon ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) RL 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Dem (Aufnahme-)Mitgliedstaat ist es danach grundsätzlich erlaubt, Unionsbürgern, die die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

54

Aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich demnach, dass Mitgliedstaaten den Zugang zu Sozialhilfeleistungen nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG einschränken dürfen, die Teilmenge der Sozialhilfeleistungen, die zugleich als besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne von Art. 70 VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren sind, von einer solchen Vorgehensweise nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 jedoch ausgenommen sind. Eine andere Auffassung erscheint rechtswissenschaftlich nicht vertretbar.

55

Zunächst stehen Verordnung und Richtlinie auf einer Ebene der Normenhierarchie, d.h. keines der beiden Regelungswerke vermag das jeweils andere zu verdrängen. Die Regelungswerke stehen im hier interessierenden Zusammenhang auch nicht in Widerspruch zueinander. Die Ausnahmeregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG wird durch die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots auf besondere beitragsunabhängige Leistungen nicht funktionslos, da es weiterhin Leistungen der Sozialhilfe in den Mitgliedstaaten gibt, die nicht von Art. 70 VO (EG) 883/2004 erfasst sind. Diese sind als Leistungen der sozialen und medizinischen Fürsorge nach Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 vom Anwendungsbereich der Verordnung sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Hierunter fallen für Deutschland beispielsweise die Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) mit Ausnahme des 4. Kapitels. Die Aufnahme so genannter Hybridleistungen, die Elemente der sonstigen sozialen Sicherungssysteme und der Sozialhilfe miteinander vereinen, in die Koordinierungsverordnung führt zu der Konsequenz, dass diese nicht wie (sonstige) Sozialhilfeleistungen eingeschränkt werden dürfen, sondern dem strikten Diskriminierungsverbot unterliegen. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ist gegenüber Art. 4 VO (EG) 883/2004 daher auch nicht die speziellere Norm. Die Anwendungsbereiche überschneiden sich vielmehr (vgl. zum Ganzen auch SG Berlin, Urteil vom 19.12.2012 – S 55 AS 18011/12 – Rn. 43 ff.).

56

Im Übrigen können aus rechtssystematischen Gründen weder eine Richtlinie im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV noch eine auf Grund der Richtlinie erlassene nationale Rechtsvorschrift gegenüber einer Verordnung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV leges speciales sein. Dies ergibt sich aus dem Vorrang europäischen Rechts, wie er in Art. 288 Abs. 2 AEUV zum Ausdruck kommt. Richtlinien im Sinne des Art. 288 Abs. 3 AEUV geben den Mitgliedstaaten auf, Rechtsvorschriften mit bestimmten Mindestanforderungen zu erlassen. Diese Rechtsvorschriften sind aber kein Europarecht, sondern nationales Recht. Sie stehen deshalb normhierarchisch unterhalb des primären und sekundären Europarechts und werden daher bei Verstoß gegen Verordnungsrecht nach Art. 288 Abs. 2 AEUV von diesem verdrängt. Ob das nationale Recht in irgendeinem Sinne „spezieller“ als das entgegenstehende Verordnungsrecht ist, spielt hierfür keine Rolle. Die Richtlinie selbst steht zwar als Sekundärrecht der Europäischen Union auf einer Ebene der Normhierarchie mit der Verordnung, enthält aber kein unmittelbar geltendes Recht. Den Mitgliedstaaten wird beispielsweise in Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG lediglich ermöglicht, unter bestimmten Umständen Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen auszuschließen. Ob hiervon Gebrauch gemacht wird, bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. Nicht unmittelbar geltendes Recht kann aber mangels selbstständigem Anwendungsbefehl unmittelbar geltendes Recht nicht verdrängen.

57

e) Die entgegenstehende Rechtsprechung des EuGH aus dem Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14) kann demgegenüber nicht überzeugen (kritisch auch Kingreen, NVwZ 2015, S. 1505; Farahat, Verfassungsblog 2015/9/16, www.verfassungsblog.de; im Hinblick auf die fehlende Begründung: Kador in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 70 VO (EG) 883/2004, Rn. 5.4). Der EuGH geht hierbei davon aus, „dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen (seien), dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne des Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38 zusteht.“ Der EuGH thematisiert in seiner Entscheidung nicht, aus welchem rechtssystematischen Grund die Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 relativieren können soll. Vielmehr hat er dieser Regelung ohne Begründung offenbar keinerlei eigene Bedeutung beigemessen (vgl. Greiser in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23, Rn. 68.3). Es fehlt letztlich an einem rechtlichen Argument, mit dem die in Art. 4 VO (EG) 883/2004 ausdrücklich geregelte Beschränkung der Abweichungsmöglichkeiten vom Gleichbehandlungsgebot auf in der Verordnung selbst enthaltene Ausnahmen überwunden werden könnte.

58

f) Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 09.06.1971 – 2 BvR 225/69 – Rn. 92 ff.) zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs.

59

Aus der Nichtanwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger folgt, dass der Antragsteller aller Voraussicht nach einen Anspruch auf die begehrten Leistungen nach dem SGB II hat.

60

Die erkennende Kammer ist an das entgegenstehende Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) nicht gebunden. Wenn ein Gericht Unionsrecht anders auslegen will als der EuGH, folgt hieraus keine Vorlagepflicht, solange innerstaatliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung bestehen (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Im Hauptsacheverfahren stünde es vielmehr im Ermessen des Gerichts, die Rechtssache gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV dem EuGH vorzulegen, um ggf. eine Korrektur der Rechtsprechung zu ermöglichen (vgl. Wißmann in: Erfurter Kommentar, AEUV, Art. 267, Rn. 22, 16. Aufl. 2016).

61

3.5.4 Selbst für den Fall, dass der EuGH in Folge einer solchen Vorlage bei seiner Rechtsauffassung verbliebe, wäre allerdings eine Verurteilung zur Gewährung von Arbeitslosengeld II in der Hauptsache wahrscheinlich, ein Anordnungsanspruch daher gegeben. Denn der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verstößt nach der Rechtsauffassung der erkennenden Kammer auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, wie es vom BVerfG in den Urteilen vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) und vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) konstituiert worden ist (so bereits SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER – zur Veröffentlichung vorgesehen, und SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER – Rn. 7 ff.; vgl. auch Frerichs, ZESAR 2014, S. 285 f.).

62

a) Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133).

63

Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte einklagbare verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 211).

64

Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 – 1 BvR 1508/96 – Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 212).

65

Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), weil hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts enthalten ist (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 74) bedeutet hingegen keine Einschränkungsbefugnis (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12. Dezember 2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 213).

66

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 137). Soweit für die Beschränkung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums unter Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09) angeführt wird, die Verfassung gewährleiste nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (so z.B. Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 34), wird übersehen, dass das BVerfG in diesem Kontext ausschließlich auf die Bedarfsabhängigkeit abstellt und dem Gesetzgeber bei der Anrechnung von Einkommen einen weiten Gestaltungsspielraum zubilligt. Das Verfassungsrecht gebietet demnach keinen Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern lediglich auf existenzsichernde Leistungen bei Hilfebedürftigkeit.

67

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden. Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch –SGB I – ; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Aufl. 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein gleichfalls aus dem Begriff der Menschenwürde abgeleitetes Prinzip der Selbstverantwortlichkeit zu relativieren (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12. 2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 215).

68

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und nicht durch ein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie die Gewährleistung von Lebensbedingungen verhindern, die physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sind (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 219; so auch Frerichs, ZESAR 2014, S. 285).

69

Das Grundrecht ist – unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) – dem Grunde nach unverfügbar und insoweit "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

70

b) Als Menschenrecht steht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 63).

71

Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73).

72

Ob und in welchem Umfang der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland gesetzlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger bestimmt werden kann, hängt allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfallen. Auch hier kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse dieser Personengruppe wie auch die wertende Einschätzung ihres notwendigen Bedarfs umfasst, aber nicht davon entbindet, das Existenzminimum hinsichtlich der konkreten Bedarfe zeit- und realitätsgerecht zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 – Rn. 73).

73

c) Unter Zugrundelegung des geschilderten Maßstabs ist die erkennende Kammer von der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II überzeugt, da der vollständige Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II ohne anderweitige Kompensationsmöglichkeit eine Sicherung des Existenzminimums bereits dem Grunde nach ausschließt. Ein völliger Ausschluss von existenzsichernden Leistungen lässt sich nicht mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG vereinbaren (Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 73; Frerichs, ZESAR 2014, S. 285).

74

Allenfalls ein Teil des von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Personenkreises kann auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII verwiesen werden. Zwar ist der Anwendungsbereich des SGB XII nicht bereits nach § 21 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen, da die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zu einem Leistungsausschluss dem Grunde nach führt (vgl. auch Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 56.1). Soweit behauptet wird, die Abgrenzung der Systeme der Grundsicherung nach dem SGB II und dem SGB XII geschehe durch den Begriff der Erwerbsfähigkeit (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 20 m.w.N.), so gibt dies die Rechtslage nicht exakt wieder. Gemäß § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Personen, die trotz Erwerbsfähigkeit dem Grunde nach von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, fallen nicht unter diese Ausschlussregelung. Es spielt hierbei keine Rolle, das Fehlen welcher Voraussetzung bzw. das Vorliegen welches Ausschlusstatbestands den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausschließt (vgl. hierzu ausführlich LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER – Rn. 13 ff.).

75

In § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist jedoch ein dem § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entsprechender bzw. im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis noch weitergehender Leistungsausschluss normiert. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Lediglich Hilfe bei Krankheit kann unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII gewährt werden. Dieser Leistungsausschluss verstößt – anders als § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – nicht generell gegen Art. 4 VO (EG) 883/2004, weil von den Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII lediglich die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII als besondere beitragsunabhängige Leistung im Sinne des Art. 70 VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren ist.

76

Ein Rückgriff auf die Auffangregelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist auf Grund deren systematischer Stellung ausgeschlossen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ermöglicht eine Ermessensentscheidung über die Erbringung von Leistungen der Sozialhilfe, die nicht bereits nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu gewähren sind. Gegenüber der Gesamtregelung des § 23 Abs. 1 SGB XII bildet § 23 Abs. 3 SGB XII erkennbar an der der Grundregel nachfolgenden Stellung im Paragraphen eine einschränkende Sonderregel. Über diese Gesetzessystematik kann auch eine „verfassungskonforme Auslegung“ (vgl. Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 75) nicht hinweghelfen. Eine verfassungskonforme Auslegung ist nur unter Beachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlautes und unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik zulässig. Andernfalls würde die Verfassungskonformität der "ausgelegten" Vorschrift durch einen Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG und zugleich gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz erkauft.

77

Die in Gesetzgebungstechnik und Rechtspraxis etablierten Standards der Gesetzessystematik stellen lediglich Abkürzungen für bestimmte sprachliche Operationen dar, die die Lesbarkeit von Gesetzestexten erhöhen und deren Umfang reduzieren sollen. Die Verwendung solcher Gesetzgebungstechniken bindet die Gerichte in gleichem Maße wie der Wortlaut des Gesetzestextes in seiner Begrenzungsfunktion. Dies gilt beispielsweise auch für den Grundsatz, dass die speziellere Regelung die allgemeinere verdrängt. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist in diesem Sinne eine Spezialregelung gegenüber § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, da für die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII („Ausländer“) vorliegen und weitere Voraussetzungen (Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe oder Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche) hinzutreten müssen. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII schließt als Rechtsfolge somit einen Anspruch auf Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aus. Die ergänzende Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezieht sich wiederum ausschließlich auf § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, der selbst nur einen Anspruch für bestimmte Leistungsarten des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Hilfe zur Pflege) konstituiert. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ermöglicht daneben beispielsweise die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen und Hilfe in besonderen Lebenslagen für den in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII genannten Personenkreis. Der Anspruchsausschluss in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII folgt auch dieser Auffangregelung nach und schließt diese mit aus.

78

d) Vorliegend kann offen bleiben, ob die Ausschlussregelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bei erwerbsfähigen Angehörigen der Signatarstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953 (EFA – neben Deutschland sind dies Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und das Vereinigte Königreich) auf Grund des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA nicht zur Anwendung kommt (bejahend mit überzeugender Begründung: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER – Rn. 22 ff.). Dies würde zwar dazu führen, dass ein erheblicher Teil der vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffenen – einschließlich des Antragstellers im vorliegenden Verfahren – einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII hätten und hierdurch ihr Existenzminimum gesichert sein könnte.

79

Diese Rechtsfolge würde die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jedoch nicht verhindern, da dieser Ausschlusstatbestand einen erheblich größeren Personenkreis erfasst, zum einen die Staatsangehörigen von EU-Mitgliedstaaten, die nicht Unterzeichner des EFA sind (Bulgarien, Finnland, Kroatien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern), zum anderen Angehörige potenziell aller anderen Staaten der Welt, sofern sie ein Aufenthaltsrecht nach § 16 Abs. 4 AufenthG oder nach § 18c AufenthG besitzen.

80

e) Andere Ansprüche auf Sozialleistungen, die das Existenzminimum bei Vorliegen des Ausschlusstatbestands des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vollständig sichern könnten, bestehen nicht. Ansprüche auf Leistungen nach dem AsylbLG können bei Unionsbürgern allenfalls gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG bei vollziehbarer Ausreisepflicht bestehen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 05.02.2015 – L 6 AS 883/14 B ER – Rn. 12).

81

f) Der Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums kann nicht durch einen Verweis auf die Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat vermieden oder gerechtfertigt werden (a.A. LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40 und vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 31; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER – Rn. 27; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2238/15 ER-B, L 1 AS L 1 AS 2358/15 B – Rn. 39; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22 f.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 33; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 B ER – Rn. 36 ff.; LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 9 f.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht).

82

Die verfassungsrechtliche Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums besteht – wie oben ausgeführt – unabhängig von bestimmten Verhaltenserwartungen, da das Grundrecht unverfügbar ist (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – Rn. 74). Die Unverfügbarkeit resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen oder Unterlassungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 213). Hieraus folgt, dass auch dann das Existenzminimum durch staatliche Sozialleistungen gewährleistet werden muss, wenn bestehende Selbsthilfemöglichkeiten (z.B. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) tatsächlich nicht genutzt werden, gleich aus welchem Grund. Dies gilt auch dann, wenn eine Selbsthilfemöglichkeit darin bestehen könnte, in den Herkunftsstaat auszureisen und dort Fürsorgeleistungen in Anspruch zu nehmen.

83

Hieran ändert auch der z. B. vom Bayerischen Landessozialgericht (Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 32; Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 37) bemühte Hinweis auf die Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und 08.10.2014 (1 BvR 886/11) nichts, mit denen das BVerfG den grundsätzlichen Leistungsausschluss für Studenten und Auszubildende nach § 7 Abs. 5 SGB II unbeanstandet gelassen hat. Die hierin vom BVerfG geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden, vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11 – Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein sollte (so bereits SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 220). Die in diesen Kammerbeschlüssen geäußerte Auffassung des BVerfG dürfte deshalb nicht aufrechtzuerhalten sein. Das Existenzminimum dürfte auch bildungspolitisch nicht zu relativieren sein. Hiervon abgesehen ist die Situation von Studenten oder Auszubildenden mit denen von Unionsbürgern oder sonstigen ausländischen Staatsangehörigen im vorliegenden Kontext nicht vergleichbar. Während Studenten oder Auszubildenden im Allgemeinen rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit offen steht, Studium oder Ausbildung abzubrechen und hierdurch den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II zu beseitigen, kann die Ausreise eines vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Betroffenen in den Herkunftsstaat durch tatsächliche (z.B. wirtschaftliche) Hindernisse erschwert oder unmöglich sein. Sie führt auch nicht zu einem Wegfall des Ausschlussgrundes, sondern – im Gegenteil – wegen der Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland zum Wegfall des Anspruchs (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Anders als im Falle des Studenten oder Auszubildenden durch Studien- bzw. Ausbildungsabbruch kann der vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II durch die Ausreise den Anspruch auf Leistungen gerade nicht herbeiführen.

84

Unzutreffend ist auch die Auffassung des 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 28.09.2015 (L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22). Dieser meint, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht ausschließe, Leistungen nur insoweit vorzuhalten, wie es erforderlich ist, um einen Betroffenen in die Lage zu versetzen, dass er existenzsichernde Leistungen seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen kann. Sei ein Unionsbürger in der Lage, ohne weiteres in sein Herkunftsland zu reisen, um dort existenzsichernde Leistungen in Anspruch zu nehmen, sei der Staat im Rahmen seiner Gewährleistungsverpflichtung allenfalls gehalten, Reise- und Verpflegungskosten zur Existenzsicherung vorzuhalten. Soweit angenommen werde, dass der vollständige Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II ohne anderweitige Kompensationsmöglichkeit eine Sicherung des Existenzminimums dem Grunde nach ausschließe (Bezugnahme auf SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER), werde verkannt, dass bei einem Unionsbürger, der sich ohne Aufenthaltsrecht im Sinne des Art. 7 RL 2004/38 im Inland aufhalte und der nicht aus anerkennenswerten, schwerwiegenden Gründen an der Rückreise gehindert sei, gerade eine Kompensationsmöglichkeit durch Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen im Herkunftsland bestehe.

85

Hiergegen ist – abgesehen vom grundsätzlichen Einwand, dass der Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums weder von der Staatsangehörigkeit, noch vom rechtmäßigen Aufenthalt, noch von bestimmten Verhaltensweisen abhängen kann – einzuwenden, dass auf Grund der einander ergänzenden Ausschlussregelungen im SGB II und im SGB XII selbst der durch das LSG Berlin-Brandenburg als notwendig angesehene Anspruch auf Reise- und Verpflegungskosten nicht besteht. Selbst wenn man einen solchen Anspruch für ausreichend zur Gewährleistung des Existenzminimums halten würde, wäre die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II somit nicht behoben. Darüber hinaus ist unklar, ob und ggf. nach welchem Maßstab das LSG Berlin-Brandenburg hier zur Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses macht, dass betroffene Personen im Herkunftsland existenzsichernde Leistungen tatsächlich erhalten können. Vor allem werden keine näheren Ausführungen darüber gemacht, ob und inwieweit die Existenzsicherungssysteme der Herkunftsstaaten sich am Maßstab des Existenzsicherungsgrundrechts nach deutschem Verfassungsrecht messen lassen müssen. Die Annahme, dass sämtliche Staaten der Europäischen Union eine Leistung zur Sicherung des Existenzminimums gewährleisten, die den vom BVerfG bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland entwickelten Anforderungen genügen, ginge fehl. Aber auch schon die These, dass alle Staaten der Europäischen Union ein auch nur entfernt vergleichbares Sicherungssystem zur Verfügung stellen, ist gewagt. Abgesehen hiervon verfügt der grundrechtsverpflichtete deutsche Staat über keinerlei Möglichkeit, eine solche Sicherung im Ausland rechtlich oder tatsächlich zu garantieren.

86

Selbst wenn man aber den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für verfassungsmäßig halten würde, wenn die Betroffenen im Herkunftsland existenzsichernde Leistungen erhalten können, müsste diese Voraussetzung zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht nur in sämtlichen 24 Staaten der Europäischen Union erfüllt sein, sondern auch in allen anderen Staaten der Welt, weil der Leistungsausschluss sich zugleich auch auf das Aufenthaltsrecht aus § 16 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), welches nach Abschluss eines Studiums zum Zweck der Arbeitsuche erworben werden kann, und auf das Aufenthaltsrecht aus § 18c AufenthG bezieht. Diese Aufenthaltstitel sind nicht auf Angehörige bestimmter Staaten, insbesondere nicht auf Unionsbürger beschränkt.

87

Dies zeigt aber letztlich nur, dass ein Verweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen in anderen Staaten kein sinnvolles Kriterium zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines Leistungsausschlusses von existenzsichernden Leistungen bei transnationalen Sachverhalten ist. Die Gewährleistungspflicht des deutschen Staates für ein Existenzminimum gilt innerhalb der Staatsgrenzen für deutsche Staatsangehörige, ausländische Staatsangehörige und Staatenlose gleichermaßen und uneingeschränkt und unabhängig davon, ob vergleichbare Ansprüche in einem anderen Staat geltend gemacht werden könnten. Sie endet aber auch an den Staatsgrenzen, sodass ein Verstoß gegen das Existenzsicherungsrundrecht wohl nicht schon dann angenommen werden kann, wenn eine Person rechtmäßig in einen Staat abgeschoben wird, der über kein vergleichbares Existenzsicherungssystem verfügt (vgl. Thym, Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags am 1210.2015, S. 18).

88

Vor diesem Hintergrund ist es auch verfassungsrechtlich unerheblich, ob im von der Behörde oder dem Gericht zu prüfenden Einzelfall eine Rückkehrmöglichkeit in einen Staat mit existenzsicherndem Sozialhilfesystem besteht. Sofern § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für nichtig erklärt werden muss, fällt der Ausschlusstatbestand für alle hiervon betroffenen Personen weg, unabhängig davon, ob sie selbst zu der Fallgruppe gehören, die die Verfassungswidrigkeit der Norm begründet. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ist daher in jedem Fall entscheidungserheblich, in dem der Ausschlusstatbestand greift. Deshalb sind die von verschiedenen Gerichten in Eilverfahren oberflächlich vorgenommenen Prüfungen der in den jeweiligen Herkunftsländern der Betroffenen bestehenden Sozialhilfesysteme (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER – Rn. 40: Tschechien; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.05.2015 – L 2 AS 256/15 B ER – Rn. 31: Rumänien; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B: Slowakei; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.08.2015 – L 12 AS 1180/15 B ER – Rn. 27: Italien; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER – Rn. 38: Portugal) ebenso unerheblich, wie die Frage, ob bei dem Betroffenen im konkreten Einzelfall ein Hinderungsgrund für die Rückkehr in den Herkunftsstaat vorliegt.

89

g) Der Auffassung des 4. Senats des LSG Hamburg (Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403715 B ER – Rn. 9), den verfassungsrechtlichen Vorgaben könne dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern ein Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form der unabweisbar gebotenen Leistungen eingeräumt werde, muss ebenfalls widersprochen werden. Das LSG Hamburg führt hierzu aus:

90

„Welche Leistungen unabweisbar sind, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland kommt in der Regel lediglich die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht (Überbrückungsleistungen). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Anspruch auf die unabweisbar gebotene Hilfe aus einer entsprechenden Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (…) oder unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (…) herzuleiten ist oder ob in entsprechenden Fällen von einer atypischen Bedarfslage auszugehen ist, die den Einsatz öffentlicher Mittel im Sinne des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt.“

91

Das Fehlen bzw. der Ausschluss eines verfassungsrechtlich gebotenen gesetzlichen Anspruchs auf eine Leistung kann nicht zur Vermeidung des verfassungswidrigen Zustands dadurch ausgeglichen werden, dass nicht einschlägige Anspruchsgrundlagen „entsprechend“ herangezogen oder Ansprüche direkt aus der Verfassung abgeleitet werden (vgl. hierzu auch Frerichs, ZESAR 2014, S. 285). Konkret ist sowohl die Anwendung des § 23 Abs. 2 Satz 3 SGB XII als auch des § 73 SGB XII durch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen. Diese Regelungen dennoch „entsprechend“ anzuwenden, würde gegen das Gesetzesbindungsgebot verstoßen. Die weiter geäußerte Behauptung, der durch das Gericht beschriebene Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form unabweisbar gebotener Leistungen sei ein (nach dem BVerfG verfassungsrechtlich gebotener) „gesetzlicher Anspruch“, selbst wenn seine „konkrete Ausgestaltung im Einzelfall“ nicht direkt aus dem Gesetz ablesbar sei (LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403715 B ER – Rn. 10), ist in sich widersprüchlich und verfehlt die Grundlinien der Rechtsprechung des BVerfG, dem es um eine parlamentarisch-demokratische Ausgestaltung der existenzsichernden Leistung durch Gesetz geht. In § 31 SGB I ist darüber hinaus positiv normiert, dass Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Auch diese Regelung schließt es aus, einen Anspruch gegen einen Sozialleistungsträger des Sozialgesetzbuches unmittelbar auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu stützen. Der verfassungswidrige Zustand kann auf Grund des Normverwerfungsmonopols letztlich nur durch das BVerfG behoben werden.

92

Anders als der 4. Senat des LSG Hamburg im genannten Beschluss vom 15.10.2015 (L 4 AS 403715 B ER – Rn. 10) meint, kann der Leistungsausschluss auch keine „Rechtfertigung in dem europäischen Konzept einer Freizügigkeit“ finden, ohne dass eine Sozialunion hergestellt sei. Das LSG Hamburg lässt die dogmatische Herleitung einer solchen Rechtfertigung offen. Die Freizügigkeit ist lediglich tatsächliche Ursache dafür, dass es vielen Menschen möglich ist, sich in Deutschland legal aufzuhalten. Inwiefern sich dieser Umstand beschränkend auf einen in der Menschenwürde fußenden verfassungsrechtlichen Anspruch auswirken könnte, bleibt unklar. Allerdings scheint das LSG Hamburg den Leistungsausschluss damit rechtfertigen zu wollen, dass er von der Realisierung der in Art. 2 des EU-Vertrages festgelegten Werte der Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Wahrung der Menschenrechte in allen EU-Mitgliedstaaten ausgeht. Ohne dies näher auszuformulieren, scheint daher auch dieses Gericht davon auszugehen, dass der deutsche Staat ein menschenwürdiges Existenzminimum dann nicht gewährleisten muss, wenn die betroffene Person die theoretische Möglichkeit hat, in seinem Herkunftsstaat unter – nach welchen Kriterien auch immer – menschenwürdigen Umständen zu leben.

93

h) Die Auffassung, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, erweist sich nach alldem als unzutreffend. Praktisch wird von den diese Auffassung vertretenden Senaten der Landessozialgerichte für ausreichend gehalten, dass die betroffenen Personen aus einem EU-Staat stammen, in den sie zurückkehren können. Die Möglichkeit der dortigen Inanspruchnahme von Sozialleistungen und deren Niveau wird, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich geprüft und dann stets bejaht. Würde dieses Kriterium ernst genommen, wäre die Rechtslage im jeweiligen Herkunftsstaat deutlich genauer zu prüfen. Bei verbleibenden Zweifeln müssten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen zugesprochen werden. Die Auffassung der hier zitierten Landessozialgerichte liefe daher darauf hinaus, dass es dem Gesetzgeber jedenfalls nach deutschem Verfassungsrecht freistünde, alle ausländischen Staatsangehörigen von existenzsichernden Leistungen auszuschließen, die legal in ihren Herkunftsstaat zurückreisen könnten, da sich der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht allein auf Unionsbürger bezieht, sondern auch Personen mit Aufenthaltsrechten aus § 16 Abs. 4 AufenthG und § 18c AufenthG erfasst. Es gäbe schließlich keinen Grund, weshalb der Gesetzgeber Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nicht auch bei anderen Aufenthaltszwecken als dem der Arbeitsuche ausschließen dürfte, wenn die betroffenen Personen sich nicht in Deutschland aufhalten müssten. Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums würde auf diese Weise auf ein Grundrecht für Deutsche, Flüchtlinge und Asylberechtigte reduziert, bzw. unterläge bei anderen Personen einem einfachen Gesetzesvorbehalt.

94

i) Vor dem Hintergrund, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach dem Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) und unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) offensichtlich der Klärung bedarf und dieser Umstand sowohl in Literaturbeiträgen (vgl. Frerichs, ZESAR 2014, S. 285; Kingreen, NVwZ 2015, S. 1506; Thym, NJW 2015, S. 134; Farahat, Verfassungsblog 2015/9/16, www.verfassungsblog.de; Körtek, SozSich 2015, S. 370 ff.; Greiser in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23, Rn. 119; Löbich ZESAR 2015, S. 426 f.; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 102; Harich, jurisPR-SozR 15/2011 Anm. 1; vgl. auch Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 73 und Kirchhof, NZS 2015, S. 4) als auch Gerichtsentscheidungen (Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.12.2010 – L 16 AS 767/10 B ER – Rn. 59; Hessisches LSG, Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12 – Rn. 63; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 17.08.2015 – L 19 AS 1265/15 B ER, L 19 ASL 19 AS 1266/15 B – Rn. 28, vom 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER – Rn. 32, und vom 09.09.2015 – L 19 AS 1260/15 B ER – Rn. 27; SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER; SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 – Rn. 7 ff.) benannt wird, erscheint die aktuelle Praxis einiger Landessozialgerichte (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 22 f.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – Rn. 33; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 B ER – Rn. 36 ff.; LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – Rn. 9 f.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 503/15 B ER – nicht veröffentlicht; die verfassungsrechtliche Fragestellung ignorierend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.09.2015 – L 2 AS 1582/15 B ER), dem betroffenen Personenkreis bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen keinen einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, nicht vertretbar.

95

Ferdinand Kirchhof führt zum (selbst mitverantworteten) Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) in bemerkenswerter Klarheit aus (NZS 2015, S. 4):

96

„In der Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz wurde nochmals klargestellt, dass die Menschenwürde nicht etwa nur Deutschen zukommt, sondern jeder Person, die sich im Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhält. Das Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gilt also nicht nur für „Hartz-IV-Bezieher“; es bleibt nicht bloßes Deutschen- oder Bürgerrecht. Ob Deutscher, Angehöriger eines Mitgliedstaates der EU oder Staatsangehöriger eines Drittstaates — Mensch ist man immer.

97

Es mag sein, dass soziale Leistungen dieser Art auf Personen aus ärmeren Ländern anziehende Wirkungen entfalten. Solange der deutsche Staat sie indessen auf seinem Territorium aufnimmt, beherbergt oder auch nur duldet, sind sie in diesem bescheidenen Umfang auch leistungsberechtigt. Vorwürfe, mit dieser Rechtsprechung würde der Zuzug nach Deutschland angeregt, übersehen, dass das Grundrecht auf eine Gewährleistung menschenwürdiger Existenz eine Folge zwingenden Verfassungsrechts ist, die einen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt. Wer hier Anreizeffekte vermeiden will, müsste das eigentlich ursächliche Aufenthaltsrecht ändern. Dessen Konsequenz einer finanziellen Versorgung von Menschen, die nicht selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten können, hängt völlig vom Aufenthalt in Deutschland ab; erst dann entfaltet das Menschenrecht seine Wirkung.“

98

Die für die Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses angeführten Argumente sind in den zitierten Entscheidungen hingegen allenfalls kursorisch ausgearbeitet und entbehren einer vertieften verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung. Auch für die oben zitierten Senate der Landessozialgerichte dürfte bei Lektüre des Urteils das BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) erkennbar sein, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch das BVerfG bei entsprechender Befassung nicht unwahrscheinlich ist. Bei dieser Ausgangslage existenzsichernde Leistungen zu versagen (und teilweise sogar mangels Erfolgsaussicht Prozesskostenhilfe abzulehnen, LSG Berlin-Brandenburg – L 20 AS 2161/15 B ER – Rn. 25; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.11.2015 – L 6 AS 504/15 B – nicht veröffentlicht) ist daher rechtsstaatlich bedenklich, zumal die Landessozialgerichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die letzte Instanz bilden und durch die Leistungsablehnung effektiver Rechtsschutz endgültig vereitelt wird.

99

j) Aus der Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II folgt, dass im Falle der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Übrigen das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen wäre, wenn das Gericht nicht ohnehin von einer Nichtanwendung des Ausschlusstatbestands in Folge der Europarechtswidrigkeit ausginge. Der Anwendungsvorrang des Art. 4 VO (EG) 883/2004 beseitigt im Übrigen die Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht, sondern beschränkt nur den Kreis der Verfahren, bei denen die Frage der Verfassungsmäßigkeit entscheidungserheblich sein dürfte. Im Falle einer Nichtigerklärung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II würde die Ausschlussregelung nicht greifen, mit der Folge, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätte.

100

Mithin besteht ein Anordnungsanspruch auch für den Fall, dass der Antragsteller über ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügt und ein Verstoß des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen Art. 4 VO (EG) 883/2004 entgegen der hier vertretenen Auffassung nicht angenommen werden kann oder der EuGH dies im Rahmen eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV für den zu entscheidenden Einzelfall verbindlich feststellt.

101

3.6 Hinsichtlich des Leistungsumfangs erstreckt sich der Anordnungsanspruch gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II im Falle des Antragstellers auf den Regelbedarf für Partner nach § 20 Abs. 4 SGB II i.V.m. der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2015 (RBSFV 2015) in Höhe von derzeit 360 Euro sowie auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Ab dem 01.01.2016 ist gemäß der RBSFV 2016 von einem Regelbedarf in Höhe von 364 Euro auszugehen.

102

Beim Antragsteller sind auch die vollständigen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung aus dem Dauernutzungsvertrag in Höhe von 577,10 Euro monatlich zu berücksichtigen. Aus den vom Antragsteller vorgelegten Kontoauszügen ergeben sich zwar für die Monate September und Oktober 2015 geringfügig höhere Abbuchungen des Vermieters in Höhe von 585,52 Euro bzw. 589,10 Euro. Da hierfür keine Erklärung abgegeben wurde, kann die Kammer beim gegenwärtigen Sachstand jedoch nicht von einer Erhöhung der Unterkunfts- und Heizkosten ausgehen.

103

3.6.1 Der Unterkunfts- und Heizungsbedarf des Antragstellers besteht nicht lediglich in einem auf ihn entfallenden „Kopfteil“ der Gesamtkosten (so bereits SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 289 ff.). Der Antragsteller ist selbst und allein Schuldner der Unterkunfts- und Heizkosten. Dies ergibt sich aus dem in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners enthaltenem Dauernutzungsvertrag. Der Antragsteller ist alleinige Vertragspartei auf Mieterseite.

104

Aus der Gesetzessystematik des § 22 SGB II ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R – Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R – Rn. 19).

105

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R – Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II ein. Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R – Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

106

Dass § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung.

107

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), auf dessen Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 – 5 C 68/85 – Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

108

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 1/06 R – Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 – B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R – Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

109

c) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R – Rn. 19 – Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R – Rn. 21 f. – Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 3/14 R – Rn. 27 – Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, geht jedoch (inzwischen) davon aus, dass diese typisierende Annahme „nicht gesetzlich als den Anspruch auf KdU begrenzend festgeschrieben ist“ (BSG, Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R – Rn. 19).

110

3.6.2 Eine Kürzung auf „angemessene“ Kosten der Unterkunft und Heizung ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlich bedenkliche Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu anhängigen Verfahren vor dem BVerfG (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – anhängig unter 1 BvL 2/15; SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 370/14 – anhängig unter 1 BvL 5/15) vorläufig nicht veranlasst.

111

4. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da es sich bei den begehrten Leistungen um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums handelt, ist von Eilbedürftigkeit auszugehen. Der Antragsteller hat durch Vorlage aktueller Kontoauszüge glaubhaft gemacht, dass er nicht über Einkommen oder Vermögen im anspruchsbeschränkenden Umfang verfügt (siehe oben unter 3.3).

112

4.1 Ein Anordnungsgrund besteht auch im Hinblick auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Hierfür ist es entgegen einer in der Rechtsprechung verbreiteten Auffassung keineswegs erforderlich, dass bereits eine Räumungsklage erhoben wurde und konkret Wohnungslosigkeit droht (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER – Rn. 26 ff.; dem folgend LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.06.2015 – L 6 AS 833/15 B ER – Rn. 33).

113

Der 7. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen führt zur Begründung seiner (geänderten) Auffassung im Wesentlichen aus (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER – Rn. 27 ff.):

114

„Nach der Rechtsprechung des BVerfG (…) ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden. Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die Menschenwürde positiv schützen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Mit dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die die physische Existenz des Menschen umfasst. Zu dieser physischen Existenz gehört nach ausdrücklicher Rechtsprechung des BVerfG (…) auch die Gewährleistung von Unterkunft und Heizung (…).

115

Der elementare Lebensbedarf eines Menschen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich in dem Augenblick zu befriedigen, in dem er besteht (…).

116

Die Versagung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung führt damit unmittelbar und sogleich zu einer Bedarfsunterdeckung, die bei glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berührt (…).

117

Gegen die Übernahme von Unterkunftskosten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor Erhebung der Räumungsklage durch den Vermieter wird geltend gemacht, im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen seien die einschränkenden Anforderungen an einen Anordnungsgrund verfassungsrechtlich unbedenklich. Allein aus dem existenzsichernden Charakter der Unterkunftskosten lasse sich ein Anordnungsgrund nicht ableiten. Denn für den Fall einer fristlosen Kündigung und einer sich anschließenden Räumungsklage könne die Kündigung noch abgewendet werden. Für den Fall der Räumungsklage enthalte § 22 Abs. 9 SGB II Regelungen zur Sicherung der Unterkunft. Hiernach sei das Amtsgericht verpflichtet, dem Grundsicherungsträger unverzüglich Tatsachen und näher bezeichnete Einzelheiten einer Räumungsklage nach der Kündigung von Wohnraum wegen Zahlungsverzugs mitzuteilen. Dies diene der Prävention von Obdachlosigkeit und solle den Leistungsträgern ermöglichen, auch unabhängig von einem Antrag zu prüfen, ob die Kündigung durch Übernahme der Mietrückstände abzuwenden ist. Denn gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB werde eine Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Sollte der Leistungsträger nach dem SGB II in einer solchen Situation die Leistungszahlung verweigern, stehe den Antragstellern die Beantragung von einstweiligem Rechtsschutz - dann dem Zweck dieses Verfahrens entsprechend (Art. 19 Abs. 4 GG) - offen. Ein Anordnungsgrund resultiere auch nicht bereits aus eventuellen Kostenfolgen der Kündigung des Mietverhältnisses. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich der Geltendmachung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung sei nicht die Vermeidung von Mehrkosten, sondern die drohende Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit. Ein Anordnungsgrund lasse sich auch nicht damit begründen, dass zwar die außerordentliche, nicht jedoch die ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs durch nachträgliche Zahlung des Mietzinses abgewendet werden könnte. Während der Mieter grundsätzlich, insbesondere auch bei Zahlungsverzug als Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung, für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen habe und sich bei Geldmangel nicht auf § 286 Abs. 4 BGB berufen könne, entlaste ihn im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit. Bei der Prüfung der schuldhaften und nicht unerheblichen Pflichtverletzung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB seien die Gesamtumstände im Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten zu berücksichtigen. Damit begünstige § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB den Mieter bei einer ordentlichen Kündigung und eröffne ihm im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs die Möglichkeit, sich auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe zu berufen. Im Rahmen des Verschuldens könne zudem eine nachträgliche Zahlung des Mieters innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, weil sie ein etwaiges Eigenverschulden in einem milderen Licht erscheinen lasse (…).

118

Diese Argumentation steht der Bejahung des Anordnungsgrundes auch vor Erhebung der Räumungsklage indes nicht entgegen. Es ist den Betroffenen gerade nicht zuzumuten, einen zivilrechtlichen Kündigungsgrund entstehen zu lassen, eine Kündigung hinzunehmen, eine Räumungsklage abzuwarten und auf die nachfolgende Beseitigung der Kündigung zu hoffen (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.01.2015 - L 6 AS 2085/14 B ER mit zutreffendem Hinweis auf den Grundrechtsschutz nach Art 13 GG; (…)). Denn die prozessuale Konsequenz der Anerkennung eines im Moment der Bedarfsentstehung bestehenden verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG: Es muss sichergestellt sein, dass gegen eine Versagung der existenznotwendigen Mittel effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht (…). Ein "Vertrösten" des Antragstellers auf Rechtsschutz zu einem späteren Zeitpunkt - nach Erhebung einer Räumungsklage durch den Vermieter - ist hiermit nicht vereinbar.

119

Zudem stellt es - auch unabhängig von der Anerkennung eines Grundrechts auf Gewährleistung des Existenzminimums - einen nach geänderter Auffassung des Senats nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch dar, wenn ein Gericht von einem Bürger, der Rechtsschutz gegen eine Behördenentscheidung sucht, verlangt, dass dieser sich gegenüber einem Dritten vertragswidrig verhält, indem er seine vertraglich geschuldete Miete nicht vollständig zahlt und damit die Kündigung des Mietverhältnisses provoziert (…). Die Versagung von effektivem Rechtsschutz im Zeitpunkt der Bedarfsentstehung zwingt den Antragsteller zum Vertragsbruch. Denn nach der Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 BGB (BGH, Urteil vom 04.02.2015 - VIII ZR 175/14) ändert der Umstand, dass der Mieter, um die Miete entrichten zu können, auf Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle angewiesen war und diese Leistungen rechtzeitig beantragt hatte, an dem Vertretenmüssen des Mietrückstands ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass der zuständige Sozialleistungsträger nach Kündigungsausspruch zur Übernahme der Mietschulden verpflichtet worden ist“.

120

Die Kammer schließt sich dieser in jeder Hinsicht überzeugenden Argumentation an. Im Hinblick auf Unterkunftsbedarfe nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Falle des Antragstellers nicht zumutbar.

121

4.2 Die Kammer hat ihr Ermessen hinsichtlich der Leistungshöhe dahingehend ausgeübt, dass dem Antragsteller die Leistungen bereits in voller Höhe zu erbringen sind. Die Leistungen nach dem SGB II sind weit überwiegend für den sofortigen Verbrauch gedacht und werden hierfür in der Regel auch benötigt. Deshalb kann die Leistungshöhe bei hoher Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache nicht auf das „Unabweisbare“ gekürzt werden, zumal sich die Einschätzung dessen, welche Bedarfe im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG existenziell und auf welche Art diese zu decken sind, der Regelungskompetenz der Gerichtsbarkeit entzieht (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014, S 3 AS 130/14 – Rn. 240 u.a.).

122

Die Kammer hat ihr Ermessen hinsichtlich des Zeitraums der Verpflichtung des Antragsgegners dahingehend ausgeübt, dass der ab dem 01.10.2015 beginnende regelmäßige Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II) vollständig abgedeckt wird. Hierbei wurde berücksichtigt, dass angesichts des Grundsatzes der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Urteils des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) nicht zu erwarten ist, dass der Antragsgegner bei Ablauf des Verpflichtungszeitraums ohne gerichtliche Anordnung vorläufig Leistungen erbringen wird, solange dem BVerfG kein Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zur Entscheidung vorliegt (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Da nicht mit einer schnellen Klärung der (Verfassungs-) Rechtslage zu rechnen ist, erscheint die erneute Durchführung einstweiliger Rechtsschutzverfahren nach Ablauf des Verpflichtungszeitraums nahezu unvermeidlich, so dass es sinnvoll erscheint, zumindest den regelmäßigen Bewilligungszeitraum auszuschöpfen.

123

Nichtsdestotrotz wird der Antragsgegner zu prüfen haben, ob im Falle des Antragstellers und seiner Familie sowie in vergleichbaren Fällen Leistungen nach dem SGB II gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III vorläufig zu erbringen sind, solange bezüglich des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II noch Verfahren vor dem BSG (derzeit die Verfahren zu den Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R, B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 24/14 R, B 4 AS 32/15 R, B 14 AS 51/13 R, B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R, B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R) anhängig sind (vgl. zu einer möglichen Ermessensreduzierung SG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2015 – S 22 AS 3298/15 ER – Rn. 31 ff.). Da das Urteil des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) nur im Ausgangsverfahren B 4 AS 9/13 R Bindungswirkung entfaltet, kann es dazu kommen, dass das BSG dem EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV weitere Verfahren vorlegen wird. Ebenso kommt ein Vorlagebeschluss zum BVerfG in Betracht.

124

Hinsichtlich des Beginns der Verpflichtung wurde nicht auf den Tag der Antragstellung bei Gericht (12.10.2015) sondern auf den Beginn des Monats abgestellt, da jedenfalls für die im Streit stehenden Unterkunftsbedarfe ein Nachholbedarf besteht (vgl. zu diesem Erfordernis Binder in Lüdtke, SGG, § 86b Rn. 36, 4. Aufl. 2012 m.w.N.). Forderungen aus einem Mietverhältnis können nicht durch faktische Bedarfsdeckung beseitigt werden, so dass die nachteiligen Wirkungen eines Zahlungsverzugs nicht auf die Vergangenheit beschränkt sind.

125

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER

Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER

Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER zitiert 53 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 286 Verzug des Schuldners


#BJNR001950896BJNE027902377 (1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Z

Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7 Leistungsberechtigte


(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86b


(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungskla

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung


(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Le

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11 Zu berücksichtigendes Einkommen


(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dies

Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung


Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 20 Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts


(1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des tägl

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 9 Hilfebedürftigkeit


(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer So

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 543 Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vert

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 40 Anwendung von Verfahrensvorschriften


(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass1.rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 19 Bürgergeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Bürgergeld. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Bürgergeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 573 Ordentliche Kündigung des Vermieters


(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen. (2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 8 Erwerbsfähigkeit


(1) Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. (2) Im Sinne von Absatz 1 kön

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 30 Geltungsbereich


(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. (2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt. (3) Einen Wohnsitz hat jem

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 23 Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer


(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 41 Berechnung der Leistungen und Bewilligungszeitraum


(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht. (2) Berechnungen werd

Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG | § 1 Leistungsberechtigte


(1) Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die 1. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen,1a. ein Asylgesuch geäußert haben und nicht die in den Nummern 1, 2 bis 5 und

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 35 Bedarfe für Unterkunft und Heizung


(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Le

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 328 Vorläufige Entscheidung


(1) Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn1.die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundes

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 569 Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt für den Mieter auch vor, wenn der gemietete Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Dies gilt auch, wenn der Mieter die Ge

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 97


(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. (2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Ge

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7a Altersgrenze


Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben: für de

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 21 Sonderregelung für Leistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch


Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweite

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 16 Grundsatz des Aufenthalts zum Zweck der Ausbildung


Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deuts

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 546a Entschädigung des Vermieters bei verspäteter Rückgabe


(1) Gibt der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurück, so kann der Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist.

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 31 Vorbehalt des Gesetzes


Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 73 Hilfe in sonstigen Lebenslagen


Leistungen können auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.

Referenzen - Urteile

Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER zitiert oder wird zitiert von 27 Urteil(en).

Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER zitiert 19 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 13. Okt. 2015 - L 16 AS 612/15 ER

bei uns veröffentlicht am 13.10.2015

Tenor I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Gründe I. Die Klägerin und Antragstellerin begehrt vorläufig die Bew

Bundessozialgericht Urteil, 17. März 2016 - B 4 AS 32/15 R

bei uns veröffentlicht am 17.03.2016

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses

Bundessozialgericht Urteil, 17. Feb. 2016 - B 4 AS 24/14 R

bei uns veröffentlicht am 17.02.2016

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an

Bundessozialgericht Urteil, 20. Jan. 2016 - B 14 AS 15/15 R

bei uns veröffentlicht am 20.01.2016

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. März 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht

Bundessozialgericht Urteil, 20. Jan. 2016 - B 14 AS 35/15 R

bei uns veröffentlicht am 20.01.2016

Tenor Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen geg

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2015 - B 14 AS 33/14 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2015

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gerich

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2015 - B 14 AS 15/14 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2015

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht z

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2015 - B 14 AS 18/14 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2015

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht z

Bundessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2015 - B 4 AS 59/13 R

bei uns veröffentlicht am 03.12.2015

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses G

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Feb. 2015 - VIII ZR 175/14

bei uns veröffentlicht am 04.02.2015

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Sozialgericht Mainz Vorlagebeschluss, 12. Dez. 2014 - S 3 AS 370/14

bei uns veröffentlicht am 12.12.2014

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Diese Entscheidung zitiert Tenor 1. Das Verfahren wird ausgesetzt. 2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Z

Sozialgericht Mainz Vorlagebeschluss, 12. Dez. 2014 - S 3 AS 130/14

bei uns veröffentlicht am 12.12.2014

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Diese Entscheidung zitiert Tenor 1. Das Verfahren wird ausgesetzt. 2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: Ist § 22 Abs. 1

Bundessozialgericht Urteil, 18. Nov. 2014 - B 4 AS 3/14 R

bei uns veröffentlicht am 18.11.2014

Tenor Auf die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. März 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung u

Bundessozialgericht EuGH-Vorlage, 12. Dez. 2013 - B 4 AS 9/13 R

bei uns veröffentlicht am 12.12.2013

Tenor I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Bundessozialgericht Urteil, 23. Mai 2013 - B 4 AS 67/12 R

bei uns veröffentlicht am 23.05.2013

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. Aug

Bundessozialgericht Urteil, 30. Jan. 2013 - B 4 AS 54/12 R

bei uns veröffentlicht am 30.01.2013

Tenor Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der

Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2010 - B 14 AS 50/10 R

bei uns veröffentlicht am 19.10.2010

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2009 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Land
8 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Sozialgericht Mainz Beschluss, 12. Nov. 2015 - S 12 AS 946/15 ER.

Sozialgericht Speyer Urteil, 16. Feb. 2018 - S 13 KR 286/16

bei uns veröffentlicht am 16.02.2018

Tenor 1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 773,54 Euro zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 773,54 Euro festgesetzt. Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt die Zahlung der weit

Sozialgericht Dortmund Urteil, 24. Okt. 2016 - S 32 AS 4290/15 WA

bei uns veröffentlicht am 24.10.2016

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen. 1Tatbestand: 2Die Klägerin und die Beklagte streiten in dem ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 4883/13 geführten Klageve

Sozialgericht Dortmund Urteil, 12. Sept. 2016 - S 32 AS 5367/15 WA

bei uns veröffentlicht am 12.09.2016

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird nicht zugelassen. 1Tatbestand: 2Die Klägerin und die Beklagte streiten in dem ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 4085/12 geführten K

Sozialgericht Dortmund Urteil, 12. Sept. 2016 - S 32 AS 190/16

bei uns veröffentlicht am 12.09.2016

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen. 1Tatbestand: 2Die Klägerin und die Beklagte streiten in dem ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 354/15 geführten Klagever

Referenzen

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben:

für den
Geburtsjahrgang
erfolgt eine
Anhebung
um Monate
auf den Ablauf des Monats,
in dem ein Lebensalter
vollendet wird von
1947165 Jahren und 1 Monat
1948265 Jahren und 2 Monaten
1949365 Jahren und 3 Monaten
1950465 Jahren und 4 Monaten
1951565 Jahren und 5 Monaten
1952665 Jahren und 6 Monaten
1953765 Jahren und 7 Monaten
1954865 Jahren und 8 Monaten
1955965 Jahren und 9 Monaten
19561065 Jahren und 10 Monaten
19571165 Jahren und 11 Monaten
19581266 Jahren
19591466 Jahren und 2 Monaten
19601666 Jahren und 4 Monaten
19611866 Jahren und 6 Monaten
19622066 Jahren und 8 Monaten
19632266 Jahren und 10 Monaten
ab 19642467 Jahren.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010.

2

Die 1988 geborene Klägerin bulgarischer Staatsangehörigkeit reiste am 28.7.2009 mit einem bulgarischen Reisepass über den Grenzübergang Gradina (Bulgarien) aus und zu einem späteren, nicht exakt bekannten Zeitpunkt in die Bundesrepublik ein. Einwohnermelderechtlich wurde sie erstmals am 8.4.2010 "aus Bulgarien kommend" in Stuttgart erfasst. In der Zeit vor dem 8.4.2010 verfügte sie nicht über eine Arbeitserlaubnis und war nicht als Beschäftigte (bei einer Einzugsstelle oder der Minijobzentrale) gemeldet. Die Klägerin war seit Januar 2010 schwanger und wurde am 27.10.2010 von einem Mädchen entbunden. Am 6.7.2010 beantragte sie bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei Antragstellung gab sie an, Vater des erwarteten Kindes sei ihr Lebensgefährte. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser als griechischer Staatsangehöriger einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt. Die Klägerin wies durch eine Urkunde des Jugendamts vom 20.7.2010 die Anerkennung der Vaterschaft nach. Über eine von ihr am 21.7.2010 bei der BA beantragte Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU ohne Bezug zu einer konkreten Beschäftigung wurde zunächst nicht entschieden.

3

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab (Bescheid vom 28.7.2010; Widerspruchsbescheid vom 10.8.2010). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3.3.2011). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin verfüge über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach allen Erkenntnissen des Verfahrens habe sie bereits im Streitzeitraum beabsichtigt, in Deutschland zu bleiben. Ihr Aufenthalt sei auch in einer Weise verfestigt gewesen, dass von seiner Dauerhaftigkeit auszugehen sei. Die Anmietung einer Wohnung mit dem Lebensgefährten sei geplant gewesen. Das erwartete Kind habe von seiner Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben dürfen, weil sein Vater einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt habe. Die Klägerin sei nicht aus Rechtsgründen iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig einzustufen gewesen. Auch ein Unionsbürger, der noch nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genieße, sondern einer Arbeitserlaubnis bedürfe, sei zumindest dann erwerbsfähig iS von § 8 SGB II, wenn der Erlaubnisvorbehalt allein aus Nachrangigkeitsgründen bestehe und daher zumindest eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden könne. Dies sei bei der Klägerin der Fall.

4

Der Leistungsanspruch sei jedoch nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Andere Aufenthaltsgründe lägen nicht vor. Insbesondere sei die Klägerin in Deutschland nicht als oder wie eine Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Im Hinblick auf ihr Kind habe die Klägerin kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige erwerben können, weil sie erst ab Geburt des Kindes "Verwandte" iS von § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU gewesen sei. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 liege nicht vor. Dieses trete hinter die Regelung in Art 24 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) zurück. Zur Sozialhilfe iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG zählten auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach den §§ 20, 22 SGB II sowie - im Fall der Klägerin - die Mehrbedarfsleistungen für Schwangere. Diesen Leistungen fehle der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der einen Vorrang der VO (EG) Nr 883/2004 gegenüber der FreizügRL begründe. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II iVm Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sei als speziellere Regelung anwendbar. Auch ein Verstoß des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gegen die Regelungen des EFA sei nicht ersichtlich, weil Bulgarien nicht Signatarstaat sei.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Berufungsurteil trage dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht ausreichend Rechnung. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der bevorstehenden Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich seines ungeborenen Kindes sei übertragbar. Dies folge aus dem Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und der aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes. Es sei dem Vater zu ermöglichen, den in § 1615f BGB festgelegten Unterhalt als Naturalunterhalt zu erbringen. Dass der Unionsgesetzgeber eine solche Situation nicht vorhergesehen habe, führe allenfalls dazu, dass sich das Aufenthaltsrecht nicht aus dem Sekundär- sondern dem Primärrecht ergebe. Die werdende Mutter habe in der Zeit der Schwangerschaft einen aufenthaltsrechtlich geschützten Anspruch auf Beistand durch den "werdenden" Vater. Leistungsansprüche im Rahmen der sozialen Koordinierung seien durch die Unionsbürger-Richtlinie nicht ausgeschlossen, weil der EuGH soziale Ansprüche aus dem Freizügigkeitsregime und aus den Regelungen über die sozialrechtliche Koordinierung als konkurrierende behandele.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8

Die Klägerin könne über die Schwangerschaft keine Eigenschaft als Familienangehörige konstruieren. Zwar stünden sich - vor Erklärung des Vorbehalts der Bundesregierung - aus Rumänien und Bulgarien stammende EU-Bürger bei Leistungen nach dem SGB II schlechter als Ausländer, die gleichzeitig EFA-Staatsangehörige seien. Dieses unterschiedliche Ergebnis verstoße jedoch nicht gegen Unionsrecht, weil es durch die (befristet) eingeschränkte Freizügigkeit bulgarischer Staatsangehöriger gerechtfertigt sei, die insoweit auch das ansonsten unionsrechtlich geltende Diskriminierungsverbot einschränke.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen und der Beklagte haben einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht verneint.

10

1. Streitgegenstand sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte mit Bescheid vom 28.7.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2010 abgelehnt hat. Die Klägerin hat den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010 beschränkt.

11

2. Die Klägerin erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 SGB II und war auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen.

12

Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Klägerin bewegte sich innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Nr 1 SGB II und war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 SGG) hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II.

13

3. Die Klägerin war auch erwerbsfähig iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II. Nach § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. IS von § 8 Abs 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte(§ 8 Abs 2 SGB II) .

14

Nach den Feststellungen des LSG standen körperliche Gründe iS von § 8 Abs 1 SGB II einer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig anzusehen war. Zwar bleibt für EU-Bürger der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (vgl Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 25.4.2005 ) die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) für eine Übergangsfrist von sieben Jahren bis zum 31.12.2013 in der Weise beschränkt, dass die bestehenden nationalen Regelungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Staatsangehörige auch für diese neuen EU-Bürger beibehalten wurden. Staatsangehörige dieser Länder können sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU als Art 2 des ZuwanderungsG vom 30.7.2004 ; vgl § 1 Abs 2 Nr 1 AufenthG) grundsätzlich frei innerhalb der EU bewegen, benötigen zur Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in der Übergangszeit aber weiterhin eine Arbeitsgenehmigung-EU (§ 284 Abs 1 S 2 SGB III idF des Gesetzes vom 7.12.2006, BGBl I 2814).

15

Die Klägerin war nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung. Es ist jedoch ausreichend, dass ihr vorbehaltlich der Vorlage eines konkreten, überprüfbaren Stellenangebots eines künftigen Arbeitgebers im streitigen Zeitraum die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Soweit das SG eine Erwerbsfähigkeit ohne weitere Ermittlungen mit der Begründung verneint hat, dass keine konkrete und realisierbare Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung/EU bestanden habe, unterstellt es zu Unrecht, dass in jedem Einzelfall eine konkret-rechtliche Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme geprüft werden muss. Für die Annahme, dass eine Beschäftigung iS des § 8 Abs 2 SGB II erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, reicht es jedoch aus, wenn die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne einer rechtlich-theoretischen Möglichkeit mit einer Zustimmung zur Beschäftigungsaufnahme durch die BA erlaubt sein könnte, auch wenn dies bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz durch die Verfügbarkeit geeigneter bevorrechtigter Bewerber(§ 39 Abs 2 AufenthG) verhindert wird. Unabhängig hiervon ist Unionsbürgern, also auch Rumänen und Bulgaren, Vorrang gegenüber Drittstaatsangehörigen einzuräumen ("Gemeinschaftsprivileg" HK-AuslR/Clodius, 1. Aufl 2008, Anhang zum FreizügG/§ 284 SGB III RdNr 19). Dass auf eine abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen ist, ergibt sich nunmehr auch aus dem mit Wirkung zum 1.4.2011 (BGBl I 453) eingefügten § 8 Abs 2 S 2 SGB II. Dieser bestimmt, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist(BT-Drucks 15/1749 S 31 "Klarstellung"; BT-Drucks 15/1516 S 52).

16

Einen solchen - gegenüber deutschen Staatsangehörigen und uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern - nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum, weil ihr eine Arbeitsgenehmigung/EU nach § 284 Abs 3 SGB III iVm § 39 Abs 2 Nr 1 AufenthG, etwa für eine Tätigkeit als Hilfskraft(vgl hierzu auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 13 RdNr 44), hätte erteilt werden können. Staatsangehörige aus den neuen EU-Beitrittsländern, die - wie die Klägerin - seit längerer Zeit in Deutschland wohnen, sind nicht als "Neueinreisende" iS von § 284 Abs 4 SGB III (mit "Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland") anzusehen, für die weitergehende Beschränkungen gelten(Dienelt aaO).

17

4. Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II.

18

Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 24 mit Verweis auf BT-Drucks 7/3786 S 5 zu § 30; zur Begründung eines Wohnsitzes "nach den faktischen Verhältnissen" iS von Art 1 lit j VO (EG) 883/2004 unter Einbeziehung der Definition in Art 11 VO (EG) Nr 987/2009 und Abgrenzung zur "legal residence in Directive 2004/38" Frings, Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger unter dem Einfluss der VO (EG) Nr 883/2004 in ZAR, 2012, 317 ff, 322).

19

Jedenfalls für den Bereich des SGB II läuft es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwider, wenn unter Berufung auf eine sog Einfärbungslehre vor allem des früheren 4. Senats des BSG (vgl hierzu BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 ff; ähnlich BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 31 ff; anders für die Familienversicherung nach § 10 SGB V: BSGE 80, 209 ff, 211 f = BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 12 S 52 f) dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfordernissen zum Aufenthaltsstatus aufgestellt werden (vgl Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 26, 50 ff)und damit einzelnen Personengruppen der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt wird. Zudem hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung nur in Teilbereichen, etwa beim Kinder-, Erziehungs- und Elterngeld, aufgegriffen und einen Anspruch von einem definierten Aufenthaltsstatus abhängig gemacht (vgl zB § 1 Abs 7 BEEG; § 1 Abs 6 BErzGG idF bis zum 31.12.2006; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Differenzierungskriterien: BVerfGE 111, 176 ff = SozR 4-7833 § 1 Nr 4). Ein diesen Regelungen entsprechendes, also zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal im Sinne des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthG fehlt im SGB II. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II in einer anderen Regelungssystematik ein Ausschlusskriterium von SGB II-Leistungen nur für diejenigen Ausländer vorgesehen, deren "Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt".

20

Unabhängig hiervon liegt eine fehlende Dauerhaftigkeit des Aufenthalts im Sinne einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit bei Unionsbürgern regelmäßig nicht vor, weil ihr Aufenthalt nicht nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet oder auflösend bedingt ist. Zwar verfügte die Klägerin - anders als in den vom 14. Senat des BSG entschiedenen Fallgestaltungen (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17) -offenbar (Feststellungen des LSG hierzu fehlen) nicht über eine Freizügigkeitsbescheinigung (§ 5 FreizügG/EU; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weitere aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ). Einer solchen Bescheinigung kommt aber lediglich deklaratorische Bedeutung zu, weil sich das Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwGE 110, 40, 53: subjektiv-öffentliches Unionsbürgerrecht unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme). Auch bei Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedstaaten kann der Aufenthalt während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs 5, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, also nach Durchführung eines Verwaltungsverfahren, beendet werden(Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 2. Aufl 2011, § 13 RdNr 57, 61; OVG Bremen Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4). Das Aufenthaltsrecht besteht, solange der Aufnahmemitgliedstaat nicht durch einen nationalen Rechtsakt festgestellt hat, dass der Unionsbürger bestimmte vorbehaltene Bedingungen iS des Art 21 AEUV nicht erfüllt (Harms in Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG RdNr 4 mwN).

21

Auch § 13 FreizügG/EU steht der Vermutung einer Freizügigkeit nicht entgegen. Danach findet, soweit ua nach Maßgabe des Vertrags vom 25.4.2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl II 1146) abweichende Regelungen anwendbar sind, das FreizügG/EU Anwendung, wenn die Beschäftigung durch die BA gemäß § 284 Abs 1 SGB III genehmigt wurde. Trotz des unklaren Wortlauts des § 13 FreizügG/EU schränkt der Umstand, dass die Beitrittsverträge nationale Übergangsmaßnahmen im Hinblick auf den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt innerhalb eines längstens sieben Jahre dauernden Zeitraums durch die Mitgliedstaaten zulassen, nicht grundsätzlich das Freizügigkeitsrecht der neuen Unionsbürger ein(OVG Hamburg Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4; HK-AuslR/Geyer, 1. Aufl 2008, § 13 FreizügG RdNr 2).

22

5. Der Anspruch auf SGB II-Leistungen ist auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) greift der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II schon deshalb nicht, weil die Klägerin unmittelbar nach Verlassen Bulgariens Ende Juli 2009 nach Deutschland eingereist ist und sich seitdem im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor sie im April 2010 einwohnermelderechtlich erfasst wurde.

23

6. a) Auch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II schließt einen Anspruch der Klägerin nicht aus, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Ausschlussregelung erfordert - zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil sich aus der bevorstehenden Geburt des Kindes der Klägerin ein anderes Aufenthaltsrecht ergeben konnte.

24

b) Unbesehen des subjektiv-öffentlichen Unionsbürgerrechts nach der RL 2004/38/EG und dem deutschen FreizügG/EU erfordert eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine "fiktive Prüfung", ob - im Falle von Unionsbürgern - ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche bestand oder daneben auch andere Aufenthaltszwecke den Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland rechtfertigen konnten. Dies ergibt sich aus der für die Auslegung der Vorschrift wesentlichen Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung.

25

Den Gesetzesmaterialien zu § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist zu entnehmen, dass von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II Gebrauch gemacht werden sollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13). Trotz des Kontextes, in welchem die Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II erlassen wurde, nämlich der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger durch die RL 2004/38/EG, wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber neben den von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG unstreitig erfassten Sozialhilfeleistungen auch SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausschließen. Deren Einordnung als Sozialhilfeleistungen iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist allerdings fraglich. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechend ihrer Aufnahme in den Anhang der VO (EG) Nr 883/2004 als "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" nach Art 4 iVm Art 70 VO (EG) Nr 883/2004, nicht jedoch als Leistungen der "sozialen Fürsorge" iS von Art 3 Abs 5a) VO (EG) Nr 883/2004 angesehen. Sie haben darauf hingewiesen, dass durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestehe (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 29; BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22 RdNr 20 f; vgl auch EuGH Urteil vom 4.9.2009 - Rs C-22/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 43; siehe aber auch BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 juris RdNr 25 mwN, zur Einordnung von SGB II-Leistungen als aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen iS des Art 7 Abs 1 Buchst b der RL 2004/38/EG, wobei dies "nicht zwingend deckungsgleich" mit dem in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG genannten Begriff der Sozialhilfe sein müsse; kritisch hierzu Breidenbach in ZAR 2011, 235 ff).

26

Ungeachtet der insofern bestehenden Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit des nicht nach dem Grad der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats und seinem beruflich möglichen Zugang zum Arbeitsmarkt differenzierenden sowie zeitlich unbefristeten Ausschlusses der arbeitsuchenden Unionsbürger von SGB II-Leistungen ist § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Auch aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv feststellt werden muss, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland zusteht (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28).

27

c) Jedenfalls nicht erfasst von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II werden Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder ggf dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG (siehe hierzu unten) aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorliegen. Insofern ist der Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II immanent, dass der Ausschluss nur Unionsbürger trifft, die sich ausschließlich und ggf schon vor einer Meldung beim Jobcenter auch eigeninitiativ um eine Beschäftigung bemüht haben, nicht jedoch diejenigen erfasst, die sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können.

28

Da Unionsbürger für die Einreise keines Visums und für den Aufenthalt keines Aufenthaltstitels (§ 2 Abs 4 S 1 FreizügG/EU) bedürfen, kann bei ihnen der ausländerrechtlich anerkannte Aufenthaltszweck nicht unmittelbar einem entsprechenden Dokument mit möglicher Tatbestandswirkung für das SGB II entnommen werden. Vor dem Hintergrund einer - bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung - bestehenden Freizügigkeitsvermutung von Unionsbürgern und der bereits damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (vgl Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 12 RdNr 34) kann bei dieser Personengruppe nicht darauf abgestellt werden, ob das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert ist. Zwar kann ein in einer ggf bis zum 28.1.2013 deklaratorisch erteilten Bescheinigung gemäß § 5 Abs 1 FreizügG/EU (aF) angegebener Aufenthaltszweck ein wesentliches Indiz für den Aufenthaltsgrund sein. Unionsbürger sind jedoch nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen (BVerwG Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122 ff). Entscheidend ist das Vorliegen der Voraussetzungen für ein weiteres Aufenthaltsrecht. Auch soweit der Aufenthalt aus einem anderen materiell bestehenden Aufenthaltsrecht als dem Zweck der Arbeitsuche nicht beendet werden könnte, hindert dies sozialrechtlich die positive Feststellung eines "Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

29

Seine Feststellung, die Klägerin sei im streitigen Zeitraum "ab dem 6.7.2010 in Deutschland allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt", hat das Berufungsgericht vorrangig damit begründet, dass ein Aufenthaltsrecht wegen einer fortwirkenden Arbeitnehmereigenschaft nicht bestanden habe (vgl zu dem hierfür regelmäßig angenommen Zeitraum von sechs Monaten: § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU; EuGH Urteil vom 4.6.2009 - C-22/08, C-23/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 32; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18). Ob sich die Klägerin bis zum Beginn des streitigen Zeitraums auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche berufen konnte, hat das LSG nicht erörtert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Gemeinschaftsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 ; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 2 FreizügG/EU RdNr 56).

30

Auch wenn die Klägerin wegen des im streitigen Zeitraum hinzutretenden SGB II-Antrags und der damit verbundenen Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken (§ 2 Abs 1 S 1 und 2 SGB II), als Arbeitsuchende anzusehen ist, hindert dies nicht die Annahme eines Aufenthaltsrechts auch aus einem anderen Aufenthaltsgrund (vgl zum zulässigen Wechsel der Aufenthaltszwecke während des Aufenthalts: HK-AuslR/Geyer, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3). Auch der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann erst festgestellt werden, wenn die Freizügigkeitsberechtigung nicht aus anderen Gründen besteht (Huber, AufenthaltsG, 2010, § 5 FreizügG/EU RdNr 15). Ein solches bereits vor SGB II-Antragstellung hinzugetretenes weiteres Aufenthaltsrecht der Klägerin im Bundesgebiet liegt hier vor.

31

d) Die Klägerin konnte sich nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II berufen.

32

§ 11 Abs 1 S 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) bestimmt, dass das - grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende - AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich iS einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 11 RdNr 28).

33

Nach dem insoweit anwendbaren § 7 Abs 1 S 3 AufenthG kann - unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenthaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke(§ 7 Abs 1 S 2 AufenthG) - in begründeten Fällen im Wege einer Ermessensentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden. Allerdings ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Abs 1 S 3 AufenthG noch aus dem europäischem Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung ableiten können, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist. Da nichteheliche Lebensgemeinschaften von den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Abs 1 S 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt(vgl BVerwG Urteil vom 27.2.1996 - 1 C 41/93 - BVerwGE 100, 287 ff; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufentG RdNr 20).

34

Die - hier im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - bei Unionsbürgern nur zu prüfenden Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechts sind aber wegen der bevorstehenden Geburt des Kindes gegeben. Insofern handelt es sich um ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt. Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie iS des Art 6 GG und der §§ 27 Abs 1, 28 Abs 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(MRK) berufen (vgl auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufenthG RdNr 20).

35

Eine solche Konstellation, die einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Arbeitsuche vermitteln kann, kann auch in einer bevorstehenden Familiengründung liegen. Insofern wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum AufenthG angenommen, dass der bevorstehenden Geburt eines Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils zukommen können. Die anstehende Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen, aber auch ausländischen Staatsangehörigen kann aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses begründen, wenn entweder der Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und die aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist. Dies gilt zumindest mit der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmung der Mutter (§§ 1592 Nr 2, 1595 Abs 1 BGB) sowie einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung (OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.2.2012 - 2 S 94.11, 2 M 70.2 M 70.11 - RdNr 3 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 2.10.2009 - 3 B 482/09 - InfAuslR 2010, 27 ff: vgl auch VG Dresden Beschluss vom 11.6.2008 - 3 L 279/08 - RdNr 10 zum Abschiebungsschutz für eine werdende ausländische Mutter). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Art 6 Abs 1 GG iVm Abs 2 GG ein (OVG Hamburg Beschluss vom 14.8.2008 - 4 Bs 84/08 - InfAuslR 2009, 16 ff). Von der Schutzpflicht des Staates aus Art 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen von Geburt an betroffen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff; BVerfG NVwZ 2006, 682, 683 zum Familienschutz; BVerfGE 80, 81 ff).

36

Diese aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung bestanden auch im Falle der Klägerin. Es wäre ihr weniger als vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht mehr zumutbar gewesen, sich von dem Vater des Kindes unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung soll verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art 6 Abs 1 GG von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen ist dabei nicht vorrangig auf formal-rechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung abzustellen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff, RdNr 18 mwN). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin bereits bei Antragstellung angegeben, dass ihr Kind von dem Lebensgefährten sei, mit dem die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung geplant sei. Es ergab sich daher schon für die Zeit vor der Anerkennung der Vaterschaft eine vorwirkende Schutzwirkung, die ein Aufenthaltsrecht der Klägerin wegen des bevorstehenden familiären Zusammenlebens begründen konnte.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Im Sinne von Absatz 1 können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen, ist ausreichend.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die

1.
eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen,
1a.
ein Asylgesuch geäußert haben und nicht die in den Nummern 1, 2 bis 5 und 7 genannten Voraussetzungen erfüllen,
2.
über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzen
a)
wegen des Krieges in ihrem Heimatland nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes,
b)
nach § 25 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder
c)
nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes, sofern die Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt,
4.
eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
5.
vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
6.
Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne daß sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen,
7.
einen Folgeantrag nach § 71 des Asylgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylgesetzes stellen oder
8.
a)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, die ihnen nach dem 24. Februar 2022 und vor dem 1. Juni 2022 erteilt wurde, oder
b)
eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, die nach dem 24. Februar 2022 und vor dem 1. Juni 2022 ausgestellt wurde,
und bei denen weder eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes oder nach § 16 des Asylgesetzes durchgeführt worden ist, noch deren Daten nach § 3 Absatz 1 des AZR-Gesetzes gespeichert wurden; das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung gilt nicht, soweit eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorgesehen ist.

(2) Die in Absatz 1 bezeichneten Ausländer sind für die Zeit, für die ihnen ein anderer Aufenthaltstitel als die in Absatz 1 Nr. 3 bezeichnete Aufenthaltserlaubnis mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten erteilt worden ist, nicht nach diesem Gesetz leistungsberechtigt.

(3) Die Leistungsberechtigung endet mit der Ausreise oder mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzung entfällt. Für minderjährige Kinder, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die mit ihren Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft leben, endet die Leistungsberechtigung auch dann, wenn die Leistungsberechtigung eines Elternteils, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzt, entfallen ist.

(3a) Sofern kein Fall des Absatzes 1 Nummer 8 vorliegt, sind Leistungen nach diesem Gesetz mit Ablauf des Monats ausgeschlossen, in dem Leistungsberechtigten, die gemäß § 49 des Aufenthaltsgesetzes erkennungsdienstlich behandelt worden sind und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes beantragt haben, eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes ausgestellt worden ist. Der Ausschluss nach Satz 1 gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. Das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung in den Sätzen 1 und 2 gilt nicht, soweit eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorgesehen ist.

(4) Leistungsberechtigte nach Absatz 1 Nummer 5, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von § 1a Absatz 4 Satz 1 internationaler Schutz gewährt worden ist, haben keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz, wenn der internationale Schutz fortbesteht. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von zwei Wochen, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 2. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Satz 6 sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen die Leistungen nach § 1a Absatz 1 und nach § 4 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2. Sie sollen als Sachleistung erbracht werden. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 2 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 7 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Satz 4 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

Tenor

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Die Klägerin und Antragstellerin begehrt vorläufig die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Streitig ist dabei der Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

Die 1963 geborene Antragstellerin ist portugiesische Staatsangehörige. Sie lebt mindestens seit September 2014 in der Bundesrepublik Deutschland, da sie sich zum 01.09.2014 bei der Stadt A-Stadt unter der Adresse ihres Lebensgefährten anmeldete. Dieser ist ebenfalls portugiesischer Staatsangehöriger und erhält vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Zu überprüfen ist vorliegend der Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen auf den Weiterbewilligungsantrag vom 02.02.2015, mit dem die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte gemeinsam Leistungen beantragten.

Mit Bescheid vom 13.04.2015 bewilligte der Beklagte und Antragsgegner „der Bedarfsgemeinschaft“ des Lebensgefährten der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 525 EUR (360 EUR Regelbedarf, 165 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Eine Bewilligung erfolgte darin lediglich gegenüber dem Lebensgefährten. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Mit Widerspruch vom 20.04.2015 wandte sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der Leistungen ihr gegenüber. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 zurückgewiesen, da die Antragstellerin von den Leistungen ausgeschlossen sei. Sie sei nicht erwerbstätig und verfüge mangels ausreichender Existenzmittel und ausreichendem Krankenversicherungsschutz über kein Aufenthaltsrecht. Für die Monate Juli und August 2015 erging am 04.08.2015 ein Änderungsbescheid unter Berücksichtigung der Einkünfte des Lebensgefährten der Antragstellerin.

Über ihren Lebensgefährten als Prozessbevollmächtigten erhob die Antragstellerin am 07.07.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Der Leistungsausschluss sei unverständlich. Sie habe bereits einen Deutschkurs belegt und bemühe sich um eine Krankenversicherung. Als Unionsbürgerin habe sie Anspruch auf Leistungen. Nach dem EuGH dürften Unionsbürger mit Verbindungen zum Arbeitsmarkt nicht von Leistungen ausgenommen werden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Ihr Lebensgefährte übe eine Beschäftigung aus und sie könne ebenfalls rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Anspruch bestehe auch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25.08.2015 gab die Antragstellerin an, dass sie bislang keine Arbeit gefunden habe und auch wenig Aussicht bestehe, da sie an Krebs erkrankt sei und ihr deswegen ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt worden sei. Sie beantragte, den Antragsgegner unter Abänderung seines Bescheids vom 13.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2015 und des Änderungsbescheids vom 04.08.2015 zu verpflichten, ihr vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.

Mit Urteil vom 25.08.2015 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage ab. Die Antragstellerin habe im streitigen Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen den Beklagten, weil sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen sei. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche. Die Antragstellerin habe seit ihrem Zuzug nach Deutschland keine Beschäftigung gefunden. Auf eine solche bestehe nach eigener Darstellung wegen der Erkrankung auch kaum Aussicht. Sie könne daher ein Aufenthaltsrecht allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) herleiten. Mit Urteil vom 11.11.2014 (Rs. C 333/13 - Dano) habe inzwischen der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Richtlinie 2004/38) nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehe, nach denen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten im Gegensatz zu Inländern von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausgeschlossen sind. Gleiches gelte in Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Der danach erforderliche Bezug zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt sei bei der Klägerin nie gegeben gewesen und auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) stehe der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ebenfalls nicht entgegen, da dieses auf das SGB II nicht anwendbar sei, nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 2011 einen Vorbehalt gemäß Art. 16 Buchstabe b EFA in Bezug auf das SGB II erklärt habe. Dieser sei nach dem Beschluss des Bundessozialgericht (BSG) vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13 R) auch wirksam. Im Übrigen handle es sich bei den Regelungen des EFA auch nicht um die Kodifizierung bzw. den Ausdruck einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, die nach Art. 25 des Grundgesetzes Vorrang vor dem SGB II hätte. Das Urteil wurde dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 28.08.2015 zugestellt.

Am 07.09.2015 hat die Antragstellerin Berufung gegen das Urteil vom 25.08.2015 eingelegt, die unter dem Aktenzeichen L 16 AS 614/15 geführt wird.

Am gleichen Tag hat sie beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 zu gewähren.

Sie beruft sich auf das Urteil des erkennenden Senats des Bayer. LSG vom 19.06.2013 (L 16 AS 847/12) und weist darauf hin, dass sie beabsichtige, ihren langjährigen Lebensgefährten zu heiraten und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 09.09.2015 Stellung genommen und beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Der Senat hat die Unterlagen der Ausländerbehörde der Stadt Augsburg angefordert und die Antragstellerin auf die Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 (Rs. C-67/14 - Alimanovic) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Bewilligung von Leistungen vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Er ist aber unbegründet, weil die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den beantragten Leistungen ausgeschlossen ist.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile umschreibt den sogenannten Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl das zu sichernde Recht, der sogenannte Anordnungsanspruch, als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO) oder nach Durchführung der von Amts wegen auch im Eilverfahren gegebenenfalls gebotenen Ermittlungen glaubhaft erscheinen. Die Entscheidung darf sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten zu verhindern (so BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 9, juris). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Übernimmt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 10, juris).

Gemessen an diesem Maßstab ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen, weil ein Leistungsanspruch der Antragstellerin und damit ein Anordnungsanspruch als ausgeschlossen angesehen werden kann.

Die Antragstellerin erfüllt nach den im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen grundsätzlich die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere ist sie hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 und 2 SGB II. Ob sie wegen der angegebenen Krebserkrankung noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II), kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht geklärt werden, kann vorliegend aber auch deshalb dahingestellt bleiben, weil die Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Denn sie verfügt über kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche (1). Der Leistungsausschluss verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Art. 24 der Richtlinie 2004/38 (2). Verfassungsrechtliche Bedenken, die die vorläufige Bewilligung von Leistungen erforderlich machen würden, bestehen nicht (3).

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auf die Antragstellerin anwendbar, weil sie sich auf kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche berufen kann.

Die Antragstellerin ist als Unionsbürgerin zwar grundsätzlich freizügigkeitsberechtigt i. S. d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Das Recht auf Einreise und Aufenthalt besteht aber nicht uneingeschränkt, sondern nur nach Maßgabe dieses Gesetzes (§ 2 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit § 2 FreizügG/EU sind im Wesentlichen die Regelungen der Richtlinie 2004/38 in innerdeutsches Recht umgesetzt worden. Denn auch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen gewährleisten kein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht (vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 19.06.2013, L 16 AS 847/12).

Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU neben Arbeitnehmern (Nr. 1) und niedergelassenen selbstständigen Erwerbstätigen (Nr. 2) auch Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, zunächst für die Dauer von sechs Monaten, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (Nr. 1a). Familienangehörige von Unionsbürgern haben unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 3 FreizügG/EU ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht. Gemäß § 4 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

§ 4 FreizügG/EU entspricht der Regelung in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/38, wonach für nicht erwerbstätige Unionsbürger nach dem Ablauf von drei Monaten ein Aufenthaltsrecht nur unter der Bedingung fortbesteht, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (vgl. Urteil des EuGH vom 07.09.2004, Rs. C-456/02- Trojani). Bereits in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/38 wird darauf hingewiesen, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen sollten. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen (zehnter Erwägungsgrund).

Die Antragstellerin kann sich danach allenfalls auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU berufen. Sie war im streitigen Zeitraum weder Arbeitnehmerin noch verfügte sie über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz. Nachdem sie in Deutschland nach eigenen Angaben noch nie erwerbstätig war, kommt auch ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht nicht in Betracht. Solange sie mit ihrem Lebensgefährten noch nicht verheiratet ist, kann sie sich auch nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen.

Ob die Antragstellerin, die sich inzwischen seit mindestens einem Jahr in Deutschland aufhält, ohne nachweisen zu können, dass sie nach Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, inzwischen das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verloren hat (so der Antragsgegner), kann dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn die Antragstellerin nachweisen könnte, dass sie weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, würde dies allenfalls zu einem Schutz vor Ausweisung nach Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 führen, nicht aber zu einem einen Leistungsanspruch begründenden gemeinschaftsrechtlich verbürgten Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C - 67/14 - Alimanovic, Rn. 57, juris).

2. Der Leistungsausschluss der Antragstellerin als Unionsbürgerin verstößt nicht gegen europäisches Recht, insbesondere nicht gegen den in Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 und in Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz.

Sowohl Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 als auch Art. 24 der Richtlinie 2004/38 sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten (EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C-67/14 - Alimanovic, Rn. 63).

Gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Er kann sich auch im Anwendungsbereich des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 auf diese Ausnahmebestimmung berufen und darf Sozialhilfeleistungen auch für den Zeitraum nach Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 verweigern.

Bei den hier streitigen Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 (EuGH, Urteile vom 11.11.2014, C-333/13 - Dano, Rn. 63 und vom 15.09.2015 - Alimanovic, Rn. 43 und 44). Dem steht die Einordnung als „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 (Koordinierungsverordnung) nicht entgegen. Es handelt sich beim Arbeitslosengeld II nicht um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen (EuGH, a. a. O. - Alimanovic, Rn. 46).

Die Antragstellerin könnte sich zwar möglicherweise auch nach Ablauf des in § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU genannten Zeitraums von sechs Monaten für die Dauer des von Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 abgedeckten Zeitraums auf ein Aufenthaltsrecht berufen, wenn sie nachweisen könnte, dass sie weiterhin mit begründeter Aussicht auf Einstellung Arbeit sucht (wofür vorliegend keine Anhaltspunkte gegeben sind). Ein solches Aufenthaltsrecht würde ihr auch grundsätzlich einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen verschaffen. Der Aufnahmemitgliedstaat kann sich in diesem Fall aber auf die Ausnahmebestimmung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen, um ihr die beantragte Sozialhilfe nicht zu gewähren. Eine individuelle Prüfung dahingehend, ob die Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen durch die Antragstellerin eine unangemessene Belastung für das Sozialsystem bedeuten würde, ist bei dieser Fallgestaltung nicht mehr erforderlich (EuGH, a. a. O., Alimanovic, Rn. 57, 59).

3. Die Antragstellerin kann auch aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) keinen Leistungsanspruch herleiten. Der Senat hat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Alle staatliche Gewalt muss sie achten und schützen. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, grundsätzlich gleichermaßen zu (Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).

Der Staat ist im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a. a. O., Rn. 63, juris). Dies ist eine objektive Verpflichtung des Staates, die mit einem individuellen Leistungsanspruch korrespondiert. Migrationspolitische Erwägungen sind nicht geeignet, die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde zu relativieren (BVerfG, a. a. O., Rn. 95).

Ein daraus abgeleiteter individueller Leistungsanspruch bedarf allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz. Hinsichtlich dessen Umfang steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, a. a. O., Rn. 62-66). Auch inländischen Staatsangehörigen gewährleistet die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Urteil vom 07.07.2010, 1 BvR 2556/09).

Der Umfang des Leistungsanspruches ergibt sich weder aus Artikel 1 Abs. 1 GG noch aus der Verfassung (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, a. a. O., Rn. 66). Er hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation sowie den wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab.

Dieses Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verletzt. Die Antragstellerin kann darauf verwiesen werden, Leistungen ihres Heimatlandes zur Sicherung Ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des Deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist nicht zu beanstanden.

Der faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren zu müssen, weil es der Antragstellerin nicht möglich ist, ihren Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung der Art. 1 Abs. 2, 20 Abs. 1 GG dar. Er ist vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Leistungsausschlüsse für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II gebilligt (vgl. hierzu Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014, 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014,1 BvR 886/11), mit der Folge, dass die Betroffenen letztlich gezwungen sind, ihre Ausbildung abzubrechen und ihre Arbeitskraft zur Beschaffung Ihres Lebensunterhaltes einzusetzen.

Hierin unterscheidet sich auch die Situation der Antragstellerin grundlegend von der Situation der in den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) fallenden Asylsuchenden. Die Antragstellerin ist als Unionsbürgerin anders als Asylsuchende nicht daran gehindert, sich innerhalb des sog. „Schengen-Raumes“ frei zu bewegen oder nach Portugal zurückzukehren. Soweit sie vorträgt, aufgrund einer Erkrankung derzeit nicht arbeitsfähig zu sein, ist festzustellen, dass auch ihr Heimatstaat Portugal die Europäische Sozialcharta unterzeichnet und ratifiziert hat. Portugal hat sich damit verpflichtet sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit verschaffen kann, ausreichende Unterstützung und Krankenbehandlung zu gewähren (Artikel 13 der Sozialcharta - Das Recht auf Fürsorge). Auch tatsächlich verfügt Portugal über steuerfinanzierte und beitragsunabhängige Systeme für alle Einwohner, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden (Quelle: www.sozialkompass.eu).

Unberührt vom Leistungsausschluss bleiben Ansprüche auf Hilfen zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung gemäß Art. 23 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Solche sind aber nicht Gegenstand des Eilverfahrens.

Die Antragstellerin muss also in Konsequenz dieser Entscheidung damit rechnen, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik (vorübergehend) aufzugeben und sich an das Fürsorgesystem ihres Herkunftsstaates Portugal wenden zu müssen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichern kann. Dass die Verweisung der Antragstellerin auf die Inanspruchnahme dieser Leistungen in ihrem Heimatstaat gegen Art. 1 GG oder Art. 20 GG verstoßen würde, vermag der Senat nicht zu erkennen (ebenso Bayer. LSG, Beschluss vom 01.10.2015, L 7 AS 627/15 B ER und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015, L 1 AS 2338/15 ER-B).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 177 SGG).

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde wirft die Frage auf, ob der Beschwerdeführerin während ihrer Ausbildung Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (über Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehende hinaus) zustehen.

2

1. Die 1956 geborene Beschwerdeführerin lebt mit ihrer 1990 geborenen Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie hat 1995 ein Architekturstudium erfolgreich abgeschlossen. Anfang September 2006 begann sie eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin. Die Bundesagentur für Arbeit stellte ihr im Juni 2006 einen Bildungsgutschein gemäß § 77 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung bis 31. Dezember 2008 (im Folgenden: a.F.) aus, mit Zusage der Übernahme der Lehrgangskosten bis zu 24 Monaten, einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums in Vollzeit sowie Fahrkosten.

3

Die damalige Arbeitsgemeinschaft gewährte der Beschwerdeführerin für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008 einen Mehrbedarf für Alleinerziehende, lehnte jedoch laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab, weil sie eine abstrakt nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderungsfähige Ausbildung absolviere.

4

Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Beschwerdeführerin Klage, die das Sozialgericht abwies. Die Beschwerdeführerin habe eine dem Grunde nach gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG förderfähige Ausbildung durchlaufen und sei daher nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung bis 31. März 2011 (im Folgenden: a.F.) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen.

5

Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück. Im Fall der Beschwerdeführerin führten lediglich individuelle Versagungsgründe - hier die Überschreitung der maximalen Altersgrenze für Förderleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - zum Ausschluss der Ausbildungsleistungen. Die Gewährung von Arbeitslosengeld II würde zu einer Ausbildungsförderung auf einer weiteren Ebene führen, was dem reinen Existenzsicherungszweck der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zuwiderlaufe. Es sei auch nicht deswegen eine Ausnahme zu machen, weil die Maßnahme mit einem Bildungsgutschein gefördert worden sei. Objektiv handele es sich um eine Aus- nicht um eine Weiterbildung. Die staatlicher Regelung unterliegende Schulung ziele auf den Erwerb von Kenntnissen in einem anerkannten Ausbildungsberuf ab. Sie setze zwar einen mittleren Berufsabschluss, jedoch keine berufliche Vorerfahrung oder Qualifikation voraus. Daher könne es auch dahinstehen, ob und gegebenenfalls aus welchem Grund der Gesetzgeber von einem Leistungsausschluss nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch im Fall von nach § 77 SGB III a.F. förderbaren Maßnahmen Abstand genommen habe.

6

Auf die Revision der Beschwerdeführerin hob das Bundessozialgericht das Urteil des Landessozialgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Verhandlung auf ein Darlehen verzichtet, so dass nur noch Zuschussleistungen im Streit stünden. Der Senat habe nicht abschließend entscheiden können, ob § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. im Fall der Beschwerdeführerin greife. Die dem Grunde nach förderfähige Ausbildung bewirke grundsätzlich einen Leistungsausschluss. Unerheblich sei, dass die Beschwerdeführerin keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalte, denn hierfür seien nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. unbeachtliche, in ihrer Person liegende Gründe verantwortlich. Davon unabhängig könne die Beschwerdeführerin allerdings dann einen Leistungsanspruch haben, wenn sie die Ausbildung nicht als schulische Berufsausbildung, sondern im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung im Sinne von § 77 SGB III a.F. absolviert habe. Die Förderung einer Ausbildung nach § 77 SGB III a.F. führe nicht zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. Ob es sich im konkreten Fall um eine Weiterbildungsmaßnahme handele, werde das Landessozialgericht zu klären haben.

7

Das Landessozialgericht wies die Berufung erneut zurück. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG seien bezüglich der von der Beschwerdeführerin absolvierten Ausbildung erfüllt. Insbesondere habe es sich um eine Ausbildung und nicht um eine Weiterbildungsmaßnahme gehandelt. Die Beschwerdeführerin habe die Ausbildung nicht verkürzen oder in irgendeiner Form verändern können. Ihr Architekturstudium weise keine relevanten Deckungsgleichheiten mit den pflichtigen Inhalten der Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin auf. Die faktische Erteilung eines Bildungsgutscheins stehe dem nicht entgegen.

8

2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG.

9

Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie durch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. von Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums ausgeschlossen werde. Der Gesetzgeber habe es versäumt, einen Auffangtatbestand zu schaffen, der das Existenzminimum derjenigen Auszubildenden sicherstelle, die aus persönlichen Gründen keinen Leistungsanspruch nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hätten. § 7 Abs. 5 SGB II a.F. gewähre keine Beihilfen in Härtefällen; § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. greife nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in ihrem Fall nicht. Sie werde zum Objekt staatlichen Handelns gemacht. Der Gesetzgeber überschreite seinen Gestaltungsspielraum, wenn er Personen(gruppen) vollständig aus dem staatlichen Hilfesystem herausnehme. Warum Auszubildende, die keine Leistungen nach anderen Gesetzen erhielten, auch keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch erhalten sollten, bleibe nach der Gesetzesbegründung offen.

10

Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verpflichte den Staat zur individuellen Ausbildungsförderung. Nur weil sie ihr Existenzminimum nicht selbst sichern könne, dürfe ihr der Weg zu einer Ausbildung nicht versperrt werden. Ihre Berufswahlfreiheit werde verletzt. Personen, die älter als 30 Jahre seien und für ihren Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen könnten, könnten keine Ausbildung beginnen beziehungsweise müssten diese abbrechen.

11

Ferner sei sie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Sie wäre leistungsberechtigt gewesen, wenn sie ihre Ausbildung abgebrochen hätte. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. sei zur Erreichung des vom Gesetzgeber gewollten Zwecks weder geeignet noch erforderlich. Es sei nicht ersichtlich, weshalb Auszubildende keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen haben sollten. Es sei einer hilfebedürftigen Auszubildenden eher zuzumuten, die Ausbildung abzubrechen, um eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen, als sie abzubrechen, um darauf zu warten von dem Grundsicherungsträger in Arbeit vermittelt zu werden. Das Prinzip des Forderns und Förderns werde konterkariert. Hätte sie ihre Ausbildung abgebrochen, wäre sie wahrscheinlich heute noch arbeitslos.

12

Schließlich werde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Erwerbsfähige Hilfsbedürftige würden grundlos schlechter gestellt als nichterwerbsfähige Hilfsbedürftige. § 22 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in der Fassung bis 31. März 2012 (im Folgenden: a.F.) sehe in Härtefällen Leistungen für Auszubildende als Beihilfe vor. Die Beschwerdeführerin habe sich nie auf § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. berufen, weil sie keine unüberschaubaren Schulden habe anhäufen wollen. Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich.

13

Sie habe den Rechtsweg erschöpft. Eine Nichtzulassungsbeschwerde habe offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

II.

14

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet

15

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

16

Dem steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin gegen das (zweite) Urteil des Landessozialgerichts nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgegangen ist. Der mit dem Grundsatz der Subsidiarität verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtslage herbeizuführen, ist vorliegend erreicht (vgl. BVerfGE 9, 3 <7 f.>; 78, 155 <160>), denn auch das Bundessozialgericht war bereits einmal mit der Sache befasst. Neue Sach- oder Rechtsfragen stellen sich nach der zweiten Entscheidung des Landessozialgerichts nicht.

17

Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist demgegenüber die Frage einer Leistungsberechtigung der Beschwerdeführerin nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Solche Leistungen hat die Beschwerdeführerin nicht beantragt und über sie wurde in den angegriffenen Entscheidungen nicht entschieden.

18

2. Im Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG.

19

Zwar weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Härtefällen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. nur eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht kommt, während der Sozialhilfeträger gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. nach Ermessen ein Darlehen oder eine Beihilfe gewähren kann. Jedoch ist nach dem Beschwerdevorbringen bereits nicht erkennbar, weshalb bei der Beschwerdeführerin überhaupt ein besonderer Härtefall vorliegen soll. Ferner setzt sie sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende und das Recht der Sozialhilfe unterschiedliche Systeme differenziert nach der Erwerbsfähigkeit vorsehen. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten kann grundsätzlich erwartet werden, dass es ihnen nach Abschluss ihrer Ausbildung möglich sein wird, ein Darlehen zurückzuzahlen; diese Aussicht besteht bei nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nicht ohne weiteres (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R -, juris, Rn. 20).

20

3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

21

a) Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 ff.>; 132, 134 <159 ff.>) liegt nicht vor.

22

§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. konkretisiert den Nachrang gegenüber vorrangigen besonderen Sozialleistungssystemen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl. § 3 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB II). Der Gesetzgeber geht im Rahmen seines Gestaltungsspielraums in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass das menschenwürdige Existenzminimum, soweit eine durch die Ausbildung bedingte Bedarfslage entstanden ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 28/06 R -, juris, Rn. 28; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 276 ), vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beziehungsweise dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch zu decken ist.

23

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. führt im Fall der Beschwerdeführerin dazu, dass ihr für die Dauer ihrer Ausbildung keine Grundsicherungsleistungen (über Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehende hinaus) gewährt werden. Dies beruht auf den Vorgaben des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, insbesondere zur Altersgrenze der Förderung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404) und ist keine im vorliegenden Verfahren zu klärende Frage zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch.

24

b) Der faktische Zwang, eine Ausbildung abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen die Existenz sichern, berührt die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2013 - 1 BvL 1/08 -, juris, Rn. 36 f.). Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch hierfür ein besonderes Sozialleistungssystem geschaffen. Dabei hat der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums entschieden, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung angestrebt wird (vgl. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 15. Januar 1979, BTDrucks 8/2467, S. 15; Bericht der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen vom 13. Juli 1987, BTDrucks 11/610, S. 16 f.; Finger, FamRZ 2006, S. 1427 f.). Ermöglicht wird im Allgemeinen, bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung zu beginnen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404). Ob sich der Ausschluss der Beschwerdeführerin von der Förderung einer Ausbildung vor der Verfassung rechtfertigen lässt, ist damit nicht gesagt, aber hier auch nicht zu entscheiden.

25

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

26

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

I.

1

Die mit einem Prozesskostenhilfegesuch verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen sozialgerichtliche Eilentscheidungen wegen der Versagung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Hinblick auf die abstrakte Förderungsfähigkeit des Hochschulstudiums des Beschwerdeführers nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

2

1. Der 1966 geborene Beschwerdeführer bezog im Anschluss an Erwerbstätigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende; letztmals im Mai 2010 Leistungen für Unterkunft und Heizung bis Ende November 2010 in Höhe von monatlich 73,84 €. Auf seinen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen gab der Beschwerdeführer an, ab Oktober 2010 ein Hochschulstudium aufzunehmen. Der Verwaltungsträger stellte daraufhin fest, dass kein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens besteht und hob wegen der Aufnahme des Hochschulstudiums die Bewilligung von Leistungen für Oktober und November 2010 auf.

3

2. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen diesen Verwaltungsakt und auf Verpflichtung des Grundsicherungsträgers, ihm vorläufig Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab Oktober 2010 zu gewähren, lehnte das Sozialgericht ab. Durch die Aufnahme des Studiums verliere er nach der vom Gericht nicht für verfassungswidrig erachteten Regelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in der Fassung bis 31. März 2011 (im Folgenden: a.F.) den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da das Hochschulstudium gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG förderungsfähig sei. Auch anderweitige Ansprüche bestünden nicht. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalte der Beschwerdeführer nicht, weil er die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten habe.

4

3. Das Landessozialgericht wies die Beschwerde zurück.

5

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 sowie von Art. 20 Abs. 3 GG.

6

Er sei nicht gehalten, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Die Gerichte hätten sich auf eine jüngere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützt, weshalb keine abweichende Beurteilung der Fachgerichte zu erwarten sei. Ihm entstünden, wenn er so lange zuwarten müsse, schwere und erhebliche Nachteile, denn ohne die Mittel Dritter sei er lediglich ein weiteres Jahr in der Lage, das Studium zu finanzieren. Würden existenzsichernde Sozialleistungen ausgeschlossen, ohne dass ein Anspruch auf adäquate andere Leistungen bestünde, verstoße dies gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Durch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. werde die freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeschränkt, denn der Leistungsausschluss zwinge ihn, seinen Berufswunsch aufzugeben. Die Aufnahme eines Studiums stehe der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, denn er würde das Studium zugunsten einer zumutbaren Arbeit jederzeit aufgeben. Auch liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen ordentlich Studierenden und Gasthörenden vor, die von vornherein keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hätten, weshalb § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nicht entgegenstehe, obwohl beide durch das Lernen gleich belastet seien.

II.

7

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

8

1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, da sie hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidungen über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in einer den Erfordernissen von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet worden ist (vgl. BVerfGE 21, 359 <361>; 81, 208 <214>; 85, 36 <52>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 105, 252 <264>; 108, 370 <386 f.>).

9

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

10

Dem steht nicht entgegen, dass sich der Beschwerdeführer gegen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wendet. Er kann hier nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, da dieses als von vornherein aussichtslos erscheint (vgl. BVerfGE 104, 65 <71>). Nach der Rechtsprechung der fachlich zuständigen Senate des Bundessozialgerichts zur Rechtslage bis Ende März 2011 ist - abgesehen von Konstellationen, in denen der Bedarf nicht ausbildungsbedingt ist oder ein besonderer Härtefall vorliegt - von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen, wer eine dem Grunde nach gemäß dem Bundesausbildungsförderungsgesetz objektiv förderungsfähige Ausbildung absolviert (BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R -, juris; Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 67/08 R -, juris) und - bezogen auf ein Hochschulstudium - die Ausbildung tatsächlich betreibt (BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 4 AS 102/11 R -, juris; Urteil vom 22. August 2012 - B 14 AS 197/11 R -, juris).

11

Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch die Frage nach den Altersgrenzen der Studienförderung. Der Beschwerdeführer hat keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beantragt und sich gegebenenfalls gegen deren Versagung gewehrt. Über sie wurde in den angegriffenen Entscheidungen auch nicht entschieden.

12

3. Gegen die vorliegend angegriffenen Entscheidungen zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch bestehen insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

13

a) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 ff.>; 132, 134 <159 ff.>) ist nicht verletzt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen; dies tut der Beschwerdeführer nicht, wenn er studiert. Daher schließt § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. im Fall des Beschwerdeführers die Gewährung dieser Grundsicherungsleistungen aus. Soweit durch die Ausbildung existenzielle Bedarfe entstehen, werden diese insofern vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beziehungsweise dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch gedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 28/06 R -, juris, Rn. 28; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 276 ). Über die dortige Altersgrenze der Förderung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404) haben die Gerichte im vorliegenden Verfahren nicht entschieden.

14

b) Daher geht auch die Rüge einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG vorliegend ins Leere. Der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, berührt zwar die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2013 - 1 BvL 1/08 -, juris, Rn. 36 f.). Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch ein besonderes Sozialleistungssystem zur individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat geschaffen, das diese Teilhabe sichern soll. Seine Regelungen über Förderungsvoraussetzungen sowie Art, Höhe und Dauer der Leistungen sind auf die besondere Lebenssituation der Studierenden zugeschnitten, die auf öffentliche Hilfe bei der Finanzierung ihres Studiums angewiesen sind (vgl. BVerfGE 96, 330 <343>). Der Gesetzgeber hat die Förderung so ausgestaltet, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung gefördert wird (vgl. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 15. Januar 1979, BTDrucks 8/2467, S. 15; Bericht der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen vom 13. Juli 1987, BTDrucks 11/610, S. 16 f.; Finger, FamRZ 2006, S. 1427 f.), denn im Allgemeinen muss bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung begonnen werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404); § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG lässt Ausnahmen bei einer Ausbildungsaufnahme in höherem Alter zu. Es ist so derzeit möglich, ein Erststudium gefördert zu absolvieren (vgl. BVerfGK 7, 465 <471> zur Möglichkeit eines gebührenfreien Erststudiums). Ob sich insofern der Ausschluss des Beschwerdeführers von der Förderung für ein Studium nach Ausbildung und Erwerbstätigkeit - aber auch zur weiteren Qualifikation und Rückkehr in die Erwerbsarbeit - vor der Verfassung rechtfertigen lässt, ist damit nicht gesagt, aber hier auch nicht zu entscheiden.

15

c) Vorliegend ist ebenfalls nicht zu entscheiden, ob die Regelung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes mit Unionsrecht (Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG; vgl. EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2010, Andersen, C-499/08, juris; Urteil vom 13. September 2011, Prigge, C-447/09, juris; dazu Brors, RdA 2012, S. 346 <347 ff.>) in Einklang steht.

16

d) Auch die Frage nach einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Unterscheidung zwischen Vollzeitstudierenden und Gaststudierenden stellt sich im System des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und nicht im vorliegenden Verfahren.

17

4. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts in entsprechender Anwendung der §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2010 - 2 BvR 2258/09 -, juris, Rn. 6 m.w.N.) liegen nicht vor. Denn die Verfassungsbeschwerde bietet, wie dargelegt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

18

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

19

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Abweichend von Satz 1 können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, Leistungen nach § 36 erhalten. Bestehen über die Zuständigkeit zwischen den beteiligten Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen, so ist der zuständige Träger der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit nach § 44a Absatz 1 des Zweiten Buches gebunden.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deutschlands in der Welt trägt er auch zu internationaler Entwicklung bei. Die Ausgestaltung erfolgt so, dass die Interessen der öffentlichen Sicherheit beachtet werden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die

1.
eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen,
1a.
ein Asylgesuch geäußert haben und nicht die in den Nummern 1, 2 bis 5 und 7 genannten Voraussetzungen erfüllen,
2.
über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzen
a)
wegen des Krieges in ihrem Heimatland nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes,
b)
nach § 25 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder
c)
nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes, sofern die Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt,
4.
eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
5.
vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
6.
Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne daß sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen,
7.
einen Folgeantrag nach § 71 des Asylgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylgesetzes stellen oder
8.
a)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, die ihnen nach dem 24. Februar 2022 und vor dem 1. Juni 2022 erteilt wurde, oder
b)
eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, die nach dem 24. Februar 2022 und vor dem 1. Juni 2022 ausgestellt wurde,
und bei denen weder eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes oder nach § 16 des Asylgesetzes durchgeführt worden ist, noch deren Daten nach § 3 Absatz 1 des AZR-Gesetzes gespeichert wurden; das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung gilt nicht, soweit eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorgesehen ist.

(2) Die in Absatz 1 bezeichneten Ausländer sind für die Zeit, für die ihnen ein anderer Aufenthaltstitel als die in Absatz 1 Nr. 3 bezeichnete Aufenthaltserlaubnis mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten erteilt worden ist, nicht nach diesem Gesetz leistungsberechtigt.

(3) Die Leistungsberechtigung endet mit der Ausreise oder mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzung entfällt. Für minderjährige Kinder, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die mit ihren Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft leben, endet die Leistungsberechtigung auch dann, wenn die Leistungsberechtigung eines Elternteils, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzt, entfallen ist.

(3a) Sofern kein Fall des Absatzes 1 Nummer 8 vorliegt, sind Leistungen nach diesem Gesetz mit Ablauf des Monats ausgeschlossen, in dem Leistungsberechtigten, die gemäß § 49 des Aufenthaltsgesetzes erkennungsdienstlich behandelt worden sind und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes beantragt haben, eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes ausgestellt worden ist. Der Ausschluss nach Satz 1 gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. Das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung in den Sätzen 1 und 2 gilt nicht, soweit eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorgesehen ist.

(4) Leistungsberechtigte nach Absatz 1 Nummer 5, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von § 1a Absatz 4 Satz 1 internationaler Schutz gewährt worden ist, haben keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz, wenn der internationale Schutz fortbesteht. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von zwei Wochen, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 2. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Satz 6 sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen die Leistungen nach § 1a Absatz 1 und nach § 4 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2. Sie sollen als Sachleistung erbracht werden. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 2 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 7 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Satz 4 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

Tenor

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Die Klägerin und Antragstellerin begehrt vorläufig die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Streitig ist dabei der Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

Die 1963 geborene Antragstellerin ist portugiesische Staatsangehörige. Sie lebt mindestens seit September 2014 in der Bundesrepublik Deutschland, da sie sich zum 01.09.2014 bei der Stadt A-Stadt unter der Adresse ihres Lebensgefährten anmeldete. Dieser ist ebenfalls portugiesischer Staatsangehöriger und erhält vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Zu überprüfen ist vorliegend der Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen auf den Weiterbewilligungsantrag vom 02.02.2015, mit dem die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte gemeinsam Leistungen beantragten.

Mit Bescheid vom 13.04.2015 bewilligte der Beklagte und Antragsgegner „der Bedarfsgemeinschaft“ des Lebensgefährten der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 525 EUR (360 EUR Regelbedarf, 165 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Eine Bewilligung erfolgte darin lediglich gegenüber dem Lebensgefährten. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Mit Widerspruch vom 20.04.2015 wandte sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der Leistungen ihr gegenüber. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 zurückgewiesen, da die Antragstellerin von den Leistungen ausgeschlossen sei. Sie sei nicht erwerbstätig und verfüge mangels ausreichender Existenzmittel und ausreichendem Krankenversicherungsschutz über kein Aufenthaltsrecht. Für die Monate Juli und August 2015 erging am 04.08.2015 ein Änderungsbescheid unter Berücksichtigung der Einkünfte des Lebensgefährten der Antragstellerin.

Über ihren Lebensgefährten als Prozessbevollmächtigten erhob die Antragstellerin am 07.07.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Der Leistungsausschluss sei unverständlich. Sie habe bereits einen Deutschkurs belegt und bemühe sich um eine Krankenversicherung. Als Unionsbürgerin habe sie Anspruch auf Leistungen. Nach dem EuGH dürften Unionsbürger mit Verbindungen zum Arbeitsmarkt nicht von Leistungen ausgenommen werden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Ihr Lebensgefährte übe eine Beschäftigung aus und sie könne ebenfalls rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Anspruch bestehe auch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25.08.2015 gab die Antragstellerin an, dass sie bislang keine Arbeit gefunden habe und auch wenig Aussicht bestehe, da sie an Krebs erkrankt sei und ihr deswegen ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt worden sei. Sie beantragte, den Antragsgegner unter Abänderung seines Bescheids vom 13.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2015 und des Änderungsbescheids vom 04.08.2015 zu verpflichten, ihr vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.

Mit Urteil vom 25.08.2015 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage ab. Die Antragstellerin habe im streitigen Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen den Beklagten, weil sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen sei. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche. Die Antragstellerin habe seit ihrem Zuzug nach Deutschland keine Beschäftigung gefunden. Auf eine solche bestehe nach eigener Darstellung wegen der Erkrankung auch kaum Aussicht. Sie könne daher ein Aufenthaltsrecht allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) herleiten. Mit Urteil vom 11.11.2014 (Rs. C 333/13 - Dano) habe inzwischen der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Richtlinie 2004/38) nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehe, nach denen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten im Gegensatz zu Inländern von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausgeschlossen sind. Gleiches gelte in Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Der danach erforderliche Bezug zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt sei bei der Klägerin nie gegeben gewesen und auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) stehe der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ebenfalls nicht entgegen, da dieses auf das SGB II nicht anwendbar sei, nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 2011 einen Vorbehalt gemäß Art. 16 Buchstabe b EFA in Bezug auf das SGB II erklärt habe. Dieser sei nach dem Beschluss des Bundessozialgericht (BSG) vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13 R) auch wirksam. Im Übrigen handle es sich bei den Regelungen des EFA auch nicht um die Kodifizierung bzw. den Ausdruck einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, die nach Art. 25 des Grundgesetzes Vorrang vor dem SGB II hätte. Das Urteil wurde dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 28.08.2015 zugestellt.

Am 07.09.2015 hat die Antragstellerin Berufung gegen das Urteil vom 25.08.2015 eingelegt, die unter dem Aktenzeichen L 16 AS 614/15 geführt wird.

Am gleichen Tag hat sie beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 zu gewähren.

Sie beruft sich auf das Urteil des erkennenden Senats des Bayer. LSG vom 19.06.2013 (L 16 AS 847/12) und weist darauf hin, dass sie beabsichtige, ihren langjährigen Lebensgefährten zu heiraten und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 09.09.2015 Stellung genommen und beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Der Senat hat die Unterlagen der Ausländerbehörde der Stadt Augsburg angefordert und die Antragstellerin auf die Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 (Rs. C-67/14 - Alimanovic) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Bewilligung von Leistungen vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Er ist aber unbegründet, weil die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den beantragten Leistungen ausgeschlossen ist.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile umschreibt den sogenannten Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl das zu sichernde Recht, der sogenannte Anordnungsanspruch, als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO) oder nach Durchführung der von Amts wegen auch im Eilverfahren gegebenenfalls gebotenen Ermittlungen glaubhaft erscheinen. Die Entscheidung darf sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten zu verhindern (so BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 9, juris). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Übernimmt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 10, juris).

Gemessen an diesem Maßstab ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen, weil ein Leistungsanspruch der Antragstellerin und damit ein Anordnungsanspruch als ausgeschlossen angesehen werden kann.

Die Antragstellerin erfüllt nach den im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen grundsätzlich die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere ist sie hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 und 2 SGB II. Ob sie wegen der angegebenen Krebserkrankung noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II), kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht geklärt werden, kann vorliegend aber auch deshalb dahingestellt bleiben, weil die Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Denn sie verfügt über kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche (1). Der Leistungsausschluss verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Art. 24 der Richtlinie 2004/38 (2). Verfassungsrechtliche Bedenken, die die vorläufige Bewilligung von Leistungen erforderlich machen würden, bestehen nicht (3).

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auf die Antragstellerin anwendbar, weil sie sich auf kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche berufen kann.

Die Antragstellerin ist als Unionsbürgerin zwar grundsätzlich freizügigkeitsberechtigt i. S. d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Das Recht auf Einreise und Aufenthalt besteht aber nicht uneingeschränkt, sondern nur nach Maßgabe dieses Gesetzes (§ 2 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit § 2 FreizügG/EU sind im Wesentlichen die Regelungen der Richtlinie 2004/38 in innerdeutsches Recht umgesetzt worden. Denn auch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen gewährleisten kein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht (vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 19.06.2013, L 16 AS 847/12).

Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU neben Arbeitnehmern (Nr. 1) und niedergelassenen selbstständigen Erwerbstätigen (Nr. 2) auch Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, zunächst für die Dauer von sechs Monaten, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (Nr. 1a). Familienangehörige von Unionsbürgern haben unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 3 FreizügG/EU ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht. Gemäß § 4 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

§ 4 FreizügG/EU entspricht der Regelung in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/38, wonach für nicht erwerbstätige Unionsbürger nach dem Ablauf von drei Monaten ein Aufenthaltsrecht nur unter der Bedingung fortbesteht, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (vgl. Urteil des EuGH vom 07.09.2004, Rs. C-456/02- Trojani). Bereits in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/38 wird darauf hingewiesen, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen sollten. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen (zehnter Erwägungsgrund).

Die Antragstellerin kann sich danach allenfalls auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU berufen. Sie war im streitigen Zeitraum weder Arbeitnehmerin noch verfügte sie über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz. Nachdem sie in Deutschland nach eigenen Angaben noch nie erwerbstätig war, kommt auch ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht nicht in Betracht. Solange sie mit ihrem Lebensgefährten noch nicht verheiratet ist, kann sie sich auch nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen.

Ob die Antragstellerin, die sich inzwischen seit mindestens einem Jahr in Deutschland aufhält, ohne nachweisen zu können, dass sie nach Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, inzwischen das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verloren hat (so der Antragsgegner), kann dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn die Antragstellerin nachweisen könnte, dass sie weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, würde dies allenfalls zu einem Schutz vor Ausweisung nach Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 führen, nicht aber zu einem einen Leistungsanspruch begründenden gemeinschaftsrechtlich verbürgten Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C - 67/14 - Alimanovic, Rn. 57, juris).

2. Der Leistungsausschluss der Antragstellerin als Unionsbürgerin verstößt nicht gegen europäisches Recht, insbesondere nicht gegen den in Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 und in Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz.

Sowohl Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 als auch Art. 24 der Richtlinie 2004/38 sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten (EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C-67/14 - Alimanovic, Rn. 63).

Gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Er kann sich auch im Anwendungsbereich des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 auf diese Ausnahmebestimmung berufen und darf Sozialhilfeleistungen auch für den Zeitraum nach Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 verweigern.

Bei den hier streitigen Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 (EuGH, Urteile vom 11.11.2014, C-333/13 - Dano, Rn. 63 und vom 15.09.2015 - Alimanovic, Rn. 43 und 44). Dem steht die Einordnung als „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 (Koordinierungsverordnung) nicht entgegen. Es handelt sich beim Arbeitslosengeld II nicht um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen (EuGH, a. a. O. - Alimanovic, Rn. 46).

Die Antragstellerin könnte sich zwar möglicherweise auch nach Ablauf des in § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU genannten Zeitraums von sechs Monaten für die Dauer des von Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 abgedeckten Zeitraums auf ein Aufenthaltsrecht berufen, wenn sie nachweisen könnte, dass sie weiterhin mit begründeter Aussicht auf Einstellung Arbeit sucht (wofür vorliegend keine Anhaltspunkte gegeben sind). Ein solches Aufenthaltsrecht würde ihr auch grundsätzlich einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen verschaffen. Der Aufnahmemitgliedstaat kann sich in diesem Fall aber auf die Ausnahmebestimmung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen, um ihr die beantragte Sozialhilfe nicht zu gewähren. Eine individuelle Prüfung dahingehend, ob die Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen durch die Antragstellerin eine unangemessene Belastung für das Sozialsystem bedeuten würde, ist bei dieser Fallgestaltung nicht mehr erforderlich (EuGH, a. a. O., Alimanovic, Rn. 57, 59).

3. Die Antragstellerin kann auch aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) keinen Leistungsanspruch herleiten. Der Senat hat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Alle staatliche Gewalt muss sie achten und schützen. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, grundsätzlich gleichermaßen zu (Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).

Der Staat ist im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a. a. O., Rn. 63, juris). Dies ist eine objektive Verpflichtung des Staates, die mit einem individuellen Leistungsanspruch korrespondiert. Migrationspolitische Erwägungen sind nicht geeignet, die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde zu relativieren (BVerfG, a. a. O., Rn. 95).

Ein daraus abgeleiteter individueller Leistungsanspruch bedarf allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz. Hinsichtlich dessen Umfang steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, a. a. O., Rn. 62-66). Auch inländischen Staatsangehörigen gewährleistet die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Urteil vom 07.07.2010, 1 BvR 2556/09).

Der Umfang des Leistungsanspruches ergibt sich weder aus Artikel 1 Abs. 1 GG noch aus der Verfassung (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, a. a. O., Rn. 66). Er hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation sowie den wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab.

Dieses Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verletzt. Die Antragstellerin kann darauf verwiesen werden, Leistungen ihres Heimatlandes zur Sicherung Ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des Deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist nicht zu beanstanden.

Der faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren zu müssen, weil es der Antragstellerin nicht möglich ist, ihren Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung der Art. 1 Abs. 2, 20 Abs. 1 GG dar. Er ist vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Leistungsausschlüsse für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II gebilligt (vgl. hierzu Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014, 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014,1 BvR 886/11), mit der Folge, dass die Betroffenen letztlich gezwungen sind, ihre Ausbildung abzubrechen und ihre Arbeitskraft zur Beschaffung Ihres Lebensunterhaltes einzusetzen.

Hierin unterscheidet sich auch die Situation der Antragstellerin grundlegend von der Situation der in den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) fallenden Asylsuchenden. Die Antragstellerin ist als Unionsbürgerin anders als Asylsuchende nicht daran gehindert, sich innerhalb des sog. „Schengen-Raumes“ frei zu bewegen oder nach Portugal zurückzukehren. Soweit sie vorträgt, aufgrund einer Erkrankung derzeit nicht arbeitsfähig zu sein, ist festzustellen, dass auch ihr Heimatstaat Portugal die Europäische Sozialcharta unterzeichnet und ratifiziert hat. Portugal hat sich damit verpflichtet sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit verschaffen kann, ausreichende Unterstützung und Krankenbehandlung zu gewähren (Artikel 13 der Sozialcharta - Das Recht auf Fürsorge). Auch tatsächlich verfügt Portugal über steuerfinanzierte und beitragsunabhängige Systeme für alle Einwohner, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden (Quelle: www.sozialkompass.eu).

Unberührt vom Leistungsausschluss bleiben Ansprüche auf Hilfen zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung gemäß Art. 23 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Solche sind aber nicht Gegenstand des Eilverfahrens.

Die Antragstellerin muss also in Konsequenz dieser Entscheidung damit rechnen, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik (vorübergehend) aufzugeben und sich an das Fürsorgesystem ihres Herkunftsstaates Portugal wenden zu müssen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichern kann. Dass die Verweisung der Antragstellerin auf die Inanspruchnahme dieser Leistungen in ihrem Heimatstaat gegen Art. 1 GG oder Art. 20 GG verstoßen würde, vermag der Senat nicht zu erkennen (ebenso Bayer. LSG, Beschluss vom 01.10.2015, L 7 AS 627/15 B ER und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015, L 1 AS 2338/15 ER-B).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 177 SGG).

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde wirft die Frage auf, ob der Beschwerdeführerin während ihrer Ausbildung Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (über Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehende hinaus) zustehen.

2

1. Die 1956 geborene Beschwerdeführerin lebt mit ihrer 1990 geborenen Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie hat 1995 ein Architekturstudium erfolgreich abgeschlossen. Anfang September 2006 begann sie eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin. Die Bundesagentur für Arbeit stellte ihr im Juni 2006 einen Bildungsgutschein gemäß § 77 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung bis 31. Dezember 2008 (im Folgenden: a.F.) aus, mit Zusage der Übernahme der Lehrgangskosten bis zu 24 Monaten, einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums in Vollzeit sowie Fahrkosten.

3

Die damalige Arbeitsgemeinschaft gewährte der Beschwerdeführerin für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008 einen Mehrbedarf für Alleinerziehende, lehnte jedoch laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab, weil sie eine abstrakt nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderungsfähige Ausbildung absolviere.

4

Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Beschwerdeführerin Klage, die das Sozialgericht abwies. Die Beschwerdeführerin habe eine dem Grunde nach gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG förderfähige Ausbildung durchlaufen und sei daher nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung bis 31. März 2011 (im Folgenden: a.F.) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen.

5

Das Landessozialgericht wies die Berufung zurück. Im Fall der Beschwerdeführerin führten lediglich individuelle Versagungsgründe - hier die Überschreitung der maximalen Altersgrenze für Förderleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - zum Ausschluss der Ausbildungsleistungen. Die Gewährung von Arbeitslosengeld II würde zu einer Ausbildungsförderung auf einer weiteren Ebene führen, was dem reinen Existenzsicherungszweck der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zuwiderlaufe. Es sei auch nicht deswegen eine Ausnahme zu machen, weil die Maßnahme mit einem Bildungsgutschein gefördert worden sei. Objektiv handele es sich um eine Aus- nicht um eine Weiterbildung. Die staatlicher Regelung unterliegende Schulung ziele auf den Erwerb von Kenntnissen in einem anerkannten Ausbildungsberuf ab. Sie setze zwar einen mittleren Berufsabschluss, jedoch keine berufliche Vorerfahrung oder Qualifikation voraus. Daher könne es auch dahinstehen, ob und gegebenenfalls aus welchem Grund der Gesetzgeber von einem Leistungsausschluss nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch im Fall von nach § 77 SGB III a.F. förderbaren Maßnahmen Abstand genommen habe.

6

Auf die Revision der Beschwerdeführerin hob das Bundessozialgericht das Urteil des Landessozialgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Verhandlung auf ein Darlehen verzichtet, so dass nur noch Zuschussleistungen im Streit stünden. Der Senat habe nicht abschließend entscheiden können, ob § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. im Fall der Beschwerdeführerin greife. Die dem Grunde nach förderfähige Ausbildung bewirke grundsätzlich einen Leistungsausschluss. Unerheblich sei, dass die Beschwerdeführerin keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalte, denn hierfür seien nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. unbeachtliche, in ihrer Person liegende Gründe verantwortlich. Davon unabhängig könne die Beschwerdeführerin allerdings dann einen Leistungsanspruch haben, wenn sie die Ausbildung nicht als schulische Berufsausbildung, sondern im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung im Sinne von § 77 SGB III a.F. absolviert habe. Die Förderung einer Ausbildung nach § 77 SGB III a.F. führe nicht zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. Ob es sich im konkreten Fall um eine Weiterbildungsmaßnahme handele, werde das Landessozialgericht zu klären haben.

7

Das Landessozialgericht wies die Berufung erneut zurück. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG seien bezüglich der von der Beschwerdeführerin absolvierten Ausbildung erfüllt. Insbesondere habe es sich um eine Ausbildung und nicht um eine Weiterbildungsmaßnahme gehandelt. Die Beschwerdeführerin habe die Ausbildung nicht verkürzen oder in irgendeiner Form verändern können. Ihr Architekturstudium weise keine relevanten Deckungsgleichheiten mit den pflichtigen Inhalten der Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin auf. Die faktische Erteilung eines Bildungsgutscheins stehe dem nicht entgegen.

8

2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG.

9

Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie durch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. von Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums ausgeschlossen werde. Der Gesetzgeber habe es versäumt, einen Auffangtatbestand zu schaffen, der das Existenzminimum derjenigen Auszubildenden sicherstelle, die aus persönlichen Gründen keinen Leistungsanspruch nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hätten. § 7 Abs. 5 SGB II a.F. gewähre keine Beihilfen in Härtefällen; § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. greife nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in ihrem Fall nicht. Sie werde zum Objekt staatlichen Handelns gemacht. Der Gesetzgeber überschreite seinen Gestaltungsspielraum, wenn er Personen(gruppen) vollständig aus dem staatlichen Hilfesystem herausnehme. Warum Auszubildende, die keine Leistungen nach anderen Gesetzen erhielten, auch keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch erhalten sollten, bleibe nach der Gesetzesbegründung offen.

10

Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verpflichte den Staat zur individuellen Ausbildungsförderung. Nur weil sie ihr Existenzminimum nicht selbst sichern könne, dürfe ihr der Weg zu einer Ausbildung nicht versperrt werden. Ihre Berufswahlfreiheit werde verletzt. Personen, die älter als 30 Jahre seien und für ihren Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen könnten, könnten keine Ausbildung beginnen beziehungsweise müssten diese abbrechen.

11

Ferner sei sie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Sie wäre leistungsberechtigt gewesen, wenn sie ihre Ausbildung abgebrochen hätte. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. sei zur Erreichung des vom Gesetzgeber gewollten Zwecks weder geeignet noch erforderlich. Es sei nicht ersichtlich, weshalb Auszubildende keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen haben sollten. Es sei einer hilfebedürftigen Auszubildenden eher zuzumuten, die Ausbildung abzubrechen, um eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen, als sie abzubrechen, um darauf zu warten von dem Grundsicherungsträger in Arbeit vermittelt zu werden. Das Prinzip des Forderns und Förderns werde konterkariert. Hätte sie ihre Ausbildung abgebrochen, wäre sie wahrscheinlich heute noch arbeitslos.

12

Schließlich werde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Erwerbsfähige Hilfsbedürftige würden grundlos schlechter gestellt als nichterwerbsfähige Hilfsbedürftige. § 22 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in der Fassung bis 31. März 2012 (im Folgenden: a.F.) sehe in Härtefällen Leistungen für Auszubildende als Beihilfe vor. Die Beschwerdeführerin habe sich nie auf § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. berufen, weil sie keine unüberschaubaren Schulden habe anhäufen wollen. Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich.

13

Sie habe den Rechtsweg erschöpft. Eine Nichtzulassungsbeschwerde habe offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

II.

14

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet

15

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

16

Dem steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin gegen das (zweite) Urteil des Landessozialgerichts nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgegangen ist. Der mit dem Grundsatz der Subsidiarität verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtslage herbeizuführen, ist vorliegend erreicht (vgl. BVerfGE 9, 3 <7 f.>; 78, 155 <160>), denn auch das Bundessozialgericht war bereits einmal mit der Sache befasst. Neue Sach- oder Rechtsfragen stellen sich nach der zweiten Entscheidung des Landessozialgerichts nicht.

17

Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist demgegenüber die Frage einer Leistungsberechtigung der Beschwerdeführerin nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Solche Leistungen hat die Beschwerdeführerin nicht beantragt und über sie wurde in den angegriffenen Entscheidungen nicht entschieden.

18

2. Im Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG.

19

Zwar weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Härtefällen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. nur eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht kommt, während der Sozialhilfeträger gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. nach Ermessen ein Darlehen oder eine Beihilfe gewähren kann. Jedoch ist nach dem Beschwerdevorbringen bereits nicht erkennbar, weshalb bei der Beschwerdeführerin überhaupt ein besonderer Härtefall vorliegen soll. Ferner setzt sie sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende und das Recht der Sozialhilfe unterschiedliche Systeme differenziert nach der Erwerbsfähigkeit vorsehen. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten kann grundsätzlich erwartet werden, dass es ihnen nach Abschluss ihrer Ausbildung möglich sein wird, ein Darlehen zurückzuzahlen; diese Aussicht besteht bei nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nicht ohne weiteres (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R -, juris, Rn. 20).

20

3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

21

a) Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 ff.>; 132, 134 <159 ff.>) liegt nicht vor.

22

§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. konkretisiert den Nachrang gegenüber vorrangigen besonderen Sozialleistungssystemen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl. § 3 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB II). Der Gesetzgeber geht im Rahmen seines Gestaltungsspielraums in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass das menschenwürdige Existenzminimum, soweit eine durch die Ausbildung bedingte Bedarfslage entstanden ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 28/06 R -, juris, Rn. 28; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 276 ), vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beziehungsweise dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch zu decken ist.

23

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. führt im Fall der Beschwerdeführerin dazu, dass ihr für die Dauer ihrer Ausbildung keine Grundsicherungsleistungen (über Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehende hinaus) gewährt werden. Dies beruht auf den Vorgaben des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, insbesondere zur Altersgrenze der Förderung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404) und ist keine im vorliegenden Verfahren zu klärende Frage zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch.

24

b) Der faktische Zwang, eine Ausbildung abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen die Existenz sichern, berührt die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2013 - 1 BvL 1/08 -, juris, Rn. 36 f.). Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch hierfür ein besonderes Sozialleistungssystem geschaffen. Dabei hat der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums entschieden, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung angestrebt wird (vgl. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 15. Januar 1979, BTDrucks 8/2467, S. 15; Bericht der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen vom 13. Juli 1987, BTDrucks 11/610, S. 16 f.; Finger, FamRZ 2006, S. 1427 f.). Ermöglicht wird im Allgemeinen, bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung zu beginnen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404). Ob sich der Ausschluss der Beschwerdeführerin von der Förderung einer Ausbildung vor der Verfassung rechtfertigen lässt, ist damit nicht gesagt, aber hier auch nicht zu entscheiden.

25

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

26

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Gründe

I.

1

Die mit einem Prozesskostenhilfegesuch verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen sozialgerichtliche Eilentscheidungen wegen der Versagung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Hinblick auf die abstrakte Förderungsfähigkeit des Hochschulstudiums des Beschwerdeführers nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

2

1. Der 1966 geborene Beschwerdeführer bezog im Anschluss an Erwerbstätigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende; letztmals im Mai 2010 Leistungen für Unterkunft und Heizung bis Ende November 2010 in Höhe von monatlich 73,84 €. Auf seinen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen gab der Beschwerdeführer an, ab Oktober 2010 ein Hochschulstudium aufzunehmen. Der Verwaltungsträger stellte daraufhin fest, dass kein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens besteht und hob wegen der Aufnahme des Hochschulstudiums die Bewilligung von Leistungen für Oktober und November 2010 auf.

3

2. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen diesen Verwaltungsakt und auf Verpflichtung des Grundsicherungsträgers, ihm vorläufig Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab Oktober 2010 zu gewähren, lehnte das Sozialgericht ab. Durch die Aufnahme des Studiums verliere er nach der vom Gericht nicht für verfassungswidrig erachteten Regelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II in der Fassung bis 31. März 2011 (im Folgenden: a.F.) den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da das Hochschulstudium gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG förderungsfähig sei. Auch anderweitige Ansprüche bestünden nicht. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalte der Beschwerdeführer nicht, weil er die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten habe.

4

3. Das Landessozialgericht wies die Beschwerde zurück.

5

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 sowie von Art. 20 Abs. 3 GG.

6

Er sei nicht gehalten, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Die Gerichte hätten sich auf eine jüngere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützt, weshalb keine abweichende Beurteilung der Fachgerichte zu erwarten sei. Ihm entstünden, wenn er so lange zuwarten müsse, schwere und erhebliche Nachteile, denn ohne die Mittel Dritter sei er lediglich ein weiteres Jahr in der Lage, das Studium zu finanzieren. Würden existenzsichernde Sozialleistungen ausgeschlossen, ohne dass ein Anspruch auf adäquate andere Leistungen bestünde, verstoße dies gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Durch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. werde die freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeschränkt, denn der Leistungsausschluss zwinge ihn, seinen Berufswunsch aufzugeben. Die Aufnahme eines Studiums stehe der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, denn er würde das Studium zugunsten einer zumutbaren Arbeit jederzeit aufgeben. Auch liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen ordentlich Studierenden und Gasthörenden vor, die von vornherein keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz hätten, weshalb § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nicht entgegenstehe, obwohl beide durch das Lernen gleich belastet seien.

II.

7

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

8

1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, da sie hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidungen über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in einer den Erfordernissen von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet worden ist (vgl. BVerfGE 21, 359 <361>; 81, 208 <214>; 85, 36 <52>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 105, 252 <264>; 108, 370 <386 f.>).

9

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

10

Dem steht nicht entgegen, dass sich der Beschwerdeführer gegen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wendet. Er kann hier nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, da dieses als von vornherein aussichtslos erscheint (vgl. BVerfGE 104, 65 <71>). Nach der Rechtsprechung der fachlich zuständigen Senate des Bundessozialgerichts zur Rechtslage bis Ende März 2011 ist - abgesehen von Konstellationen, in denen der Bedarf nicht ausbildungsbedingt ist oder ein besonderer Härtefall vorliegt - von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen, wer eine dem Grunde nach gemäß dem Bundesausbildungsförderungsgesetz objektiv förderungsfähige Ausbildung absolviert (BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 36/06 R -, juris; Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 67/08 R -, juris) und - bezogen auf ein Hochschulstudium - die Ausbildung tatsächlich betreibt (BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 4 AS 102/11 R -, juris; Urteil vom 22. August 2012 - B 14 AS 197/11 R -, juris).

11

Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch die Frage nach den Altersgrenzen der Studienförderung. Der Beschwerdeführer hat keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beantragt und sich gegebenenfalls gegen deren Versagung gewehrt. Über sie wurde in den angegriffenen Entscheidungen auch nicht entschieden.

12

3. Gegen die vorliegend angegriffenen Entscheidungen zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch bestehen insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

13

a) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 ff.>; 132, 134 <159 ff.>) ist nicht verletzt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen; dies tut der Beschwerdeführer nicht, wenn er studiert. Daher schließt § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. im Fall des Beschwerdeführers die Gewährung dieser Grundsicherungsleistungen aus. Soweit durch die Ausbildung existenzielle Bedarfe entstehen, werden diese insofern vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beziehungsweise dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch gedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 28/06 R -, juris, Rn. 28; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 7 Rn. 276 ). Über die dortige Altersgrenze der Förderung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404) haben die Gerichte im vorliegenden Verfahren nicht entschieden.

14

b) Daher geht auch die Rüge einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG vorliegend ins Leere. Der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, berührt zwar die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2013 - 1 BvL 1/08 -, juris, Rn. 36 f.). Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch ein besonderes Sozialleistungssystem zur individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat geschaffen, das diese Teilhabe sichern soll. Seine Regelungen über Förderungsvoraussetzungen sowie Art, Höhe und Dauer der Leistungen sind auf die besondere Lebenssituation der Studierenden zugeschnitten, die auf öffentliche Hilfe bei der Finanzierung ihres Studiums angewiesen sind (vgl. BVerfGE 96, 330 <343>). Der Gesetzgeber hat die Förderung so ausgestaltet, dass eine möglichst frühzeitige Aufnahme der Ausbildung gefördert wird (vgl. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 15. Januar 1979, BTDrucks 8/2467, S. 15; Bericht der Bundesregierung zur Ausbildungsfinanzierung in Familien mit mittlerem Einkommen vom 13. Juli 1987, BTDrucks 11/610, S. 16 f.; Finger, FamRZ 2006, S. 1427 f.), denn im Allgemeinen muss bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres eine der Begabung entsprechende Ausbildung begonnen werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 15. September 1980 - 1 BvR 715/80 -, FamRZ 1981, S. 404); § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG lässt Ausnahmen bei einer Ausbildungsaufnahme in höherem Alter zu. Es ist so derzeit möglich, ein Erststudium gefördert zu absolvieren (vgl. BVerfGK 7, 465 <471> zur Möglichkeit eines gebührenfreien Erststudiums). Ob sich insofern der Ausschluss des Beschwerdeführers von der Förderung für ein Studium nach Ausbildung und Erwerbstätigkeit - aber auch zur weiteren Qualifikation und Rückkehr in die Erwerbsarbeit - vor der Verfassung rechtfertigen lässt, ist damit nicht gesagt, aber hier auch nicht zu entscheiden.

15

c) Vorliegend ist ebenfalls nicht zu entscheiden, ob die Regelung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes mit Unionsrecht (Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG; vgl. EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2010, Andersen, C-499/08, juris; Urteil vom 13. September 2011, Prigge, C-447/09, juris; dazu Brors, RdA 2012, S. 346 <347 ff.>) in Einklang steht.

16

d) Auch die Frage nach einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Unterscheidung zwischen Vollzeitstudierenden und Gaststudierenden stellt sich im System des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und nicht im vorliegenden Verfahren.

17

4. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts in entsprechender Anwendung der §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2010 - 2 BvR 2258/09 -, juris, Rn. 6 m.w.N.) liegen nicht vor. Denn die Verfassungsbeschwerde bietet, wie dargelegt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

18

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

19

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Die Klägerin und Antragstellerin begehrt vorläufig die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Streitig ist dabei der Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

Die 1963 geborene Antragstellerin ist portugiesische Staatsangehörige. Sie lebt mindestens seit September 2014 in der Bundesrepublik Deutschland, da sie sich zum 01.09.2014 bei der Stadt A-Stadt unter der Adresse ihres Lebensgefährten anmeldete. Dieser ist ebenfalls portugiesischer Staatsangehöriger und erhält vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Zu überprüfen ist vorliegend der Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen auf den Weiterbewilligungsantrag vom 02.02.2015, mit dem die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte gemeinsam Leistungen beantragten.

Mit Bescheid vom 13.04.2015 bewilligte der Beklagte und Antragsgegner „der Bedarfsgemeinschaft“ des Lebensgefährten der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 525 EUR (360 EUR Regelbedarf, 165 EUR Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Eine Bewilligung erfolgte darin lediglich gegenüber dem Lebensgefährten. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Mit Widerspruch vom 20.04.2015 wandte sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der Leistungen ihr gegenüber. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 zurückgewiesen, da die Antragstellerin von den Leistungen ausgeschlossen sei. Sie sei nicht erwerbstätig und verfüge mangels ausreichender Existenzmittel und ausreichendem Krankenversicherungsschutz über kein Aufenthaltsrecht. Für die Monate Juli und August 2015 erging am 04.08.2015 ein Änderungsbescheid unter Berücksichtigung der Einkünfte des Lebensgefährten der Antragstellerin.

Über ihren Lebensgefährten als Prozessbevollmächtigten erhob die Antragstellerin am 07.07.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Der Leistungsausschluss sei unverständlich. Sie habe bereits einen Deutschkurs belegt und bemühe sich um eine Krankenversicherung. Als Unionsbürgerin habe sie Anspruch auf Leistungen. Nach dem EuGH dürften Unionsbürger mit Verbindungen zum Arbeitsmarkt nicht von Leistungen ausgenommen werden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Ihr Lebensgefährte übe eine Beschäftigung aus und sie könne ebenfalls rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Anspruch bestehe auch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25.08.2015 gab die Antragstellerin an, dass sie bislang keine Arbeit gefunden habe und auch wenig Aussicht bestehe, da sie an Krebs erkrankt sei und ihr deswegen ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt worden sei. Sie beantragte, den Antragsgegner unter Abänderung seines Bescheids vom 13.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2015 und des Änderungsbescheids vom 04.08.2015 zu verpflichten, ihr vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.

Mit Urteil vom 25.08.2015 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage ab. Die Antragstellerin habe im streitigen Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen den Beklagten, weil sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen sei. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche. Die Antragstellerin habe seit ihrem Zuzug nach Deutschland keine Beschäftigung gefunden. Auf eine solche bestehe nach eigener Darstellung wegen der Erkrankung auch kaum Aussicht. Sie könne daher ein Aufenthaltsrecht allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) herleiten. Mit Urteil vom 11.11.2014 (Rs. C 333/13 - Dano) habe inzwischen der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Richtlinie 2004/38) nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten nicht entgegenstehe, nach denen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten im Gegensatz zu Inländern von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausgeschlossen sind. Gleiches gelte in Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Der danach erforderliche Bezug zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt sei bei der Klägerin nie gegeben gewesen und auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) stehe der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ebenfalls nicht entgegen, da dieses auf das SGB II nicht anwendbar sei, nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 2011 einen Vorbehalt gemäß Art. 16 Buchstabe b EFA in Bezug auf das SGB II erklärt habe. Dieser sei nach dem Beschluss des Bundessozialgericht (BSG) vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13 R) auch wirksam. Im Übrigen handle es sich bei den Regelungen des EFA auch nicht um die Kodifizierung bzw. den Ausdruck einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, die nach Art. 25 des Grundgesetzes Vorrang vor dem SGB II hätte. Das Urteil wurde dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 28.08.2015 zugestellt.

Am 07.09.2015 hat die Antragstellerin Berufung gegen das Urteil vom 25.08.2015 eingelegt, die unter dem Aktenzeichen L 16 AS 614/15 geführt wird.

Am gleichen Tag hat sie beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 zu gewähren.

Sie beruft sich auf das Urteil des erkennenden Senats des Bayer. LSG vom 19.06.2013 (L 16 AS 847/12) und weist darauf hin, dass sie beabsichtige, ihren langjährigen Lebensgefährten zu heiraten und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 09.09.2015 Stellung genommen und beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Der Senat hat die Unterlagen der Ausländerbehörde der Stadt Augsburg angefordert und die Antragstellerin auf die Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 (Rs. C-67/14 - Alimanovic) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Bewilligung von Leistungen vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Er ist aber unbegründet, weil die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den beantragten Leistungen ausgeschlossen ist.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (sog. Regelungsanordnung) ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile umschreibt den sogenannten Anordnungsgrund (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl das zu sichernde Recht, der sogenannte Anordnungsanspruch, als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO) oder nach Durchführung der von Amts wegen auch im Eilverfahren gegebenenfalls gebotenen Ermittlungen glaubhaft erscheinen. Die Entscheidung darf sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten zu verhindern (so BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 9, juris). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Übernimmt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 10, juris).

Gemessen an diesem Maßstab ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen, weil ein Leistungsanspruch der Antragstellerin und damit ein Anordnungsanspruch als ausgeschlossen angesehen werden kann.

Die Antragstellerin erfüllt nach den im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen grundsätzlich die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere ist sie hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 und 2 SGB II. Ob sie wegen der angegebenen Krebserkrankung noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II), kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht geklärt werden, kann vorliegend aber auch deshalb dahingestellt bleiben, weil die Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Denn sie verfügt über kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche (1). Der Leistungsausschluss verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Art. 24 der Richtlinie 2004/38 (2). Verfassungsrechtliche Bedenken, die die vorläufige Bewilligung von Leistungen erforderlich machen würden, bestehen nicht (3).

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auf die Antragstellerin anwendbar, weil sie sich auf kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche berufen kann.

Die Antragstellerin ist als Unionsbürgerin zwar grundsätzlich freizügigkeitsberechtigt i. S. d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Das Recht auf Einreise und Aufenthalt besteht aber nicht uneingeschränkt, sondern nur nach Maßgabe dieses Gesetzes (§ 2 Abs. 2 FreizügG/EU). Mit § 2 FreizügG/EU sind im Wesentlichen die Regelungen der Richtlinie 2004/38 in innerdeutsches Recht umgesetzt worden. Denn auch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen gewährleisten kein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht (vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 19.06.2013, L 16 AS 847/12).

Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU neben Arbeitnehmern (Nr. 1) und niedergelassenen selbstständigen Erwerbstätigen (Nr. 2) auch Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, zunächst für die Dauer von sechs Monaten, darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (Nr. 1a). Familienangehörige von Unionsbürgern haben unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 3 FreizügG/EU ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht. Gemäß § 4 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

§ 4 FreizügG/EU entspricht der Regelung in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/38, wonach für nicht erwerbstätige Unionsbürger nach dem Ablauf von drei Monaten ein Aufenthaltsrecht nur unter der Bedingung fortbesteht, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (vgl. Urteil des EuGH vom 07.09.2004, Rs. C-456/02- Trojani). Bereits in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/38 wird darauf hingewiesen, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen sollten. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen (zehnter Erwägungsgrund).

Die Antragstellerin kann sich danach allenfalls auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU berufen. Sie war im streitigen Zeitraum weder Arbeitnehmerin noch verfügte sie über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz. Nachdem sie in Deutschland nach eigenen Angaben noch nie erwerbstätig war, kommt auch ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht nicht in Betracht. Solange sie mit ihrem Lebensgefährten noch nicht verheiratet ist, kann sie sich auch nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen.

Ob die Antragstellerin, die sich inzwischen seit mindestens einem Jahr in Deutschland aufhält, ohne nachweisen zu können, dass sie nach Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, inzwischen das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verloren hat (so der Antragsgegner), kann dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn die Antragstellerin nachweisen könnte, dass sie weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, würde dies allenfalls zu einem Schutz vor Ausweisung nach Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 führen, nicht aber zu einem einen Leistungsanspruch begründenden gemeinschaftsrechtlich verbürgten Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C - 67/14 - Alimanovic, Rn. 57, juris).

2. Der Leistungsausschluss der Antragstellerin als Unionsbürgerin verstößt nicht gegen europäisches Recht, insbesondere nicht gegen den in Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 und in Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz.

Sowohl Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 als auch Art. 24 der Richtlinie 2004/38 sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten (EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C-67/14 - Alimanovic, Rn. 63).

Gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Er kann sich auch im Anwendungsbereich des Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 auf diese Ausnahmebestimmung berufen und darf Sozialhilfeleistungen auch für den Zeitraum nach Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 verweigern.

Bei den hier streitigen Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 (EuGH, Urteile vom 11.11.2014, C-333/13 - Dano, Rn. 63 und vom 15.09.2015 - Alimanovic, Rn. 43 und 44). Dem steht die Einordnung als „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 (Koordinierungsverordnung) nicht entgegen. Es handelt sich beim Arbeitslosengeld II nicht um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen (EuGH, a. a. O. - Alimanovic, Rn. 46).

Die Antragstellerin könnte sich zwar möglicherweise auch nach Ablauf des in § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU genannten Zeitraums von sechs Monaten für die Dauer des von Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38 abgedeckten Zeitraums auf ein Aufenthaltsrecht berufen, wenn sie nachweisen könnte, dass sie weiterhin mit begründeter Aussicht auf Einstellung Arbeit sucht (wofür vorliegend keine Anhaltspunkte gegeben sind). Ein solches Aufenthaltsrecht würde ihr auch grundsätzlich einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen verschaffen. Der Aufnahmemitgliedstaat kann sich in diesem Fall aber auf die Ausnahmebestimmung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen, um ihr die beantragte Sozialhilfe nicht zu gewähren. Eine individuelle Prüfung dahingehend, ob die Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen durch die Antragstellerin eine unangemessene Belastung für das Sozialsystem bedeuten würde, ist bei dieser Fallgestaltung nicht mehr erforderlich (EuGH, a. a. O., Alimanovic, Rn. 57, 59).

3. Die Antragstellerin kann auch aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) keinen Leistungsanspruch herleiten. Der Senat hat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Alle staatliche Gewalt muss sie achten und schützen. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, grundsätzlich gleichermaßen zu (Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).

Der Staat ist im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a. a. O., Rn. 63, juris). Dies ist eine objektive Verpflichtung des Staates, die mit einem individuellen Leistungsanspruch korrespondiert. Migrationspolitische Erwägungen sind nicht geeignet, die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde zu relativieren (BVerfG, a. a. O., Rn. 95).

Ein daraus abgeleiteter individueller Leistungsanspruch bedarf allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz. Hinsichtlich dessen Umfang steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, a. a. O., Rn. 62-66). Auch inländischen Staatsangehörigen gewährleistet die Verfassung nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Urteil vom 07.07.2010, 1 BvR 2556/09).

Der Umfang des Leistungsanspruches ergibt sich weder aus Artikel 1 Abs. 1 GG noch aus der Verfassung (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, a. a. O., Rn. 66). Er hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation sowie den wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab.

Dieses Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verletzt. Die Antragstellerin kann darauf verwiesen werden, Leistungen ihres Heimatlandes zur Sicherung Ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des Deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist nicht zu beanstanden.

Der faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren zu müssen, weil es der Antragstellerin nicht möglich ist, ihren Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung der Art. 1 Abs. 2, 20 Abs. 1 GG dar. Er ist vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Leistungsausschlüsse für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II gebilligt (vgl. hierzu Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014, 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014,1 BvR 886/11), mit der Folge, dass die Betroffenen letztlich gezwungen sind, ihre Ausbildung abzubrechen und ihre Arbeitskraft zur Beschaffung Ihres Lebensunterhaltes einzusetzen.

Hierin unterscheidet sich auch die Situation der Antragstellerin grundlegend von der Situation der in den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) fallenden Asylsuchenden. Die Antragstellerin ist als Unionsbürgerin anders als Asylsuchende nicht daran gehindert, sich innerhalb des sog. „Schengen-Raumes“ frei zu bewegen oder nach Portugal zurückzukehren. Soweit sie vorträgt, aufgrund einer Erkrankung derzeit nicht arbeitsfähig zu sein, ist festzustellen, dass auch ihr Heimatstaat Portugal die Europäische Sozialcharta unterzeichnet und ratifiziert hat. Portugal hat sich damit verpflichtet sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit verschaffen kann, ausreichende Unterstützung und Krankenbehandlung zu gewähren (Artikel 13 der Sozialcharta - Das Recht auf Fürsorge). Auch tatsächlich verfügt Portugal über steuerfinanzierte und beitragsunabhängige Systeme für alle Einwohner, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden (Quelle: www.sozialkompass.eu).

Unberührt vom Leistungsausschluss bleiben Ansprüche auf Hilfen zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung gemäß Art. 23 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Solche sind aber nicht Gegenstand des Eilverfahrens.

Die Antragstellerin muss also in Konsequenz dieser Entscheidung damit rechnen, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik (vorübergehend) aufzugeben und sich an das Fürsorgesystem ihres Herkunftsstaates Portugal wenden zu müssen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichern kann. Dass die Verweisung der Antragstellerin auf die Inanspruchnahme dieser Leistungen in ihrem Heimatstaat gegen Art. 1 GG oder Art. 20 GG verstoßen würde, vermag der Senat nicht zu erkennen (ebenso Bayer. LSG, Beschluss vom 01.10.2015, L 7 AS 627/15 B ER und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015, L 1 AS 2338/15 ER-B).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 177 SGG).

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Leistungen können auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Leistungen können auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder
3.
sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.
Satz 1 Nummer 1 und 3 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Absatz 3a sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen:
1.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2.
Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe nach § 35 und § 35a, einschließlich der Bedarfe nach § 30 Absatz 7,
3.
die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4.
Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3.
Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Abweichend von Satz 1 Nummer 2 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 7 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des tatsächlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Ausländerrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(3a) Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Absatz 3 Satz 5 Nummer 1 und 2 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

(4) Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

(5) Hält sich ein Ausländer entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet auf oder wählt er seinen Wohnsitz entgegen einer Wohnsitzauflage oder einer Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet, darf der für den Aufenthaltsort örtlich zuständige Träger nur die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten ist regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des Bedarfs für die Reise zu dem Wohnort, an dem ein Ausländer seinen Wohnsitz zu nehmen hat. In den Fällen des § 12a Absatz 1 und 4 des Aufenthaltsgesetzes ist regelmäßig eine Reisebeihilfe zu dem Ort im Bundesgebiet zu gewähren, an dem der Ausländer die Wohnsitznahme begehrt und an dem seine Wohnsitznahme zulässig ist. Der örtlich zuständige Träger am Aufenthaltsort informiert den bislang örtlich zuständigen Träger darüber, ob Leistungen nach Satz 1 bewilligt worden sind. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 23a, 24 Absatz 1 oder § 25 Absatz 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist. Satz 5 findet keine Anwendung, wenn der Wechsel in ein anderes Land zur Wahrnehmung der Rechte zum Schutz der Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes oder aus vergleichbar wichtigen Gründen gerechtfertigt ist.

Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deutschlands in der Welt trägt er auch zu internationaler Entwicklung bei. Die Ausgestaltung erfolgt so, dass die Interessen der öffentlichen Sicherheit beachtet werden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.

(1a) Der Regelbedarf wird in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a und 40 des Zwölften Buches in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung anerkannt. Soweit in diesem Buch auf einen Regelbedarf oder eine Regelbedarfsstufe verwiesen wird, ist auf den Betrag der für den jeweiligen Zeitraum geltenden Neuermittlung entsprechend § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz abzustellen. In Jahren, in denen keine Neuermittlung nach § 28 des Zwölften Buches erfolgt, ist auf den Betrag abzustellen, der sich für den jeweiligen Zeitraum entsprechend der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung nach den §§ 28a und 40 des Zwölften Buches ergibt.

(2) Als Regelbedarf wird bei Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt. Für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft wird als Regelbedarf anerkannt:

1.
monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 4, sofern sie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
2.
monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 in den übrigen Fällen.

(3) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Absatz 5 umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres der in Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 genannte Betrag als Regelbedarf anzuerkennen.

(4) Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, ist als Regelbedarf für jede dieser Personen monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anzuerkennen.

(5) (weggefallen)

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden abweichend von Satz 1 Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; § 35a Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt nur, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem Kapitel, dem Vierten Kapitel oder dem Zweiten Buch bezogen worden sind. Bei Leistungsberechtigten, die in den letzten zwei Jahren vor dem Bezug von Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel Leistungen nach dem Zweiten Buch bezogen haben, wird die nach § 22 Absatz 1 Satz 2 bis 4 des Zweiten Buches bereits in Anspruch genommene Karenzzeit für die weitere Dauer der Karenzzeit nach den Sätzen 2 bis 5 berücksichtigt.

(2) Der Träger der Sozialhilfe prüft zu Beginn der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 die Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Übersteigen die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, teilt der Träger der Sozialhilfe dies den Leistungsberechtigten mit dem ersten Bewilligungsbescheid mit und unterrichtet sie über die Dauer der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 sowie über das Verfahren nach Ablauf der Karenzzeit nach Absatz 3 Satz 2.

(3) Übersteigen die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie in tatsächlicher Höhe als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. Satz 1 gilt nach Ablauf der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 6 so lange, bis es diesen Personen möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Absatz 1 Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Stirbt ein Mitglied der Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar.

(4) Der Träger der Sozialhilfe kann für seinen örtlichen Zuständigkeitsbereich für die Höhe der Bedarfe für Unterkunft eine monatliche Pauschale festsetzen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt hinreichend angemessener freier Wohnraum verfügbar und in Einzelfällen die Pauschalierung nicht unzumutbar ist. Bei der Bemessung der Pauschale sind die tatsächlichen Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts, der örtliche Mietspiegel sowie die familiären Verhältnisse der Leistungsberechtigten, insbesondere Anzahl, Alter und Gesundheitszustand der in der Unterkunft lebenden Personen, zu berücksichtigen. Absatz 3 Satz 1 gilt entsprechend.

(5) Bedarfe für Heizung umfassen auch Aufwendungen für zentrale Warmwasserversorgung. Die Bedarfe können durch eine monatliche Pauschale festgesetzt werden. Bei der Bemessung der Pauschale sind die persönlichen und familiären Verhältnisse, insbesondere Anzahl, Alter und Gesundheitszustand der in der Unterkunft lebenden Personen, die Größe und Beschaffenheit der Wohnung, die vorhandenen Heizmöglichkeiten und die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen.

(6) Leben Leistungsberechtigte in einer Unterkunft nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3, so sind Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 42a Absatz 5 und 6 anzuerkennen. Leben Leistungsberechtigte in einer sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 3, so sind Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 42a Absatz 7 anzuerkennen. Für die Bedarfe nach den Sätzen 1 und 2 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 6 nicht.

(7) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 3 und § 35a Absatz 2 Satz 2 gelten entsprechend.

(8) § 22 Absatz 11 und 12 des Zweiten Buches gelten entsprechend.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2009 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) für die Zeit vom 5.8.2007 bis zum 29.2.2008.

2

Der 1957 geborene Kläger (ursprünglich Kläger zu 1) und der 1977 geborene chinesische Staatsangehörige Y, der das vorliegende Verfahren im Klage- und Berufungsverfahren als Kläger zu 2 betrieben hatte, waren im streitigen Zeitraum eingetragene Lebenspartner nach dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz ). Sie bezogen seit dem 1.1.2005 von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Für die von ihnen bewohnte 61,44 qm große 2,5 Zimmerwohnung in Berlin-Schöneberg zahlten sie nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg im streitigen Zeitraum eine Miete einschließlich Heizkosten von insgesamt 532,49 Euro monatlich. Der Beklagte teilte ihnen mit Schreiben vom 29.1.2007 mit, dass ihre KdU nicht angemessen seien. Für einen Zwei-Personen-Haushalt gelte insoweit ein Richtwert in Höhe von 444 Euro. Sie seien daher verpflichtet, ihre KdU zu senken. Er, der Beklagte, sei bereit, die tatsächlichen KdU noch für sechs Monate nach Zugang seines Schreibens zu übernehmen.

3

Mit Bescheid vom 27.6.2007 gewährte der Beklagte dem Kläger und seinem Partner für die Zeit vom 1.7.2007 bis zum 31.8.2007 Leistungen in Höhe von 916,49 Euro monatlich. Als Bedarf legte er dabei jeweils den Regelsatz für Partner einer Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 312 Euro und berücksichtigungsfähige KdU in Höhe von 532,49 Euro zugrunde. Hierauf rechnete er zunächst Einkommen an. Nach Widerspruch wegen der Berücksichtigung von Einkommen und nachdem Y mitgeteilt hatte, er werde vom 2.8.2007 an für voraussichtlich vier Monate wegen familiärer Verpflichtungen nach Peking reisen, bewilligte der Beklagte dem Kläger für August 2007 Leistungen in Höhe von insgesamt 578,24 Euro (312 Euro Regelleistung und 266,24 Euro KdU). Der Bescheid berücksichtige als Änderungen die unerlaubte Ortsabwesenheit des Y Dadurch sei dessen Leistungsanspruch weggefallen (Änderungsbescheid vom 7.8.2007). Mit Bescheid vom 23.8.2007 in der Fassung des Bescheides vom 25.9.2007 gewährte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1.9.2007 bis zum 29.2.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 534 Euro monatlich (312 Euro Regelleistung und 222 Euro KdU). Die hiergegen gerichteten Widersprüche blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 25.9.2007 und 26.9.2007).

4

Während des hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Berlin geführten Klageverfahrens kehrte Y am 6.12.2007 nach Deutschland zurück. Für die Zeit vom 6.12.2007 bis zum 29.2.2008 bewilligte ihm der Beklagte daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 534 Euro monatlich (für Dezember 2007 anteilig in Höhe von 437,60 Euro; Bescheid vom 28.12.2007).

5

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 18.1.2008 verurteilt, dem Kläger für die Zeit der Ortsabwesenheit des Y Leistungen in Höhe des Regelsatzes für Alleinstehende von 347 Euro zu gewähren. Während der Ortsabwesenheit des Y sei zwar nicht die Bedarfsgemeinschaft aufgelöst worden, weil keine dauerhafte Trennungsabsicht vorgelegen habe. Jedoch seien mit der Abreise das gemeinsame Wirtschaften aus einem Topf und damit die Grundlage der Bildung des Mischregelsatzes entfallen. Zu Recht habe der Beklagte dagegen nur die Hälfte der Kaltmiete und der Nebenkosten berücksichtigt. Dies entspreche der Kopfteilmethode, die solange anzuwenden sei, wie die Kläger eine Bedarfsgemeinschaft bildeten. Die angemessene Bruttokaltmiete für einen Zwei-Personen-Haushalt betrage ausgehend von den obersten Spannenwerten im Berliner Mietspiegel 407,40 Euro (Kaltmiete von 293,40 Euro zuzüglich angemessener kalter Betriebskosten in Höhe von 114 Euro). Zusätzlich gehöre die tatsächliche Heizkostenvorauszahlung abzüglich der Warmwasser- und Kochgaspauschale zu den angemessenen Kosten für Heizung.

6

Die hiergegen vom Kläger und Y zum LSG eingelegten Berufungen sind ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 9.6.2009). Streitgegenstand seien im Berufungsverfahren nach zulässiger Beschränkung des Streitgegenstandes noch der Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 5.8.2007 bis zum 29.2.2008 und des Y für die Zeit nach seiner Rückkehr aus Peking, also vom 7.12.2007 bis zum 29.2.2008. Gegenstand des Verfahrens seien damit die Bescheide des Beklagten vom 27.6.2007, 23.8.2007 und vom 25.9.2007 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. und 26.9.2007 sowie der Bescheid vom 28.12.2007. Die Änderungsbescheide des Beklagten vom 7.8.2007 und vom 6.9.2007 seien dagegen nicht Gegenstand dieses Verfahrens geworden, denn die Verfügungssätze dieser Bescheide erschöpften sich in der Aufhebung der Leistungsbewilligung für Y ab dem 8.7.2007 bzw ab August 2007 wegen Ortsabwesenheit. Nachdem der Beklagte seine Berufung zurückgenommen habe, sei das erstinstanzliche Urteil im Übrigen insoweit rechtskräftig und damit für die Beteiligten bindend, als das SG den Beklagten verpflichtet habe, dem Kläger für die Dauer der Ortsabwesenheit des Y die höhere Regelleistung nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II zu gewähren.

7

Beide Berufungskläger seien Berechtigte iS des § 7 Abs 1 SGB II(in der für den streitigen Zeitraum geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom 30.7.2004, BGBl I 2014), insbesondere hätten sie während des streitigen Zeitraums ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II)gehabt und seien auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II in Verbindung mit § 9 SGB II gewesen. Neben der Regelleistung nach § 20 SGB II, deren Höhe nicht mehr streitig sei, hätten sie Anspruch auf Leistungen für die KdU in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen seien. Ansprüche auf weitergehende KdU als von dem Beklagten bewilligt ergäben sich nach Bestimmung der abstrakt angemessenen Kosten nach der sog Produkttheorie nicht.

8

Hinsichtlich der Feststellung der angemessenen Wohnungsgröße sei die für Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen, für die in Berlin - in Ermangelung von Richtlinien zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung - Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) - zum einen an die Bestimmungen zur Vergabe von Wohnberechtigungsscheinen zur Belegung von nach dem WoFG belegungsgebundenen Wohnungen(insoweit an die Mitteilung Nr 8/2004 vom 15.12.2004 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung) und zum anderen - wegen fehlender Bestimmungen über den Mietwohnungsbau - an die Richtlinien über Förderungssätze für eigengenutztes Wohneigentum der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 25.5.1999 (Eigentumsförderungssätze 1999, ABl 1999, 2918 ff) anzuknüpfen sei. Nach Maßgabe dieser Regelungen sei eine Wohnungsgröße von bis zu 60 qm für die Kläger angemessen.

9

Für die weitere Feststellung des angemessenen Unterkunftsbedarfs seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat anschließe, die Kosten für eine Wohnung, "die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist", zu ermitteln. Hierfür seien die sich aus der Berliner Mietspiegeltabelle 2007 (Amtsblatt für Berlin 2007, 1797) ergebenden durchschnittlichen Mittelwerte für einfache Wohnlagen und Ausstattungen für Neu- und Altbauten zugrunde zu legen. Für eine Wohnfläche von vierzig bis unter sechzig Quadratmetern in einfacher Lage ergebe sich eine Nettokaltmiete von gerundet 4,54 Euro pro qm (Summe aus sämtlichen Mittelwerten geteilt durch 9), und also eine monatliche Nettokaltmiete in Höhe von insgesamt 272,40 Euro (4,54 Euro x 60 qm). Hierzu seien als angemessene kalte Betriebskosten die durchschnittlichen kalten Betriebskosten, die regelmäßig mit dem Mietzins zu entrichten seien, unter Zugrundelegung der vom Deutschen Mieterbund (DMB) mit dem "Betriebskostenspiegel 2007" veröffentlichten Angaben (www.mieterbund.de) zu bestimmen, die sich auf 1,79 Euro pro qm (einschließlich Steuern und Abgaben), mithin für eine Wohnung von 60 qm auf 107,40 Euro monatlich beliefen. Zuzüglich einer angemessenen Bruttokaltmiete von insgesamt 379,80 Euro seien Heizkosten in Höhe von 0,85 Euro pro qm (ebenfalls unter Rückgriff auf den Betriebskostenspiegel 2007) als angemessen anzusehen, sodass sich bei einer Wohnungsgröße von 60 qm eine angemessene monatliche Bruttowarmmiete in Höhe von insgesamt 430,80 Euro (379,80 Euro + 51 Euro) ergebe. Zur Überzeugung des Senats stehe in Berlin eine ausreichende Zahl gerade auch von Zwei-Zimmer-Wohnungen in diesem Mietsegment mit dem vorgenannten Mietniveau zur Verfügung. Ein "Bestandsschutz" nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II bestehe nicht mehr. Der Kläger habe auch während der Dauer der Ortsabwesenheit des Y keinen Anspruch auf Leistungen für die KdU in Höhe der gesamten Kosten der Mietwohnung, sondern nur in Höhe der Hälfte dieser Kosten. Besonderheiten, die ein Abweichen vom Prinzip der Aufteilung der Unterkunftskosten nach der Kopfzahl der Wohnungsnutzer rechtfertigen könnten, bestünden im vorliegenden Fall nicht. Unerheblich sei, dass ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wegen einer länger als sechs Wochen währenden Ortsabwesenheit vorübergehend vom Leistungsbezug ausgeschlossen (vgl § 7 Abs 4a SGB II in Verbindung mit § 3 Abs 4 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können vom 23.10.1997 , geändert durch Art 1 1. ÄndAnO vom 16.11.2001 ) und infolgedessen außer Stande gewesen sei, den auf ihn entfallenden Anteil der Unterkunftskosten aufzubringen. Denn insoweit handele es sich um eine von dem Lebenspartner des Klägers selbst zu verantwortende Entscheidung, sich länger als sechs Wochen von seinem Wohnsitz zeit- und ortsfern aufzuhalten. Diese Entscheidung könne den Beklagten nicht verpflichten, dem anderen Hilfebedürftigen nunmehr nicht nur Leistungen für die KdU in Höhe seines Kopfteils, sondern in Höhe der gesamten tatsächlichen KdU zu erbringen.

10

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. An dem Revisionsverfahren hat sich Y, der mittlerweile vom Kläger dauernd getrennt lebt, nicht beteiligt. Der Kläger rügt die fehlerhafte Anwendung des § 22 Abs 1 SGB II durch das LSG. Während der Ortsabwesenheit des Y liege ein Sachverhalt vor, der ein Abweichen vom Grundsatz der Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl rechtfertige. Y habe aufgrund der Ortsabwesenheit keinen Beitrag zu den KdU beisteuern können, sodass die bei der Bedarfsgemeinschaft vermuteten Synergieeffekte ausfielen. Es seien für diesen Zeitraum die angemessenen KdU entsprechend einem Ein-Personen-Haushalt in Höhe von 422,50 Euro abzüglich der Warmwasserpauschale in Ansatz zu bringen. Die abstrakte Angemessenheit der Wohnungskosten sei unter Rückgriff auf den günstigsten Spannenhöchstwert innerhalb der verschiedenen Bauklassen für Wohnungen mit Bad und WC in einfacher Wohnlage zu bestimmen, solange der Träger der Grundsicherung dem Hilfebedürftigen nicht die konkrete Möglichkeit der Anmietung von günstigeren Wohnungen nachweise. Nur bei Zugrundelegung des Spannenoberwerts könne ausreichend sicher geschlussfolgert werden, dass eine angemessene Wohnung tatsächlich gefunden werden könne. Dies gelte auch für die kalten Betriebskosten. Zwar ergebe sich nach dem Betriebskostenspiegel des DMB ein deutlich niedrigerer Mittelwert. Dieser bundesdeutsche Wert könne aber nicht maßgeblich sein, sondern es sei auf die mutmaßlichen Betriebskosten aus dem Berliner Mietspiegel für eine konkret in Berlin anzumietende Wohnung zurückzugreifen. Ausgehend von einer Nettokaltmiete in Höhe von 4,71 Euro pro qm (einfache Wohnlage Baujahre 1965-1972), kalten Betriebskosten in Höhe von 2,59 Euro pro qm und Heizkosten in Höhe von 1,15 Euro ergebe sich (bei einer Wohnungsgröße für eine Person in Höhe von 50 qm) eine angemessene Gesamtmiete in Höhe von 422,50 Euro, die um 6,53 Euro für Warmwasser zu bereinigen sei (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg Beschlüsse vom 4.4.2008 - L 32 AS 458/08 AS ER und vom 5.9.2007 - L 32 AS 1312/07 AS ER). Entsprechend seien die Kosten für einen Zwei-Personen-Haushalt zu berechnen.

11

           

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2009 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2008 sowie die Bescheide des Beklagten vom 27. Juni 2007, vom 7. August 2007, vom 23. August 2007 und vom 25. September 2007 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. September 2007 und 26. September 2007 sowie den Bescheid vom 28. Dezember 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger weitere Kosten der Unterkunft und Heizung abzüglich bereits gezahlter Kosten für den Bewilligungszeitraum

        

vom 5. August 2007 bis 31. August 2007 in Höhe von 370,01 Euro,

        

vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 in Höhe von monatlich 411,12 Euro,

        

vom 1. Dezember 2007 bis 6. Dezember 2007 in Höhe von 82,22 Euro,

        

vom 7. Dezember 2007 bis 31. Dezember 2007 in Höhe von 221,87 Euro,

        

vom 1. Januar 2008 bis 31. Januar 2008 in Höhe von 266,07 Euro und

        

vom 1. Februar 2008 bis 29. Februar 2008 in Höhe von 270,07 Euro

        

zu gewähren.

12

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob der Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II beanspruchen kann, als sie das SG zugesprochen hat.

15

1. Streitgegenstand sind allein Ansprüche des Klägers auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit von August 2007 bis Februar 2008. Der Kläger ist durch das Urteil des SG im Hinblick auf die Höhe der Regelleistung nicht beschwert und hat dementsprechend den Streitstoff in der Sache auf die KdU beschränkt (zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung vgl nur BSGE 97, 217, 222 f = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 S 6 f, jeweils RdNr 18). Er hat bereits im Widerspruchs- und Klageverfahren für den Fall, dass Y höhere KdU nicht zuständen, die gesamten Unterkunftskosten geltend gemacht, sodass er insoweit durch das SG-Urteil beschwert und seine Berufung statthaft ist. Nachdem der Beklagte die von ihm geführte Berufung zurückgenommen hat, ist das SG-Urteil bindend geworden, auch soweit es höhere KdU (nämlich hinsichtlich der Kosten der Heizung) zugesprochen hat als ursprünglich bewilligt. Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits die weitergehende, im Revisionsverfahren vorgenommene betragsmäßige Beschränkung des Streitstoffs zu beachten haben.

16

Bei diesem auf die KdU beschränkten Streitgegenstand sind Gegenstand des Verfahrens die Bescheide des Beklagten vom 27.6.2007, vom 7.8.2007, vom 23.8.2007 und vom 25.9.2007 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.9.2007 und 26.9.2007 sowie der Bescheid vom 28.12.2007. Unzutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 7.8.2007 nicht Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Mit diesem als Änderungsbescheid bezeichneten Bescheid sollte ausdrücklich den Änderungen Rechnung getragen werden, die sich aus der Ortsabwesenheit des Y ergeben haben. Der Bescheid beinhaltet damit sinngemäß auch die Regelung, dass aus der Ortsabwesenheit des Y für den Kläger weder ein Anspruch auf höhere Regelleistung noch auf höhere KdU folgt. Diese Regelung hat der Kläger schon mit seinem Widerspruch angegriffen und damit zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Lediglich der ergänzend am 6.9.2007 ergangene, ausschließlich an Y gerichtete Aufhebungsbescheid ist nicht (mehr) Gegenstand des Verfahrens, denn er betrifft nur die Aufhebung von Bewilligungen an Y

17

2. Der Kläger gehört nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)dem Grunde nach zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, weil er das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II). Auch die rechtliche Würdigung des LSG, er habe im streitigen Zeitraum mit Y in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst b SGB II gelebt, ist nicht zu beanstanden. Nach dem Vortrag des Klägers und seines damaligen Partners, den das LSG bei seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, bestand ein Trennungswille im zweiten Halbjahr 2007 nicht, auf den es insoweit nach § 15 Abs 5 LPartG wie nach § 1567 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) maßgeblich ankommt(vgl im Einzelnen BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16).

18

3. a) Leistungen für Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (vgl § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). Welche Aufwendungen für die Unterkunft vorliegend tatsächlich angefallen sind, lässt sich den Feststellungen des LSG nicht abschließend entnehmen. Das LSG hat die Gesamtaufwendungen für Unterkunft nicht von denen der Heizung getrennt ausgewiesen. Lediglich aus dem Tatbestand des SG-Urteils lässt sich ersehen, dass sich die tatsächlichen Kosten aus einer Nettokaltmiete in Höhe von 393,27 Euro und 70,68 Euro Betriebskosten sowie einem nicht an den Vermieter zu entrichtenden Abschlag für die Gasversorgung (wohl bei einer Gasetagenheizung) in Höhe von 89 Euro zusammengesetzt haben, von denen der Beklagte nur einen Teil anerkannt hat. Das LSG wird dies nach Zurückverweisung des Rechtsstreits im Einzelnen nachzuvollziehen und die Prüfung der Unterkunftskosten getrennt von den Kosten der Heizung durchzuführen haben (vgl nur BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23).

19

b) Die tatsächlich aufgewandten KdU bis zur Höhe ihrer Angemessenheit stehen dem Kläger in der Zeit vom 5.8.2007 bis zum 6.12.2007 allein zu. Für die Anwendung des Kopfteilprinzips ist in dieser Zeit entgegen der Auffassung des LSG kein Raum, weil der Kläger die Wohnung nach den Feststellungen des LSG während dieser Zeit nicht mit weiteren Personen gemeinsam, sondern allein genutzt hat. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG setzt die Aufteilung der KdU nach Köpfen voraus, dass die Wohnung gemeinsam mit anderen Personen genutzt wird (vgl BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, jeweils RdNr 28; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 9 RdNr 18; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 6 RdNr 13; BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 33; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 4 RdNr 19). Entscheidend ist mithin, dass neben dem Hilfebedürftigen die Wohnung den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf weiterer Personen abdeckt. Daran fehlt es, soweit ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Wohnung über einen Zeitraum nicht nutzt, der zu einem Ausschluss von Leistungen nach § 7 Abs 4, 4a SGB II führt. Entgegen der Auffassung des LSG steht der Sinn und Zweck des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 4a SGB II dem nicht entgegen. Der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nach § 7 Abs 4a SGB II findet - bezogen auf die KdU - seine Begründung gerade darin, dass die Notwendigkeit der Übernahme der Wohnungskosten dann nicht erkennbar ist, wenn die Wohnung nicht genutzt wird. Diesem Ausschluss von KdU entspricht es durchaus, wenn bei der Verteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen ein nur "fiktiver" Anteil des ortsabwesenden Partners nicht eingestellt wird. Es ist dem verbliebenen Partner einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a oder b SGB II, die trotz der Abwesenheit des Partners ausnahmsweise nicht aufgelöst wird, jedenfalls bei einer im Vorhinein auf bis zu sechs Monate beschränkten Abwesenheit des Partners nicht zumutbar, die KdU vorübergehend zu senken(dazu im Einzelnen unter 4.a). Es geht damit in solchen Konstellationen nicht darum, den verbliebenen Partner in die Lage zu versetzen, etwaigen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten gegenüber seinem ortsabwesenden Partner nachzukommen, sondern es ihm selbst zu ermöglichen, den eigenen Wohnbedarf (zumindest für eine Übergangszeit) voll zu decken.

20

4. Die Angemessenheit von KdU ist unter Zugrundelegung der sog Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren: Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu ermitteln (dazu unter a). Alsdann ist festzustellen, ob die angemietete Wohnung dem Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard entspricht, der sich in der Wohnungsmiete niederschlägt. Vergleichsmaßstab sind insoweit die räumlichen Gegebenheiten am Wohnort des Hilfebedürftigen (dazu unter b), wobei die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen sind (dazu unter c). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle. Im Streitfall ist das der Bestimmung der Kosten zugrunde liegende Konzept damit von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und ggf ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen. Diese Prüfung haben weder der Beklagte noch SG und LSG rechtsfehlerfrei vorgenommen.

21

a) Zutreffend hat das LSG eine Wohnungsgröße von 60 qm als angemessen für einen Zwei-Personen-Haushalt zugrunde gelegt. Die im Vorhinein auf vier Monate begrenzte Ortsabwesenheit des Y führt nicht dazu, dass wegen der Prüfung der Angemessenheit auf die Wohnungsgröße für eine Person abzustellen wäre.

22

Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ist auf die anerkannte Wohnraumgröße für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen (stRspr seit BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 19). Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsraum gilt § 27 Abs 1 bis 5 WoFG vom 13.9.2001 (BGBI I 2376) iVm § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung (nF) der Bekanntmachung vom 13.9.2001 (BGBl I 2404). Wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße verweist § 27 Abs 4 WoFG(als Nachfolgeregelung zu § 5 Abs 2 WoBindG in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) auf die nach § 10 WoFG von den Ländern festgelegten Wohnungsgrößen. Das Land Berlin hat allerdings zu § 10 WoFG keine Ausführungsvorschriften erlassen. Zu § 5 WoBindG nF und § 27 WoFG liegen nur (unveröffentlichte) Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15.12.2004 vor, die wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße an die zuvor ergangenen Bekanntmachungen anknüpfen (vgl Hinweis 8). Danach darf entsprechend der Bekanntmachung der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen vom 20.10.1995 (Amtsblatt für Berlin 1995, 4462) an Einzelpersonen Wohnraum bis zu 50 qm und an Zwei-Personen-Haushalte Wohnraum von bis zu 60 qm überlassen werden. An diese Regelungen auf Grundlage des § 5 Abs 2 WoBindG aF, die auch nach Inkrafttreten von § 27 WoFG und § 5 WoBindG nF Grundlage für die Belegung von gefördertem Wohnraum sind, ist auch für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II anzuknüpfen(vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 26 RdNr 14). Die weitergehenden Differenzierungen nach der Raumzahl sind für die Auslegung des § 22 Abs 1 SGB II unbeachtlich. Dies haben die für die Grundsicherung zuständigen Senate bereits für andere Bundesländer entschieden, in denen neben der Wohnungsgröße auch die Raumzahl entscheidend ist (vgl für Bayern BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 24; BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, jeweils RdNr 15 ff; BSG Urteil vom 20.8.2009 - B 14 AS 41/08 R, juris RdNr 15; für Rheinland-Pfalz BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 26 RdNr 14 und BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 34; für Nordrhein-Westfalen BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 27 RdNr 16). Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb für das Land Berlin anderes gelten sollte. Auf die (unterschiedlichen) Wohnungsgrößen in den (zum 31.12.1999 außer Kraft getretenen) Richtlinien der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen für die Förderung der Neuschaffung von Wohnraum im sozialen Wohnungsbau (Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 vom 16.7.1990 in der Fassung der Änderungsvorschriften vom 13.12.1992) und den Richtlinien über die Förderung von eigengenutztem Wohneigentum (Eigentumsförderungssätze 1999 vom 25.5.1999), die das LSG ergänzend herangezogen hat, kommt es nicht an. Diese mögen Auswirkungen auf die üblichen Wohnungsgrößen im geförderten Wohnungsbau nach 1992 haben (und damit ohnehin nur für ein Teilsegment des in Bezug zu nehmenden Wohnungsmarktes), es handelt sich aber nicht um Bestimmungen auf Grundlage des § 5 Abs 2 WoBindG aF.

23

Soweit die landesrechtlichen Bestimmungen an die Personenzahl in einem Haushalt anknüpfen, hat der Senat bereits mehrfach entschieden, dass Ausgangspunkt für die Berechnung der Wohnfläche die Zahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ist (vgl nur BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 12 RdNr 21). Dies gilt im Ausgangspunkt auch, wenn Partner der Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a oder b SGB II dauerhaft in getrennten Wohnungen leben, ohne dass ein Trennungswille vorliegt, und eine Haushaltsgemeinschaft deshalb nicht besteht. Insgesamt können KdU nur in einer Höhe beansprucht werden, wie sie Partnern in einer gemeinsamen Wohnung zustehen (BSG Urteil vom 18.2.2010 - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16, jeweils RdNr 17). Besonderheiten hinsichtlich der Feststellung der maßgeblichen Wohnungsgröße sind allerdings für Fälle denkbar, in denen zwar eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a oder b SGB II trotz Auflösung der Haushaltsgemeinschaft wegen eines fehlenden Trennungswillens iS des § 1567 Abs 1 BGB bzw des § 15 Abs 5 LPartG fortbesteht, ein Partner der Bedarfsgemeinschaft aber wegen eines dauerhaften auswärtigen Aufenthalts die Wohnung nicht nutzt und Leistungen nach dem SGB II nicht erhalten kann. Namentlich die Auflösung der Haushaltsgemeinschaft bei längerem Aufenthalt eines Partners außerhalb des in § 7 Abs 4a SGB II genannten Bereichs (wie etwa einem langfristigen Auslandsaufenthalt) oder bei einem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung mit der Folge des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 4 SGB II (etwa der Verbüßung einer Freiheitsstrafe) kann es für den verbliebenen Partner zumutbar werden lassen, die entstehenden Gesamtkosten zu mindern und seine Wohnverhältnisse an die dauerhafte alleinige Nutzung der Wohnung anzupassen. Der Erhalt einer größeren, für zwei Personen zugeschnittenen Wohnung mit Hilfe von Leistungen nach dem SGB II ist zeitlich nicht unbegrenzt schutzwürdig. Anlass zu weitergehender Festlegung, von welchem Zeitpunkt an Maßnahmen zur Kostensenkung vom Träger nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II verlangt werden können, bietet der vorliegende Fall nicht. Jedenfalls wenn der auswärtige Aufenthalt im Vorhinein auf unter sechs Monate beschränkt ist, ergibt sich eine solche Obliegenheit für den verbliebenen Partner der Bedarfsgemeinschaft nicht.

24

b) Zutreffend hat das LSG bei der Bestimmung der angemessenen KdU als maßgeblichen Vergleichsraum das gesamte Stadtgebiet von Berlin herangezogen. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Vergleichsraumes ist zunächst der Wohnort des Hilfebedürftigen. Nach der Rechtsprechung des BSG muss es sich bei dem Vergleichsraum im Übrigen um einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung handeln, der aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die gegen die Annahme des LSG sprechen, dass es sich bei der Stadt Berlin insgesamt um einen solchen Vergleichsraum handelt. Die Stadt Berlin ist mit einer Einwohnerzahl von rund 3,4 Millionen (Stand 2006; Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg) und einer Fläche von rund 891 qkm zwar nahezu dreimal so groß wie die Stadt München (rund 1,36 Millionen Einwohner bei einer Fläche von rund 310 qkm; Quelle: Statistisches Amt München), für die der 4. Senat des BSG einen homogenen Lebens- und Wohnbereich angenommen hat ( vgl BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19). Die einen Vergleichsraum prägenden Merkmale liegen aber - trotz dieser Größe - auch bezogen auf das Stadtgebiet von Berlin vor. Der öffentliche Nahverkehr ist auf die Erreichbarkeit des Stadtkerns von allen Stadtteilen her ausgerichtet. Von den Randlagen aus ergeben sich in die innerstädtischen Bezirke insoweit lediglich Fahrzeiten, wie sie auch erwerbstätigen Pendlern zugemutet werden (vgl § 121 Abs 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch). Eine Beschränkung auf bestimmte Bezirke (oder Ortsteile) mit besonders verdichteter Bebauung und damit vorwiegend günstigem Wohnraum birgt zudem das Risiko einer Gettoisierung. Außerdem zeigt die Wohnlagenkarte als Anlage zu dem vom LSG in Bezug genommenen Berliner Mietspiegel, dass ohnehin in allen Bezirken auch einfache Wohnlagen, an deren Mietniveau sich die Referenzmieten orientieren (dazu sogleich), vorhanden sind, sodass auch von daher die Bildung eines engeren Vergleichsraums nicht erforderlich erscheint. Es steht nicht zu befürchten, dass mit einem ggf zur Kostensenkung erforderlichen Umzug regelmäßig das nähere soziale Umfeld verlassen werden muss. Soweit ein solcher Umzug über die Orts- oder auch Bezirksgrenzen hinweg im Einzelfall gleichwohl notwendig wird, ist dies im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung aller Hilfebedürftigen hinzunehmen (vgl bereits BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 27 RdNr 18).

25

c) Ausgehend von dem gesamten Stadtgebiet Berlin als dem räumlichen Vergleichsmaßstab lässt sich der den Wohnungsstandard widerspiegelnde angemessene Quadratmeterpreis (die Angemessenheitsgrenze) im streitgegenständlichen Zeitraum mangels ausreichender Feststellungen revisionsgerichtlich nicht abschließend bestimmen. Zugrunde zu legen ist ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard (BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 24); die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen (BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 20). Die festgestellte angemessene Referenzmiete oder die Mietobergrenze muss mithin so gewählt werden, dass es dem Hilfebedürftigen möglich ist, im konkreten Vergleichsraum eine "angemessene" Wohnung anzumieten. Die Mietobergrenze ist nach der Rechtsprechung des BSG auf Grundlage eines diese Vorgaben beachtenden schlüssigen Konzepts zu ermitteln ( vgl BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R ).

26

aa) Die Träger der Grundsicherung entscheiden in Berlin über die Angemessenheit von Unterkunftskosten auf Grundlage der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 7.6.2005 (Amtsblatt für Berlin 2005, 3743), für den streitigen Zeitraum geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30.5.2006 (Amtsblatt für Berlin 2006, 2062; im Folgenden: AV-Wohnen). Es handelt sich dabei um bloße Verwaltungsvorschriften, die keine unmittelbare Rechtswirkung für die Betroffenen entfalten. Weder aus den AV-Wohnen selbst noch aus dem Vortrag des Beklagten wird erkennbar, dass den dort genannten Oberwerten (444 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt) ein schlüssiges Konzept im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BSG zugrunde liegt. Ob zur Ermittlung des Wertes die Produkttheorie unter Zugrundelegung der oben genannten Wohnungsgrößen angewandt und bezogen auf die verschiedenen Wohnungsgrößen Daten gesammelt und ausgewertet worden sind, wird nicht erkennbar und ist von dem Beklagten nicht vorgetragen. Im Übrigen ist der in den AV-Wohnen genannte Referenzwert schon deshalb zur Bewertung angemessener Wohnkosten ungeeignet, weil er eine Bruttowarmmiete ausweist, obwohl die Beurteilung von Unterkunftskosten von der Beurteilung der Heizkosten unabhängig zu erfolgen hat (ausdrücklich bereits BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, jeweils RdNr 19).

27

bb) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das LSG daher in einem dritten Schritt die angemessene Referenzmiete auf Grundlage des Berliner Mietspiegels 2007 (Amtsblatt für Berlin 2007, 1797) bestimmt. Qualifizierte Mietspiegel iS des § 558d BGB (wie der Berliner Mietspiegel) können - wie auch einfache Mietspiegel - Grundlage der Bestimmung der Referenzmiete nach § 22 Abs 1 SGB II sein(vgl bereits BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R, juris RdNr 16; BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, jeweils RdNr 25 und zuletzt BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 27 RdNr 25). Es ergeben sich aus der Funktion von einfachen und qualifizierten Mietspiegeln im Anwendungsbereich des Mieterhöhungsverfahrens nach §§ 558 ff BGB zwar einige Vorgaben, die für die Ermittlung der grundsicherungsrelevanten Vergleichsmiete nicht in gleichem Maße Bedeutung haben(zum Folgenden auch Butzer/Keller, NZS 2009, 65). Vor allem dürfen bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete nach § 558 Abs 2 BGB, zu deren Darstellung Mietspiegel dienen, nur diejenigen Wohnungen berücksichtigt werden, bei denen die Miete in den letzten vier Jahren neu vereinbart oder, von Veränderungen der Betriebskosten nach § 560 BGB abgesehen, geändert worden ist. Daran orientiert sollen (wie dies auch bezogen auf den Berliner Mietspiegel der Fall ist) nur solche Wohnungen zur Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels herangezogen werden (vgl Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Berlin 2002, S 17). Zudem darf bei der Erstellung eines Mietspiegels Wohnraum nicht berücksichtigt werden, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt worden ist, denn §§ 558 ff BGB finden nur auf frei vermieteten Wohnraum Anwendung. Aus diesem Grund kann gegen die Heranziehung einfacher und qualifizierter Mietspiegel im Anwendungsbereich des § 22 SGB II vor allem eingewandt werden, sie bildeten das Mietniveau hinsichtlich der Bestandsmieten im einfachen Marktsegment nur teilweise, nämlich lediglich bezogen auf sog Neuvertragswohnungen und geänderte Bestandswohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt ab. Allerdings ist - wie bereits ausgeführt - auch bei der Prüfung nach § 22 Abs 1 SGB II letztlich entscheidend, ob im konkreten Vergleichsraum eine "angemessene" Wohnung anzumieten wäre für den Fall, dass die Bestandswohnung unangemessen teuer ist. Im Hinblick auf das mit dem Mietspiegel nicht erfasste Marktsegment der preisgebundenen Wohnungen bestehen - jedenfalls bezogen auf Berlin - keine weitergehenden Bedenken. Mit dem Wegfall der Anschlussförderung für Objekte des Sozialen Wohnungsbaus, bei denen die 15jährige Grundförderung ab dem 1.1.2003 endet (dazu BVerwGE 126, 33), und dem Verzicht auf die entsprechenden Belegungsbindungen sank der Anteil mietpreisgebundener Sozialwohnungen bis Ende 2006 auf knapp 12 % des Gesamtwohnungsbestandes (vgl Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin 2007, S 30 unter Bezugnahme auf Daten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung). Hilfebedürftige werden damit in erster Linie auf die Wohnungssuche auf dem freien Wohnungsmarkt angewiesen sein.

28

Sollen aus Daten eines qualifizierten Mietspiegels grundsicherungsrelevante Schlüsse abgeleitet werden, ist eine Beschränkung auf Daten bestimmter Bauklassen grundsätzlich nicht zulässig, wovon das LSG im Ausgangspunkt zutreffend ausgegangen ist (vgl bereits BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 19 RdNr 25). Über das Baualter können zwar sehr vergröbernd Rückschlüsse auf die Bauweise und den Baustandard gezogen werden. Insbesondere liegt der Ausstattungsgrad von Neubauten im Regelfall über dem Ausstattungsgrad in Gebäuden älterer Bauklassen. Gerade Wohnungen, die in der Nachkriegszeit erbaut worden sind, haben häufig einen wesentlich geringeren Ausstattungsgrad. Aus dem Mietspiegel allein lässt sich jedoch nicht ersehen, inwieweit gerade Wohnungen einer bestimmten Baualtersklasse in einem Umfang zur Verfügung stehen, die den Rückschluss zulassen, im konkreten Vergleichsraum sei eine "angemessene" Wohnung tatsächlich anmietbar. Zudem birgt die Verweisung auf bestimmte Bauklassen verdeckt die Gefahr einer Gettoisierung. Solange nicht statistisch valides Material vorliegt, das eine Aussage darüber zulässt, welche Bauklassen in welchem Umfang tatsächlich die gesamte Stadt als Vergleichsraum - und nicht lediglich ganz bestimmte, als sozial problematisch einzuschätzende Teile einer Stadt - prägen, erscheint es nicht zulässig, allein bestimmte Bauklassen in Bezug zu nehmen. Dies gilt auch hinsichtlich der Bauklassen, die den Standard von Neubauten abbilden. Zwar werden eine ganze Anzahl von Neubauten einen Ausstattungsgrad haben, der über das in Bezug zu nehmende Segment nach § 22 SGB II hinausgeht. Eine generelle Festlegung, der Hilfeempfänger sei schlechterdings von der Anmietung einer solchen Wohnung ausgeschlossen, lässt sich aber nicht treffen (vgl auch BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 19 RdNr 25). Erst wenn weitergehendes Material erkennen lässt, dass Gebäude dieser Bauklassen den Mietmarkt des unteren Marktsegments nicht maßgeblich mitprägen, kommt eine Außerachtlassung der Mietpreise für solche Bauklassen in Betracht.

29

Allerdings weist der Berliner Mietspiegel in den Spalten 1 und 3 innerhalb der Bauklassen bis 1918 und bis 1949 Wohnungen mit besonders niedrigem Ausstattungsgrad (Wohnungen ohne Sammelheizung und/oder ohne Bad) gesondert aus. Es handelt sich einerseits um Wohnungen mit "Ofenheizung", bei denen sich der Mieter der Wohnung mit der Versorgung mit Kohlen und der Entsorgung der Asche befassen muss (vgl LG Berlin Urteil vom 15.1.2007 - 67 S 305/06 - juris RdNr 13), und andererseits oder kumulativ um Wohnungen ohne Bad (mit Innen-WC), in denen sich die Bewohner nur mit fließendem Wasser am Waschbecken (sei es in WC oder Küche) waschen, aber nicht duschen können. Zur Bildung eines grundsicherungsrelevanten Mietwertes sind diese Werte nicht mit heranzuziehen, denn auf Wohnungen mit diesem untersten Ausstattungsgrad können Hilfebedürftige bei der Wohnungssuche grundsätzlich nicht verwiesen werden. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, diese Werte seien einzubeziehen, um eine möglichst breite Datenbasis zu erhalten. Wenn solche Wohnungen nicht den unteren, sondern den untersten Standard abbilden, gehören sie von vornherein nicht zu dem Wohnungsbestand, der überhaupt für die Bestimmung einer Vergleichsmiete abzubilden ist. Deshalb dürfen sie in eine Auswertung des qualifizierten Mietspiegels unter dem Blickwinkel des § 22 SGB II nicht einfließen, unabhängig davon, ob sich in diesem Mietsegment (noch) eine nennenswerte Zahl an Wohnungen findet.

30

cc) Die Bildung eines arithmetischen Mittelwerts aus den (verbleibenden) Mittelwerten der Bauklassen als abschließenden Schritt zur Berechnung einer grundsicherungsrelevanten Nettokalt-Vergleichsmiete, wie ihn das LSG vorgenommen hat, erfüllt die Anforderungen an ein mathematisch-statistisch nachvollziehbares Konzept nicht. Die Bildung arithmetischer Werte bietet gerade bei einem so weitgehend ausdifferenzierten Tabellen-Mietspiegel wie dem Berliner Mietspiegel nicht die Gewähr dafür, dass der abgebildete Wert als solcher tatsächlich den Schwerpunkt eines Mietpreises im einfachen Segment abbildet. Die sog Tabellenmethode, nach der der Berliner Mietspiegel erstellt ist, stellt die Daten als Mietspannen nach den einzelnen Wohnwertmerkmalen (hier Bauklassen, Größe der Wohnungen und Lage) in Rasterfeldern zusammen. Zwischen den einzelnen (insgesamt 107 besetzten) Rasterfeldern bestehen keine Beziehungen. Sie spiegeln allein die Datenerhebung in dem einzelnen, mit den drei Parametern beschriebenen Teilmietmarkt wider. Einzelne Felder haben also je nach der Anzahl von Wohnungen, die in diesem Segment vertreten sind, eine unterschiedliche Aussagekraft für den Gesamtmarkt. Weil die Rasterfelder nicht (im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der hier wiedergegebenen Mietpreise) aufeinander aufbauen, bleiben arithmetische Mittelwerte mit einem hohen Grad an Zufälligkeit belastet, besonders wenn einzelne Werte - wie vorliegend der Wert für Neubauwohnungen der letzten 15 Jahre - stark von den übrigen Werten abweichen. Das arithmetische Mittel für sich genommen bietet damit nicht die Gewähr, dass das einfache Mietsegment realistisch abgebildet wird.

31

Das LSG wird daher nach Wiedereröffnung des Berufungsverfahrens zu prüfen haben, ob sich aus den Grundlagendaten des qualifizierten Mietspiegels oder anderen Quellen weitergehende Schlüsse grundsicherungsspezifischer Art ziehen lassen. Solche Rückschlüsse, die aus weitergehendem Material (das etwa auch der Träger der Grundsicherung aufgrund eigener Erhebungen einführen könnte) getroffen werden, müssen gerichtlich überprüfbar sein. Dies trifft auf die Grundlagendaten für qualifizierte Mietspiegel zu. Für einen qualifizierten Mietspiegel ist immer eine Primärdatenerhebung erforderlich, also die Erhebung von Daten, die ausschließlich zum Zweck der Mietspiegelerstellung erhoben wurden. Die Daten der Primärdatenerhebung müssen repräsentativ sein, die gezogene Stichprobe muss ein getreues Abbild des Wohnungsmarktes abgeben (vgl im Einzelnen Börstinghaus in Blank/Börstinghaus, Miete, 3. Aufl 2008, § 558d RdNr 7). Die Einhaltung der anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze muss in einer öffentlich zugänglichen Dokumentation niedergelegt sein (aaO RdNr 10). Es erscheint damit durchaus sinnvoll, solche Grundlagendaten bei Erstellung eines grundsicherungsrelevanten Konzepts heranzuziehen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Auswertung dieser bereits vorhandenen Daten zu einem erhöhten (über einfache Rechenschritte hinausgehenden) Aufwand bei den Gerichten führen muss. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist in erster Linie der kommunale Träger für solche notwendig erscheinenden Auswertungen im Rahmen der Mitwirkungspflichten heranzuziehen (grundlegend dazu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 26). Dies gilt erst recht dann, wenn die vom Grundsicherungsträger bei seiner Entscheidung herangezogenen Daten als Entscheidungsgrundlage ungeeignet sind, wie dies in Berlin mit der AV-Wohnen der Fall ist.

32

Es könnten sich im Ergebnis weitergehender Auswertungen durch den Träger der Grundsicherung durchaus Anhaltspunkte ergeben, dass eine bestimmte Baualtersklasse statistisch nachvollziehbar über alle Bezirke hinweg so häufig vorhanden ist und zugleich den einfachen Standard nachvollziehbar abbildet, dass allein auf diesen Wert (ggf um einen Aufschlag erhöht) zurückzugreifen ist. Lassen sich solche weitergehenden Schlüsse aus vorhandenem Datenmaterial nicht ziehen, bietet es sich an, einen gewichteten arithmetischen Mittelwert nach Verteilung der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen in den jeweiligen Bauklassen zu bilden (dazu Schifferdecker/Irgang/Silbermann, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2010, 28; SG Berlin Urteil vom 30.6.2010 - S 174 AS 21949/07 - juris RdNr 46). Ein solcher Mittelwert böte immerhin die Gewähr, dass ein einzelner Wert für eine bestimmte Baualtersklasse entsprechend seiner tatsächlichen Häufigkeit auf dem Markt in einen grundsicherungsrelevanten Mittelwert einfließt. Dabei erscheint es - wovon auch das LSG ausgegangen ist - zulässig, einen Wert auf Grundlage der jeweiligen Mittelwerte der Rasterfelder zu bilden. Er bestimmt eine nach den weiteren Ausstattungsmerkmalen, die im Mietspiegel nicht schon in den Rasterfeldern ihren Niederschlag finden (Bad, Küche, Wohnung, Gebäude, Wohnumfeld), durchschnittliche Wohnung. Also gibt der Mittelwert sowohl die schlecht ausgestatteten Wohnungen in einer bevorzugten, einfachen Wohnlage als auch die gut ausgestatteten Wohnungen in sehr einfachen Wohnlagen (zB an einer Durchgangsstraße) wieder. Mit dem Mittelwert aus der einfachen Wohnlage werden schließlich auch schlechter ausgestattete Wohnungen in mittlerer und guter Wohnlage erfasst.

33

d) Zutreffend geht das LSG davon aus, dass neben der Nettokaltmiete auch die angemessenen Betriebskosten iS des § 556 BGB - mit Ausnahme der Heizkosten - abstrakt zu bestimmen und als Faktor in das Produkt mit einzubeziehen sind. Schon der Wortlaut des § 22 Abs 1 SGB II zeigt, dass diese Kosten zu den KdU für einen Hilfebedürftigen gehören und nicht - wie die Heizkosten - getrennt erfasst werden sollen. Zur realistischen Abbildung eines abstrakt angemessenen Mietpreises ist die Einbeziehung des Faktors "kalte Betriebskosten" erforderlich. Dies entspricht den mietrechtlichen Vorgaben im Mietwohnungsbau, an denen sich der Gesetzgeber des SGB II wegen der KdU orientiert. Eine vertragliche Vereinbarung über die Umlage der Betriebskosten auf den Mieter erfolgt bei Abschluss eines Mietvertrages nahezu ausnahmslos, denn ohne eine solche Regelung können die in § 556 BGB genannten Betriebskosten vom Vermieter nicht auf den Mieter umgelegt werden (vgl nur Blank in Blank/Börstinghaus, aaO § 556 RdNr 1). Auch der Vermieter von preisgebundenem Wohnraum kann Betriebskosten nur als gesondert abzurechnende Kosten auf den Mieter abwälzen (vgl § 20 der Verordnung über die Ermittlung der zulässigen Miete für preisgebundene Wohnungen - Neubaumietenverordnung - BGBl I 1990, 2204 idF BGBl I 2003, 2346).

34

Eine Umlagevereinbarung bei der Miete über Wohnraum muss die in § 556 Abs 1 und 2 BGB iVm der Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche, über die Aufhebung von Betriebskosten und zur Änderung anderer Verordnungen(BetrKV; vom 25.11.2003, BGBl I 2346 ) normierten Vorgaben beachten. Wegen der abstrakt angemessenen Kosten iS des § 22 Abs 1 SGB II sind die dort genannten Betriebskosten maßgebend. Auch insoweit erscheint es zulässig, zur Erstellung eines Konzepts auf bereits vorliegende Daten aus Betriebskostenübersichten zurückzugreifen, im Ausgangspunkt allerdings auf örtliche Übersichten und insoweit auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte. Insbesondere bei Ver- und Entsorgungsdienstleistungen ergeben sich regional deutliche Unterschiede, auf die Rücksicht genommen werden muss. Eine weitergehende Gewichtung scheint dagegen nicht notwendig, da nicht erkennbar ist, welche zuverlässigen (weitergehenden) Aussagen sich hieraus ableiten lassen sollten. Neben den (nichtamtlichen) Übersichten in Mietspiegeln kommen auch Übersichten der örtlichen Interessenverbände in Betracht, die an der Anerkennung des Mietspiegels beteiligt waren. Soweit die örtlich erfassten Werte nicht aktuell sind, liegt es nahe, vom Träger der Grundsicherung entsprechende Rückfragen bei den örtlichen Interessenverbänden durchführen zu lassen bzw die Werte an die allgemeine Preisentwicklung anzupassen. Nur wenn sich konkret Anhaltspunkte dafür ergeben, dass vom Deutschen Mieterbund für das gesamte Bundesgebiet aufgestellte Übersichten gerade das örtliche Niveau besser abbilden, kann auf diese zurückgegriffen werden. Solche Gründe, weshalb die Werte des Deutschen Mieterbundes ein realistischeres Bild des örtlichen Preisniveaus von Berlin abgeben sollten, sind bislang nicht ersichtlich.

35

5. Das LSG wird abschließend die Heizkosten getrennt von den Unterkunftskosten zu bestimmen haben (dazu nur BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23). Auszugehen ist dabei zunächst von den tatsächlichen Kosten. Diese Kosten, die nach den Feststellungen des SG in einer Gasabschlagszahlung von 89 Euro monatlich an ein Berliner Gasversorgungsunternehmen bestehen, sind sodann um die Kosten der Warmwasserbereitung zu bereinigen, wenn feststeht, dass die Erwärmung des Wassers wie die Heizung über eine Gasetagenheizung (Gastherme) erfolgt ist (vgl BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5). Ferner lässt sich dem Urteil des SG entnehmen, dass durch den Beklagten von den Gasabschlagszahlungen zusätzlich eine Pauschale für Kochenergie abgezogen worden ist. Soweit die notwendigen Feststellungen des LSG hierzu ergeben, dass vorliegend mit einem Gasherd gekocht wird und die Kosten hierfür ebenfalls in den Gasabschlagszahlungen enthalten sind, ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Kosten wie die Kosten für das Warmwasser insoweit bereits in der Regelleistung unter der Position Haushaltsenergie enthalten sind. Allerdings erschließt sich dem Senat nicht, woraus sich die Höhe der vom Beklagten und dem SG zugrunde gelegten Pauschale ergeben soll. Maßgeblich kann auch insoweit allein der Anteil sein, der bereits in der Regelleistung für das Kochen (im Regelfall das Kochen mit einem Elektroherd) enthalten ist (vgl BSG aaO RdNr 23 ff). Offenbar vertritt der Beklagte (und ihm folgend das SG Berlin) wie die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin die Auffassung, dieser Anteil sei mit 22,3 Prozent des in der Regelleistung enthalten Anteils für Haushaltsenergie zu bestimmen. Erläuternd heißt es dazu etwa in dem Rundschreiben I Nr 5/2009 der Senatsverwaltung: abrufbar über die Internetpräsenz der Senatsverwaltung: http://www.berlin.de/sen/soziales/berliner-sozialrecht/archiv/rdschr/2009_05_anlage.html) ua über die Pauschalen für Haushaltsenergie (sog Energiepauschalen): "Der Anteil der Pauschale für Haushaltsenergie am Regelsatz insgesamt ist durch die Regelsatzbemessung auf Grundlage der EVS 2003 vorgegeben, die Verteilung der Bestandteile jedoch nicht. Die prozentualen Anteile wurden anhand der in Berlin zugrunde gelegten Werte für das Bezugsjahr 2003 ermittelt." Das LSG wird zu ermitteln haben, ob entsprechende Unterlagen bei der Senatsverwaltung vorliegen, die eine realistische Abbildung des Verbrauchsanteils für die Kochenergie (sei es mit Strom, sei es mit Gas) zulassen. Dies erscheint nach bisherigem Stand zumindest zweifelhaft. Lässt sich ein Bezugspunkt für eine realitätsnahe Schätzung des Energieanteils, der für das Kochen in der Regelleistung enthalten sein soll, nicht finden, hat ein entsprechender Abzug von den Heizkosten im Falle der Versorgung mit Gas für Haushaltsenergie zu unterbleiben.

36

Die tatsächlichen (bereinigten) Kosten für Heizung sind solange als angemessen von dem Beklagten zu übernehmen, wie der nach der Rechtsprechung des Senats maßgebliche Grenzwert nicht überschritten wird (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 25).

37

Das LSG wird abschließend auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. August 2010 wird in der Hauptsache klarstellend dahingehend berichtigt, dass der Klägerin zu 1 und dem Kläger zu 2 für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2009 jeweils weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 87,75 Euro zu erbringen sind.

Der Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in der Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009.

2

Die Klägerin zu 1 (geb 1960) sowie die mit ihr zusammenlebenden Söhne A (geb 1994), Kläger zu 2, und D (geb 1987 <22 Jahre>; im Folgenden: D) bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die KdU, welche der Beklagte direkt an den Vermieter zahlte, beliefen sich für die 63 qm große Wohnung auf 526,50 Euro monatlich (Kaltmiete in Höhe von 406,50 Euro, Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 50 Euro, Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 50 Euro, Hausmeisterpauschale in Höhe von 12 Euro, SAT-Antennenpauschale in Höhe von 8 Euro). Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 1 und ihren Söhnen als Bedarfsgemeinschaft SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.11.2008 bis 30.4.2009. Unter Berücksichtigung eines geringen Einkommens der Klägerin zu 1 aus Beschäftigung sowie des Kindergeldes bewilligte er jeweils Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die KdU übernahm er in tatsächlicher Höhe und berücksichtigte den "Kopfanteilen" entsprechend bei jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft KdU in Höhe von 175,50 Euro (Bescheid vom 13.10.2008). Nach vorangegangenen Sanktionen entzog er dem Sohn D die SGB II-Leistungen wegen des Abbruchs einer Bildungsmaßnahme für die Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 vollständig (bestandskräftiger Bescheid vom 6.1.2009).

3

Für den bewilligten Zeitraum errechnete der Beklagte die SGB II-Leistungen mehrfach neu (Bescheide vom 6.1., 1.2., 18.2. und 18.3.2009) und setzte den auf D entfallenden KdU-Anteil für die Monate Februar bis April 2009 mit "0 Euro" fest. Mit dem von den Klägern (erstmals) mit Widerspruch angefochtenen weiteren Bescheid vom 2.4.2009 bewilligte er die SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung des wechselnden Einkommens der Klägerin zu 1 und der Sanktion für D für den streitigen Zeitraum vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 erneut (dabei ergab sich für die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 jeweils ein verbleibender Betrag an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; KdU wurden in bisheriger Höhe übernommen; für D entfielen wegen des "Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen" die KdU vollständig). Den Widerspruch, mit dem die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 den Wegfall des KdU-Anteils für D beanstandeten, wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.9.2009).

4

Das SG hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 weitere KdU-Leistungen in Höhe von 175,50 Euro monatlich zu gewähren (Urteil vom 16.8.2010). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 22.3.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der von den Klägern angefochtene Bescheid vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 sei ein sogenannter Zweitbescheid, der ungeachtet der zuvor über denselben Gegenstand getroffenen bestandkräftigen Regelungen erneut den Rechtsweg eröffnet habe. Der Beklagte habe spätestens im Widerspruchsbescheid erneut über die den Klägern zustehende KdU entschieden. Er habe hervorgehoben, dass er die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Sanktion und auf die Höhe der KdU für die Kläger als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erneut und intensiv geprüft habe. Hierbei habe er sich bewusst dafür entschieden, den durch die Sanktion entstandenen KdU-Anteil der Bedarfsgemeinschaft als Ausfall zuzuordnen. Auf die Inhalte der ab 6.1.2009 ergangenen Bescheide und deren (fragliche) Bekanntgabe komme es daher nicht an. Für die Zeit vom 1.2. bis zum 30.4.2009 bestehe ein Anspruch der Kläger auf Übernahme des jeweils hälftigen KdU-Anteils ohne Abzug des Kopfanteils für D. Es könne offen bleiben, ob D im streitigen Zeitraum noch Mitglied der dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft gewesen sei. Für eine Obliegenheit der Kläger zur Kostensenkung fehle es an einer Kostensenkungsaufforderung. Selbst wenn man eine solche als bereits mit den ab 1.6.2009 erteilten Bescheiden verbundene ansehe, fehle eine zeitliche Vorgabe zur Reduzierung. Auch sei es nur bei einer absehbar längerfristigen und endgültigen Veränderung in der Mitgliederzahl der Bedarfsgemeinschaft für die verbliebenen Mitglieder möglich und zumutbar, die Wohnverhältnisse an die dauerhafte alleinige Nutzung der Wohnung durch nur zwei Personen anzupassen. Seien die KdU-Aufwendungen daher angemessen oder als unangemessene Kosten zu übernehmen und habe die Bedarfsgemeinschaft fortbestanden, stehe der Anrechnung eines "fiktiven" Kopfanteils entgegen, dass die (tatsächlichen) Aufwendungen der Kläger nicht mehr gedeckt seien. Die Aufteilung nach Kopfanteilen setze voraus, dass der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf von mehreren Personen gedeckt werde. Der anteilige Wegfall bei der Übernahme der Wohnungsaufwendungen führe zu einer (vorübergehenden) Unterdeckung eines bisher durch die gemeinsame Nutzung der Wohnung gedeckten Bedarfs. Dann bestehe ein Anspruch auf Tragung der tatsächlichen bzw angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung durch den SGB II-Träger, weil die Verpflichtung der Leistungsberechtigten zur Zahlung der KdU im Außenverhältnis unverändert fortbestehe. Den übrigen Mitgliedern dürfe nicht (mittelbar) ein Fehlverhalten zugerechnet werden, auf das sie jedenfalls bei über 18jährigen Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich keinen rechtlich relevanten Einfluss hätten. Es bestehe ein ungelöster Wertungswiderspruch, weil die Umsetzung einer Sanktion anderen Kriterien zu genügen habe als die Senkung unangemessener KdU. Während eine Sanktion rasch umgesetzt werden müsse, werde bei der Senkung der KdU eine Zeitspanne eingeräumt, um dem konkreten Wohnbedarf in seinen rechtlichen wie tatsächlichen Aspekten Rechnung zu tragen.

5

Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, es bestehe kein Anlass für eine Abweichung von dem Prinzip des Individualanspruchs. Eine Lücke im eigenen Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft liege nicht vor. Wegen der Höhe der durch die Sanktion entstehenden Mietschulden bestehe in der Regel kein Kündigungsgrund. In vergleichbaren Fallkonstellationen werde die Aufteilung der KdU nach Kopfteilen auf die Nutzer der Wohnung ausnahmslos bestätigt ("fiktiver" Kopfanteil), obwohl auch dort das Argument hinsichtlich der Außenwirkung zum Vermieter und möglicher Wohnungslosigkeit greife. Das angefochtene Urteil verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Jugendliche einen Wohnungsverlust nur durch eine Arbeitsaufnahme oder ein Darlehen vermeiden könnten. Dies sei auch den in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Jugendlichen zumutbar, weil deren Sanktionierung ansonsten regelmäßig und teilweise "ins Leere laufe".

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie führen aus, die Aufteilung nach Kopfteilen sei nicht wegen einer gemeinsamen Nutzung der Wohnung, sondern deshalb gerechtfertigt, weil der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf von mehreren Personen gedeckt werde. Eine strikte Anwendung des Kopfteilprinzips führe dazu, dass die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in "sippenhaftähnlicher Weise" für ein Fehlverhalten eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft haften würden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Kläger in dem hier streitigen Zeitraum jeweils Anspruch auf höhere Aufwendungen für KdU in der zuerkannten Höhe haben.

10

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2009, mit dem der Beklagte KdU für die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 weiterhin nur in Höhe der bisher zuerkannten Leistungen von je 175,50 Euro bewilligt hat. Ausgehend von dem objektiven Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids und dem Klageantrag ist Streitgegenstand hingegen nicht die direkte Auszahlung der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung an den Vermieter der Kläger. Der Beklagte hat mit der Bestimmung eines anderen Empfängers der den Klägern bewilligten Leistungen lediglich die Auszahlungsmodalitäten modifiziert, nicht jedoch die Bewilligung der Leistungen dem Grunde und der Höhe nach verändert. Das zuvor behandelte Begehren der Kläger auf höhere Leistungen umfasst nicht die Auszahlung der gesamten Leistungen an sie. Der Beklagte hat die Bestimmung eines anderen Empfängers zudem im Bescheid vom 2.4.2009 in einem selbstständigen Verfügungssatz geregelt. Insoweit haben die Kläger den Bescheid jedoch nicht angefochten (vgl hierzu Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 18 RdNr 12).

11

Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid vom 2.4.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 zurecht mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Wegen des sanktionsbedingten Wegfalls der KdU für D im streitigen Zeitraum vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 ist ihr Begehren auf höhere KdU gerichtet, als diese in den vorangegangenen Bescheiden für den streitigen Zeitraum jeweils bewilligt wurden. Das LSG hat zurecht angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 2.4.2009 um einen Zweitbescheid handelte, mit dem der Beklagte die Individualansprüche für den streitigen Zeitraum erneut und in vollem Umfang überprüfbar geregelt hat. Die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 können jeweils höhere Leistungen in der von den Vorinstanzen angenommenen Höhe beanspruchen. Insofern ist - als Besonderheit des SGB II - zu berücksichtigen, dass kein Anspruch der Bedarfsgemeinschaft oder Teilen der Bedarfsgemeinschaft als solcher existiert, sondern Anspruchsinhaber jeweils - individuell - die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (grundlegend BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12). Mit dem Bescheid vom 2.4.2009 hat der Beklagte - in getrennt zu betrachtenden Verfügungen - Einzelansprüche der Klägerin zu 1 und ihrer beiden Söhne bewilligt. Der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung ist daher dahin zu korrigieren, dass der ausgeurteilte Gesamtbetrag in Höhe von 175,50 Euro jeweils anteilig auf die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 verteilt wird.

12

Die Kläger haben den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Leistungen der Unterkunft und Heizung beschränkt. Insofern haben sie keine Einwände gegen das erstinstanzliche Urteil erhoben, mit dem das SG ausdrücklich nur weitere KdU zugesprochen hat. Es ist daher davon auszugehen, dass die in den Bewilligungsbescheiden gleichfalls geregelte Höhe der Regelleistung sowie die Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin zu 1, das schon ihren eigenen Regelbedarf nicht deckte, nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Bei den KdU handelt es sich um abtrennbare Verfügungen des Gesamtbescheids, ohne dass eine weitere Aufspaltung in die Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtlich möglich ist (stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18 f). Dies gilt zumindest für laufende Verfahren über vor dem 1.1.2011 abgeschlossene Bewilligungsabschnitte (BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 46 RdNr 11; Urteil des Senats vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - BSGE 110, 52 = SozR 4-4200 § 22 Nr 51, RdNr 11).

13

2. Die materielle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 beurteilt sich nach § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB X). Wegen § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 3 S 1 SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend. Haben sich Veränderungen in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen ergeben, die dazu führen, dass der Verwaltungsakt dem Grunde oder der Höhe nach so nicht mehr ergehen dürfte, so liegt eine wesentliche Änderung vor (Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 60). Eine Änderungswirkung zugunsten des Berechtigten liegt vor, wenn die Änderung nach objektiver Betrachtungsweise "per saldo" einen Vorteil bewirkt (BSG SozR 2200 § 1255a Nr 19).

14

Dies ist hier ausgehend von den Individualansprüchen der Kläger zu 1 und 2 auf SGB II-Leistungen der Fall. Gegenüber den Verhältnissen, die dem Bewilligungsbescheid vom 13.10.2008 und den weiteren Änderungsbescheiden zugrundelagen, mit denen der Beklagte den Klägern jeweils 175,50 Euro als KdU bewilligte, ist eine Änderung eingetreten, weil sie für die Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 Ansprüche auf weitere KdU-Leistungen in Höhe von 87,75 Euro hatten. Bezogen auf die Kläger zu 1 und 2 wird durch den tatsächlichen Wegfall des bisher an den Vermieter direkt überwiesenen KdU-Anteils für D auf der Grundlage der Kürzung des Individualanspruchs des D durch den Bescheid vom 2.4.2009 zeitgleich eine wesentliche Änderung bewirkt, weil bei ihnen ein höherer Bedarf an KdU entstand, den sie nicht durch Einkommen oder Vermögen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft decken konnten. Dieser Sonderfall rechtfertigt eine Abweichung vom "Kopfteilprinzip".

15

3. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die für einen Anspruch der Kläger auf höhere Leistungen notwendigen Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dem Grunde nach vorlagen. Insofern hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass sie zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II gehörten und dem Grunde nach Anspruch auf Übernahme der KdU hatten. Beide hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II). Die im Jahre 1960 geborene Klägerin zu 1 war erwerbsfähig (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II), hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II aber noch nicht erreicht(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II). Der 1994 geborene Kläger zu 2 lebte mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft, beide waren hilfebedürftig, der Kläger zu 2 verfügte - mit Ausnahme des Kindergeldes - über kein eigenes Einkommen oder Vermögen, die Klägerin zu 1 erzielte in dem hier in Rede stehenden Zeitraum nur das berücksichtigte Einkommen, welches schon ihren eigenen Bedarf nicht deckte (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II).

16

4. a) Die Kläger können in dem hier streitigen Zeitraum vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 die Übernahme der KdU in tatsächlicher Höhe und jeweils zur Hälfte unmittelbar aus § 22 Abs 1 S 1 SGB II beanspruchen.

17

Nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Von § 22 Abs 1 S 1 SGB II erfasst sind sämtliche Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem Mietvertrag bzw einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung für die Unterkunft ergeben und tatsächlich gezahlt werden(BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 20 RdNr 19 ff zum Nutzungsentgelt für die Küchenmöblierung; BSGE 102, 274 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18, RdNr 15 ff zu den Kosten eines Kabelanschlusses). Angeknüpft wird an die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Mietzinszahlung im Rahmen des Mietverhältnisses. Ausreichend ist, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige einer ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt ist (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 21 RdNr 16 ff; BSGE 104, 179 = SozR 4-4200 § 22 Nr 24, RdNr 16; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - juris RdNr 15).

18

b) Von den tatsächlichen und - mit den Überlegungen des LSG - zumindest als angemessenen zu unterstellenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum in Höhe von 526,50 Euro ist nicht der auf D entfallende Anteil an den KdU abzuziehen. Zwar sind die KdU im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere anderen Familienangehörigen, nutzen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht (stRspr BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 28; BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - juris RdNr 19; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 55/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 9 = SGb 2010, 163 ff, RdNr 18 f; BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 33; BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 12 RdNr 19; BSG Urteil vom 27.1.2009 - B 14/7b AS 8/07 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 4 RdNr 19; BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 61/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 44 RdNr 18). Hintergrund für dieses auf die Rechtsprechung des BVerwG (vom 21.1.1988 - 5 C 68/85 - BVerwGE 79, 17) zurückgehende "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.

19

Bei der Aufteilung nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf KdU begrenzend festgeschrieben ist. Insofern findet sich in § 22 Abs 1 SGB II keine bedarfsbeschränkende Festlegung des Gesetzgebers auf das Prinzip der anteiligen Verteilung der KdU nach der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen. Bei den KdU greift der Individualisierungsgrundsatz mit der Anknüpfung an die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, deren Angemessenheit als begrenzend wirkt. Es besteht ein Unterschied zu den Regelleistungen nach dem SGB II, bei denen eine anspruchsbegrenzende Pauschalierung der Bedarfe gesetzlich vorgesehen ist.

20

In Anknüpfung an die Rechtsprechung des BVerwG, das eine Korrektur des Grundsatzes der Pro-Kopf-Aufteilung zugelassen hat, wenn und soweit der Hilfefall durch "sozialhilferechtlich bedeutsame Umstände" gekennzeichnet war, die "ohne weiteres objektivierbar" und "dem Träger der Sozialhilfe möglicherweise sogar bereits bekannt" waren (BVerwGE 79, 17 ff, zB Behinderung oder Pflegebedürftigkeit, die ein anerkennenswertes Maß an Unterkunftsbedarf in der Person der oder des Hilfebedürftigen oder eines anderen Mitglieds der Haushaltsgemeinschaft ausmachten), hat es auch das BSG als möglich und notwendig angesehen, im Einzelfall vom "Kopfteilprinzip" abzuweichen (BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 4, RdNr 19 "Sonderfälle"). Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip hat der 14. Senat des BSG bei gemeinsam in einer Wohnung, aber nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bejaht, wenn eine andere Aufteilung aufgrund eines Vertrags bei objektiver Betrachtung aufgrund eines schon vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit vereinbarten notariellen Vertrags und der daraus folgenden Stellung als Eigentümer angezeigt sei (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R - RdNr 28, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; bereits angedeutet in BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 12, RdNr 19). Weiter haben die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG eine Abweichung vom Prinzip der Aufteilung nach "Kopfanteilen" in Fallgestaltungen erörtert, in denen durch eine Berücksichtigung der KdU nach Kopfanteilen eine Bedarfsunterdeckung in Frage stand (vgl zB BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 9 RdNr 18; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 4 RdNr 19; vgl hierzu auch Frank in GK-SGB II § 22 RdNr 19, Stand März 2010).

21

c) Hier sind die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen gegeben, die auch bei gemeinsamer Nutzung der Wohnung durch eine Bedarfsgemeinschaft vorliegen können (vgl zur Übernahme der KdU bei vorübergehender Ortsabwesenheit eines Partners: BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 42).

22

Aus "bedarfsbezogenen Gründen", nämlich wegen des vollständigen Wegfalls der KdU-Leistungen für D, entstanden der Klägerin zu 1 und dem Kläger zu 2 in dem streitigen Zeitraum höhere Kosten für die Wohnung und Heizung. Sie konnten schon deshalb nicht darauf verwiesen werden, den KdU-Anteil von D zu verlangen, weil der Beklagte mit dem rechtskräftigen Bescheid vom 6.1.2009 sowie mit dem Bewilligungsbescheid vom 2.4.2009 als der zur Sicherstellung des Existenzminimums zuständige Träger den vollständigen Wegfall des KdU-Anteils für D in dem hier streitigen Zeitraum verfügte. Zwar ist zweifelhaft, ob dies berechtigt war. § 31 Abs 5 S 6 SGB II iVm § 31 Abs 3 S 6 SGB II sieht vor, dass der zuständige Träger bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 vH der nach § 20 maßgebenden Regelleistung in angemessenen Umfang ergänzende Sachleistungen und geldwerte Leistungen erbringen kann und diese nach § 31 Abs 3 S 7 SGB II erbringen soll, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft lebt. Letzteres war hier der Fall, weil auch der minderjährige Bruder des Klägers in der Bedarfsgemeinschaft lebte. D hat jedoch - ausgehend von den seitens der Beteiligten nicht gerügten, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - den Sanktionsbescheid vom 6.1.2009 und den seinen Individualanspruch betreffenden Teil des Bescheides vom 2.4.2009 nicht angegriffen, ohne dass die Klägerin zu 1 bei ihrem volljährigen Sohn hierauf Einfluss hatte. Nach dem Inhalt der vom LSG in Bezug genommenen Bewilligungsbescheide war bei D auch kein Einkommen oder Vermögen vorhanden, aus dem er den auf ihn entfallenden KdU-Anteil während des Sanktionszeitraums hätte bestreiten können. Dem Beklagten war daher bekannt, dass der durch die von ihm veranlasste Sanktion eine Bedarfsunterdeckung bei den KdU auch bei den Klägerin zu 1 und dem minderjährigen Kläger zu 2 eingetreten war.

23

d) Die Kläger können auch nicht darauf verwiesen werden, ihren tatsächlichen mietvertraglichen Verpflichtungen nicht vollständig nachzukommen und eine weitere Erhöhung der hier nach den Feststellungen des LSG bereits vorhandenen Mietschulden hinzunehmen. Im Bereich der KdU sind die existenzsichernden Leistungen dergestalt geregelt, dass ein Anspruch auf Übernahme der KdU-Aufwendungen nicht erst besteht, wenn eine Kündigung des Mietverhältnisses unmittelbar bevorsteht. Es besteht mit dieser Maßgabe eine Verpflichtung des SGB II-Trägers zur Deckung des (hier vorübergehend erhöhten) individuellen Bedarfs jedes Grundrechtsträgers (BVerfGE 125, 175 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, juris RdNr 137; Wersig in info also 2011, 51 ff, 52).

24

Der Einwand des Beklagten, dass durch die Erhöhung des KdU-Anteils für die Kläger die Sanktionierung von D "abgemildert" werde, kann aus Rechtsgründen zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Klägerin zu 1 ist wegen der vom SGB II vorgesehenen Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft zum Einsatz ihres Einkommens und Vermögens auch für D verpflichtet. Eine darüberhinausgehende faktische Mithaftung für ein nach dem SGB II sanktioniertes Verhalten des volljährigen Kindes durch Hinnahme einer Bedarfsunterdeckung ist nicht vorgesehen (vgl zur Vermeidung von personenübergreifenden Sanktionsfolgen: Geiger in info also 2010, 3 ff; Berlit in Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kapitel 28, RdNr 34). Zudem ist die Sanktion für D nicht vollständig entfallen, weil auch der Regelbedarf teilweise gekürzt bzw als Sachleistung erbracht worden ist. Ob ein KdU-Anteil in diesen Fallgestaltungen zu übernehmen ist, muss einzelfall- und bedarfsbezogen geprüft werden. Die von dem Beklagten als mögliche Folge beschriebene Ungleichbehandlung des D mit nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Angehörigen lebenden Personen bei einer Sanktionierung liegt schon deshalb nicht vor, weil eine andere Ausgangslage gegeben ist und wirkt sich im Übrigen auch nicht auf den Anspruch der Klägerin zu 1 und den minderjährigen Kläger zu 2 aus.

25

Unschädlich ist schließlich, dass bei der Klägerin zu 1 und dem Kläger zu 2 eine höhere Belastung durch KdU während des Mietverhältnisses eingetreten ist. § 22 Abs 1 S 1 SGB II enthält keine Beschränkung der zu übernehmenden tatsächlichen Unterkunftskosten auf solche Kosten, die bereits bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zu zahlen waren(zu einer möglicherweise zivilrechtlich unwirksamen Staffelmietvereinbarung: BSGE 104, 179 = SozR 4-4200 § 22 Nr 24, RdNr 16 ff; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 61 zu erhöhten Mietkosten wegen einer Modernisierungsmaßnahme nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit).

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. März 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind die Übernahme von Mietschulden als Zuschuss anstelle eines Darlehens nach dem SGB II und - sofern es bei der darlehensweisen Leistungsgewährung verbleibt - die Höhe der Belastung des Klägers hierdurch.

2

Der Kläger, seine Lebenspartnerin und deren 1989 geborene Tochter M. bezogen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Beklagten. Ein weiteres Kind erhielt aufgrund von Unterhalts- und Kindergeldzahlungen keine Leistungen. Mitte Oktober 2005 zog der Kläger aus der gemeinsamen Wohnung aus. Im Januar 2006 schlossen er und seine Lebenspartnerin zum 1.2.2006 einen Mietvertrag über eine andere Wohnung. Die Lebenspartnerin und ihre Tochter waren zu diesem Zeitpunkt schwanger.

3

Im Dezember 2005 bewilligte der Beklagte ein Mietkautionsdarlehen für die neue Wohnung, überwies die Kaution jedoch einstweilen nicht an den Vermieter. Zum ebenfalls gestellten Antrag auf Direktüberweisung der Miete an den Vermieter teilte der Beklagte mit, die "Aufwendungen laufender angemessener Mietkosten" würden "nach Vorlage des Mietvertrages und mit der nächstmöglichen Einarbeitung, der in diesem Zusammenhang stehenden Datensätze zur Zahlung angewiesen". Bis zur Einarbeitung der Datensätze sei die Mietzahlung selbst vollständig und fristgerecht vorzunehmen. Eine Kopie des Mietvertrages ging kurz danach bei dem Beklagten ein. Da der Vermieter der neuen Wohnung deren Bezug vom Erhalt der Kaution abhängig machte, verblieben der Kläger und seine Lebenspartnerin über den 1.2.2006 hinaus in ihren bisherigen jeweiligen Unterkünften und verwendeten die vom Beklagten erbrachten Unterkunftsleistungen für die dort anfallenden Mietzahlungen. Zahlungen an den Vermieter der neuen Wohnung erfolgten im Februar und März 2006 nicht. Nach erneuter Vorsprache wurde vom Beklagten ein Darlehen zur Deckung der Mietkaution (Bescheid vom 8.2.2006) bewilligt und an den Vermieter der neuen Wohnung ausgezahlt. Im März 2006 erfolgte dann der Umzug der nunmehr um die zwei neu geborenen Kinder vergrößerten Familie in die neue Wohnung. Der Beklagte nahm im Weiteren das Vorliegen von zwei Bedarfsgemeinschaften an. Er überwies von April bis Juni 2006 jeweils die Bruttowarmmiete in voller Höhe an den Vermieter, jedoch für Juli und August 2006 geringere Beträge. Der Kläger und seine Lebenspartnerin zahlten von März bis Mai und im Juli 2006 monatlich jeweils die Miete für die beiden angemieteten Stellplätze sowie einmalig 500 Euro im April 2006. Der Vermieter forderte sie mehrfach zur Zahlung der rückständigen Miete auf.

4

Alsdann beantragte der Kläger mit Schreiben vom 29.9.2006 beim Beklagten die Übernahme der Mietschulden. Auch der im Weiteren vom Beklagten an den Vermieter überwiesene Mietzins deckte die tatsächlichen Aufwendungen nicht und ab Januar 2007 stellte der Beklagte die Zahlungen an den Vermieter wegen noch zu ermittelnden Einkommens vorläufig vollständig ein. Daraufhin kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen der aufgelaufenen Mietschulden am 30.4.2007. Nach erhobener Räumungsklage und einer daraufhin geleisteten Einmalzahlung des Beklagten wurden die zwischenzeitlich weiter angewachsenen Mietschulden mit 2277,92 Euro beziffert. Durch an den Kläger gerichteten Bescheid vom 27.6.2007 gewährte der Beklagte "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zwecks Übernahme von rückständigen Mietkosten" in Höhe von 1518,62 Euro; den Betrag errechnete er aus der Aufteilung des Gesamtumfangs der Mietschulden auf die beiden Bedarfsgemeinschaften. Weiter verfügte der Beklagte: "2. Die Hilfegewährung erfolgt in Form eines Darlehens. 3. Das Darlehen ist unverzinslich. 4. Das Darlehen ist mit dem Gesamtbetrag fällig am 31.12.2007. 5. Zusätzlich fallen jährlich Verzugszinsen ab dem Fälligkeitstag in Höhe von 2 v. H. über dem am 30.06 des Jahres gültigen Basissatz an." Nach dem Begleichen der Mietschulden fand die Räumungsklage ihre Erledigung. Der gegen "die Bewilligung als Darlehen" vom Kläger für seine Bedarfsgemeinschaft erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008).

5

Auch im erstinstanzlichen Klageverfahren konnte der Kläger mit dem Begehren auf Übernahme der Mietschulden durch den Beklagten als Zuschussleistung nicht durchdringen (Urteil des SG vom 8.7.2011). Das LSG hat am 14.3.2013 das Urteil des SG abgeändert, den Bescheid des Beklagten vom 27.6.2007 aufgehoben, soweit die Darlehensbewilligung 506,21 Euro (= ein Drittel des dem Kläger bewilligten Darlehens von 1518,62 Euro) übersteigt, und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Es hat die Ablehnung der zuschussweisen Leistungsbewilligung bestätigt. Ein solcher Anspruch sei nicht durch ein Verschulden des Beklagten zu begründen. Allerdings sei der Beklagte nicht berechtigt, allein den Kläger mit einem Darlehen zu belasten. Das Darlehen für die Mietschuldenübernahme sei kopfteilig auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, der er angehöre, aufzuteilen. Der Darlehensantrag könne nicht in der Weise ausgelegt werden, dass der Kläger auch für die Bedarfsgemeinschaft habe handeln wollen. Dabei sei es irrelevant, dass er als Gesamtschuldner für die Verbindlichkeiten einzustehen habe, weil das hier einzig maßgebliche Grundsicherungsrecht nur Individualansprüche der einzelnen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft kenne.

6

Der Beklagte hat die vom BSG zugelassene Revision gegen das Urteil des LSG eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 22 Abs 5 SGB II idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze durch die nur kopfteilige Berücksichtigung des Darlehens beim Kläger. Seiner Ansicht nach ist allein der Kläger zur Tilgung des Darlehens in Höhe des Gesamtbetrags verpflichtet.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. März 2013 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. Mai 2011 sowie dessen Anschlussrevision zurückzuweisen.

8

Der Kläger, der Anschlussrevision eingelegt hat, beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen und die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. März 2013 sowie des Sozialgerichts Dresden vom 16. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 27. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 zu verpflichten, die Mietschulden als Zuschuss an Stelle des hierfür bereits geleisteten Darlehens zu übernehmen.

9

Er verfolgt sein Begehren mit der Begründung weiter, der Beklagte trage die Schuld an der Entstehung der Mietschulden, sodass ein atypischer Fall iS des § 22 Abs 5 SGB II anzunehmen sei.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässigen Revisionen der Beteiligten sind im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Ob der Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Mietschulden als Zuschussleistung des Beklagten hat, vermag der Senat aufgrund der Feststellungen des LSG nicht abschließend zu beurteilen.

11

1. Streitgegenstand ist die Übernahme von Mietschulden als Leistung an den Kläger in Höhe von 1518,62 Euro. Der Beklagte hat durch Bescheid vom 27.6.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2008 die Leistung als Darlehen erbracht. Dieser Bescheid beinhaltete zugleich eine konkludente Ablehnung einer Bewilligung der Übernahme der Mietschulden als Zuschuss.

12

Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage iS des § 54 Abs 4 SGG. Er begehrt die Umwandlung einer Darlehensleistung in eine solche als Zuschuss. Es ist insoweit nur noch darüber zu befinden, ob die bereits gezahlten Darlehensleistungen als Zuschuss hätten erbracht werden müssen. Allerdings war auch über den Umfang der Leistungsgewährung zu entscheiden. Denn soweit der Kläger die zuschussweise Leistungsbewilligung beantragt, umfasst sein Begehren auch eine Freistellung von der Tilgungsverpflichtung bzw eine Reduzierung dieser durch eine niedrigere Festsetzung des Tilgungsbetrags.

13

2. Der Kläger erfüllt nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 Nrn 1 - 4 SGB II; insbesondere war er hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II. Ob er jedoch einen Anspruch auf die Übernahme der Mietschulden als Zuschuss anstelle des bereits gezahlten Darlehens hat, konnte der erkennende Senat aufgrund der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.

14

Die Übernahme der Mietschulden richtet sich hier nach § 22 Abs 5 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 558). Danach können auch Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Satz 2 bestimmt, dass Schulden übernommen werden sollen, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

15

Der für die Übernahme von Mietschulden iS des § 22 Abs 5 SGB II erforderliche Antrag, der im Regelfall nicht vom Antrag auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II erfasst wird, sondern vom Hilfebedürftigen gesondert geltend zu machen ist(BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 190 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41, RdNr 14), ist hier spätestens am 4.10.2006 für beide - von dem Beklagten angenommene - Bedarfsgemeinschaften durch den klägerischen Anwalt gestellt worden.

16

Da der Beklagte vorliegend bereits eine Darlehensleistung erbracht hat, bedurfte es keiner Prüfung, ob dem Beklagten ein Spielraum für das "ob" seiner Entscheidung zugestanden hätte (vgl hierzu BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 190 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41, RdNr 31). Allerdings erfolgt auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs 5 S 2 SGB II gegeben sind, also ohne die Schuldenübernahme Wohnungslosigkeit droht - hier war bereits die Räumungsklage anhängig -, die Übernahme von Schulden im Regelfall nur darlehensweise. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 22 Abs 5 S 4 SGB II und dessen Sinn und Zweck.

17

Nach § 22 Abs 5 S 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Dies bedeutet, dass ein Zuschuss nur in atypischen Fällen zu leisten ist. Damit soll ein Ausgleich zwischen den Interessen der Leistungsberechtigten und denen der Allgemeinheit der Steuerzahler bewirkt werden (vgl Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 266, Stand X/2012). So steht auch wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag, einer Übernahme der Mietschulden als Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht entgegen. Es ist das elementare Grundbedürfnis der Unterkunftssicherung, ggf auch bei schuldhafter Gefährdung der Unterkunft diese durch staatliche Hilfe zu sichern. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates aus dem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua, BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 136) und findet in der Leistung nach § 22 Abs 5 SGB II ihre Ausformung. Andererseits sollen Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich nicht der Schuldentilgung dienen. Einkommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der Leistungsberechtigte sich dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen (vgl nur BSG vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 19). Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen sind Grundsicherungsleistungen zur Schuldentilgung zu gewähren. Wenn dies dem Grunde nach in Betracht zu ziehen ist, dann besteht jedoch regelmäßig die Verpflichtung, die erbrachten Leistungen zur Schuldentilgung zurückzuzahlen, und die Leistungsgewährung erfolgt als Darlehen. Das Auswahlermessen des Grundsicherungsträgers nach § 22 Abs 5 S 4 SGB II ist insoweit reduziert(vgl Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 332, Stand VI/2014).

18

Hieraus folgt, dass ein atypischer Fall iS des § 22 Abs 5 S 4 SGB II, also eine Konstellation, in der anstelle des Darlehens ein Zuschuss zu erbringen ist, dann vorliegt, wenn die Fallgestaltung im Einzelfall signifikant vom (typischen) Regelfall abweicht. Dabei ist auch das Verhalten des Leistungsträgers in die Bewertung einzubeziehen (so auch Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II RdNr 141, Stand IV/2014; Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 22 RdNr 253, beide unter Bezugnahme auf LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.9.2007 - L 2 B 242/07 AS ER - juris RdNr 33). Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falles iS einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu verstehen ist, kann im Einzelfall eine Atypik des verwirklichten Tatbestandes begründen (vgl BSG vom 29.11.1989 - 7 RAr 138/88 - BSGE 66, 103 = SozR 4100 § 103 Nr 47, juris RdNr 38, BSG vom 25.4.1990 - 7 RAr 20/89 - juris RdNr 43; BSG vom 28.6.1990 - 7 RAr 132/88 - SozR 3-4100 § 115 Nr 1, juris RdNr 28). Allerdings muss das Verhalten des Leistungsträgers "wesentlich mitwirkend" für die Entstehung der Mietschulden sein. Haben Umstände in der Sphäre des Leistungsberechtigten und in der Sphäre der Verwaltung zu der Entstehung der Mietschulden beigetragen, ist nur dann von einer wesentlichen Mitwirkung des Leistungsträgers auszugehen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für das Entstehen der Mietschulden annähernd gleichwertig sind. Kommt dagegen dem "Fehlverhalten" des Leistungsberechtigten eine überragende Bedeutung für die Mietschulden zu, so ist kein atypischer Fall gegeben, denn sein Verhalten verdrängt das Fehlverhalten des Leistungsträgers (vgl zu vergleichbaren Erwägungen im sozialen Entschädigungsrecht BSG vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05R - juris RdNr 38, mwN).

19

Das LSG hat vorliegend dem Fehlverhalten des Klägers (und dessen Lebensgefährtin) eine überragende Bedeutung für die Entstehung der Mietschulden beigemessen und aus diesem Grund einen atypischen Fall im Sinne eines wesentlich mitwirkenden fehlerhaften Verwaltungshandelns verneint. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Revisionsgericht ist insoweit nicht gehindert, die Bewertung des LSG im Hinblick auf die Atypik zu überprüfen und ggf zu einer anderen Schlussfolgerung zu gelangen. Es handelt es sich hierbei nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine rechtliche Wertung auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen. Die Bindungswirkung des § 163 SGG bezieht sich lediglich auf die Tatsachenfeststellungen des LSG, aus denen auf das Vorliegen eines atypischen Falles geschlossen werden kann(vgl zur Atypik im Rahmen von § 48 SGB X: BSG vom 29.6.1994 - 1 RK 45/93 - BSGE 74, 287 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33, juris RdNr 26; so auch BSG vom 26.10.1998 - B 2 U 35/97 R - juris RdNr 25). Zwar hat sich das LSG umfänglich mit den Beiträgen des Beklagten und des Klägers zu der Entstehung der Mietschulden befasst. Es mangelt aber an hinreichenden Feststellungen zum Ausgangspunkt der Entstehung der Mietschulden und des Verhaltens des Beklagten in dieser Situation. Daher konnte der erkennende Senat nicht abschließend über das Vorliegen einer "Atypik" befinden.

20

Das LSG hat zunächst eine in der Sphäre des Beklagten liegende fehlerhafte Zahlungspraxis festgestellt. Danach hat der Beklagte die Miete nicht vollständig an den Vermieter, sondern nur teilweise an diesen und teilweise an die Leistungsempfänger ausgezahlt. Die Leistung ist nach den Ermittlungen im Berufungsverfahren jedoch vollständig in der bewilligten Höhe zur Auszahlung gelangt, sodass das LSG insoweit letztlich zutreffend das Fehlverhalten des Klägers als überragenden Beitrag für die Entstehung weiterer Mietschulden angesehen hat. Soweit die Miete nicht in der anerkannten Höhe an den Vermieter überwiesen worden ist, hat das Berufungsgericht bereits eine fehlerhafte Zahlungspraxis des Beklagten verneint. Es stützt sich darauf, dass der Sohn der Lebensgefährtin des Klägers aufgrund von Unterhaltszahlungen und des Bezugs von Kindergeld keinen oder nur einen sehr geringen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gehabt hat. Es lag damit in der Sphäre des Klägers, den auf den Sohn entfallenden Kopfteil der Miete aus dem Einkommen des Kindes selbst an den Vermieter zu überweisen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass nach Auffassung des LSG die zögerliche Bearbeitung der Anträge des Klägers und die zum Teil lediglich schematischen Ausführungen in den Schreiben des Beklagten ohne Bezug zum konkreten Einzelfall sowie die vom LSG festgestellten tatsächlichen Buchungsvorgänge zwar an einer ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zweifeln lassen. Um ein im Rechtssinne wesentlich mitwirkendes Fehlverhalten des Beklagten, dass zur Entstehung der Mietschulden beigetragen hat, handelt es sich dabei jedoch nicht.

21

Das LSG hat allerdings den Ausgangspunkt der Entstehung der Mietschulden nicht in seine Bewertung einbezogen. Nach seinen Feststellungen hat der Kläger eine Leistung für eine Mietkaution bereits im Dezember 2005 beantragt. Der Beklagte hat sie auch bewilligt, jedoch erst nach dem 1.2.2006, dem geplanten Einzugstermin, ausgezahlt. Der Kläger und die weitere Bedarfsgemeinschaft sind alsdann in ihren bisherigen Wohnungen verblieben. Ob und ggf in welcher Höhe es deswegen zu doppelten Mietforderungen gekommen ist, hat das LSG nicht festgestellt. Dies ist jedoch nach den Ausführungen im Tatbestand des Urteils zur "Verrechnung" der Mietleistungen für die bisherigen Wohnungen mit denen für die neue Wohnung durch den Änderungsbescheid vom 7.3.2006 naheliegend. Sollte es dem Kläger und der weiteren Bedarfsgemeinschaft also wegen der nicht rechtzeitig gezahlten Mietkaution nicht möglich gewesen sein, in die angemietete Wohnung umzuziehen, könnte hierin ein Fehlverhalten des Beklagten erkannt werden, das wesentlich zur Entstehung der Mietschulden beigetragen hat. Immerhin hat der Vermieter der neuen Wohnung nach den Feststellungen des LSG gegenüber dem Beklagten bereits sehr früh wegen der nicht erfolgten Mietzahlungen für Februar und März 2006 eine fristlose Kündigung angekündigt.

22

3. Sollte das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis gelangen, es sei gleichwohl kein atypischer Fall gegeben, wird es im Weiteren zu beachten haben, dass der angefochtene Bescheid insoweit rechtswidrig ist, als durch die Verfügungssätze 4 und 5 die Fälligkeit des gesamten Darlehensbetrags am 31.12.2007 und der Anfall von Verzugszinsen für den Fall der nicht rechtzeitigen Tilgung geregelt wird.

23

Für die Tilgung einer den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnenden Leistung als Gesamtbetrag zu einem Fälligkeitsdatum, an dem ausgehend vom Zeitpunkt der Bescheiderteilung nicht absehbar ist, ob der Leistungsberechtigte sich noch im Leistungsbezug befindet - was hier der Fall war -, mangelt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage im SGB II. Im Hinblick auf die Tilgung eines Mietkautionsdarlehens aus der Regelleistung hat der erkennende Senat dies nach der Rechtslage bis zum 31.3.2011 selbst für eine ratenweise Abzahlung befunden (BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 26/10 R - BSGE 110, 288 = SozR 4-1200 § 46 Nr 3, RdNr 15). So war im Gegensatz zur Darlehensgewährung für einen einmaligen Bedarf iS des § 23 Abs 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt(vom 24.12.2003, BGBl I 2954) in § 22 Abs 3 SGB II für das Mietkautionsdarlehen ebenso wie für das Mietschuldendarlehen nach § 22 Abs 5 SGB II keine Tilgungsregelung im SGB II vorgesehen. Eine solche ist auch nach der Neufassung des § 22 Abs 5 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze nicht eingefügt worden. Eine analoge Anwendung der Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II hat der erkennende Senat ebenfalls abgelehnt. Wie beim Mietkautionsdarlehen liegen der Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II und dem Darlehen für Mietschulden andere Tatbestände zugrunde(BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 26/10 R - BSGE 110, 288 = SozR 4-1200 § 46 Nr 3, RdNr 16). Erst durch § 42a SGB II ist zum 1.4.2011 eine Aufrechnungsregelung insoweit geschaffen worden. Abgesehen davon, dass diese Regelung nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine "echte Rechtsänderung" ist (BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 26/10 R - BSGE 110, 288 = SozR 4-1200 § 46 Nr 3, RdNr 16), sieht auch § 42a Abs 4 SGB II erst nach Beendigung des Leistungsbezugs die Fälligkeit des gesamten noch nicht getilgten Darlehensbetrags vor. Diese Art der Tilgung eines Darlehens für Mietschulden während des laufenden Leistungsbezugs wäre nur zu Lasten der laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts möglich. Dies führt im vorliegenden Fall zu einer nicht mehr ausgleichbaren Unterdeckung des Existenzminimums, denn der Aufrechnungsbetrag von 1518,62 Euro übersteigt das Vierfache der Regelleistung.

24

Da es somit bereits an einer rechtmäßigen Verfügung zur Tilgung des Darlehens mangelt, ist auch die Verfügung über die Zahlung von Verzugszinsen rechtswidrig und aufzuheben.

25

4. Auch die Höhe der Darlehensbelastung ist vom Beklagten unzutreffend bestimmt worden. Dabei ist das LSG allerdings zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger nur ein Darlehen von 506,21 Euro zu bewilligen war. Vielmehr ist ein Darlehen zur Deckung von Mietschulden unabhängig vom Kopfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die - jedenfalls in einer Konstellation wie der vorliegenden - aus dem Mietvertrag verpflichtet sind. Somit entfällt auf den Kläger eine Darlehensbelastung in Höhe von 1138,96 Euro.

26

Die laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind nach gefestigter Rechtsprechung des BSG im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzen (stRspr des BSG seit 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 28; zuletzt vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 63, RdNr 26 und vom 22.8.2013 - B 14 AS 85/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 71, RdNr 20). Hintergrund für dieses auf die Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 21.1.1988 - 5 C 68/85 - BVerwGE 79, 17, juris RdNr 10) zurückgehende "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.

27

Bei der Leistung für Mietschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist jedoch keine Kopfteilung vorzunehmen. Die mit dem Grundsicherungsrecht nach dem SGB II befassten Senate des BSG haben eine Abweichung vom Kopfteilprinzip für diejenigen Fälle bejaht, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung angezeigt ist (vgl nur BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, juris RdNr 28; BSG vom 27.1.2009 - B 14/7b AS 8/07 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 4, juris RdNr 19; für eine vorübergehende, auf unter sechs Monate beschränkte Ortsabwesenheit eines Partners BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 19; s auch BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 19, hierzu zustimmend Anm Sonnhoff, SGb 2014, 339; BSG vom 22.8.2013 - B 14 AS 85/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 71, RdNr 23). So liegt es auch bei der Mietschuldenübernahme.

28

Würde das Darlehen gemäß § 22 Abs 5 SGB II kopfteilig auf die Mitglieder beider - vom Beklagten angenommener - Bedarfsgemeinschaften verteilt, so folgte hieraus letztlich eine faktische Mithaftung der nicht am Mietvertrag Beteiligten, insbesondere auch der Kinder einer Bedarfsgemeinschaft, für unerfüllte Mietvertragsforderungen. Unter Berücksichtigung der Neuregelung des § 42a Abs 1 S 3 SGB II träfe eine Rückzahlungsverpflichtung dann auch das nicht durch den Mietvertrag verpflichtete Bedarfsgemeinschaftsmitglied unabhängig davon, ob eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Zahlungsmoral des mietvertraglich Verpflichteten besteht. Abgesehen davon könnten sich aus der Möglichkeit, die Verpflichtungen aus Mietverträgen auf Dritte zu verlagern, erhebliche Fehlanreize für die Mietvertragspartner ergeben. Daher erscheint es allein sachgerecht, nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen - unter Berücksichtigung des internen Schuldnerausgleichs bei gesamtschuldnerischer Haftung - als Darlehensnehmer anzusehen (ebenso Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 366, Stand III/14; Luik in: Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 22 RdNr 253), soweit sie - wie hier - die Wohnung gemeinsam nutzen (vgl die Fallkonstellation in BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 65 RdNr 2, 18)und im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen. Nach diesen Grundsätzen konnte der Kläger, der den Mietvertrag gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin geschlossen hatte, ein Darlehen von 1138,96 Euro (= die Hälfte der Mietschulden von 2277,92 Euro) beanspruchen.

29

5. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. August 2010 wird in der Hauptsache klarstellend dahingehend berichtigt, dass der Klägerin zu 1 und dem Kläger zu 2 für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2009 jeweils weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 87,75 Euro zu erbringen sind.

Der Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in der Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009.

2

Die Klägerin zu 1 (geb 1960) sowie die mit ihr zusammenlebenden Söhne A (geb 1994), Kläger zu 2, und D (geb 1987 <22 Jahre>; im Folgenden: D) bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die KdU, welche der Beklagte direkt an den Vermieter zahlte, beliefen sich für die 63 qm große Wohnung auf 526,50 Euro monatlich (Kaltmiete in Höhe von 406,50 Euro, Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 50 Euro, Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 50 Euro, Hausmeisterpauschale in Höhe von 12 Euro, SAT-Antennenpauschale in Höhe von 8 Euro). Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 1 und ihren Söhnen als Bedarfsgemeinschaft SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.11.2008 bis 30.4.2009. Unter Berücksichtigung eines geringen Einkommens der Klägerin zu 1 aus Beschäftigung sowie des Kindergeldes bewilligte er jeweils Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die KdU übernahm er in tatsächlicher Höhe und berücksichtigte den "Kopfanteilen" entsprechend bei jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft KdU in Höhe von 175,50 Euro (Bescheid vom 13.10.2008). Nach vorangegangenen Sanktionen entzog er dem Sohn D die SGB II-Leistungen wegen des Abbruchs einer Bildungsmaßnahme für die Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 vollständig (bestandskräftiger Bescheid vom 6.1.2009).

3

Für den bewilligten Zeitraum errechnete der Beklagte die SGB II-Leistungen mehrfach neu (Bescheide vom 6.1., 1.2., 18.2. und 18.3.2009) und setzte den auf D entfallenden KdU-Anteil für die Monate Februar bis April 2009 mit "0 Euro" fest. Mit dem von den Klägern (erstmals) mit Widerspruch angefochtenen weiteren Bescheid vom 2.4.2009 bewilligte er die SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung des wechselnden Einkommens der Klägerin zu 1 und der Sanktion für D für den streitigen Zeitraum vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 erneut (dabei ergab sich für die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 jeweils ein verbleibender Betrag an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; KdU wurden in bisheriger Höhe übernommen; für D entfielen wegen des "Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen" die KdU vollständig). Den Widerspruch, mit dem die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 den Wegfall des KdU-Anteils für D beanstandeten, wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.9.2009).

4

Das SG hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 weitere KdU-Leistungen in Höhe von 175,50 Euro monatlich zu gewähren (Urteil vom 16.8.2010). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 22.3.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der von den Klägern angefochtene Bescheid vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 sei ein sogenannter Zweitbescheid, der ungeachtet der zuvor über denselben Gegenstand getroffenen bestandkräftigen Regelungen erneut den Rechtsweg eröffnet habe. Der Beklagte habe spätestens im Widerspruchsbescheid erneut über die den Klägern zustehende KdU entschieden. Er habe hervorgehoben, dass er die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Sanktion und auf die Höhe der KdU für die Kläger als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erneut und intensiv geprüft habe. Hierbei habe er sich bewusst dafür entschieden, den durch die Sanktion entstandenen KdU-Anteil der Bedarfsgemeinschaft als Ausfall zuzuordnen. Auf die Inhalte der ab 6.1.2009 ergangenen Bescheide und deren (fragliche) Bekanntgabe komme es daher nicht an. Für die Zeit vom 1.2. bis zum 30.4.2009 bestehe ein Anspruch der Kläger auf Übernahme des jeweils hälftigen KdU-Anteils ohne Abzug des Kopfanteils für D. Es könne offen bleiben, ob D im streitigen Zeitraum noch Mitglied der dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft gewesen sei. Für eine Obliegenheit der Kläger zur Kostensenkung fehle es an einer Kostensenkungsaufforderung. Selbst wenn man eine solche als bereits mit den ab 1.6.2009 erteilten Bescheiden verbundene ansehe, fehle eine zeitliche Vorgabe zur Reduzierung. Auch sei es nur bei einer absehbar längerfristigen und endgültigen Veränderung in der Mitgliederzahl der Bedarfsgemeinschaft für die verbliebenen Mitglieder möglich und zumutbar, die Wohnverhältnisse an die dauerhafte alleinige Nutzung der Wohnung durch nur zwei Personen anzupassen. Seien die KdU-Aufwendungen daher angemessen oder als unangemessene Kosten zu übernehmen und habe die Bedarfsgemeinschaft fortbestanden, stehe der Anrechnung eines "fiktiven" Kopfanteils entgegen, dass die (tatsächlichen) Aufwendungen der Kläger nicht mehr gedeckt seien. Die Aufteilung nach Kopfanteilen setze voraus, dass der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf von mehreren Personen gedeckt werde. Der anteilige Wegfall bei der Übernahme der Wohnungsaufwendungen führe zu einer (vorübergehenden) Unterdeckung eines bisher durch die gemeinsame Nutzung der Wohnung gedeckten Bedarfs. Dann bestehe ein Anspruch auf Tragung der tatsächlichen bzw angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung durch den SGB II-Träger, weil die Verpflichtung der Leistungsberechtigten zur Zahlung der KdU im Außenverhältnis unverändert fortbestehe. Den übrigen Mitgliedern dürfe nicht (mittelbar) ein Fehlverhalten zugerechnet werden, auf das sie jedenfalls bei über 18jährigen Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich keinen rechtlich relevanten Einfluss hätten. Es bestehe ein ungelöster Wertungswiderspruch, weil die Umsetzung einer Sanktion anderen Kriterien zu genügen habe als die Senkung unangemessener KdU. Während eine Sanktion rasch umgesetzt werden müsse, werde bei der Senkung der KdU eine Zeitspanne eingeräumt, um dem konkreten Wohnbedarf in seinen rechtlichen wie tatsächlichen Aspekten Rechnung zu tragen.

5

Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, es bestehe kein Anlass für eine Abweichung von dem Prinzip des Individualanspruchs. Eine Lücke im eigenen Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft liege nicht vor. Wegen der Höhe der durch die Sanktion entstehenden Mietschulden bestehe in der Regel kein Kündigungsgrund. In vergleichbaren Fallkonstellationen werde die Aufteilung der KdU nach Kopfteilen auf die Nutzer der Wohnung ausnahmslos bestätigt ("fiktiver" Kopfanteil), obwohl auch dort das Argument hinsichtlich der Außenwirkung zum Vermieter und möglicher Wohnungslosigkeit greife. Das angefochtene Urteil verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Jugendliche einen Wohnungsverlust nur durch eine Arbeitsaufnahme oder ein Darlehen vermeiden könnten. Dies sei auch den in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Jugendlichen zumutbar, weil deren Sanktionierung ansonsten regelmäßig und teilweise "ins Leere laufe".

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie führen aus, die Aufteilung nach Kopfteilen sei nicht wegen einer gemeinsamen Nutzung der Wohnung, sondern deshalb gerechtfertigt, weil der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf von mehreren Personen gedeckt werde. Eine strikte Anwendung des Kopfteilprinzips führe dazu, dass die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in "sippenhaftähnlicher Weise" für ein Fehlverhalten eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft haften würden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Kläger in dem hier streitigen Zeitraum jeweils Anspruch auf höhere Aufwendungen für KdU in der zuerkannten Höhe haben.

10

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2009, mit dem der Beklagte KdU für die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 weiterhin nur in Höhe der bisher zuerkannten Leistungen von je 175,50 Euro bewilligt hat. Ausgehend von dem objektiven Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids und dem Klageantrag ist Streitgegenstand hingegen nicht die direkte Auszahlung der bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung an den Vermieter der Kläger. Der Beklagte hat mit der Bestimmung eines anderen Empfängers der den Klägern bewilligten Leistungen lediglich die Auszahlungsmodalitäten modifiziert, nicht jedoch die Bewilligung der Leistungen dem Grunde und der Höhe nach verändert. Das zuvor behandelte Begehren der Kläger auf höhere Leistungen umfasst nicht die Auszahlung der gesamten Leistungen an sie. Der Beklagte hat die Bestimmung eines anderen Empfängers zudem im Bescheid vom 2.4.2009 in einem selbstständigen Verfügungssatz geregelt. Insoweit haben die Kläger den Bescheid jedoch nicht angefochten (vgl hierzu Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 12/12 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 18 RdNr 12).

11

Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid vom 2.4.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 zurecht mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Wegen des sanktionsbedingten Wegfalls der KdU für D im streitigen Zeitraum vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 ist ihr Begehren auf höhere KdU gerichtet, als diese in den vorangegangenen Bescheiden für den streitigen Zeitraum jeweils bewilligt wurden. Das LSG hat zurecht angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 2.4.2009 um einen Zweitbescheid handelte, mit dem der Beklagte die Individualansprüche für den streitigen Zeitraum erneut und in vollem Umfang überprüfbar geregelt hat. Die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 können jeweils höhere Leistungen in der von den Vorinstanzen angenommenen Höhe beanspruchen. Insofern ist - als Besonderheit des SGB II - zu berücksichtigen, dass kein Anspruch der Bedarfsgemeinschaft oder Teilen der Bedarfsgemeinschaft als solcher existiert, sondern Anspruchsinhaber jeweils - individuell - die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (grundlegend BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12). Mit dem Bescheid vom 2.4.2009 hat der Beklagte - in getrennt zu betrachtenden Verfügungen - Einzelansprüche der Klägerin zu 1 und ihrer beiden Söhne bewilligt. Der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung ist daher dahin zu korrigieren, dass der ausgeurteilte Gesamtbetrag in Höhe von 175,50 Euro jeweils anteilig auf die Klägerin zu 1 und den Kläger zu 2 verteilt wird.

12

Die Kläger haben den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Leistungen der Unterkunft und Heizung beschränkt. Insofern haben sie keine Einwände gegen das erstinstanzliche Urteil erhoben, mit dem das SG ausdrücklich nur weitere KdU zugesprochen hat. Es ist daher davon auszugehen, dass die in den Bewilligungsbescheiden gleichfalls geregelte Höhe der Regelleistung sowie die Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin zu 1, das schon ihren eigenen Regelbedarf nicht deckte, nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Bei den KdU handelt es sich um abtrennbare Verfügungen des Gesamtbescheids, ohne dass eine weitere Aufspaltung in die Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtlich möglich ist (stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18 f). Dies gilt zumindest für laufende Verfahren über vor dem 1.1.2011 abgeschlossene Bewilligungsabschnitte (BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 46 RdNr 11; Urteil des Senats vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - BSGE 110, 52 = SozR 4-4200 § 22 Nr 51, RdNr 11).

13

2. Die materielle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids vom 2.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2009 beurteilt sich nach § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB X). Wegen § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 3 S 1 SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend. Haben sich Veränderungen in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen ergeben, die dazu führen, dass der Verwaltungsakt dem Grunde oder der Höhe nach so nicht mehr ergehen dürfte, so liegt eine wesentliche Änderung vor (Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 60). Eine Änderungswirkung zugunsten des Berechtigten liegt vor, wenn die Änderung nach objektiver Betrachtungsweise "per saldo" einen Vorteil bewirkt (BSG SozR 2200 § 1255a Nr 19).

14

Dies ist hier ausgehend von den Individualansprüchen der Kläger zu 1 und 2 auf SGB II-Leistungen der Fall. Gegenüber den Verhältnissen, die dem Bewilligungsbescheid vom 13.10.2008 und den weiteren Änderungsbescheiden zugrundelagen, mit denen der Beklagte den Klägern jeweils 175,50 Euro als KdU bewilligte, ist eine Änderung eingetreten, weil sie für die Zeit vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 Ansprüche auf weitere KdU-Leistungen in Höhe von 87,75 Euro hatten. Bezogen auf die Kläger zu 1 und 2 wird durch den tatsächlichen Wegfall des bisher an den Vermieter direkt überwiesenen KdU-Anteils für D auf der Grundlage der Kürzung des Individualanspruchs des D durch den Bescheid vom 2.4.2009 zeitgleich eine wesentliche Änderung bewirkt, weil bei ihnen ein höherer Bedarf an KdU entstand, den sie nicht durch Einkommen oder Vermögen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft decken konnten. Dieser Sonderfall rechtfertigt eine Abweichung vom "Kopfteilprinzip".

15

3. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die für einen Anspruch der Kläger auf höhere Leistungen notwendigen Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dem Grunde nach vorlagen. Insofern hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass sie zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II gehörten und dem Grunde nach Anspruch auf Übernahme der KdU hatten. Beide hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II). Die im Jahre 1960 geborene Klägerin zu 1 war erwerbsfähig (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II), hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II aber noch nicht erreicht(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II). Der 1994 geborene Kläger zu 2 lebte mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft, beide waren hilfebedürftig, der Kläger zu 2 verfügte - mit Ausnahme des Kindergeldes - über kein eigenes Einkommen oder Vermögen, die Klägerin zu 1 erzielte in dem hier in Rede stehenden Zeitraum nur das berücksichtigte Einkommen, welches schon ihren eigenen Bedarf nicht deckte (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II).

16

4. a) Die Kläger können in dem hier streitigen Zeitraum vom 1.2.2009 bis 30.4.2009 die Übernahme der KdU in tatsächlicher Höhe und jeweils zur Hälfte unmittelbar aus § 22 Abs 1 S 1 SGB II beanspruchen.

17

Nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Von § 22 Abs 1 S 1 SGB II erfasst sind sämtliche Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem Mietvertrag bzw einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung für die Unterkunft ergeben und tatsächlich gezahlt werden(BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 20 RdNr 19 ff zum Nutzungsentgelt für die Küchenmöblierung; BSGE 102, 274 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18, RdNr 15 ff zu den Kosten eines Kabelanschlusses). Angeknüpft wird an die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Mietzinszahlung im Rahmen des Mietverhältnisses. Ausreichend ist, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige einer ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt ist (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 21 RdNr 16 ff; BSGE 104, 179 = SozR 4-4200 § 22 Nr 24, RdNr 16; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - juris RdNr 15).

18

b) Von den tatsächlichen und - mit den Überlegungen des LSG - zumindest als angemessenen zu unterstellenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum in Höhe von 526,50 Euro ist nicht der auf D entfallende Anteil an den KdU abzuziehen. Zwar sind die KdU im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere anderen Familienangehörigen, nutzen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht (stRspr BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 28; BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - juris RdNr 19; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 55/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 9 = SGb 2010, 163 ff, RdNr 18 f; BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 33; BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 12 RdNr 19; BSG Urteil vom 27.1.2009 - B 14/7b AS 8/07 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 4 RdNr 19; BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 61/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 44 RdNr 18). Hintergrund für dieses auf die Rechtsprechung des BVerwG (vom 21.1.1988 - 5 C 68/85 - BVerwGE 79, 17) zurückgehende "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.

19

Bei der Aufteilung nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf KdU begrenzend festgeschrieben ist. Insofern findet sich in § 22 Abs 1 SGB II keine bedarfsbeschränkende Festlegung des Gesetzgebers auf das Prinzip der anteiligen Verteilung der KdU nach der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen. Bei den KdU greift der Individualisierungsgrundsatz mit der Anknüpfung an die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, deren Angemessenheit als begrenzend wirkt. Es besteht ein Unterschied zu den Regelleistungen nach dem SGB II, bei denen eine anspruchsbegrenzende Pauschalierung der Bedarfe gesetzlich vorgesehen ist.

20

In Anknüpfung an die Rechtsprechung des BVerwG, das eine Korrektur des Grundsatzes der Pro-Kopf-Aufteilung zugelassen hat, wenn und soweit der Hilfefall durch "sozialhilferechtlich bedeutsame Umstände" gekennzeichnet war, die "ohne weiteres objektivierbar" und "dem Träger der Sozialhilfe möglicherweise sogar bereits bekannt" waren (BVerwGE 79, 17 ff, zB Behinderung oder Pflegebedürftigkeit, die ein anerkennenswertes Maß an Unterkunftsbedarf in der Person der oder des Hilfebedürftigen oder eines anderen Mitglieds der Haushaltsgemeinschaft ausmachten), hat es auch das BSG als möglich und notwendig angesehen, im Einzelfall vom "Kopfteilprinzip" abzuweichen (BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 4, RdNr 19 "Sonderfälle"). Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip hat der 14. Senat des BSG bei gemeinsam in einer Wohnung, aber nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bejaht, wenn eine andere Aufteilung aufgrund eines Vertrags bei objektiver Betrachtung aufgrund eines schon vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit vereinbarten notariellen Vertrags und der daraus folgenden Stellung als Eigentümer angezeigt sei (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R - RdNr 28, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; bereits angedeutet in BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 12, RdNr 19). Weiter haben die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG eine Abweichung vom Prinzip der Aufteilung nach "Kopfanteilen" in Fallgestaltungen erörtert, in denen durch eine Berücksichtigung der KdU nach Kopfanteilen eine Bedarfsunterdeckung in Frage stand (vgl zB BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 9 RdNr 18; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 4 RdNr 19; vgl hierzu auch Frank in GK-SGB II § 22 RdNr 19, Stand März 2010).

21

c) Hier sind die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen gegeben, die auch bei gemeinsamer Nutzung der Wohnung durch eine Bedarfsgemeinschaft vorliegen können (vgl zur Übernahme der KdU bei vorübergehender Ortsabwesenheit eines Partners: BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 42).

22

Aus "bedarfsbezogenen Gründen", nämlich wegen des vollständigen Wegfalls der KdU-Leistungen für D, entstanden der Klägerin zu 1 und dem Kläger zu 2 in dem streitigen Zeitraum höhere Kosten für die Wohnung und Heizung. Sie konnten schon deshalb nicht darauf verwiesen werden, den KdU-Anteil von D zu verlangen, weil der Beklagte mit dem rechtskräftigen Bescheid vom 6.1.2009 sowie mit dem Bewilligungsbescheid vom 2.4.2009 als der zur Sicherstellung des Existenzminimums zuständige Träger den vollständigen Wegfall des KdU-Anteils für D in dem hier streitigen Zeitraum verfügte. Zwar ist zweifelhaft, ob dies berechtigt war. § 31 Abs 5 S 6 SGB II iVm § 31 Abs 3 S 6 SGB II sieht vor, dass der zuständige Träger bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 vH der nach § 20 maßgebenden Regelleistung in angemessenen Umfang ergänzende Sachleistungen und geldwerte Leistungen erbringen kann und diese nach § 31 Abs 3 S 7 SGB II erbringen soll, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft lebt. Letzteres war hier der Fall, weil auch der minderjährige Bruder des Klägers in der Bedarfsgemeinschaft lebte. D hat jedoch - ausgehend von den seitens der Beteiligten nicht gerügten, bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - den Sanktionsbescheid vom 6.1.2009 und den seinen Individualanspruch betreffenden Teil des Bescheides vom 2.4.2009 nicht angegriffen, ohne dass die Klägerin zu 1 bei ihrem volljährigen Sohn hierauf Einfluss hatte. Nach dem Inhalt der vom LSG in Bezug genommenen Bewilligungsbescheide war bei D auch kein Einkommen oder Vermögen vorhanden, aus dem er den auf ihn entfallenden KdU-Anteil während des Sanktionszeitraums hätte bestreiten können. Dem Beklagten war daher bekannt, dass der durch die von ihm veranlasste Sanktion eine Bedarfsunterdeckung bei den KdU auch bei den Klägerin zu 1 und dem minderjährigen Kläger zu 2 eingetreten war.

23

d) Die Kläger können auch nicht darauf verwiesen werden, ihren tatsächlichen mietvertraglichen Verpflichtungen nicht vollständig nachzukommen und eine weitere Erhöhung der hier nach den Feststellungen des LSG bereits vorhandenen Mietschulden hinzunehmen. Im Bereich der KdU sind die existenzsichernden Leistungen dergestalt geregelt, dass ein Anspruch auf Übernahme der KdU-Aufwendungen nicht erst besteht, wenn eine Kündigung des Mietverhältnisses unmittelbar bevorsteht. Es besteht mit dieser Maßgabe eine Verpflichtung des SGB II-Trägers zur Deckung des (hier vorübergehend erhöhten) individuellen Bedarfs jedes Grundrechtsträgers (BVerfGE 125, 175 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, juris RdNr 137; Wersig in info also 2011, 51 ff, 52).

24

Der Einwand des Beklagten, dass durch die Erhöhung des KdU-Anteils für die Kläger die Sanktionierung von D "abgemildert" werde, kann aus Rechtsgründen zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Klägerin zu 1 ist wegen der vom SGB II vorgesehenen Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft zum Einsatz ihres Einkommens und Vermögens auch für D verpflichtet. Eine darüberhinausgehende faktische Mithaftung für ein nach dem SGB II sanktioniertes Verhalten des volljährigen Kindes durch Hinnahme einer Bedarfsunterdeckung ist nicht vorgesehen (vgl zur Vermeidung von personenübergreifenden Sanktionsfolgen: Geiger in info also 2010, 3 ff; Berlit in Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kapitel 28, RdNr 34). Zudem ist die Sanktion für D nicht vollständig entfallen, weil auch der Regelbedarf teilweise gekürzt bzw als Sachleistung erbracht worden ist. Ob ein KdU-Anteil in diesen Fallgestaltungen zu übernehmen ist, muss einzelfall- und bedarfsbezogen geprüft werden. Die von dem Beklagten als mögliche Folge beschriebene Ungleichbehandlung des D mit nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Angehörigen lebenden Personen bei einer Sanktionierung liegt schon deshalb nicht vor, weil eine andere Ausgangslage gegeben ist und wirkt sich im Übrigen auch nicht auf den Anspruch der Klägerin zu 1 und den minderjährigen Kläger zu 2 aus.

25

Unschädlich ist schließlich, dass bei der Klägerin zu 1 und dem Kläger zu 2 eine höhere Belastung durch KdU während des Mietverhältnisses eingetreten ist. § 22 Abs 1 S 1 SGB II enthält keine Beschränkung der zu übernehmenden tatsächlichen Unterkunftskosten auf solche Kosten, die bereits bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zu zahlen waren(zu einer möglicherweise zivilrechtlich unwirksamen Staffelmietvereinbarung: BSGE 104, 179 = SozR 4-4200 § 22 Nr 24, RdNr 16 ff; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 61 zu erhöhten Mietkosten wegen einer Modernisierungsmaßnahme nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit).

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendung auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

2

Der am … 1949 geborene Kläger ist weißrussischer Staatsangehöriger. Er verfügt über eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis als Kontingentflüchtling. Der Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II vom Beklagten, zeitweilig ergänzend zu Einnahmen aus abhängiger Beschäftigung. Er bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau seit dem 16.06.2002 eine 65,40 m² große, öffentlich geförderte Zweiraumwohnung in ... Vermieterin ist die … GmbH, ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen. Sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau sind Parteien des Mietvertrags. Zu Beginn des Mietverhältnisses hatten die Ehegatten eine Grundmiete von 435,40 Euro, eine Betriebskostenvorauszahlung von 78 Euro, eine Heizkostenvorauszahlung von 87 Euro und einen Modernisierungszuschlag von 4,45 Euro, mithin eine Gesamtmiete von 604,85 Euro monatlich zu entrichten. In § 2 Abs. 2 des Mietvertrags ist geregelt, dass die Miete sich nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen erhöhen oder ermäßigen kann.

3

Der Beklagte stellte zunächst die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in die Berechnung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II ein.

4

Ab dem 01.12.2005 wurden die monatliche Vorauszahlung und in Folge dessen die Gesamtmiete um 23,53 Euro auf 630,85 Euro erhöht. Zum 01.01.2008 erhöhte die Vermieterin die Nettokaltmiete um 13 Euro auf 448,40 Euro und die Gesamtmiete in Folge dessen auf 643,85 Euro. Nach interner Prüfung durch den Beklagten wurde die Mieterhöhung als zulässig eingestuft und mit Änderungsbescheid vom 24.04.2008 bei der Leistungsbewilligung in voller Höhe berücksichtigt.

5

Mit Schreiben vom 09.11.2010 forderte der Beklagte den Kläger dazu auf, bis zum 30.04.2011 "nach Möglichkeit zur Verringerung der monatlichen Mietkosten zu suchen". Dabei würde insbesondere ein Umzug in eine kostengünstigere Wohnung in Frage kommen. Der Beklagte führte hierzu weiter aus, dass Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden, soweit diese angemessen seien. Die Angemessenheit bemesse sich nach dem ... Mietspiegel. Wohnungen müssten sowohl nach der Wohnungsgröße als auch nach dem Wohnungspreis angemessen sein. Nach der vorgelegten Mietbescheinigung betrage die Größe der vom Kläger angemieteten Wohnung 65,40 m². Als angemessene Wohnungsgröße ergebe sich im Falle des Klägers in Anlehnung an das Wohnungsbindungsgesetz eine Quadratmeterfläche von maximal 60 m². Die Wohnung des Klägers koste derzeit 448,40 Euro. Angemessen für eine Wohnung mit maximal 60 m² seien 426 Euro. Dies bedeute für den Kläger, dass die Kosten der Unterkunft nicht angemessen seien, da die Wohnung zu teuer sei. Die tatsächlich zu zahlenden Mietkosten würden zunächst bis zum 30.04.2011 im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II berücksichtigt. Die Bemühungen des Klägers zur Kostensenkung seien durch geeignete Unterlagen nachzuweisen (z.B. Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnung, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in der Liste der Wohnungssuchenden beim Amt für soziale Leistungen). Die Wohnungsbemühungen seien vom Kläger auf dem beigefügten Vordruck in dem aufgeführten Umfang nachzuweisen. Der Kläger wurde weiter dazu aufgefordert, die Nachweise bis zum 15.04.2011 persönlich abzugeben. Der Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass ab dem 01.05.2011 bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nur noch die angemessenen Unterkunftskosten für die Wohnung des Klägers als hilferechtlich berücksichtigt werden könnten. Der Beklagte machte weiter darauf aufmerksam, dass er im Falle einer Neuanmietung ohne Zustimmung nur die angemessenen Kosten der Unterkunft übernehmen werde.

6

In einem dem Schreiben beigefügten "Merkblatt für Wohnungssuchende (Stand: März 2009)" informierte der Beklagte den Kläger darüber, wann eine Wohnung angemessen sei. Demnach orientiere sich der Maßstab der Angemessenheit zum einen an der Wohnungsgröße und zum anderen an der Miethöhe. Die Grundmiete sei als angemessen zu bezeichnen, wenn sie das Produkt aus der angemessenen Quadratmeterzahl und der angemessenen Miete pro Quadratmeter nicht übersteige. Für einen Haushalt mit zwei Familienmitgliedern sei eine Wohnungsgröße bis zu 60 m² (oder zwei Wohnräume) angemessen. Die Angemessenheit der Miethöhe richte sich nach dem Medianwert des aktuellen … Mietspiegels. Dieser sei im Merkblatt auszugsweise abgebildet. Sollte der entsprechende Medianwert einen Betrag von 7,10 Euro übersteigen, könne nur ein Quadratmeterpreis von 7,10 Euro (Kaltmiete) anerkannt werden. Bei Apartments gelte diese Einschränkung nicht. Aus der im Merkblatt eingefügten "Tabelle für Wohnungen", welche einen Auszug des Mietspiegels (ohne Datumsangabe) darstellt, geht unter anderem für Wohnungen mit dem Ausstattungsmerkmal "gut" (mit Bad und Sammelheizung) für die Bauperiode 1981 bis 1993 und einer Wohnungsgröße von 40 bis 60 m² ein Medianwert von 8,83 Euro/m² hervor. Dem Schreiben war auch eine Liste mit "Wohnungsgesellschaften in ..." beigefügt.

7

Die Vermieterin des Klägers erhöhte die Nettokaltmiete ab dem 01.04.2011 um 4,38 Euro auf 452,78 Euro und die Gesamtmiete in Folge dessen auf 648,23 Euro. Der Kläger zeigte dies dem Beklagten am 02.03.2011 an und bat um Übernahme der neuen monatlichen Miete.

8

Der Kläger legte dem Beklagten in der Folgezeit Nachweise über seine Kostensenkungsbemühungen vor.

9

Mit einem Änderungsbescheid vom 01.03.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2011 bis zum 31.05.2011 erstmals nur noch unter Berücksichtigung der "angemessenen" Kosten der Unterkunft. Hierbei berücksichtigte er als Kosten für Unterkunft und Heizung insgesamt einen Betrag von 621,45 Euro. Entsprechend verfuhr der Beklagte in der Folgezeit.

10

Am 15.04.2013 stellten der Kläger und seine Ehefrau einen Weiterbewilligungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.06.2013 beim Beklagten.

11

Zum 01.06.2013 erhöhte die Vermieterin des Klägers die Nettokaltmiete um 33,81 Euro auf 486,59 Euro und in Folge dessen die Gesamtmiete auf 682,04 Euro.

12

Am 23.05.2013 beantragte der Kläger anlässlich dieser Mieterhöhung zum 01.06.2013 wiederum die Übernahme der tatsächlichen Grundmiete in Höhe von nunmehr 486,59 Euro.

13

Mit Bescheid vom 23.05.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013 in Höhe von 664,86 Euro monatlich und legte bei der Leistungsberechnung eine Grundmiete von 428,40 Euro zu Grunde. Bis zum 31.08.2013 bewilligte der Beklagte auch der Ehefrau des Klägers Arbeitslosengeld II. Gegenüber der Ehefrau des Klägers lehnte der Beklagte den Antrag für die Zeit ab dem 01.09.2013 wegen Überschreitung der Altersgrenze ab.

14

Mit Änderungsbescheid vom 13.06.2013 erhöhte der Beklagte die anerkannte Grundmiete um 1,60 Euro auf 430 Euro. Hintergrund war eine Anpassung der Richtwerte für angemessene Kosten der Unterkunft der Stadt ... zum 01.05.2013. Für Zweipersonenhaushalte wurde nunmehr eine Nettokaltmiete von 430 Euro anerkannt. Zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zog der Beklagte ein von der Firma ... erstelltes Konzept heran.

15

Mit einem weiteren Bescheid vom 13.06.2013 lehnte der Beklagte die Berücksichtigung der tatsächlichen Grundmiete ab. Zur Begründung teilte er mit, dass der Kläger seit dem 01.05.2011 keinen Anspruch mehr auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung habe und dass ab diesem Zeitpunkt nur noch die angemessene Grundmiete von 430 Euro gewährt würde.

16

Der Kläger erhob am 18.06.2013 Widerspruch. Hierbei richtete er sich sowohl gegen den Änderungsbescheid vom 13.06.2013 als auch gegen die Ablehnung der Übernahme der Mieterhöhung. Zur Begründung führte er aus, dass die Grundmiete ab dem 01.06.2013 486,59 Euro betrage, nach dem Bescheid der Leistungsabteilung jedoch nur eine Grundmiete von 430 Euro übernommen werde. Die Differenz ergebe 56,59 Euro. Dies sei eine große Summe für ältere Leute, die nur Sozialhilfe bezögen. Eine Wohnungssuche sei bisher erfolglos geblieben. Es sei sehr schwierig, in ... eine zweiräumige Wohnung zu finden, die den Anforderungen des Beklagten entspreche.

17

Die Ehefrau des Klägers bezieht seit dem 01.09.2013 auf Grund eines Bescheids der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund vom 27.09.2013 eine Altersrente in Höhe von monatlich 19,75 Euro, die vierteljährlich in Höhe von 59,25 Euro ausgezahlt wird. Auf Grund eines Bescheids vom 09.09.2013 bezieht sie daneben Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) von der Stadt Mainz. Hierbei berücksichtigt die Stadt Mainz Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 312,72 Euro, wobei der Berechnung ebenfalls eine für angemessen gehaltene Nettokaltmiete in Höhe von 430 Euro zu Grunde gelegt wird.

18

Mit Datum vom 09.09.2013 erstellte die Vermieterin des Klägers eine Heiz- und Betriebskostenrechnung. Hiernach errechnete sich zu Gunsten des Klägers und seiner Ehefrau ein Guthaben in Höhe von 63,45 Euro. In dieser Höhe rechnete die Vermieterin mit der zum 01.10.2013 fälligen Mietzahlung auf, so dass diese nur noch in Höhe von 613,59 Euro zu zahlen war. Die Heizkostenvorauszahlung setzte die Vermieterin in Folge dessen ab dem 01.10.2013 auf 44 Euro fest, die Betriebskostenvorauszahlung auf 142 Euro. Die Gesamtmiete verringerte sich damit um 5 Euro auf 677,04 Euro.

19

Mit Änderungsbescheid vom 19.09.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 13.06.2013 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.10.2013 Leistungen nur noch in Höhe von 631,43 Euro, wovon 352,94 Euro auf den Regelbedarf inklusive Mehrbedarf für Warmwasserbereitung und 278,49 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen, und für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.11.2013 nur noch Leistungen in Höhe von 663,16 Euro, wovon 352,94 Euro auf den Regelbedarf inklusive Mehrbedarf für Warmwasserbereitung und 310,22 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass für den Monat Oktober 2013 die Kosten der Unterkunft um das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 09.09.2013 gemindert würden. Durch das Guthaben hätten sich Änderungen in den Heiz- und Betriebskostenvorauszahlungen ergeben. Diese würden ab dem 01.10.2013 berücksichtigt.

20

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2014 (W-52706-00921/13) wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Stadt ... habe, um größtmögliche Rechtssicherheit bei den Kosten der Unterkunft herzustellen, die Firma ... beauftragt, ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Damit nachvollziehbare und systematische Angemessenheitskriterien für die Kosten der Unterkunft hergeleitet werden könnten, sei von der Firma ... eine Mietstrukturanalyse durchgeführt worden. Hierbei seien alle für einen bestimmten Zeitraum öffentlich inserierte Mietwohnungsangebote und auch die Mietwohnungsangebote des kommunalen Wohnungsunternehmens in die Analyse einbezogen worden. Die Auswertung habe sich somit auf die "Angebotsmieten" und nicht mehr - wie bei der Orientierung am Mietspiegel - auf die Bestandsmieten bezogen. Damit liege ein schlüssiges Konzept vor, da die Datenerhebung in dem genau eingegrenzten und über den gesamten Vergleichsraum erfolgt sei. Eine nachvollziehbare Definition des Beobachtungsgegenstands sei auch gegeben worden, da von Angebotsmieten, differenzierend nach den Wohnungsgrößen ausgegangen werde. Die Beobachtung sei über einen bestimmten Zeitraum erfolgt und habe sich auf öffentlich inserierte Mietwohnungsangebote und auch die Mietwohnungsangebote des kommunalen Wohnungsunternehmens bezogen (Art und Weise der Datenerhebung). Außerdem habe dadurch, dass differenzierend nach den Wohnungsgrößen alle Angebotsmieten im Beobachtungszeitraum berücksichtigt worden seien, auch ein breites Spektrum von Mietwohnungen in die Datenerhebung Eingang gefunden hätten. Die erhobenen Daten seien somit auch repräsentativ gewesen. Die Auswertung sei unter Anwendung von mathematisch-statistischen Grundsätzen erfolgt. Das Konzept enthalte auch Angaben über die gezogenen Schlüsse. Da alle Mietwohnungen im Beobachtungszeitraum berücksichtigt worden seien, würden nur die Miethöhen des unteren Wohnmarktdrittels berücksichtigt. Damit würden mit entsprechender Begründung auch Wohnungen des gehobenen Marktsegments ausgeschlossen. Aus diesen Miethöhen ergebe sich eine Richtwerttabelle für die Stadt Mainz. Sie zeige die maximalen Gesamtmieten (Nettokaltmiete pro Monat), die als angemessen für Bedarfsgemeinschaften einer bestimmten Größe in der Stadt ... gälten. Danach betrage die angemessene Nettokaltmiete für einen Zweipersonenhaushalt 430 Euro. Das schlüssige Konzept biete auch die Gewähr dafür, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben würden.

21

Der Kläger hat am 15.04.2014 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 (S 17 AS 518/12 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben) und vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Hilfsweise wird vorgetragen, dass die tatsächliche Grundmiete im vorliegenden Fall auch in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG als angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzusehen sei. Die Mietobergrenze, die der Beklagte im Hinblick auf die Grundmiete für einen Zweipersonenhaushalt definiere, beruhe nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG.

22

Der Kläger beantragt,

23

den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 13.06.2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 19.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013 unter Berücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu zahlen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

die Klage abzuweisen.

26

Zur Begründung führt er aus, dass dem Beklagten ein entsprechend der Rechtsprechung des BSG schlüssiges Konzept zur Herleitung der angemessenen Kosten zur Verfügung stehe. Diese betrügen bei zwei Personen 430 Euro.

27

Der Beklagte legte dem Gericht ein „Schlüssiges Konzept zur Herleitung von Mietobergrenzen für angemessene Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II für die Stadt...“ der Firma ... vor.

28

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von ... erstellten Konzeptes, der beigezogenen Prozessakten zu den Verfahren S 15 AS 609/11 und S 15 AS 1215/12 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (drei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

29

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

30

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

31

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

32

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

33

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

34

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

35

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

36

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

37

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

38

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

39

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert.

40

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

41

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

42

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

43

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

44

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

45

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

46

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

47

"Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),
es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

48

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

49

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunfts-kosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

50

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

51

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

52

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (vgl. u.a. BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

53

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

54

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

55

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

56

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

57

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

58

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "An-gemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

59

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verein-bar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunfts-bezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

60

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

61

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

62

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

63

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

64

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

65

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

66

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

67

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

68

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

69

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich da-bei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

70

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

71

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

72

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

73

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

74

5.3 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

75

5.4 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

76

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

77

5.5 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

78

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

79

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

80

5.6 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

81

5.7 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervor-gehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

82

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

83

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

84

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

85

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

86

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

87

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

88

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der Widerspruchbescheid datiert auf dem 17.03.2014. Der Kläger hat die Klage am 15.04.2014 schriftlich erhoben.

89

1.2 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit denen der Kläger die Änderung des Bewilligungsbescheids vom 13.06.2013 und des Änderungsbescheids vom 19.09.2013 sowie die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

90

1.3 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

91

1.4 Zulässiger Streitgegenstand ist der mit Widerspruch vom 18.06.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 13.06.2013 in der Fassung der Änderungsbescheids vom 19.09.2013 (§ 86 SGG) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2014 (§ 95 SGG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013. Der weitere Bescheid vom 13.06.2013, mit dem die Übernahme der tatsächlichen Grundmiete abgelehnt wurde, enthält gegenüber dem Änderungsbescheid vom 13.06.2013 lediglich eine wiederholende Verfügung, die keinen eigenständigen Regelungsgehalt aufweist.

92

Durch den Änderungsbescheid vom 13.06.2013 hat sich der zuvor ergangene Bewilligungsbescheid vom 23.05.2013 erledigt (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -), da der gesamte Bewilligungszeitraum neu geregelt wurde.

93

1.5 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

94

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

95

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7a S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und drei Monaten im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht erreicht hatte.

96

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, d.h. es ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Dem Kläger war die Aufnahme einer Beschäftigung auch erlaubt (§ 8 Abs. 2 S. 1 SGB II).

97

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein anzurechnendes Einkommen oder Vermögen gegenüberstand. Die Rente der Ehefrau des Klägers wurde zutreffend vollständig bei dem ihr zustehenden Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII berücksichtigt (vgl. zur horizontal-vertikalen Berechnungsmethode bei „gemischten Bedarfsgemeinschaften: Schoch in LPK-SGB II, § 9 Rn. 38, 5. Auflage 2013).

98

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

99

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist gemeinsam mit seiner Ehefrau Mietvertragspartner. Im Außenverhältnis besteht eine Gesamtschuldnerschaft gegenüber der Vermieterin (§§ 421, 427 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Im Innenverhältnis ist mangels unterhaltsrechtlicher Leistungsfähigkeit davon auszugehen, dass beide Ehegatten zur Tragung jeweils einer Hälfte der Unterkunftsaufwendungen verpflichtet sind.

100

Im Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.09.2013 hatten der Kläger und seine Ehefrau eine Kaltmiete in Höhe von 486,59 Euro zu entrichten, eine Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 91 Euro monatlich, einen Modernisierungszuschlag in Höhe von 4,45 Euro monatlich und eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 100 Euro monatlich. Hieraus ergeben sich Gesamtaufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 682,04 Euro monatlich.

101

Für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.10.2013 hatten die Ehegatten auf Grund des Guthabens aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung vom 09.09.2013 in Höhe von 63,45 Euro tatsächlich Gesamtaufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 613,59 Euro. Nach § 22 Abs. 3 SGB II wäre das Guthaben jedoch erst im Folgemonat zu berücksichtigen (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 120, 5. Auflage 2013), so dass von "tatsächlichen Gesamtaufwendungen in Höhe von 677,04 Euro auszugehen ist.

102

Für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.11.2013 hatten die Ehegatten eine Kaltmiete in Höhe von 486,59 Euro zu entrichten, eine Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 142 Euro, einen Modernisierungszuschlag in Höhe von 4,45 Euro und eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 44 Euro. Hieraus ergeben sich Gesamtaufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 677,04 Euro. Anders als der Beklagte verfügt hat, ist das Guthaben aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II jedoch in diesem Monat zu berücksichtigen, so dass von Gesamtaufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 613,59 Euro auszugehen ist.

103

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch den Mietvertrag vom 03.06.2002 und durch die Schreiben der Vermieterin vom 15.05.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 486,59 Euro) und vom 09.09.2013 (Heiz- und Betriebskostenabrechnung). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die durch die Vermieterin vorgenommenen Mieterhöhungen zivilrechtlich unwirksam sein könnten.

104

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete, der Betriebskostenvorauszahlung, des Modernisierungszuschlags und der Heizkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20).

105

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

106

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

107

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

108

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

109

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

110

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft und Heizung im Umfang von 28,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 31.10.2013 führen. Für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 30.11.2013 würde keine Verurteilung zu höheren Leistungen erfolgen, weil (anders als im Änderungsbescheid vom 19.09.2013 verfügt) eine Berücksichtigung der Gutschrift aus der Heiz- und Nebenkostenrechnung vom 09.09.2013 zum 01.10.2013 in Höhe von hälftig 31,73 Euro in diesem Monat erfolgen müsste. Die Differenz zwischen den tatsächlichen und den als angemessen angesehenen Aufwendungen würde hierdurch kompensiert.

111

Die Differenz von 28,30 Euro in den Monaten Juni bis Oktober 2013 resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 486,59 Euro eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 430 Euro zu Grunde legte. Hieraus ergibt sich eine Differenz von 56,59 Euro, die - bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II - zur Hälfte (28,30 Euro) bei dem Kläger als weiterer Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen wäre.

112

In Folge der Gesamtschuldnerschaft des Klägers und seiner Ehefrau gegenüber der Vermieterin ist von einer hälftigen Zuordnung der Unterkunftsbedarfe zwischen den Ehegatten auszugehen. Da beide Ehegatten auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, kann insoweit nicht von einem anderen internen Ausgleichsverhältnis ausgegangen werden, so dass einer der Ehegatten im Innenverhältnis seine Unterkunftsaufwendungen auf den anderen abwälzen könnte.

113

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre.

114

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber den Änderungsbescheiden vom 13.06.2013 und vom 19.09.2013 einen um 28,30 Euro monatlich höheren Leistungsanspruch für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

115

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

116

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

117

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

118

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

119

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

120

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

121

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

122

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

123

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von empirica erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

124

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls daraus, dass das Konzept ausschließlich anhand von Angebotsmieten erstellt wurde (vgl. hingegen BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R - Rn. 25), sowie aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen lediglich für die Kaltmiete (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert aber die Bestimmung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze für die jeweilige Haushaltsgröße festgelegt wird (im Falle des vorliegenden Konzepts: 33. Perzentile), auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen getragenen Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

125

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Zweipersonenhaushalts in Mainz (Mietenstufe V) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 468 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 514,80 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers und seiner Ehefrau lag für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.09.2013 bei 582,04 Euro monatlich (486,59 Euro Grundmiete zuzüglich 91 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 4,45 Euro Modernisierungszuschlag) und für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.10.2013 bei 633,04 Euro (486,59 Euro Grundmiete zuzüglich 142 Euro Nebenkostenvorauszahlung und 4,45 Euro Modernisierungszuschlag). Für den Monat November 2013 lässt sich eine Differenzierung zwischen Bruttowarmmiete und Bruttokaltmiete in Folge der Berücksichtigung des Guthabens gemäß § 22 Abs.3 SGB II nicht ohne weiteres durchführen. Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger rechnerisch eine Bruttokaltmiete von 525,45 Euro (430 Euro Kaltmiete zuzüglich 91 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 4,45 Euro Modernisierungszuschlag) für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.09.2013 und in Höhe von 576,45 Euro (430 Euro Kaltmiete zuzüglich 142 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 4,45 Euro Modernisierungszuschlag) für die Zeit ab dem 01.10.2013. Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

126

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (überwiegend) abzuweisen.

127

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch für den Kläger. Die Klage wäre abzuweisen.

128

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (u.a. Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

129

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

130

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

131

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

132

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

133

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

134

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

135

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

136

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II zustehen könnten.

137

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der den Änderungsbescheid vom 13.06.2013 teilweise ersetzende Änderungsbescheid vom 19.09.2013 sowohl mit einer Begründung versehen (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X).

138

Der Änderungsbescheid vom 19.09.2013 ist zwar insoweit rechtswidrig, als entgegen der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II das Guthaben aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung bereits im Monat der Gutschrift (Oktober 2013) und nicht erst danach (November 2013) in Höhe von 31,73 Euro bedarfsmindernd berücksichtigt wurde (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 120, 5. Auflage 2013). Darüber hinaus führt die Gutschrift (im Monat November 2013) zwar zu einem niedrigeren Bedarf für Unterkunft und Heizung. Als tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung wären (im November 2013) für den Kläger und seine Ehefrau zusammen 613,59 Euro zu berücksichtigen (tatsächliche Bruttowarmmiete von 677,04 Euro abzüglich Gutschrift zum 01.10.2013 von 63,45 Euro). Bei dem Kläger wäre im November 2013 mithin ein Unterkunfts- und Heizungsbedarf in Höhe von 306,80 Euro zu berücksichtigen. Die Leistungsbewilligung für den Monat November 2013 erfolgte mit Bescheid vom 19.09.2013 tatsächlich unter Berücksichtigung eines Unterkunfts- und Heizungsbedarfs in Höhe von 310,22 Euro, so dass diesbezüglich in geringem Umfang eine den Kläger rechtswidrig begünstigende Entscheidung vorliegt.

139

Eine Verurteilung zu höheren Leistungen für den Monat Oktober 2013 auf Grundlage der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II würde das Klagebegehren allerdings nicht erschöpfen, weil als tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung 338,52 Euro (677,04 Euro : 2) zu berücksichtigen wären, während es auch bei Korrektur des Abzugs der Gutschrift bei einem berücksichtigten Betrag von 310,22 Euro verbliebe. Die Differenz von 28,30 Euro bliebe bestehen.

140

Im Übrigen änderten entsprechende Abänderungen der streitgegenständlichen Bescheide nichts an der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für den Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 30.09.2013.

141

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde. Der Kläger hat insbesondere nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der anteiligen tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

142

4.2.1 Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

143

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

144

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von empirica im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger und seiner Ehefrau geschuldete auswiesen.

145

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor.

146

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 09.11.2010 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Mit dem Aufforderungsschreiben wird auch - entgegen der „Produkttheorie“ - der Eindruck erweckt, die neue Wohnung dürfe unabhängig von den Kosten nicht mehr als 60 m² Wohnfläche aufweisen.

147

Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 09.11.2010 mitgeteilt und die Kostensenkung in den darauffolgenden Bescheiden vollzogen.

148

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst. Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

149

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

150

4.2.2 Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

151

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

152

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

153

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

154

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

155

4.3 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird.

VI.

156

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

157

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

158

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

159

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

160

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

161

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

162

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

163

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

164

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

165

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

166

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

167

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

168

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

169

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

170

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

171

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

172

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

173

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

174

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

175

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

176

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

177

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

178

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

179

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

180

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

181

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

182

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

183

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

184

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99).

185

Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

186

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

187

Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

188

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 - m.w.N. zur Veröffentlichung vorgesehen).

189

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt.

190

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

191

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

192

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

193

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

194

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

195

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

196

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

197

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

198

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

199

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

200

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

201

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

202

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

203

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

204

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

205

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

206

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

207

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

208

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

209

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

210

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetzestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

211

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

212

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

213

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

214

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

215

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

216

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

217

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

218

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

219

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

220

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

221

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

222

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

223

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

224

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

225

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

226

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

227

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

228

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

229

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

230

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich (vgl. ausführlich auch SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

231

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

232

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

233

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

234

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

235

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

236

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

237

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

238

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II). Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

239

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

240

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot (vgl. ausführlich SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

241

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

242

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

243

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

244

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

245

c) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist von wesentlicher Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

246

d) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

247

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

248

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

249

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

250

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

251

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

252

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

253

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

254

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

255

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

256

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

257

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

258

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

259

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

260

Das Land Rheinland-Pfalz hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

261

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

262

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

263

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

264

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

265

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

266

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

267

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

268

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte.

269

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

270

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

271

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

272

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

273

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

274

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

275

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

276

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

277

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

278

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

279

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

280

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

281

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

282

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

283

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

284

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

285

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

286

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

287

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

288

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

289

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

290

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

291

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

292

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

293

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

294

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

295

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

296

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

297

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

298

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

299

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

300

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

301

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

302

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

303

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

304

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

305

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

306

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

307

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

308

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

309

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

310

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

311

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

312

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

313

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

314

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046; vgl. ausführlich SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

315

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

316

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

317

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

318

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

319

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

320

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

321

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

322

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

323

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

324

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

325

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

326

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

327

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

328

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

329

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

330

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

331

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

332

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

333

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

334

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

335

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

336

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

337

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

338

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

339

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

340

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

341

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

342

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

343

So fehlt es an überzeugenden Begründungen für die vom BSG herangezogene „Produkttheorie“ (Bestimmung der Angemessenheitsgrenze durch Multiplikation der „angemessenen“ Wohnfläche mit dem „angemessenen“ Quadratmetermietpreis), für die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern, für die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, für die Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und für die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete bei fehlenden Ermittlungsmöglichkeiten. Auch fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. im Einzelnen SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

344

Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht auch, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

345

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

346

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

347

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

348

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

349

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

350

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

351

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig.

352

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

353

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

354

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

355

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

356

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 c), der in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

357

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

358

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

359

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

360

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

361

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

362

5.3.2 Der Ansatz einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

363

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

364

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

365

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) und des 1. Senats des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

366

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

367

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

368

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

369

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

370

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.3) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

371

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.4), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

372

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

373

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

374

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

375

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

376

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o. unter B. II. 2.3.5).

377

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

378

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

379

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt für den Mieter auch vor, wenn der gemietete Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Dies gilt auch, wenn der Mieter die Gefahr bringende Beschaffenheit bei Vertragsschluss gekannt oder darauf verzichtet hat, die ihm wegen dieser Beschaffenheit zustehenden Rechte geltend zu machen.

(2) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt ferner vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2a) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Absatz 1 liegt ferner vor, wenn der Mieter mit einer Sicherheitsleistung nach § 551 in Höhe eines Betrages im Verzug ist, der der zweifachen Monatsmiete entspricht. Die als Pauschale oder als Vorauszahlung ausgewiesenen Betriebskosten sind bei der Berechnung der Monatsmiete nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen. Einer Abhilfefrist oder einer Abmahnung nach § 543 Absatz 3 Satz 1 bedarf es nicht. Absatz 3 Nummer 2 Satz 1 sowie § 543 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(3) Ergänzend zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gilt:

1.
Im Falle des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a ist der rückständige Teil der Miete nur dann als nicht unerheblich anzusehen, wenn er die Miete für einen Monat übersteigt. Dies gilt nicht, wenn der Wohnraum nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet ist.
2.
Die Kündigung wird auch dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist.
3.
Ist der Mieter rechtskräftig zur Zahlung einer erhöhten Miete nach den §§ 558 bis 560 verurteilt worden, so kann der Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs des Mieters nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach rechtskräftiger Verurteilung kündigen, wenn nicht die Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung schon wegen der bisher geschuldeten Miete erfüllt sind.

(4) Der zur Kündigung führende wichtige Grund ist in dem Kündigungsschreiben anzugeben.

(5) Eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Mieters von den Absätzen 1 bis 3 dieser Vorschrift oder von § 543 abweicht, ist unwirksam. Ferner ist eine Vereinbarung unwirksam, nach der der Vermieter berechtigt sein soll, aus anderen als den im Gesetz zugelassenen Gründen außerordentlich fristlos zu kündigen.

(1) Gibt der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurück, so kann der Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist.

(2) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn

1.
der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat,
2.
der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder
3.
der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde; die Möglichkeit, durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete zu erzielen, bleibt außer Betracht; der Vermieter kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Mieträume im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder nach Überlassung an den Mieter erfolgten Begründung von Wohnungseigentum veräußern will.

(3) Die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters sind in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind.

(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

(1) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt für den Mieter auch vor, wenn der gemietete Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Dies gilt auch, wenn der Mieter die Gefahr bringende Beschaffenheit bei Vertragsschluss gekannt oder darauf verzichtet hat, die ihm wegen dieser Beschaffenheit zustehenden Rechte geltend zu machen.

(2) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt ferner vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2a) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Absatz 1 liegt ferner vor, wenn der Mieter mit einer Sicherheitsleistung nach § 551 in Höhe eines Betrages im Verzug ist, der der zweifachen Monatsmiete entspricht. Die als Pauschale oder als Vorauszahlung ausgewiesenen Betriebskosten sind bei der Berechnung der Monatsmiete nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen. Einer Abhilfefrist oder einer Abmahnung nach § 543 Absatz 3 Satz 1 bedarf es nicht. Absatz 3 Nummer 2 Satz 1 sowie § 543 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(3) Ergänzend zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gilt:

1.
Im Falle des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a ist der rückständige Teil der Miete nur dann als nicht unerheblich anzusehen, wenn er die Miete für einen Monat übersteigt. Dies gilt nicht, wenn der Wohnraum nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet ist.
2.
Die Kündigung wird auch dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist.
3.
Ist der Mieter rechtskräftig zur Zahlung einer erhöhten Miete nach den §§ 558 bis 560 verurteilt worden, so kann der Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs des Mieters nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach rechtskräftiger Verurteilung kündigen, wenn nicht die Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung schon wegen der bisher geschuldeten Miete erfüllt sind.

(4) Der zur Kündigung führende wichtige Grund ist in dem Kündigungsschreiben anzugeben.

(5) Eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Mieters von den Absätzen 1 bis 3 dieser Vorschrift oder von § 543 abweicht, ist unwirksam. Ferner ist eine Vereinbarung unwirksam, nach der der Vermieter berechtigt sein soll, aus anderen als den im Gesetz zugelassenen Gründen außerordentlich fristlos zu kündigen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

1.
dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird,
2.
der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet oder sie unbefugt einem Dritten überlässt oder
3.
der Mieter
a)
für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder
b)
in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 3 ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. Sie wird unwirksam, wenn sich der Mieter von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erklärt.

(3) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, so ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gilt nicht, wenn

1.
eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht,
2.
die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist oder
3.
der Mieter mit der Entrichtung der Miete im Sinne des Absatzes 2 Nr. 3 in Verzug ist.

(4) Auf das dem Mieter nach Absatz 2 Nr. 1 zustehende Kündigungsrecht sind die §§ 536b und 536d entsprechend anzuwenden. Ist streitig, ob der Vermieter den Gebrauch der Mietsache rechtzeitig gewährt oder die Abhilfe vor Ablauf der hierzu bestimmten Frist bewirkt hat, so trifft ihn die Beweislast.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte ist seit Dezember 2010 Mieter einer 140 qm großen Wohnung des Klägers in H.   . Die spätestens bis zum dritten Werktag eines jeden Monats im Voraus zu entrichtende Miete beläuft sich auf monatlich 1.100 € netto zuzüglich der Miete für die dazugehörige Garage in Höhe von 50 € sowie einer Betriebskostenvorauszahlung von 180 €.

2

Ab Oktober 2011 bezog der Beklagte Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Die seit Januar 2013 vom zuständigen Jobcenter für seine Unterkunft erhaltenen Zahlungen leitete er nicht an den Kläger weiter. Dieser kündigte daraufhin das Mietverhältnis unter dem 17. April 2013 wegen der bis dahin aufgelaufenen Mietrückstände fristlos. Mit seiner am 8. Juni 2013 zugestellten Klage hat er den Beklagten auf Zahlung der rückständigen Miete bis einschließlich Mai 2013 in Höhe von 6.650 € nebst Zinsen sowie auf Räumung der Wohnung in Anspruch genommen. Seine Mietzahlungspflicht hat der Beklagte anerkannt, so dass er durch rechtskräftiges Teilanerkenntnisurteil des Amtsgerichts insoweit antragsgemäß verurteilt worden ist.

3

Nach Zustellung der Klage beantragte der Beklagte bei dem für ihn bis dahin zuständigen Jobcenter die Übernahme der Mietschulden, was mit Rücksicht auf die Größe der Wohnung durch Bescheid vom 26. Juni 2013 abgelehnt wurde. Nachdem sein hiergegen erhobener Widerspruch erfolglos geblieben war, begehrte der Beklagte unter dem 23. Juli 2013 bei dem zuständigen Sozialgericht einstweiligen Rechtsschutz. Dieses verpflichtete das Jobcenter durch einstweilige Anordnung vom 8. August 2013, zur Abwendung der Räumungsklage die vom Kläger eingeklagte rückständige Miete sowie darüber hinaus die fällige Miete beziehungsweise Nutzungsentschädigung zu zahlen; zugleich wurde dem Jobcenter aufgegeben, noch am selben Tage gegenüber dem Kläger eine entsprechende Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Jobcenter gab die geforderte Verpflichtungserklärung in der Folge ab, zahlte jedoch an den Kläger lediglich die eingeklagte Miete von Januar bis Mai 2013.

4

Seit Juni 2013 stehen dem Beklagten Sozialleistungen nach dem SGB XII zu, für deren Bewilligung nicht mehr das Jobcenter, sondern die Stadt H.    zuständig ist. Diese bewilligte ihm wegen Bedenken gegen die Angemessenheit der Unterkunftskosten durch Bescheid vom 26. August 2013 lediglich den Regelsatz. Hiergegen erhob der Beklagte am 5. September 2013 Widerspruch. Auf Antrag des Beklagten wurde die Stadt H.    durch Beschluss des zuständigen Sozialgerichts vom 30. April 2014 im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, die Kosten der Unterkunft des Beklagten für die Zeit von November 2013 bis Juni 2014 zu tragen.

5

Im vorliegenden Rechtsstreit hat das Amtsgericht der Räumungsklage mit Schlussurteil vom 2. Oktober 2013 stattgegeben. Hierbei ist es zwar davon ausgegangen, dass die Kündigung des Klägers vom 17. April 2013 durch die Verpflichtung des Jobcenters, die rückständigen Mieten auszugleichen, gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden ist. Zugleich hat es jedoch eine auf die rückständige Miete für die Monate Juni bis August 2013 gestützte weitere fristlose Kündigung des Klägers vom 30. August 2013 für wirksam erachtet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagen hat keinen Erfolg gehabt, nachdem der Kläger das Mietverhältnis wegen der von Oktober 2013 bis März 2014 ausgebliebenen Miete unter dem 12. März 2014 und wegen der von Juli 2013 bis April 2014 ausgebliebenen Miete unter dem 17. April 2014 erneut fristlos gekündigt hatte. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren hinsichtlich der Räumungsklage weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

8

Zwar sei die Kündigung vom 30. August 2013 wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam. Denn das Jobcenter habe sich zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gegenüber dem Kläger verpflichtet, die rückständige Miete jedenfalls bis August 2013 auszugleichen; die Vermögensinteressen des Klägers seien deshalb nicht ernsthaft gefährdet gewesen, auch wenn eine Zahlung für die Monate Juni bis August 2013 zum Kündigungszeitpunkt noch nicht erfolgt sei. Allerdings sei das Mietverhältnis durch die anschließende Kündigung vom 12. März 2014 wirksam beendet worden, auf die sich der Kläger ungeachtet der verweigerten Einwilligung des Beklagten im Wege einer sachdienlichen Klageänderung hilfsweise gestützt habe und die er im Wege einer wirksam erhobenen Anschlussberufung auch noch zum Gegenstand seines Räumungsbegehrens habe machen können. Denn der Beklagte sei auch mit der Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug geraten, so dass hierauf gestützt der Kläger gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB erneut habe kündigen können.

9

Der Annahme eines dafür erforderlichen Zahlungsverzugs stehe nicht entgegen, dass der Beklagte rechtzeitig die entsprechenden Anträge beim zuständigen Sozialamt gestellt und ein sozialgerichtliches Verfahren angestrengt habe, nachdem das Sozialamt sich geweigert habe, die Kosten für die Unterkunft zu tragen. Denn für seine finanzielle Leistungsfähigkeit habe ein Schuldner - wie der Beklagte - verschuldensunabhängig einzustehen. Eine Fallgestaltung, bei der nach einer in der Instanzrechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung das Ausbleiben der Mietzahlung ausnahmsweise entschuldigt sein könne, weil der Mieter auf die Mietzahlung durch das Sozialamt habe vertrauen können und von deren Ausbleiben überrascht worden sei oder weil er sonst unabwendbar durch unvorhergesehene Umstände an einer rechtzeitigen Zahlung gehindert gewesen sei, sei hier nicht gegeben. Soweit in der Instanzrechtsprechung auch für die hier gegebene Konstellation bisweilen die Auffassung anklinge, der im Leistungsbezug der ARGE [heute gemäß § 6d SGB II: Jobcenter] stehende Mieter habe mit der rechtzeitigen Leistungsbeantragung alles ihm Obliegende und Zumutbare getan, um die ARGE zur pünktlichen Zahlung der geschuldeten Miete an den Vermieter zu veranlassen und mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip dadurch seinem Beschaffungsrisiko genügt, könne dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil auch das Sozialstaatsprinzip nicht so weit gehe, dass es die Verantwortung für den hilfebedürftigen Mieter dem Vermieter anstelle der staatlichen Gemeinschaft aufbürde.

10

Die am 12. März 2014 ausgesprochene Kündigung sei auch nicht durch den Beschluss des Sozialgerichts vom 30. April 2014 unwirksam geworden. Abgesehen davon, dass dieser Beschluss nicht alle der Kündigung zugrunde liegenden Zahlungsrückstände erfasst habe, habe § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB der Gewährung einer erneuten Schonfrist entgegengestanden, da bereits die Kündigung vom 17. April 2013 nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden sei.

II.

11

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

12

Das Berufungsgericht hat den Räumungsanspruch des Klägers (§ 546 Abs. 1 BGB) rechtsfehlerfrei für begründet erachtet, weil das Mietverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 12. März 2014 wirksam beendet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte mit der Entrichtung der Miete (§ 535 Abs. 2 BGB) für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug, so dass ein für die ausgesprochene fristlose Kündigung erforderlicher wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB vorgelegen hat.

13

1. Das Berufungsgericht durfte - anders als die Revision meint - über das auf die Kündigung des Klägers vom 12. März 2014 gestützte Räumungsbegehren in der Sache entscheiden. Denn der Kläger hat diesen Klagegrund zulässigerweise im Wege der Anschlussberufung (§ 524 ZPO) in das Berufungsverfahren eingeführt.

14

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine hilfsweise Klageänderung vorgelegen hat, als der Kläger im Berufungsrechtszug sein Räumungsbegehren nunmehr auch auf die Kündigung vom 12. März 2014 gestützt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, Urteile vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, GRUR 2012, 180 Rn. 19; vom 7. Dezember 2007 - V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 Rn. 15; jeweils mwN). Dementsprechend hat der Kläger, der erstinstanzlich mit dem auf die Kündigung vom 30. August 2013 gestützten Räumungsbegehren durchgedrungen war, dadurch, dass er dieses Begehren zusätzlich mit der Kündigung vom 12. März 2014 unterlegt hat, einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt, nämlich ein Räumungsbegehren, das hilfsweise auf diese erneute Kündigung und den darin geltend gemachten Kündigungsgrund gestützt war (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2012 - VIII ZR 157/12, GE 2013, 117 Rn. 8). Die auf diese Weise herbeigeführte nachträgliche (Eventual-)Klage-häufung (§ 260 ZPO) ist deshalb wie eine Klageänderung im Sinne der §§ 263, 533 ZPO mit den dafür geltenden Regeln zu behandeln (vgl. BGH, Urteile vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 8; vom 10. Januar 1985 - III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 unter 4; jeweils mwN; BGH, Beschluss vom 20. November 2012 - VIII ZR 157/12, aaO).

15

b) Den neuen Klagegrund konnte und musste der Kläger zweitinstanzlich im Wege eines Anschlussrechtsmittels in den Rechtsstreit einführen. Denn der Berufungsbeklagte, der seine in erster Instanz erfolgreiche Klage erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will, muss sich dazu gemäß § 524 ZPO der Berufung der Gegenseite anschließen. Das gilt entgegen der Auffassung der Revision auch dann, wenn - wie hier - die Einführung des neuen Klagegrundes eine Änderung des Sachantrags nicht erforderlich macht. Auch in einem solchen Fall will nämlich der Berufungsbeklagte, der im Berufungsrechtszug seine Klage auf einen anderen Klagegrund stützt, damit mehr erreichen als die bloße Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über den mit der Klage verfolgten Anspruch (BGH, Urteile vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, aaO Rn. 22; vom 7. Dezember 2007 - V ZR 210/06, aaO).

16

c) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Anschlussberufung auch sonst den Anforderungen des § 524 ZPO genügt. Insoweit erhebt auch die Revision keine Beanstandungen. Insbesondere ist es unschädlich, dass der Kläger, als er sich in seiner Berufungserwiderung auf die spätere Kündigung gestützt hat, dieses Vorgehen nicht als Anschlussberufung bezeichnet hat. Für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels ist keine dahingehende ausdrückliche Erklärung erforderlich. Es genügt vielmehr jede Erklärung, die sich ihrem Sinn nach als Begehren auf Abänderung des Urteils erster Instanz darstellt. Dementsprechend kann der Anschluss an das Rechtsmittel der Gegenseite auch konkludent in der Weise erfolgen, dass der Kläger - wie im Streitfall - sein im Übrigen unverändertes Klagebegehren auf einen weiteren Klagegrund stützt (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, aaO Rn. 26).

17

2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass der Beklagte bei Ausspruch der Kündigung vom 12. März 2014 mit der Zahlung der Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug war. Dass der Beklagte, um die Miete entrichten zu können, auf Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle angewiesen war und diese Leistungen rechtzeitig beantragt hatte, ändert an dem - neben den hier gegebenen Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB für einen Verzugseintritt erforderlichen - Vertretenmüssen (§ 286 Abs. 4 BGB) ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass der zuständige Träger der Sozialhilfe nach Kündigungsausspruch zur Übernahme der Mietschulden verpflichtet worden ist.

18

a) Zur Verantwortlichkeit des Schuldners und damit auch zu der von § 286 Abs. 4 BGB geforderten Zurechnung einer Nichtleistung trotz Fälligkeit sieht § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB vor, dass der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Eine solche strengere Haftung besteht aber nach allgemeiner Auffassung bei Geldschulden. Danach befreit eine Leistungsunfähigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, um die es hier geht, den Schuldner auch dann nicht von den Folgen des Ausbleibens der (rechtzeitigen) Leistung, wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruht. Vielmehr hat jedermann nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, das § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB genauso zugrunde liegt wie der Vorgängerregelung des § 279 BGB aF und das im Übrigen auch aus dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht abzuleiten ist, ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (BGH, Urteile vom 28. Februar 1989 - IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92, 102 mwN; vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, WM 2002, 347 unter II 3 b; vom 15. März 2002 - V ZR 396/00, BGHZ 150, 187, 194; ebenso auch BT-Drucks. 14/6040, S. 132).

19

b) Dieses Verständnis des Vertretenmüssens im Falle mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit gilt auch für Mietzahlungspflichten und die bei Ausbleiben der Miete bestehenden Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters aus wichtigem Grund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB (Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04, NZM 2005, 334 unter II 2 d cc; Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearb. 2014, § 543 Rn. 56a; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 543 BGB Rn. 96 f.; Wiek, WuM 2010, 204, 205; jeweils mwN). Soweit in der Instanzrechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten oder jedenfalls erwogen wird, ein Mieter, der Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle beziehe, genüge seinen Pflichten zur Beschaffung der zur Entrichtung der Miete benötigten Geldmittel bereits dann, wenn er alles ihm Obliegende und Zumutbare getan habe, um die öffentliche Stelle zur pünktlichen Zahlung der für seine Unterkunft geschuldeten Miete zu veranlassen (LG Bonn, Beschluss vom 10. November 2011 - 6 T 198/11, juris Rn. 5; Urteil vom 6. November 2014 - 6 S 154/14, juris Rn. 15; LG Wiesbaden, WuM 2012, 623, 624; ähnlich LG Berlin, NZM 2013, 121, 122; WuM 2014, 607 f.), trifft dies nicht zu.

20

aa) Zwar braucht sich - wie der Senat klargestellt hat - ein hilfebedürftiger Wohnungsmieter die Säumnis einer öffentlichen Stelle, die die Kosten seiner Unterkunft zu übernehmen hat, nicht gemäß § 278 BGB als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen. Denn eine Behörde, die im Rahmen der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen an einen Bürger erbringt, ist hierbei nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinem Vermieter (Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781 Rn. 30). Das ändert entgegen der Auffassung der Revision aber nichts daran, dass der Mieter verschuldensunabhängig für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat.

21

Dementsprechend sind auch die nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB allein auf den Umstand des Zahlungsverzugs abstellenden Kündigungsgründe vom Gesetzgeber so konzipiert worden, dass sie - anders als § 543 Abs. 1, § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (dazu Senatsurteile vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04, aaO; vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, aaO Rn. 26) - eine Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen grundsätzlich nicht zulassen (Senatsurteil vom 15. April 1987 - VIII ZR 126/86, WM 1987, 932 unter II 1 c). Vielmehr ist danach bei Vorliegen der Tatbestände des § 543 Abs. 2 BGB allein aus diesem Grund eine außerordentliche fristlose Kündigung möglich, ohne dass die in § 543 Abs. 1 BGB genannten Abwägungsvoraussetzungen noch zusätzlich erfüllt sein müssen. Denn nach der Gesetzessystematik und den ihr zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen handelt es sich bei den in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BGB aufgeführten, die (objektive) Verletzung bestimmter mietrechtlicher (Kardinal-)Pflichten von erheblichem Gewicht betreffenden Kündigungsgründen um gesetzlich typisierte Fälle der Unzumutbarkeit einer weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses. Soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind, ist danach grundsätzlich auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung gegeben (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020 Rn. 15; vom 29. April 2009 - VIII ZR 142/08, NJW 2009, 2297 Rn. 16 mwN; vom 26. März 1969 - VIII ZR 76/67, WM 1969, 625 unter IV 3 c).

22

bb) Gegenläufige Wertungskriterien, die eine abweichende rechtliche Beurteilung der aufgrund mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit des Mieters und seines Angewiesenseins auf öffentliche Sozialleistungen ausgebliebenen Mietzahlungen und einer hierauf gestützten Kündigung tragen könnten, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere steht der von ihr hervorgehobene Umstand, dass der Beklagte bei dem für ihn zuständigen Sozialhilfeträger rechtzeitig die Übernahme seiner Wohnungskosten beantragt und dieser die Übernahme - wie revisionsrechtlich zu unterstellen ist - zunächst zu Unrecht verweigert hatte, einer Wirksamkeit der Kündigung des Klägers vom 12. März 2014 nicht entgegen.

23

Der Gesetzgeber, der es seit langem als eine in der Sozialstaatsverpflichtung des Art. 20 Abs. 1 GG angelegte Aufgabe begreift, den vertragstreuen Mieter vor willkürlichen beziehungsweise vor nicht von berechtigten Interessen des Vermieters getragenen Kündigungen und damit dem Verlust seiner Wohnung zu schützen (vgl. nur BT-Drucks. 7/2011, S. 7), hat die in Rede stehende Problemlage gesehen, sie jedoch nicht dadurch zu bereinigen versucht, dass er - abweichend von den sonst geltenden rechtlichen Maßstäben - die Anforderungen an die Leistungspflichten des Mieters und ein Vertretenmüssen von Mietzahlungsrückständen zu Lasten des Vermieters herabgesetzt und dadurch die Kündigungsvoraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB verändert hat. Er hat dem Interesse des durch einen erheblichen Mietrückstand vertragsuntreu gewordenen Mieters an einem Erhalt der gemieteten Wohnung vielmehr dadurch Rechnung getragen, dass er ihm - allerdings vorrangig zum Zwecke der im allgemeinen Interesse liegenden Vermeidung von Obdachlosigkeit - durch § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB genauso wie zuvor schon durch § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB aF die Möglichkeit zur einmaligen Nachholung rückständiger Mietzahlungen innerhalb von zwei Jahren eingeräumt hat, um bei deren Einhaltung eine auf den eingetretenen Mietzahlungsverzug gestützte Kündigung unwirksam werden zu lassen (BT-Drucks. 14/4553, S. 64).

24

Zugleich hat der Gesetzgeber es bei Verfolgung dieses Ziels genügen lassen, dass eine Befriedigung des Vermieters nicht sofort, wie in § 535 Abs. 2, § 556b Abs. 1 BGB vorgesehen, durch Entrichtung der bis dahin fälligen Miete oder Entschädigung, sondern durch Vorlage der entsprechenden Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle erfolgt (vgl. bereits BT-Drucks. IV/806, S. 10). Aufgrund der Erkenntnis, dass sich die ursprünglich vorgesehene Nachholungsfrist von einem Monat für die Sozialhilfebehörden häufig als zu kurz erwiesen hat, hat er, um diesen Behörden ein auf die Vermeidung von Obdachlosigkeit finanziell schwacher Mieter gerichtetes Tätigwerden zu erleichtern, bei Schaffung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB schließlich die Schonfrist für die Nachholung der Zahlung der rückständigen Miete und der fälligen Nutzungsentschädigung oder der Vorlage einer entsprechenden Verpflichtungserklärung um einen Monat auf zwei Monate verlängert (BT-Drucks. 14/4553, aaO; vgl. dazu auch Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020 Rn. 21).

25

Durch diese Sonderregelung (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, aaO) hat der Gesetzgeber - allerdings abschließend - im allgemeinen Interesse zugleich auch dem Anliegen eines leistungsunfähigen Mieters, eine auf einen erheblichen Mietzahlungsverzug gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nachträglich ungeschehen zu machen und ihm so die gemietete Wohnung zu erhalten, Rechnung getragen (im Ergebnis ebenso Schmidt-Futterer/Blank, aaO Rn. 97). Die dem Mieter auf diese Weise kraft Gesetzes einmalig eingeräumte Nachfrist zur Beschaffung der zur Mietzahlung erforderlichen Mittel, zumindest aber zur Herbeiführung der erforderlichen Verpflichtungserklärung, kann entgegen der Auffassung der Revision deshalb nicht dahin erweitert werden, dass über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinaus bereits die Beantragung der zur Erbringung der Mietzahlungen erforderlichen öffentlichen Mittel genügen soll. Denn die damit verbundene Ungewissheit, den Gebrauch der Mietsache weiterhin gewähren zu müssen, ohne als Gegenleistung zumindest die Sicherheit einer Begleichung der bis dahin fälligen Mietrückstände zu haben, hat der Gesetzgeber dem Vermieter über den zweimonatigen Schonfristzeitraum hinaus gerade nicht mehr aufbürden wollen.

26

c) Da nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bereits die unter dem 17. April 2013 wegen der bis dahin seit Januar 2013 aufgelaufenen Mietrückstände ausgesprochene fristlose Kündigung durch die im August 2013 abgegebene Verpflichtungserklärung des Jobcenters gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden war, kommt auch eine erneute Anwendung dieser Bestimmung hinsichtlich der auf den weiteren Mietzahlungsverzug im Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2014 gestützten Kündigung vom 12. März 2014 von vornherein nicht mehr in Betracht (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB). Das Mietverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung vielmehr wirksam beendet worden.

Dr. Milger                            Dr. Hessel                        Dr. Achilles

                    Dr. Bünger                            Kosziol

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

84

5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

85

5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

87

5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn

1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist,
2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist oder
3.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 ist auf Antrag vorläufig zu entscheiden.

(2) Eine vorläufige Entscheidung ist nur auf Antrag der berechtigten Person für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.

(3) Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten; auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachtes Kurzarbeitergeld und Wintergeld ist vom Arbeitgeber zurückzuzahlen.

(4) Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 und 3, Absatz 2 sowie Absatz 3 Satz 1 und 2 sind für die Erstattung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung entsprechend anwendbar.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn

1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist,
2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist oder
3.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 ist auf Antrag vorläufig zu entscheiden.

(2) Eine vorläufige Entscheidung ist nur auf Antrag der berechtigten Person für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.

(3) Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten; auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachtes Kurzarbeitergeld und Wintergeld ist vom Arbeitgeber zurückzuzahlen.

(4) Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 und 3, Absatz 2 sowie Absatz 3 Satz 1 und 2 sind für die Erstattung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung entsprechend anwendbar.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 - auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art 70 Abs 1, 2 VO (EG) 883/2004?

2. Falls 1) bejaht wird: Sind - gegebenenfalls in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich, nach denen der Zugang zu diesen Leistungen ausnahmslos nicht besteht, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt?

3. Steht Art 45 Abs 2 AEUV in Verbindung mit Art 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegen, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung mit dem Aufnahmestaat verweigert?

II. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.

Gründe

1

A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

2

I. Streitgegenstand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Monat Mai 2012.

3

II. Sachverhalt
Die Kläger sind schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu 1) reiste im Juni 2010 erneut mit ihren Kindern, der im Mai 1994 geborenen Klägerin zu 2) und den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen Klägern zu 3) und 4), in die Bundesrepublik ein. Die Kinder sind in Deutschland geboren. Den Klägern wurde am 1.7.2010 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU erteilt. Nach ihrer Einreise bezog die Klägerin zu 1) Kindergeld für die Kläger zu 2) bis 4). Die erwerbsfähigen Klägerinnen zu 1) und 2) waren seit Juni 2010 in kürzeren Beschäftigungen bzw Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig, jedoch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übrigen bezogen sämtliche Kläger SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die zuletzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 bewilligt wurden (Bescheid vom 9.9.2011, Änderungsbescheide vom 26.11.2011 und 9.12.2011). Die Klägerinnen zu 1) und 2) erhielten Alg II; die Kläger zu 3) und 4) Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Bei der Leistungsbewilligung ging das beklagte Jobcenter (SGB II-Leistungsträger) davon aus, dass die Ausschlussregelung für arbeitsuchende Unionsbürger (§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II)nicht anwendbar gewesen sei, weil sie bei den Klägern als schwedische Staatsangehörige durch das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) verdrängt worden sei.

4

Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik im November 2011 erklärten Vorbehalt zum EFA hob der Beklagte die Bewilligung für den Monat Mai 2012 für die Klägerin zu 1) und ihre minderjährigen Kinder in vollem Umfang auf (Bescheid vom 2.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 29.6.2012). Das SG hat diesen Aufhebungsbescheid aufgehoben (Urteil vom 19.12.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Kläger könnten auch im Mai 2012 weiterhin SGB II-Leistungen beanspruchen. Eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen sei nicht eingetreten. Zwar könnten sich die Klägerinnen zu 1) und 2) nach Beendigung der Beschäftigungen Mitte 2011 in dem streitigen Aufhebungsmonat Mai 2012 ausschließlich auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen. Der deutsche Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II greife jedoch nicht, weil Art 4 VO (EG) 883/2004 jede Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bei den hier vorliegenden besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage. Ein Wertungswiderspruch zu dem nur eingeschränkt möglichen Bezug von "Sozialhilfeleistungen" nach der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG (insbesondere deren Art 24 Abs 2) bestehe nicht. Zudem verdränge das speziellere Gleichbehandlungsgebot nach Art 1 EFA weiterhin die Ausschlussregelung, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt nicht durch ein Gesetz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert bzw wirksam gemacht worden sei.

5

Mit seiner Sprungrevision macht das beklagte Jobcenter geltend, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen EG-Recht, weil es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um "Sozialhilfeleistungen" im Sinne des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG handele und ein Leistungsausschluss für Arbeitsuchende hiernach möglich sei. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätten nicht den Zweck, den Arbeitsmarkzugang zu erleichtern, sondern dienten der Existenzsicherung. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sehe das SGB II für Arbeitsuchende in den §§ 16 ff SGB II weitere Leistungen vor, die gesondert erbracht würden. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen die VO (EG) Nr 883/2004. Der Leistungsausschluss verstoße auch nicht gegen das EFA, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei. Wegen der fehlenden Beteiligung mehrerer Völkerrechtssubjekte könne der einseitige Vorbehalt der Bundesregierung nicht als Vertrag im Sinne des Art 59 Abs 2 S 1 GG angesehen werden und sei verfassungsgemäß.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

8

III. Nationaler Rechtsrahmen

9

1. Anspruchsvoraussetzungen für SGB II-Leistungen
Die Verwaltungsakte, mit denen das beklagte Jobcenter den Klägern die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 bewilligte, waren bei ihrem Erlass rechtmäßig. Die Klägerinnen zu 1) und 2) erfüllten im Bewilligungszeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II; hieraus leiteten sich die Ansprüche der minderjährigen Kläger zu 3) und 4) ab. Der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II stand ihrem Anspruch zunächst nicht entgegen, weil dieser durch Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens verdrängt wurde.

10

Nach der innerstaatlichen Regelung des § 19 Abs 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Alg II (Satz 1). Nichterwerbsfähige minderjährige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld (Satz 2). § 7 SGB II(idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011, BGBl I 850 ff) bestimmt die Leistungsberechtigten wie folgt:

11

§ 7 Leistungsberechtigte
 (1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
 2. erwerbsfähig sind,
 3. hilfebedürftig sind und
 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
 (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind
 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, …
 (2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. ..
 (3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
 1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
 2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, …

12

Da die minderjährigen Kläger zu 3) und 4) die Altersgrenze des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II noch nicht erreicht hatten, ergibt sich bei ihnen eine abgeleitete Anspruchsberechtigung auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Gestalt des Sozialgeldes(§ 7 Abs 2 und 3 SGB II). Bei den Klägerinnen zu 1) und 2) lagen im gesamten Bewilligungszeitraum vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II vor. Sie waren hilfebedürftig und erwerbsfähig. Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zur Erwerbsfähigkeit von Ausländerinnen und Ausländern bestimmt § 8 Abs 2 SGB II, dass diese im Sinne von § 8 Abs 1 SGB II nur erwerbstätig sein können, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (Satz 1). Insofern ist auf die abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen (§ 8 Abs 2 S 2 SGB II; vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 15). Als schwedische Staatsangehörige benötigten die Klägerinnen wegen der ihnen zustehenden uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Beschäftigungsaufnahme keine Arbeitsgenehmigung.

13

Sämtliche Kläger hatten auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Vorliegen eines "gewöhnlichen Aufenthalts" in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen ("faktischen") Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Ein in anderen innerstaatlichen Sozialgesetzen zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw - für nicht EU-Bürger - eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthaltsG enthält § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II ausdrücklich nicht(vgl im Einzelnen: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff mwN). Den am 1.7.2010 erteilten Freizügigkeitsbescheinigungen (§ 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern vom 30.7.2004 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.2.2008 ; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ) kommt nach innerstaatlicher Rechtsprechung eine nur deklaratorische Bedeutung für das sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zu (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwG Urteil vom 10.11.1999 - 6 C 30/98 - BVerwGE 110, 40, 53).

14

2. Leistungsausschluss bei arbeitsuchenden Unionsbürgern und Europäisches Fürsorgeabkommen

15

Der Anspruch der Klägerinnen zu 1 und 2 auf Alg II und damit auch der Kläger zu 3 und 4 auf Sozialgeld war - allein nach Maßgabe der Regelungen des SGB II - in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Anwendbarkeit dieser Ausschlussregelung erfordert eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe der Aufenthaltsberechtigung nach dem FreizügG/EU. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 22 ff). Aus der Entstehungsgeschichte der Regelung ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber zeitgleich mit der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger mit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG Gebrauch machen wollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13).

16

Für die Prüfung der Frage, welches Aufenthaltsrecht bei den Klägerinnen zu 1 und 2 in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 vorlag, ist § 2 FreizügG/EU von Bedeutung:

17

§ 2 FreizügG/EU (Recht auf Einreise und Aufenthalt)
 (1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
 (2) Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:
 1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,…….
 (3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei
 1. vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall,
 2. unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit,
 3. Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
 Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt.

18

Dem Gesamtzusammenhang der für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) ist zu entnehmen, dass sich die Klägerinnen zu 1 und 2 nicht mehr auf ein (fortwirkendes) Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerinnen nach § 2 FreizügG/EU berufen konnten. Sie waren seit Juni 2010 nur in kürzeren Beschäftigungen bzw in Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig und seit Mai 2011 nicht mehr abhängig oder selbständig tätig. Der Senat geht daher davon aus, dass die Erwerbstätigeneigenschaft der Klägerinnen nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG iVm Art 7 Abs 3 Buchst c) RL 2004/38/EG - zumindest im streitigen Aufhebungszeitraum Mai 2012, aber auch schon seit Beginn der SGB II-Bewilligung ab Dezember 2011 - nicht aufrechterhalten geblieben ist(vgl auch EuGH Urteil vom 4.6.2009, Rs C-22/08/C-23/08 - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 31).

19

Nach den gleichfalls für den Senat bindenden Feststellungen des SG waren die Klägerinnen aber weiterhin als Arbeitsuchende iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU anzusehen. Sie haben im Inland kurzzeitige Beschäftigungen ausgeübt bzw an Arbeitsgelegenheiten teilgenommen, weshalb eine Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen um Erwerbstätigkeiten trotz Zeitablaufs von sechs Monaten nicht anzunehmen war (EuGH Urteil vom 26.2.1991, Rs C-292/89 , Slg 1991, I-745-780; EuGH Urteil vom 23.3.2004, Rs C-138/02 - Slg 2004, I-2703; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 61 mwN; Bayerischer VGH Beschluss vom 16.1.2009 - 19 C 08.3271 - InfAuslR 2009, 144).

20

Der innerstaatliche Anspruchsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II fand daher auf die arbeitsuchenden Klägerinnen zu 1 und 2 grundsätzlich Anwendung. Sie hatten in dem Bewilligungszeitraum ab 1.12.2011 dennoch zunächst einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, weil der Anspruchsausschluss durch Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (Gesetz zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 vom 15.5.1956, BGBl II 563) verdrängt wurde. Dies beruhte auf der Umsetzung des Urteils des BSG vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21) durch die Jobcenter. Das BSG hatte entschieden, dass die Verpflichtung aus Art 1 EFA, Staatsangehörigen anderer vertragsschließender Staaten, die sich im Staatsgebiet erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie Bundesbürgern "Fürsorgeleistungen" zu leisten, auch die Erbringung von Leistungen der Grundsicherung nach den §§ 19 ff SGB II beinhalte.

21

3. Aufhebung der Leistungsbewilligung

22

Im Hinblick auf diese Leistungsbewilligung unter Zugrundelegung von Art 1 EFA ist im Mai 2012 eine Änderung eingetreten, die das beklagte Jobcenter nach § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) berechtigte, die anfänglich rechtmäßige laufende Bewilligung der SGB II-Leistungen aufzuheben. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

23

Eine solche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt hier darin, dass die Bundesregierung am 19.12.2011 gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA einen Vorbehalt nach Art 16 Abs b EFA angebracht hat. Der Vorbehalt (idF der Bekanntmachung vom 31.1.2012 in BGBl II 144, berichtigt durch Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 3.4.2012 in BGBl II 470) hat folgenden Inhalt: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden." Auf der Grundlage von Art 16 Abs c EFA ist dieser Vorbehalt den Mitgliedern des Europarates durch Veröffentlichung auf den aktuellen Seiten des Europarates mitgeteilt worden. Der Senat geht nach seiner Vorprüfung im Rahmen des Vorlageverfahrens davon aus, dass der Vorbehalt wirksam ist. Die Erbringung von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII als Fürsorge im Sinne von Art 1 EFA ist nicht ausgeschlossen. Das innerstaatliche Recht dürfte entsprechend auszulegen sein.

24

B. Vorlagefragen und Entscheidungserheblichkeit

25

I. Unionsrechtlicher Rechtsrahmen

26

Es finden die Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der Fassung des Vertrags von Lissabon vom 13.12.2007 (BGBl II 2008, 1038) Anwendung. Weiter gilt für den vorliegenden Sachverhalt die VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die mit Wirkung zum 1.5.2010, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009, die VO (EWG) Nr 1408/71 abgelöst hat (Art 91 VO 883/2004, Art 97 VO 987/2009). Schließlich ist die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, von Bedeutung.

27

Der Senat setzt das Verfahren nach Art 267 Abs 1 und Abs 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aus, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den eingangs formulierten Vorlagefragen einzuholen. Der Senat hat Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts (Art 267 Abs 2 AEUV).

28

II. Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren

29

Die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen sind zur Überzeugung des Senats für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich. Würde die vorgelegte Frage 1 bejaht und die Frage 2 verneint, hätte die Revision des beklagten Jobcenters voraussichtlich keinen Erfolg und die positive Entscheidung des Sozialgerichts würde bestätigt. Würde die Frage 1 verneint, aber die Frage 3 bejaht, wäre die Revision aus anderen Gründen zurückzuweisen. Dagegen wäre die Revision des beklagten Jobcenters voraussichtlich erfolgreich, wenn die Fragen 1 und 3 verneint würden.

30

Der Ausgang des Rechtsstreits hängt davon aus, ob die Ausschlussregelung des Art 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II mit europäischem Primär- und Sekundärrecht vereinbar ist. Nachfolgend werden die Zweifel des Senat an der Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts (Art 267 Abs 2 AEUV), die für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sind, anhand der Vorlagefragen erläutert. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht darauf hinweisen, dass die Auslegungsfragen Gegenstand zahlreicher und in der Auslegung europäischen Rechts unterschiedlicher sozialgerichtlicher Entscheidungen, zumeist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind, die nachfolgend nur exemplarisch wiedergegeben werden können.

31

Ein Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II könnte (weiterhin) bestanden haben, wenn die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auf die Klägerinnen zu 1 und 2 schon wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 unanwendbar war. Als Rechtsfolge des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens kommt in Betracht, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe, also hier den Klägerinnen zu 1) und 2) als Unionsbürgerinnen anderer Mitgliedstaaten, die SGB II-Leistungen unter denselben Bedingungen wie deutschen Staatsangehörigen, also unter vollständigem Wegfall der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II, zu erbringen sind, solange keine geeignete und nicht diskriminierende Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind(vgl EuGH Urteil vom 22.6.2011 - Rs C-399/09 , Slg 2011, I-5573 ff).

32

Die Klägerin zu 1) - und damit auch die Kläger zu 2) bis 4) als deren Familienangehörige - unterfallen dem persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004. Nach Art 2 Abs 1 VO (EG) 883/2004 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten sowie für ihre Familienangehörigen. Unter "Rechtsvorschriften" sind nach Art 1 Buchst I VO(EG) 883/2004 für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art 3 Abs 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit zu verstehen. Damit wird ein Bezug des Betreffenden zu einem Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem in einem der Mitgliedstaaten gefordert. Wie das SG festgestellt hat, ist der persönliche Anwendungsbereich bereits deshalb eröffnet, weil die Klägerin zu 1) für die weiteren Kläger Kindergeld, also eine Familienleistung im Sinne von Art 3 Abs 1 Buchst j VO (EG) 883/2004 iVm Art 1 Buchst z VO(EG) 883/2004, bezogen hat.

33

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art 70 VO (EG) 883/2004. Durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) als Voraussetzung für die Leistungsberechtigung eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft besteht ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit iS des Art 3 Abs 1 Buchst h VO (EG) 883/2004. Anders als die beitragsbezogene Versicherungsleistung des Alg I nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, aber unabhängig von Beschäftigungs-, Mitglieds- oder Beitragszeiten gewährt und haben keine an den bisherigen Verdienst anknüpfende Entgeltersatzfunktion. Die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hängt allein vom Vorliegen von Bedürftigkeit ab. Es erfolgt eine beitragsunabhängige Finanzierung durch Steuermittel (vgl hierzu ausführlich: BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 14/10 R - BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22, RdNr 17 ff mwN; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 29).

34

Ob das Gleichbehandlungsgebot nach Art 4 VO (EG) 883/2004 nach seinem sachlichen Anwendungsbereich - mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 - auch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen anwendbar ist, hängt davon ab, wie der Begriff der "Rechtsvorschriften" in Art 4 VO (EG) 883/2004 auszulegen ist. Es sind verschiedene Auslegungen denkbar. Insofern wird dieser Begriff in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung dahin verstanden, dass nur die Rechtsvorschriften iS der Legaldefinition des Art 1 lit I VO (EG) 883/2004 erfasst sind und sich das Gleichbehandlungsgebot nur auf die im Einzelnen aufgeführten Zweige der sozialen Sicherheit nach Art 3 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bezieht (vgl zB LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 21.8.2012 - L 3 AS 250/12 B ER - NZS 2013, 34 ff, juris RdNr 21 ff). Für diese Ansicht spricht, dass sich der Begriff der Rechtsvorschriften in Art 1 Buchst j VO (EWG) 1408/71 nach der abweichenden Systematik der Regelungen zu den beitragsunabhängigen Sonderleistungen nach der früheren VO (EWG) 1408/71 - neben den in Art 4 Abs 1 und 2 dieser Verordnung genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit - ausdrücklich auf die in Art 4 Abs 2a der VO (EWG) 1408/71 näher definierten beitragsunabhängigen Sonderleistungen bezog. Die nunmehr in Art 3 Abs 3 VO (EG) 883/2004 enthaltene Bezugnahme auf Art 70 VO (EG) 883/2004 beinhaltet nach dieser Ansicht, dass eine Sozialrechtskoordinierung bei den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen ausschließlich nach den Bestimmungen des Art 70 VO (EG) 883/2004 nur eingeschränkt und ohne Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 stattfindet.

35

Nach anderer Auffassung unterfallen auch nach der VO (EG) 883/2004 - wie zuvor nach der (EWG) 1408/71 - sämtliche beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen mit Ausnahme der in Art 70 Abs 3 VO (EG) 883/2004 direkt genannten Ausschlüsse uneingeschränkt dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung, also auch dessen Art 4 VO (EG) 883/2004 (vgl zB Bayrisches LSG Urteil vom 19.6.2013 - L 16 AS 847/12 - juris RdNr 60 ff, anhängig BSG B 14 AS 51/13 R). Zu dieser Ansicht neigt auch das vorlegende Gericht. Hierfür spricht, dass mit der Einbeziehung sämtlicher Unionsbürger durch die Neuformulierung des persönlichen Anwendungsbereichs der Verordnung nicht gleichzeitig hinter den Stand der Koordinierung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen nach der VO (EWG) 1408/71 zurückgegangen werden sollte. Hierfür spricht auch, dass Art 70 Abs 3 VO (EG) 883/2004 den Ausschluss nur der "Rechtsvorschriften” des Titels III beinhaltet. Der EuGH hat - in anderem Zusammenhang - in einer aktuellen Entscheidung zudem ausgeführt, dass der in der VO (EWG) 1408/71 an verschiedenen Stellen verwendete Begriff der "Rechtsvorschriften" nicht nur nach seinem Wortlaut, sondern auch nach seinem Kontext und den jeweiligen Zielen auszulegen sei (EuGH Urteil vom 10.10.2013 - Rs C-321/12 , ABl EU 2013, Nr C 344, 33 f).

36

III. zur Frage 2

37

Wenn eine Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 auch auf beitragsunabhängige besondere Geldleistungen zu bejahen ist, ist die nationale Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II unmittelbar diskriminierend. Nach Art 4 VO (EG) haben Personen, wie die Klägerinnen, die in den Anwendungsbereich der VO fallen, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates vorbehaltlich abweichender Regelungen der VO. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II knüpft für den Anspruchsausschluss arbeitsuchender Unionsbürger unmittelbar an die Staatsangehörigkeit an. Während deutsche Arbeitsuchende regelmäßig einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben, ist ein solcher Anspruch für andere Unionsbürger für die Dauer ihres Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche ausgeschlossen.Das deutsche Recht lässt keine Auslegung dergestalt zu, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern, etwa im vorliegenden Fall einer weitgehenden sozialen Integration der gesamten Familie in Deutschland, dennoch SGB II-Leistungen erbracht werden könnten. Vor diesem Hintergrund bezieht sich die zweite Vorlagefrage auf die Tragweite des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004, aber auch des Diskriminierungsverbots des Art 18 AEUV, bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen.

38

Die Fragestellung bezieht sich zunächst auf die Auslegung der in Art 4 VO (EG) 883/2004 enthaltenen Formulierung "sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist". Mit Hinweis auf deren Wortlaut wird diese Einschränkung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zT so verstanden, dass sich Abweichungen vom Gleichbehandlungsgebot ausschließlich aus der Verordnung selbst ergeben können, etwaige Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung also ausdrücklich in der VO (EG) 883/2004 selbst festgelegt sein müssen (vgl zB Hessisches LSG Beschluss vom 30.9.2013 - L 6 AS 433/13 B ER - juris RdNr 33 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach dieser Ansicht ist eine Ungleichbehandlung in Anwendung des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 nur insofern möglich, als die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nicht exportierbar sind.

39

Es wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 VO (EG) 883/2004 in Umsetzung der Regelung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich sind (LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 23.5.2012 - L 9 AS 347/12 B ER - juris RdNr 35 ff). Insofern wird die gleichfalls dem europäischen Sekundärrecht zuzuordnende Regelung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG von anderen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als "anderweitige Bestimmung" iS des Art 4 VO (EG) 883/2004 angesehen. Alternativ wird davon ausgegangen, dass die in Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 enthaltene Formulierung, nach welcher der Mitgliedstaat die beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen "nach dessen Rechtsvorschriften gewährt", eine "anderweitige Bestimmung" iS des Art 4 VO (EG) 883/2004 und Abweichung vom strikten Gleichbehandlungsgebot ermöglicht. Insofern hält der Senat für klärungsbedürftig, ob der in Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 enthaltene Begriff "nach dessen Rechtsvorschriften" ausschließlich regelt, dass auch dann nur die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Anwendung finden, wenn die betreffende Person nach den Regelungen der Art 11 ff VO (EG) 883/2004 eigentlich den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt (vgl Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art 70 VO 883/2004 RdNr 26, Stand 4/2012). Nach anderer Auslegung beinhaltet die Formulierung des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004, wonach die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen "nach dessen Rechtsvorschriften gewährt werden", gleichzeitig eine Abweichungsmöglichkeit vom Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004, also eine "Öffnungsklausel" für eine Leistungsgewährung besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen nach nationalen Rechtsvorschriften.

40

Geht man davon aus, dass Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot ermöglicht, soweit die Einschränkung selbst im Einklang mit Gemeinschaftsrecht steht (so wohl EuGH Urteil vom 19.9.2013, Rs C-140/12 , Abl EU 2013, C 344, 26), ist nach Auffassung des Senats weiter klärungsbedürftig, ob eine nationale Regelung wie die des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als zulässige Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG angesehen werden kann.

41

Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der jeweilige Aufnahmestaat abweichend von dem Gleichbehandlungsgebot des Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b) RL 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Insofern geht der Senat unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Brey (EuGH Urteil vom 19.9.2013 - Rs C-140/12 - ABl EU 2013, C 344, 26), die einen wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürger betraf, davon aus, dass - wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG - die Charakterisierung als besondere beitragsunabhängige Geldleistung nach Art 70 VO (EG) 883/2004 einer Einordnung als Sozialhilfe im Sinne von Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG nicht entgegensteht (vgl bereits BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 - juris RdNr 25 mwN; zweifelnd noch Urteil des Senats vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34). Weiter sind die hier allein streitigen SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach ihrer Ausgestaltung auch "Sozialhilfeleistungen" im Sinne der RL 2004/38/EG. Dieser Begriff bezieht sich nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Brey auf sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfesysteme, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann. Weitere Erfordernisse hat der EuGH in seiner Entscheidung in Sachen Brey (EuGH Urteil vom 19.9.2013 - Rs C-140/12 - ABl EU 2013, C 344, 26, RdNr 61) nicht formuliert.

42

Bezogen auf die zweite Vorlagefrage hält es der Senat vor diesem Hintergrund für klärungsbedürftig, ob ein ausnahmsloser Ausschluss von Sozialhilfeleistungen möglich ist, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Aus der Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Gebrauch machen wollte (siehe BT-Drucks 16/688 S 13), um einer unangemessenen Inanspruchnahme der SGB II-Leistungen durch Arbeitsuchende aus anderen Mitgliedstaaten entgegenzuwirken. Dies betrifft Unionsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben und deren Aufenthalt nicht beendet werden kann bzw wird, die als Arbeitsuchende jedoch nicht (mehr) über ausreichende Existenzmittel im Sinne des Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG verfügen. Für die Möglichkeit eines Ausschlusses spricht, dass die existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II für einen zeitlich begrenzten Zeitraum nur dieses Aufenthaltsrechts nicht erbracht werden. Auch können Arbeitslose, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, ihren Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen (Art 64 VO 883/2004).

43

Die in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG enthaltene Formulierung "oder ggf für einen längeren Zeitraum" könnte allerdings auch so auszulegen sein, dass nationale Regelungen bei einem Ausschluss Arbeitsuchender von Sozialhilfeleistungen für mehr als drei Monate eine Einzelfallprüfung zulassen müssen. Insofern erscheint dem Senat unabhängig von dem Kriterium einer schon bestehenden Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt (vgl hierzu 3) klärungsbedürftig, ob eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Ausschlussregelung für Arbeitsuchende im Sinne des Diskriminierungsverbots des Art 18 AEUV erfordert, dass besondere Umstände, etwa - wie im vorliegenden Fall - die gesamte Dauer eines (auch früheren) Aufenthalts im anderen Mitgliedstaat und eine weitgehende Integration auch bei arbeitsuchenden Unionsbürgern zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Fall hängt die Entscheidung des Rechtsstreits auch von dieser Fragestellung ab.

44

3. Unabhängig von einem möglichen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 VO (EG) 883/2004 könnten - in der hier vorliegenden Fallkonstellation - die spezifischen Freizügigkeitsrechte der Klägerinnen zu 1) und 2) als im Mai 2012 Arbeitsuchende ihrem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II entgegenstehen. In seinem Urteil vom 4.6.2009 (C-22/08, C-23/08 - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 31) hat der EuGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt, dass es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren habe, nicht mehr möglich sei, vom Anwendungsbereich des Art 39 Abs 2 EG (nunmehr Art 45 Abs 2 AEUV) im Lichte des Art 12 EG (nunmehr Art 18 AEUV; vgl EuGH Urteil vom 25.10.2012 - Rs C-367/11 -ABl EU 2012, C 399, 6 - zur Veröffentlichung in Slg 2012 vorgesehen, RdNr 23) eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern solle. Es sei jedoch legitim, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst leiste, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt worden sei (aaO mwN). Insofern hält der Senat für klärungsbedürftig, ob die nationale Regelung gegen europäisches Primärrecht verstößt, weil sie eine solche Prüfung für die Dauer eines Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende nicht ermöglicht. Dies dürfte davon abhängen, ob bei einem alleinigen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche generell eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats verneint werden kann.

45

Die dritte Vorlagefrage geht davon aus, dass sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - auch wenn diese "Sozialhilfeleistungen" im Sinne von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sind - nach der vom deutschen Gesetzgeber festgelegten Ausgestaltung des Systems existenzsichernder Leistungen aus Steuermitteln gleichzeitig auch um Leistungen handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern (vgl Schlussanträge des Berichterstatters Colomer in der Rs C-22/08 vom 12.3.2009, Slg 2009, I-4585, RdNr 57; anders das vor der Entscheidung Brey ergangene Urteil des EuGH vom 4.6.2009 in der Rs C-22/08, C 23/08 , Slg 2009, I-4585, RdNr 45; aA Vorlagebeschluss des SG Leipzig vom 3.6.2013 - S 17 AS 2198/12 - juris RdNr 64 ff). Dabei versteht der Senat die bisherige Rechtsprechung des EuGH so, dass diese Leistungen nicht eigens oder ausschließlich auf die Eingliederung des Empfängers in den Arbeitsmarkt gerichtet sein müssen. Ausreichend dürfte sein, dass die Sozialleistung den Zugang zum Arbeitsleben erleichtert (vgl EuGH Urteil vom 23.3.2004 in der Rs C-138/02 - Slg 2004, I-2703, RdNr 68; EuGH Urteil vom 25.10.2012 - Rs C-367/11 ABl EU 2012, C 399, 6 - zur Veröffentlichung in Slg vorgesehen, RdNr 25 mwN). Dabei ist der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen europarechtlich grundsätzlich nicht auf ein bestimmtes sozialpolitisches Konzept festgelegt (vgl EuGH Urteil vom 14.12.1995 - C-317/93 - Slg 1995, I-4625 ff, RdNr 33 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11; vgl auch den vierten Erwägungsgrund der VO 883/2004).

46

Mit der kompletten Neustrukturierung der existenzsichernden Leistungen seit dem Jahre 2005 hat sich der bundesdeutsche Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bei existenzsichernden Leistungen, die aus Steuermitteln finanziert werden, für eine stärkere Aktivierung erwerbsfähiger Personen im Sinne einer Arbeitsmarktintegration entschieden. Für die Anspruchsberechtigung nach dem SGB II wird primär auf die Erwerbsfähigkeit der bedürftigen Personen abgestellt, die das maßgebliche Abgrenzungskriterium für eine Zuordnung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II darstellt (BT-Drucks 17/1940 S 20 zu Nr 8). Da nach § 8 Abs 1 SGB II bereits erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, ist die weitaus überwiegende Zahl der auf existenzsichernde Leistungen angewiesenen Personen dem SGB II zugeordnet. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) erhalten seit 2005 nur noch diejenigen, die nicht nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind (§ 21 SGB XII).

47

Für die Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, spricht daher zunächst die Anspruchsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit (vgl EuGH Urteil vom 4.6.2009, Rs C-22/08, C-23/08 - Slg 2009 I-4585, RdNr 43 f). Die Zuordnung zu dem Leistungssystem des SGB II und die damit verbundene Zuständigkeit der mit der Arbeitsmarkintegration erfahrenen Jobcenter erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiter enthält das SGB II in einem gesonderten Kapitel die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, die spezielle, für die Personengruppe der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II vorgesehene Leistungen enthalten (zB Einstiegsgeld nach § 16b SGB II "wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist"; Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II "zur Erlangung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist"; Förderung von Arbeitsverhältnissen durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt an Arbeitgeber für die Beschäftigung zugewiesener erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach § 16e SGB II).

48

Vor dem Hintergrund einer Einordnung der SGB II-Leistungen als solche Sozialleistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, hält der Senat für klärungsbedürftig, ob die Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II mit europäischem Primärrecht konform ist. Gegen die Verhältnismäßigkeit der Regelung könnte insofern sprechen, dass gerade bei guten Aussichten der Arbeitsuche und Vermittlung, also weiterhin - über drei bzw sechs Monate hinaus - bestehendem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche, der Ausschluss von den SGB II-Leistungen ohne gesetzlich fixierte Endgrenze fortbesteht. Es ist fraglich, ob eine zulässige Typisierung vorliegt, wenn die nationale Regelung davon ausgeht, dass für eine nicht im vorhinein eindeutig festgelegte Zeit regelmäßig keine ausreichende Verbindung zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bestehen kann. Für Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche lässt die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine einzelfallbezogene Berücksichtigung einer dennoch bestehenden Verbindung mit dem zum innerstaatlichen Arbeitsmarkt bzw einer sonstigen tatsächlichen Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat(EuGH Urteil vom 21.7.2011 - Rs C-503/09 - Slg 2011, I-6497, RdNr 104) zu. Der Ausgangssachverhalt verdeutlicht dies. Die Klägerinnen waren bereits früher im Bundesgebiet wirtschaftlich aktiv, hatten eine langjährige Verbindung zu Deutschland und haben unmittelbar nach Ablauf des hier streitigen Zeitraums eine berufliche Tätigkeit aufgenommen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sie trotz ihres aufenthaltsrechtlichen Status als arbeitsuchende Unionsbürger durchgehend bereits eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland hatten. Auch die dritte Vorlagefrage ist daher für den Rechtsstreit entscheidungserheblich.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 1.2.2013.

2

Der 1955 geborene erwerbsfähige Kläger, griechischer Staatsangehöriger, lebt seit 17.10.2011 ohne weitere Familienangehörige wieder in Deutschland und war bei der Firma C. T. in S. als Lagerist/Fahrer sozialversicherungspflichtig vom 20.12.2011 bis 17.2.2012 beschäftigt. Der Beklagte erbrachte dem Kläger zunächst vom 1.8.2012 bis 31.1.2013 SGB II-Leistungen (Bescheid vom 31.8.2012), lehnte die weitere Bewilligung auf den Antrag des einkommens- und vermögenslosen Klägers vom 17.1.2013 jedoch mit der Begründung ab, dass dieser ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche habe und damit der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eingreife(Bescheid vom 21.1.2013; Widerspruchsbescheid vom 18.2.2013).

3

Das SG hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger über den 31.01.2013 hinaus weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren" (Gerichtsbescheid vom 19.6.2013). In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, "dass der Senat über den noch offenen Bescheid vom 21. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2013 erstinstanzlich entscheidet". Sodann hat das LSG den Bescheid des Beklagten vom 21.1.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013 aufgehoben und den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben, "soweit das Sozialgericht dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den 31. Juli 2013 hinaus zugesprochen hat". Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.9.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, auf den Kläger, der "zu den leistungsberechtigten Personen nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II" gehöre, finde der Ausschluss von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung, obgleich er sich nicht (mehr) auf den Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU berufen könne. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kollidiere mit der VO (EG) 883/2004, weil das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 VO (EG) 883/2004 eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausschließe. Auf die Berufung des Beklagten sei der Gerichtsbescheid des SG aufzuheben, soweit dieses SGB II-Leistungen unbefristet über den 31.7.2013 hinaus zugesprochen habe. Nach § 41 Abs 1 S 4 SGB II könnten SGB II-Leistungen - von besonderen, hier weder ersichtlichen noch geltend gemachten Ausnahmefällen abgesehen - jeweils nur für sechs Monate bewilligt werden. Der bereits erstinstanzlich angefochtene Ablehnungsbescheid vom 21.1.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013 werde aufgehoben. Mit Einverständnis der Beteiligten habe der Senat über "diesen verbliebenen Prozessrest" im Berufungsverfahren entschieden.

4

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er macht geltend, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kollidiere nicht mit der VO (EG) 883/2004. Das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (EFA) sei nach Erklärung des Vorbehalts bezüglich der Leistungen nach dem SGB II durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anspruchsbegründend.

5

Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2013 und das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

7

Er macht geltend, bei den geltend gemachten SGB II-Ansprüchen handele es sich nicht um Sozialhilfeleistungen, sondern nach deren Zielsetzung um Hilfen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, weshalb Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG nicht eröffnet sei.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisherigen Feststellungen des LSG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.2.2013 bis 31.7.2013 weiterhin einen Anspruch auf SGB II-Leistungen hatte.

9

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 20.9.2013, der Gerichtsbescheid des SG Frankfurt am Main vom 19.6.2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.1.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.2.2013 bis 31.7.2013 zu erbringen. Insofern ist dem Tenor des angefochtenen Urteils, der unter Heranziehung der Entscheidungsgründe auszulegen ist (BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - juris RdNr 14), zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen hat, soweit das SG SGB II-Leistungen auch für die Zeit ab 1.7.2013 zugesprochen hat. Zwar kann sich, sofern ein Träger der Grundsicherung SGB II-Leistungen gänzlich ablehnt, der streitige Zeitraum - je nach Klageantrag - bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht erstrecken (BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 13: stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 30). Der Kläger hat sich jedoch nicht im Wege einer Revision gegen die nach dem Tenor der Entscheidung ausdrückliche, seinen geltend gemachten Anspruch (möglicherweise) begrenzende Entscheidung des Berufungsgerichts gewandt. Im Übrigen verfolgt der Kläger sein Begehren in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG).

10

Mit ausdrücklicher Zustimmung der Beteiligten hat das LSG auch über den bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens (§ 123 SGG) bereits erstinstanzlich sinngemäß gestellten Antrag auf Aufhebung des die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnenden Bescheids vom 21.1.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.2.2013 entschieden. Den Gründen des Gerichtsbescheids vom 19.6.2013 kann allerdings nicht entnommen werden, dass sich das erstinstanzliche Gericht der Notwendigkeit einer Entscheidung über die Aufhebung des Ablehnungsbescheids bewusst war. Das LSG konnte aber auch ohne Urteilsergänzungsverfahren nach § 140 SGG mit Zustimmung der Beteiligten über diesen noch nicht durch erstinstanzliches Urteil beschiedenen "Prozessrest" durch "Heraufholen" in die nächste Instanz entscheiden(vgl zB BSG Urteil vom 10.12.2013 - B 13 R 91/11 R - SozR 4-2600 § 249b Nr 1 RdNr 16).

11

2. a) Trotz der knappen Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, dass der Kläger in dem streitigen Zeitraum vom 1.2.2013 bis 31.7.2013 dem Grunde nach die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllte; insbesondere war auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II) zu bejahen (vgl zum gewöhnlichen Aufenthalt Urteil des Senats vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 17 ff). Zwar kommt dem vom LSG im Zusammenhang mit der Bejahung eines gewöhnlichen Aufenthalts gewürdigten Umstand, dass die dem Kläger im August 2012 erteilte Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU(entfallen durch das mit Wirkung zum 29.1.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ) "nicht nachträglich eingeschränkt worden" sei, keine ausschlaggebende Bedeutung zu (BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20). Das Berufungsgericht hat aber auch festgestellt, dass der Kläger "laut Meldebestätigung" seit dem 17.10.2011 wieder in Deutschland lebe, sodass nach den tatsächlichen Umständen der Zeitdauer eines den Feststellungen des LSG zu entnehmenden durchgehenden Aufenthalts, einer vorangegangenen - wenngleich kurzen - Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet und der Anmietung einer Wohnung im Bundesgebiet ein gewöhnlicher Aufenthalt für den streitigen Zeitraum zu bejahen ist (vgl auch zum gewöhnlichen Aufenthalt nach der Kollisionsnorm des Art 11 Abs 3 Buchst e VO (EG) 883/2004 die in Art 11 Abs 1 VO (EG) 987/2009 aufgeführten Kriterien).

12

b) Der Senat kann aber nicht abschließend darüber befinden, ob der Kläger dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfällt. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II kommt wegen des durchgehenden Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet seit Oktober 2011 von vornherein nicht in Betracht.

13

Es fehlen aber ausreichende Feststellungen zu den Voraussetzungen der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Diese sind hier auch deshalb erforderlich, weil sich der Kläger - bezogen auf die SGB II-Leistungen - nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen kann (vgl hierzu Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 18 ff). Nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG erfordert die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(§ 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU; vgl hierzu BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 31 ff mwN). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes (im Falle des § 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU im Ermessenswege zu erteilendes) bzw bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff) bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f).

14

Über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus sind diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auszunehmen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG in Deutschland verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können(vgl ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 19 ff). Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist nach den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano(Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - NZS 2015, 20 ff) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) europarechtskonform (vgl auch Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 35). Nach der Entscheidung in der Rechtssache Alimanovic ist weiter als geklärt anzusehen, dass der in Ausfüllung von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG in § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier der Kläger - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der spätere Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) ohne eine individuelle Prüfung der Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts der erneut Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie anderer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit Art 4 der VO (EG) 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG (EuGH Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff).

15

c) Die demnach erforderliche Prüfung der bei dem Kläger - ggf neben einem im streitigen Zeitraum noch vorhandenen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (vgl zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29 ff mwN; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 16 ff mwN) - möglichen anderen materiellen Aufenthaltsrechte hat das LSG nicht durchgeführt. Ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Kläger sich nicht mehr auf ein (fortwirkendes) Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 FreizügG/EU berufen könne. Zwar trifft dies zu, weil die Erwerbstätigeneigenschaft des Klägers nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU iVm Art 7 Abs 3 Buchst c) RL 2004/38/EG für die Zeit ab 1.2.2013 nicht mehr aufrechterhalten geblieben ist (vgl EuGH Urteil vom 4.6.2009 - Rs C-22/0 und /C-23/08 - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 RdNr 31; EuGH Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff RdNr 55 f).

16

Unabhängig von einer fortbestehenden Freizügigkeitsberechtigung des Klägers als Arbeitsuchender - er hat nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Oktober 2011 für einen kurzen Zeitraum vom 20.12.2011 bis 17.2.2012 eine Beschäftigung ausgeübt und war im streitigen Zeitraum schon mehr als ein Jahr arbeitslos - ist jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass er über ein anderes Aufenthaltsrecht, etwa als selbstständig Tätiger (§ 2 Abs 1 Nr 2 FreizügG/EU) oder ein Daueraufenthaltsrecht verfügte. Ein Daueraufenthaltsrecht setzt nach § 2 Abs 2 Nr 7 FreizügG/EU iVm § 4a Abs 1 S 1 FreizügG/EU voraus, dass sich Unionsbürger seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Mit dem Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts wird auf die materiellen Freizügigkeitsvoraussetzungen abgestellt und somit unionsrechtlich vorausgesetzt, dass der Betreffende während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art 7 Abs 1 RL 2004/38/EG erfüllt hat (BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 - InfAuslR 2012, 348 ff; BVerwG Urteil vom 16.7.2015 - 1 C 22/14 - juris RdNr 17).

17

Der erforderliche fünfjährige rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet war - ausgehend von einer erneuten Einreise in das Bundesgebiet seit Oktober 2011 im streitigen Zeitraum des Jahres 2013 - allerdings noch nicht gegeben. Da das LSG jedoch festgestellt hat, dass der Kläger "wieder" in Deutschland lebe, könnte gleichwohl ein Daueraufenthaltsrecht unter Berücksichtigung früherer Aufenthaltszeiten bestehen. Insofern regelt § 4a Abs 6 FreizügG/EU in Konkretisierung des Begriffs des ständigen Aufenthalts in § 4a Abs 1 S 1 FreizügG/EU ua, dass der ständige Aufenthalt nicht durch Abwesenheitszeiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr berührt wird. Diese Abwesenheitszeiten werden für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts für unschädlich erklärt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 4a FreizügG/EU RdNr 18; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 4a FreizügG/EU RdNr 13).

18

3. a) Der Rechtsstreit ist demnach schon wegen der fehlenden Feststellungen des LSG zum Vorliegen der Voraussetzungen der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II an das LSG zurückzuverweisen. Kommt es im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis, dass der Kläger von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, wird es - nach Beiladung des Sozialhilfeträgers - über einen Anspruch des Klägers auf existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII entscheiden müssen (zur Notwendigkeit der Beiladung des Sozialhilfeträgers bereits bei "ernsthafter Möglichkeit" eines anderen Leistungsverpflichteten: BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 244 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 11; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - RdNr 10). Insofern ist der Senat gehindert, über den vorliegenden Rechtsstreit bindend für das LSG zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG), weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) des Beizuladenden verletzt würde (BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 20/08 R - FEVS 61, 534 ff mwN).

19

Das LSG wird gleichwohl davon ausgehen können, dass der Sozialhilfeträger die nach § 18 Abs 1 SGB XII(in der seither unverändert gebliebenen Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022) für einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff SGB XII erforderliche Kenntnis von der Bedürftigkeit und den Bedarf des Klägers bereits mit seinem Antrag auf SGB II-Leistungen bei dem Beklagten vom 17.1.2013 erlangt hat (vgl Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 39 mwN). Auch steht § 21 S 1 SGB XII, der bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten, einer Leistungsberechtigung des Klägers nicht entgegen(vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 40 ff mwN).

20

b) Da die Bundesregierung bezogen auf die Vorschriften der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII keinen Vorbehalt erklärt hat, sind Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer Gleichbehandlung mit inländischen Staatsangehörigen weiterhin zu erbringen, soweit die Anwendungsvoraussetzungen nach dem EFA vorliegen. Die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII findet dann keine Anwendung auf den Kläger(vgl zum SGB II: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 23 ff; vgl zum Gleichbehandlungsanspruch: BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 201; BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139 ff, 142; vgl zur Anwendbarkeit des Art 1 EFA im SGB XII und zur Reichweite des erklärten Vorbehalts: Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 24 mwN).

21

Eine Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen nach Art 1 EFA erfordert allerdings einen erlaubten Aufenthalt des Staatsangehörigen aus dem Vertragsstaat im Bundesgebiet, dessen Vorliegen hier im Falle des Klägers noch zu prüfen ist. Nach Art 11 Abs a S 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Nach der historischen Konzeption des EFA kommt den im Anhang III (nach Art 19 EFA Bestandteil des Abkommens) verzeichneten Urkunden, die als Nachweis eines erlaubten Aufenthalts iS des Art 11 EFA anerkannt werden, grundsätzlich ein rechtsbegründender Charakter zu (BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139 ff, 144; BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 203; Bayerischer VGH Urteil vom 6.3.2001 - 12 ZE 01.425; VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 14.9.1998 - 7 S 1874/98 - ZfSH/SGB 1998, 747 ff; OVG Bremen Urteil vom 18.12.2013 - S 3 A 205/12 - juris RdNr 54; offengelassen BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 36).

22

Die im Anhang III (weiterhin) erfassten Urkunden ("Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990, auf besonderem Blatt erteilt oder im Ausweis eingetragen. Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG. Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis, nachgewiesen durch eine entsprechende Bescheinigung oder durch Eintragung in Ausweis: "Ausländerbehördlich erfasst" ) geben allerdings die seit längerer Zeit nicht mehr geltende Rechtslage nach § 1 Abs 4 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9.7.1990 (BGBl I 1354, 1379), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.2005 durch das Zuwanderungsgesetz 2004 vom 30.7.2004 (BGBl I 1950), wieder. Die Bundesrepublik Deutschland hat es bisher versäumt, den Generalsekretär des Europarats über eine Änderung der nationalen Gesetzgebung zu unterrichten und mitzuteilen, welche Urkunden - nach der Umsetzung der RL 2004/38/EG durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vom 30.7.2004 (BGBl I 1950, 1986) - als Nachweis eines erlaubten Aufenthalts im Sinne des EFA anzusehen sind.

23

Bei einer derartigen Unterlassung erfolgt grundsätzlich eine Anpassung der Interpretation von völkerrechtlichen Abkommen im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Vergleichbarkeit des jeweils im Streit stehenden Aufenthaltsstatus (vgl zB OVG Bremen Urteil vom 18.12.2013 - S 3 A 205/12 - juris RdNr 54 ff; BVerwG Urteil vom 18.5.2010 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 204 zur Anpassung bei "redaktionellen Etikettenwechsel" ohne materielle Änderung des Aufenthaltserlaubnistatbestandes). Insofern ist der 14. Senat des BSG im Falle eines Unionsbürgers mit einem von den Vorinstanzen festgestellten Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche (§ 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU nF)- auch in Anknüpfung an die Praxis der Ausländerbehörden - davon ausgegangen, dass durch eine Freizügigkeitsbescheinigung ein erlaubter Aufenthalt im Sinne des EFA nachgewiesen werden könne. Dies hat er ua damit begründet, dass insoweit an die Stelle der Aufenthaltserlaubnis-EG die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU getreten sei(BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17, 37 f).

24

Der Kläger verfügt hier lediglich über eine anlässlich eines früheren Antrags auf SGB II-Leistungen angeforderte "Aufenthaltsbescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU" vom 29.8.2012, mit der schon mangels Aktualität der Bescheinigung ein im streitigen Leistungszeitraum rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne einer weiterhin bestehenden Freizügigkeitsberechtigung (§ 2 FreizügG/EU)nicht unterstellt werden kann. Zudem ist die vormals gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Dokumentation eines sich unmittelbar aus Unionsrecht ergebenden Aufenthaltsrechts (vgl Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 9)mit der Streichung der nach alter Rechtslage unverzüglich von Amts wegen ausgestellten Bescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU mit Wirkung ab 29.1.2013 durch das FreizügG/EU2004uaÄndG ersatzlos entfallen. Zwar hat der Gesetzgeber zur Aufhebung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU auf eine "Senkung des Verwaltungsaufwandes" verwiesen und zutreffend ausgeführt, dass das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger unmittelbar aus dem Unionsrecht "fließt"(vgl BT-Drucks 17/10746, S 11). Gleichzeitig fehlt es aber nunmehr an einer für die Sozialbehörden und die Sozialgerichtsbarkeit praktikablen Handhabe zum Nachweis eines (weiterhin) rechtmäßigen Aufenthalts von Unionsbürgern im Bundesgebiet (vgl hierzu die Hinweise des Generalanwalts Villalón - Rs C-308/14 - vom 6.10.2015, juris RdNr 80 auf die Regelungen des Art 8 RL 2004/38/EG, "die es erlauben, die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Unionsbürgers, der nicht Angehöriger des Aufnahmemitgliedstaats ist, anhand einer Bescheinigung nachzuweisen, für deren Ausstellung die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats bereits geprüft haben, dass insbesondere die Voraussetzungen von Art 7 [RL 2004/38/EG] erfüllt sind"; zur Einordnung der vormaligen Freizügigkeitsbescheinigung als Beweismittel für den Unionsbürger im Rechtsverkehr vgl auch Harms in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, 2. Aufl 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3).

25

Der Senat geht davon aus, dass - in Anlehnung an die vormalige Anknüpfung an § 1 Abs 4 AufenthG/EWG - eine (weiterhin bestehende) materielle Freizügigkeitsberechtigung für einen erlaubten Aufenthalt im Sinne des EFA vorausgesetzt wird(vgl auch zum Grundsatz der "souveränitätsschonenden Auslegung": BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139 ff, 144). Fehlt eine solche im streitigen Zeitraum, wäre dem Kläger jedenfalls Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII als Ermessensleistung zu erbringen. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts des Klägers ist das Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in dem Sinne auf Null reduziert, dass regelmäßig Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 53 ff).

26

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 3.11.2010 bis zum 19.6.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die 1978 geborenen Kläger zu 1 und 2 leben seit 1992 zusammen, ohne verheiratet zu sein; der im November 1997 geborene Kläger zu 3, der im streitigen Zeitraum eine Schule besuchte und für den sie Kindergeld erhielten, ist ihr gemeinsamer Sohn.

3

Der Kläger zu 1 besuchte in Rumänien vier Jahre die Schule. Er verfügt über keine Berufsausbildung und besitzt einen Führerschein der Klasse B. Von 1999 bis 2008 lebte und arbeitete er als Saisonarbeiter in der Tomatenernte in Belgien. Ende September 2008 kam er nach Deutschland und wohnt seit dem 25.9.2009 in G Für die Zeit vom 19.3. bis zum 19.6.2009 wurde ihm eine Freizügigkeitsbescheinigung erteilt. Nachdem die Stadt G zunächst die erneute Ausstellung einer Freizügigkeitsbescheinigung verweigert hatte, wurde ihm eine solche erneut am 17.6.2011 ausgestellt. Im Besitz einer unbefristeten Arbeitsberechtigung/EU ist er seit Oktober 2011.

4

Die Klägerin zu 2 erlernte nach vierjährigem Schulbesuch in Rumänien keinen Beruf. In der Zeit von 1999 bis 2008 lebte sie mit den Klägern in Belgien. Seit September 2009 bis zur zwangsweisen Räumung der Wohnung im Juni 2011 bewohnte die Familie eine Wohnung in G Die Klägerin zu 2 besuchte 2010 für etwa acht Monate einen Integrationskurs (Deutschkurs) und ist seit Januar 2012 mit Unterbrechungen als Reinigungskraft mit einem monatlichen Entgelt in Höhe von 100 Euro bzw - ab Februar - 200 Euro monatlich tätig.

5

Neben einer Unterstützung durch caritative Einrichtungen (Diakonie, Tafel) und Familienangehörige erzielten die Kläger eigene Einkünfte (120 bis 130 Euro monatlich) durch die Verbreitung der Obdachlosenzeitung "fiftyfifty", die von mehreren Wohlfahrtsverbänden herausgegeben wird. Die Verteiler der Zeitschrift erhalten einen Ausweis, aus dem hervorgeht, dass "fiftyfifty"-Vertreiber von materieller Armut betroffen sind. Die Zeitung wurde im streitigen Zeitraum vom Verlag für 0,90 Euro an die Vertreiber ausgegeben und für 1,80 Euro verkauft.

6

Nachdem die Kläger zunächst bis Oktober 2010 SGB II-Leistungen erhalten hatten, lehnte der Beklagte ihren Antrag vom 3.11.2010 ab (Bescheid vom 9.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 29.12.2010). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des SG vom 20.11.2012). Auf ihre Berufung hat das LSG das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 verurteilt, "den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Regelleistung und Kosten der Unterkunft) für die Zeit vom 3.11.2010 bis zum 19.6.2011 unter Anrechnung monatlichen Einkommens der Kläger zu 1 und 2 von jeweils 130 Euro und des Klägers zu 3 von 184 Euro (Kindergeld) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren" (Urteil vom 28.11.2013). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Kläger zu 1 und 2 zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllten, jedoch wegen eines Aufenthalts allein zur Arbeitsuche von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen seien. Hieran ändere die längere Arbeitslosigkeit der Kläger zu 1 und 2 nichts. Die Arbeitsuche der Kläger zu 1 und 2 sei prognostisch nicht ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen. Sie möge sich, wie die lange Zeit der Arbeitslosigkeit zeige, schwierig gestaltet haben. Sie möge auch deshalb von vornherein weniger Aussicht auf Erfolg versprochen haben, weil die Kläger nicht auf eine Berufsausbildung verweisen könnten. Trotzdem seien sie in ihrem bisherigen Aufenthaltsstaat Belgien über Jahre im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt gewesen. Angesichts ihrer bisherigen Erwerbsbiografie sei nicht ersichtlich, dass ihre Bemühungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Leistungszeitraum von vornherein objektiv nicht hätten erfolgreich sein können/sollen, zumindest wieder als Saisonarbeiter tätig zu sein. Bei der Bewertung der längeren Zeit erfolgloser Bemühungen sei zudem zu berücksichtigen, dass die Kläger nur in der Zeit des geregelten Leistungsbezugs durch den Beklagten bei der Arbeitsuche durch sog aktivierende Leistungen unterstützt worden seien. Vor diesem Hintergrund seien die Eigenbemühungen jedenfalls nach Durchlaufen eines Integrationskurses auch zum Erlernen der deutschen Sprache für die Klägerin erfolgreich, die sich nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck deutlich besser verständigen könne; beim Kläger zu 1, der diesen Kurs erst noch absolvieren werde, dauerten sie an. Gleichwohl hätten die Kläger einen Leistungsanspruch nach dem SGB II, denn der Leistungsausschluss sei europarechtswidrig, weil er gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr 883/2004) verstoße.

7

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision macht der Beklagte geltend, ein Anwendungsvorrang europäischen Sekundärrechts bestehe nicht. Es sei grundsätzlich Sache der Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen festzulegen.

8

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

9

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie machen geltend, mit sekundärem Gemeinschaftsrecht sei es nicht vereinbar, dass ein Unionsbürger, der sich allein zur Arbeitsuche zulässig in Deutschland aufhalte oder aufgehalten habe, ohne dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet seien, automatisch und ohne Möglichkeit einer weiteren Einzelfallprüfung unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werde.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das Urteil des LSG ist aufzuheben, soweit der Beklagte zur Erbringung von SGB II-Leistungen verurteilt worden ist. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2). Der Senat kann aber nicht abschließend entscheiden, weil das Verfahren an dem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel leidet, dass das LSG den für eine mögliche Leistung nach §§ 27 ff SGB XII zuständigen Sozialhilfeträger nicht nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG - mit der Möglichkeit der Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG - beigeladen hat(3).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 28.11.2013, das Urteil des SG vom 20.11.2012 sowie der SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnende Bescheid des Beklagten vom 9.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010. In zeitlicher Hinsicht haben die Kläger den geltend gemachten Anspruch auf den Zeitraum vom 3.11.2010 bis 19.6.2011 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate beschränkt, wonach ein nachfolgender Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, hier derjenige vom 20.6.2011, den im sozialgerichtlichen Verfahren streitigen Leistungszeitraum begrenzt (vgl nur BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 13 mwN).

13

2. a) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Unbesehen ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können - vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)sind sie von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige, die weder in der Bundesrepublik Deutschland noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II kommt wegen des durchgehenden Aufenthalts der Kläger im Bundesgebiet seit September 2009 von vornherein nicht in Betracht.

14

b) Die Kläger zu 1 und 2 unterfallen jedoch dem Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Es kann hier dahinstehen, ob sie im streitigen Zeitraum weiterhin - entsprechend den Feststellungen und rechtlichen Wertungen des LSG - über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügten (vgl zum rechtlichen Maßstab für die Voraussetzungen eines unionsrechtlich geprägten Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II und dessen möglichen Verlust nunmehr BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 16 ff mwN; siehe auch BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29 ff mwN). Soweit sie über eine solche Freizügigkeitsberechtigung verfügen sollten, wären sie - hiervon ist auch bereits das LSG ausgegangen - ebenso wie für den Fall, dass keine Freizügigkeitsberechtigung mehr gegeben sein sollte, nicht leistungsberechtigt iS des § 7 Abs 2 Nr 2 SGB II. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind - über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus - auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können(vgl ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - RdNr 20 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - RdNr 24 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, auch zur Abgrenzung einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung von der generellen Freizügigkeitsvermutung).

15

In dieser Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist die Ausschlussregelung nach den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano(Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - NZS 2015, 20 ff) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) europarechtskonform (vgl auch Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 35; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - RdNr 35 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - RdNr 31 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine vom Berufungsgericht mit Bezug auf die Entscheidung des EuGH vom 19.9.2013 (C-140/12 ) noch gesehene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung des SGB II-Leistungsausschlusses ist in den genannten Entscheidungen des EuGH nicht mehr gefordert worden. Vielmehr wurde betont, dass "ein Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit, in dem der Anspruch auf Sozialhilfe aufrechterhalten" bleibe, eine "Rechtssicherheit und Transparenz" gewährleistende Regelung sei, die "zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" stehe (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - juris RdNr 61; vgl auch Eichenhofer in ZESAR 2016, 37, 38).

16

c) Unter Berücksichtigung der Feststellungen des LSG liegen bei den Klägern zu 1 und 2 auch nicht die Voraussetzungen für eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung als diejenige zur Arbeitsuche bzw für ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, vor(vgl zu dem Prüfungsmaßstab im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II insofern: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 34), das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag. Sie waren - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - insbesondere nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt (vgl zu dem europarechtlich geprägten Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II und die Ablehnung der Arbeitnehmereigenschaft in einem gleichgelagerten Sachverhalt bei Verkauf der Obdachlosenzeitschrift "fiftyfifty" - Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 26 ff). Die Kläger unterfallen daher dem Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

3. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Leistungsausschluss der Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie - nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG - existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers(nach so genannter unechter notwendiger Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 245 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 12; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - RdNr 10) in Betracht kommen (vgl zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt: Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

18

Über diesen Anspruch konnte der Senat jedoch nicht abschließend befinden. Es sind insoweit rechtliche und - bezogen auf den Sozialhilfeanspruch - tatsächliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im bisherigen Klageverfahren noch nicht erörtert werden konnten. Dies betrifft ggf auch Feststellungen des LSG zur aufenthaltsrechtlichen Situation der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - RdNr 55 ff - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen). Zwar haben die Kläger die unterbliebene unechte notwendige Beiladung in der Revisionsinstanz im Wege der Verfahrensgegenrüge geltend gemacht (BSG Urteil vom 7.2.2002 - B 7 AL 28/01 R - ZfS 2002, 238; BSGE 61, 197, 199 = SozR 7323 § 9 Nr 1 S 2; BSGE 59, 284, 290 = SozR 2200 § 539 Nr 114 S 323; BSG SozR 1500 § 75 Nr 47; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 4a mwN). Von der nach § 168 S 2 SGG eröffneten Möglichkeit, den zuständigen Sozialhilfeträger mit seiner Zustimmung noch im Revisionsverfahren beizuladen, hat der Senat jedoch aus den soeben dargelegten Gründen keinen Gebrauch gemacht. Eine abschließende Entscheidung würde daher auch das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) des beizuladenden Sozialhilfeträgers verletzen (vgl BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 20/08 R - RdNr 11).

19

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 8.1.2013 bis 31.5.2013.

2

Die 1981 geborene Klägerin spanischer Staatsangehörigkeit ist am 28.2.2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist (Freizügigkeitsbescheinigung vom 28.2.2012). Gemeinsam mit einer weiteren Person bewohnte sie seit 1.3.2012 in Berlin eine 2,5-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 73 qm und einer Mietbelastung von insgesamt 750 Euro, von der sie einen Anteil in Höhe von 375 Euro trägt. Anlässlich ihres Antrags auf SGB II-Leistungen vom 10.5.2012 überreichte sie eine Anmeldung ihrer Arbeitgeberin M. C. bei der Minijobzentrale ("Haushaltsscheck") vom 22.4.2012 zu einer Beschäftigung ab 18.4.2012 mit einem monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 400 Euro. Sie reichte Rechnungen vom 29.5.2012 für eine 30-stündige Betreuung der Kinder der Arbeitgeberin zu einem Entgelt von 250 Euro, jeweils für die Monate April und Mai 2012, ein. Später teilte die Klägerin mit, sie habe für den Monat Juli 2012 noch ein Entgelt in Höhe von 80 Euro für zehn Stunden Kinderbetreuung erhalten. Die Tätigkeit endete zum 7.7.2012 (Schreiben der Klägerin vom 7.7.2012; Abmeldung zum 7.7.2012).

3

Nachdem die Klägerin zunächst bis Ende November 2012 SGB II-Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erhalten hatte, lehnte der Beklagte ihren SGB II-Antrag vom 26.10.2012 ab (Bescheid vom 7.12.2012; Widerspruchsbescheid vom 12.3.2013). Im sozialgerichtlichen Verfahren erkannte er mit einem von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnis einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.12.2012 bis 7.1.2013 an. Sodann hat das SG den Bescheid vom 7.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.3.2013 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin auch für die Zeit vom 8.1.2013 bis zum 31.5.2013 Leistungen in Höhe von 757 Euro monatlich zu erbringen (Urteil vom 7.11.2013).

4

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.6.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin sei nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von SGB II-Leistungen ausgeschlossen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im maßgeblichen Zeitraum allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben habe. Der Leistungsausschluss erfasse auch Unionsbürger nach Verlust des fortwirkenden Status als Arbeitnehmer. Jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung sei der Senat von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II nicht überzeugt. Da die Klägerin nach dem Verlust der lediglich knapp drei Monate ausgeübten geringfügigen Tätigkeit im weiteren Verlauf erfolglos nach Arbeit gesucht habe, liege eine Verbindung mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland nicht mehr vor. Auch sonstige Gründe, die nach Prüfung des vorliegenden Einzelfalls eine Leistung nach dem SGB II (zB wegen familiärer Kontakte) ausnahmsweise notwendig gemacht hätten, seien nicht gegeben. Aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) ergebe sich kein Anspruch. Einer Beiladung des Sozialhilfeträgers habe es nicht bedurft. Die Leistungssysteme des SGB II und des SGB XII ständen nicht in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis, sondern schlössen sich gegenseitig aus.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Durch die Entscheidung des EuGH vom 15.9.2015 sei die Frage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II nicht abschließend entschieden. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II sei einer einschränkenden Auslegung insofern zugänglich, als sie jedenfalls Unionsbürgerinnen und Unionsbürger nicht erfasse, die bereits eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt aufgebaut hätten. Dies treffe auf sie zu, weil sie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung erfülle. Zudem sei die - hier ab 8.1.2013 - eingreifende, fixe Sechsmonatsgrenze des § 7 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU in Art 7 Abs 3 lit c der UnionsbürgerRL nicht angelegt. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der nicht nur im Europarecht verankert sei, sondern auch aus dem Grundgesetz folge, müsse geprüft werden, ob die Begrenzung auf maximal sechs Monate verhältnismäßig sei. Einer Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses stehe das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA entgegen. Die Klägerin rügt weiter eine fehlende Beiladung des Sozialhilfeträgers. Da sich der von der Bundesregierung gegen das EFA erklärte Vorbehalt nur auf SGB II-Leistungen beziehe, seien - in entsprechender Auslegung des innerstaatlichen Rechts - SGB XII-Leistungen zu erbringen.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2013 zurückzuweisen, hilfsweise den beizuladenden Sozialhilfeträger zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 8. Januar 2013 bis 31. Mai 2013 Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er vertritt mit Bezug auf das Urteil des EuGH vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 ) die Ansicht, dass die Klägerin von SGB II-Leistungen ausgeschlossen sei und die Berücksichtigung persönlicher Umstände bei einer Fallgestaltung wie derjenigen der Klägerin nicht erforderlich sei.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum vom 8.1.2013 bis 31.5.2013 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hat, weil sie dem Ausschluss hiervon nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II unterliegt. Der Senat kann aber nicht abschließend entscheiden, weil als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG der zuständige Sozialhilfeträger in Betracht kommt, dessen Beiladung das LSG nach der nunmehr im Revisionsverfahren erfolgten Rüge der Klägerin nachzuholen hat.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 18.6.2015, das Urteil des SG vom 7.11.2013 sowie der SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnende Bescheid des Beklagten vom 7.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2013. In zeitlicher Hinsicht hat die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf den Zeitraum vom 8.1.2013 bis 31.5.2013 beschränkt.

11

2. a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Zwar lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG entnehmen, dass sie die im SGB II normierten Anspruchsvoraussetzungen im streitigen Zeitraum erfüllte. Sie ist jedoch von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige, die weder in der Bundesrepublik Deutschland noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II kommt wegen des durchgehenden Aufenthalts der Klägerin im Bundesgebiet seit Februar 2012 von vornherein nicht in Betracht.

12

b) Die Klägerin unterfällt jedoch dem Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. In dem streitigen Zeitraum kann sie sich weder auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine etwaige - zuvor durch die Tätigkeiten der Klägerin im Bundesgebiet erworbene - Erwerbstätigeneigenschaft im streitigen Zeitraum jedenfalls nicht mehr erhalten geblieben ist und andere Aufenthaltsrechte nicht vorliegen.

13

Zeitliche Grenzen der Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft ergeben sich aus § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU. Hiernach bleibt ein entsprechender Status als Arbeitnehmerin (oder Selbstständige) "bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung … während der Dauer von sechs Monaten unberührt". Im Falle der Klägerin war dieser Zeitraum am 7.1.2013 abgelaufen. Auf europarechtlicher Ebene bestimmt Art 7 Abs 3 Buchst c RL 2004/38/EG, dass einem Erwerbstätigen, wenn er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt, seine Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten bleibt. Während dieses Zeitraums behält der betreffende Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat sein Aufenthaltsrecht nach Art 7 der Richtlinie und kann sich auf das in Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG verankerte Gleichbehandlungsgebot berufen.

14

Soweit die Klägerin meint, die Richtlinie gebe die Möglichkeit einer weiteren Abstufung vor, wenn der Zeitraum von sechs Monaten unzureichend sei, um die Rechte und Pflichten eindeutig zu erfassen, folgt hieraus kein über die Umsetzung in § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU hinausgehender Gestaltungsauftrag an den nationalen Gesetzgeber. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Regelung. Die erweiterte Regelung des Art 8 Abs VII c des Kommissionsentwurfs zur UnionsbürgerRL (vgl KOM <2001>257 endg: "c) er sich bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten; hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten, bis der Anspruch erlischt") (vgl KOM <2001>257 endg: "c) er sich bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten; hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten, bis der Anspruch erlischt") ist nicht in die Endfassung der RL übernommen worden (vgl Dienelt in Bergmann/ Dienelt, 11. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 107 ff, 112 f). Entsprechend hat der EuGH sowohl in seinem Urteil vom 4.6.2009 (Rs C-22/08/Rs C-23/08 juris RdNr 32) als auch in seinem Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 juris RdNr 61) betont, dass "ein Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit, in dem der Anspruch auf Sozialhilfe aufrechterhalten" bleibe, eine "Rechtssicherheit und Transparenz" gewährleistende Regelung sei, die "zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" stehe. Ausdrücklich wird betont, dass "§ 7 Abs 1 SGB II in Verbindung mit § 2 Abs 3 FreizügG/EU als auch Art 7 Abs 3 Buchst c der Richtlinie 2004/38" auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit abstelle(Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 juris RdNr 61).

15

c) Soweit die Klägerin - entsprechend den Feststellungen des LSG, dass sich für sie ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe - ab 8.1.2013 weiterhin über eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügt hat, wäre sie ebenso wie für den Fall, dass keine Freizügigkeitsberechtigung mehr gegeben sein sollte, nicht leistungsberechtigt iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind - über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus - auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung iS des FreizügG/EU berufen können(vgl ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen - RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 20; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 24, auch zur Abgrenzung einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung von der generellen Freizügigkeitsvermutung).

16

d) In dieser Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist die Ausschlussregelung nach den Ent-scheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano(Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 NZS 2015, 20 ff) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) europarechtskonform (vgl auch Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen - RdNr 35; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 35; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 31). Weiter ist als geklärt anzusehen, dass der nach dem Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss der Arbeitsuchenden von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürgerinnen und Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier die Klägerin nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der nachfolgende ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) unabhängig von der Dauer des rein tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts der (wieder) Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie deren familiärer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Der Hinweis der Klägerin, dass der Beklagte sie durch Abschluss der Eingliederungsvereinbarung im Mai 2012 verpflichtet habe, an einem durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderten und im Juni 2013 erfolgreich beendeten Integrationskurs in Vollzeit teilzunehmen, kann daher - unbesehen des Umstandes, ob dies neuer und damit nicht zu berücksichtigender Vortrag im Revisionsverfahren ist - keine Berücksichtigung finden.

17

e) Zudem hat der EuGH in seinem Urteil vom 15.9.2015 zugrunde gelegt, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht (gleichzeitig) als finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen, eingestuft werden können, sondern ausschließlich als "Sozialhilfe" iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG anzusehen sind (Rs C-67/14 SGb 2015, 638 ff; bestätigt durch EuGH Urteil vom 25.2.2016 - C-299/14 - juris RdNr 37). Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben sich dem angeschlossen, weshalb - anders als die Klägerin es sieht - ein Verstoß gegen das in Art 45, 18 AEUV enthaltene Diskriminierungsverbot bei finanziellen Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen, nicht diskutiert wird. Entgegen ihrer Ansicht ist der Leistungsausschluss auch nicht aufgrund einer Ungleichbehandlung als spanische Staatsangehörige gegenüber denjenigen Österreichs, die nach Art 2 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge- und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.1.1966 Anspruch auf Fürsorgeleistungen ohne Vorbehaltserklärung hätten, unanwendbar. Insofern hat der 14. Senat des BSG zu Recht darauf verwiesen, dass durchgreifende Gründe dafür, ein anspruchsbegründendes völkerrechtliches Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen, nicht zu erkennen sind (vgl BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - RdNr 33 f zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ist ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge, ohne dass alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch anspruchsbegründend auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten (BSG aaO).

18

f) Bezogen auf die SGB II-Leistungen kann sich die Klägerin - nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 - im streitigen Zeitraum auch nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 18 ff; vgl auch BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

19

g) Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie - nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG - existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers(nach so genannter unechter notwendiger Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 245 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 12; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - juris RdNr 10) in Betracht kommen (vgl zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt: Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

20

3. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren nach Beiladung des Sozialhilfeträgers (so genannte unechte notwendige Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 247 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 12; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - juris RdNr 10) prüfen müssen, ob die Klägerin existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beanspruchen kann.

21

Die Klägerin hat die unterbliebene unechte notwendige Beiladung in der Revisionsinstanz geltend gemacht. Von der nach § 168 S 2 SGG eröffneten Möglichkeit, den zuständigen Sozialhilfeträger mit seiner Zustimmung noch im Revisionsverfahren beizuladen, hat der Senat gleichwohl keinen Gebrauch gemacht. Bei der zu treffenden Entscheidung sind auch rechtliche und nicht geprüfte - einen möglichen Sozialhilfeanspruch betreffende - tatsächliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im bisherigen Klageverfahren noch nicht erörtert werden konnten. Insbesondere fehlen Feststellungen des LSG zu einer Hilfebedürftigkeit der Klägerin, insbesondere zum Vorhandensein von Einkommen oder Vermögen, nach den Maßstäben des SGB XII.

22

Sind die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllt, wird das Berufungsgericht allerdings davon ausgehen können, dass Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer Gleichstellung mit inländischen Staatsangehörigen weiterhin zu erbringen sind. Bezogen auf diese Leistungen hat die Bundesregierung keinen Vorbehalt zum EFA erklärt. Die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII findet von vornherein keine Anwendung. Die Gleichbehandlung erfordert einen erlaubten Aufenthalt des Staatsangehörigen aus einem Vertragsstaat des EFA-Angehörigen, der hier jedenfalls bei einem vom LSG festgestellten Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gegeben ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 ff).

23

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 1.8. bis zum 11.10.2011.

2

Die 1989 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie reiste - nach ihren vom Landessozialgericht (LSG) festgestellten Angaben - Anfang Oktober 2010 nach Deutschland und mietete mit ihrer Mutter sowie ihrem damaligen Lebensgefährten Y. eine Wohnung in W., aus der Y., von dem sie seit dem 6.7.2011 getrennt lebe, zwischenzeitlich ausgezogen sei. Am 1.6.2011 meldete die Klägerin ein Gewerbe "Gebäudereinigung; Lagerarbeiten" an und zum 1.8.2011 wieder ab, da sie die deutsche Sprache nicht beherrsche, schwanger gewesen sei und ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig habe sicherstellen können. Im Juni 2011 habe sie für die T. GmbH gearbeitet, wofür sie bar 1200 bis 1300 Euro erhalten habe und eine Rechnung über "Fahrertätigkeit" in Höhe von 1517,25 Euro inklusive Mehrwertsteuer zu den Akten reichte.

3

Den am 3.8.2011 von der Klägerin beim beklagten Jobcenter - einem zugelassenen kommunalen Träger - gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II lehnte dieses unter Hinweis auf § 8 Abs 2 und § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ab(Bescheid vom 23.8.2011; Widerspruchsbescheid vom 19.10.2011). Nach einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bewilligte der Beklagte der Klägerin vorbehaltslos vom 12.10.2011 bis zum 29.2.2012 Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs und eines Mehrbedarfs für Schwangere (Bescheid vom 31.1.2012). Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden.

4

Das Sozialgericht (SG) Wiesbaden hat die Klage gegen den Bescheid vom 23.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2011 abgewiesen (Urteil vom 1.6.2012). Das LSG hat unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide den Beklagten verurteilt, der Klägerin vom 1.8. bis zum 11.10.2011 "Leistungen nach dem SGB II zu gewähren" (Urteil vom 27.11.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin erfülle die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, insbesondere sei sie hilfebedürftig gewesen, weil sie kein Vermögen und in der strittigen Zeit kein zu berücksichtigendes Einkommen gehabt habe; auch ihre Mutter habe kein Einkommen und nur ca 200 Euro Vermögen gehabt. Die Miete habe der frühere Lebensgefährte gezahlt. Die Klägerin habe aufgrund der erforderlichen Zukunftsoffenheit auch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Die Klägerin sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Sie könne sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht nach § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), insbesondere nicht auf das nachwirkende Aufenthaltsrecht als niedergelassene selbstständige Erwerbstätige(§ 2 Abs 2 Nr 2 iVm Abs 3 FreizügG/EU) nach dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit berufen, da sie nur für die T. GmbH tätig gewesen sei und keinen Willen zu einer dauerhaften selbstständigen Tätigkeit gehabt habe. Selbst wenn diese Tätigkeit für die T. GmbH als abhängige Beschäftigung angesehen würde, fehle es an einem nachwirkenden Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs 2 Nr 1 iVm Abs 3 FreizügG/EU, zumal schon Zweifel an der Unfreiwilligkeit ihrer Arbeitslosigkeit beständen. Die Klägerin habe sich auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht aufgrund schwangerschaftsbedingter Vorwirkungen des Art 6 Grundgesetz (GG) berufen können. Denn es sei nicht erkennbar, dass es sich um eine Risikoschwangerschaft gehandelt habe, noch trage die Klägerin vor, die elterliche Sorge für das Kind sicher übernehmen zu wollen. Am 28.10.2011 sei die Klägerin in der 24. Schwangerschaftswoche gewesen und habe angegeben, arbeiten zu können. Art 6 GG vermittele nur einen Abschiebeschutz, kein Aufenthaltsrecht; Gründe für eine aufenthaltsrechtliche Ermessensreduzierung auf null im Rahmen des § 7 Abs 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), wie im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.1.2013 (B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34), seien nicht ersichtlich. Die familiäre Situation, Phase und Verlauf der Schwangerschaft sprächen dagegen. Die Klägerin habe keine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU gehabt, denn sie habe nicht mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit gesucht, zumal sie keine dahin gehenden "Ambitionen" entfaltet habe. Zudem habe sie ihre Gewerbeabmeldung mit mangelnden Sprachkenntnissen und ihrer Schwangerschaft begründet. § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II könne nicht als Auffangausschlusstatbestand im Wege eines "Erst-Recht"-Schlusses erweiternd dahin gehend ausgelegt werden, dass er auch einen "nur" (formal-)legalen Aufenthalt umfasse, selbst wenn die Ausländerbehörde noch keine Feststellungen über den Wegfall der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts getroffen habe.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Nach Auffassung des LSG würden Personen, die Arbeit suchen und damit vom Leistungsausschluss umfasst seien, schlechter stehen als Personen, die keine Arbeit suchen und für die nach Auffassung des LSG der Leistungsausschluss nicht gelte. Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19.9.2013 (C-140/12 - Brey) sei zu entnehmen, dass Personen, die sich für mehr als drei Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten wollten, über die entsprechenden Existenzmittel verfügen müssten, um keine Sozialhilfeleistungen dort in Anspruch nehmen zu müssen.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Juni 2012 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und rügt hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.

Entscheidungsgründe

9

Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG vom 27.11.2013 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des LSG, das den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG und seiner angefochtenen Bescheide verurteilt hat, der Klägerin vom 1.8. bis zum 11.10.2011 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, und letztlich das Begehren des beklagten Jobcenters, die Klage abzuweisen.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der von der Klägerin hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

12

3. Rechtsgrundlage der von der Klägerin begehrten und vom LSG zugesprochenen "Leistungen nach dem SGB II" für die strittige Zeit ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.

13

Die Klägerin erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin der Fall ist (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen. Für die Klägerin kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die von der Klägerin hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).

14

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1989 geborene Klägerin in der strittigen Zeit vom 1.8. bis zum 11.10.2011 nach den Feststellungen des LSG.

15

Sie war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - kommt es in solchen Fällen nicht an.

16

Die Klägerin war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst in der strittigen Zeit über kein zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und für ihre Mutter nach den Feststellungen des LSG das Gleiche galt; die Voraussetzungen für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit dem zumindest früheren Lebenspartner Y. hat das LSG nicht festgestellt.

17

Die Klägerin hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in W. (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -), weil sie dort nicht nur vorübergehend, sondern zukunftsoffen verweilte (vgl nur BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 18 ff mwN).

18

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

19

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin von vornherein ausscheidet.

20

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

21

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

22

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich die Klägerin für die strittige Zeit nicht berufen.

23

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU setzt die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als Arbeitnehmer voraus, die nicht nur von geringem Umfang oder völlig untergeordneter oder unwesentlicher Bedeutung ist, wobei das erzielte Arbeitsentgelt aber nicht das Existenzminimum der betreffenden Person und ihrer Familienangehörigen vollständig abdecken muss(BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 26).

24

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil sie nur im Juni 2011 vorübergehend für die T. GmbH tätig war.

25

b) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU setzt voraus, dass eine erwerbsorientierte Tätigkeit als Selbstständiger mittels einer bestimmten Einrichtung oder Organisation auf unbestimmte Zeit tatsächlich ausgeübt wird, ohne dass der erzielte Gewinn das Existenzminimum abdecken muss; die bloße Anmeldung eines Gewerbes genügt nicht (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 19; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 28).

26

Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil sie ihr Gewerbe "Gebäudereinigung; Lagerarbeiten" zwar vorübergehend angemeldet, in diesem - nach ihren vom LSG nur festgestellten Angaben - aber nicht tätig war. Auch die vorübergehende Tätigkeit für die T. GmbH im Juni 2011, wenn diese als selbstständige anzusehen sein sollte, erfüllte nicht diese Voraussetzung.

27

c) Eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU scheidet aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen aus.

28

d) Für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU - die 1989 geborene Klägerin war zu dem vom LSG nicht festgestellten, sondern nur ihre Angaben wiedergebenden Einreisezeitpunkt "Anfang Oktober 2010" fast 21 Jahre alt - spricht mangels Feststellungen des LSG hinsichtlich der Begleitung oder des Nachzugs zu einem freizügigkeitsberechtigten Ehegatten, Lebenspartner iS des FreizügG/EU oder Verwandten nichts.

29

e) Dasselbe gilt für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach dessen Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts).

30

f) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nicht ersichtlich.

31

Ein solches ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung zu den Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung aufgrund einer Schwangerschaft. Diese Rechtsprechung führt zu einem auf § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG gestützten Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt, weil diese Personen sich ua auf Art 6 GG, §§ 27 ff AufenthG berufen können(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34). Die Voraussetzungen dieses Aufenthaltsrechts wurden in jenem Verfahren bejaht, weil es der Schwangeren vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht zumutbar gewesen sei, sich von dem Vater des Kindes, einem griechischen Staatsangehörigen, der sich seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt, unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Rückhalts zu trennen.

32

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, wie das LSG zu Recht und ausführlich begründet dargelegt hat, zumal es sich bei § 7 Abs 1 Satz 3 AufenthG um eine Ermessensregelung handelt. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens war in der strittigen Zeit nicht in der Spätphase ihrer Schwangerschaft und eine Familiengründung mit dem Kindsvater, von dem die Klägerin nach ihren Angaben getrennt lebte, war nicht geplant, zudem war nicht klar, ob die Klägerin die elterliche Sorge für das Kind übernehmen wollte.

33

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen(vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff). Denn die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

34

Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer in seiner Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 19.10.2010, aaO, SGb 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der EU erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.

35

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

36

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für die Klägerin Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Betracht kommen.

37

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

38

Die Klägerin war nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 21 RdNr 5, der in RdNr 1 ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in RdNr 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 21 RdNr 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl 2009, § 21 RdNr 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II ausgeschlossen ist).

39

Ob einem Anspruch der Klägerin auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem SGB II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU noch aufenthaltsberechtigt nach dem AufenthG sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).

40

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

41

10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs der Klägerin gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die die Klägerin hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

42

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen(zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des LSG ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

43

Der Beiladung der Stadt W. als Sozialhilfeträger steht nicht entgegen, dass sie als zugelassener kommunaler Träger zugleich Rechtsträger des beklagten Jobcenters ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein solcher "In-sich-Prozess", der auch das Verhältnis eines Hauptbeteiligten zu einem notwendig Beizuladenden betreffen kann, zulässig und insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist sowie die entsprechenden Folgen für die Beteiligtenstellung zu ziehen sind, wenn die betroffenen Behörden oder Einrichtungen desselben Rechtsträgers eine gewisse Verselbstständigung erfahren haben und Inhaber eigener Rechte und Pflichten im Verhältnis zueinander sind, über die im Streitfall von der gemeinsamen Spitze nicht verbindlich entschieden werden kann (BSG Urteil vom 23.4.1975 - 9 RV 136/74 - BSGE 39, 260 = SozR 3100 § 52 Nr 1; BSG Urteil vom 28.1.2004 - B 6 KA 4/03 R - SozR 4-1500 § 70 Nr 1 RdNr 18 ff; letztens etwa BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 4/14 R - SozR 4-2500 § 80 Nr 1 RdNr 18 f; vgl nur Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 56a; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 15; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 63 RdNr 7; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl 2014, § 63 RdNr 8 f).

44

Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zwischen dem Jobcenter eines zugelassenen kommunalen Trägers und dessen Stellung als Sozialhilfeträger erfüllt. Denn ein zugelassener kommunaler Träger muss sich verpflichten, das Jobcenter als besondere Einrichtung zu errichten und zu unterhalten (§ 6a Abs 2 Satz 1 Nr 2, Abs 5 SGB II), der Bund trägt bestimmte Aufwendungen dieses zugelassenen kommunalen Trägers einschließlich der Verwaltungskosten (§ 6b Abs 2 Satz 1 SGB II), kann für die Bewirtschaftung der Mittel bestimmte Vorgaben machen (§ 6b Abs 2, § 46 Abs 1 Satz 4, Abs 2 SGB II) und hat seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesrechnungshofs bestimmte Aufsichts- und Kontrollrechte (§ 6b Abs 3, 4 SGB II). Letztlich muss der zugelassene kommunale Träger gegenüber dem Bund die Verwendung der erhaltenen Mittel im Rahmen des SGB II belegen (§ 6b Abs 5 SGB II; vgl letztens BSG Urteil vom 12.11.2015 - B 14 AS 50/14 R).

45

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013.

2

Der 1993 geborene Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er reiste - nach seinen vom Landessozialgericht (LSG) festgestellten Angaben - im Oktober 2011 nach Deutschland und wohnt gemeinsam mit seiner Mutter und zeitweise seiner Schwester sowie deren Kindern in einer Wohnung in W. Am 2.3.2012 meldete er ein "Garten- und Landschaftsbau"-Gewerbe an und am 20.5.2012 wieder ab, ohne in diesem tätig geworden zu sein. Nach seinen Angaben war er im April 2012 fünf bis sechs Tage nicht-sozialversicherungspflichtig beschäftigt, habe sich wegen Aussichtslosigkeit aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht auf Stellenangebote beworben und verfüge über kein Einkommen oder Vermögen.

3

Den vom Kläger am 30.1.2012 beim beklagten Jobcenter - einem zugelassenen kommunalen Träger - gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II lehnte dieses unter Hinweis auf § 8 Abs 2 SGB II ab(Bescheid vom 23.2.2012), ebenso den am 28.3.2012 gestellten Antrag auf Überprüfung dieses Bescheides (Bescheid vom 10.4.2012). Der eingelegte Widerspruch wurde vom Kläger auf die Zeit vom 30.1.2012 bis zum 30.4.2012 beschränkt und vom Beklagten unter Verweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zurückgewiesen(Widerspruchsbescheid vom 4.5.2012). Hiergegen ist Klage erhoben worden zum Sozialgericht (SG) Wiesbaden (Az: S 11 AS 382/12).

4

Für die Zeit ab dem 1.5.2012 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Leistungen nach dem SGB II, der vom Beklagten abgelehnt wurde (Bescheid vom 15.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 20.6.2012). Auch hiergegen ist Klage erhoben worden zum SG Wiesbaden (Az: S 11 AS 483/12).

5

Das SG hat die Klagen verbunden und abgewiesen (Urteil vom 12.10.2012). Das LSG hat unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide des Beklagten diesen verurteilt, dem Kläger vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 "Leistungen nach dem SGB II zu gewähren" (Urteil vom 27.11.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, insbesondere sei er mangels eigenen Einkommens und Vermögens hilfebedürftig gewesen und auch das Vermögen seiner Mutter sei Ende des Jahres 2011 erschöpft gewesen. Er habe aufgrund der erforderlichen Zukunftsoffenheit einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Der Kläger sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Er könne sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) berufen, denn er habe nicht mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit gesucht, zumal er keine dahin gehenden "Ambitionen" entfaltet habe. Er könne sich auch nicht auf ein anderes Aufenthaltsrecht zB aus den Nachwirkungen der Tätigkeit im April 2012 oder als Dienstleistungserbringer berufen (§ 2 Abs 2 Nr 1, 2 iVm Abs 3 FreizügG/EU). § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II könne nicht als Auffangausschlusstatbestand im Weg eines "Erst-Recht"-Schlusses erweiternd dahin gehend ausgelegt werden, dass er auch einen "nur" (formal-)legalen Aufenthalt umfasse, selbst wenn die Ausländerbehörde noch keine Feststellungen über den Wegfall der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts getroffen habe.

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano) die Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Nach diesem Urteil hätten wirtschaftlich inaktive EU-Ausländer wie der Kläger keinen Anspruch auf Sozialleistungen im Aufnahmestaat.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 2013 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Oktober 2012 zurückzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und rügt hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.

Entscheidungsgründe

10

Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG vom 27.11.2013 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

11

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des LSG, das den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide des Beklagten verurteilt hat, den Bescheid vom 23.2.2012 zurückzunehmen und dem Kläger vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, und letztlich das Begehren des beklagten Jobcenters, die Klage abzuweisen.

12

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der vom Kläger hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

13

3. Rechtsgrundlage der vom Kläger begehrten und vom LSG zugesprochenen "Leistungen nach dem SGB II" für die strittige Zeit ist neben § 40 Abs 1 SGB II iVm § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - hinsichtlich des ersten Zeitraums, in dem der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 23.2.2012 zu überprüfen ist, und neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.

14

Der Kläger erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was beim Kläger der Fall ist (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das Grundgesetz (GG) (dazu 9.) entgegen. Für den Kläger kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die vom Kläger hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).

15

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte der 1993 geborene Kläger in der strittigen Zeit vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 nach den Feststellungen des LSG.

16

Er war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand seiner Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für ihn als bulgarischen Staatsangehörigen die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(Bundessozialgericht Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - kommt es in solchen Fällen nicht an.

17

Der Kläger war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil er selbst kein Einkommen oder Vermögen hatte und das Vermögen seiner Mutter, mit der er in einem Haushalt lebte und mangels eigenen Einkommens oder Vermögens eine Bedarfsgemeinschaft bildete(§ 7 Abs 3 Nr 1, 4 SGB II), nach den Feststellungen des LSG Ende des Jahres 2011 erschöpft war. Mögliches Einkommen oder Vermögen seiner Schwester, die zeitweise auch in dem Haushalt der Mutter lebte, wäre allenfalls nach § 9 Abs 5 SGB II zu berücksichtigen; dass dieses eine Höhe erreichte (vgl zur Berechnung § 1 Abs 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung), die zu einer entsprechenden Vermutung führt, hat das LSG verneint.

18

Der Kläger hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in W. (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -), weil er dort nicht nur vorübergehend, sondern zukunftsoffen verweilte (vgl nur BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 18 ff mwN).

19

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf den Kläger anzuwenden, weil dieser sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

20

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wobei diese letzte Variante beim Kläger von vornherein ausscheidet.

21

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

22

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

23

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich der Kläger für die strittige Zeit nicht berufen.

24

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU setzt die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als Arbeitnehmer voraus, die nicht nur von geringem Umfang oder völlig untergeordneter oder unwesentlicher Bedeutung ist, wobei das erzielte Arbeitsentgelt aber nicht das Existenzminimum der betreffenden Person und ihrer Familienangehörigen vollständig abdecken muss(BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 26).

25

Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er im strittigen Zeitraum von mehreren Monaten nur fünf bis sechs Tage nicht-sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

26

b) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU setzt voraus, dass eine erwerbsorientierte Tätigkeit als Selbstständiger mittels einer bestimmten Einrichtung oder Organisation auf unbestimmte Zeit tatsächlich ausgeübt wird, ohne dass der erzielte Gewinn das Existenzminimum abdecken muss; die bloße Anmeldung eines Gewerbes genügt nicht (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 19; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 28).

27

Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er ein "Garten- und Landschaftsbau"-Gewerbe zwar vorübergehend angemeldet hatte, in diesem aber nicht tätig war.

28

c) Eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder selbstständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU scheidet aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen aus.

29

d) Für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehöriger nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU - der 1993 geborene Kläger war zu Beginn des strittigen Zeitraums am 30.1.2012 erst 19 Jahre alt - spricht nach den Feststellungen des LSG nichts. Dasselbe gilt für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach dessen Nr 3 oder Nr 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts).

30

e) Ein Aufenthaltsrecht des Klägers nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nicht ersichtlich.

31

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen(vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff). Denn der Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

32

Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer in seiner Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 19.10.2010, aaO, SGb 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der EU erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.

33

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

34

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für den Kläger Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Betracht kommen.

35

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte der Kläger nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

36

Der Kläger war nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 21 RdNr 5, der in RdNr 1 ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in RdNr 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 21 RdNr 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl 2009, § 21 RdNr 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II ausgeschlossen ist).

37

Ob einem Anspruch des Klägers auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem SGB II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU noch aufenthaltsberechtigt nach dem AufenthG sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).

38

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

39

10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs des Klägers gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die der Kläger hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

40

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen(zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des LSG ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

41

Der Beiladung der Stadt W. als Sozialhilfeträger steht nicht entgegen, dass sie als zugelassener kommunaler Träger zugleich Rechtsträger des beklagten Jobcenters ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein solcher "In-sich-Prozess", der auch das Verhältnis eines Hauptbeteiligten zu einem notwendig Beizuladenden betreffen kann, zulässig und insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist sowie die entsprechenden Folgen für die Beteiligtenstellung zu ziehen sind, wenn die betroffenen Behörden oder Einrichtungen desselben Rechtsträgers eine gewisse Verselbstständigung erfahren haben und Inhaber eigener Rechte und Pflichten im Verhältnis zueinander sind, über die im Streitfall von der gemeinsamen Spitze nicht verbindlich entschieden werden kann (BSG Urteil vom 23.4.1975 - 9 RV 136/74 - BSGE 39, 260 = SozR 3100 § 52 Nr 1; BSG Urteil vom 28.1.2004 - B 6 KA 4/03 R - SozR 4-1500 § 70 Nr 1 RdNr 18 ff; letztens etwa BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 4/14 R - SozR 4-2500 § 80 Nr 1 RdNr 18 f; vgl nur Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 56a; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 15; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 63 RdNr 7; Redeker/ von Oertzen, VwGO, 16. Aufl 2014, § 63 RdNr 8 f).

42

Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zwischen dem Jobcenter eines zugelassenen kommunalen Trägers und dessen Stellung als Sozialhilfeträger erfüllt. Denn ein zugelassener kommunaler Träger muss sich verpflichten, das Jobcenter als besondere Einrichtung zu errichten und zu unterhalten (§ 6a Abs 2 Satz 1 Nr 2, Abs 5 SGB II), der Bund trägt bestimmte Aufwendungen dieses zugelassenen kommunalen Trägers einschließlich der Verwaltungskosten (§ 6b Abs 2 Satz 1 SGB II), kann für die Bewirtschaftung der Mittel bestimmte Vorgaben machen (§ 6b Abs 2, § 46 Abs 1 Satz 4, Abs 2 SGB II) und hat seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesrechnungshofs bestimmte Aufsichts- und Kontrollrechte (§ 6b Abs 3, 4 SGB II). Letztlich muss der zugelassene kommunale Träger gegenüber dem Bund die Verwendung der erhaltenen Mittel im Rahmen des SGB II belegen (§ 6b Abs 5 SGB II; vgl letztens BSG Urteil vom 12.11.2015 - B 14 AS 50/14 R).

43

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011.

2

Die 1977 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter der am 24.3.1998 geborenen Klägerin zu 2. Zusammen mit weiteren Familienangehörigen reisten sie am 9.2.2004 unter falschen Namen in Deutschland ein und gaben an, mazedonische Staatsangehörige zu sein. Sie erhielten bis zum 13.4.2010 Duldungen und bis zum Februar 2010 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Am 13.7.2010 wurde dem Ausländeramt ihre zutreffende Identität und ihre bulgarische Staatsangehörigkeit bekannt. Die Klägerinnen lebten mit den Eltern sowie dem Bruder der Klägerin zu 1 in einer gemeinsamen Wohnung in einem Übergangswohnheim und die Klägerin zu 2 war in der strittigen Zeit Schülerin.

3

Am 10.9.2010 stellten die Klägerinnen einen ersten und am 25.9.2010 einen zweiten Leistungsantrag bei der Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters (im Folgenden: Beklagter). Der zweite Antrag wurde vom Beklagten abgelehnt, weil die Klägerinnen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien(Bescheid vom 18.3.2011). Ein weiterer Antrag der Klägerinnen vom 5.8.2011 für die Zeit ab 15.7.2011 wurde ebenfalls vom Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 11.8.2011). Die Widersprüche der Klägerinnen wurden mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2011 zurückgewiesen. Kurz zuvor - Mitte September 2011 - wurden auf dem Konto der Klägerin zu 1 zunächst 1656 Euro und am 6.12.2011 weitere 7972 Euro Nachzahlungen an Kindergeld für die Klägerin zu 2 gut geschrieben.

4

Das Sozialgericht (SG) Köln hat unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, den Klägerinnen vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und die Klagen im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 27.11.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten, mit der dieser eine Abweisung der Klagen insgesamt angestrebt hat, zurückgewiesen (Urteil vom 5.5.2014). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 habe im strittigen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Sie sei als bulgarische Staatsangehörige unabhängig von der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung erwerbsfähig iS des § 8 Abs 2 SGB II und zumindest damals auch gesundheitlich erwerbsfähig gewesen. Sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei trotz der Kindergeldnachzahlung in Höhe von 1656 Euro Mitte September 2011 hilfebedürftig gewesen, weil dieser Betrag nach § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II auf sechs Monate zu verteilen sei. § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II stehe ihrem Leistungsanspruch nicht entgegen, weil die Klägerin zu 1 sich in der strittigen Zeit nicht auf ein solches Aufenthaltsrecht habe berufen können. Ein Aufenthaltsrecht ihrerseits nach § 2 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) scheide aus, weil die Dreimonatsfrist für ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht abgelaufen sei und ihre Arbeitsuche ohne jede begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Zudem habe sie als bulgarische Staatsangehörige eine "Arbeitserlaubnis EU" oder eine "Arbeitsberechtigung EU" nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) benötigt. Auf ein anderes Aufenthaltsrecht habe die Klägerin zu 1 sich nicht berufen können. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II finde auf EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht keine Anwendung. Die Klägerin zu 2 habe Anspruch auf Sozialgeld, weil sie mit der Klägerin zu 1 eine Bedarfsgemeinschaft bilde und nicht über ausreichendes Einkommen und Vermögen verfüge.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Der Aufenthalt von bulgarischen Staatsangehörigen habe während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen des § 5 Abs 5 bis 7 FreizügG/EU beendet werden können. Ohne dieses Verwaltungsverfahren bestände ein Aufenthaltsrecht. Solange bestehe eine Freizügigkeitsvermutung und ein rechtmäßiger Aufenthalt. Bei Personen wie der Klägerin zu 1, die von ihrem Freizügigkeitsrecht als arbeitsuchende Unionsbürger Gebrauch machten, seien die Erfolgsaussichten, eingestellt zu werden, nicht zu prüfen. Eine andere Auslegung - wie sie das LSG getroffen habe - führe zu dem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis, dass Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht integrierbar seien, nicht vom Leistungsausschluss betroffen seien.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 2014 aufzuheben und die Klagen unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 27. November 2012 insgesamt abzuweisen.

7

Die Klägerinnen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und rügen hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.

Entscheidungsgründe

9

Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG vom 5.5.2014 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des LSG, das die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat, welches seinerseits den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 18.3. und 11.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 verurteilt hat, den Klägerinnen vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 "dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II" zu gewähren, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen insgesamt abzuweisen.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der von den Klägerinnen hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

12

3. Rechtsgrundlage der von den Klägerinnen begehrten und von SG und LSG zugesprochenen "Leistungen nach dem SGB II" in der strittigen Zeit ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.

13

Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der die EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz des Schulbesuchs der Klägerin zu 2 (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das Grundgesetz (GG) (dazu 9.) entgegen. Für die Klägerin zu 1 kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf ihre hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.). Für die Klägerin zu 2 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 11. und 12.).

14

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1977 geborene Klägerin zu 1 in der strittigen Zeit vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 nach den Feststellungen des LSG.

15

Sie war damals trotz gewisser gesundheitlicher Probleme erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 14 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 SGB III kommt es in solchen Fällen nicht an.

16

Die Klägerin zu 1 war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst nicht durchgehend über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die Kindergeldnachzahlung für die Tochter in Höhe von 1656 Euro Mitte September 2011 verringerte allenfalls die Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1, ließ diese im strittigen Zeitraum vorübergehend, aber nicht völlig entfallen (vgl zur Berücksichtigung von Kindergeld § 11 Abs 1 Satz 4, 3 SGB II). Anhaltspunkte für ein Einkommen oder Vermögen ihrer Eltern oder ihres Bruders, mit denen sie in einer Wohnung lebte und das nach § 9 Abs 5 SGB II im Rahmen einer entsprechenden Vermutung zu berücksichtigen wäre, sind nicht zu erkennen.

17

Die seit dem Jahr 2004 in Deutschland lebende Klägerin zu 1 hatte hier einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -).

18

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

19

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

20

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

21

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

22

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich die Klägerin zu 1 für die strittige Zeit nicht berufen.

23

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder Nr 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU.

24

b) Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG ebenfalls nicht zu entnehmen.

25

Insbesondere sind auch die Voraussetzungen für eine aus einer Freizügigkeitsberechtigung der Tochter abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung als Elternteil nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 Abs 4 FreizügG/EU für die Klägerin zu 1 nicht gegeben.

26

Diese Freizügigkeitsberechtigung des Kindes eines freizügigkeitsberechtigten EU-Ausländers, der stirbt oder wegzieht, muss auch auf die Fälle angewandt werden, in denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) das Recht des Kindes auf Zugang zum Unterricht aus Art 12 der Verordnung (EWG) Nr 1612/68, der mittlerweile durch Art 10 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 abgelöst wurde, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers begründet, wenn das Kind seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzen möchte. Aus diesem Aufenthaltsrecht des Kindes folgt ein entsprechendes Aufenthaltsrecht des Elternteils, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt (vgl nur EuGH Urteil vom 13.6.2013 - C-45/12 - RdNr 46 mwN sowie BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 29 ff mwN).

27

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil die Klägerin zu 2 sich nicht auf die Rechtsstellung eines Kindes eines (Wander-)Arbeitnehmers nach den genannten Verordnungen berufen kann, da ihre Mutter - die Klägerin zu 1 - nach den Feststellungen des LSG nie berufstätig war und über den Vater der im Jahr 2004 eingereisten Klägerin zu 2 nichts bekannt ist, was auf einen Status als Wanderarbeitnehmer in diesem Sinne hindeutet.

28

c) Auch die Voraussetzungen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) sind mangels dahin gehender Feststellungen des LSG hinsichtlich der Klägerin zu 1 im strittigen Zeitraum nicht zu erkennen.

29

d) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nicht ersichtlich.

30

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen(vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff). Denn die Klägerin zu 1 ist bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

31

Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer in seiner Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 19.10.2010, aaO, SGb 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der EU erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.

32

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

33

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für die Klägerin zu 1 Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Betracht kommen.

34

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

35

Die Klägerin zu 1 war nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 21 RdNr 5, der in RdNr 1 ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in RdNr 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 21 RdNr 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl 2009, § 21 RdNr 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II ausgeschlossen ist).

36

Ob einem Anspruch der Klägerin zu 1 auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem SGB II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU noch aufenthaltsberechtigt nach dem AufenthG sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorläufervorschrift in § 120 Bundessozialhilfegesetz).

37

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

38

10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs der Klägerin zu 1 gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die die Klägerinnen hilfsweise gerügt haben, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

39

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen(zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des LSG ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

40

11. Für die Klägerin zu 2 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

41

Da sie 1998 geboren wurde, war sie in der strittigen Zeit vom 25.9.2010 bis zum 30.11.2011 keine leistungsberechtigte Person nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II. Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 SGB II könnte sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist aber keine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II aufgrund des zuvor Gesagten.

42

12. In Betracht kommen für die Klägerin zu 2 jedoch ebenfalls Leistungen nach dem SGB XII, was zunächst eine Beiladung des Sozialhilfeträgers voraussetzt.

43

Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. März 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für einen Unionsbürger vom 1.9.2013 bis zum 21.3.2014.

2

Der 1978 geborene Kläger ist spanischer Staatsangehöriger und lebte seit Anfang 2011 in Deutschland zunächst von seinem Ersparten, ohne erwerbstätig zu sein. Schließlich besuchte er bis zum 27.9.2013 einen Kurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Vermittlung in den Arbeitsmarkt, seine zahlreichen Bewerbungen waren aber erfolglos, zumal er kein Deutsch sprach. Seinen Leistungsantrag lehnte das beklagte Jobcenter ab, weil er gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei und sich aufgrund des von Deutschland erklärten Vorbehalts auch nicht auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen könne(Bescheid vom 30.9.2013, Widerspruchsbescheid vom 6.11.2013). Am 22.3.2014 verzog der Kläger zur Arbeitsaufnahme nach Schweden.

3

Das SG hat den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide verurteilt, dem Kläger Leistungen vom 1.9.2013 bis zum 21.3.2014 zu gewähren (Urteil vom 8.5.2014). Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.3.2015). Der Kläger habe ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche gehabt und sei demgemäß von Leistungen des SGB II nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen. Dem stehe EU-Recht nicht entgegen. Auch aus dem EFA folge aufgrund der Wirksamkeit des Vorbehalts kein Anspruch.

4

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II, weil er mangels begründeter Aussicht auf eine Anstellung nicht als arbeitsuchend einzustufen sei und die Vorschrift nicht mittels eines "Erst-recht-Schlusses" erweiternd auszulegen sei. Zudem lägen Verstöße gegen das EFA und das GG vor, weil er Ansprüche auf existenzsichernde Leistungen habe - zumindest nach dem SGB XII.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. März 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2014 zurückzuweisen.

6

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Auf die zulässige Revision des Klägers ist das Urteil des LSG vom 19.3.2015 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zutreffend hat zwar das LSG entschieden, dass der Kläger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen ist. In Betracht kommen aber Leistungen der Sozialhilfe, über die der Senat mangels Beiladung des Sozialhilfeträgers und ausreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann.

8

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des LSG vom 19.3.2015 und des SG vom 8.5.2014 sowie der Bescheid des Beklagten vom 30.9.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.11.2013, soweit der Beklagte vom SG verurteilt worden ist, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1.9.2013 bis zum 21.3.2014 zu gewähren, was der Kläger wiederherzustellen begehrt, hilfsweise unter Verurteilung des Sozialhilfeträgers.

9

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der vom Kläger hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

10

3. Rechtsgrundlage der dem Kläger vom SG zugesprochenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die strittige Zeit ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff SGB II insbesondere § 7 SGB II über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach.

11

Der Kläger erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II(dazu 5. und 6.). Dem stehen nicht das EFA (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen. Für den Kläger kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des LSG zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die von dem Kläger hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).

12

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte der 1978 geborene Kläger in der strittigen Zeit vom 1.9.2013 bis zum 21.3.2014 nach den Feststellungen des LSG.

13

Er war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand seiner Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für ihn als spanischer Staatsangehöriger die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff), worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 SGB II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis EU" nach § 284 SGB III - Arbeitsförderung - kommt es in solchen Fällen nicht an.

14

Der Kläger war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil er selbst in der strittigen Zeit über kein zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte.

15

Der Kläger hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I), weil er dort nicht nur vorübergehend, sondern bis zu seiner Ausreise zukunftsoffen verweilte (vgl nur BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 18 ff mwN).

16

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf den Kläger anzuwenden, weil er sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

17

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei dem Kläger von vornherein ausscheidet.

18

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat hat sich dem 4. Senat angeschlossen, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

19

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem FreizügG/EU nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum FreizügG/EU in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 FreizügG/EU mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

20

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss - sei er, wie das LSG angenommen hat, im streitbefangenen Zeitraum Arbeitsuchender iS von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II gewesen oder nicht(dazu näher unter 10. c) - umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG kann sich der Kläger für diese Zeit nicht berufen.

21

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahingehender Aktivitäten des Klägers aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder selbstständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehöriger nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Aufgrund seiner Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung des Klägers als nicht Erwerbstätiger nach § 2 Abs 2 Nr 5, § 4 FreizügG/EU aus.

22

b) Ein Aufenthaltsrecht des Klägers nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, ist nach den Feststellungen des LSG ebenfalls nicht ersichtlich.

23

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht dem Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen, weil sich der Kläger - bezogen auf die SGB II-Leistungen - nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen kann (vgl zum EFA das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, BGBl II 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des SGB II bei einem französischen Staatsangehörigen: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4, RdNr 33 f).

24

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO Nr 883/2004/EG und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO Nr 883/2004/EG der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer EU-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

25

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss des Klägers nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für den Kläger Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem SGB XII in Betracht kommen (dazu nunmehr 10.).

26

10. a) Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte der Kläger nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

27

b) Der Kläger war auch nicht nach § 21 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII sind nach dem SGB II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 SGB XII, der § 7 Abs 5 und 6 SGB II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 SGB XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II entspricht).

28

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 SGB XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem SGB II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S 57), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des SGB II und des SGB XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

29

c) Da die Bundesregierung bezogen auf die Vorschriften der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII keinen Vorbehalt erklärt hat, sind dem Kläger Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer Gleichbehandlung mit inländischen Staatsangehörigen zu erbringen, soweit die Anwendungsvoraussetzungen nach dem EFA vorliegen; in diesem Fall findet die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII keine Anwendung(vgl zum SGB II: BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 23 ff; vgl zum Gleichbehandlungsanspruch: BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201; BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139, 142; vgl zur Anwendbarkeit des Art 1 EFA im SGB XII und zur Reichweite des erklärten Vorbehalts: Urteil des BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 24 mwN; Urteil des BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 mwN).

30

Als Grundlage des für die Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen nach Art 1 EFA vorausgesetzten erlaubten Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet in Betracht kommt hier, nachdem die Dokumentation eines sich unmittelbar aus Unionsrecht ergebenden Aufenthaltsrechts (vgl Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 9) mit der Streichung der Bescheinigung nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU mit Wirkung ab 29.1.2013 durch das FreizügG/EU2004uaÄndG ersatzlos entfallen ist, die materielle Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchender iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1a FreizügG/EU(vgl dazu im Einzelnen BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 21 ff mwN). Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind danach Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Sollte im Sinne dessen, was den Feststellungen des LSG nicht sicher zu entnehmen ist, die Spanne von bis zu sechs Monaten tatsächlicher Arbeitsuche im hier streitbefangenen Zeitraum bereits ganz oder teilweise abgelaufen gewesen sein, so war der Kläger nach diesen Voraussetzungen nur noch solange weiterhin freizügigkeitsrechtlich als arbeitsuchend anzusehen, als begründete Aussicht bestanden hat, dass er ungeachtet der fehlenden deutschen Sprachkenntnisse und der bereits fehlgeschlagenen Bewerbungsanstrengungen begründete Aussicht hatte, eingestellt zu werden (zur vergleichbaren Frage im Zusammenhang mit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 17 f). Ob es sich so verhält, wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben.

31

d) Soweit der Kläger nach den noch zu treffenden Feststellungen ganz oder teilweise nicht mehr als Arbeitsuchender iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1a FreizügG/EU und damit als materiell freizügigkeitsberechtigt anzusehen ist, so hat er - der nach den bereits getroffenen Feststellungen anfangs von Ersparnissen gelebt hat und damit nicht eingereist ist, um nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII Sozialhilfe zu erlangen(vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45 f) - im streitbefangenen Zeitraum zwar aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII "erst recht" keinen Anspruch auf Sozialhilfe(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 48 ff). Jedoch beinhaltet § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 BSHG). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG(zu diesem grundlegend BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in Deutschland aufhalten, BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - BVerfGE 132, 134, insbesondere RdNr 63; dort auch RdNr 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

32

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des BSG keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im SGB XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

33

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff; vgl auch BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 44 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

34

11. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs des Klägers gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die der Kläger hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

35

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen(zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 SGG). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 SGG), weil der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen zu den Anwendungsvoraussetzungen des EFA ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

36

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen gegen den Beklagten abgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, über die Ansprüche der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 14. Mai 2013 und der Kläger zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 14. Mai 2013 auf Leistungen nach dem SGB XII unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden sowie ihnen vom 15. Mai 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Instanzen zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014.

2

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1 reiste am 15.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie hatte in Bulgarien vier Jahre die Schule besucht und ein halbes Jahr als Putzfrau gearbeitet. Sie verfügte bei ihrer Einreise über keine deutschen Sprachkenntnisse. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit den Klägern zu 2 und 3 schwanger. Bei einer Untersuchung am 4.12.2012 wurden eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko festgestellt; errechneter Geburtstermin war der 29.3.2013. Die Klägerin zu 1 gebar am 9.3.2013 die Kläger zu 2 und 3.

3

Am 21.12.2012 stellte sie einen Leistungsantrag beim beklagten Jobcenter und gab an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach Deutschland geflohen. Sie habe Schutz vor ihm suchen müssen und gehofft, Arbeit zu finden.

4

Ab 10.1.2013 war die Klägerin zu 1 und waren später auch die Kläger zu 2 und 3 ordnungsbehördlich untergebracht. Ein von der Ausländerbehörde der beigeladenen Stadt K. im April 2013 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde seit Mitte 2013 seitens der Behörde nicht weiter betrieben, nachdem die Klägerin zu 1 in diesem Verfahren ihr Schicksal geschildert hatte.

5

Den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II ab(Bescheid vom 14.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 13.3.2013). Am 6.8.2013 stellte die Klägerin zu 1 für sich und die Kläger zu 2 und 3 einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ablehnte(Bescheid vom 15.8.2013; Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013).

6

Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem SG Köln zahlte der Beklagte der Klägerin zu 1 vom 21.2.2013 und später auch den Klägern zu 2 und 3 bis 21.8.2013 und ab 16.9.2013 ("längstens bis zum Abschluss des Rechtsstreits S 24 AS 1392/13") vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die gegen die Ablehnungen erhobenen Klagen vor dem SG (S 24 AS 1392/13 und S 24 AS 4485/13) verband dieses zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und verurteilte den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin zu 1 "Leistungen" ab 21.1.2013 und den Klägern zu 2 und 3 ab 9.3.2013 "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen" (Urteil vom 19.8.2014). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht anzuwenden sei, da dieser gegen höherrangiges europäisches Recht verstoße.

7

Am 27.10.2014 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte ablehnte (Bescheid vom 7.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 3.2.2015). Hiergegen ist Klage vor dem SG erhoben (S 19 AS 597/15).

8

Gegen seine Verurteilung durch das SG legte der Beklagte Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen ein. Im Berufungsverfahren lud das LSG die Stadt K. nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG bei, weil sie bei Ablehnung des Anspruchs als Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII als leistungspflichtig in Betracht komme. Die Berufung des Beklagten wies das LSG zurück (Urteil vom 1.6.2015), nachdem die Klägerin zu 1 ihr Leistungsbegehren auf die Zeit ab 15.2.2013 und das Leistungsbegehren aller Kläger auf die Zeit bis 30.9.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen hatte. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 erfülle im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und sei nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 oder 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II greife nicht ein, weil die Klägerin zu 1 am 15.11.2012 eingereist und der Dreimonatszeitraum des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II zu Beginn des streitigen Zeitraums am 15.2.2013 bereits abgelaufen gewesen sei. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife nicht ein, denn die Klägerin zu 1 habe im streitigen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche innegehabt, weil ihre Arbeitsuche objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Ihr hätten auch keine anderen Aufenthaltsrechte zugestanden. Auch die Kläger zu 2 und 3 hätten nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Der Klägerin zu 1 stehe deshalb Alg II und den Klägern zu 2 und 3 Sozialgeld zu, denn sie hätten mit der Klägerin zu 1 als einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II gelebt.

9

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, weil die Klägerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten könne. Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II erfasse zudem europarechtskonform auch EU-Ausländer, die wirtschaftlich inaktiv seien, ohne über ausreichende Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

10

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 30. September 2014 und den Klägern zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

12

Sie tragen ua vor, der Aufenthalt der Klägerin zu 1 sei auch humanitär bedingt, sodass § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II keine Anwendung finde.

13

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben und die Klagen gegen den Beklagten abzuweisen, weil dieser zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt hat. Jedoch sind die Klagen nicht insgesamt abzuweisen, sondern es ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG die Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, den Klägern im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

15

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung der Urteile des LSG und des SG, durch die der Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Kläger verurteilt worden ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen abzuweisen. Streitig ist nach den entsprechenden Erklärungen der Kläger vor dem LSG nur noch der Zeitraum für die Klägerin zu 1 vom 15.2.2013 und für die Kläger zu 2 und 3 ab Geburt vom 9.3.2013 bis jeweils zum 30.9.2014.

16

2. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Als solche zulässig sind auch die Klagen der Kläger zu 2 und 3 gegen den Bescheid des Beklagten vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013 für den Zeitraum vom 9.3.2013 bis 31.7.2013. Dem steht nicht entgegen, dass beide in diesem Bescheid keine Erwähnung gefunden haben. Denn der Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 erfasste aufgrund von § 38 Abs 1 Satz 1 SGB II auch die Kläger zu 2 und 3 ab ihrer Geburt am 9.3.2013. Damit sind sie ebenfalls Adressaten der Leistungsablehnung durch den Bescheid vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013.

17

Zulässig ist auch der im Revisionsverfahren gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 13). Weder diesem Antrag noch dem mit dem Hauptantrag weiterverfolgten Leistungsantrag gegen den Beklagten steht entgegen, dass die Kläger für Teilzeiträume des streitigen Zeitraums bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten haben (vgl BSG, aaO, RdNr 14).

18

3. Die Kläger haben im streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der die EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz eines in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen.

19

Doch sind den Klägern von der Beigeladenen Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen(dazu 10.). Die Beigeladene muss sich die Kenntnis des Beklagten vom Existenzsicherungsbedarf der Klägerin zu 1 zurechnen lassen (dazu 11.). Zwar unterliegt die Klägerin zu 1 dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII und ist dieser mit dem EFA und dem EU-Recht vereinbar(dazu 12.), doch schließt dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aus(dazu 13.). Ab 15.5.2013 kann die Klägerin zu 1 aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen (dazu 14.). Für die Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 15. und 16.).

20

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1989 geborene Klägerin zu 1 in der streitigen Zeit vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014 nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG).

21

Sie war trotz ihrer Schwanger- und Mutterschaft erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff). Die Klägerin zu 1 war auch hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst nicht über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die vom LSG festgestellten Einnahmen der Klägerin zu 1 einschließlich des Elterngeldes ließen, insbesondere wegen der Höhe der festgestellten Bedarfe für Unterkunft und Heizung, ihre Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Die am 15.11.2012 in Deutschland eingereiste Klägerin zu 1 hatte hier auf der Grundlage der Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 1 SGB I).

22

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

23

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

24

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; so bereits Urteile des Senats vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

25

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

26

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Klägerin zu 1 im streitigen Zeitraum nicht berufen.

27

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin zu 1 als nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs 2 Nr 5, § 4 FreizügG/EU aus.

28

b) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG/EU, das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zu rechtfertigen vermag, ist aufgrund der Feststellungen des LSG nicht ersichtlich.

29

Denn vorliegend kommt allenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen nach § 25 Abs 4 AufenthG wegen der Risikoschwangerschaft der Klägerin zu 1 bei ihrer Einreise nach Deutschland und der Geburt ihrer Kinder hier in Betracht, nicht aber ein Aufenthaltsrecht mit längerfristiger Bleibeperspektive, wie es sich zB aus den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung ergeben kann(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34; vgl auch BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 30 ff). Nur ein Aufenthaltsrecht, das eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt und das deshalb auch einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht entgegensteht, ist geeignet als Ausnahme zu § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II zu eröffnen. Ohne längerfristige Bleibeperspektive ist die Eröffnung des Zugangs zu diesen Leistungen einschließlich denen zur Eingliederung in Arbeit nicht sachgerecht. Die hier allenfalls in Betracht kommende Erteilung und ggf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 4 Satz 1 und 2 AufenthG mag mit einem erlaubten, aber nur vorübergehenden Aufenthalt zwar eine Antwort des Aufenthaltsrechts auf eine Krisensituation der Klägerin zu 1 bieten, lässt die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II auf sie nach dessen Sinn und Zweck indes unberührt.

30

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Denn das EFA ist weder nach seinem sachlichen (zur Nichtanwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB II aufgrund des von Deutschland erklärten Vorbehalts BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff) noch nach seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig, weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

31

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638) ergibt. Auch wenn Alg II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO (EG) Nr 883/2004 und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen) vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

32

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil der Klägerin zu 1 existenzsichernde Leistungen durch die Beigeladene nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren sind.

33

10. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

34

11. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen.

35

Die Klägerin zu 1 war danach nicht von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII sind nach dem SGB II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 SGB XII, der § 7 Abs 5 und 6 SGB II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 SGB XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II entspricht).

36

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 SGB XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem SGB II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S 57), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des SGB II und des SGB XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

37

12. Die Klägerin zu 1 unterliegt indes dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

38

a) Zwar ist die Klägerin zu 1 nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45 mwN). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht gegeben, denn die Klägerin zu 1 ist eingereist zu ihrem und zum Schutz ihrer ungeborenen Kinder vor ihrem Ex-Freund. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII EU-Ausländer, die weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen(BSG, aaO, RdNr 48 ff).

39

b) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nicht entgegen (zur Anwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB XII BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 ff), weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist. Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer, SGb 2011, 458), sind nicht zu erkennen (BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 34). Der Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist auch mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II.

40

13. Die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII.

41

§ 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iS des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 f mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 BSHG). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG(zu diesem grundlegend BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in Deutschland aufhalten, BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - BVerfGE 132, 134, insbesondere RdNr 63; dort auch RdNr 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

42

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des BSG keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im SGB XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

43

Auf dieser Grundlage hat die Klägerin zu 1 zunächst einen Anspruch gegen die Beigeladene auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese wird über das Leistungsbegehren der Klägerin zu 1 für die Zeit vom 15.2.2013 bis 14.5.2013 eine Ermessensentscheidung dem Grunde und der Höhe nach zu treffen haben. Bei dieser ist zu berücksichtigen, dass zum einen Ermessensgesichtspunkte dafür, Leistungen ganz abzulehnen, nicht ersichtlich sind, und zum anderen, dass neben den unmittelbar existenzsichernden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII auch Leistungen im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit nach §§ 47 ff SGB XII in Betracht kommen, zumal für die in dieser Zeit hochschwangere Klägerin zu 1, die am 9.3.2013 ihre beiden Kinder gebar.

44

14. Ab 15.5.2013 stehen der Klägerin zu 1 sodann nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII zu.

45

Das Ermessen der Beigeladenen ist ab diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach auf null reduziert, weil sich der Aufenthalt der Klägerin zu 1 nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff). Aufgrund dieser Anforderungen können EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten keine oder nur verminderte existenzsichernde Leistungen im Ermessenswege allenfalls gewährt werden, wenn sich ihr Aufenthalt trotz dieses Zeitablaufs entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat oder sie sich nur noch absehbar kurzzeitig in Deutschland aufhalten (vgl BSG, aaO, RdNr 58). Dies ist bei der Klägerin zu 1 nicht der Fall, nachdem die Ausländerbehörde das innerhalb der ersten sechs Monate eingeleitete Verlustfeststellungsverfahren aufgrund des Schicksals der Klägerin zu 1 nicht weiter betrieben und ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland faktisch geduldet hat. Doch steht die Einleitung dieses Verlustfeststellungsverfahrens zugleich der ausnahmsweisen Annahme einer Aufenthaltsverfestigung abweichend vom Regelfall bereits vor Ablauf von sechs Monaten entgegen; eine Ermessensreduzierung auf null vor dem 15.5.2013 scheidet aus.

46

Mit der Verfestigung ihres tatsächlichen, von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten Aufenthalts stehen der Klägerin zu 1 ausgehend vom Tag ihrer Einreise am 15.11.2012 nach Ablauf von sechs Monaten ab 15.5.2013 dem Grunde und der Höhe nach die gesetzlichen existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII zu. Auch insoweit gilt, dass diese Leistungen neben der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Hilfen zur Gesundheit nach dem SGB XII umfassen.

47

15. Für die am 9.3.2013 in Deutschland geborenen Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

48

Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 SGB II könnten sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur über eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist jedoch keine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II, sondern - wie oben gezeigt - von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

49

16. Doch sind ebenso wie für die Klägerin zu 1 auch für die Kläger zu 2 und 3 im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllten sie nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 1, Abs 3 Nr 4 SGB II.

50

Als Familienangehörige iS des § 3 Abs 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU eines sich in Deutschland aufhaltenden EU-Ausländers unterliegen wie die Klägerin zu 1 zwar auch sie dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII. Für die Zeit vom 9.3.2013 bis 14.5.2013 haben sie indes wie die Klägerin zu 1 als deren mit ihr in einem Haushalt lebende Kinder aufgrund von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII gegen die Beigeladene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Leistungen nach dem SGB XII. Ab 15.5.2013 stehen sodann auch ihnen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null dem Grunde und der Höhe nach die Leistungen nach dem SGB XII zu. Zwar hielten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht länger als sechs Monate tatsächlich in Deutschland auf, doch kommen keine Ermessensgesichtspunkte dafür in Betracht, der Klägerin zu 1, ihrer Mutter, ab diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB XII im Wege einer Ermessensreduzierung auf null zuzuerkennen, den Klägern zu 2 und 3 aber noch nicht.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.