Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2014 - 4 N 14.2046

bei uns veröffentlicht am03.12.2014

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

§ 2 der Zweiten Satzung zur Änderung der Satzung über die Entschädigung für Aufwand und Zeitversäumnis der ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder vom 24. Juli 2014 wird für unwirksam erklärt. Im Übrigen wird der Normenkontrollantrag abgelehnt.

II.

Die Antragsteller haben als Gesamtschuldner neun Zehntel, die Antragsgegnerin ein Zehntel der Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Die Streitparteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Streitpartei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller sind Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende von drei im Augsburger Stadtrat vertretenen kleineren Fraktionen mit jeweils drei bzw. vier Stadtratsmitgliedern. Sie wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen Änderungen der städtischen Aufwandsentschädigungssatzung (AES), wonach die Zulagen für Fraktionsvorsitzende und deren Stellvertreter nicht mehr wie bisher für alle Fraktionen in gleicher Höhe, sondern gestaffelt nach Fraktionsgröße gewährt werden sollen.

Nach § 1 Abs. 1 der auf Art. 20a GO gestützten Satzung über die Entschädigung für Aufwand und Zeitversäumnis der ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder in der Fassung vom 5. Mai 2009 (ABl. S. 99) steht den ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern zur Deckung der ihnen entstehenden Ausgaben eine monatliche Entschädigung von 1.272,00 Euro zu (Satz 1), die sich jeweils um den gleichen linearen Vom-Hundert-Satz und zeitgleich wie die Grundgehälter der Beamten der Besoldungsgruppe A 16 erhöht (Satz 2 und 3). Nach der ursprünglichen Regelung erhielten die Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen für ihre erhöhten Aufwendungen den doppelten Betrag der den Stadtratsmitgliedern gewährten Entschädigung (Satz 4 a. F.), die ersten Stellvertreter einen um 50 v. H. und die zweiten Stellvertreter einen um 25 v. H. erhöhten Betrag (Satz 5 a. F.), wobei im Falle von zwei bzw. drei gleichberechtigten Stellvertretern jedem ein um 37,5 v. H. bzw. 25 v. H. erhöhter Betrag zustand (Satz 6 a. F.).

Nach § 1 der vom Stadtrat der Antragsgegnerin am 24. Juli 2014 beschlossenen Zweiten Änderungssatzung lautet § 1 AES in den Sätzen 4 bis 6 nunmehr wie folgt:

[4] Die Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen erhalten für ihre erhöhten Aufwendungen neben dem Grundbetrag aus Satz 1 zusätzlich eine erhöhte Entschädigungsleistung bei bis zu einschließlich 5 Fraktionsmitgliedern in Höhe von 75 v. H., bei bis zu 10 Fraktionsmitgliedern 100 v. H., bei bis zu 15 Fraktionsmitgliedern 125 v. H., bei bis zu 20 Fraktionsmitgliedern 131,5 v. H. und ab 20 Fraktionsmitgliedern 137,5 v. H. des Betrags der den ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern gewährten Entschädigung. 5 Die Zahl der für eine erhöhte Entschädigungsleistung zu berücksichtigenden Stellvertreter des Fraktionsvorsitzenden richtet sich nach der Stärke ihrer Fraktion, wobei je angefangenen fünf Mitgliedern einer Fraktion ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender bis maximal vier stellvertretende Vorsitzende zusteht; diese erhalten bei einer Fraktionsgröße von bis zu einschließlich 5 Personen zusätzlich 25 v. H. der den ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern gewährten Entschädigung und ab 6 Fraktionsmitgliedern jeweils 37,5 v. H. der den ehrenamtlichen Stadtratsmitgliedern gewährten Entschädigung pro Person und Monat. 6 Die erhöhte Entschädigung kann unter mehreren Personen aufgeteilt werden.

Die geänderten Vorschriften sind nach § 2 der Änderungssatzung vom 24. Juli 2014 mit Wirkung zum 1. Mai 2014 in Kraft getreten.

Gegen die im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 29. August 2014, S. 208, bekanntgemachte Neuregelung erhoben die Antragsteller am 18. September 2014 eine Normenkontrollklage. Sie beantragen,

§ 1 Satz 4 und 5 der Satzung über die Entschädigung für Aufwand und Zeitversäumnis der ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder in der Fassung der Zweiten Änderungssatzung vom 24. Juli 2014 für unwirksam zu erklären,

hilfsweise: § 2 der Zweiten Änderungssatzung vom 24. Juli 2014 für unwirksam zu erklären.

Bisher habe jede Fraktion größenunabhängig eine Gesamtzulage von 175 v. H. erhalten (Vorsitzender: 100 v. H., Stellvertreter: 50 + 25 v. H.). Die von den großen Fraktionen CSU (23 Mitglieder) und SPD (13 Mitglieder) initiierte Änderung führe dazu, dass nunmehr die CSU-Fraktion insgesamt 287,5 v. H. (+113), die SPD-Fraktion 237,5 v. H. (+63), die Fraktion der Grünen 175 v. H. (+/-0) und die drei Fraktionen der Antragsteller jeweils 100 v. H. (-75) erhielten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach einer vom Stadtrat beschlossenen Regelung den in den Ausschüssen vertretenen Fraktionen, Ausschussgemeinschaften und Wählergruppen eine personelle Ausstattung bzw. ein Personalkostenersatz ebenfalls nur gestuft nach ihrer Größe zustehe, nämlich bei 3 Mitgliedern eine 0,5 Teilzeitstelle, bei 4 bis 6 Mitgliedern eine Vollzeitstelle, bei 7 bis 9 Mitgliedern 1,25 Vollzeitstellen, bei 10 bis 20 Mitgliedern 2,5 Vollzeitstellen und ab 20 Mitgliedern 3 Vollzeitstellen, wobei sich die Vergütung bei Fraktionen mit bis zu 10 Mitgliedern - entsprechend den Gehaltsstufen für Beamte - für den Geschäftsführer nach A 14 und für die weiteren Mitarbeiter nach A 8 bestimme, während die Einstufung bei größeren Fraktionen nach A 15 bzw. A 9 erfolge.

Die Antragsteller seien antragsbefugt, da die Neuregelung unmittelbar und rückwirkend zu einer Verringerung ihrer Aufwandsentschädigung als Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktionen führe, so dass sie möglicherweise in ihrem Recht auf angemessene Entschädigung und in ihrem Anspruch auf formelle Gleichbehandlung verletzt seien. Der Normenkontrollantrag sei begründet, da die angegriffenen Bestimmungen gegen höherrangiges Recht verstießen. Die Antragsgegnerin habe den bei der Entschädigungshöhe nach Art. 20a GO bestehenden Beurteilungsspielraum schon deshalb überschritten, weil sie gegen den aus Art. 38 Abs. 1 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BV abzuleitenden und auf Stadtratsmitglieder zu übertragenden Grundsatz der strengen und formellen Gleichheit verstoßen habe. In früheren Entscheidungen zur Überlassung von Sachmitteln und zur Aufwandsentschädigung für Gemeinderatsmitglieder habe auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf den Grundsatz der formellen Gleichheit der Abgeordneten abgestellt, der eine grundsätzlich gleich hoch bemessene Entschädigung für die Abgeordnetentätigkeit unabhängig von der individuellen Höhe des finanziellen Aufwands gebiete. Ein zwingender Grund für eine Durchbrechung dieses Grundsatzes bestehe zwar, soweit den Fraktionsvorsitzenden und ihren Stellvertretern für finanzielle Mehraufwendungen und eigene Mühewaltung eine Zulage gewährt werde. Für eine Ungleichbehandlung der Fraktionsvorsitzenden untereinander sei ein solcher zwingender Grund aber nicht erkennbar.

Unabhängig von der Anwendbarkeit des strengen und formalen Gleichbehandlungsgrundsatzes im kommunalen Bereich verstoße die angegriffene Neuregelung jedenfalls gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 118 Abs. 1 BV. Mit der Aufwandsentschädigung solle der mit der ehrenamtlichen Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied verbundene materielle und zeitliche Aufwand ausgeglichen werden. Die Entschädigung müsse als Pauschalentschädigung für alle gleich sein, soweit sie dasselbe Amt ausübten. Die Antragsgegnerin dürfe nicht ohne sachliche Rechtfertigung einem Teil der Mandatsträger bessere Arbeitsbedingungen oder eine bessere finanzielle Ausstattung zukommen lassen als einem anderen Teil. Eine Erhöhung sei grundsätzlich nur für Personen gerechtfertigt, die über das Ehrenamt hinausgehende zusätzliche Aufgaben wahrnähmen. Danach sei eine Abstufung der Zuschläge nach der Fraktionsgröße nicht zu rechtfertigen. Die Aufgaben eines Fraktionsvorsitzenden seien ungeachtet der Fraktionsgröße überwiegend deckungsgleich, nämlich Bearbeitung von Fraktionspost, Bürgeranfragen und Verwaltungsvorlagen, Auswertung sämtlicher Anträge und Ausschussunterlagen, Vorbereitung eigener Fraktionsanträge, Vorbereitung und Leitung der Fraktionssitzungen, Auswertung der Rückläufe aus der Stadtverwaltung auf Anfragen und Anträge, Repräsentation der Fraktion bei Einladungen und paritätische Beteiligung im Ältestenrat. Die Antragsgegnerin habe diesen Sachverhalt bei dem Satzungsbeschluss unvollständig ermittelt und damit ihren Einschätzungsspielraum fehlerhaft ausgefüllt. Dem möglichen Einwand, dass in größeren Fraktionen ein höherer Abstimmungsbedarf bestehe, sei deren bessere Personalausstattung und die höhere Zahl der Stellvertreter entgegenzuhalten. Die Vorsitzenden der kleineren Fraktionen hätten zudem Sonderlasten zu tragen; sie müssten sich z. B. in die Sitzungsvorlagen und Beschlüsse jener Ausschüsse einarbeiten, in denen ihre Fraktion nicht vertreten sei. Auch repräsentative Aufgaben träfen die Vorsitzenden der kleinen Fraktionen härter als die Vorsitzenden der „Regierungsfraktionen“, die sich durch eine Mehrzahl von Stellvertretern vertreten lassen könnten.

Selbst wenn eine Differenzierung dem Grunde nach gerechtfertigt werden könnte, hätte die Antragsgegnerin jedenfalls bei der konkreten Ausgestaltung ihren Beurteilungsspielraum überschritten. Wenn das Argument zutreffe, dass mit zunehmender Fraktionsgröße auch der Arbeitsaufwand des Vorsitzenden erheblich ansteige, lasse sich ein Anstieg von nur 12,5 Prozentpunkten zwischen dem Vorsitzenden einer Fraktion von mehr als 10 Mitgliedern (125 v. H.) und einer Fraktion von mehr als 20 Mitgliedern (137,5 v. H.) nicht erklären, wenn man zugleich im Blick habe, dass der Vorsitzende einer Fraktion mit 5 Mitgliedern (75 v. H.) im Vergleich zum Vorsitzenden einer etwas mehr als doppelt so großen Fraktion von 11 Mitgliedern (125 v. H.) nur die Hälfte bekomme. Aus den gleichen Erwägungen verstoße auch die Abstufung der Entschädigungen für die Stellvertreter der Fraktionsvorsitzenden gegen den strengen und formalen Gleichheitssatz, jedenfalls aber gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Einführung eines „Stellvertreters 1. Klasse“ bei Fraktionen ab 6 Mitgliedern (Zulage 37,5 v. H.) und eines „Stellvertreters 2. Klasse“ bei kleineren Fraktionen (Zulage 25 v. H.) sei nicht zu rechtfertigen. Dass die Anzahl der Stellvertreter von der Fraktionsgröße abhänge, werde nicht beanstandet; die Norm des § 1 Satz 5 AES sei allerdings nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB nicht teilbar.

Im Ergebnis benachteilige die Antragsgegnerin die kleinen Fraktionen in fünffacher Weise, nämlich durch die Staffelung der Zulage für die Fraktionsvorsitzenden, die geringere Zahl von Stellvertretern, deren geringere Zulagen, die schlechtere Personalausstattung nach Köpfen und die Eingruppierung der Mitarbeiter in eine geringere Entgeltgruppe. Diese unterschiedliche Behandlung sei vor dem Grundsatz der (auch monetären) Gleichbehandlung der Mandatsträger und der Chancengleichheit der Fraktionen im politischen Wettkampf nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle einer sog. Großen Koalition komme den kleinen Fraktionen eine besondere Verantwortung bei der Kontrolle der Arbeit von Stadtregierung und Stadtverwaltung zu; dem könnten sie nur gerecht werden, wenn sie die notwendigen Mittel erhielten.

Hilfsweise werde ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot geltend gemacht, da die am 24. Juli 2014 ausgefertigte und am 29. August 2014 bekanntgemachte Neuregelung nach § 2 der Änderungssatzung rückwirkend zum 1. Mai 2014 in Kraft gesetzt worden sei. Im Zeitraum vom 1. Mai 2014 bis zum 29. August 2014 sei der Tatbestand für die Aufwandsentschädigung nach der früheren Fassung der Vorschrift bereits erfüllt gewesen, so dass in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen werde. Darin liege eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung und damit ein Verstoß gegen das im Rechtsstaatsgebot verankerte Rückwirkungsverbot.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der bei der Bemessung der Abgeordnetenentschädigung zu beachtende strenge und formelle Gleichheitssatz (Art. 38 Abs. 1 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) sei auf Entschädigungen von Gemeindevertretern nicht übertragbar. Es handle sich im Gegensatz zu einer Abgeordnetenentschädigung um keine Entschädigung mit Einkommenscharakter; der Gemeinderat sei auch kein Parlament, sondern ein kollegiales Exekutivorgan. Die Aufwandsentschädigung nach Art. 20a Abs. 1 Satz 1 GO solle den durch das Ehrenamt entstehenden Zusatzaufwand an Zeit und Mühe sowie die Mehrkosten der Lebensführung abgelten, nicht jedoch einer verdeckten Vergütung für die Gemeinderatstätigkeit gleichkommen. Jedenfalls auf die Entschädigung der Fraktionsvorsitzenden sei das Gebot formaler Gleichbehandlung nicht übertragbar. Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, der Differenzierungen nur aus zwingenden Gründen zulasse, setze sich nach der Wahl zwar im Grundsatz der strengen Gleichbehandlung der Abgeordneten und Mandatsträger fort, deren Rechtsstellung und Mitwirkungsbefugnisse deshalb ebenfalls im streng formalen Sinne gleich sein müssten. Dies sei aber nicht auf Fraktionen übertragbar, da sich deren Rechtsstellung nicht unmittelbar auf die Wahl zurückführen lasse. Zwar handle es sich bei der Entschädigung für Fraktionsvorsitzende nicht um eine Zuwendung an die Fraktion selbst; die zusätzliche Entschädigung habe aber ihre Grundlage nicht unmittelbar im Stadtratsmandat, sondern in einem daneben bestehenden Amt, das auf eine eigene Wahl bzw. einen internen Bestellungsakt zurückzuführen sei.

Bei der Bemessung der Entschädigung sei zwar der allgemeine Gleichheitsgrundsatz zu beachten; der Normgeber müsse für Differenzierungen einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonst wie einleuchtenden Grund angeben. Mit der Zulage für Fraktionsvorsitzende werde deren erhöhter Aufwand im Vorfeld von Gemeinderats- oder Ausschusssitzungen und bei der ratsinternen Abstimmung abgegolten. Der Mehraufwand eines Fraktionsvorsitzenden bei einer konkret aus 23 Mitgliedern bestehenden Fraktion sei ungleich höher als für einen Vorsitzenden mit nur zwei weiteren Fraktionsmitgliedern. So erübrigten sich dort etwa die Fraktionsvorstandssitzungen. Schwerpunkt der Arbeit der Fraktionsvorsitzenden sei die Koordination des Austauschs von Sachinformationen und Meinungen und das Finden von Problemlösungen. Selbst wenn größere Fraktionen mehrere stellvertretende Fraktionsvorsitzende hätten, resultiere aus einer zunehmenden Fraktionsgröße generell ein Mehr an Koordinations- und Motivationsaufwand. Dass die Fraktionsvorsitzenden der kleineren Fraktionen wegen der notwendigen Einarbeitung in Sitzungsvorlagen und Ausschussbeschlüsse Sonderlasten zu tragen hätten, sei nicht zutreffend, da diese Aufgaben jeden Fraktionsvorsitzenden beträfen. Es werde nicht verkannt, dass den Fraktionen ein Aufwand unabhängig von ihrer Größe entstehe, so dass eine proportionale Verteilung nach der Fraktionsstärke nicht gleichheitsgemäß wäre. Bei den Berechnungen der Entschädigungen für Fraktionsvorsitzende sei man deshalb von einem Sockelbetrag von 500,00 Euro ausgegangen. Zusätzlich habe man den Fraktionsvorsitzenden einen Steigerungsbetrag proportional zur Fraktionsgröße gewährt, wobei den ersten 15 Fraktionsmitgliedern innerhalb der Staffelung eine stärkere Gewichtung zukomme als den nachfolgenden Mitgliedern (degressivproportionale Abstufung). So erhielten die Fraktionsvorsitzenden bis jeweils 5 Fraktionsmitglieder 75 v. H. der Grundentschädigung mit einer anschließenden Steigerung um 25 v. H. pro weitere 5 Mitglieder, ab 16 Fraktionsmitglieder mit einer Steigerungsrate von 6,5 v. H. pro weitere 5 Mitglieder und ab 21 Fraktionsmitglieder mit einer Steigerung von 6 v. H. Insgesamt betrage der Differenzierungskorridor 62,5 v. H., so dass selbst bei einem Mehrfachen der Fraktionsgröße der Unterschied zwischen der ab 3 Mitgliedern zu leistenden Entschädigung von derzeit 1.057,50 Euro und der bei über 21 Mitgliedern zu leistenden Entschädigung von derzeit 1.938,75 Euro weniger als 100 Prozent betrage. Dieser Unterschied sei vertretbar und gerechtfertigt; eine Benachteiligung könne darin schon dem Grunde nach nicht gesehen werden.

Geschütztes Vertrauen werde durch die Neuregelung nicht verletzt, da zu Beginn einer Wahlperiode auch mit einschneidenden Änderungen gerechnet werden müsse. Bei der Bemessung der Aufwandsentschädigung für Fraktionsvorsitzende müsse der verfassungsrechtlich gewährleistete Minderheitenschutz nicht berücksichtigt werden, da die Entschädigung nicht den Fraktionen oder Parteien zugute kommen, sondern die Übernahme eines öffentlichen Amts erleichtern solle. Bei den Entschädigungen für stellvertretende Fraktionsvorsitzende sei unter Berücksichtigung eines geringeren Zeitaufwands ein Sockelbetrag von 250,00 Euro festgelegt worden, wobei nur eine Steigerung des Erhöhungsbetrags ab einer Größe von 5 Fraktionsmitgliedern stattfinde. Damit erhielten die stellvertretenden Vorsitzenden einer Fraktion mit bis zu 5 Mitgliedern einen Zuschlag in Höhe von 25 v. H., ab 6 Mitgliedern in Höhe von 37,5 v. H. der Grundentschädigung. Dies sei im Rahmen des Ermessensspielraums der Kommune zulässig. Der geringere Zuschlag für die stellvertretenden Vorsitzenden der kleinen Fraktionen rechtfertige sich daraus, dass die Delegation von Aufgaben auf die Stellvertreter hier nur minimal sein könne und eine „Selbstverwaltung der Stellvertreter“ vermieden werden solle.

Zu dem Hilfsantrag sei festzustellen, dass schon mit einem Antrag vom 7. Mai 2014 vorgeschlagen worden sei, die Entschädigung nach der Fraktionsgröße zu bemessen Deshalb sei zweifelhaft, ob die Fraktionsvorstände auf den Fortbestand der bisherigen Entschädigungsregelungen hätten vertrauen können. Spätestens mit dem gemeinsamen Antrag der CSU und der SPD habe sich eine systemändernde Neuregelung abgezeichnet, so dass von einem gesicherten und schutzwürdigen Vertrauen nicht mehr habe ausgegangen werden können. Insoweit fehle es bei Stadtratsmitgliedern auch an einer dem Bürger vergleichbaren Schutzbedürftigkeit. Während ein außenstehender Dritter grundsätzlich erst ab Bekanntmachung der Norm mit einer belastenden Regelung zu rechnen habe, fehle es den Fraktionsvorständen bzw. Stadtratsmitgliedern, die an der Entstehung einer neuen Satzung mitwirkten, an einem entsprechenden Vertrauensschutz.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und auf die Akten zum Normaufstellungsverfahren verwiesen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat nur zum geringeren Teil Erfolg.

1. Der Antrag, verschiedene Regelungen der Zweiten Änderungssatzung vom 24. Juli 2014 zur Satzung über die Entschädigung für Aufwand und Zeitversäumnis der ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder (Aufwandsentschädigungssatzung - AES) für unwirksam zu erklären, ist zulässig. Bei den angegriffenen Bestimmungen handelt es sich im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 AGVwGO um im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften. Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO wurde mit dem am 18. September 2014 eingegangenen Normenkontrollantrag gewahrt.

Die Antragsteller sind von der Satzungsänderung unmittelbar rechtlich betroffen und daher gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Sie können geltend machen, durch die angegriffene Rechtsänderung, wonach ihnen als Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende kleinerer Stadtratsfraktionen mit Wirkung ab 1. Mai 2014 nur noch eine geringere Zulage als den Vorsitzenden größerer Fraktionen zusteht, in ihrem verfassungsmäßigen Recht auf Gleichbehandlung sowie in dem rechtsstaatlich verankerten Anspruch auf Vertrauensschutz verletzt zu sein.

2. Der Normenkontrollantrag ist bezüglich des Hauptantrags auf Unwirksamerklärung des § 1 Satz 4 und 5 AES unbegründet. Dass die Entschädigungszulagen für die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen abhängig von der jeweiligen Fraktionsgröße gewährt werden, ist mit höherrangigem Recht grundsätzlich vereinbar. Die von der Antragsgegnerin getroffene Regelung geht auch in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht über das zulässige Maß hinaus.

a) Die als Teil der Zweiten Änderungssatzung vom Stadtrat der Antragsgegnerin als dem zuständigen Organ (Art. 29, Art. 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GO) beschlossenen und im Amtsblatt vom 29. August 2014 ordnungsgemäß bekannt gemachten (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO) Vorschriften über die Entschädigung der Fraktionsvorsitzenden und ihrer Stellvertreter beruhen auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung. Diese ergibt sich allerdings - entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten - nicht aus der speziellen Bestimmung des Art. 20a GO über die Entschädigung ehrenamtlich tätiger Personen, sondern aus der allgemeinen Regelungskompetenz des Art. 56 Abs. 2 GO.

Die Vorschrift des Art. 20a Abs. 1 GO, die für ehrenamtlich Tätige einen gesetzesunmittelbaren Anspruch auf angemessene Entschädigung begründet (Satz 1), über dessen genaue Höhe die Gemeinde durch Satzung zu bestimmen hat (Satz 2), ist auf das „Amt“ des Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden einer Stadt- oder Gemeinderatsfraktion nicht anwendbar, da es sich dabei nicht um eine ehrenamtliche Tätigkeit im Sinne der Vorschrift handelt. Art. 20a GO steht in engem Zusammenhang mit den vorangehenden Bestimmungen über die Verpflichtung zur Übernahme gemeindlicher Ehrenämter (Art. 19 GO) und über die Sorgfalts- und Verschwiegenheitspflicht ehrenamtlich tätiger Personen (Art. 20 GO). Die Entschädigungsregelung des Art. 20a GO kommt daher, auch wenn dies aus dem Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich hervorgeht, nur bei „gemeindlichen Ehrenämtern“ gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GO zur Anwendung (Prandl/Zimmermann/Büchner, Kommunalrecht in Bayern, Art. 20a GO Anm. 2). Die Bestimmungen gelten somit nicht für jeden, der sich in der Gemeinde in irgendeiner Form ehrenamtlich engagiert (z. B. für eine politische Vereinigung oder einen Sportverein), sondern nur für Personen, die von einem Gemeindeorgan beauftragt worden sind, eine gemeindliche Verwaltungstätigkeit unentgeltlich auszuüben (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, GO, Art. 19 Rn. 5; Hölzl/Hien/Huber, GO, Art. 19 Anm. 1.1.; Prandl/Zimmermann/Büchner, a. a. O., Art. 19 Anm. 2). Den Fraktionsvorsitzenden und ihren Stellvertretern steht, da ihr Amt nicht auf einem gemeindlichen Auftrag beruht, keine Entschädigung nach Art. 20a GO zu (ebenso Hölzl/Hien/Huber, a. a. O., Art. 20a Anm. 2.3.1; Prandl/Zimmermann/Büchner, a. a. O., Art. 20a Anm. 2, Art. 33 Anm. 3.5; vgl. auch BayVGH, B. v. 18.10.1989 - 4 N 88.2271 - BayVBl 1990, 372; a. A. Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, GO, Art. 20a Rn. 7; unklar Wachsmuth in Schulz/Wachsmuth/Zwick u. a., Kommunalverfassungsrecht Bayern, GO, Art. 33 Anm. 3.1). Auf die Besetzung von Fraktionsämtern haben die Gemeindeorgane keinen Einfluss; die Fraktionsvorsitzenden sind auch nicht (unmittelbar) für die Gemeinde tätig, sondern handeln (zunächst) nur für ihre jeweilige Partei oder Wählergruppe. Da dementsprechend weder eine Verpflichtung zur Amtsübernahme nach Art. 19 GO noch eine Bindung an den Pflichtenkatalog des Art. 20 GO besteht, müssen die betreffenden Funktionsträger auch nicht zwingend aus gemeindlichen Haushaltsmitteln für ihren Mehraufwand entschädigt werden. Für eine planwidrige Regelungslücke ist insoweit nichts ersichtlich, so dass eine analoge Anwendung des Art. 20a GO ebenfalls ausscheidet.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Gemeinden kraft Gesetzes gehindert wären, den durch die Tätigkeit der Fraktionsvorsitzenden und ihrer Stellvertreter zusätzlich entstehenden Aufwand zu ersetzen. Die Bestimmung des Art. 20a GO regelt zwar abschließend, für welche Art ehrenamtlicher Tätigkeit ein gesetzlicher Anspruch auf Aufwandsentschädigung gegenüber der Gemeinde besteht. Sie lässt aber das Recht der Gemeinden unberührt, auch sonstige ehrenamtliche Tätigkeiten, an deren Ausübung ein öffentliches Interesse besteht, unter Einhaltung der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zu fördern. Eine ausreichende gesetzliche Grundlage dafür bietet die in Art. 56 Abs. 2 GO festgelegte Verpflichtung der Gemeinden, „für den ordnungsgemäßen Gang der Geschäfte zu sorgen“. Aus dieser Bestimmung ergibt sich nicht nur die generelle Befugnis, Störungen der kommunalen Verwaltungstätigkeit abzuwehren (z. B. durch die Ausübung des Hausrechts), sondern ebenso das Recht, die gemeindeinternen Verfahrensabläufe durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen und zu beschleunigen.

Die Gemeinden dürfen danach auch die Arbeit ihrer Stadt- bzw. Gemeinderatsfraktionen durch Sach- oder Finanzzuwendungen in angemessenem Umfang fördern (Prandl/Zimmermann/Büchner, a. a. O., Art. 33 Anm. 3.5; Bauer/Böhle/Ecker, a. a. O., Art. 20a Rn. 3; Wachsmuth, a. a. O., Art. 33 Anm. 3.1; Wegmann, KommPr BY 1995, 12). Denn die Fraktionen sind nicht lediglich private Zusammenschlüsse gleichgesinnter Mandatsträger, sondern der „organisierten Staatlichkeit“ zuzurechnende Teile der Vertretungskörperschaft, die durch die jeweilige Geschäftsordnung anerkannt und mit eigenen Rechten ausgestattet sind (vgl. BVerfG, U. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65 - BVerfGE 20, 56/104; U. v. 10.12.1974 - 2 BvK 1/73, 2 BvR 902/73 - BVerfGE 38, 258/273f.). Sie steuern und erleichtern in gewissem Grade den Meinungsbildungsprozess im jeweiligen Stadt- bzw. Gemeinderat, indem sie eine Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern organisieren, gemeinsame Initiativen vorbereiten und koordinieren sowie eine umfassende Information der Fraktionsmitglieder unterstützen; auf diese Weise fassen sie unterschiedliche politische Positionen zu handlungs- und verständigungsfähigen Einheiten zusammen (vgl. BVerfG, U. v. 13.6.1989, - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188/231; BVerwG, U. v. 5.7.2012 - 8 C 22/11 - BVerwGE 143, 240 Rn. 19 m. w. N.). Zur Förderung dieser wichtigen Vorbereitungsfunktion dürfen die Gemeinden den Fraktionen grundsätzlich sowohl die benötigten Sachmittel wie z. B. Sitzungsräume, Fachliteratur und Bürobedarf unmittelbar zur Verfügung stellen (BayVGH, B. v. 12.10.2010 - 4 ZB 10.1246 - BayVBl 2011, 269) bzw. die dafür anfallenden Kosten pauschal erstatten (BayVGH, U. v. 16.2.2000 - 4 N 98.1341 - BayVBl 2000, 467) als auch den einzelnen Fraktionsmitgliedern Sitzungsgelder und Fahrtkostenentschädigungen für die Teilnahme an Fraktionsbesprechungen zahlen (vgl. BayVGH, B. v. 18.10.1989 - 4 N 88.2271 - BayVBl 1990, 372; Prandl/Zimmermann/Büchner, a. a. O., Art. 20a Anm. 2; Hölzl/Hien/Huber, a. a. O., Art. 20a Anm. 2.3; Nr. 5 der StMI-Bek. v. 21.12.2000, IB2-0041-28, AllMBl 2001, S. 3, geändert durch Bek. v. 14.5.2013, AllMBl S. 215).

Auf der gleichen Rechtsgrundlage können auch den Vorsitzenden der Ratsfraktionen und ihren Stellvertretern Entschädigungen für den mit ihrer Tätigkeit verbundenen materiellen und insbesondere zeitlichen Aufwand gewährt werden (Prandl/Zimmermann/Büchner, a. a. O.; Hölzl/Hien/Huber, a. a. O.). Derartige Zuwendungen dürfen allerdings - ebenso wie alle sonstigen Fraktionsfördermaßnahmen - weder den fraktionsbedingten Mehraufwand übersteigen, worin ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (Art. 61 Abs. 2 Satz 1 GO) und vor allem eine unzulässige (verdeckte) Finanzierung der „hinter“ den Fraktionen stehenden Parteien und Vereinigungen läge (vgl. BVerfG, U. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65 - BVerfGE 20, 56/105; BVerwG, B. v. 20.2.1976 - VII B 34.75 - juris Rn. 3; Wegmann, KommP BY 1995, 12), noch dürfen dadurch einzelne Mandatsträger - über Art. 20a GO hinaus - aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse zusätzlich alimentiert werden (s. BVerwG, U. v. 5.7.2012, a. a. O.). Im Übrigen steht aber den Gemeinden bei der Festlegung der Höhe und des Verteilungsmaßstabs der Zuwendungen ein weiter Bewertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 29 f.; BayVGH, B. v. 12.10.2010 - 4 ZB 10.1246 - BayVBl 2011, 269 Rn. 4).

b) Die Antragsgegnerin hat mit den angegriffenen Bestimmungen, die eine nach der Fraktionsgröße gestaffelte Entschädigung der Fraktionsvorsitzenden und ihrer Stellvertreter vorsehen, von ihrer Regelungsbefugnis nach Art. 56 Abs. 2 GO rechtmäßig Gebrauch gemacht.

aa) Es ist nicht ersichtlich, dass die Entschädigungen den mit den Leitungs- und Koordinierungsaufgaben des Fraktionsvorstands verbundenen Zusatzaufwand übersteigen würden, so dass ein Teil der Zuwendungen für reine Parteiarbeit unabhängig von der Mandatstätigkeit übrig bliebe.

Zwar können sich die Zahlungen bei Fraktionen mit über 20 Mitgliedern im Maximalfall (ein Vorsitzender, vier Stellvertreter) auf das annähernd Dreifache (287,5 v. H.) des jedem einzelnen Ratsmitglied zustehenden Entschädigungsbetrags summieren. Um innerhalb eines so großen Kreises von Mandatsträgern möglichst einheitliche Positionen zu allen vom Stadtrat und seinen Ausschüssen zu behandelnden Beratungsgegenständen zu erarbeiten, muss die Fraktionsführung aber einen ganz beträchtlichen Aufwand an internen Planungen, Besprechungen und Abstimmungen betreiben. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin die zeitliche Beanspruchung aller Vorstandsmitglieder bei Fraktionen dieser Größe insgesamt mit dem beinahe Dreifachen des für die einfache Mandatsausübung Erforderlichen veranschlagt. Dies gilt zumindest dann, wenn es wie hier um die Fraktionsarbeit innerhalb einer kreisfreien Stadt geht, da in diesem Falle neben den spezifisch gemeindlichen Aufgaben (Art. 7, Art. 8 GO) auch die den Landkreisen obliegenden Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises sowie die den Kreisverwaltungsbehörden zugewiesenen ursprünglich staatlichen Aufgaben (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 GO) zu erfüllen sind. In Anbetracht dieses weiten Zuständigkeitsbereichs und der daraus resultierenden Fülle möglicher Sachthemen sind insbesondere bei Städten mit hoher Einwohnerzahl und einer entsprechend großen Vertretungskörperschaft (im Falle der Antragsgegnerin bei ca. 278.000 Einwohnern 60 Ratsmitglieder, Art. 30 Abs. 2 Satz 2 GO) intensive Vorberatungen gerade innerhalb der größeren Fraktionen praktisch unverzichtbar, um den Willensbildungsprozess in den nachfolgenden Rats- oder Ausschusssitzungen innerhalb eines angemessenen Zeitraums zum Abschluss bringen zu können.

Für den (ersten) Vorsitzenden einer Fraktion kann die inhaltliche Vorbereitung und organisatorische Leitung der internen Diskussions- und Abstimmungsprozesse - je nach Zahl der Fraktionsmitglieder - sogar einen höheren Zeitaufwand erfordern als die eigentliche Ausübung des Mandats als einfaches Ratsmitglied. Es begegnet daher in Bezug auf eine mögliche Überförderung keinen rechtlichen Bedenken, dass die Antragsgegnerin in den angegriffenen Bestimmungen die Zusatzentschädigung für Vorsitzende einer mehr als 20-köpfigen Fraktion auf das 1,375-fache der Grundentschädigung (bei bis zu 20 Mitgliedern auf das 1,315-fache, bei bis zu 15 Mitgliedern auf das 1,25-fache, bei bis zu 10 Mitgliedern auf das 1,00-fache und bei bis zu 5 Mitgliedern auf das 0,75-fache) festgesetzt hat. Auch der Entschädigungszuschlag für die maximal vier stellvertretenden Vorsitzenden jeweils in Höhe des 0,375-fachen (bzw. des 0,25-fachen bei nicht mehr als fünf Mitgliedern) übersteigt nicht die zeitliche Zusatzbelastung, die durch ihr Mitwirken in der Fraktionsführung entstehen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der einzelnen Gemeinde hinsichtlich der Frage, inwieweit die Entscheidungsabläufe im Rat durch Förderung der vorbereitenden Fraktionstätigkeiten verbessert und beschleunigt werden können und sollen, eine aus ihrem Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV) abzuleitende Einschätzungsprärogative zusteht. Ob die gewährten Zuwendungen nach Art und Umfang notwendig und angemessen sind, bestimmt sich nicht allein nach rechtlichen Kriterien und unterliegt daher nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Die bayerischen Gemeinden sind auch nicht gehindert, die Fraktionsvorsitzenden durch pauschale Zuwendungen zu entschädigen; sie müssen also zur Ermittlung des anfallenden zeitlichen Mehraufwands weder zunächst eine Bedarfsanalyse erstellen (vgl. BVerwG, U. v. 05.7.2012 - 8 C 22/11 - BVerwGE 143, 240 Rn. 29) noch eine nachträgliche Kontrolle anhand von Verwendungsnachweisen vornehmen (so aber § 56 Abs. 3 Satz 3 GemO NRW, § 57 Abs. 3 Satz 2 NKomVG, § 36a Abs. 4 Satz 3 HGO, § 35a Abs. 3 Satz 3 SächsGemO; dazu Brockmann, NWVwBl 2004, 449/455).

Die von der Antragsgegnerin festgelegten Entschädigungen für Fraktionsvorsitzende und ihre Stellvertreter sind ihrem (absoluten) Betrag nach nicht so hoch bemessen, dass sie zu der geförderten Tätigkeit außer Verhältnis stünden und damit als eine verdeckte Parteienfinanzierung angesehen werden müssten. Sie sind nach Art einer prozentual bemessenen Funktionszulage gekoppelt an die jedem einfachen Stadtratsmitglied zustehende Grundentschädigung (§ 1 Satz 1 bis 3 AES), die der Gehaltsentwicklung der Besoldungsgruppe A 16 folgt und derzeit 1.410 Euro beträgt. Danach stehen z. B. bei einer großen Fraktion (mehr als 20 Mitglieder) dem Vorsitzenden gegenwärtig 1.938,75 Euro und jedem seiner maximal vier Stellvertreter 528,75 Euro zu, so dass die fünfköpfige Fraktionsführung monatlich über einen Betrag von insgesamt 4.053,75 Euro verfügen kann, um ihren zusätzlichen Aufwand abzudecken. Diese Summe erscheint angesichts des Schwierigkeitsgrads und der zeitlichen Belastung, die mit den Leitungs- und Koordinierungsaufgaben in einer Stadtratsfraktion dieser Größe typischerweise verbunden sind, nicht als unangemessen und jedenfalls als zu gering, um einen objektiven Anreiz dafür zu bieten, Teile der Entschädigungsleistung an die „hinter“ der Fraktion stehende Partei oder politische Gruppierung abzuführen.

bb) Die Antragsgegnerin hat mit den angegriffenen Vorschriften nicht gegen ein zwingendes Gleichheitsgebot verstoßen.

(1) Der von den Antragstellern vorrangig geltend gemachte, aus der verfassungsrechtlich garantierten Wahlrechtsgleichheit (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) abzuleitende Grundsatz der streng formalen Gleichbehandlung, der Differenzierungen nur aus zwingenden Gründen zulässt (BVerfG, U. v. 5.11.1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296/317 f.), ist hier nicht unmittelbar einschlägig. Zwar gilt dieses Verfassungsgebot nicht allein für den Wahlvorgang, sondern erstreckt sich auch auf die gewählten Mandatsträger, so dass deren Rechtsstellung und Mitwirkungsbefugnisse innerhalb der Vertretungskörperschaft sowie die ihnen gewährte Entschädigung ebenfalls in einem streng formalen Sinne gleich sein müssen (vgl. BVerfG, U. v. 21.7.2000 - 2 BvH 3/91 - BVerfGE 102, 224/238 f.; VerfGH, E. v. 15.12.1982 - Vf. 22-VII-80 - VerfGH 35, 148/163). Daraus lässt sich jedoch, wie das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich klargestellt hat, für die Rechte von Ratsfraktionen nichts gewinnen. Denn diese leiten ihre Stellung im Unterschied zu den gewählten Ratsmitgliedern nicht unmittelbar aus der vorangegangenen Wahl ab, sondern aus dem Selbstorganisationsrecht der gewählten Vertretung (BVerwG, a. a. O., Rn. 19; vgl. auch OVG NRW, U. v. 14.6.1994 - 15 A 2449/91 - NVwZ-RR 1995, 105). Da aus der formalen Gleichheit der Mandatsträger keine ebenso formale Gleichheit der von ihnen gebildeten Fraktionen folgt, gilt der strenge Gleichbehandlungsgrundsatz auch nicht für deren finanzielle Förderung durch die öffentliche Hand; ebenso wenig lässt sich daraus folgern, dass sich die Finanzierung der Fraktionen allein an der Zahl ihrer Mitglieder auszurichten hätte (BVerwG, a. a. O.). Die von der Antragsgegnerin an die Fraktionsvorsitzenden und deren Stellvertreter gezahlten zusätzlichen Entschädigungen, die kein gemeindliches Ehrenamt im Sinne von Art. 20a GO betreffen, sondern zur allgemeinen Fraktionsförderung nach Art. 56 Abs. 2 GO gehören, sind demnach nicht an dem für das einzelne Ratsmitglied geltenden streng formalen Gleichheitssatz zu messen.

Der Grundsatz der Wahlgleichheit kann allerdings durch mittelbare Auswirkungen der Fraktionsfinanzierung auf andere - fraktionslose oder fraktionsangehörige - Mandatsträger berührt werden, wenn die Gewährung von Finanzmitteln an Ratsfraktionen dazu führt, dass die darin zusammengeschlossenen Mandatsträger bei der Wahrnehmung ihres Mandats gegenüber fraktionslosen Mandatsträgern ungleich bevorzugt werden oder wenn durch die Zuwendungen bei einem Vergleich von Mitgliedern großer mit Mitgliedern kleiner Fraktionen die grundsätzliche Gleichheit der Mandatswahrnehmung beeinträchtigt wird (BVerwG, a. a. O., Rn. 20; vgl. BVerfG, U. v. 13.6.1989 - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188/231 f.). Im vorliegenden Fall sind solche mittelbaren Folgen aber nicht ersichtlich. Die Gewährung der mit der Fraktionsgröße ansteigenden Entschädigungen für die Vorsitzenden und ihre Stellvertreter führt nicht dazu, dass die Angehörigen der kleineren Fraktionen oder (etwaige) fraktionslose Ratsmitglieder nicht mehr in gleicher Weise im Stadtrat und seinen Ausschüssen mitwirken können wie ihre Kollegen aus den größeren Fraktionen. Dass durch die gestaffelte Förderung der Fraktionsvorstände gerade die Ratsfraktionen mit vielen Mitgliedern in besonderer Weise unterstützt werden bei den Bemühungen, ihre inhaltlichen Positionen schon vorab intern festzulegen und damit in den kommunalen Vertretungsorganen möglichst „mit einer Stimme zu sprechen“, schmälert nicht die Teilhabemöglichkeiten der kleineren Gruppierungen oder der zu keiner Fraktion gehörenden Mandatsträger.

(2) Die von der Antragsgegnerin getroffene Entschädigungsregelung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV), der als Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsgebots auch Geltung für die Rechtsbeziehungen zwischen einer Gemeinde und den Ratsfraktionen beansprucht (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 15).

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Der Normgeber muss für seine Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonstwie einleuchtenden Grund angeben können (BVerwG, a. a. O., Rn. 16 m. w. N.). Verboten ist auch ein durch Sachgründe nicht gerechtfertigter und daher gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss (BVerfG, U. v. vom 17.4. 2008 - 2 BvL 4/05 -- BVerfGE 121, 108/119 m. w. N.). Mit der Gewährung monatlicher Entschädigungsleistungen an die Fraktionsvorsitzenden und ihre Stellvertreter will die Antragsgegnerin den durch die Wahrnehmung dieser Funktionen entstehenden zusätzlichen Aufwand insbesondere zeitlicher Art ausgleichen. Die hierfür vorgesehenen Finanzmittel müssen daher nach einem Maßstab verteilt werden, der sich an dem für die Führung einer Fraktion erforderlichen tatsächlichen oder zu erwartenden Bedarf orientiert (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 17). Differenzierungen nach der Anzahl der Fraktionsmitglieder sind also nur zulässig (und ggf. geboten), soweit sich aus der unterschiedlichen Fraktionsgröße ein verschieden hoher (Zeit-) Aufwand für die jeweilige Vorstandstätigkeit ableiten lässt.

Diesen gleichheitsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Regelung gerecht. Die Antragsgegnerin hat überzeugend dargelegt, dass sich mit zunehmender Größe einer Ratsfraktion der Leitungs- und Koordinierungsbedarf tendenziell erhöht, so dass die zeitliche Inanspruchnahme des jeweiligen Fraktionsvorsitzenden und seiner Stellvertreter entsprechend ansteigt. Es gehört zu den zentralen Aufgaben eines Fraktionsvorstands, den internen Meinungsbildungsprozess zu allen im Stadtrat und seinen Ausschüssen zu behandelnden Angelegenheiten voranzutreiben und dabei auf ein geschlossenes Auftreten der Fraktion hinzuwirken, was sich nur durch einen fortlaufenden Meinungs- und Informationsaustausch mit allen übrigen Fraktionsmitgliedern erreichen lässt. Dass dieser leitungsspezifische Kommunikationsbedarf, der vor allem in Gruppensitzungen und Einzelgesprächen zum Ausdruck kommt, im Regelfall umso mehr zunimmt, je mehr Personen der jeweiligen Fraktion angehören, lässt sich nicht bestreiten. Zwar dürfte insoweit kein lineares Verhältnis bestehen, da z. B. die Dauer von Fraktionssitzungen nicht proportional zur Teilnehmerzahl ansteigt. Es liegt aber auf der Hand, dass aus einer größeren Gruppe von Mandatsträgern typischerweise mehr Diskussionsbeiträge und Beschlussvorschläge kommen als aus einer kleineren Gruppe; dementsprechend höher ist dort der zur Sitzungsvorbereitung erforderliche sachliche Abstimmungsbedarf. Mit einer größeren Zahl von Fraktionsmitgliedern geht meist auch eine fachliche Spezialisierung durch Bildung fraktionsinterner Arbeitskreise einher, so dass sich die Vorsitzenden der großen Fraktionen besonders intensiv auch in Detailfragen einarbeiten müssen, wenn sie ihrer Leitungsfunktion gerecht werden wollen. Die notwendige Verständigung innerhalb der Fraktionsführung, z. B. im Rahmen regelmäßiger Vorstandssitzungen, wird bei größeren Zusammenschlüssen ebenfalls zeitaufwändiger sein als bei kleineren, die auf eine solche organisatorische Zwischenebene leichter ganz verzichten können, etwa wenn der Fraktion wie im Fall der Antragsteller lediglich drei oder vier Mandatsträger angehören.

Neben ihrer Inanspruchnahme durch die spezifischen Leitungsaufgaben, die mit zunehmender Gruppengröße typischerweise einen steigenden Zeitaufwand erfordern, obliegen den Fraktionsvorsitzenden und ihren Stellvertretern allerdings auch verschiedene fraktionsstärkeunabhängige Aufgaben, für deren Erledigung nur ein für alle Fraktionen gleicher Zeitanteil angesetzt werden kann. Dazu gehören etwa die Bearbeitung der an die Fraktion oder deren Führung gerichteten Anfragen, die Stellungnahme zu Themenvorschlägen und Anträgen der anderen Fraktionen oder Gruppierungen, die Repräsentation der Fraktion bei offiziellen Terminen sowie die paritätische Beteiligung im Ältestenrat. Der hierfür entstehende „fixe“ Zeitaufwand muss als so beträchtlich angesehen werden, dass eine rein proportionale Verteilung der Fördermittel nach der jeweiligen Fraktionsgröße einen Gleichheitsverstoß darstellen würde (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 21 ff.). Andererseits kommt aber diesem zeitlichen Sockelbedarf, der für jede Fraktionsführung in vergleichbarem Umfang anfällt, kein so maßgebendes Gewicht zu, dass jede Differenzierung der Entschädigungsleistungen gemäß der Fraktionsgröße unzulässig wäre. Die zeitliche Beanspruchung eines Fraktionsvorsitzenden, der eine mehr als 20-köpfige Gruppe von Mandatsträgern zu leiten und zu koordinieren hat, muss, wie oben dargelegt, im Normalfall als erheblich höher angesehen werden als die des Vorsitzenden einer Gruppierung, die mit drei oder vier Mitgliedern soeben den Fraktionsstatus erreicht. Dass nach außen hin beide Funktionsträger als ebenbürtig wahrgenommen und in protokollarischer Hinsicht gleichbehandelt werden, steht dem nicht entgegen.

Die Antragsteller können ihr Begehren auf eine gleich hohe Förderung auch nicht damit begründen, gerade sie als Vertreter kleiner Fraktionen hätten „Sonderlasten“ zu tragen, weil sie sich auch in Unterlagen jener Ausschüsse einarbeiten müssten, in denen ihre Fraktion nicht vertreten sei, und weil sie sich bei Repräsentationsaufgaben nicht so leicht vertreten lassen könnten wie die Vorsitzenden größerer Fraktionen. Diese Argumentation verkennt, dass die Zuwendungen an die Fraktionsvorstände weder zum Ziel noch zur Folge haben dürfen, dass die auf dem Wählervotum beruhenden Größenunterschiede der Parteien und Wählergruppen, die sich in der Sitzverteilung im Rat und in den Ausschüssen widerspiegeln (vgl. Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO), faktisch beseitigt werden und sich damit kleineren Fraktionen Wirkungsmöglichkeiten eröffnen, die sie ohne die finanzielle Unterstützung nicht hätten. Dass nach der derzeitigen kommunalpolitischen Konstellation im Stadtrat der Antragsgegnerin ein Dreierbündnis der großen Fraktionen mit 43 von 60 Sitzen eine klare Mehrheit besitzt und den von den Antragstellern vertretenen Fraktionen damit die Rolle der Opposition zugewachsen ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Einen speziellen „Oppositionszuschlag“, wie er für die Fraktionsförderung im parlamentarischen Bereich häufig vorgeschrieben ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayFraktG; § 50 Abs. 2 AbgG; StGH Bremen, U. v. 5.1.2004 - St 3/03 - NVwZ 2005, 929), sieht das Gesetz für die kommunalen Volksvertretungen nicht vor.

Der Antragsgegnerin durfte demnach - ebenso wie bei ihren sonstigen Sach- und Geldleistungen an die Ratsfraktionen (dazu BayVGH, U. v. 16.2.2000 - 4 N 98.1341 - NVwZ-RR 2000, 811/813; OVG NRW, U. v. 8.10.2002 - 15 A 4734/01 - NVwZ-RR 2003, 376/377; NdsOVG, U. v. 9.6.2009 - 10 ME 17/09 - DVBl 2009, 917; OVG SH, B. v. 20.12.2007 - 2 LA 85/07 - juris Rn. 5 ff.; Lange, Kommunalrecht, 2013, 303 Rn. 57) - auch bei der Bemessung der Funktionszulagen für die Fraktionsvorsitzenden und deren Stellvertreter eine Staffelung nach der Fraktionsgröße vornehmen. Sie konnte dabei im Rahmen ihres weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums von einer degressiv proportionalen Zunahme des für die Fraktionsführung erforderlichen Zeitaufwands bei steigender Fraktionsmitgliederzahl ausgehen und den Verteilungsmaßstab für die gewährten Fördermittel hieran ausrichten. Das in den angegriffenen Bestimmungen verwirklichte 5-Stufen-Modell, wonach der Gesamtbetrag der Zulagen für Fraktionen bis 5 Mitglieder das 1,00-fache, bis 10 Mitglieder das 1,75-fache, bis 15 Mitglieder das 2,375-fache, bis 20 Mitglieder das 2,815-fache und ab 20 Mitglieder das 2,875-fache der Grundentschädigung beträgt, ist trotz der damit unvermeidbar verbundenen Sprünge beim Übergang von der einen zur nächsten Stufe noch von der Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Satzungsgebers gedeckt.

Dass der Degressionseffekt, der den Anstieg der Entschädigungen bei zunehmender Fraktionsgröße begrenzt, vergleichsweise gering ausfällt, ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil die Antragsgegnerin den Fraktionen - ohne spezielle satzungsrechtliche Grundlage - noch eine Reihe sonstiger Leistungen gewährt (Sachmittelpauschale, Zuwendungen für das Fraktionspersonal etc.), die sich ebenfalls nach der Fraktionsstärke bemessen und damit wiederum den größeren Fraktionen in höherem Maße zugute kommen als den kleineren. Eine Zusammenschau dieser weiteren Förderungen mit den streitgegenständlichen Entschädigungen für die Fraktionsvorstände könnte zwar zu der Bewertung führen, dass die größeren Fraktionen im Verhältnis zu den kleineren Gruppierungen insgesamt unverhältnismäßig begünstigt werden. Dies gilt insbesondere bei Berücksichtigung des bislang praktizierten Systems der Personalkostenzuschüsse, wonach Fraktionen ab 10 Mitgliedern den Aufwand für zweieinhalb (ab 20 Mitglieder: drei) Vollzeitstellen mit einer Vergütung entsprechend den Besoldungsstufen A 15 (eine Stelle) und A 9 (zwei Stellen) von der Antragsgegnerin erstattet erhalten, während Fraktionen mit vier bis sechs Mitgliedern lediglich eine (bei drei Mitgliedern sogar nur eine halbe) Vollzeitstelle entsprechend der Besoldungsstufe A 14 zugestanden wird. Unabhängig von der bisher nicht abschließend geklärten Frage, inwieweit derartige Zuwendungen für hauptamtliches Fraktionspersonal überhaupt zulässig, also insbesondere mit dem Grundgedanken eines ehrenamtlichen Kommunalmandats und dem Verbot einer verdeckten Parteienfinanzierung vereinbar sind (krit. Meyer, DÖV 1991, 56; ders., VBlBW 1994, 337; Rothe, DVBl. 1993, 1042; allg. Brockmann, NWVBl 2004, 449/453 f.; vgl. auch BT-Drs. 17/2397 zu dem derzeit vor dem BVerfG anhängigen Organklageverfahren Az. 2 BvE 4/12), drängt sich hier der Schluss auf, dass so hoch bezahlte und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter nicht bloß technische Hilfsleistungen für die Fraktion erbringen, sondern als deren Geschäftsführer oder in ähnlicher Funktion auch inhaltliche Koordinierungsarbeiten leisten und damit den Fraktionsvorstand ganz wesentlich entlasten. Die daraus abzuleitende Folgerung, dass gerade die Vorsitzenden der größeren Fraktionen und ihre Stellvertreter für ihre Leitungsaufgaben in der Praxis deutlich weniger Zeit aufwenden dürften als oben angenommen, führt aber nicht dazu, dass die angegriffenen Entschädigungsvorschriften rechtlich zu beanstanden wären. Denn die Rechtmäßigkeit solcher Satzungsregelungen bestimmt sich allein nach ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht und hängt nicht davon ab, ob das damit verfolgte Regelungsziel zusätzlich durch andere, auf keiner satzungsrechtlichen Grundlage beruhenden Maßnahmen erreicht wird. Ergibt sich ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erst durch die Kumulation einer gesetzlich vorgesehenen mit einer freiwillig gewährten Förderung, so kann daher nur letztere als rechtswidrig beanstandet werden.

3. Hinsichtlich des Hilfsantrags hat der Normenkontrollantrag Erfolg. Die Vorschrift des § 2 der Änderungssatzung vom 24. Juli 2014, wonach die in § 1 der Satzung enthaltenen Änderungen mit Wirkung zum 1. Mai 2014 in Kraft treten, verstößt gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) folgende Rückwirkungsverbot.

Da aufgrund der genannten Inkrafttretensregelung die bisherigen Bestimmungen über die monatlich zu zahlenden Aufwandsentschädigungen nachträglich für einen Zeitraum vor der Bekanntmachung der Satzung geändert und - für die Vorsitzenden kleinerer Fraktionen - gekürzt wurden, handelt es sich um eine echte Rückwirkung im Sinne einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen (vgl. BVerfG, B. v. 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 - NVwZ 2014, 577 Rn. 41 m. w. N.). Den betroffenen Fraktionsvertretern werden damit als Ausgleich für ihren zusätzlichen Zeitaufwand im Nachhinein geringere Beträge gewährt als ihnen nach den zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit geltenden Vorschriften zustanden. Wenn der Normgeber in dieser Weise die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und die betroffenen Grundrechte einer besonderen Rechtfertigung (vgl. BVerfG, B. v. 7.7.2010 - 2 BvL 14/02 u. a. - BVerfGE 127, 1 Rn. 55 m. w. N.). Dies muss auch für die an Mandatsträger gezahlten Entschädigungen gelten, wenn diese wie hier in das Privatvermögen der Empfänger übergehen.

Besondere Gründe, die eine rückwirkende Kürzung des Entschädigungsanspruchs rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen worden. Der bloße Umstand, dass über eine mögliche Neugestaltung des Entschädigungssystems schon seit Beginn der Amtszeit des derzeitigen Stadtrats öffentlich diskutiert wurde, ließ den Vertrauensschutz der betroffenen Fraktionsvorsitzenden und ihrer Stellvertreter nicht entfallen, solange noch kein entsprechender Satzungsbeschluss vorlag (vgl. BVerwG, U. v. 26.2.2003 - 9 CN 2/02 - NVwZ-RR 2003, 522/523). Denn für sie war weder hinreichend sicher absehbar, dass es zu einer solchen rückwirkenden Neuregelung kommen würde, noch ließ sich der Umfang der Kürzung aus damaliger Sicht abschätzen. Sie konnten sich daher nicht schon im Vorhinein auf die nunmehr getroffene Regelung einstellen. Da die Antragsteller als (einzig) nachteilig Betroffene der Neuregelung stets widersprochen und der Satzungsänderung nicht zugestimmt haben, kann ihnen auch nicht entgegengehalten werden, sie hätten an der rückwirkenden Verschlechterung ihrer Rechtsposition als Mitglieder des Stadtrats selbst mitgewirkt und könnten sich daher nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen.

Der festgestellte Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot hat zur Folge, dass § 2 der Änderungssatzung unwirksam ist (§ 47 Abs. 5 Satz 2 HalbsVwGOVwGO). Für die in § 1 der Satzung enthaltenen Bestimmungen gilt demzufolge der in Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GO genannte Zeitpunkt als Termin des Inkrafttretens (vgl. BayVGH, B. v. 6.6.1988 - 4 N 88.0032 - FSt 1988 Nr. 263; Hölzl/Hien/Huber, a. a. O., Art. 26 Anm. 1; Wachsmuth, a. a. O., Art. 26 Anm. 3.).

Die Antragsgegnerin hat die Entscheidungsformel hinsichtlich der für unwirksam erklärten Rechtsvorschrift in derselben Weise zu veröffentlichen wie die Vorschrift bekannt zu machen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 HalbsVwGOVwGO).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2014 - 4 N 14.2046

Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2014 - 4 N 14.2046

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2014 - 4 N 14.2046 zitiert 11 §§.

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 47


(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit 1. von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 de

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 28


(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben,

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 139 Teilnichtigkeit


Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

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(1) Die Wohnung ist unverletzlich. (2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3) Begrü

Abgeordnetengesetz - AbgG | § 50 Rückfrage


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Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt. Gründe

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(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Tatbestand

1

Die Klägerin war seit der Stadtratswahl vom 13. Juni 2004 Fraktion im Rat der beklagten Stadt. Sie begehrt die Nachzahlung von Fraktionszuschüssen für die Jahre 2005 bis 2009. Die Wahlperiode lief am 30. Juni 2009 ab.

2

Am 11. August 1999 hatte der Stadtrat Richtlinien zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit der Fraktionen und fraktionslosen Stadträte des Stadtrates beschlossen. Danach gliederten sich die im Haushalt hierfür eingestellten Mittel in einen festen Betrag (zwei Drittel), der zu gleichen Anteilen allen Fraktionen zukommen sollte, und einen variablen Betrag (ein Drittel), der auf die Fraktionen nach der Zahl ihrer Mitglieder aufzuteilen war.

3

Am 26. Januar 2005 beschloss der Stadtrat eine Änderung dieser Richtlinien. Danach waren die im Haushalt für die Geschäftsführung der Fraktionen eingestellten Mittel durch alle 54 Stadträte zu teilen und auf die jeweilige Anzahl der Mitglieder der Fraktionen bzw. fraktionslosen Stadträte hochzurechnen.

4

Die Klägerin hält die Änderung der Richtlinie für nichtig. Mit ihrer Klage begehrt sie noch die Zahlung der Mehrbeträge, die sich bei Fortgeltung der Richtlinie in der Fassung von 1999 ergäben.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. August 2007 auch insoweit abgewiesen. Mit Urteil vom 23. November 2010 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Änderung der Richtlinie für rechtmäßig erachtet. Mit dem Grundsatz der Chancengleichheit seien verschiedene Modelle der Fraktionsfinanzierung vereinbar. Es sprächen gute Gründe für eine Verteilung mit einem festen und einem variablen Teilbetrag. Die Chancengleichheit sei aber auch bei einer Verteilung gewährleistet, die sich ausschließlich nach der Anzahl der Fraktionsmitglieder richte. Für beide Modelle sprächen gewichtige Gründe. Die Gewährung eines Sockelbetrages berücksichtige die Tatsache, dass ein gewisser Kostenbedarf unabhängig von der Fraktionsgröße bestehe. Die Verteilung der Mittel strikt nach der Mitgliederzahl stelle hingegen darauf ab, dass mit deren Anstieg auch der Koordinierungsbedarf und die Vielfalt der wahrzunehmenden Tätigkeiten zunehme. Unerheblich sei, ob "typisch fraktionsstärkeunabhängige" Aufgaben des Fraktionspersonals mindestens drei Viertel dessen zeitlichen Aufwands einnähmen, wie die Klägerin unter Beweisantritt behauptet habe. Denn es verbleibe ein nicht unerheblicher Teil von Kosten, die direkt abhängig von der Größe der Fraktionen seien. Der Stadtrat habe sich daher für keine sachwidrige Lösung entschieden.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Fraktionsmittel seien allgemeine Haushaltsmittel, die den Fraktionen in ihrer Eigenschaft als Teil des Hauptorgans der Gemeinde zur Verfügung gestellt würden. Ausgangspunkt sei die Aufgabe der Fraktionen, Meinungsbildung und Mehrheitsfindung im Stadtrat zu erleichtern und in der Informationsvorbereitungs- und Abstimmungsphase einen wichtigen Beitrag zu einer effizienteren Aufgabenerfüllung zu leisten. Dem werde eine Verteilung der Fraktionsmittel rein proportional zur Fraktionsstärke nicht gerecht.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2010 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. August 2007 zu ändern, soweit es den gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klageantrag zu 4 betrifft und die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an ihren ehemaligen Geschäftsführer 116 802,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2005 aus 23 122,71 €, seit 26.01.2006 aus 5 780,70 €, seit 01.06.2006 aus 5 780,67 €, seit 09.08.2006 aus 5 780,67 €, seit 28.11.2006 aus 7 545,93 €, seit 10.01.2007 aus 7 105,53 €, seit 10.04.2007 aus 7 105,53 €, seit 28.09.2007 aus 7 104,77 €, seit 28.09.2007 aus 7 104,77 €, seit 18.01.2008 aus 7 104,52 €, seit 09.06.2008 aus 7 104,52 €, seit 07.07.2008 aus 7 104,52 €, seit 28.09.2008 aus 5 674,52 €, seit 20.01.2009 aus 5 674,52 €, seit 07.04.2009 aus 7 709,06 € zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses hält das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ebenfalls für richtig.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

12

Die revisionsgerichtliche Prüfung muss von der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ausgehen, dass das Zahlungsbegehren der Klägerin sich nicht mit dem Ablauf der Wahlperiode am 30. Juni 2009 erledigt hat, dass es sich richtigerweise gegen die Beklagte richtet und dass die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Stadtrates vom 26. Januar 2005 im Rahmen der Prüfung des gestellten Zahlungsantrags inzident überprüft wird. Das Berufungsgericht hat diesen Beschluss zur Änderung des Verteilungsmaßstabs für rechtmäßig gehalten. Soweit dies auf irrevisiblem Landesrecht beruht, ist dem Revisionsgericht eine Nachprüfung verwehrt (§ 173 VwGO, § 560 ZPO). Es kann daher nur prüfen, ob Bundesrecht - insbesondere Bundesverfassungsrecht - ein anderes Ergebnis gebietet (stRspr; vgl. Urteil vom 12. November 1993 - BVerwG 7 C 23.93 - BVerwGE 94, 288 = Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38).

13

Das ist hier der Fall. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Entscheidung des Stadtrates der Beklagten über die Grundsätze zur Finanzierung der Geschäftsführungstätigkeit der Ratsfraktionen am allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen ist (1.). Mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist jedoch seine Annahme, eine rein proportionale Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel sei bei unterschiedlich großen Fraktionen auch dann gleichheitskonform, wenn der Zeitaufwand für die Erfüllung der Geschäftsführungsaufgaben zu mindestens drei Vierteln von der Fraktionsstärke unabhängig sei (2.). Eine rein proportionale Verteilung kam vielmehr nicht in Betracht (3.). Aus der Unwirksamkeit der Änderung des Verteilungsschlüssels folgt freilich kein Zahlungsanspruch auf der Grundlage der zuvor geltenden Richtlinie von 1999. Vielmehr muss die Beklagte die Klägerin neu bescheiden (4.).

14

1. Die gesetzliche Grundlage für die Gewährung von Zuwendungen an Fraktionen sieht das Oberverwaltungsgericht in § 35a Abs. 3 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO). Danach kann die Gemeinde den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt für die sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren. Diese Mittel sind in einer besonderen Anlage zum Haushaltsplan darzustellen. Über ihre Verwendung ist ein Nachweis in einfacher Form zu führen. Nach der Auslegung dieser Bestimmung durch das Berufungsgericht hat die Klägerin keinen Anspruch auf Fraktionszuwendungen aus Haushaltsmitteln oder auf volle Erstattung ihrer Kosten. Vielmehr besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verteilung der für die Fraktionszuwendungen vorgesehenen Mittel auf die verschiedenen Fraktionen. Hierbei ist die Kommune an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Diese Auslegung ist mit Bundesrecht vereinbar.

15

a) Mit Recht weist das Oberverwaltungsgericht darauf hin, dass der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht nur für das rechtliche Verhältnis zwischen Bürger und Staat gilt, sondern als Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsgebots auch Geltung für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Rat einer Gemeinde und den Fraktionen als seinen Teilen beansprucht.

16

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Der Gesetz- oder sonstige Normgeber muss damit für seine Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonstwie einleuchtenden Grund angeben können. Das gilt für Belastungen und Begünstigungen gleichermaßen (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412 <431> und vom 17. April 2008 - 2 BvL 4/05 - BVerfGE 121, 108 <119>; Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u.a. - BVerfGE 121, 317 <369 f.>; jeweils m.w.N.).

17

Fraktionszuschüsse sind zweckgebundene Zuwendungen. Sie dienen dazu, die sächlichen und personellen Aufwendungen der Fraktionen für ihre Geschäftsführung ganz oder teilweise zu decken (§ 35a Abs. 3 Satz 1 SächsGemO), und sind hierauf begrenzt (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188 <231>). Damit gibt das Gesetz selbst den sachlichen Grund für Differenzierungen bei der Bemessung dieser Zuschüsse vor. Auch wenn die Gemeinde keine kostendeckenden Zuschüsse vorsieht, müssen die gewährten Mittel unter den Fraktionen nach einem Maßstab verteilt werden, der sich an deren tatsächlichem oder erwartbarem Bedarf für ihre Geschäftsführung orientiert. Nichts anderes gilt, fasst man den allgemeinen Gleichheitssatz mit dem Oberverwaltungsgericht in der besonderen Ausprägung als Grundsatz der Chancengleichheit. Fraktionszuschüsse wahren die Chancengleichheit der Fraktionen, wenn sie sich in dem beschriebenen Sinne nach ihrem gesetzlichen Zweck bemessen und hierauf beschränken.

18

b) Strengere Anforderungen an die Finanzierung von Ratsfraktionen ergeben sich nicht aus dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG), der wegen des Demokratieprinzips als Gebot streng formaler Gleichbehandlung aufzufassen ist und Differenzierungen nur aus zwingenden Gründen zulässt (BVerfG, Schlussurteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 <317 f.>). Die Geltung dieses Grundsatzes ist grundsätzlich auf die Wahl und den Wahlvorgang beschränkt (BVerfG, Urteile vom 13. Juni 1989 a.a.O. S. 217 ff. und vom 16. Juli 1991 - 2 BvE 1/91 - BVerfGE 84, 304 <321 ff.>); er setzt sich nach der Wahl im Grundsatz der strengen Gleichheit der Abgeordneten und Mandatsträger fort, deren Rechtsstellung und deren Mitwirkungsbefugnisse in der Vertretung deshalb ebenfalls in einem streng formalen Sinne gleich sein müssen. Das betrifft auch die Abgeordnetenentschädigung (BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91 - BVerfGE 102, 224 <238 f.>).

19

Daraus lässt sich jedoch für die Rechte von Ratsfraktionen nichts gewinnen. Das Gebot strenger Gleichbehandlung gilt für die gewählten Abgeordneten und Ratsmitglieder selbst, die dieses Recht aus ihrem Mandat aus der Wahl herleiten. Fraktionen leiten ihre Rechtsstellung nicht in gleicher Weise unmittelbar aus der Wahl her. Zwar folgt aus dem freien Mandat des Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch das Recht, sich im Parlament mit anderen Abgeordneten zu Fraktionen zusammenzuschließen (stRspr; BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 a.a.O. S. 218; Beschluss vom 17. September 1997 - 2 BvE 4/95 - BVerfGE 96, 264 <278>; jeweils m.w.N.). Ob ein gleiches Recht auch für die Mitglieder eines Gemeinderates oder Kreistages aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG herzuleiten ist, mag dahinstehen (vgl. zu Ratsfraktionen zuletzt Urteil vom 28. April 2010 - BVerwG 8 C 18.08 - BVerwGE 137, 21 Rn. 20 = Buchholz 415.1 Allgemeines Kommunalrecht Nr. 176); es besteht in Sachsen jedenfalls nach Landesrecht (§ 35a Abs. 1 Satz 1 SächsGemO). Aus der formalen Gleichheit der Mandatsträger folgt jedoch noch keine ebenso formale Gleichheit der von ihnen gebildeten Fraktionen. Ebenso wenig lässt sich aus ihr folgern, dass sich die Finanzierung von Fraktionen allein an der Zahl ihrer Mitglieder auszurichten hätte. Ungeachtet des Rechts der Mandatsträger, sich zu Fraktionen zusammenzuschließen, sind diese doch zunächst Ausfluss des Selbstorganisationsrechts der Vertretung. Als Gliederungen des Rates dienen sie dazu, den Willensbildungsprozess im Rat vorzubereiten und zu strukturieren und damit effektiver zu gestalten (vgl. Suerbaum, in: Mann/Püttner , Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 3. Aufl. 2007, § 22 Rn. 3 m.w.N.). Durch ihre Finanzierung finanziert der Rat sich daher selbst. Zuwendungen an die Fraktionen sind deshalb weder für die Finanzierung etwa "hinter" den Fraktionen stehender Parteien noch für die Alimentierung der fraktionsangehörigen Mandatsträger bestimmt. Unzulässig wäre daher eine unmittelbare Zuwendung zur Fraktionsfinanzierung vorgesehener Mittel an fraktionsangehörige oder fraktionslose Mandatsträger.

20

Der Grundsatz der Wahlgleichheit kann nur durch die mittelbaren Auswirkungen der Fraktionsfinanzierung auf die Mandatsträger - und zwar auf fraktionsangehörige wie fraktionslose - berührt werden. Die Gewährung von Finanzmitteln an Fraktionen darf nicht dazu führen, dass die in diesen Fraktionen zusammengeschlossenen Mandatsträger bei der Wahrnehmung ihres Mandats gegenüber fraktionslosen Mandatsträgern ungleich bevorzugt werden. Wo dies unvermeidliche Folge der Fraktionsbildung ist, bedarf es kompensatorischer - nicht notwendig geldwerter - Maßnahmen zugunsten der Fraktionslosen, um die Gleichheit der Mandatswahrnehmung wiederherzustellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 a.a.O. S. 231 f.). Gleiches gilt im Vergleich von Mitgliedern großer mit Mitgliedern kleiner Fraktionen. Auch hier dürfen Zuwendungen an die Fraktionen die grundsätzliche Gleichheit der Mandatswahrnehmung, die aus dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl fließt, nicht beeinträchtigen und müssen andernfalls kompensiert werden. Ob diese Grenze hier überschritten ist und welche Folgen dies für die Fraktionsfinanzierung als solche hätte, kann dahinstehen, weil der vom Rat der Beklagten beschlossene Verteilungsmaßstab schon gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

21

2. Ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nur ein Verteilungsmaßstab vereinbar, der sich an den für die Fraktionsgeschäftsführung entstehenden sächlichen und personellen Aufwendungen orientiert, so kann eine rein proportionale Verteilung nach der Fraktionsstärke bei unterschiedlich großen Fraktionen nur gleichheitsgemäß sein, wenn den Fraktionen kein "fixer" Aufwand unabhängig von ihrer Größe entsteht oder wenn dieser doch regelmäßig nicht ins Gewicht fällt. Das hat das Oberverwaltungsgericht verkannt.

22

Nach seinen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, gewährt die Beklagte über die finanziellen Zuschüsse hinaus sächliche Zuwendungen durch Überlassung von Verwaltungsräumen nebst Ausstattung und Bereitstellung von EDV-Technik. Die Zuschüsse dienen daher vor allem der Finanzierung der personellen Aufwendungen und müssen sich im Wesentlichen danach richten.

23

Die Klägerin hatte unter Beweisantritt geltend gemacht, wenigstens drei Viertel des typischen personellen Aufwands für die Fraktionsgeschäftsführung falle für kleine wie für große Fraktionen gleichermaßen an. Das Oberverwaltungsgericht hat den angebotenen Beweis nicht erhoben, sondern die tatsächliche Behauptung der Klägerin als wahr unterstellt. Auf der Grundlage dieser Unterstellung ist eine rein proportionale Mittelverteilung bei unterschiedlich großen Fraktionen keinesfalls mehr gleichheitsgemäß. Die Einschätzung, drei Viertel und mehr des personellen Aufwands fielen bei der Zuschussbemessung für eben diesen Aufwand nicht ins Gewicht, ist auch bei Annahme eines Einschätzungsspielraums des Richtliniengebers nicht mehr zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen führt eine rein proportionale Mittelverteilung zwangsläufig zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung kleinerer Fraktionen.

24

3. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Vielmehr zwingen seine tatsächlichen Feststellungen zu der Annahme, dass sich eine rein proportionale Verteilung für den streitigen Zeitraum wegen der unterschiedlichen Fraktionsstärken und eines erheblichen Anteils "fixen" Aufwandes für die Geschäftsführung verbietet.

25

Selbst wenn der von der Fraktionsstärke unabhängige Aufwand nicht drei Viertel des personellen Gesamtaufwands ausmacht, so ist dieser Anteil doch keinesfalls so gering, dass er nicht ins Gewicht fiele; jedenfalls entsteht jeder Fraktion ein gewisser Sockelbedarf, der kleinere Fraktionen bei einer rein proportionalen Mittelverteilung ungleich stärker beschwert als größere. Das ergibt sich aus dem Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamtes der Beklagten vom 7. März 2007, den das Oberverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführt hat (vgl. UA S. 5) und dessen Inhalt die Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht widersprochen haben. Das Rechnungsprüfungsamt hat festgestellt, dass die Finanzlage unterschiedlich großer Fraktionen bei einer rein proportionalen Mittelverteilung erheblich voneinander abweicht. Während Fraktionen mit einer größeren Mitgliederzahl die bereitgestellten Mittel nicht in voller Höhe benötigten und zudem großzügig verwendeten, könnten die Aufwendungen der kleineren Fraktionen zum Teil nicht gedeckt werden. Für die Wahlperiode 2009 bis 2014 hat der Stadtrat der Beklagten wohl deshalb die Richtlinien zur Finanzierung der Geschäftsführungstätigkeit der Fraktionen wieder geändert. 50 % der den Fraktionen zugeteilten Mittel werden seither als Sockelbetrag zu gleichen Teilen und 50 % nach der Fraktionsstärke verteilt. Damit ist der Rat zu einem Kombinationsmodell zurückgekehrt.

26

4. Bei dieser Sachlage konnte der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden.

27

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin war dabei allerdings ihrem Zahlungsbegehren nicht ohne Weiteres zu entsprechen. Zwar erweist sich der Ratsbeschluss vom 26. Januar 2005 über die rein proportionale Mittelvergabe als rechtswidrig. Damit tritt jedoch nicht der vorherige Verteilungsmaßstab wieder in Geltung; vielmehr besteht für die fragliche Zeitspanne derzeit überhaupt keine gültige Verteilungsregelung. Die Beklagte ist demzufolge - in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO - zu verpflichten, über das Zahlungsbegehren der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

28

b) Hierzu wird der Rat der Beklagten für den in Rede stehenden Zeitraum eine neue - nunmehr rechtmäßige - Verteilungsregelung zu beschließen haben. Das ist auch rückwirkend möglich. Namentlich kann der derzeitige Rat eine Verteilungsregelung auch für eine zurückliegende, abgeschlossene Wahlperiode beschließen. Dem stehen kommunalverfassungsrechtliche Hindernisse nicht entgegen. Zwar sind die Fraktionen selbst an den jeweils gewählten Rat gebunden und gehen mit Ende einer Wahlperiode unter; in Ansehung von Zahlungsansprüchen der vorliegenden Art, auf welche sich ihre Abwicklung gerade bezieht, bestehen sie jedoch fort. Der Rat selbst ist ein kontinuierliches Organ.

29

Bei der Neuverteilung ist der Rat der Beklagten nicht gehalten, eine spezielle Bedarfsanalyse zu erstellen. Vielmehr wird eine kritische Auswertung der von den Fraktionen ohnehin vorzulegenden Verwendungsnachweise (§ 35a Abs. 3 Satz 3 SächsGemO) aus den zurückliegenden Jahren regelmäßig genügen. Das dem Rat zustehende Regelungsermessen erlaubt zudem eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise. Allerdings muss sich - wie erwähnt - die Verteilungsentscheidung des Rates stets auf die für die Fraktionsgeschäftsführung erforderlichen Tätigkeiten und die Personalaufwendungen hierfür beziehen und beschränken; sie darf weder zu einer verdeckten Parteienfinanzierung noch zu einer (zusätzlichen) Aufwandsentschädigung für die einzelnen Ratsmitglieder werden. Zu bedenken ist auch, dass der Fraktionsgeschäftsführung nicht obliegt, die Willensbildung der Fraktionsmitglieder selbst vorwegzunehmen, dass sie sich vielmehr auf organisierende und koordinierende Dienstleistungen für die Fraktionsmitglieder zu beschränken hat. Hierzu rechnen jedenfalls die Vorbereitung und Durchführung der Fraktionssitzungen, die Mitwirkung bei der Konstituierung des Rates (insbesondere die Beschickung seiner Ausschüsse), die Vorbereitung der Ratssitzungen (Sichtung der Sitzungsvorlagen nebst "Berichterstattung" an die Fraktionsmitglieder, ggf. ergänzende Informationsbeschaffung zu den Tagesordnungspunkten bei der Stadtverwaltung und bei Dritten) sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion (vgl. § 35a Abs. 2 SächsGemO).

30

Findet der Rat die Erhebungen des erwähnten Prüfberichts bestätigt, so darf er die für die Fraktionsgeschäftsführung bereitgestellten Haushaltsmittel - jedenfalls bei unterschiedlich großen Fraktionen - nicht linear proportional auf die Fraktionen verteilen. Vielmehr muss er einen anderen, sachgerechten Verteilungsmaßstab wählen. Das kann ein Kombinationsmodell der Art sein, wie es vor 2005 galt und seit 2009 wieder Geltung hat, mit einem größeren oder kleineren fraktionsstärkeunabhängigen Sockelbetrag. In Betracht kommen aber auch andere Modelle, etwa eine degressiv-proportionale Regelung, welche die ersten vier oder fünf Mitglieder einer Fraktion stärker gewichtet als die zweiten und diese wiederum stärker als die dritten vier oder fünf Mitglieder, und so fort.

31

c) Ob und in welchem Umfang dem Zahlungsbegehren der Klägerin auf der Grundlage des neuen Verteilungsmaßstabs entsprochen werden kann, richtet sich unter anderem nach Haushaltsrecht. Außerdem wird die Beklagte zu bedenken haben, dass - bei unverändertem Mittelvolumen - eine Veränderung des Verteilungsmaßstabs, der kleinere Fraktionen gegenüber der bisherigen Verteilung begünstigt, im Gegenzug die Ansprüche größerer Fraktionen beschneidet. Hiervon wird die Klägerin nur soweit profitieren können, als größere Fraktionen ihre Mittel nicht abgerufen oder nicht bestimmungsgemäß verwendet haben und eine Rückforderung noch möglich ist (vgl. § 35a Abs. 3 Satz 3 SächsGemO).

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Tatbestand

1

Die Klägerin war seit der Stadtratswahl vom 13. Juni 2004 Fraktion im Rat der beklagten Stadt. Sie begehrt die Nachzahlung von Fraktionszuschüssen für die Jahre 2005 bis 2009. Die Wahlperiode lief am 30. Juni 2009 ab.

2

Am 11. August 1999 hatte der Stadtrat Richtlinien zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit der Fraktionen und fraktionslosen Stadträte des Stadtrates beschlossen. Danach gliederten sich die im Haushalt hierfür eingestellten Mittel in einen festen Betrag (zwei Drittel), der zu gleichen Anteilen allen Fraktionen zukommen sollte, und einen variablen Betrag (ein Drittel), der auf die Fraktionen nach der Zahl ihrer Mitglieder aufzuteilen war.

3

Am 26. Januar 2005 beschloss der Stadtrat eine Änderung dieser Richtlinien. Danach waren die im Haushalt für die Geschäftsführung der Fraktionen eingestellten Mittel durch alle 54 Stadträte zu teilen und auf die jeweilige Anzahl der Mitglieder der Fraktionen bzw. fraktionslosen Stadträte hochzurechnen.

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Die Klägerin hält die Änderung der Richtlinie für nichtig. Mit ihrer Klage begehrt sie noch die Zahlung der Mehrbeträge, die sich bei Fortgeltung der Richtlinie in der Fassung von 1999 ergäben.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. August 2007 auch insoweit abgewiesen. Mit Urteil vom 23. November 2010 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Änderung der Richtlinie für rechtmäßig erachtet. Mit dem Grundsatz der Chancengleichheit seien verschiedene Modelle der Fraktionsfinanzierung vereinbar. Es sprächen gute Gründe für eine Verteilung mit einem festen und einem variablen Teilbetrag. Die Chancengleichheit sei aber auch bei einer Verteilung gewährleistet, die sich ausschließlich nach der Anzahl der Fraktionsmitglieder richte. Für beide Modelle sprächen gewichtige Gründe. Die Gewährung eines Sockelbetrages berücksichtige die Tatsache, dass ein gewisser Kostenbedarf unabhängig von der Fraktionsgröße bestehe. Die Verteilung der Mittel strikt nach der Mitgliederzahl stelle hingegen darauf ab, dass mit deren Anstieg auch der Koordinierungsbedarf und die Vielfalt der wahrzunehmenden Tätigkeiten zunehme. Unerheblich sei, ob "typisch fraktionsstärkeunabhängige" Aufgaben des Fraktionspersonals mindestens drei Viertel dessen zeitlichen Aufwands einnähmen, wie die Klägerin unter Beweisantritt behauptet habe. Denn es verbleibe ein nicht unerheblicher Teil von Kosten, die direkt abhängig von der Größe der Fraktionen seien. Der Stadtrat habe sich daher für keine sachwidrige Lösung entschieden.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Fraktionsmittel seien allgemeine Haushaltsmittel, die den Fraktionen in ihrer Eigenschaft als Teil des Hauptorgans der Gemeinde zur Verfügung gestellt würden. Ausgangspunkt sei die Aufgabe der Fraktionen, Meinungsbildung und Mehrheitsfindung im Stadtrat zu erleichtern und in der Informationsvorbereitungs- und Abstimmungsphase einen wichtigen Beitrag zu einer effizienteren Aufgabenerfüllung zu leisten. Dem werde eine Verteilung der Fraktionsmittel rein proportional zur Fraktionsstärke nicht gerecht.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2010 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. August 2007 zu ändern, soweit es den gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klageantrag zu 4 betrifft und die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an ihren ehemaligen Geschäftsführer 116 802,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2005 aus 23 122,71 €, seit 26.01.2006 aus 5 780,70 €, seit 01.06.2006 aus 5 780,67 €, seit 09.08.2006 aus 5 780,67 €, seit 28.11.2006 aus 7 545,93 €, seit 10.01.2007 aus 7 105,53 €, seit 10.04.2007 aus 7 105,53 €, seit 28.09.2007 aus 7 104,77 €, seit 28.09.2007 aus 7 104,77 €, seit 18.01.2008 aus 7 104,52 €, seit 09.06.2008 aus 7 104,52 €, seit 07.07.2008 aus 7 104,52 €, seit 28.09.2008 aus 5 674,52 €, seit 20.01.2009 aus 5 674,52 €, seit 07.04.2009 aus 7 709,06 € zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses hält das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ebenfalls für richtig.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

12

Die revisionsgerichtliche Prüfung muss von der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ausgehen, dass das Zahlungsbegehren der Klägerin sich nicht mit dem Ablauf der Wahlperiode am 30. Juni 2009 erledigt hat, dass es sich richtigerweise gegen die Beklagte richtet und dass die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Stadtrates vom 26. Januar 2005 im Rahmen der Prüfung des gestellten Zahlungsantrags inzident überprüft wird. Das Berufungsgericht hat diesen Beschluss zur Änderung des Verteilungsmaßstabs für rechtmäßig gehalten. Soweit dies auf irrevisiblem Landesrecht beruht, ist dem Revisionsgericht eine Nachprüfung verwehrt (§ 173 VwGO, § 560 ZPO). Es kann daher nur prüfen, ob Bundesrecht - insbesondere Bundesverfassungsrecht - ein anderes Ergebnis gebietet (stRspr; vgl. Urteil vom 12. November 1993 - BVerwG 7 C 23.93 - BVerwGE 94, 288 = Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38).

13

Das ist hier der Fall. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Entscheidung des Stadtrates der Beklagten über die Grundsätze zur Finanzierung der Geschäftsführungstätigkeit der Ratsfraktionen am allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen ist (1.). Mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist jedoch seine Annahme, eine rein proportionale Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel sei bei unterschiedlich großen Fraktionen auch dann gleichheitskonform, wenn der Zeitaufwand für die Erfüllung der Geschäftsführungsaufgaben zu mindestens drei Vierteln von der Fraktionsstärke unabhängig sei (2.). Eine rein proportionale Verteilung kam vielmehr nicht in Betracht (3.). Aus der Unwirksamkeit der Änderung des Verteilungsschlüssels folgt freilich kein Zahlungsanspruch auf der Grundlage der zuvor geltenden Richtlinie von 1999. Vielmehr muss die Beklagte die Klägerin neu bescheiden (4.).

14

1. Die gesetzliche Grundlage für die Gewährung von Zuwendungen an Fraktionen sieht das Oberverwaltungsgericht in § 35a Abs. 3 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO). Danach kann die Gemeinde den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt für die sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren. Diese Mittel sind in einer besonderen Anlage zum Haushaltsplan darzustellen. Über ihre Verwendung ist ein Nachweis in einfacher Form zu führen. Nach der Auslegung dieser Bestimmung durch das Berufungsgericht hat die Klägerin keinen Anspruch auf Fraktionszuwendungen aus Haushaltsmitteln oder auf volle Erstattung ihrer Kosten. Vielmehr besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verteilung der für die Fraktionszuwendungen vorgesehenen Mittel auf die verschiedenen Fraktionen. Hierbei ist die Kommune an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Diese Auslegung ist mit Bundesrecht vereinbar.

15

a) Mit Recht weist das Oberverwaltungsgericht darauf hin, dass der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht nur für das rechtliche Verhältnis zwischen Bürger und Staat gilt, sondern als Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsgebots auch Geltung für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Rat einer Gemeinde und den Fraktionen als seinen Teilen beansprucht.

16

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Der Gesetz- oder sonstige Normgeber muss damit für seine Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonstwie einleuchtenden Grund angeben können. Das gilt für Belastungen und Begünstigungen gleichermaßen (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412 <431> und vom 17. April 2008 - 2 BvL 4/05 - BVerfGE 121, 108 <119>; Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u.a. - BVerfGE 121, 317 <369 f.>; jeweils m.w.N.).

17

Fraktionszuschüsse sind zweckgebundene Zuwendungen. Sie dienen dazu, die sächlichen und personellen Aufwendungen der Fraktionen für ihre Geschäftsführung ganz oder teilweise zu decken (§ 35a Abs. 3 Satz 1 SächsGemO), und sind hierauf begrenzt (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188 <231>). Damit gibt das Gesetz selbst den sachlichen Grund für Differenzierungen bei der Bemessung dieser Zuschüsse vor. Auch wenn die Gemeinde keine kostendeckenden Zuschüsse vorsieht, müssen die gewährten Mittel unter den Fraktionen nach einem Maßstab verteilt werden, der sich an deren tatsächlichem oder erwartbarem Bedarf für ihre Geschäftsführung orientiert. Nichts anderes gilt, fasst man den allgemeinen Gleichheitssatz mit dem Oberverwaltungsgericht in der besonderen Ausprägung als Grundsatz der Chancengleichheit. Fraktionszuschüsse wahren die Chancengleichheit der Fraktionen, wenn sie sich in dem beschriebenen Sinne nach ihrem gesetzlichen Zweck bemessen und hierauf beschränken.

18

b) Strengere Anforderungen an die Finanzierung von Ratsfraktionen ergeben sich nicht aus dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG), der wegen des Demokratieprinzips als Gebot streng formaler Gleichbehandlung aufzufassen ist und Differenzierungen nur aus zwingenden Gründen zulässt (BVerfG, Schlussurteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 <317 f.>). Die Geltung dieses Grundsatzes ist grundsätzlich auf die Wahl und den Wahlvorgang beschränkt (BVerfG, Urteile vom 13. Juni 1989 a.a.O. S. 217 ff. und vom 16. Juli 1991 - 2 BvE 1/91 - BVerfGE 84, 304 <321 ff.>); er setzt sich nach der Wahl im Grundsatz der strengen Gleichheit der Abgeordneten und Mandatsträger fort, deren Rechtsstellung und deren Mitwirkungsbefugnisse in der Vertretung deshalb ebenfalls in einem streng formalen Sinne gleich sein müssen. Das betrifft auch die Abgeordnetenentschädigung (BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91 - BVerfGE 102, 224 <238 f.>).

19

Daraus lässt sich jedoch für die Rechte von Ratsfraktionen nichts gewinnen. Das Gebot strenger Gleichbehandlung gilt für die gewählten Abgeordneten und Ratsmitglieder selbst, die dieses Recht aus ihrem Mandat aus der Wahl herleiten. Fraktionen leiten ihre Rechtsstellung nicht in gleicher Weise unmittelbar aus der Wahl her. Zwar folgt aus dem freien Mandat des Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch das Recht, sich im Parlament mit anderen Abgeordneten zu Fraktionen zusammenzuschließen (stRspr; BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 a.a.O. S. 218; Beschluss vom 17. September 1997 - 2 BvE 4/95 - BVerfGE 96, 264 <278>; jeweils m.w.N.). Ob ein gleiches Recht auch für die Mitglieder eines Gemeinderates oder Kreistages aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG herzuleiten ist, mag dahinstehen (vgl. zu Ratsfraktionen zuletzt Urteil vom 28. April 2010 - BVerwG 8 C 18.08 - BVerwGE 137, 21 Rn. 20 = Buchholz 415.1 Allgemeines Kommunalrecht Nr. 176); es besteht in Sachsen jedenfalls nach Landesrecht (§ 35a Abs. 1 Satz 1 SächsGemO). Aus der formalen Gleichheit der Mandatsträger folgt jedoch noch keine ebenso formale Gleichheit der von ihnen gebildeten Fraktionen. Ebenso wenig lässt sich aus ihr folgern, dass sich die Finanzierung von Fraktionen allein an der Zahl ihrer Mitglieder auszurichten hätte. Ungeachtet des Rechts der Mandatsträger, sich zu Fraktionen zusammenzuschließen, sind diese doch zunächst Ausfluss des Selbstorganisationsrechts der Vertretung. Als Gliederungen des Rates dienen sie dazu, den Willensbildungsprozess im Rat vorzubereiten und zu strukturieren und damit effektiver zu gestalten (vgl. Suerbaum, in: Mann/Püttner , Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 3. Aufl. 2007, § 22 Rn. 3 m.w.N.). Durch ihre Finanzierung finanziert der Rat sich daher selbst. Zuwendungen an die Fraktionen sind deshalb weder für die Finanzierung etwa "hinter" den Fraktionen stehender Parteien noch für die Alimentierung der fraktionsangehörigen Mandatsträger bestimmt. Unzulässig wäre daher eine unmittelbare Zuwendung zur Fraktionsfinanzierung vorgesehener Mittel an fraktionsangehörige oder fraktionslose Mandatsträger.

20

Der Grundsatz der Wahlgleichheit kann nur durch die mittelbaren Auswirkungen der Fraktionsfinanzierung auf die Mandatsträger - und zwar auf fraktionsangehörige wie fraktionslose - berührt werden. Die Gewährung von Finanzmitteln an Fraktionen darf nicht dazu führen, dass die in diesen Fraktionen zusammengeschlossenen Mandatsträger bei der Wahrnehmung ihres Mandats gegenüber fraktionslosen Mandatsträgern ungleich bevorzugt werden. Wo dies unvermeidliche Folge der Fraktionsbildung ist, bedarf es kompensatorischer - nicht notwendig geldwerter - Maßnahmen zugunsten der Fraktionslosen, um die Gleichheit der Mandatswahrnehmung wiederherzustellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 a.a.O. S. 231 f.). Gleiches gilt im Vergleich von Mitgliedern großer mit Mitgliedern kleiner Fraktionen. Auch hier dürfen Zuwendungen an die Fraktionen die grundsätzliche Gleichheit der Mandatswahrnehmung, die aus dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl fließt, nicht beeinträchtigen und müssen andernfalls kompensiert werden. Ob diese Grenze hier überschritten ist und welche Folgen dies für die Fraktionsfinanzierung als solche hätte, kann dahinstehen, weil der vom Rat der Beklagten beschlossene Verteilungsmaßstab schon gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

21

2. Ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nur ein Verteilungsmaßstab vereinbar, der sich an den für die Fraktionsgeschäftsführung entstehenden sächlichen und personellen Aufwendungen orientiert, so kann eine rein proportionale Verteilung nach der Fraktionsstärke bei unterschiedlich großen Fraktionen nur gleichheitsgemäß sein, wenn den Fraktionen kein "fixer" Aufwand unabhängig von ihrer Größe entsteht oder wenn dieser doch regelmäßig nicht ins Gewicht fällt. Das hat das Oberverwaltungsgericht verkannt.

22

Nach seinen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, gewährt die Beklagte über die finanziellen Zuschüsse hinaus sächliche Zuwendungen durch Überlassung von Verwaltungsräumen nebst Ausstattung und Bereitstellung von EDV-Technik. Die Zuschüsse dienen daher vor allem der Finanzierung der personellen Aufwendungen und müssen sich im Wesentlichen danach richten.

23

Die Klägerin hatte unter Beweisantritt geltend gemacht, wenigstens drei Viertel des typischen personellen Aufwands für die Fraktionsgeschäftsführung falle für kleine wie für große Fraktionen gleichermaßen an. Das Oberverwaltungsgericht hat den angebotenen Beweis nicht erhoben, sondern die tatsächliche Behauptung der Klägerin als wahr unterstellt. Auf der Grundlage dieser Unterstellung ist eine rein proportionale Mittelverteilung bei unterschiedlich großen Fraktionen keinesfalls mehr gleichheitsgemäß. Die Einschätzung, drei Viertel und mehr des personellen Aufwands fielen bei der Zuschussbemessung für eben diesen Aufwand nicht ins Gewicht, ist auch bei Annahme eines Einschätzungsspielraums des Richtliniengebers nicht mehr zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen führt eine rein proportionale Mittelverteilung zwangsläufig zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung kleinerer Fraktionen.

24

3. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Vielmehr zwingen seine tatsächlichen Feststellungen zu der Annahme, dass sich eine rein proportionale Verteilung für den streitigen Zeitraum wegen der unterschiedlichen Fraktionsstärken und eines erheblichen Anteils "fixen" Aufwandes für die Geschäftsführung verbietet.

25

Selbst wenn der von der Fraktionsstärke unabhängige Aufwand nicht drei Viertel des personellen Gesamtaufwands ausmacht, so ist dieser Anteil doch keinesfalls so gering, dass er nicht ins Gewicht fiele; jedenfalls entsteht jeder Fraktion ein gewisser Sockelbedarf, der kleinere Fraktionen bei einer rein proportionalen Mittelverteilung ungleich stärker beschwert als größere. Das ergibt sich aus dem Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamtes der Beklagten vom 7. März 2007, den das Oberverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführt hat (vgl. UA S. 5) und dessen Inhalt die Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht widersprochen haben. Das Rechnungsprüfungsamt hat festgestellt, dass die Finanzlage unterschiedlich großer Fraktionen bei einer rein proportionalen Mittelverteilung erheblich voneinander abweicht. Während Fraktionen mit einer größeren Mitgliederzahl die bereitgestellten Mittel nicht in voller Höhe benötigten und zudem großzügig verwendeten, könnten die Aufwendungen der kleineren Fraktionen zum Teil nicht gedeckt werden. Für die Wahlperiode 2009 bis 2014 hat der Stadtrat der Beklagten wohl deshalb die Richtlinien zur Finanzierung der Geschäftsführungstätigkeit der Fraktionen wieder geändert. 50 % der den Fraktionen zugeteilten Mittel werden seither als Sockelbetrag zu gleichen Teilen und 50 % nach der Fraktionsstärke verteilt. Damit ist der Rat zu einem Kombinationsmodell zurückgekehrt.

26

4. Bei dieser Sachlage konnte der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden.

27

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin war dabei allerdings ihrem Zahlungsbegehren nicht ohne Weiteres zu entsprechen. Zwar erweist sich der Ratsbeschluss vom 26. Januar 2005 über die rein proportionale Mittelvergabe als rechtswidrig. Damit tritt jedoch nicht der vorherige Verteilungsmaßstab wieder in Geltung; vielmehr besteht für die fragliche Zeitspanne derzeit überhaupt keine gültige Verteilungsregelung. Die Beklagte ist demzufolge - in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO - zu verpflichten, über das Zahlungsbegehren der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

28

b) Hierzu wird der Rat der Beklagten für den in Rede stehenden Zeitraum eine neue - nunmehr rechtmäßige - Verteilungsregelung zu beschließen haben. Das ist auch rückwirkend möglich. Namentlich kann der derzeitige Rat eine Verteilungsregelung auch für eine zurückliegende, abgeschlossene Wahlperiode beschließen. Dem stehen kommunalverfassungsrechtliche Hindernisse nicht entgegen. Zwar sind die Fraktionen selbst an den jeweils gewählten Rat gebunden und gehen mit Ende einer Wahlperiode unter; in Ansehung von Zahlungsansprüchen der vorliegenden Art, auf welche sich ihre Abwicklung gerade bezieht, bestehen sie jedoch fort. Der Rat selbst ist ein kontinuierliches Organ.

29

Bei der Neuverteilung ist der Rat der Beklagten nicht gehalten, eine spezielle Bedarfsanalyse zu erstellen. Vielmehr wird eine kritische Auswertung der von den Fraktionen ohnehin vorzulegenden Verwendungsnachweise (§ 35a Abs. 3 Satz 3 SächsGemO) aus den zurückliegenden Jahren regelmäßig genügen. Das dem Rat zustehende Regelungsermessen erlaubt zudem eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise. Allerdings muss sich - wie erwähnt - die Verteilungsentscheidung des Rates stets auf die für die Fraktionsgeschäftsführung erforderlichen Tätigkeiten und die Personalaufwendungen hierfür beziehen und beschränken; sie darf weder zu einer verdeckten Parteienfinanzierung noch zu einer (zusätzlichen) Aufwandsentschädigung für die einzelnen Ratsmitglieder werden. Zu bedenken ist auch, dass der Fraktionsgeschäftsführung nicht obliegt, die Willensbildung der Fraktionsmitglieder selbst vorwegzunehmen, dass sie sich vielmehr auf organisierende und koordinierende Dienstleistungen für die Fraktionsmitglieder zu beschränken hat. Hierzu rechnen jedenfalls die Vorbereitung und Durchführung der Fraktionssitzungen, die Mitwirkung bei der Konstituierung des Rates (insbesondere die Beschickung seiner Ausschüsse), die Vorbereitung der Ratssitzungen (Sichtung der Sitzungsvorlagen nebst "Berichterstattung" an die Fraktionsmitglieder, ggf. ergänzende Informationsbeschaffung zu den Tagesordnungspunkten bei der Stadtverwaltung und bei Dritten) sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion (vgl. § 35a Abs. 2 SächsGemO).

30

Findet der Rat die Erhebungen des erwähnten Prüfberichts bestätigt, so darf er die für die Fraktionsgeschäftsführung bereitgestellten Haushaltsmittel - jedenfalls bei unterschiedlich großen Fraktionen - nicht linear proportional auf die Fraktionen verteilen. Vielmehr muss er einen anderen, sachgerechten Verteilungsmaßstab wählen. Das kann ein Kombinationsmodell der Art sein, wie es vor 2005 galt und seit 2009 wieder Geltung hat, mit einem größeren oder kleineren fraktionsstärkeunabhängigen Sockelbetrag. In Betracht kommen aber auch andere Modelle, etwa eine degressiv-proportionale Regelung, welche die ersten vier oder fünf Mitglieder einer Fraktion stärker gewichtet als die zweiten und diese wiederum stärker als die dritten vier oder fünf Mitglieder, und so fort.

31

c) Ob und in welchem Umfang dem Zahlungsbegehren der Klägerin auf der Grundlage des neuen Verteilungsmaßstabs entsprochen werden kann, richtet sich unter anderem nach Haushaltsrecht. Außerdem wird die Beklagte zu bedenken haben, dass - bei unverändertem Mittelvolumen - eine Veränderung des Verteilungsmaßstabs, der kleinere Fraktionen gegenüber der bisherigen Verteilung begünstigt, im Gegenzug die Ansprüche größerer Fraktionen beschneidet. Hiervon wird die Klägerin nur soweit profitieren können, als größere Fraktionen ihre Mittel nicht abgerufen oder nicht bestimmungsgemäß verwendet haben und eine Rückforderung noch möglich ist (vgl. § 35a Abs. 3 Satz 3 SächsGemO).

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

In Zweifelsfragen ist das Mitglied des Bundestages verpflichtet, sich durch Rückfragen beim Präsidenten über den Inhalt seiner Pflichten nach diesen Verhaltensregeln zu vergewissern.

Gründe

A.

1

Das gegen den Deutschen Bundestag gerichtete Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob die Zuweisung von Finanzmitteln im Bundeshaushalt an die Fraktionen des Bundestages, an die Bundestagsabgeordneten für die Beschäftigung von Mitarbeitern sowie an die parteinahen Stiftungen gegen den Grundsatz der Chancengleichheit zum Nachteil der nicht im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) verstößt.

I.

2

Im Bundeshaushaltsplan für das Jahr 2012, festgestellt durch § 1 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2012 (Gesetz vom 22. Dezember 2011, BGBl I S. 2938, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2012, BGBl I S. 2580), bewilligte der Deutsche Bundestag Ausgaben für die Bundestagsfraktionen (1.), für die Beschäftigung von Abgeordnetenmitarbeitern (2.) und für politische Stiftungen (3.). Spenden von Bundestagsfraktionen oder politischen Stiftungen dürfen von Parteien nicht entgegengenommen werden (4.).

3

1. Im Einzelplan 02 Kapitel 01 Titel 684 01 wurden den Fraktionen des Deutschen Bundestages Geldleistungen in Höhe von 80,835 Mio. Euro zugewiesen. Die Geldleistungen bemessen sich ausweislich der Erläuterungen des Haushaltsplans nach § 50 Abs. 1 und Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes (Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages - AbgG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996, BGBl I S. 326, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juli 2014, BGBl I S. 906).

4

Soweit hier einschlägig, lautet die Vorschrift:

§ 50

Geld- und Sachleistungen

(1) Die Fraktionen haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anspruch auf Geld- und Sachleistungen aus dem Bundeshaushalt.

(2) Die Geldleistungen setzen sich aus einem Grundbetrag für jede Fraktion, aus einem Betrag für jedes Mitglied und einem weiteren Zuschlag für jede Fraktion, die nicht die Bundesregierung trägt (Oppositionszuschlag), zusammen. Die Höhe dieser Beträge und des Oppositionszuschlages legt der Bundestag jährlich fest. Dazu erstattet der Präsident dem Bundestag im Benehmen mit dem Ältestenrat jeweils bis zum 30. September einen Bericht über die Angemessenheit der Beträge und des Oppositionszuschlages und legt zugleich einen Anpassungsvorschlag vor. […]

(4) Leistungen nach Absatz 1 dürfen die Fraktionen nur für Aufgaben verwenden, die ihnen nach dem Grundgesetz, diesem Gesetz und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages obliegen. Eine Verwendung für Parteiaufgaben ist unzulässig.

[…]

5

Hinsichtlich der Aufgaben der Fraktionen sieht § 47 AbgG vor, dass diese an der Erfüllung der Aufgaben des Deutschen Bundestages mitwirken und die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit unterrichten können. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 47

Aufgaben

(1) Die Fraktionen wirken an der Erfüllung der Aufgaben des Deutschen Bundestages mit.

(2) Die Fraktionen können mit Fraktionen anderer Parlamente und parlamentarischen Einrichtungen national und international zusammenarbeiten.

(3) Die Fraktionen und ihre Mitglieder können die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit unterrichten.

6

Die Kontrolle der Verwendung der den Fraktionen zur Verfügung gestellten Mittel erfolgt nach den Regelungen der §§ 51 bis 53 AbgG, die insbesondere Vorschriften zur Buchführung, zur öffentlichen Rechnungslegung und zur Rechnungsprüfung durch den Bundesrechnungshof enthalten und - soweit hier einschlägig - lauten:

§ 51

Haushalts- und Wirtschaftsführung, Buchführung

(1) Einzelheiten der Haushalts- und Wirtschaftsführung werden in Ausführungsbestimmungen geregelt, die der Ältestenrat nach Anhörung des Bundesrechnungshofes erlässt.

(2) Die Fraktionen haben Bücher über ihre rechnungslegungspflichtigen Einnahmen und Ausgaben sowie über ihr Vermögen zu führen. Dabei ist nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks zu verfahren.

[…]

§ 52

Rechnungslegung

(1) Die Fraktionen haben über die Herkunft und die Verwendung der Mittel, die ihnen innerhalb eines Kalenderjahres (Rechnungsjahr) gemäß § 50 Abs. 1 zugeflossen sind, öffentlich Rechenschaft zu geben.

(2) Die Rechnung ist wie folgt zu gliedern:

1. Einnahmen:

a) Geldleistungen nach § 50 Abs. 1,

b) sonstige Einnahmen;

2. Ausgaben:

a) Summe der Leistungen an Fraktionsmitglieder für die Wahrnehmung besonderer Funktionen in der Fraktion,

b) Summe der Personalausgaben für Fraktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter,

c) Ausgaben für Veranstaltungen,

d) Sachverständigen-, Gerichts- und ähnliche Kosten,

e) Ausgaben für die Zusammenarbeit mit Fraktionen anderer Parlamente,

f) Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit,

g) Ausgaben des laufenden Geschäftsbetriebes,

h) Ausgaben für Investitionen sowie

i) sonstige Ausgaben.

[…]

(4) Die Rechnung muss von einem im Benehmen mit dem Bundesrechnungshof bestellten Abschlussprüfer (Wirtschaftsprüfer oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) auf die Einhaltung der Anforderungen der Absätze 2 und 3 geprüft werden und einen entsprechenden Prüfungsvermerk aufweisen. Die geprüfte Rechnung ist dem Präsidenten oder der Präsidentin des Deutschen Bundestages spätestens bis zum Ende des sechsten Monats nach Ablauf des Kalenderjahres oder des Monats vorzulegen, in dem die Geldleistungen nach § 50 Abs. 1 letztmals gezahlt wurden. Der Präsident oder die Präsidentin des Deutschen Bundestages können die Frist aus besonderen Gründen bis zu drei Monaten verlängern. Die geprüfte Rechnung wird als Bundestags-Drucksache verteilt.

(5) Solange eine Fraktion mit der Rechnungslegung in Verzug ist, sind Geld- und Sachleistungen nach § 50 Abs. 1 zurückzubehalten.

§ 53

Rechnungsprüfung

(1) Der Bundesrechnungshof prüft die Rechnung sowie die den Fraktionen nach § 50 Abs. 1 zur Verfügung gestellten Geld- und Sachleistungen auf ihre wirtschaftliche und ordnungsgemäße Verwendung nach Maßgabe der Ausführungsbestimmungen gemäß § 51 Abs. 1.

(2) Bei der Prüfung sind die Rechtsstellung und die Aufgaben der Fraktionen zu beachten. Die politische Erforderlichkeit einer Maßnahme der Fraktionen ist nicht Gegenstand der Prüfung.

7

2. Für die Beschäftigung von Mitarbeitern der Bundestagsabgeordneten wurden im Haushaltsplan 2012 im Einzelplan 02 Kapitel 01 Titel 411 03 Aufwendungen in Höhe von 151,823 Mio. Euro eingestellt.

8

Grundlage des Ersatzes von Aufwendungen für die Beschäftigung von Abgeordnetenmitarbeitern ist § 12 AbgG, der im vorliegenden Zusammenhang bestimmt:

§ 12

Amtsausstattung

(1) Ein Mitglied des Bundestages erhält zur Abgeltung seiner durch das Mandat veranlassten Aufwendungen eine Amtsausstattung als Aufwandsentschädigung. Die Amtsausstattung umfasst Geld- und Sachleistungen.

[…]

(3) Ein Mitglied des Bundestages erhält Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern zur Unterstützung bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit gegen Nachweis ersetzt. Der Ersatzanspruch ist nicht auf ein anderes Mitglied des Bundestages übertragbar. Der Ersatz von Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit dem Mitglied des Bundestages verwandt, verheiratet oder verschwägert sind oder waren, ist grundsätzlich unzulässig. Entsprechendes gilt für den Ersatz von Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Lebenspartnern oder früheren Lebenspartnern eines Mitglieds des Bundestages. Einzelheiten über den Umfang und die Voraussetzungen für den Ersatz von Aufwendungen, über nicht abdingbare Mindestvorschriften für den Arbeitsvertrag und sonstige Fragen regeln das Haushaltsgesetz und die vom Ältestenrat zu erlassenden Ausführungsbestimmungen. Die Abrechnung der Gehälter und anderen Aufwendungen für Mitarbeiter erfolgt durch die Verwaltung des Bundestages. Eine Haftung des Bundestages gegenüber Dritten ist ausgeschlossen. […]

9

Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1718) in das Abgeordnetengesetz eingefügt und trat am 22. Dezember 1995 in Kraft. Vor Erlass der § 12 Abs. 3 AbgG entsprechenden Vorgängernorm war vorgesehen, im Abgeordnetengesetz selbst die Höhe der sogenannten Mitarbeiterpauschale festzulegen (vgl. BTDrucks 7/5525, S. 8); auf Empfehlung des Haushaltsausschusses kam es dann aber zu der - noch immer gültigen - Regelung, die Aufwendungen nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes zu ersetzen.

10

Die gemäß § 12 Abs. 3 Satz 5 AbgG erlassenen Ausführungsbestimmungen des Ältestenrates, auf die im Haushaltsplan 2012 ausdrücklich Bezug genommen wird (Ausführungsbestimmungen des Ältestenrates des Deutschen Bundestages für den Ersatz von Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern vom 19. Januar 1978 in der Fassung vom 12. Oktober 2007), sehen vor, dass Mitgliedern des Bundestages Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern, die sie zur Unterstützung bei der Erledigung ihrer parlamentarischen Arbeit einstellen, gegen Nachweis ersetzt werden (Nr. 1). Der Ersatz von Aufwendungen ist frühestens ab Beginn des Monats zulässig, in welchem dem Referat PM 2 der Bundestagsverwaltung der Arbeitsvertrag oder Vertragsänderungen im Original vorgelegt werden. Ersatz wird nur geleistet, soweit das Gehalt des Mitarbeiters seiner Vorbildung, Berufserfahrung und ausgeübten Tätigkeit entspricht und die Gehaltsvereinbarung den vom Ältestenrat beschlossenen Gehaltsrahmen nicht übersteigt (Nr. 3, 4). Der Arbeitsvertrag wird zwischen dem Mitglied des Bundestages und dem Mitarbeiter geschlossen. Er muss mindestens die vom Ältestenrat in einem Musterarbeitsvertrag getroffenen Regelungen enthalten. Kündigungen und Vertragsänderungen müssen schriftlich erfolgen. Inhalt und Umfang der Beschäftigung seines Mitarbeiters bestimmt das Mitglied des Bundestages, das auch die Verantwortung für die bestimmungsgemäße Verwendung der Haushaltsmittel trägt (Nr. 7). In Zweifelsfällen und über Ausnahmen entscheidet die Kommission des Ältestenrates für Angelegenheiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abgeordneten. Gegen diese Entscheidung ist die Anrufung des Ältestenrates zulässig (Nr. 10). Gemäß § 5 der Anlage zu § 6 des Musterarbeitsvertrages muss jede weitere Beschäftigung gegen Entgelt dem Arbeitgeber und dem Referat PM 2 der Bundestagsverwaltung angezeigt werden.

11

3. Im Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 685 02 des Haushaltsplans 2012 wurden Globalzuschüsse für die parteinahen Stiftungen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit in Höhe von 97,958 Mio. Euro eingesetzt. Die Erläuterungen zu Titel 685 02 lauten unter anderem:

Die Globalzuschüsse werden der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Hanns-Seidel-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben gewährt, insbesondere für die Durchführung von Seminaren, Tagungen und Kolloquien, die Beschaffung von Lehr- und Lernmitteln sowie die Vergabe von Forschungsvorhaben mit gesellschaftspolitischer Zielsetzung vor allem auf dem Gebiet der Bildungsforschung. Aus den Globalzuschüssen werden u. a. Ausgaben für Personal und Verwaltung bestritten. Darüber hinaus dienen die Globalzuschüsse dazu, zeitgeschichtlich bedeutsame Archivalien (z. B. Aufzeichnungen, Redemanuskripte, Briefe u. Ä.) von deutschen Parlamentariern zu erhalten und in den Archiven der den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nahestehenden Stiftungen zu archivieren. Die Verwendung der Globalzuschüsse richtet sich nach besonderen Bewirtschaftungsgrundsätzen, die vom Bundesministerium des Innern im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen erlassen wurden [Bewirtschaftungsgrundsätze des Bundesministeriums des Innern für Zuschüsse des Bundes aus Kapitel 0602 Titel 685 02 zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit in der Fassung vom 2. Juni 2005].

12

Die in den Erläuterungen zur Zweckbestimmung erwähnten besonderen Bewirtschaftungsgrundsätze enthalten unter anderem Vorschriften zur ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung, zur Wirtschaftsprüfung und zur Vorlage von Verwendungsnachweisen.

13

4. Ergänzend zum Abgeordnetengesetz bestimmt das Parteiengesetz (Gesetz über die politischen Parteien - PartG - in der Fassung vom 31. Januar 1994, BGBl I S. 149, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. August 2011, BGBl I S. 1748) in § 25 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, dass Parteien nicht berechtigt sind, Spenden von (unter anderem) Parlamentsfraktionen und -gruppen sowie von politischen Stiftungen anzunehmen. Solche Spenden sind nach § 25 Abs. 4 PartG unverzüglich, spätestens aber mit dem jährlichen Rechenschaftsbericht, an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiterzuleiten. Einen Verstoß gegen diese Vorschriften sanktioniert § 31c PartG: Gegen die Partei entsteht ein Anspruch in Höhe des Dreifachen des rechtswidrig erlangten Betrages. Die einschlägigen Vorschriften lauten:

§ 25

Spenden

(1) Parteien sind berechtigt, Spenden anzunehmen. […]

(2) Von der Befugnis der Parteien, Spenden anzunehmen ausgeschlossen sind:

1. Spenden von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Parlamentsfraktionen und -gruppen sowie von Fraktionen und Gruppen von kommunalen Vertretungen;

2. Spenden von politischen Stiftungen, Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 der Abgabenordnung);

[…]

(4) Nach Absatz 2 unzulässige Spenden sind von der Partei unverzüglich, spätestens mit Einreichung des Rechenschaftsberichts für das betreffende Jahr (§ 19a Abs. 3) an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiterzuleiten.

§ 26

Begriff der Einnahme

(1) Einnahme ist, soweit für einzelne Einnahmearten (§ 24 Abs. 4) nichts besonderes gilt, jede von der Partei erlangte Geld- oder geldwerte Leistung. Als Einnahmen gelten auch die Freistellung von üblicherweise entstehenden Verbindlichkeiten, die Übernahme von Veranstaltungen und Maßnahmen durch andere, mit denen ausdrücklich für eine Partei geworben wird, die Auflösung von Rückstellungen sowie Wertaufholungen im Anlagevermögen.

[…]

§ 31c

Rechtswidrig erlangte oder nicht veröffentlichte Spenden

(1) Hat eine Partei Spenden unter Verstoß gegen § 25 Abs. 2 angenommen und nicht gemäß § 25 Abs. 4 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet, entsteht gegen sie ein Anspruch in Höhe des Dreifachen des rechtswidrig erlangten Betrages; bereits abgeführte Spenden werden angerechnet. […]

II.

14

Die Antragstellerin hält ihre im Rubrum wiedergegebenen Anträge für zulässig (1.) und begründet (2.).

15

1. Die Sechs-Monats-Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt, weil sich die Antragstellerin mit ihrer am 12. Juni 2012 anhängig gemachten Organklage nicht gegen die Vorschriften des Abgeordnetengesetzes, sondern gegen das am 22. Dezember 2011 verabschiedete Haushaltsgesetz 2012 wende. Auch wenn die verfassungswidrigen Zuweisungen von Finanzmitteln schon lange stattfänden, habe der Antragsgegner sie durch die Bewilligung der Mittel im Haushaltsplan 2012 wieder praktiziert und damit erneut die Chancengleichheit der nicht im Parlament vertretenen Parteien wie der Antragstellerin unmittelbar verletzt.

16

2. a) Zur Begründung ihres Antrags zu 1. führt die Antragstellerin aus:

17

Die Zuweisung von Finanzmitteln an Fraktionen, an Bundestagsabgeordnete für persönliche Mitarbeiter und an parteinahe Stiftungen werde in missbräuchlicher Weise auch zur verdeckten Finanzierung der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien verwendet, obwohl das Bundesverfassungsgericht die staatliche Parteienfinanzierung eingegrenzt habe. Dadurch werde die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Parteienwettbewerb aus Art. 21 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

18

aa) Die Zuwendungen im Haushaltsgesetz stellten sich als "Entscheidungen in eigener Sache" dar, bei denen die Gefahr des Missbrauchs besonders groß sei. Hinsichtlich der Chancengleichheit sei deshalb - wie im Wahlrecht - ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gelte umso mehr, als die historische Entwicklung belege, dass die öffentlichen Mittel für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen zu funktionellen Äquivalenten der staatlichen Parteienfinanzierung geworden seien. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Staatsfinanzierung der Parteien in den 1960er Jahren begrenzt habe, sei eine großangelegte Verschiebung der Staatsmittel zu anderen Organisationen der im Bundestag vertretenen Parteien erfolgt. Die ansonsten bestehende Vermutung der Richtigkeit von Entscheidungen des Parlaments gelte daher hier nicht. Die hintereinander gestaffelten und völlig unzureichend kontrollierten Entscheidungen in eigener Sache begründeten vielmehr umgekehrt die Vermutung der Unrichtigkeit und indizierten die Gefahr des Missbrauchs und der verdeckten Parteienfinanzierung. Vom Antragsgegner müsse deshalb dargelegt und bewiesen werden, dass er die verfassungsmäßigen Grenzen gewahrt habe. Dies gelte auch für die Einhaltung der absoluten Obergrenze staatlicher Parteienfinanzierung, die nicht unterlaufen werden dürfe.

19

bb) Die Zuschüsse an die Bundestagsfraktionen hätten sich nach der Begrenzung der Staatsfinanzierung der Parteien durch die verfassungsgerichtlichen Urteile von 1966 (BVerfGE 20, 56) und 1968 (BVerfGE 24, 300) nominal verfünfzigfacht und inflationsbereinigt verachtfacht. Da die Bürger praktisch nicht zwischen Partei und Fraktion unterschieden, komme deren Tätigkeit zwangsläufig immer auch der jeweiligen Partei zugute. Mit dem rasanten Wachstum der "Parteien im Parlament" verlagerten sich auf diese zunehmend Funktionen der Parteien, die umgekehrt von entsprechenden Aufgaben entlastet würden. Diese Entwicklung, von der außerparlamentarische Parteien ausgeschlossen seien, begünstige nicht nur einen Trend zu bürgerfernen Staatsparteien, sondern auch zu zunehmender Wettbewerbsbeschränkung zu Lasten kleinerer Parteien.

20

cc) Bei der Öffentlichkeitsarbeit werde die faktische Verschmelzung von Fraktion und Partei besonders deutlich. Hierfür wendeten die Fraktionen einen erheblichen Teil ihrer öffentlichen Mittel auf. Im Jahr 2007 seien die Ausgaben der Bundestagsfraktionen für die Öffentlichkeitsarbeit von 3,9 Mio. Euro (2006) auf 6,3 Mio. Euro (2007) um 62 % drastisch erhöht worden. Kleinere Fraktionen wendeten dabei regelmäßig nicht nur relativ, sondern auch absolut mehr für die Öffentlichkeitsarbeit auf als die beiden größeren Fraktionen. So hätten im Bundestagswahljahr 2009 die FDP-Fraktion und die Fraktion DIE LINKE mit je 1,95 Mio. Euro rund das Dreifache der CDU/CSU-Fraktion (0,6 Mio. Euro) und das Zweieinhalbfache der SPD-Fraktion (0,83 Mio. Euro) aufgewandt. Der Anteil der Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit, der bei den großen Fraktionen um 5 % schwanke, liege bei den kleinen bei fast 20 %. Die Fraktionszuschüsse dürften indes nur für die parlamentsinterne Koordinationsarbeit aufgewandt werden, wie das Bundesverfassungsgericht im Wüppesahl-Urteil (BVerfGE 80, 188) nochmals unterstrichen habe. Für Öffentlichkeitsarbeit dürften die Fraktionen die ihnen zugewendeten Mittel nicht verwenden; lediglich dem Bundestag als Ganzem stehe es zu, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

21

Soweit die Praxis ausgehend von der einfachrechtlichen Befugnis in § 47 Abs. 3, § 50 AbgG zwischen zulässiger und unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen zu unterscheiden versuche, gelte dies nicht für die Bewilligung der öffentlichen Mittel durch den Antragsgegner. Dieser sei durch Art. 20 Abs. 3 GG unmittelbar an das Grundgesetz gebunden; hier schlage die Verfassungswidrigkeit von fraktioneller Öffentlichkeitsarbeit voll durch.

22

Die Praxis zeige zudem, dass selbst die äußersten Grenzen der vermeintlich zulässigen Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen überschritten würden, etwa bei der Öffentlichkeitskampagne der FDP-Bundestagsfraktion im Umfeld der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2012.

23

dd) Für die Beschäftigung persönlicher Mitarbeiter hätten sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages seit 1969 öffentliche Mittel bewilligt, die inzwischen mit rund 151 Mio. Euro fast doppelt so hoch seien wie die Zuschüsse für die Bundestagsfraktionen und etwa so hoch wie die gesamte deutsche staatliche Parteienfinanzierung auf Bundes-, Landes- und Europaebene zusammen. Seit 1969 seien die Mittel verzwanzigfacht worden. Die Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter habe sich von 398 im Jahr 1969 auf 6.784 im Jahr 2009 erhöht. Im Durchschnitt habe jeder Bundestagsabgeordnete rund zehn Helfer, davon etwa ein Drittel voll- und zwei Drittel teilzeitbeschäftigt. Besonders problematisch stelle sich die Beschäftigung von Mitarbeitern in den Wahlkreisen dar, deren Zahl sich von 128 im Jahr 1969 auf 3.740 im Jahr 2009 erhöht habe. Die Mitarbeiter bildeten vielfach geradezu das organisatorische Rückgrat der lokalen und regionalen Gliederungen der jeweiligen Mutterparteien. Eine stichprobenartige Untersuchung zeige, dass zahlreiche Abgeordnetenmitarbeiter auch (Spitzen-)Funktionen als Vorsitzende oder Geschäftsführer in den Parteien wahrnähmen oder selbst eine Karriere als Politiker anstrebten. Bei 121 überprüften Abgeordneten habe sich ergeben, dass 14 Mitarbeiter Geschäftsführer eines Landes-, Kreis- oder Ortsverbandes und zwei Mitarbeiter Geschäftsführer einer Kommunalfraktion gewesen seien. 25 Mitarbeiter hätten zugleich die Funktion des Vorsitzenden eines Parteiverbandes oder einer kommunalen Fraktion und weitere 20 Mitarbeiter die Funktion eines stellvertretenden Vorsitzenden wahrgenommen.

24

Durch die Möglichkeit der Anstellung in den Wahlkreisen und der Mehrfachbeschäftigung sowie die fehlende Kontrolle durch die Öffentlichkeit und den Bundesrechnungshof leiste der Antragsgegner dem Missbrauch der Abgeordnetenmitarbeiter für Parteizwecke Vorschub. Selbst wenn der Antragsgegner und eine Partei sich die Finanzierung eines Abgeordnetenmitarbeiters teilten, seien Manipulationen leicht möglich. Unabhängig davon finde verschleierte Parteienfinanzierung auch dadurch statt, dass Wahlkreisarbeit und parteipolitische Betätigung außerordentlich dicht beieinander lägen und daher der Einsatz von persönlichen Mitarbeitern im Wahlkreis automatisch der jeweiligen Mutterpartei zugutekomme.

25

Gegen das Verbot, Mitarbeiter im Wahlkampf einzusetzen, werde massenhaft verstoßen. Dies habe eine investigative Recherche des Fernsehmagazins "Report Mainz" im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 bestätigt und gelte auch für die Mitarbeiter von Landtagsabgeordneten. Das Problem gehe aber weit über die offensichtlichen Formen des Einsatzes von Mitarbeitern für Parteien im Wahlkampf hinaus, da die Aktionen der Abgeordneten und ihrer Parteien die ganze Wahlperiode über auch vom Bestreben des Machterhalts beziehungsweise des Machtgewinns geprägt seien. Die Zahlungen an die Abgeordnetenmitarbeiter der Bundestagsparteien ließen die Wahlkampfbudgets weit hinter sich.

26

ee) Auch die Globalzuschüsse für die parteinahen Stiftungen kämen zu einem beträchtlichen Teil den Mutterparteien zugute. Es bestehe eine "Kooperationseinheit". Nahezu alle Stiftungsaktivitäten (politische Bildungsarbeit, wissenschaftliche Forschung, Begabtenförderung usw.) seien parteipolitisch geprägt. Die dafür gezahlten Globalzuschüsse seien von 9 Mio. DM im Jahr 1967 auf 98 Mio. Euro im Jahr 2012 gestiegen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1986 eine verdeckte Parteienfinanzierung durch die staatliche Förderung der politischen Stiftungen verneint (BVerfGE 73, 1). Diese Rechtsauffassung sei jedoch durch spätere Entscheidungen überholt. Weder sei die Tendenz der Parlamentsparteien zur Kartellbildung noch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Entscheidung in eigener Sache", zu den Grenzen der Parteienfinanzierung und zum Schutz kleiner Parteien beachtet. Offenbar gingen die Stiftungen selbst davon aus, dass ihre staatliche Finanzierung verfassungsrechtlich "wackele": Nachdem die Globalzuschüsse bis zum Jahr 1992 sprunghaft gestiegen seien, verharrten sie seitdem auf diesem Niveau, obwohl mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung sogar noch eine parteinahe Stiftung hinzugekommen sei. Allerdings seien die - im Bundeshaushalt verstreut bewilligten - projektgebundenen Mittel in den letzten Jahren deutlich aufgestockt worden.

27

b) Dem Antrag zu 2. liege zugrunde, dass die verschleierte Parteienfinanzierung erst durch die mangelnde Kontrolle der in eigener Sache Entscheidenden bei Bewilligung und Verwendung der Staatsmittel ermöglicht werde. Das Bundesverfassungsgericht habe aber Vorgehensweisen untersagt, die, sei es durch übermäßige Zuwendungen, sei es durch ungenügende Voraussicht und Kontrolle, einem Missbrauch das Tor öffneten und so den Weg für eine verfassungswidrige Parteienfinanzierung ebneten.

28

aa) Die Staatsfinanzierung der Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und parteinahen Stiftungen sei von zwei missbräuchlichen Fehlentwicklungen geprägt, die seit jeher die staatliche Parteienfinanzierung belasteten: den Ausschluss außerparlamentarischer Konkurrenten und die Tendenz zur Aufblähung der Mittel. Der daraus resultierende Kontrollbedarf sei aufgrund der Befangenheit der Entscheidenden besonders hoch. Die ursprünglich versprochenen und verfassungsrechtlich gebotenen Zweckbindungen - Fraktionszuschüsse nur für die Vorbereitung und Durchführung des fraktionsinternen Willensbildungsprozesses; Einstellung von Mitarbeitern, die nur "im Hause helfen" - seien im Laufe der Jahre immer mehr vernachlässigt worden.

29

bb) Umso dringlicher erscheine es, die Finanzierung von Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeitern und parteinahen Stiftungen zumindest dem Gesetzesvorbehalt hinsichtlich der Höhe der Mittel zu unterwerfen, eine absolute Obergrenze der Finanzierung einzuführen und im Haushaltsplan spezifiziert auszuweisen.

30

Demgegenüber bestehe für die politischen Stiftungen bisher keinerlei gesetzliche Regelung, die Finanzierung der Abgeordnetenmitarbeiter sei in § 12 Abs. 3 AbgG lediglich rudimentär geregelt. Erst recht eröffne die Nennung der bewilligten Mittel lediglich im Haushaltsplan und ohne gesetzliche Regelung dem Missbrauch Tür und Tor. Erhöhungen von Haushaltstiteln gingen in den tausenden Titeln des Haushaltsplans leicht unter, zumal auch die parlamentarische Opposition davon profitiere und daher kein Interesse daran habe, die Öffentlichkeit zu informieren. Der Schlüssel für die Berechnung der Fraktionszahlungen werde nicht mehr im Haushaltsplan veröffentlicht, ebenso fehlten eine spezifizierte Ausweisung der Mittel nach Art und Zweck sowie ein Stellenplan, obwohl beides für staatliche Organisationen obligatorisch sei. Die Berichte des Bundestagspräsidenten zur Angemessenheit der Fraktionszahlungen trügen zur Publizität nichts bei, zumal die Fraktionen davon oft zu ihren Gunsten abwichen. Bei der Bewilligung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter werde die Intransparenz noch dadurch verstärkt, dass sich im Haushaltsplan lediglich ein Hinweis auf die vom Ältestenrat des Bundestages erlassenen Ausführungsbestimmungen finde, die ihrerseits - zirkelhaft - auf den Haushalt zurückverwiesen.

31

Seit dem sogenannten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 40, 296) sei klar, dass der strikte Gesetzesvorbehalt - auch im Hinblick auf die Höhe der Bewilligung - ebenso für die Bewilligung von Finanzmitteln für Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und parteinahe Stiftungen gelten müsse. Öffentlichkeit verspreche die einzige wirksame Kontrolle, so dass die bloße Bewilligung der Mittel im Haushaltsplan nicht ausreiche, sondern ein materielles Gesetz auch nach der Wesentlichkeitstheorie verfassungsrechtlich geboten sei. Die Erhöhung eines gesetzlich verankerten Betrages unterliege eher der öffentlichen Kontrolle als die Erhöhung eines bloßen Haushaltstitels, was einen dämpfenden Effekt auf die Steigerungsraten ausübe und die Missbrauchsgefahr verringere.

32

cc) Die Kontrolle der Mittelverwendung habe der Bundestag stark eingeschränkt. Er bewillige öffentliche Mittel in Kenntnis ihrer unkontrollierten Verwendung auch für Parteizwecke.

33

Hinsichtlich der Fraktionsmittel missbrauche der Antragsgegner seine Gesetzgebungsmacht dadurch, dass er die Verwendung der Zuschüsse für Ausgaben wie Öffentlichkeitsarbeit erlaube, die kraft Verfassungsrechts nicht getätigt werden dürften. Er eröffne den Fraktionen einen "prüfungsfreien Arkanbereich", indem er die politische Erforderlichkeit der Mittelverwendung der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof gesetzlich entziehe (§ 53 Abs. 2 Satz 2 AbgG).

34

Hinsichtlich der Abgeordnetenmitarbeiter fehle es an einer Verpflichtung der Abgeordneten zur öffentlichen Rechnungslegung über die Verwendung der Mittel. Die - freiwilligen - Veröffentlichungen auf den Internetseiten der Abgeordneten seien unzureichend, einen Einblick in die Mitarbeiterverträge verweigere die Bundestagsverwaltung selbst dem Bundesrechnungshof. Seit 1992 kontrolliere der Bundesrechnungshof daher die ordnungsgemäße Verwendung der öffentlichen Mittel für die Abgeordnetenmitarbeiter nicht mehr. Das bloße Vertrauen auf die Abgeordneten, in deren alleinige Verantwortung der Antragsgegner die bestimmungsgemäße Verwendung der Haushaltsmittel lege, vermöge das Fehlen wirksamer Kontrollen nicht auszugleichen.

III.

35

Der Antragsgegner beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

36

1. Beide Anträge seien bereits unzulässig.

37

a) Hinsichtlich des Antrags zu 1. ergebe sich die Unzulässigkeit im Wesentlichen aus folgenden Gründen:

38

aa) Soweit die Antragstellerin die Bewilligung von Mitteln für Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeiter angreife, bestehe zwischen dem Haushaltsgesetzgeber und einer Partei nicht das nach § 64 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Verfassungsrechtsverhältnis, weil diese im Innenbereich organisierter Staatlichkeit geschehe. Eine "Haftung" des Haushaltsgesetzgebers für die verfassungskonforme Verwendung der zugewiesenen Mittel sei im Grundgesetz nicht vorgesehen; die nachgelagerten Verwendungsentscheidungen könnten ihm auch nicht zugerechnet werden. Dass es der Haushaltsgesetzgeber darauf abgesehen hätte, die für Fraktionen zugewiesenen Mittel wie einen durchlaufenden Posten den Parteien zufließen zu lassen, oder dass es einen systematischen Missbrauch der Mittel für die Abgeordnetenmitarbeiter entgegen der Zweckbindung des § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG gebe, mache die Antragstellerin nicht geltend. Sie habe auch nicht schlüssig dargelegt, dass Art. 21 GG jegliche Form kommunikativer Arbeit einer Fraktion verbiete.

39

Im Hinblick auf die Bewilligung von Globalzuschüssen für politische Stiftungen habe die Antragstellerin eine mögliche Rechtsverletzung nicht substantiiert dargelegt. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 73, 1) ergebe sich eindeutig, dass unter den dort genannten Voraussetzungen die staatliche Finanzierung parteinaher Stiftungen nicht gegen Art. 21 GG verstoße. Die Antragstellerin habe weder begründete Zweifel an der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geweckt noch eine Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts schlüssig vorgetragen.

40

bb) Der Antrag habe insgesamt auch die Sechs-Monats-Frist gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG versäumt, die in dem Moment zu laufen beginne, in dem für den Träger verfassungsrechtlicher Rechtspositionen der Eintritt einer Verletzungs- oder Gefährdungslage erkennbar sei.

41

In Bezug auf die für Öffentlichkeitsarbeit verwendeten Fraktionsmittel greife die Antragstellerin in der Sache § 47 Abs. 3 AbgG an, der bereits 1994 erlassen und verkündet worden sei. Hinsichtlich der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter gehe es eigentlich um § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG, der 1995 in das Gesetz eingefügt worden sei. Die nach § 64 Abs. 3 BVerfGG eingetretene Unzulässigkeit lasse sich nicht dadurch umgehen, dass nachgelagerte oder akzessorische Maßnahmen angegriffen würden. Jedenfalls sei, soweit die Gültigkeit der genannten Normen als Vorfrage relevant sei, von der Verfassungskonformität der Regelung auszugehen, weil das Organstreitverfahren kein indirektes Normenkontrollverfahren sei.

42

Die behauptete Beeinträchtigung durch die Globalzuschüsse für parteinahe Stiftungen hätte die Antragstellerin mit ihrem Eintritt in den politischen Wettbewerb erkennen können, das heißt spätestens im Vorfeld der Bundestagswahl 1983, an der sie teilgenommen habe. Daher sei auch insoweit die Antragsfrist abgelaufen. Die jährliche Bewilligung von Globalzuschüssen, eine seit Jahrzehnten bestehende und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Praxis, führe nicht zu einer neuen Gefährdungssituation. Die Antragstellerin räume selbst ein, dass sich die Mittel zur Finanzierung der parteinahen Stiftungen in den letzten Jahren nicht erhöht hätten.

43

b) Auch der Antrag zu 2. könne schon mangels Zulässigkeit keinen Erfolg haben:

44

aa) Der unter Ziffer 2, erster Spiegelstrich gestellte Feststellungsantrag, dass der Deutsche Bundestag verpflichtet sei, für ein "funktionsgerechtes Entscheidungsverfahren" zu sorgen, sei unzulässig.

45

Insbesondere werde kein statthafter Verfahrensgegenstand benannt, da der Antrag darauf abziele, die Herstellung und Beachtung einer bestimmten Rechtslage durch den Antragsgegner zu prüfen und damit eine - im Organstreitverfahren unzulässige - implizite Normenkontrolle herbeizuführen. Selbst wenn man (unzutreffend) von einem Missbrauch der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtslage ausginge, hätte die Antragstellerin darlegen müssen, dass dieser dem Antragsgegner zuzurechnen wäre.

46

Außerdem habe die Antragstellerin die Sechs-Monats-Frist nicht eingehalten. Das angegriffene "verfassungswidrige Entscheidungsverfahren" sei nicht erstmalig oder in geänderter Form beim Haushaltsgesetz 2012 praktiziert worden, sondern bestehe nach dem Vortrag der Antragstellerin schon seit langem. Für das geltend gemachte gesetzgeberische Unterlassen beginne die Frist in dem Moment zu laufen, in dem sich der Antragsgegner erkennbar weigere, die ihm angesonnene Maßnahme zu ergreifen; dies sei vorliegend spätestens Mitte der 1990er Jahre mit der Verabschiedung von § 12 Abs. 3 Satz 1 und § 47 Abs. 3 AbgG der Fall gewesen. Im Gesetzgebungsverfahren sei über die Form und das Verfahren der Festlegung der Fraktionszuschüsse sowie der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter diskutiert worden und der Gesetzgeber habe zu erkennen gegeben, dass er die bestehende Rechtslage für verfassungskonform erachte und keinen Änderungsbedarf sehe.

47

bb) Der unter Ziffer 2, zweiter Spiegelstrich gestellte Antrag sei ebenfalls unzulässig. Der Antrag sei verfristet, nachdem die behauptete Förderung des "Missbrauchs" öffentlicher Mittel bereits seit vielen Jahren praktiziert werde und durch das Haushaltsgesetz 2012 allenfalls perpetuiert worden sei.

48

cc) Unzulässig sei auch der unter Ziffer 2, dritter Spiegelstrich gestellte Feststellungsantrag. Der Antragstellerin fehle insbesondere die Antragsbefugnis, da sie eine Popularklage erhebe und sich aus Art. 21 Abs. 1 GG kein Anspruch auf eine bestimmte Kontrollpraxis des Bundesrechnungshofes ergebe. Der Antrag sei vor dem Hintergrund der bereits seit vielen Jahren unveränderten, angeblich unzureichenden Kontrolle der Mittelverwendung durch den Bundesrechnungshof zudem verfristet.

49

2. Die von der Antragstellerin gestellten Anträge seien jedenfalls unbegründet.

50

a) Durch die Finanzierung der Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen werde die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt. Der Anspruch der Antragstellerin darauf, sich im Parteienwettbewerb frei und ungehindert zu betätigen, werde durch Kommunikationsakte aus dem Bereich der organisierten Staatlichkeit nicht beeinträchtigt, selbst wenn diese - wie bei einer Fraktion - notwendig immer auch programmatischen Inhalts seien. Die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen verfolge das legitime Ziel, über die politischen Entscheidungsprozesse und die Arbeit dieser innerparlamentarischen Institutionen, die in einem von regierungstragender Mehrheit und Opposition gekennzeichneten System Funktionsvoraussetzung des Parlamentarismus seien, zu berichten, um damit den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess zu bereichern und transparent zu gestalten. Dass es nicht zu unzulässigen Grenzüberschreitungen komme, werde durch Schutzmechanismen wie § 50 Abs. 4 AbgG und § 25 Abs. 2 PartG sichergestellt. Die konkrete Mittelbewilligung im Haushaltsgesetz sei auch angemessen; die Zuwachsraten bei der Fraktionsfinanzierung erklärten sich im Wesentlichen durch die Anpassung der Personalausgaben der Fraktionen an die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst und durch die Teuerungsrate. Dem Grundgesetz lasse sich zudem die Wertung entnehmen, dass das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff., 110 GG den demokratischen Anforderungen an Transparenz, Kontrolle und Responsivität genüge.

51

Dass eine nichtparlamentarische Partei nicht die Chance habe, in den Genuss des (mittelbaren) Vorteilseffektes der Öffentlichkeitsarbeit "ihrer" Fraktion zu kommen, liege am Misserfolg dieser Partei bei der Wahl. Die Partei könne nicht verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn sie bei der Wahl erfolgreich gewesen wäre.

52

b) Unbegründet sei auch der Angriff der Antragstellerin auf die Entscheidung des Antragsgegners, seinen Abgeordneten den Einsatz von Mitarbeitern im Wahlkreis nicht zu verbieten. Die Freiheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, ihre politische Arbeit - unter Einsatz ihrer Mitarbeiter - auch im Wahlkreis durchzuführen, sei unmittelbar im Grundgesetz in Art. 38 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG angelegt. Zwar müsse sich die mit öffentlichen Mitteln finanzierte Tätigkeit der Abgeordnetenmitarbeiter auf die Vorbereitung, Begleitung und Darstellung der parlamentarischen Arbeit des Abgeordneten beschränken, allerdings verbiete das Grundgesetz einem (insbesondere teilzeitbeschäftigten) Mitarbeiter weder eine parteipolitische Tätigkeit noch eine spätere Bewerbung für ein politisches Amt. Das Kontroll- und Überwachungssystem sei effektiv: § 12 Abs. 3 AbgG, der durch die Ausführungsbestimmungen des Ältestenrates weiter konkretisiert werde, knüpfe die Beschäftigung von Mitarbeitern an unabdingbare Voraussetzungen, die von der Bundestagsverwaltung geprüft würden. Die moderate Erhöhung der Mitarbeiterpauschale sei weit überwiegend auf die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst zurückzuführen, aber auch den veränderten Arbeitsbedingungen der Abgeordneten und deren Aufgabenzuwachs - beispielsweise aufgrund der Deutschen Einheit und des europäischen Integrationsprozesses - geschuldet. Derzeit würden durchschnittlich sieben Mitarbeiter pro Abgeordnetem beschäftigt, wobei allerdings die relativ hohe Anzahl von Teilzeitarbeitsverhältnissen zu berücksichtigen sei. Dass sich der Bundesrechnungshof auf eine Prüfung des Erstattungsverfahrens durch die Bundestagsverwaltung beschränke, rechtfertige sich dadurch, dass Abgeordnete keine Verwaltungsbehörden seien und ihre in Art. 38 GG garantierte Unabhängigkeit auch die Entscheidung umfasse, mit welchen Aufgaben sie ihre Mitarbeiter betrauten.

53

c) Dass der Vorwurf der Antragstellerin, die Gewährung von Globalzuschüssen an parteinahe Stiftungen verstoße gegen Art. 21 GG, unbegründet sei, folge bereits aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu politischen Stiftungen vom 14. Juli 1986 (BVerfGE 73, 1), dem weiterhin Präjudizwirkung zukomme. Die Antragstellerin habe keine tatsächlichen oder rechtlichen Gründe vorgetragen, die eine andere Entscheidung oder die Notwendigkeit eines Sachgesetzes rechtfertigten. Dem Antragsgegner seien auch keine Grenzüberschreitungen oder Fälle von Missbrauch der zugewiesenen Mittel bekannt.

IV.

54

Von den Äußerungsberechtigten haben nur die Parteien CDU und CSU zum Antrag zu 1. Stellung genommen. Sie halten ihn ebenfalls für unzulässig, jedenfalls für unbegründet.

V.

55

Dem Senat haben die Prüfberichte des Bundesrechnungshofes zu den öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages vom November 2011, die hierzu ergangenen Stellungnahmen der Fraktionen aus dem Frühjahr 2012 und die Erwiderung des Bundesrechnungshofes zu den Stellungnahmen aus dem November 2013 vorgelegen.

B.

56

Die Anträge im Organstreitverfahren sind unzulässig.

I.

57

Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind.

58

1. Das Organstreitverfahren ist als (kontradiktorische) Parteistreitigkeit ausgestaltet. Es dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht der davon losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. BVerfGE 68, 1 <69 ff.>; 73, 1 <29 f.>; 80, 188 <212>; 104, 151 <193 f.>; 118, 244 <257>; 126, 55 <67 f.>; stRspr). Der Organstreit ist keine objektive Beanstandungsklage. Er setzt eine rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners voraus, die geeignet ist, die Rechtsstellung des Antragstellers zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 118, 277 <317> m.w.N.). Der Antragsteller muss deshalb gemäß § 64 Abs. 1 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG schlüssig behaupten, dass er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und dass der Antragsgegner ihm hieraus erwachsende verfassungsmäßige Rechte oder Zuständigkeiten durch die beanstandete Maßnahme oder das Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. BVerfGE 129, 356 <365>). Für die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die behauptete Rechtsverletzung unter Rückgriff auf die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheint (vgl. BVerfGE 24, 252 <258 f.>; 80, 188 <209>; 94, 351 <362 f.>; 99, 19 <28>; 102, 224 <231 f.>; stRspr).

59

2. Darüber hinaus muss der Antrag gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist. Mit dieser Ausschlussfrist sollen im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden (vgl. BVerfGE 80, 188 <210>; 92, 80 <89>). Richtet sich der Antrag gegen den Erlass eines Gesetzes, beginnt die Sechs-Monats-Frist mit der Verkündung des Gesetzes zu laufen (vgl. nur BVerfGE 24, 252 <258>; 92, 80 <87>; 118, 277 <320 f.>). Richtet sich das Organstreitverfahren gegen ein (auch fortdauerndes) Unterlassen des Antragsgegners, wird die Frist spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Antragsgegner erkennbar eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (vgl. BVerfGE 4, 250 <269>; 71, 299 <303 f.>; 92, 80 <89>; 118, 244 <256 f.>; 129, 356 <371>; stRspr).

II.

60

Diesen Maßstäben genügen die vorliegend gestellten Anträge nicht. Die Antragstellerin vermag die von ihr behauptete Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG (1.) weder im Hinblick auf den Antrag zu 1. - Bewilligung von öffentlichen Mitteln für die Fraktionen des Deutschen Bundestages (2.a), die persönlichen Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten (2.b) sowie die parteinahen Stiftungen (2.c) - noch im Hinblick auf den Antrag zu 2. - Entscheidungsverfahren und Kontrolle der Mittelverwendung (2.d) - in einer den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Organstreits Rechnung tragenden Weise darzulegen.

61

1. a) Die Antragstellerin ist als politische Partei gemäß Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 PartG andere Beteiligte im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Als solche ist sie berechtigt, im Wege des Organstreits diejenigen Rechte geltend zu machen, die sich aus dem besonderen verfassungsrechtlichen Status einer politischen Partei ergeben (vgl. BVerfGE 4, 27 <30 f.>; 24, 260 <263>; 85, 264 <284>; 92, 80 <88>; 121, 30 <57>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Rn. 22; stRspr). Dazu zählt auch das hier geltend gemachte Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 107, 286 <294>; 111, 382 <398>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Rn. 22; stRspr).

62

Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Damit die Wahlentscheidung in voller Freiheit gefällt werden kann, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen (vgl. BVerfGE 44, 125 <146>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Rn. 30).

63

Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG), die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren. Aus diesem Grund ist es - ebenso wie die durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgte gleiche Behandlung der Wähler - streng formal zu verstehen (vgl. BVerfGE 104, 14 <20> m.w.N.; stRspr). Das Recht der Parteien auf Chancengleichheit zieht so dem Ermessen des Gesetzgebers besonders enge Grenzen (vgl. BVerfGE 73, 40 <88 f.> m.w.N.; 82, 322 <337 f.>; 85, 264 <297>; stRspr). Es enthält ein grundsätzliches Differenzierungsverbot, dessen Durchbrechung nur durch einen zwingenden Grund zu rechtfertigen ist. Der Staat darf vor allem die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen (vgl. BVerfGE 69, 92 <109>; 73, 40 <89>; 85, 264 <297>; 104, 287 <300>; stRspr). Denn der im Mehrparteiensystem angelegte politische Wettbewerb soll Unterschiede hervorbringen - je nach Zuspruch der Bürger. Diesen darf die öffentliche Gewalt nicht ignorieren oder gar konterkarieren (vgl. BVerfGE 111, 382 <398>).

64

b) Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit kann durch die Zuweisung staatlicher Finanzmittel betroffen sein:

65

aa) Erfolgt die Zuweisung öffentlicher Mittel unmittelbar an politische Parteien, wirkt sich dies in jedem Fall auf ihre Möglichkeit zur Teilnahme am politischen Wettbewerb aus. Ungeachtet der sich aus der Struktur der Parteien als konkurrierender, aus eigener Kraft wirkender und vom Staat unabhängiger Gruppierungen ergebenden Grenzen staatlicher Parteienfinanzierung (vgl. dazu BVerfGE 20, 56 <97 ff.>; 73, 40 <88 ff.>; 85, 264 <269 ff.>; 111, 382 <398 ff.>) sind in diesen Fällen die verfassungsrechtlichen Anforderungen des formalisierten Gleichheitssatzes strikt zu beachten (vgl. BVerfGE 85, 264 <297>; 111, 382 <398>).

66

bb) Erfolgt die Vergabe öffentlicher Finanzmittel an Dritte, kann - auch wenn der vorgesehene Verwendungszweck dieser Mittel politische Bezüge aufweist - nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass durch die Zuweisung der Mittel in das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit eingegriffen wird. Dies gilt insbesondere, wenn die Mittel Institutionen zugewendet werden, die von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängig sind, ihre Aufgaben selbstständig und eigenverantwortlich wahrnehmen und auch in der Praxis die gebotene Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren (vgl. BVerfGE 73, 1 <31 ff.>). In diesen Fällen hat der Antragsteller im Organstreit darzulegen, dass die Zuweisung der staatlichen Mittel zu einem Eingriff in sein Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG führt.

67

cc) Beruht die Zuweisung der Mittel auf einer gesetzlichen Grundlage, hat der Antragsteller sich innerhalb der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG hiermit auseinanderzusetzen. Ansonsten kann eine auf dieser gesetzlichen Grundlage beruhende Zuweisung staatlicher Mittel im Organstreit nicht mehr in Frage gestellt werden.

68

dd) Werden durch den Haushaltsgesetzgeber zugewiesene Mittel nicht bestimmungsgemäß verwendet, ist zwischen der Bewilligung der Mittel und der Verwendung durch den Zuwendungsempfänger zu unterscheiden. Nicht jede zweckwidrige, Art. 21 Abs. 1 GG missachtende Verwendung staatlicher Zuschüsse führt dazu, dass der Haushaltsgesetzgeber bereits durch die Bewilligung dieser Mittel das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verletzt hat (vgl. BVerfGE 73, 1 <31>). Vielmehr muss in diesen Fällen die zweckwidrige Verwendung der staatlichen Mittel dem Haushaltsgesetzgeber zugerechnet werden können. Dies ist der Fall, wenn bereits durch die Bewilligung der staatlichen Zuschüsse der zweckwidrigen Verwendung der Mittel das Tor geöffnet und so der Weg für eine verfassungswidrige Parteienfinanzierung geebnet wird (vgl. BVerfGE 80, 188 <214>). Davon ist auszugehen, wenn Mittel in einem überhöhten, durch die Zweckbindung nicht gerechtfertigten Umfang zur Verfügung gestellt oder unzureichende Vorkehrungen zur Verhinderung einer zweckwidrigen Verwendung dieser Mittel getroffen werden (vgl. BVerfGE 80, 188 <214>). Verfassungswidrig ist ein gesetzliches Regelungskonzept, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend sind, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende Beeinträchtigung der Chancengleichheit politischer Parteien fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert ist (vgl. in anderem Zusammenhang BVerfGE 133, 168 <233 f., Rn. 118>).

69

2. Den daraus sich ergebenden Anforderungen an die Darlegung eines Eingriffs in ihr Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG wird der Vortrag der Antragstellerin nicht gerecht.

70

a) Soweit die Antragstellerin geltend macht, durch die Bewilligung von 80,835 Mio. Euro für die Fraktionen des Bundestages im Haushaltsgesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 2580) in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt zu sein, kann sie mit Einwendungen, die sich gegen den Anspruch der Fraktionen auf Geldleistungen gemäß § 50 Abs. 1, § 47 AbgG richten, im vorliegenden Verfahren nicht mehr gehört werden (aa). Im Übrigen kann ihrem Vortrag weder entnommen werden, dass die Bewilligung der Fraktionszuschüsse in einer übermäßigen Höhe erfolgte (bb), noch, dass diese Zuschüsse in relevantem Umfang für eine verfassungswidrige Parteienfinanzierung verwendet wurden und der Antragsgegner dem durch ungenügende Voraussicht und Kontrolle den Weg geebnet hat (cc).

71

aa) Die Fraktionen, die als ständige Gliederungen des Bundestages der "organisierten Staatlichkeit" eingefügt sind (vgl. BVerfGE 20, 56 <104>; 62, 194 <202>), steuern und erleichtern die parlamentarische Arbeit, indem sie unterschiedliche politische Positionen zu handlungs- und verständigungsfähigen Einheiten zusammenfassen, eine Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern organisieren, gemeinsame Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen sowie die Information der Fraktionsmitglieder unterstützen (vgl. BVerfGE 80, 188 <231>). Die Finanzierung der Fraktionen mit staatlichen Zuschüssen dient der Ermöglichung und Gewährleistung dieser Arbeit und ist insoweit zweckgebunden (vgl. BVerfGE 80, 188 <231>).

72

(1) Gesetzliche Grundlage für die Gewährung von Geldleistungen an die Fraktionen des Bundestages ist § 50 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 AbgG. Beide Vorschriften wurden - zusammen mit allen übrigen Regelungen über die Fraktionen einschließlich der Regelungen der Verwendungsprüfung in §§ 51 bis 53 AbgG - durch das Sechzehnte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Fraktionsgesetz) vom 11. März 1994 (BGBl I S. 526) in das Abgeordnetengesetz eingefügt und traten am 1. Januar 1995 in Kraft. Soweit die Antragstellerin sich bereits durch die Gewährung staatlicher Zuschüsse an die Fraktionen des Bundestages zur Erfüllung von deren Aufgaben gemäß § 50 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 AbgG in ihrem Verfassungsrecht auf Chancengleichheit verletzt sieht, hätte sie sich unter Beachtung der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gegen diese Regelungen wenden müssen. Das hat sie nicht getan. Damit ist sie im vorliegenden Organstreit mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sich dagegen richten, dass den Fraktionen Geldleistungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben gemäß § 50 Abs. 1, § 47 AbgG zur Verfügung gestellt werden.

73

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragstellerin ausdrücklich nicht die Regelungen des Abgeordnetengesetzes, sondern die Bewilligung der Fraktionszuschüsse durch den Haushaltsgesetzgeber im Jahr 2012 angreift. Versäumt die Antragstellerin die fristgerechte Geltendmachung der von ihr behaupteten Verfassungswidrigkeit der Regelungen in § 50 Abs. 1, § 47 AbgG, kann dies auch in einem Verfahren, das die konkrete Festsetzung von Fraktionszuschüssen zum Gegenstand hat, nicht mehr nachgeholt werden. Ansonsten liefe der Regelungszweck des § 64 Abs. 3 BVerfGG leer, der darauf abzielt, im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit zu stellen (vgl. BVerfGE 80, 188 <210>; 92, 80 <89>).

74

Demgemäß kann die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren mit der Behauptung, ihr Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG sei bereits deshalb verletzt, weil die Fraktionen des Bundestages mit den ihnen zugewendeten Mitteln in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise Öffentlichkeitsarbeit betrieben, da Fraktionszuschüsse allein für parlamentsinterne Koordinationsaufgaben verwendet werden dürften und nur dem Bundestag als Ganzem das Recht zur Öffentlichkeitsarbeit zustehe, nicht gehört werden. Gemäß § 47 Abs. 3 AbgG sind die Fraktionen des Bundestages berechtigt, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit zu unterrichten. Da die Antragstellerin diese Vorschrift nicht innerhalb der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG angegriffen hat, ist sie mit der Behauptung, die Wahrnehmung dieser Aufgabe sei verfassungsrechtlich unzulässig, im vorliegenden Verfahren ausgeschlossen.

75

(2) Gleiches gilt, soweit die Antragstellerin geltend macht, mit dem rasanten Wachstum der "Parteien im Parlament" hätten sich zunehmend Funktionen der Parteien auf die Fraktionen verlagert und deren Tätigkeit komme, da die Bürger praktisch nicht zwischen Partei und Fraktion unterschieden, zwangsläufig immer auch den Parteien zugute. Selbst wenn diese Behauptung zuträfe, änderte dies nichts an der Tatsache, dass der Antragsgegner aufgrund seiner Bindung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet ist, den Fraktionen die ihnen nach § 50 Abs. 1, § 47 AbgG zustehenden Geldleistungen zu gewähren und diese Verpflichtung im vorliegenden Organstreit dem Grunde nach nicht mehr in Frage gestellt werden kann.

76

(3) Außerdem verkennt die Antragstellerin, dass die vorgefundene Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG verfälscht werden darf (vgl. BVerfGE 69, 92 <109>; 73, 40 <89>; 85, 264 <297>; 104, 287 <300>; 111, 382 <398>; stRspr). Der Antragstellerin ist zwar zuzugestehen, dass das Handeln der einzelnen Bundestagsfraktionen mit den jeweiligen Parteien verbunden wird, in deren Bewertung einfließt und sich damit auf die Wahlchancen der im Wettbewerb stehenden Parteien auswirken kann. Dies ist jedoch Teil des Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie das Grundgesetz sie versteht. Sich daraus ergebende Ungleichheiten für die Teilnehmer des politischen Wettbewerbs sind hinzunehmen (vgl. für das Handeln der Bundesregierung: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Rn. 44).

77

bb) Dass der Antragsgegner einer missbräuchlichen Verwendung der Fraktionszuschüsse im Sinne einer verfassungswidrigen Parteienfinanzierung dadurch Vorschub geleistet hat, dass er diese in einer die Wahrnehmung der Fraktionsaufgaben überschreitenden Höhe festgesetzt hat, kann dem Vortrag der Antragstellerin nicht entnommen werden und ist auch nicht in sonstiger Weise ersichtlich.

78

(1) Soweit die Antragstellerin ausführt, die Zuschüsse an die Bundestagsfraktionen hätten sich seit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Begrenzung der Staatsfinanzierung der Parteien aus den Jahren 1966 (BVerfGE 20, 56) und 1968 (BVerfGE 24, 300) nominal verfünfzigfacht und real verachtfacht, kann hieraus für sich genommen eine überhöhte, nicht aufgabengerechte Festsetzung der Fraktionszuschüsse im Bundeshaushalt 2012 nicht abgeleitet werden. Erforderlich wäre insoweit eine Gegenüberstellung des für die Erfüllung der Fraktionsaufgaben benötigten Finanzbedarfs mit der Höhe der tatsächlich festgesetzten Fraktionszuschüsse. Hierzu hat die Antragstellerin aber nichts vorgetragen.

79

(2) Nichts anderes ergibt sich, soweit die Antragstellerin stattdessen auf die Ausgaben der Bundestagsfraktionen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, deren Anstieg um 62 % im Jahr 2007 und den insoweit relativ wie absolut höheren Aufwand der kleineren Fraktionen des Bundestages im Vergleich zu den beiden großen Fraktionen verweist. Ihrer Darstellung kann nicht entnommen werden, dass die in Bezug genommenen Ausgaben nicht auf der Grundlage von § 47 Abs. 3 AbgG erfolgten. Die Antragstellerin verweist lediglich auf einen konkreten Fall einer Öffentlichkeitskampagne einer Bundestagsfraktion aus dem Frühjahr 2012, bei der nach ihrer Auffassung "selbst die äußersten Grenzen der vermeintlich zulässigen Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen" überschritten worden sind. Dieser Vortrag genügt nicht, um die Annahme zu begründen, die Fraktionszuschüsse seien im Bundeshaushalt 2012 in einer übermäßigen, dem Missbrauch Vorschub leistenden Höhe festgesetzt worden.

80

cc) Schließlich ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin auch nicht, dass die festgesetzten Fraktionszuschüsse missbräuchlich verwendet wurden und der Antragsgegner dem durch unzureichende Voraussicht und Kontrolle den Weg geebnet hat.

81

(1) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob nach dem Vortrag der Antragstellerin davon ausgegangen werden kann, dass die im Bundeshaushalt 2012 für die Fraktionen des Bundestages zur Verfügung gestellten Mittel in relevantem Umfang missbräuchlich zum Zweck einer verfassungswidrigen Parteienfinanzierung verwendet wurden. Sie belegt dies - wie soeben dargestellt - lediglich mit einem konkreten Fall einer Öffentlichkeitskampagne im Frühjahr 2012, der nach ihrer Auffassung den Vorwurf einer nicht bestimmungsgemäßen Verwendung von Fraktionsmitteln rechtfertigt.

82

Die Antragstellerin beruft sich auf eine Umkehr der Darlegungslast, weil die Betroffenen in dem gesamten Komplex der Bewilligung und Verwendung der öffentlichen Mittel und deren Kontrolle "in eigener Sache" entschieden; dies begründe die Vermutung der Unrichtigkeit der Entscheidungen und indiziere die Gefahr des Missbrauchs. Damit nimmt sie Bezug auf die Rechtsprechung des Senats, nach der die Wahlgesetzgebung einer strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, weil mit Regelungen, die die Bedingungen der politischen Konkurrenz berühren, die parlamentarische Mehrheit gewissermaßen in eigener Sache tätig wird und gerade bei der Wahlgesetzgebung die Gefahr besteht, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt (vgl. BVerfGE 120, 82 <105>; 129, 300 <322 f.>; 130, 212 <229>; 135, 259 <289, Rn. 57>). Aus dieser Rechtsprechung lassen sich jedoch keine Folgerungen für die Darlegungslast ziehen. Soweit sie darüber hinaus anführt, alle einschlägigen missbrauchsanfälligen Aktivitäten lägen in der Sphäre des Bundestages, er könne sich - anders als sie selbst - einen Überblick über alle relevanten Tätigkeiten verschaffen, vernachlässigt sie, dass nicht der Antragsgegner, sondern die Fraktionen in eigener Verantwortung über die Verwendung der Mittel entscheiden.

83

Von der ihr obliegenden Vortragslast wird die Beschwerdeführerin auch nicht durch die Prüfberichte des Bundesrechnungshofes zu den öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages in den Jahren 1999 bis 2006 entbunden. Soweit der Bundesrechnungshof dort einzelne Maßnahmen der Bundestagsfraktionen im genannten Zeitraum beanstandet hat, ergibt sich daraus nicht, dass auch im Jahr 2012 Haushaltsmittel für entsprechende Maßnahmen eingesetzt wurden und dies als missbräuchliche Verwendung dieser Mittel anzusehen ist.

84

(2) Jedenfalls hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass der Antragsgegner einer missbräuchlichen Verwendung der Fraktionsmittel durch ungenügende Voraussicht und Kontrolle den Weg geebnet hat.

85

Die Antragstellerin hätte sich insoweit substantiiert damit auseinandersetzen müssen, dass die Fraktionszuschüsse gemäß § 50 Abs. 4 AbgG einer strikten Zweckbindung unterliegen und nur für Aufgaben der Fraktionen nach dem Grundgesetz, dem Abgeordnetengesetz und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eingesetzt werden dürfen. § 50 Abs. 4 Satz 2 AbgG schließt eine Verwendung für Parteiaufgaben ausdrücklich aus. Gemäß § 52 AbgG haben die Fraktionen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben. Die Rechnung muss von einem im Benehmen mit dem Bundesrechnungshof bestellten Abschlussprüfer geprüft und testiert werden (§ 52 Abs. 4 Satz 1 AbgG). Gemäß § 53 AbgG prüft der Rechnungshof die Rechnung und die den Fraktionen aus dem Haushalt zur Verfügung gestellten Zuschüsse auf ihre wirtschaftliche und ordnungsgemäße Verwendung. Schließlich ist es Parteien verboten, Spenden von Parlamentsfraktionen entgegenzunehmen (§ 25 Abs. 2 Nr. 1 PartG). Tun sie es dennoch, haben sie das Dreifache des rechtswidrig erlangten Betrages abzuführen (§ 31c Abs. 1 PartG).

86

Auf dieser Grundlage liegt ein erhebliches Kontroll- oder strukturelles Vollzugsdefizit hinsichtlich der ordnungsgemäßen Verwendung der Fraktionsmittel nicht auf der Hand. Die Antragstellerin macht lediglich geltend, es bestehe ein "prüfungsfreier Arkanbereich", da gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 AbgG die politische Erforderlichkeit einer Maßnahme nicht Gegenstand der Prüfung durch den Rechnungshof sei. Dabei setzt sie sich nicht damit auseinander, dass der Verzicht auf die Prüfung der politischen Erforderlichkeit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie der Fraktionen Rechnung trägt und letztlich in der in Art. 38 GG garantierten Freiheit des Mandats wurzelt. Im Übrigen hindert er die Überprüfung einer Beachtung der strikten Zweckbindung und ordnungsgemäßen Verwendung der Fraktionsmittel gemäß § 53 Abs. 1 AbgG - auch nach Auffassung des Bundesrechnungshofes (vgl. BTDrucks 12/5650 S. 11) - nicht. Insbesondere ist der Rechnungshof nicht gehindert, die Einhaltung des Verbots einer Verwendung der Fraktionsmittel für Parteiaufgaben gemäß § 50 Abs. 4 Satz 2 AbgG vollumfänglich zu überprüfen.

87

Dies bestätigen die Prüfberichte des Bundesrechnungshofes über die öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Bundestagsfraktionen in den Jahren 1999 bis 2006. Im vorliegenden Verfahren kommt es indes nicht auf etwaige zweckwidrige Verwendungen staatlicher Zuschüsse für einzelne Maßnahmen an, sondern darauf, ob solche Verstöße dem Haushaltsgesetzgeber bereits bei der Bewilligung der Mittel zugerechnet werden können. Dazu verhalten sich die Prüfberichte nicht.

88

Der Antragstellerin ist es unbenommen, konkrete Maßnahmen der Fraktionen des Bundestages, die aus ihrer Sicht die Grenze der zweckgemäßen Verwendung der Fraktionsmittel überschreiten, dem Bundesrechnungshof oder dem Präsidenten des Bundestages anzuzeigen oder dagegen im Wege des Organstreits vorzugehen. Der Antragstellerin ist es ebenfalls unbenommen gewesen, sich durch Vorgehen gegen die Einfügung des § 96 Abs. 4 BHO mit Gesetz vom 15. Juli 2013 (BGBl I S. 2395) im Rahmen der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gegen das Aufstellen von Informationszugangshürden zu wenden und damit ihre faktischen Kontrollmöglichkeiten zu verteidigen. Dies hat sie jedoch versäumt. Dass bereits die Bewilligung der Fraktionsmittel im Bundeshaushalt 2012 ihr Recht auf Chancengleichheit verletzt hat, kann ihrem Vorbringen hingegen nicht entnommen werden und ist auch nicht in sonstiger Weise ersichtlich.

89

b) Auch soweit die Antragstellerin sich gegen die Ausweisung eines Betrages von 151,823 Mio. Euro für persönliche Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten im Haushaltsgesetz 2012 wendet, hat sie eine Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit nicht hinreichend dargelegt.

90

aa) Grundlage für den Ersatz der Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern der Bundestagsabgeordneten ist § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG. Demgemäß erhält ein Mitglied des Bundestages "Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern zur Unterstützung bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit gegen Nachweis ersetzt". Diese Vorschrift wurde - nachdem bereits vorher eine vergleichbare Ersatzmöglichkeit bestand - durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S. 1718) in das Abgeordnetengesetz eingefügt und trat am 22. Dezember 1995 in Kraft. Eine gegen diese Norm gerichtete Organklage der Antragstellerin wäre daher gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG unzulässig und kann auch nicht durch den Angriff auf die Bewilligung der entsprechenden Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber im Jahr 2012 ersetzt werden (siehe Rn. 73).

91

Demgemäß ist die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die an dem Bestehen des Anspruchs eines Bundestagsabgeordneten auf Ersatz seiner Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 GG dem Grunde nach anknüpfen. Dies gilt insbesondere, soweit die Antragstellerin die Beschäftigung von Mitarbeitern in den Wahlkreisen problematisiert und darauf verweist, dass Wahlkreisarbeit und parteipolitische Betätigung außerordentlich dicht beieinander lägen, so dass der Einsatz von persönlichen Mitarbeitern im Wahlkreis automatisch der jeweiligen politischen Partei zugutekomme.

92

Insoweit lässt die Antragstellerin außer Betracht, dass der Abgeordnete Verbindungsglied zwischen Parlament und Bürger ist und es daher zu den Hauptaufgaben seines Mandats gehört, insbesondere im eigenen Wahlkreis engen Kontakt mit der Partei, den Verbänden und nicht organisierten Bürgern zu halten. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG liegt das Bild eines Abgeordneten zugrunde, der im Parlament durch Plenar- und Ausschusssitzungen, in der Fraktion und Partei durch inhaltliche Arbeit sowie im Wahlkreis und der sonstigen Öffentlichkeit durch Veranstaltungen der verschiedensten Art, nicht zuletzt durch Wahlvorbereitungen und Wahlversammlungen in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 40, 296 <312>; 134, 141 <173 f., Rn. 96>).

93

Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben umfasst der Anspruch des Bundestagsabgeordneten auf Ersatz seiner Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG auch den Einsatz von Mitarbeitern im Wahlkreis. Dass sich die Tätigkeit des Abgeordneten dabei auch auf die Wahlchancen der Partei auswirkt, der er angehört, ist Teil des Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie das Grundgesetz sie versteht (siehe Rn. 76).

94

bb) § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG begründet aber lediglich einen Anspruch auf Ersatz des mandatsbedingten Aufwandes. Die hiervon losgelöste Wahrnehmung von Partei- oder Wahlkampfaufgaben durch einen Abgeordnetenmitarbeiter ist nicht ersatzfähig. Die Verwendung der für Abgeordnetenmitarbeiter im Bundeshaushalt bewilligten Mittel zu diesem Zweck wäre missbräuchlich und würde die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzen. Dies vermag vorliegend die Zulässigkeit der Organklage aber nicht zu begründen, da die Antragstellerin nicht dargelegt hat, dass eine etwaige missbräuchliche Verwendung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter dem Antragsgegner in einer Weise zugerechnet werden kann, die es rechtfertigt, bereits die Bewilligung dieser Mittel im Bundeshaushalt 2012 als Eingriff in ihr Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb anzusehen.

95

(1) Dass die Mittel in einem übermäßigen Umfang bereitgestellt wurden, der einer zweckwidrigen Verwendung Vorschub leistet, erschließt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin nicht. Sie verweist insoweit auf die Steigerung der Anzahl der Abgeordnetenmitarbeiter insgesamt und insbesondere in den Wahlkreisen sowie auf die Steigerungsraten und die Höhe der im Bundeshaushalt 2012 zur Verfügung gestellten Mittel und stellt diese in Relation zu den Fraktionszuschüssen, der staatlichen Parteienfinanzierung und den Wahlkampfbudgets der Parteien. Daraus lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter und die Höhe der dafür zur Verfügung gestellten Mittel einen Umfang erreicht haben, der das zur Unterstützung bei der Erledigung der parlamentarischen Aufgaben erforderliche Maß - auch unter Berücksichtigung der Veränderung dieser Aufgaben im Zuge der nationalen und europäischen Entwicklung - übersteigt.

96

(2) Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass der Antragsgegner einer zweckwidrigen Verwendung der im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellten Mittel durch unzureichende Voraussicht und Kontrolle den Weg geebnet hat.

97

(a) Es erscheint bereits fraglich, ob die Antragstellerin eine missbräuchliche Verwendung der im Bundeshaushalt 2012 für Abgeordnetenmitarbeiter bereitgestellten Mittel hinreichend dargelegt hat.

98

(aa) Soweit die Antragstellerin behauptet, nicht sie müsse den Missbrauch der Mittel, sondern der Antragsgegner vielmehr deren ordnungsgemäße Verwendung nachweisen, da es sich bei der Bewilligung von Haushaltsmitteln für Abgeordnetenmitarbeiter um eine "Entscheidung in eigener Sache" handele, gilt das vorstehend Gesagte (siehe Rn. 82). Ebenso erscheint zweifelhaft, ob die Behauptung der Antragstellerin, bei einer zwischen Abgeordneten und Partei geteilten Finanzierung seien Manipulationen leichter möglich, die Darlegung einer missbräuchlichen Verwendung der vom Antragsgegner bereitgestellten Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter ersetzen kann.

99

(bb) Eine missbräuchliche Verwendung dieser Mittel ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Antragstellerin, die Abgeordnetenmitarbeiter bildeten vielfach geradezu das organisatorische Rückgrat der lokalen und regionalen Gliederungen der jeweiligen politischen Parteien. Allein aus dem Umstand, dass Abgeordnetenmitarbeiter zugleich Vorsitzenden- und Geschäftsführerfunktionen in Parteiverbänden und Kommunalfraktionen wahrnehmen, lässt sich nicht folgern, dass sie dafür in unzulässiger Weise aus öffentlichen Mitteln entlohnt werden. Für die Aufrechterhaltung einer lebendigen Demokratie auf lokaler Ebene ist das Engagement von Privatpersonen unverzichtbar. Es ist nicht ersichtlich, warum die Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten hiervon ausgeschlossen sein sollten. Ebenso wenig ist es verfassungsrechtlich relevant, wenn Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten selbst eine politische Karriere anstreben.

100

Ein solches parteipolitisches Engagement ist allerdings von der Unterstützung des Abgeordneten bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit zu trennen. Ein Einsatz der für Abgeordnetenmitarbeiter im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellten Mittel zur Finanzierung eines solchen Engagements wäre unzulässig. Aus dem Vortrag der Antragstellerin erschließt sich aber nicht, ob und in welchem Umfang eine derartige Alimentation stattfindet.

101

(cc) Hinsichtlich der Behauptung, eine missbräuchliche Verwendung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter finde dadurch statt, dass diese massenhaft im Wahlkampf eingesetzt würden, beschränkt die Antragstellerin sich auf die Schilderung weniger Beispiele, über die am 17. September 2013 in einem ARD-Fernsehmagazin berichtet wurde, sowie auf einen weiteren Bericht eines Fernsehmagazins, der den Einsatz der Mitarbeiter von Landtagsabgeordneten in Bayern betraf. Inwieweit dies Rückschlüsse auf die missbräuchliche Verwendung der bereitgestellten Haushaltsmittel für Abgeordnetenmitarbeiter im Jahr 2012, in dem keine Bundestagswahl stattfand, erlaubt, kann letztlich dahinstehen.

102

(b) Jedenfalls hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass der Antragsgegner einer derartigen missbräuchlichen Verwendung dieser Haushaltsmittel durch unzureichende Voraussicht und Kontrolle Vorschub geleistet hat.

103

Sie hätte sich insoweit damit auseinandersetzen müssen, dass gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG nur Aufwendungen für die Beschäftigung der Mitarbeiter eines Abgeordneten "zur Unterstützung bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit" ersatzfähig sind und ein Ersatz nur "gegen Nachweis" erfolgt. Dabei wird in den Erläuterungen zum Haushaltsplan 2012 (Einzelplan 02 Kapitel 01, Titel 411 03 - 011) ausdrücklich auf die vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages gemäß § 34 AbgG erlassenen Ausführungsbestimmungen Bezug genommen. Demgemäß ist ein Ersatz von Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern frühestens ab Beginn des Monats zulässig, in welchem dem Referat PM 2 der Bundestagsverwaltung ein Arbeitsvertrag, der mindestens die vom Ältestenrat in einem Musterarbeitsvertrag getroffenen Regeln enthalten muss, vorgelegt wird (Nr. 3 und Nr. 7 der Ausführungsvorschriften). § 5 der Anlage zu § 6 des Musterarbeitsvertrages sieht vor, dass jede weitere Beschäftigung der Abgeordnetenmitarbeiter gegen Entgelt dem Referat PM 2 angezeigt werden muss. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 6 AbgG obliegt der Bundestagsverwaltung die Abrechnung der Mitarbeitergehälter. Über Zweifelsfälle entscheidet eine Kommission des Ältestenrates, gegen deren Entscheidung die Anrufung des Ältestenrates zulässig ist (Nr. 10 der Ausführungsvorschriften). Eine zweckwidrige Verwendung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter hat der Bundestagspräsident zu unterbinden (vgl. BVerfGE 80, 188 <231>) und zu viel gezahlte Beträge zurückzufordern. Werden die Mittel für eine verfassungswidrige Parteienfinanzierung eingesetzt, kommt darüber hinaus die Festsetzung einer Strafzahlung für die begünstigte Partei gemäß § 31c Abs. 1 PartG in Betracht.

104

Die Antragstellerin hätte vor diesem Hintergrund darlegen müssen, inwieweit gleichwohl ein die missbräuchliche Verwendung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter begünstigendes Kontrolldefizit auf Seiten des Antragsgegners besteht. Dieser Anforderung hat sie nicht genügt. Der Hinweis auf die fehlende Verpflichtung der Abgeordneten zur öffentlichen Rechnungslegung und den Verzicht des Rechnungshofes auf eine Kontrolle der ordnungsgemäßen Verwendung der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter reicht hierfür nicht aus. Der Verzicht des Rechnungshofes auf die Prüfung der Mittel für die Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten gründet sich auf unterschiedliche Auffassungen über die Reichweite seines Prüfungsrechts gemäß Art. 114 Abs. 2 GG. Es mag dahinstehen, ob auf dieser Grundlage auch eine Verpflichtung zur Vorlage der mit den Abgeordnetenmitarbeitern geschlossenen Arbeitsverträge besteht oder ob dem die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete freie und unabhängige Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats entgegensteht. Über diese Frage muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden, da die Antragstellerin eine Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit angesichts des unabhängig hiervon bestehenden Kontroll- und Sanktionensystems nicht hinreichend dargelegt hat.

105

c) Das Vorbringen der Antragstellerin lässt auch im Hinblick auf die den politischen Stiftungen gewährten Globalzuschüsse die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit nicht erkennen.

106

Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob die Bewilligung von Globalzuschüssen für die parteinahen Stiftungen das Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt, bereits im Jahr 1986 verneint (vgl. BVerfGE 73, 1 <31 ff.>). Dabei hat es sich auch in der Sache mit der von der Antragstellerin behaupteten "Kooperationseinheit" zwischen den politischen Stiftungen und der jeweiligen Mutterpartei auseinandergesetzt und festgestellt, dass es "den Stiftungen verwehrt [ist], in den Wettbewerb der politischen Parteien einzugreifen, indem sie etwa im Auftrag für die ihnen nahestehenden Parteien geldwerte Leistungen oder Wahlkampfhilfe erbringen" (vgl. BVerfGE 73, 1 <32>). Weiterhin führt das Gericht aus: Bei den Stiftungen handelt es sich um von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen, die sich selbstständig und in geistiger Offenheit der Aufgabe politischer Bildungsarbeit annehmen und auch in der Praxis die gebotene Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren. Die Tätigkeiten der politischen Parteien und der Stiftungen verfolgen verschiedene, voneinander abgrenzbare Ziele. Die politische Bildungsarbeit der Stiftungen hat sich weitgehend verselbständigt und einen hohen Grad an Offenheit erreicht. Einzelne missbräuchliche Maßnahmen der Stiftungen rechtfertigen nicht die Annahme, es handele sich bei den Globalzuschüssen um eine verdeckte Parteienfinanzierung (vgl. BVerfGE 73, 1 <31>). Die Ergebnisse der in den Stiftungen geleisteten Arbeit sind der Öffentlichkeit und damit auch allen Parteien zugänglich. Auch wenn aus der spezifischen, jeweils der Interessenlage einer bestimmten Partei zugewandten Aufgabenstellung folgt, dass diese daraus regelmäßig einen größeren Vorteil ziehen wird als andere, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Gewährung von Globalzuschüssen an die politischen Stiftungen. Dies gilt jedenfalls, solange eine solche Förderung alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt (vgl. BVerfGE 73, 1 <38>).

107

Aus dem Vorbringen der Antragstellerin erschließt sich nicht, warum nunmehr eine hiervon abweichende Beurteilung geboten sein soll. Sie trägt nicht vor, dass die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit der politischen Stiftungen sich verändert habe. Auch macht sie nicht geltend, dass die Globalzuschüsse eine nicht mehr zu rechtfertigende Höhe erreicht hätten; vielmehr weist sie selbst darauf hin, dass die Globalzuschüsse seit 1992 stagnierten, obwohl sogar noch eine weitere politische Stiftung hinzugekommen sei.

108

Stattdessen hebt die Antragstellerin darauf ab, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1986 (BVerfGE 73, 1) durch die Tendenzen der Parlamentsparteien zur Kartellbildung und die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Entscheidung in eigener Sache", zu den Grenzen der Parteienfinanzierung und zum Schutz kleiner Parteien überholt sei. Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Sie ignoriert, dass es sich bei den politischen Stiftungen um rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen handelt, die auch in der Praxis die gebotene Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren. Dass insoweit eine abweichende Beurteilung geboten sein könnte, ergibt sich weder aus der angesprochenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, noch ist es in sonstiger Weise ersichtlich.

109

d) Unzulässig ist auch der Antrag zu 2., der bei sachgerechter Auslegung darauf abzielt, dem Antragsgegner die Einrichtung eines bestimmten Bewilligungs- und Kontrollverfahrens vorzuschreiben, das einen möglichen Missbrauch der staatlichen Zuschüsse durch die Mittelempfänger - Fraktionen, Abgeordnete, parteinahe Stiftungen - verhindern soll. Die Unzulässigkeit dieses Antrags folgt bereits daraus, dass die Antragstellerin die derzeitige Bewilligungs- und Kontrollpraxis, die sich in ihrer heutigen Form spätestens in den 1990er Jahren herausgebildet hat, jahrelang hingenommen und damit die sechsmonatige Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG verstreichen lassen hat.

110

aa) Mit dem Antrag zu 2., erster Spiegelstrich rügt die Antragstellerin, dass es der Antragsgegner als Gesetzgebungsorgan unterlassen habe, das bisherige unkontrollierte sowie unbegrenzte Entscheidungsverfahren funktionsgerecht auszugestalten und die Höhe der staatlichen Mittel für die Fraktionen, die Abgeordnetenmitarbeiter und die parteinahen Stiftungen durch ein materielles (Leistungs-) Gesetz zu regeln sowie die verwendeten Mittel im Haushaltsplan spezifiziert auszuweisen. Da sie sich damit gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen wendet, wird die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG spätestens in Lauf gesetzt, wenn der Antragsgegner sich erkennbar eindeutig weigert, in einer Weise tätig zu werden, die die Antragstellerin zur Wahrung ihres verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (vgl. BVerfGE 4, 250 <269>; 71, 299 <303 f.>; 92, 80 <89>; 118, 244 <256 f.>; 129, 356 <371>). Demgemäß ist die Antragsfrist vorliegend verstrichen.

111

(1) Im Gesetzgebungsverfahren zur rechtlichen Normierung der Stellung, Aufgaben und Finanzierung der Fraktionen im Deutschen Bundestag entschied sich der Gesetzgeber trotz der entgegengesetzten Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung ("Weizsäcker-Kommission", BTDrucks 12/4425, S. 36) und eines Gesetzentwurfs für ein eigenständiges Fraktionsfinanzierungsgesetz einer Oppositionspartei (BTDrucks 12/5788) dagegen, die Vorschriften über die Fraktionsfinanzierung in das Abgeordnetengesetz zu übernehmen. Dies ist mit dem Sechzehnten Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 11. März 1994 (BGBl I S. 526) geschehen, welches Anfang 1995 in Kraft getreten ist. Den Erlass des Gesetzes musste die Antragstellerin als bewusste und gewollte Entscheidung des Antragsgegners gegen eine spezialgesetzliche Festlegung der Höhe der staatlichen Mittel für die Fraktionen, gegen die Bestimmung einer Obergrenze für die Fraktionsfinanzierung oder einer Anrechnung auf die staatliche Parteienfinanzierung sowie gegen die spezifizierte Ausweisung der Mittel im Haushaltsplan verstehen. Die erkennbare Weigerung setzte damit die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG in Lauf. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, weshalb die Antragstellerin gegen das seit 1995 gesetzlich geregelte Verfahren der Bewilligung der Fraktionszuschüsse erstmals im Jahr 2012 verfassungsgerichtlich vorgeht.

112

(2) Gleiches gilt in Bezug auf das Bewilligungsverfahren der öffentlichen Mittel für die Abgeordnetenmitarbeiter. Spätestens mit der Neufassung von § 12 Abs. 3 Satz 1 AbgG im Dezember 1995 war klar, dass der Antragsgegner an dem schon zuvor praktizierten Bewilligungsverfahren festhalten und die Aufwendungen für die Mitarbeiter der Abgeordneten der Höhe nach nicht im Abgeordnetengesetz selbst festlegen wollte.

113

(3) Die Finanzierung parteinaher Stiftungen ist bislang zwar nicht gesetzlich geregelt, aber die Mittel werden seit Einführung der Globalzuschüsse im Jahr 1967 in den jährlichen Haushaltsplan eingestellt. Es ist auch hier weder dargelegt noch sonst ersichtlich, weshalb die im Jahr 1981 gegründete Antragstellerin erst im Jahr 2012 gegen das fortdauernde Unterlassen des Antragsgegners vorgeht, die Höhe der staatlichen Mittel für die politischen Stiftungen durch ein materielles Gesetz zu regeln und die verwendeten Mittel im Haushaltsplan spezifiziert auszuweisen.

114

(4) Im Übrigen erschließt sich nicht, inwieweit die Vergabe der staatlichen Zuschüsse im Bundeshaushalt im Vergleich zu einer Vergabe durch ein Leistungsgesetz einen Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit enthalten soll.

115

bb) Die mit dem Antrag zu 2., zweiter Spiegelstrich angegriffene "Gestattung, die öffentlichen Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen zu verwenden und die Abgeordnetenmitarbeiter im Wahlkreis einzusetzen", erfolgte durch gesetzliche Regelungen (§ 47 Abs. 3, § 50 Abs. 1 AbgG respektive § 12 Abs. 3 AbgG), die bereits 1995 in Kraft getreten sind und gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG nicht mehr im Organstreitverfahren angegriffen werden können.

116

cc) Auch der Antrag zu 2., dritter Spiegelstrich, mit dem die Antragstellerin die Unterbindung beziehungsweise Beschneidung der Kontrolle der Mittelverwendung durch den Antragsgegner geltend macht, ist verfristet.

117

Soweit die Antragstellerin bemängelt, der Bundesrechnungshof sehe von Prüfungen der zweckmäßigen Verwendung der öffentlichen Mittel für die Abgeordnetenmitarbeiter ab, seit der Antragsgegner die Kontrolle der Arbeitsverträge für die Mitarbeiter 1992 verweigert habe, wird ein Verhalten des Antragsgegners gerügt, das mehr als 20 Jahre zurückliegt. Dass die politische Erforderlichkeit der Maßnahme einer Fraktion nicht der Kontrolle des Bundesrechnungshofes unterliegt, beruht auf § 53 Abs. 2 Satz 2 AbgG; diese Norm ist bereits 1995 in Kraft getreten und damit im Jahr 2012 nicht mehr im Organstreitverfahren angreifbar.

118

Im Hinblick auf die von der Antragstellerin vermisste gesetzliche Verpflichtung der Abgeordneten zur öffentlichen Rechnungslegung über die Verwendung der Mittel für Mitarbeiter und deren Einsatz verteidigt die Antragstellerin keine eigenen, ihren verfassungsrechtlichen Status als politische Partei berührenden Rechte, sondern zielt auf eine abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des angegriffenen Unterlassens des Antragsgegners. Dies ist im Organstreitverfahren nicht statthaft (vgl. BVerfGE 73, 1 <29 f.>).

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

§ 43 Absatz 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nichtig, soweit danach § 40a Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, rückwirkend bereits in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anzuwenden ist.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 43 Abs. 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) insofern gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, als darin die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle von dieser Vorschrift erfassten, noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen angeordnet worden ist. Dies hat zur Folge, dass Teilwertabschreibungen einer Körperschaft auf Anteile an Aktienfonds den steuerlichen Gewinn auch der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 nicht mehr mindern.

A.

I.

2

1. Das Recht der inländischen Investmentgesellschaften war bis zum 31. Dezember 2003 im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften geregelt. Die ursprüngliche Fassung dieses Gesetzes datiert vom 16. April 1957 (BGBl I S. 378). Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften enthielt die aufsichts- und steuerrechtlichen Vorschriften für inländische Kapitalanlagegesellschaften. Die entsprechenden Vorschriften für ausländische Kapitalanlagegesellschaften waren in dem ebenfalls zum Jahresende 2003 ausgelaufenen Auslandinvestment-Gesetz (AuslInvG) - ursprünglich in der Fassung vom 28. Juli 1969 (BGBl I S. 986) - enthalten.

3

Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und das Auslandinvestment-Gesetz wurden im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I S. 2676) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 durch das Investmentgesetz (InvG) für das Aufsichtsrecht und das Investmentsteuergesetz (InvStG) für das Steuerrecht abgelöst. Das Investmentgesetz wurde inzwischen durch das am 22. Juli 2013 in Kraft getretene Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ersetzt (BGBl I S. 1981), das Investmentsteuergesetz besteht fort.

4

Die Vorlage betrifft die Endphase der zeitlichen Anwendung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften. In dem Gesetzgebungsverfahren zum Investmentmodernisierungsgesetz setzte sich der Gesetzgeber unter anderem mit einem Auslegungsproblem zur ertragsteuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auseinander (vgl. § 8 InvStG). Es ging um die Frage, ob der in § 8b Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung vorgesehene Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 79; BGBl I 2000, S. 1433 <1453>, S. 1850 <1854> und BGBl I 2001, S. 3858 <3863>) auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung findet, obwohl § 40a KAGG auf diese Vorschrift nicht verwies. Der Gesetzgeber erstreckte die seiner Auffassung nach im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nur klarstellende Lösung, wonach § 8b Abs. 3 KStG auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung finde, durch eine Änderung des auslaufenden Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften zugleich auf die Vergangenheit. Die dies anordnenden Regelungen des § 40a Abs. 1 Satz 2 und des § 43 Abs. 18 KAGG wurden in das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I S. 2840), das auch Korb II-Gesetz genannt wird, aufgenommen. Die Gesetzgebungsverfahren zum Korb II-Gesetz und zum Investmentmodernisierungsgesetz wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 durchgeführt (vgl. zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung BRDrucks 560/03 vom 15. August 2003 und BRDrucks 609/03 vom 28. August 2003; vgl. BTDrucks 15/1518, 15/1553). Das Investmentmodernisierungsgesetz wurde am 19. Dezember 2003, das Korb II-Gesetz am 27. Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt verkündet.

5

2. Hintergrund der Einführung des § 40a Abs. 1 KAGG war der Systemwechsel im Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren (später Teileinkünfteverfahren). Dieser Systemwechsel (vgl. dazu BVerfGE 125, 1; 127, 224) hatte zu Änderungen des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und des Auslandinvestment-Gesetzes geführt (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132). An den durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) eingeführten, zunächst nur aus einem Satz bestehenden § 40a Abs. 1 KAGG a.F. wurde durch das Korb II-Gesetz vom 22. Dezember 2003 ein zweiter Satz (im nachfolgenden Text in Fettdruck wiedergegeben) angefügt, für den es in der vorherigen Fassung noch keine Entsprechung gegeben hatte.

6

§ 40a KAGG in der hier maßgeblichen Fassung des Korb II-Gesetzes lautet:

7

§ 40a KAGG

(1) 1Auf die Einnahmen aus der Rückgabe oder Veräußerung von Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen, die zu einem Betriebsvermögen gehören, sind § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit sie dort genannte, dem Anteilscheininhaber noch nicht zugeflossene oder als zugeflossen geltende Einnahmen enthalten oder auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören. 2Auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilsscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, sind § 3c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit die Gewinnminderungen auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören.

(2) …

8

Die zeitliche Anwendung des § 40a Abs. 1 KAGG wurde durch das Korb II-Gesetz in § 43 Abs. 18 KAGG wie folgt festgelegt:

9

§ 43 KAGG

(1) bis (17) …

(18) § 40a Abs. 1 in der Fassung des Artikels 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2840) ist für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden, soweit Festsetzungen noch nicht bestandskräftig sind.

10

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17) handelt es sich bei § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG um eine "redaktionelle Klarstellung, dass § 8b Abs. 3 KStG auch bei Investmentanteilen gilt, wenn Verluste aus der Veräußerung der Anteilscheine oder Teilwertminderungen auf Wertminderungen der in dem Wertpapier-Sondervermögen befindlichen Beteiligungen beruhen".

11

Auf der Ebene der Finanzgerichte ist umstritten, ob die Vorschrift des § 40a Abs. 1 KAGG mit dem neuen Satz 2 im Vergleich zur vorherigen Gesetzesfassung ohne den Satz 2 - wie im Vorlagebeschluss vertreten - als konstitutive, die bisherige Rechtslage ändernde Regelung oder als deklaratorische, die bisherige Rechtslage lediglich klarstellende Regelung anzusehen ist (vgl. Finanzgericht München, Urteile vom 28. Februar 2008 - 7 K 917/07 -, EFG 2008, S. 991, - dazu BFHE 227, 73 - und vom 17. März 2009 - 6 K 3474/06 -, EFG 2009, S. 1053, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 33/09, sowie Gerichtsbescheid vom 18. September 2012 - 7 K 2684/10 -, EFG 2013, S. 72, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 74/12).

12

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des einfachen Rechts in dieser Frage liegt noch nicht vor. Beim Bundesfinanzhof sind zwei Revisionsverfahren hierzu anhängig (I R 33/09 und I R 74/12). Beide beziehen sich auf das Jahr 2002, welches auch das Streitjahr in dem Ausgangsverfahren der hier zu behandelnden Vorlage ist. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu dem § 40a Abs. 1 KAGG a.F. betreffenden Auslegungsproblem ist noch nicht ergangen (vgl. Beschluss vom 15. Mai 2013 zur Aussetzung des Revisionsverfahrens I R 74/12, BFH/NV 2013, S. 1452).

13

3. Nach dem um den Satz 2 ergänzten § 40a Abs. 1 KAGG bleiben Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen einer Kapitalgesellschaft an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, bei der steuerlichen Gewinnermittlung unberücksichtigt. Im Gegensatz zur vorherigen Fassung enthält § 40a Abs. 1 KAGG neben der ausdrücklichen Verweisung auf § 8b Abs. 2 KStG durch den neuen Satz 2 nunmehr auch eine ausdrückliche Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG.

14

§ 8b KStG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes vom 15. Oktober 2002 (BGBl I S. 4144, nachfolgend als KStG a.F. bezeichnet) lautet auszugsweise:

15

§ 8b KStG

Beteiligungen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen

(1) …

(2) 1Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes gehören, oder an einer Organgesellschaft im Sinne der §§ 14, 17 oder 18, aus der Auflösung oder der Herabsetzung des Nennkapitals oder aus dem Ansatz des in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes bezeichneten Werts sowie Gewinne im Sinne des § 21 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes außer Ansatz. 2Das gilt nicht, soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist. 3Veräußerung im vorstehenden Sinne ist auch die verdeckte Einlage.

(3) Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen.

(4) bis (7) …

16

§ 8 Abs. 3 KStG a.F. ("bei der Gewinnermittlung") ist mit § 8b Abs. 3 Satz 3 der aktuellen Fassung des KStG ("bei der Ermittlung des Einkommens") nahezu wortgleich. Bei dem steuerlichen Begriff des Teilwerts handelt es sich nach der Legaldefinition in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) um den Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde, wobei davon auszugehen ist, dass der Erwerber den Betrieb fortführt (vgl. die Legaldefinition in § 10 Bewertungsgesetz). Sinkt der Teilwert im Vergleich zu den Anschaffungskosten, den Herstellungskosten oder zu dem Restbuchwert eines Wirtschaftsguts, kann eine Verpflichtung zur Teilwertabschreibung bestehen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG; vgl. zum Handelsrecht § 253 HGB). Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert mindern grundsätzlich das zu versteuernde Einkommen. In den Fällen des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG8b Abs. 3 KStG a.F.) gilt das jedoch ausnahmsweise nicht; hierunter fallende Gewinnminderungen bleiben steuerlich unberücksichtigt. Nach der Begründung zum Absatz 3 im Entwurf des Steuersenkungsgesetzes bleiben Veräußerungsverluste und Teilwertabschreibungen steuerlich unberücksichtigt, ebenso Wertaufholungen ("Konsequenz aus der Befreiung der Veräußerungsgewinne", vgl. BTDrucks 14/2683, S. 124; vgl. zu "Regelungssymmetrie" und steuersystematischer Korrektheit auch Gosch, in: Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 260 f.). Eine Ausnahme von der Steuerbefreiung sei vorgesehen, soweit sich Teilwertabschreibungen in früheren Jahren gewinnmindernd ausgewirkt hätten (vgl. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F., inzwischen Satz 4), insoweit sei eine Wertaufholung oder ein Veräußerungsgewinn zu versteuern.

17

Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen (vgl. § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG), können - wie im Ausgangsverfahren des Finanzgerichts - bei im Wert gefallenen Anteilen an Aktienfonds vorliegen. Die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. hat zur Folge, dass diesbezügliche Teilwertabschreibungen - zum Beispiel infolge von Kursstürzen an der Börse - bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Körperschaft nicht berücksichtigt werden.

II.

18

Das Ausgangsverfahren betrifft die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums 2002 der dortigen Klägerin. Sie ist ein Kreditinstitut, das am 31. Dezember 2002 (Stichtag des Jahresabschlusses) in seinem Umlaufvermögen Anteile an zwei Investmentfonds hielt. Zum 31. Dezember 2002 waren die Börsenkurse der Anteilscheine an diesen Fonds unter die jeweiligen im Jahresabschluss des Vorjahres ausgewiesenen Buchwerte gesunken.

19

Die klagende Bank nahm in ihrer am 14. Januar 2003 erstellten Handelsbilanz für das Jahr 2002 Abschreibungen auf die Fonds in Höhe von insgesamt 392.643,53 € vor. In seinem Lagebericht beschrieb der Vorstand den "stärksten Kurseinbruch in der Geschichte des DAX". Für den deutschen Aktienindex (DAX) sei das Jahr 2002 das dritte Verlustjahr in Folge gewesen. Nachdem der Index bereits in den Jahren 2000 und 2001 um 8% beziehungsweise 20% an Wert verloren habe, habe er im Jahr 2002 mit dem Verlust von 44% (DAX-Stand zum Jahresende 2002: 2.892,63 Punkte) die höchste Einbuße in seiner Geschichte verzeichnet.

20

In der am 10. Juli 2003 erstellten Steuerbilanz für das Jahr 2002 führten die Abschreibungen auf die Fondsanteile, nachdem deren Kurswerte bis zur Erstellung der Steuerbilanz wieder gestiegen waren, zu einer Gewinnminderung in Höhe von 357.493,73 €. Die Klägerin wurde gemäß ihrer im August 2003 beim Finanzamt eingereichten Körperschaftsteuererklärung veranlagt. Die Körperschaftsteuer laut dem ursprünglichen Bescheid vom 22. Oktober 2003 betrug 95.509 €.

21

Nach der Verabschiedung des Korb II-Gesetzes reichte die Klägerin Ende Februar 2004 beim Finanzamt eine geänderte Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2002 ein. Unter anderem erhöhte sie den bislang erklärten Gewinn um die für das Jahr 2002 vorgenommenen, als steuerwirksam behandelten Teilwertabschreibungen. Gleichzeitig kündigte die Klägerin einen Einspruch an, den sie sodann nach Erlass des Änderungsbescheids vom 27. April 2004 einlegte.

22

Im Rahmen einer während des Einspruchsverfahrens durchgeführten Betriebsprüfung teilte der Prüfer unter Hinweis auf das Korb II-Gesetz die Auffassung der Finanzverwaltung, dass eine steuerliche Berücksichtigung der Teilwertabschreibung gemäß § 8b Abs. 3 KStG a.F. ausgeschlossen und der Gewinn daher entsprechend zu erhöhen sei. Unter Berücksichtigung der sich erhöhenden Gewerbesteuer-Rückstellung ergab sich im Hinblick auf die im Streit stehende Teilwertabschreibung für 2002 eine Gewinnerhöhung um einen Betrag von 282.019,50 €, die in dieser Höhe dem Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 13. April 2005 zugrunde gelegt wurde. Das Finanzamt setzte die Körperschaftsteuer nunmehr auf 140.570 € fest und wies den Einspruch als unbegründet zurück.

23

Mit der gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung erhobenen Klage macht die Klägerin im Ausgangsverfahren geltend, § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG wirke in Verbindung mit der Anwendungsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in konstitutiver und verfassungsrechtlich unzulässiger Weise in abgeschlossene Veranlagungszeiträume zurück. Sie beantragt eine Herabsetzung des zu versteuernden Einkommens um den Betrag von 282.019,50 €.

III.

24

Das Finanzgericht hat das Ausgangsverfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (veröffentlicht in EFG 2008, S. 983).

25

Das vorlegende Gericht hält § 43 Abs. 18 KAGG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG für verfassungswidrig, weil die neue Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG nicht lediglich klarstellend sei, sondern eine unzulässige echte Rückwirkung entfalte. § 8b Abs. 3 KStG sei weder unmittelbar auf Anteilscheine anwendbar gewesen, noch habe § 40a Abs. 1 KAGG a.F. die sinngemäße Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG angeordnet, noch folge der Ausschluss der Teilwertabschreibungen vom steuerrechtlichen Abzug bei der Gewinnermittlung aus § 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 3c Abs. 1 EStG. Insbesondere der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. mit der dort fehlenden Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG a.F. und eine systematische Auslegung der Vorschrift, wonach die steuerliche Berücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf Anteilscheine nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen führe, sprächen dafür, dass bis zur Neuregelung des § 40a Abs. 1 KAGG Teilwertabschreibungen bei Anteilscheinen gewinnmindernd berücksichtigungsfähig gewesen seien. Diese Möglichkeit werde rückwirkend versagt. Keine der Ausnahmefallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung zulässig sein könne, sei einschlägig.

IV.

26

Zu dem Vorlagebeschluss haben Stellung genommen das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung, die Bundessteuerberaterkammer, ein Zusammenschluss der Bundesverbände aus dem Bereich des Bankwesens, das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. sowie - im Auftrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens - Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön.

27

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig und überdies für unbegründet. Das vorlegende Gericht setze sich nicht näher mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung auseinander. § 43 Abs. 18 KAGG erfülle nicht den Tatbestand einer echten Rückwirkung. Der Verweis in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf § 8b Abs. 3 KStG sei nur deklaratorisch. Bereits § 40a Abs. 1 KAGG a.F. habe die Anwendung des Abzugsverbots nach § 8b Abs. 3 KStG mit eingeschlossen. Das Bundesministerium der Finanzen verweist ferner auf die Urteile des Finanzgerichts München vom 28. Februar 2008 (EFG 2008, S. 991) und vom 17. März 2009 (EFG 2009, S. 1053).

28

In den übrigen Stellungnahmen wird, soweit sie sich inhaltlich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen äußern, die Auffassung des vorlegenden Finanzgerichts Münster geteilt, dass § 43 Abs. 18 KAGG die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise anordne.

29

Der Bundesfinanzhof hat inhaltlich nicht Stellung bezogen. Das Offenlassen der verfassungsrechtlichen Frage in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 - I R 27/08 - (BFHE 227, 73) hat er mit der in diesem Fall gemeinschaftsrechtlich bedingten Unanwendbarkeit der Vorschrift begründet.

B.

I.

30

Die Vorlage ist zulässig.

31

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f.>). Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; 133, 1 <11>). Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts vom einfachen Recht maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <11>).

32

2. Die Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. durch das vorlegende Gericht ist vertretbar. Sie lässt sich insbesondere auf den Wortlaut der Vorschrift stützen. Dass die gegenteilige Auslegung der Vorschrift ebenfalls vertretbar erscheint (vgl. die unter A I 2 zitierten Urteile des Finanzgerichts München aus den Jahren 2008 und 2009) und die maßgebliche Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Hierfür genügt es, dass die Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht offensichtlich unhaltbar ist. Es gehört nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf konkrete Normenkontrolle, die vorherige höchstrichterliche Klärung einer für die verfassungsrechtliche Beurteilung erheblichen Vorfrage des einfachen Rechts abzuwarten. Dagegen spricht schon die Befugnis von erst- oder zweitinstanzlichen Gerichten zum Antrag auf konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG.

33

3. Das Finanzgericht hat sich im Vorlagebeschluss hinreichend mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der einschlägigen einfachrechtlichen Vorschriften befasst und diese verneint. Der Gesetzgeber habe mit der Übergangsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in der Fassung des Korb II-Gesetzes bewusst und eindeutig die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen festgelegt. Das vorlegende Gericht sieht insofern zu Recht keinen Spielraum bei der Auslegung des § 43 Abs. 18 KAGG.

34

4. Das vorlegende Gericht war nicht verpflichtet, den Vorlagebeschluss vom 22. Februar 2008 im Hinblick auf mehrere zwischenzeitlich ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 126, 369; 127, 1; 131, 20; 132, 302) zu ergänzen, die auch für die Vorlage relevante Aussagen zu Fragen der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze enthalten.

35

Es besteht keine generelle verfassungsprozessuale Verpflichtung eines vorlegenden Gerichts, den Vorlagebeschluss im Hinblick auf erhebliche tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die sich erst nach der Vorlage ergeben, fortlaufend zu überwachen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem auch für die Vorlagefrage maßgeblichen Verfassungsrecht, die erst nach dem Vorlagebeschluss veröffentlicht werden. Das vorlegende Gericht ist allerdings berechtigt, das Bundesverfassungsgericht über neue, aus seiner Sicht für das Vorlageverfahren bedeutsame Erkenntnisse zu unterrichten. Es kann auch einen Ergänzungsbeschluss fassen, wenn es Mängel im ursprünglichen Vorlagebeschluss beseitigen will (vgl. z.B. BVerfGE 132, 302 <310>).

36

5. Die auf Anteile an Aktienfonds zielende Vorlagefrage ist dem Wortlaut des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG entsprechend auf Anteile an Wertpapier-Sondervermögen und diesbezügliche Gewinnminderungen zu erstrecken. Die Befriedungsfunktion des Normenkontrollverfahrens (vgl. dazu BVerfGE 132, 302 <316> m.w.N.) spricht für diese Erweiterung der Vorlagefrage. Weitergehende verfassungsrechtliche Fragen werden dadurch nicht aufgeworfen.

37

Entsprechendes gilt für den Veranlagungszeitraum 2001, auf den die Vorlagefrage zu erstrecken ist. Die nach der Vorlage für den im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Veranlagungszeitraum 2002 erheblichen Verfassungsrechtsfragen stellen sich in gleicher Weise für das Jahr 2001. Eine Erstreckung der Vorlage auf den Veranlagungszeitraum 2003 kommt hingegen nicht in Betracht, weil die verfassungsrechtliche Beurteilung bezüglich dieses Veranlagungszeitraums (vgl. Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 21. Juli 2009 - 1 K 733/2007 -, EFG 2010, S. 163) schon im Hinblick auf die Einordnung der gesetzlichen Rückwirkung eigene Probleme und teilweise andere Fragen aufwirft.

II.

38

§ 43 Abs. 18 KAGG ist verfassungswidrig, soweit er für Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anordnet. Insoweit entfaltet § 43 Abs. 18 KAGG schon in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (1). Die rückwirkende Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG in § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutive Änderung der bisherigen Rechtslage zu behandeln und damit auch materiell an den Grundsätzen einer echten Rückwirkung zu messen (2). Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung liegen hier nicht vor (3).

39

1. § 43 Abs. 18 KAGG hat § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 jedenfalls formal mit echter Rückwirkung in Kraft gesetzt.

40

a) Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; jeweils m.w.N.), und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerfGE 132, 302 <318> m.w.N.).

41

Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (vgl. BVerfGE 11, 139 <145 f.>; 30, 367 <386>; 101, 239 <263>; 123, 186 <257>; 132, 302 <318>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"; vgl. BVerfGE 127, 1 <16 f.>).

42

Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfGE 127, 1 <18 f.>; 127, 31 <48 f.>; 127, 61 <77 f.>; 132, 302 <319>). Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum jedenfalls in formaler Hinsicht der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 Abgabenordnung in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG; vgl. BVerfGE 72, 200 <252 f.>; 97, 67 <80>; 132, 302 <319>; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 <263 f., 272>; 13, 274 <277 f.>; 19, 187 <195>; 30, 272 <285>). Dasselbe gilt für Veranlagungen zur Körperschaftsteuer (vgl. § 30 Nr. 3 KStG).

43

b) § 43 Abs. 18 KAGG, der durch das am 27. Dezember 2003 verkündete Korb II-Gesetz eingeführt wurde, entfaltet für die beiden Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (vgl. BVerfGE 126, 369 <391 f.>), soweit er noch nicht bestandskräftige Festsetzungen für diese Veranlagungszeiträume erfasst. Diese waren am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres und damit vor Verkündung des Korb II-Gesetzes abgelaufen, so dass die Neuregelung insoweit nachträglich einen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.

44

2. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Verbots echt rückwirkender Gesetze beanspruchen hier auch in materiellrechtlicher Hinsicht Geltung, weil § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG, anders als in der Begründung des Regierungsentwurfs angenommen (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), aus verfassungsrechtlicher Sicht gegenüber der alten Rechtslage als konstitutive Änderung zu behandeln ist.

45

a) Würde § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG rückwirkend lediglich das klarstellen, was ohnehin bereits Gesetz war, stellte sich die Frage nicht, ob die Vorschrift trotz formal echter Rückwirkung ausnahmsweise mit dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze vereinbar ist. Das Vertrauen in das geltende Recht könnte dann von vornherein nicht berührt sein, weil das geltende Recht nachträglich keine materielle Änderung erfahren hätte.

46

Ob eine rückwirkende Gesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der - abgesehen von eindeutigen Gesetzesformulierungen - zumeist erst durch Auslegung ermittelt werden muss.

47

Die in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG vertretene Auffassung, die Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), ist für die Gerichte nicht verbindlich. Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

48

Zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich in aller Regel die rechtsprechende Gewalt berufen (vgl. BVerfGE 65, 196 <215>; 111, 54 <107>; 126, 369 <392>). Dies gilt auch bei der Frage, ob eine Norm konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat. Allerdings ist der Gesetzgeber ebenfalls befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern oder klarstellend zu präzisieren und dabei gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Dabei hat er sich jedoch im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu halten, zu der auch die aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für rückwirkende Rechtsetzung gehören. Der Gesetzgeber kann diese Bindung und die Prüfungskompetenz der Gerichte nicht durch die Behauptung unterlaufen, seine Norm habe klarstellenden Charakter (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>). Es besteht keine Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation gesetzlicher Vorschriften (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37>).

49

b) Die Auslegung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte (aa); die Inhaltsbestimmung einer im Normenkontrollverfahren vorgelegten Norm obliegt allerdings regelmäßig dem Bundesverfassungsgericht (bb). Für die Klärung, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat, gelten jedoch Besonderheiten; eine solche Vorschrift ist aus verfassungsrechtlicher Sicht stets schon dann als konstitutiv anzusehen, wenn sie sich für oder gegen eine vertretbare Auslegung einer Norm entscheidet und damit ernstliche Auslegungszweifel im geltenden Recht beseitigt (cc).

50

aa) Die Auslegung des einfachen Rechts, die Wahl der hierbei anzuwendenden Methoden sowie die Anwendung des Rechts auf den Einzelfall sind primär Aufgabe der dafür zuständigen Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen (vgl. BVerfGE 128, 193 <209>), solange nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Im Übrigen ist die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie sich innerhalb der Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegen. Setzt sich ihre Auslegung jedoch in krassen Widerspruch zu den zur Anwendung gebrachten Normen, so beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen sind (vgl. BVerfGE 49, 304 <320>; 69, 315 <372>; 71, 354 <362 f.>; 113, 88 <103>; 128, 193 <209>).

51

bb) Soweit es für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle auf die Auslegung und das Verständnis des einfachen Rechts ankommt, erfolgt eine Vollprüfung des einfachen Rechts durch das Bundesverfassungsgericht selbst (vgl. BVerfGE 2, 181 <193>; 7, 45 <50>; 18, 70 <80>; 31, 113 <117>; 51, 304 <313>; 80, 244 <250>; 98, 145 <154>; 110, 412 <438>; stRspr). In diesem Fall ist es an die Auslegung des einfachen Rechts durch das vorlegende Gericht nicht gebunden. Es kann entscheidungserhebliche Vorfragen des einfachen Rechts selbst in vollem Umfang prüfen und darüber als Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung entscheiden. Nur so kann verhindert werden, dass das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm auf der Grundlage einer womöglich einseitigen, aber noch vertretbaren Deutung veranlasst ist, die ansonsten nicht, auch in der übrigen Fachgerichtsbarkeit nicht, geteilt wird. Das Bundesverfassungsgericht ist freilich nicht gehindert, die im Vorlagebeschluss vertretene Auslegung des einfachen Rechts durch das Fachgericht zu übernehmen und wird dies regelmäßig tun, wenn keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

52

cc) (1) Unbeschadet der grundsätzlichen Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Vollprüfung des einfachen Rechts im Normenkontrollverfahren genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutiv zu behandeln ist, die Feststellung, dass die geänderte Norm in ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 131, 20 <37 f.>).

53

(a) Der Wunsch des Gesetzgebers, eine Rechtslage rückwirkend klarzustellen, verdient grundsätzlich nur in den durch das Rückwirkungsverbot vorgegebenen Grenzen verfassungsrechtliche Anerkennung. Andernfalls könnte der Gesetzgeber auch jenseits dieser verfassungsrechtlichen Bindung einer Rechtslage unter Berufung auf ihre Klärungsbedürftigkeit ohne Weiteres die von ihm für richtig gehaltene Deutung geben, ohne dass von den dafür letztlich zuständigen Gerichten geklärt wäre, ob dies der tatsächlichen Rechtslage entsprochen hat. Damit würde der rechtsstaatlich gebotene Schutz des Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich geschwächt. Angesichts der allgemeinen Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Rechts könnte es dem Gesetzgeber regelmäßig gelingen, einen Klärungsbedarf zu begründen. Eine von Vertrauensschutzerfordernissen weitgehend freigestellte Befugnis zur rückwirkenden Klarstellung des geltenden Rechts eröffnete dem Gesetzgeber den weit reichenden Zugriff auf zeitlich abgeschlossene Rechtslagen, ließe im Nachhinein politischen Opportunitätserwägungen Raum, die das einfache Recht zum Zeitpunkt der später als korrekturbedürftig empfundenen Auslegung nicht prägten, und beeinträchtigte so das Vertrauen in die Stabilität des Rechts erheblich.

54

Ein legislatives Zugriffsrecht auf die Vergangenheit folgt auch nicht ohne Weiteres aus dem Demokratieprinzip, sondern steht zu diesem in einem Spannungsverhältnis. Zwar begrenzt das Rückwirkungsverbot die legislativen Handlungsspielräume des Parlaments für die Vergangenheit. Die demokratische Verantwortung des Parlaments ist jedoch auf die Gegenwart und auf die Zukunft bezogen. Früher getroffene legislative Entscheidungen verfügen über eine eigenständige demokratische Legitimation. Der historische Legitimationskontext kann - jedenfalls soweit die Gesetzeswirkungen in der Vergangenheit liegen - nicht ohne Weiteres durch den rückwirkenden Zugriff des heutigen Gesetzgebers ausgeschaltet werden. Besonders augenfällig würde dies bei Gesetzen, welche Entscheidungen aus einer früheren Legislaturperiode, die unter anderen politischen Mehrheitsverhältnissen getroffen wurden, rückwirkend revidierten. Für die Vergangenheit beziehen diese Entscheidungen ihre demokratische Legitimation allein aus dem damaligen, nicht aus dem heutigen Entscheidungszusammenhang. Der demokratische Verfassungsstaat vermittelt eine Legitimation des Gesetzgebers in der Zeit. Auch vom Demokratieprinzip ausgehend muss der Zugriff des Gesetzgebers auf die Vergangenheit die Ausnahme bleiben.

55

(b) Eine rückwirkende Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist in jedem Fall als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn der Gesetzgeber damit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen sucht. Der Gesetzgeber hat es für die Vergangenheit grundsätzlich hinzunehmen, dass die Gerichte das damals geltende Gesetzesrecht in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung verbindlich auslegen. Entspricht diese Auslegung nicht oder nicht mehr dem politischen Willen des Gesetzgebers, kann er das Gesetz für die Zukunft ändern.

56

Eine nachträgliche Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist aber grundsätzlich auch dann als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn die rückwirkende Regelung eine in der Fachgerichtsbarkeit kontroverse Auslegungsfrage entscheidet, die noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die klärende Regelung ist bereits dann konstitutiv, wenn sie eine - sei es auch unterinstanzliche - fachgerichtliche Auslegung durch nachträglichen Zugriff auf einen abgeschlossenen Sachverhalt ausschließen soll. Indem der Gesetzgeber mit einem in der maßgeblichen Aussage nunmehr regelmäßig eindeutigen Gesetz rückwirkend die insofern offenbar nicht eindeutige, in ihrer Anwendung jedenfalls uneinheitliche Rechtslage klären will, verleiht er dem rückwirkenden Gesetz konstitutive Wirkung.

57

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die in diesen Fällen noch nicht höchstrichterlich entschiedene, aber umstrittene Auslegung des einfachen Rechts selbst vorzunehmen. Für die Feststellung einer konstitutiven rückwirkenden Gesetzesänderung genügt es, wenn das vorlegende Gericht vertretbar einen Standpunkt zur Auslegung des alten Rechts einnimmt, den der Gesetzgeber mit der rückwirkenden Neuregelung ausschließen will. Eine gefestigte oder gar höchstrichterlich bestätigte Rechtsprechungslinie verlangt dieser Rechtsstandpunkt nicht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber ihn korrigieren und ausschließen will.

58

Ob Bürger oder Behörde im Ausgangsrechtsstreit ihren Rechtsstandpunkt zur alten Rechtslage zu Recht eingenommen haben, ist in einem solchen Fall durch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine konstitutiv rückwirkende Neuregelung vorliegt, nicht entschieden. Hält das Bundesverfassungsgericht - wie hier - die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der Fachgerichtsbarkeit aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dies entspricht der Funktionsteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten. Die weitere, insbesondere höchstrichterliche Auslegung durch die Fachgerichte kann dabei ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte. Dies bleibt jedoch eine Frage der Auslegung geltenden Rechts, die nicht dem Gesetzgeber, sondern der Gerichtsbarkeit und dabei in erster Linie der Fachgerichtsbarkeit obliegt.

59

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die rückwirkende "Klarstellung" der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG als konstitutiv. Der Gesetzgeber hat bei der Anfügung des Satzes 2 an § 40a Abs. 1 Satz 1 KAGG seine Absicht der Klarstellung zur Beseitigung des entstandenen Auslegungsproblems zum Ausdruck gebracht (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17). § 40a Abs. 1 KAGG konnte vor der Klärung durch den Gesetzgeber in jeweils vertretbarer Weise im Sinne der Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. wie auch im Sinne seiner Nichtanwendung ausgelegt werden. Dass bis zu der Verkündung des Korb II-Gesetzes im Bundesgesetzblatt noch keine gerichtliche Entscheidung zu dieser Frage ergangen war, rechtfertigt mit Blick auf den verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab keine andere Betrachtung. Denn auch hier hat der Gesetzgeber die nachträglich klarstellend gemeinte Norm vor dem Hintergrund der als unklar erkannten Rechtslage und damit in einer Situation der Ungewissheit rückwirkend in das Gesetz aufgenommen. Diese Ungewissheit wurde durch die später ergangenen divergierenden Entscheidungen der Finanzgerichte bestätigt (vgl. oben A I 2).

60

Auch in diesen Konstellationen, in denen es auf die Frage ankommt, ob eine Neuregelung aus verfassungsrechtlicher Sicht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, bleibt es dem Bundesverfassungsgericht allerdings unbenommen, in eigener Zuständigkeit das einfache Recht als Grundlage seiner Entscheidung auszulegen, etwa weil der vom vorlegenden Gericht zum einfachen Recht vertretene Rechtsstandpunkt verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Verpflichtet dazu ist es in diesen Fällen freilich nicht. Die Vorlage gibt dem Bundesverfassungsgericht hier keine Veranlassung, eine eigenständige Auslegung des einfachen Rechts vorzunehmen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die im Vorlagebeschluss zur Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. vertretene Rechtsauffassung verfassungswidrig sein könnte.

61

3. Die mit der konstitutiven Wirkung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG verbundene Belastung ist verfassungswidrig, soweit sie nach § 43 Abs. 18 KAGG hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 mit echter Rückwirkung versehen ist.

62

Die im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stehen Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich entgegen (a). Keine der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von diesem Verbot liegt hier vor (b). Auch ansonsten ist hier kein Grund für die Rechtfertigung der echten Rückwirkung erkennbar (c).

63

a) Die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes ist nur dann fraglich, wenn es sich um ein den Bürger belastendes Gesetz handelt (vgl. BVerfGE 24, 220 <229>; 32, 111 <123>; 50, 177 <193>; 101, 239 <262>; 131, 20 <36 f.>). Das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 132, 302 <317>). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl. BVerfGE 101, 239 <262>; 132, 302 <317>). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>; 132, 302 <317>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde die Betroffenen in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>; 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>; 132, 302 <317>). Ausgehend hiervon sind Gesetze mit echter Rückwirkung grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; stRspr).

64

b) aa) Von diesem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen jedoch Ausnahmen (vgl. BVerfGE 13, 261 <272 f.>; 18, 429 <439>; 30, 367 <387 f.>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>; 126, 369 <393 f.>; 131, 20 <39>; stRspr). Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze (vgl. BVerfGE 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393>). Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>) oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 50, 177 <193>). Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage (vgl. BVerfGE 72, 200 <258>; 97, 67 <80>). Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl. BVerfGE 32, 111 <123>).

65

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 30, 367 <387>; 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>). Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 30, 367 <388>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393 f.>), oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>). Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 88, 384 <404>; 95, 64 <87>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>), wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 50, 177 <193 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>) oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (sogenannter Bagatellvorbehalt, vgl. BVerfGE 30, 367 <389>; 72, 200 <258>).

66

bb) Von den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen zulässigerweise echt rückwirkender Gesetze kommen hier nur diejenigen der Unklarheit und Verworrenheit der ursprünglichen Gesetzeslage oder ihrer Systemwidrigkeit und Unbilligkeit in Betracht. Keine von beiden vermag die Rückwirkung des § 43 Abs. 18 KAGG auf die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zu rechtfertigen.

67

(1) (a) Allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm rechtfertigt nicht deren rückwirkende Änderung; erst wenn die Auslegungsoffenheit ein Maß erreicht, das zur Verworrenheit der Rechtslage führt, darf der Gesetzgeber eine klärende Neuregelung auf die Vergangenheit erstrecken.

68

Den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fall-gruppen zu den Ausnahmen vom Verbot echt rückwirkender Gesetze ist sämtlich gemeinsam, dass besondere Umstände ein grundsätzlich berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage erst gar nicht entstehen lassen oder entstandenes Vertrauen wieder zerstören. Die schlichte Auslegungsoffenheit und Auslegungsbedürftigkeit einer Norm und die damit bestehende Unsicherheit über deren Inhalt ist keine solche Besonderheit, die dieses grundsätzlich berechtigte Vertrauen zerstören könnte. Andernfalls könnte sich insbesondere in den Anfangsjahren einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich nie ein schutzwürdiges Vertrauen gegen rückwirkende Änderungen entwickeln, solange sich keine gefestigte Rechtsprechung hierzu herausgebildet hat.

69

Sähe man jede erkennbare Auslegungsproblematik als Entstehungshindernis für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen an, stünde es dem Gesetzgeber weitgehend frei, das geltende Recht immer schon dann rückwirkend zu ändern, wenn es ihm opportun erscheint, etwa weil die Rechtsprechung das geltende Recht in einer Weise auslegt, die nicht seinen Vorstellungen und Erwartungen entspricht. In diesem Fall kann der Gesetzgeber zwar stets die Initiative ergreifen und das geltende Recht für die Zukunft in seinem Sinne ändern, sofern er sich dabei an die Vorgaben des Grundgesetzes hält. Einen "Freibrief" für rückwirkende Gesetzesänderungen verschafft ihm eine schlicht auslegungsbedürftige und insofern unklare Rechtslage hingegen nicht. Eine so weitreichende Befugnis des Gesetzgebers zur Normsetzung mit echter Rückwirkung würde das durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen in die geltende Rechtslage weitgehend entwerten.

70

Außerdem würde eine über besondere Ausnahmefälle hinausgreifende Befugnis des Gesetzgebers zur rückwirkenden Präzisierung von Normen, die sich als auslegungsbedürftig erweisen, die vom Grundgesetz der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltene Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen unterlaufen (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

71

Da sich Auslegungsfragen gerade bei neuen Normen häufig stellen, bestünde die Gefahr, dass auf diese Weise schließlich das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der echten Rückwirkung in dem Sinne in sein Gegenteil verkehrt würde, dass auch sie nicht mehr grundsätzlich unzulässig bliebe, sondern - ebenso wie die unechte Rückwirkung - grundsätzlich zulässig wäre. Ein solches Ergebnis wäre mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

72

(b) Die eine echt rückwirkende gesetzliche Klärung rechtfertigende Unklarheit einer Rechtslage erfordert vielmehr zusätzliche qualifizierende Umstände, die das geltende Recht so verworren erscheinen lassen, dass es keine Grundlage für einen verfassungsrechtlich gesicherten Vertrauensschutz mehr bilden kann. Eine solche Verworrenheit liegt insbesondere dann vor, wenn auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich ist, welche Bedeutung die fragliche Norm haben soll.

73

(c) § 40a Abs. 1 KAGG ließ vor der hier zu prüfenden Einfügung des Satzes 2 verschiedene Auslegungen zu. Das belegen die divergierenden finanzgerichtlichen Entscheidungen zur Auslegung dieser Vorschrift. Die höchstrichterlich nicht geklärte Auslegung im Hinblick auf die Anwendung des im ursprünglichen Wortlaut nicht erwähnten § 8b Abs. 3 KStG a.F. und die insoweit uneinheitliche Rechtsprechung auf der Ebene der Finanzgerichte begründen indes noch keine verworrene Rechtslage. Die Norm war hinsichtlich ihres Verständnisses nach Wortlaut und Regelungsgehalt nicht fragwürdig oder gar unverständlich, sondern klar formuliert. Ihre Auslegungsbedürftigkeit, insbesondere im Hinblick auf die systematische Verknüpfung mit § 8b KStG, hat zu divergierenden, für sich genommen aber jeweils vertretbaren Standpunkten geführt. Eine "Klarstellung" durch ein echt rückwirkendes Gesetz rechtfertigt dies nicht.

74

(2) Das ursprüngliche einfache Recht war auch nicht in einer Weise systemwidrig und unbillig, dass dies die durch § 43 Abs. 18 KAGG angeordnete echte Rückwirkung rechtfertigen könnte.

75

Weder die Auslegung des vorlegenden Finanzgerichts (keine Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) noch die gegenteilige Auslegung des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG (Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) sind von Verfassungs wegen zwingend geboten. Zwar mögen im vorliegenden Zusammenhang systematische und teleologische Aspekte bei der Interpretation des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG gute Gründe für ein von der reinen Wortlautauslegung abweichendes Auslegungsergebnis im Sinne der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. liefern (vgl. Gosch, in: Gosch, KStG, 1. Aufl. 2005, § 8b Rn. 52 und 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 49). Ungeachtet dessen führt auch die Sichtweise des vorlegenden Finanzgerichts nicht zu einem Ergebnis, das in einem Maße systemwidrig und unbillig ist, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>).

76

Den Gesetzesmaterialien zum Korb II-Gesetz lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber Kapitalanlagegesellschaften gegenüber Körperschaften, für die das Körperschaftsteuergesetz unmittelbar gilt, im Hinblick auf die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG privilegieren wollte. Andererseits war das Transparenzprinzip im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften nicht uneingeschränkt verwirklicht; es galt vielmehr nur gemäß der jeweiligen Anordnung des Gesetzgebers (sogenanntes eingeschränktes Transparenzprinzip, vgl. BFHE 130, 287 <289>; 168, 111 <113>; 193, 330 <333 f.>; 229, 351 <357 f.>; vgl. BTDrucks 15/1553, S. 120 zum Transparenzprinzip als Leitidee der Investmentbesteuerung; Engl, Erträge aus Investmentvermögen, 2009, S. 73 ff.; Lübbehüsen, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, 2003, Vor §§ 37n ff. KAGG Rn. 11 ff.; Teichert, Die Besteuerung in- und ausländischer Investmentfonds nach dem Investmentsteuergesetz, 2009, S. 78 ff.).

77

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Investmentsteuerrechts und des dieses prägenden eingeschränkten Transparenzprinzips führt die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht nicht zu einer so systemwidrigen und unbilligen Begünstigung der Kapitalanlagegesellschaften, dass bereits ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Auslegung bestünden. Zwar erscheint systematisch fragwürdig, weshalb - abweichend vom "normalen" neuen Körperschaftsteuersystem - positive Wertentwicklungen nicht der Besteuerung unterliegen, negative Wertentwicklungen hingegen steuerliche Berücksichtigung finden sollten. Immerhin aber wurde durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. (inzwischen Satz 4) eine systemwidrige Begünstigung durch eine Steuerwirksamkeit von Gewinnminderungen und eine Steuerfreistellung der auf die nämlichen Beträge entfallenden Gewinne vermieden. Nach dieser Vorschrift gilt die Veräußerungsgewinnbefreiung nicht, "soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist". § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. war unzweifelhaft schon nach dem Wortlaut von der auf § 8b Abs. 2 KStG zielenden Verweisung in § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfasst. Die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht führt daher nicht dazu, dass Kapitalanlagegesellschaften Gewinnminderungen von Anteilen an Wertpapier-Sondervermögen steuerwirksam berücksichtigen durften, auf die jeweiligen Anteile entfallende Gewinne aber nicht zu versteuern brauchten.

78

Daher kann von einer systemwidrigen Abwälzung der Verluste der Kapitalanlagegesellschaften auf die Allgemeinheit nicht die Rede sein. Eine Ausgestaltung der Besteuerung von Kapitalanlagegesellschaften im Sinne der Auffassung des vorlegenden Gerichts bewegt sich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und ist keinesfalls so unbillig oder systemwidrig, dass ernsthafte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit bestünden.

79

c) Sonstige Gründe, die jenseits der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fallgruppen hier ausnahmsweise eine gesetzliche Regelung mit echter Rückwirkung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Anderes ergibt sich auch nicht aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zum Fremdrentenrecht (BVerfGE 126, 369) und vom 2. Mai 2012 zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz (BVerfGE 131, 20), in denen das Gericht jeweils rückwirkende Gesetzesänderungen als verfassungsgemäß beurteilt hat.

80

In dem Beschluss zum Fremdrentenrecht sah das Gericht, unabhängig von der Frage, ob die in Streit stehende rückwirkende Gesetzesänderung konstitutiv wirkte, das Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage, das durch eine Rechtsprechungsänderung des Bundessozialgerichts in Abweichung von der bis dahin in Rechtspraxis und Rechtsprechung gefestigten Rechtsauffassung herbeigeführt worden war, als von vornherein nicht gerechtfertigt an (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>). Mit dieser Sondersituation ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

81

Entsprechendes gilt für die Entscheidung zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz. Ihr lag ein Fall zugrunde, in dem das Bundesverwaltungsgericht eine gefestigte Rechtspraxis zur Berechnung des Mindestruhegehalts bei Zusammentreffen von beamtenrechtlicher Versorgung und gesetzlicher Rente änderte. Die Korrektur dieser Rechtsprechung durch den Gesetzgeber bewertete das Bundesverfassungsgericht zwar als konstitutive Gesetzesänderung mit zum Teil echter und zum Teil unechter Rückwirkung (vgl. BVerfGE 131, 20 <36 ff.>), stellte aber zugleich fest, dass sich ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen in ein Verständnis der Rechtslage im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts unter den gegebenen Umständen nicht habe entwickeln können (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>). Auch hier bezieht sich die Entscheidung mithin auf eine besondere Situation, der sich der Gesetzgeber angesichts einer kurzfristigen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis dahin gefestigten Rechtspraxis gegenüber sah. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

82

d) Es besteht kein Anlass, für die Fälle, in denen der Gesetzgeber die geltende Rechtslage für die Vergangenheit klarstellen will, von dem im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Vertrauensschutz und dem darin wurzelnden Ausnahmecharakter zulässiger echter Rückwirkung abzuweichen. Eine solche Abweichung wäre es jedoch, wenn dem Wunsch des Gesetzgebers, den "wahren" Inhalt früher gesetzten Rechts nachträglich festzulegen und eine seinen Vorstellungen widersprechende Auslegung auch für die Vergangenheit zu korrigieren, Grenzen nur im Hinblick auf bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren oder bei Rechtslagen gesetzt wären, die keinen ernsthaften Auslegungsspielraum lassen. Damit würde der in der ständigen Rechtsprechung entwickelte besondere Schutz gegen Gesetze mit echter Rückwirkung ebenso preisgegeben wie die Differenzierung zwischen grundsätzlich unzulässiger echter und grundsätzlich zulässiger unechter Rückwirkung.

III.

83

Soweit § 43 Abs. 18 KAGG zur Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den körperschaftsteuerlichen Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 führt, verstößt diese Anwendungsvorschrift gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 BVerfGG).

IV.

84

Die Entscheidung ist im Ergebnis mit 5:3 Stimmen, hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundsätze mit 6:2 Stimmen ergangen.

Abw. Meinung

85

Ich kann der Entscheidung nicht zustimmen. Entgegen ihrem ersten Anschein betrifft die Entscheidung nicht fachrechtliche Spezialprobleme, sondern grundsätzliche Fragen zur Reichweite der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers für unklare, offengebliebene Rechtsfragen der Vergangenheit - hier für steuerrechtliche Abschreibungsmöglichkeiten von Verlusten, die Finanzinstitute insbesondere in Folge der Anschläge des 11. September 2001 erlitten haben. Unter Berufung auf das Rückwirkungsverbot untersagt der Senat dem Gesetzgeber eine Klarstellung, dass diese Verluste nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden dürfen.

86

Damit verändert er der Sache nach das Fundament der Rückwirkungsrechtsprechung. Der Senat entzieht ihr - nicht dem Selbstverständnis nach, doch in Ergebnis und Begründung - die im Vertrauensschutz liegenden Wurzeln und ersetzt sie durch abstrakte, in der Sache fehlgeleitete Vorstellungen der Gewaltenteilung. An die Stelle des Schutzes subjektiver Freiheit tritt die Absicherung eines objektiv-rechtlichen Reservats der Fachgerichtsbarkeit. Der Verlierer ist das Parlament: In Umwertung der bisherigen Rechtsprechung wird ihm die rückwirkende Klarstellung ungeklärter Rechtsfragen nun nicht erst bei einem entgegenstehenden Vertrauen der Bürger, sondern grundsätzlich abgeschnitten. Die Übernahme von politischer Verantwortung wird ihm so für Altfälle schon prinzipiell aus der Hand geschlagen. Hierin liegt eine gravierende Störung der Balance zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

I.

87

Der Senat hebt die angegriffene Vorschrift wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot auf, obwohl er selbst der Auffassung ist, dass die ursprüngliche Rechtslage dem Beschwerdeführer keinerlei Vertrauen vermittelt hat, das durch die Gesetzesänderung enttäuscht würde. Damit entzieht er dem Rückwirkungsverbot sein auf subjektive Freiheitssicherung ausgerichtetes Fundament.

88

1. Gegenstand der in Frage stehenden Normen ist die Frage, ob Kapitalgesellschaften - in der Praxis insbesondere Banken - berechtigt sind, Wertverluste ihrer Anteile an Investmentfonds für die Jahre 2001 und 2002 steuerlich gewinnmindernd geltend zu machen, während das Gesetz Gewinne grundsätzlich steuerfrei stellt. Der Senat selbst ist der Auffassung, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu keiner Zeit ein berechtigtes Vertrauen dahin hatte, Teilwertabschreibungen für diese Zeit gewinnmindernd geltend machen zu können. Er hält die ursprüngliche Rechtslage diesbezüglich zu Recht für ungeklärt und erkennt an, dass sie sich sowohl subjektiv als auch bei verobjektivierter Betrachtung für die betroffenen Banken als offen darstellte. Dennoch ist er der Ansicht, dass der Gesetzgeber dies für die noch offenen Altfälle nicht rückwirkend klären durfte. Es sei Aufgabe der Fachgerichte, über diese Fälle zu entscheiden.

89

Mit dieser Argumentation wird die Fundierung des Rückwirkungsverbots im Vertrauensschutz der Sache nach aufgegeben: Der Senat geht ausdrücklich davon aus, dass die Fachgerichte für die hier in Rede stehenden Fälle in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis kommen können, dass der alte § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auch unabhängig von der gesetzlichen Klarstellung in § 43 Abs. 18 KAGG sachgerecht so auszulegen ist, dass die von der Klägerin geltend gemachten Teilwertabschreibungen nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können. Diese Frage dürfe rückwirkend aber nicht der Gesetzgeber klären; die Klärung sei allein den Fachgerichten vorbehalten. Dem Gesetzgeber wird so eine Regelung verboten, die die Gerichte durch Auslegung ohne weiteres herbeiführen dürfen. Obwohl die alte Rechtslage kein Vertrauen der Bürger begründete, in Blick auf insoweit vorhersehbare Rechtsfolgen Dispositionen zu treffen, soll der Gesetzgeber an einer Klärung dennoch durch das - aus dem Vertrauensschutz hergeleitete - Rückwirkungsverbot gehindert sein. Die Instrumente des Vertrauensschutzes werden ihm so für die Anordnung von Rechtsfolgen entgegengehalten, mit denen die Betroffenen auch nach dem alten Recht schon rechnen mussten und weiterhin rechnen müssen.

90

2. Wenn hier überhaupt noch eine Brücke zu irgendeiner Form von Vertrauen auszumachen ist, so kann diese allenfalls in dem abstrakten Vertrauen auf die Gültigkeit einer inhaltsoffenen Norm gesucht werden - und damit auf eine Streit-entscheidung der politisch offen gebliebenen Frage durch die Fachgerichte. Geschützt wird durch die Entscheidung des Senats das Vertrauen in die Chance einer für die Betreffenden günstigen Rechtsprechung. Gerade dies aber zeigt, wie weit sich der Senat von dem ursprünglichen Anliegen der Rückwirkungsrechtsprechung entfernt. Das Rückwirkungsverbot sichert nicht mehr das Vertrauen in eine berechenbare Rechtsordnung, damit der Einzelne sein Verhalten im Blick auf vorhersehbare Rechtsfolgen selbstbestimmt ausrichten kann, sondern lediglich die Chance, dass die Rechtsprechung möglicherweise zu einer vorteilhafteren Klarstellung der ungeklärten Position führt als eine demokratisch-politische Entscheidung des Parlaments. Galt die Rückwirkungsrechtsprechung zunächst dem Schutz des Vertrauens zur Sicherung individueller Freiheitswahrnehmung, so gilt sie nun der Absicherung eines kompetentiellen Vorbehaltsbereichs der Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber. Aus dem Schutz subjektiver Freiheit wird die Durchsetzung objektiver Gewaltenteilungsvorstellungen und hierbei eines Reservats der Rechtsprechung.

II.

91

Das damit vom Senat zur Geltung gebrachte Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung lässt sich aus der Ordnung des Grundgesetzes nicht herleiten. Es drängt den Gesetzgeber unberechtigt aus seiner Verantwortung.

92

1. Durch die Ablösung des Rückwirkungsverbots von dem Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage wird es für die Fälle der echten Rückwirkung im Ergebnis zu einem apriorischen Prinzip der Gewaltenteilung verselbständigt, das seinen Sinn darin hat, die rückwirkende Einmischung des Gesetzgebers in offene, noch ungeklärte Rechtsfragen schon prinzipiell auszuschalten. Statt einer politischen Entscheidung durch das Parlament soll grundsätzlich nur noch eine entpolitisierte Entscheidung durch die Justiz möglich sein.

93

a) Dies überzeugt schon vom Grundverständnis nicht. Ausgehend von dem aus dem Demokratieprinzip folgenden legislativen Zugriffsrecht des Parlaments kann sich der Gesetzgeber aller drängenden Fragen des Gemeinwesens annehmen. Zu entscheiden, was Recht sein soll, ist im demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür gewählt wird und sich in einem politischen Prozess vor der Öffentlichkeit verantworten muss. Dies betrifft grundsätzlich auch die Entscheidung über Probleme, die in der Vergangenheit wurzeln, oder die Klärung von Streitfragen, die offengeblieben und lösungsbedürftig sind. Dass diese demokratische Verantwortung von vornherein auf die Zukunft beschränkt wäre, ist durch nichts begründet und lässt sich insbesondere auch der bisherigen Rechtsprechung nicht entnehmen. Insbesondere lassen sich hierfür nicht die Vorstellung eines je begrenzten historischen Legitimationskontextes und die eigene Dignität des je auf Zeit gewählten Gesetzgebers anführen. Denn auch mit solchen rückwirkenden Regelungen geht es um die Bewältigung von Problemen, die in der Vergangenheit gerade nicht inhaltlich sachhaltig bewältigt wurden und nun - offen und lösungsbedürftig - in die Gegenwart und Zukunft hineinwirken.

94

In der Tat freilich ist der Gesetzgeber in seiner Gestaltungsbefugnis rechtsstaatlich begrenzt und diese rechtsstaatlichen Grenzen können bei Gesetzen, die in die Vergangenheit hineinwirken, schneller berührt sein als bei anderen. So kann der Gesetzgeber selbstverständlich nicht ohne weiteres nachträglich in bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren eingreifen oder für abgeschlossene Zeiträume ein Verhalten neu bewerten und mit Sanktionen belegen, mit denen die Betreffenden nicht rechnen mussten. Insbesondere die Grundrechte und die aus ihnen folgende Freiheitsvermutung setzen hier vielfach Grenzen. Dies ist der zutreffende Kern der Rückwirkungsrechtsprechung. Solche Einschrän-kungen des Gesetzgebers müssen sich aber jeweils mit einem spezifischen Schutzbedürfnis der Betroffenen begründen lassen. Sie ergeben sich nicht schon generell aus einer abstrakten Grenze der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Es gibt keinen Grund, warum der Gesetzgeber umstrittene und unklare Rechtsfragen nicht auch für offene Altfälle regeln können soll, solange dadurch berechtigtes Vertrauen nicht enttäuscht wird. Dass der Gesetzgeber bei Gesetzen, die in die Vergangenheit wirken, die zutage getretenen Interessenkonflikte möglicherweise konkreter vor Augen hat als bei zukunftsgerichteten Gesetzen, macht eine Klärung durch den Gesetzgeber nicht unzulässig. Gesetzgebung beschränkt sich im modernen Staat grundsätzlich nicht auf die Vorgabe situationsblinder Regelungen für die Zukunft, sondern hat fast immer einen konkreten Interessenausgleich zu ihrem Gegenstand.

95

b) Aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten spricht vielmehr umgekehrt alles dafür, in ungeklärten Rechtslagen die rückwirkende Klarstellung offener und umstrittener Fragen auch durch den Gesetzgeber grundsätzlich für zulässig zu halten. Wenn sich in der Anwendungspraxis eines Gesetzes herausstellt, dass wichtige Fragen von allgemeiner Bedeutung offengeblieben oder Regelungen unklar oder missverständlich formuliert sind, gehört es zur Aufgabe der Volksvertretung, dass sie in politisch-demokratischer Verantwortung gesetzlich klarstellen kann, wie diese Fragen in den noch offenen Verfahren zu beantworten sind. Die Vorstellung, der Gesetzgeber habe nur einen Versuch frei, dürfe dann aber auf die im Laufe der Zeit aufkommenden Probleme bis zu einer Neuregelung pro futuro keinen klärenden Zugriff mehr nehmen, hat in den Legitimationsgrundlagen unserer Verfassungsordnung kein Fundament. Insbesondere lässt sich dies nicht mit Vorstellungen zeitlich segmentierter Legitimationszusammenhänge begründen. Denn der alte Gesetzgeber hatte hier die entsprechenden Fragen gerade nicht geklärt. Dies wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber, wie vorliegend, nur das festschreiben will, was seiner Ansicht nach - mehr als nachvollziehbar (siehe unten IV.) - ohnehin auch mit der alten Regelung intendiert war.

96

2. Die vom Senat geschaffene Abgrenzung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung ist auch funktional nicht einleuchtend.

97

a) Angesichts der immer komplexer werdenden Anforderungen an die Gesetzgebung in einer hochdifferenzierten und sektoral wie international vielfältig vernetzten Welt kann nicht ernsthaft erwartet werden, dass alle Auswirkungen eines Gesetzgebungsvorhabens stets verlässlich von vornherein überschaut werden können. Normen können im Interessengeflecht der zahlreichen Anwender und Betroffenen Missverständnisse, Zweifelsfragen oder sinnwidrige Praktiken hervorrufen, die nicht vorhersehbar sind. Auch muss damit gerechnet werden, dass dabei dem Gesetzgeber Ungenauigkeiten oder Fehler unterlaufen. Gerade eine Gesetzesreform, wie sie den hier streitigen Normen zugrunde liegt, macht das besonders deutlich. Der Gesetzgeber hatte damals die Herkulesaufgabe auf sich genommen, das gesamte Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren umzustellen und damit die Besteuerung fast aller bedeutsamen Unternehmen - mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Konzernstrukturen ebenso wie auf internationale Zusammenhänge - auf grundlegend neue Füße zu stellen. Die hier in Frage stehenden Normen bildeten dabei nur einen ganz kleinen, untergeordneten Aspekt. Dass im Rahmen eines solchen Vorhabens nicht sofort alle Fragen eine klare, durchdachte und unmissverständliche Lösung erfahren, liegt auf der Hand - und davon mussten alle Betroffenen ausgehen.

98

b) Nach Ansicht des Senats sind alle insoweit aufkommenden Probleme bis auf Widerruf für die Zukunft grundsätzlich allein durch die Gerichte zu klären. Zwar dürfe der Gesetzgeber aufkommende Unklarheiten pro futuro neu regeln, jedoch seien gesetzliche Unzuträglichkeiten und Streitfragen, die unter einer gegebenen Rechtslage entstehen, - bis auf extreme Ausnahmen (siehe unten IV. 3) - ausschließlich von den Gerichten zu bewältigen.

99

Dies ist schon im Blick auf die den Gerichten im gewaltenteiligen Verfassungsstaat zugewiesene Aufgabe nicht überzeugend: Während diese angesichts unklarer Rechtslagen nach dem vom Gesetzgeber gemeinten Sinn zu suchen haben und sich, wenn es hieran fehlt, letztlich unter Umständen zu demokratisch nicht angeleiteten Setzungen eigener Gerechtigkeitsvorstellungen genötigt sehen, wird dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen, eine solche Klarstellung zur Entlastung der Gerichte vorzunehmen.

100

Ein solcher Ansatz leuchtet auch hinsichtlich der praktischen Konsequenzen nicht ein. Während eine rückwirkende Klarstellung durch den Gesetzgeber mit einem Schlag unmittelbar alle offenen Streitfälle einheitlich für Zukunft und Vergangenheit lösen und Rechtssicherheit schaffen kann, müssen als Folge der Entscheidung des Senats stattdessen alle vor der Gesetzesänderung angefallenen Fälle vor Gericht durch die Instanzen prozessiert werden. Das kann Jahre dauern, die Gerichte mit vielen Verfahren belasten, für die Betroffenen hohe Kosten mit sich bringen und für lange Zeit Rechtszersplitterung und Verunsicherung zur Folge haben. Die vom Senat aus der Taufe gehobene Chance des Bürgers auf eine für ihn vorteilhafte Entscheidung durch die Rechtsprechung, ist damit nicht nur Chance, sondern auch erhebliche Bürde - nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für die Betroffenen selbst.

III.

101

In der Entscheidung liegt damit zugleich eine tiefgreifende Wende der Rückwirkungsrechtsprechung und ein Bruch mit den diesbezüglichen bisherigen Wertungen.

102

Allerdings knüpft der Senat an Obersätze an, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommen sind: Die grundsätzliche Unzulässigkeit der echten Rückwirkung entspricht ständiger - und in ihrem bisherigen Kontext auch zutreffender - Rechtsprechung. Wie die zahlreichen Zitatketten aus der Rechtsprechung zeigen, ist der Senat dabei von dem Anliegen getragen, diese lediglich stimmig weiterzuentwickeln. Dies gelingt jedoch überzeugend nicht. Denn er löst dabei die Obersätze von ihrer bisherigen Einbindung an die Grundsätze des Vertrauensschutzes ab und verselbständigt sie zu für sich stehenden abstrakten Regeln. Dies gibt ihnen eine neue Bedeutung, die wesentlich strenger ist und mit den Wertungen der bisherigen Entscheidungen des Gerichts bricht.

103

1. a) Mit der Nichtigkeitserklärung von Gesetzen wegen Verstoßes gegen das Verbot echter Rückwirkung war das Bundesverfassungsgericht bisher zurückhaltend. In der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts finden sich hierfür nur zwei Fälle und diese liegen lange zurück (vgl. BVerfGE 18, 429; 30, 272). Die Dogmatik hat sich seither naturgemäß weiterentwickelt und die Begründungen würden heute vielleicht differenzierter ausfallen. Im entscheidenden Punkt besteht jedoch Klarheit: In beiden Fällen stellte das Gericht ausdrücklich auf eine konkret vertrauensbegründende Rechtslage ab.

104

So begründete das Gericht in der ersten Entscheidung vom 31. März 1965 die Verfassungswidrigkeit der dort streitbefangenen Norm maßgeblich damit, dass die vom Gesetzgeber rückwirkend geänderte Rechtslage zwar zunächst von einigen Untergerichten verkannt, dann aber zugunsten der betroffenen Bürger vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt war und diese Klärung sich zutreffend auf Grundsätze stützte, die "allgemeiner, in Rechtsprechung und Literatur einmütig vertretener Auffassung" entsprächen (vgl. BVerfGE 18, 429 <437>). Die Rechtslage sei nicht unklar, sondern "völlig klar" gewesen. Demgegenüber habe der Gesetzgeber versucht, die Rechtsprechung "gleichsam für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen" (a.a.O. S. 439). Auch vom Sachverhalt her ging es um eine Konstellation, die der Frage des Vertrauensschutzes wesentlich näher stand, nämlich um Regressforderungen des Staates für in der Vergangenheit über acht Jahre gezahlte Unterhaltsleistungen an ein Kind, von denen der unerwartet in Anspruch genommene Bürger bis dahin nichts wusste.

105

In der zweiten Entscheidung vom 10. März 1971 ging es um einen nachträglich für vorangehende steuerliche Veranlagungszeiträume vom Gesetzgeber eingeführten Progressionsvorbehalt, für den bis dahin unstreitig keinerlei Rechtsgrundlage bestand und der dazu führte, dass rückwirkend die Steuern höher ausfielen als nach der ursprünglichen Rechtslage. Das Gericht stellte hier darauf ab, dass das Vertrauen der Betroffenen enttäuscht werde, weil der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere Folgen anknüpfe als "diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte" (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>). Die Rechtslage sei nicht unklar gewesen und die Betroffenen hätten mit einer solchen Regelung nicht rechnen müssen (BVerfGE 30, 272 <285 f.>).

106

b) Erst recht stellte das Bundesverfassungsgericht auf die Enttäuschung eines durch die ursprüngliche Rechtslage spezifisch begründeten Vertrauens in den Fällen ab, in denen es Gesetze mit unechter Rückwirkung für verfassungswidrig befand. Da eine unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig ist und nur bei Vorliegen besonderer Vertrauenstatbestände zur Verfassungswidrigkeit führt, bedurfte es hier schon vom Ausgangspunkt her des Nachweises eines spezifischen Vertrauens (so zum Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Ausstellung eines Flüchtlingsausweises BVerfGE 59, 128 <164 ff.>; in die bisher erlaubte Widerrufbarkeit freiwillig gewährter Vorsorgeleistungen BVerfGE 74, 129 <155 ff.>; in die Fortdauer der Besteuerungsregelungen von Abfindungsvereinbarungen BVerfGE 127, 31 <49 ff.>). Nichts anderes gilt dabei für die insoweit besonders gelagerten, der echten Rückwirkung angenäherten Fälle, in denen für einen noch nicht abgelaufenen steuerlichen Veranlagungszeitraum rückwirkende Änderungen in Frage standen und für verfassungswidrig erklärt wurden (vgl. BVerfGE 72, 200; 127, 1; 127, 61; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, NJW 2013, S. 145 ff.). Dort mag man bei formaler Betrachtung zwar eine gewisse Relativierung des Vertrauenskriteriums sehen, da der Einzelne für den Veranlagungszeitraum einfachrechtlich mit einer rückwirkenden Änderung der Vorschriften stets rechnen müssen soll; tatsächlich verbindet die Rechtsprechung, indem sie dies teilweise für nicht hinnehmbar hält, die Rückwirkungslehre für diese Konstellation in spezifischer Weise mit dem eigenständigen Schutzaspekt der Rechtssicherheit. Auch dort aber bestand - ohne dass diese Entscheidungen hier in allen Aspekten zu würdigen wären - zunächst jedenfalls immer eine klare Rechtslage, die als solche geeignet war, Vertrauen für Dispositionen zu begründen und die durch den Gesetzgeber dann rückwirkend geändert wurde. Der Schutz konkreten Vertrauens ist auch hier der Kern der Rechtsprechung.

107

Weitere Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht Gesetze wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot aufgehoben hat, finden sich nicht. Insbesondere gibt es keinen Fall, in dem die Klarstellung einer unsicheren Rechtslage, die kein Vertrauen begründen konnte, für verfassungswidrig erklärt wurde.

108

2. Der Bruch mit den Wertungen der bisherigen Rechtsprechung wird um so deutlicher, wenn man umgekehrt die Fälle betrachtet, in denen das Bundesverfassungsgericht rückwirkende Gesetze zur Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat. Es reicht dabei auf die Fälle einzugehen, in denen der Gesetzgeber in Reaktion auf unvorhergesehene Entwicklungen bei der Anwendung die bisherige Rechtslage lediglich bekräftigen wollte und die Klarstellung deshalb als "authentische Interpretation" verstand. Es zeigt sich dabei, dass der Senat mit der vorliegenden Entscheidung auch in der materiellen Bewertung wesentlich strengere Maßstäbe anlegt als die Rechtsprechung bisher.

109

a) In der Tat allerdings hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden, dass eine eigene Befugnis des Gesetzgebers zur "authentischen Interpretation" nicht anzuerkennen ist. Die Auslegung unklarer Rechtsnormen sei grundsätzlich Sache der Gerichte (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37 ff.>; ähnlich bereits BVerfGE 111, 54 <107>). Auch diese Aussage blieb aber bisher stets in den Kontext des Vertrauensschutzes eingebunden. Sie wendet sich lediglich dagegen, die Berufung auf eine "authentische Interpretation" als eigenständigen Titel zur Rechtfertigung rückwirkender Gesetze anzuerkennen. Mit ihr sollte auf die allgemeinen - und damit vertrauensschutzbezogenen - Rückwirkungsgrundsätze verwiesen werden. Ausdrücklich hielt der Senat deshalb fest: "Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung" (BVerfGE 126, 369 <392>).

110

b) Dementsprechend wurde nach bisheriger Rechtsprechung in allen Fällen, in denen eine vertrauensbegründende Rechtslage nicht gegeben war, die rückwirkende Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen.

111

Dies gilt naturgemäß zunächst für den ersten hier zu nennenden Fall vom 23. Februar 1960, da das Gericht damals von einer lediglich "deklaratorischen Bedeutung" der gesetzlichen Klarstellung ausging (vgl. BVerfGE 10, 332 <340>). Man mag in jenem Fall nur eine geringe Parallele sehen, da der Senat hier anders als dort gerade nicht von einem lediglich deklaratorischen Gesetz ausgeht. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass auch damals die Rechtslage objektiv keinesfalls so klar war, wie die verfassungsgerichtliche Beurteilung des Gesetzes als "deklaratorisch" vermuten lässt: Die Frage, die der Gesetzgeber rückwirkend änderte, war damals vielmehr durchaus umstritten und noch das vorlegende Gericht war der Auffassung, dass das Gesetz die Rechtslage verändert habe. Nach den heute vom Senat zugrunde gelegten, differenzierteren Kriterien, wäre deshalb wohl äußerst zweifelhaft, ob damals tatsächlich von einer bloß deklaratorischen Rechtsänderung die Rede sein konnte. Dennoch erkannte man damals nicht auf eine verfassungsrechtlich verbürgte Chance, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, sondern sah es als Befugnis des Gesetzgebers an, diese Frage selbst rückwirkend klarzustellen.

112

Ebenso wurde eine rückwirkende Klärung in der Entscheidung zur Angestelltenversicherung vom 17. Januar 1979 als unbedenklich angesehen. Der Senat ließ dort ausdrücklich offen, ob die Gesetzesänderung deklaratorischen oder konstitutiven Charakter hatte. Es reichte ihm hier die Feststellung, dass "die ursprüngliche Norm … von vornherein Anlass zu zahlreichen Auslegungsproblemen gegeben" habe, "deren Lösung nicht allein aus dem Wortlaut, sondern nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung möglich war" (BVerfGE 50, 177 <194>). Der Bürger habe sich auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein deshalb nicht verlassen dürfen. Von den gesteigerten Anforderungen des Senats an eine besonders verworrene Rechtslage, die nur ausnahmsweise eine rückwirkende Klarstellung erlaube, ist hier nichts ersichtlich.

113

Besonders deutlich wird die Bewertungsverschiebung der Senatsmehrheit schließlich in Kontrast zu den beiden jüngeren Entscheidungen zur authentischen Auslegung. Im Fremdrentenbeschluss vom 21. Juli 2010 nahm der Senat sogar eine rückwirkende gesetzliche Klarstellung hin, die sich zu Lasten der Betroffenen über eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung hinwegsetzte. Das Vertrauen der betroffenen Rentner, unter leichteren Bedingungen eine Rente zu erhalten, war dort jedenfalls wesentlich gehaltvoller unterlegt als vorliegend das Vertrauen der Banken, ihre Verluste steuerlich geltend machen zu können: Das dort streitige Gesetz nahm den Betroffenen ganz erhebliche Aussichten, ihre Ansprüche im Prozesswege durchzusetzen. Als es in Kraft trat, hatte das Bundessozialgericht gerade in ihrem Sinne entschieden. Dennoch reichte dies dem Senat nicht, um dem Gesetzgeber eine rückwirkende Klarstellung zu untersagen. Von einem Reservat der Rechtsprechung, unklare Rechtslagen selbst aufzulösen, war hier nicht die Rede. Vielmehr stellte der Senat konsequent auf die Frage des Vertrauensschutzes ab: Selbst eine höchstrichterliche Klärung reiche nicht in jedem Fall, ein Vertrauen in die entsprechende Rechtslage zu begründen (vgl. BVerfGE 126, 369 <394 ff.>).

114

Nicht anders lag es bei der Entscheidung des Senats vom 2. Mai 2012 zur Beamtenversorgung. Auch dort setzte sich der Gesetzgeber über eine letztinstanzliche Auslegung eines Bundesgerichts - in concreto des Bundesverwaltungsgerichts - hinweg und führte damit für die Betroffenen rückwirkend eine ungünstigere Versorgungsregelung herbei. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dies. Wiederum wurde als maßgebliches Kriterium das Vertrauen in die geltende Rechtslage zugrunde gelegt. Nur wenn die Rechtslage generell geeignet sei, ein Vertrauen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, sei ein solches Vertrauen berechtigt (vgl. BVerfGE 131, 20 <41>). Selbst höchstrichterliche Entscheidungen würden ein solches Vertrauen nicht automatisch begründen. Es bedürfe insoweit vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände wie etwa einer langjährigen gefestigten Rechtsprechung. Die erhebliche Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Literatur und Praxis habe dazu geführt, dass Vertrauen in die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts nicht habe erwachsen können und der Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Klarstellung befugt sei (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>).

115

c) Vergleicht man all diese Fälle mit der vorliegenden Konstellation, in der die Rechtslage sogar noch höchstrichterlich ungeklärt, zwischen Literatur und Fachgerichtsbarkeit vielfältig umstritten und damit insgesamt in jeder Hinsicht als offen bezeichnet werden kann, wird offensichtlich, dass ein Vertrauensschutz im vorliegenden Verfahren nach den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung nicht ansatzweise begründet ist. Auch vom Gegenstand her gibt es keinen Grund, warum das Vertrauen von Banken in die teilweise Abwälzbarkeit ihrer Verluste auf die Allgemeinheit weitergehend geschützt sein soll als das Vertrauen von Rentnern oder Beamten in eine für sie günstige Berechnung ihrer Bezüge. Der Senat vollzieht mit dieser Entscheidung vielmehr eine grundlegende Umwertung der bisherigen Maßstäbe.

116

3. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein konsequentes Abstellen auf das Vertrauenskriterium den Grundsatz des Verbots echt rückwirkender Gesetze letztlich schon als solchen hinfällig werden ließe und damit seinerseits die Schutzstandards der Rechtsprechung preisgebe.

117

Dass diese Schutzstandards jedenfalls bisher nicht in der nun vom Senat zugrunde gelegten Strenge praktiziert wurden und das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender Gesetze, auch mittels der von der Rechtsprechung zugleich entwickelten Ausnahmemöglichkeiten, letztlich zu einer maßgeblichen Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten führte, hat die Durchsicht der Rechtsprechung deutlich gemacht. Die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung wurde in ihr weniger als kategoriale denn als heuristische Unterscheidung verstanden - was sich mit dieser Entscheidung ändert.

118

Durch ein konsequentes Abstellen auf den Vertrauensschutz wird dem Gesetzgeber aber auch für die Zukunft kein Weg eröffnet, der es ihm erlaubte, angesichts der generellen Auslegungsbedürftigkeit des Rechts praktisch beliebig Klärungsbedarf geltend zu machen und damit gesetzliche Entscheidungen ohne weiteres nachträglich umzudrehen. Zwar ist Recht im Einzelfall meistens auslegungsbedürftig. Jedoch lässt sich aus solch abstrakter Aussage nicht herleiten, dass gesetzliche Grundentscheidungen und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Be-stimmungen in aller Regel unbegrenzt auslegungsoffen sind. Man wird kaum davon ausgehen müssen, dass unsere Rechtsordnung schon grundsätzlich nicht in der Lage ist, konkretes Vertrauen in bestimmte Rechtsfolgen zu begründen oder Grundlagen zu schaffen, auf die sich Dispositionen stützen lassen. In allen Fällen jedoch, in denen die Rechtsordnung ein solches Vertrauen begründet - und hierüber zu entscheiden ist gegebenenfalls Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts - gilt der Grundsatz des Verbots echter Rückwirkung zu Recht. Schon die grundrechtlichen Freiheitsvermutungen führen insoweit dazu, dass das Rückwirkungsverbot nicht wirkungslos ist. Im Übrigen lässt sich auch aus dem Fallmaterial des Bundesverfassungsgerichts ersehen, dass der Erlass rückwirkender Gesetze keinesfalls in aller Regel oder auch nur einer Großzahl von Fällen als Klarstellung ungeklärter Auslegungsfragen gerechtfertigt werden könnte. Das Vertrauenskriterium erodiert nicht die bisherige Rechtsprechung, sondern ist vielmehr ihre maßgebliche Grundlage.

IV.

119

Die streitbefangenen Normen geben auch sachlich keinen Anlass, hier von einem Vertrauen der klagenden Banken in die steuerrechtliche Berücksichtigung ihrer Verluste auszugehen. Dass eine solche Berücksichtigung mit der alten Regelung des § 40a Abs. 1 KAGG nie intendiert war, ist bei sachgerechter Auslegung jedenfalls naheliegend. Ganz unzweifelhaft ist jedenfalls, dass die Kläger mit einer solchen Auslegung rechnen mussten und auf ein entgegenstehendes Verständnis keine Dispositionen stützen konnten.

120

1. Ein Vertrauen lässt sich insoweit jedenfalls nicht einfach hin auf den Wortlaut stützen. Die Auslegung einer solchen Bestimmung bedarf einer verständigen Würdigung in ihrem Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung auch von Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck.

121

Zwar verweist der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. ausdrücklich nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., der die steuerliche Nichtberücksichtigung der Gewinne anordnet, nicht aber auch auf dessen Abs. 3, der die Nichtberücksichtigung der Verluste regelt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass dieser Verweis möglicherweise doch weiter zu verstehen ist. Gerade in komplexen Materien wie dem Steuerrecht, in denen nicht jeder Fall vom Gesetzgeber vorgedacht werden kann, ist es Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit, die Normen nicht in einer punktuell beziehungslosen Wortlautauslegung zu exekutieren, sondern sie aus ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Systematik und den gesetzgeberischen Leitideen heraus zu interpretieren, mit Sinn zu füllen und rechtsfortbildend weiter zu entwickeln. Die strengen Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG, die für den besonderen Bereich des Strafrechts im Zweifel alle Unklarheiten zugunsten des Bürgers durchschlagen lassen, gelten hier nicht. Die Rechtsprechung hat vielmehr den im Gesetz angelegten Ausgleich von privaten und öffentlichen Interessen in einer beiden Seiten gerecht werdenden Weise fort zudenken und ihm Gestalt zu geben. Insofern steht der Wortlaut einer Auslegung, die bei verständiger Würdigung aller Gesichtspunkte schon in der ursprünglichen Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG einen impliziten Verweis nicht nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., sondern auch auf Abs. 3 KStG a.F. sieht, nicht entgegen. Eine solche Auslegung kommt auch nicht erst dann in Betracht, wenn sich anders unerträgliche Wertungswidersprüche auftun. Maßgeblich ist vielmehr, welches Verständnis sich nach Maßgabe der allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden als das in der Sache überzeugendste und dem mutmaßlichen Willen des damaligen Gesetzgebers am nächsten kommende erweist.

122

2. Hiervon ausgehend musste auch für die alte Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG damit gerechnet werden, dass diese in der Rechtspraxis so verstanden wird, wie der Gesetzgeber dies später klarstellend angeordnet hat. Eine solche Auslegung war auch damals zumindest naheliegend.

123

a) Die Einfügung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfolgte im Gesamtzusammenhang mit der Umstellung des Körperschaftsteuerrechts vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Man wollte dabei auch die Investmentfonds möglichst systemgerecht in die neue Ordnung einbeziehen. Ausgehend von der Grundidee des § 8b KStG a.F. und in Verbindung mit dem für die Investmentfonds leitenden Transparenzprinzip liegt es insoweit nahe, dass hier Veräußerungsgewinne und -verluste ebenso wie Teilwertab- und -zuschreibungen möglichst systemgerecht, und das heißt gleichförmig und symmetrisch, in das Körperschaftsteuerrecht integriert werden sollten.

124

Der Gesetzgeber hat in den Materialien keinerlei Erklärung erkennen lassen, warum hier unter Abweichung von der Grundkonzeption des § 8b KStG a.F. nur dessen Abs. 2 anwendbar sein soll. Die Erläuterungen weisen die Einführung der §§ 38 ff. KAGG lediglich als Konsequenz der Gesetzesreform aus (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132) und erläutern die spätere Einfügung des § 40a KAGG a.F. nur in einzelnen technischen Aspekten (vgl. BTDrucks 14/3366, S. 126). Hiervon ausgehend spricht wenig dafür, dass mit der Regelung systemwidrig eine Abweichung vom Transparenzprinzip statuiert werden sollte. Zwar darf der Rückgriff auf das Transparenzprinzip in der Tat nicht genutzt werden, um mit systematischen Erwägungen anderweitige Entscheidungen des Gesetzgebers zu überspielen. Das Transparenzprinzip gilt nur insoweit, als der Gesetzgeber hierauf rekurriert (vgl. BFHE 130, 287 <289>; 229, 351 <357>; Schnitger/Schachinger, BB 2007, S. 801). Wenn aber der Gesetzgeber durch nichts zu erkennen gibt, dass ihn irgendwelche Sachgründe angeleitet haben, hier zu anderen Regeln zu greifen, spricht schon dies dafür, hierin eher ein Redaktionsversehen zu sehen als eine bewusste anderweitige Entscheidung.

125

Ein Indiz für ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen lässt sich bei genetischer Auslegung im Übrigen auch daraus herleiten, dass § 8b Abs. 2 KStG a.F. nach dem ursprünglichen Stand des Gesetzentwurfs zunächst ausschließlich auf Gewinne im engeren Sinne Anwendung finden sollte, während § 8b Abs. 3 KStG a.F. sowohl Teilwertabschreibungen als auch Veräußerungsverluste erfasste. Ebenso spricht für die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten die Spezialregelung des § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG a.F., wonach die Absätze 1 bis 6 nicht auf Anteile anzuwenden sind, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 1 Abs. 12 des Kreditwesengesetzes a.F. dem Handelsbuch zuzurechnen sind. Damit steht zugleich fest, dass bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten keine Differenzierung dahingehend erfolgt, dass Gewinnminderungen steuerwirksam bleiben, während Veräußerungsgewinne steuerfrei gestellt sind.

126

b) Auch in der Sache ist wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber Gewinne aus Anteilen an Investmentfonds von Steuern freistellen wollte, hiermit verbundene Verluste aber steuermindernd anerkennen wollte. Ein Hinweis darauf, dass eine solche steuerliche Form der Privatisierung von Gewinnen bei gleichzeitiger Sozialisierung der Verluste gewollt war, ist nicht ersichtlich, und Sachgründe hierfür sind nicht erkennbar. Allerdings weist das vorlegende Gericht zu Recht darauf, dass für die im konkreten Fall in Frage stehenden Teilwertabschreibungen der Wertungswiderspruch durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. ein Stück weit abgemildert wird. Diese Vorschrift führt dazu, dass Gewinne und Verluste so miteinander verrechnet werden, dass jedenfalls eine doppelte Begünstigung verhindert wird, die dadurch entstehen könnte, dass in einem Jahr erzielte Gewinne steuerfrei bleiben, entsprechende Verluste im nächsten Jahr aber steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Dennoch ändert dies nichts an der bei wörtlicher Anwendung der Norm verbleibenden Asymmetrie, dass im Gesamtergebnis die bei Veräußerung erzielten Gewinne steuerfrei sind, während Verluste zu Lasten der Allgemeinheit steuerlich in Ansatz gebracht werden können. Der Verweis auf § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. führt zu einer Verrechnung nur bezogen auf den jeweiligen Anteil und hilft bei den nur einmalig anfallenden Veräußerungsgewinnen und -verlusten generell nicht. Die Diskrepanz zwischen der steuerlichen Relevanz von Verlusten und Gewinnen kommt hier voll zur Geltung, ohne dass hierfür irgendeine Rechtfertigung ersichtlich wäre. Als fernliegend erscheint es dabei, die Bedeutung des Verweises auf § 8b Abs. 2 KStG a.F. für Teilwertab- und -zuschreibungen anders zu interpretieren als für die Veräußerungsgewinne und -verluste.

127

All diese Verkomplizierungen lösen sich auf, wenn man systematisch folgerichtig § 40a Abs. 1 KAGG a.F. von vornherein so versteht, dass er schon immer nicht nur auf Abs. 2, sondern auch auf Abs. 3 verwiesen hat - wie ja im Übrigen auch unstreitig ist, dass der gleichfalls nicht vom Wortlaut umfasste Abs. 4 anwendbar ist.

128

c) Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Frage abschließend zu klären. Dies wird - in Folge der Mehrheitsmeinung im Senat - nun Aufgabe der Fachgerichte sein. Angesichts der triftigen Argumente, die schon ursprünglich für die Auslegung sprachen, die der Gesetzgeber dann auch ausdrücklich bekräftigt hat, kann die rückwirkende Erstreckung dieser Regelung auf die offen gebliebenen Altfälle dann aber nicht als Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes beurteilt werden. Die klagenden Banken mussten von Anfang an damit rechnen, dass sie ihre Teilwertabschreibungen nicht steuermindernd geltend machen können. Das gilt umso mehr, als die hier in Frage stehenden Auslegungsfragen schon früh bekannt waren und in der Regel Unternehmen, insbesondere Banken mit kompetenten Rechtsabteilungen, betreffen, die solche Unklarheiten im Zweifel schneller erkennen als die Finanzbehörden selbst.

129

3. Dass der Gesetzgeber in dieser Lage nicht selbst auch für die Altfälle eine Regelung treffen darf, leuchtet nicht ein. Die Annahme eines prinzipiellen Reservats der Fachgerichtsbarkeit für die Lösung dieser Fälle überzeugt - wie dargelegt - schon grundsätzlich nicht. Wenig einleuchtend sind aber auch die vom Senat ergänzend herangezogenen Abgrenzungskriterien für die Anerkennung von Ausnahmen.

130

a) Eine rückwirkende Regelung soll nach Ansicht des Senats deshalb ausscheiden, weil die alte Rechtslage zwar ungeklärt und offen, aber in einem normalen Sinne auslegungsfähig war. Verfassungsrechtlich zulässig sei eine rückwirkende Regelung nur, wenn die alte Regelung zu einer durchgreifend unverständlichen oder verworrenen Rechtslage geführt hätte. Dies sei erst dann der Fall, wenn völlig unverständlich sei, welche Bedeutung die fragliche Norm haben solle, oder die Norm völlig wirr sei. Der Gesetzgeber darf also das, was er als Redaktionsfehler ansieht, hier deshalb nicht selbst klären, weil dieser Fehler zu geringfügig war. Er hätte also gravierendere und größere Verwirrung stiftende Fehler begehen müssen - dann wäre er auch nach Ansicht des Senats zu einer rückwirkenden Regelung befugt. Überzeugend sind solche Grenzlinien nicht.

131

b) Die für den Senat maßgebliche Abgrenzung zwischen einer ungeklärten Rechtslage, die ein rückwirkendes Gesetz noch nicht rechtfertigt, und unklarer und verworrener Rechtslage, die ein solches Gesetz rechtfertigen kann, ist eine Wertungsfrage, die für künftige Fälle Spielräume belässt. Es ist zu hoffen, dass hierüber der mit vorliegender Entscheidung vom Senat eingeschlagene Irrweg doch wieder eingefangen werden kann und sich diese Entscheidung dann im Rückblick nur als Einzelfall darstellt.

132

Gerade aber wenn sie nur ein Einzelfall bleibt, muss die Entscheidung auf Widerspruch stoßen. Denn der vorliegende Fall gibt zu einem Abweichen von der Rechtsprechung besonders wenig Anlass: Es geht hier um das Vertrauen insbesondere von Banken in die steuerliche Absetzbarkeit von Verlusten in einem Geschäftsbereich, der insgesamt durch einen spekulativen Charakter geprägt ist. Praktisch dürfte es in den betroffenen Jahren vor allem auch um die Verluste in Folge der durch die Anschläge des 11. September 2001 ausgelösten Kursstürze gehen. Warum nun ausgerechnet in dieser Konstellation strengere Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt werden als in den Fällen, in denen es um den Zugang zur Angestelltenversicherung, die Erlangung von Renten oder die Höhe der Beamtenversorgung ging, leuchtet nicht ein.

V.

133

Richtigerweise hätte § 43 Abs. 18 KAGG für verfassungsgemäß erklärt werden müssen. Dabei ist es wenig wichtig, ob man angesichts der ungeklärten Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. schon das Vorliegen einer änderungsfähigen Rechtslage und damit überhaupt einer Rückwirkung verneint, ob man von einer nur formellen Rückwirkung ausgeht, die durch die ungeklärte Rechtslage gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>), oder ob man hier eine Rückwirkung sieht, die jenseits der Alternativen von echter und unechter Rückwirkung oder deklaratorischer oder konstitutiver Rechtsänderung unmittelbar durch Verweis auf die offene Rechtsfrage zu lösen ist (vgl. BVerfGE 50, 177 <193 f.>; 131, 20 <40 ff.>). Maßgeblich ist allein, dass im Ergebnis auf die Frage abgestellt werden muss, in welchem Umfang die bisherige Rechtslage ein berechtigtes Vertrauen begründet hat. Und ein solches Vertrauen besteht im vorliegenden Fall schlicht nicht.

134

Nur durch ein konsequentes Abstellen auf ein berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage behält die Rückwirkungsrechtsprechung ihren Charakter als Schutz individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Mit der vorliegenden Entscheidung verformt der Senat die Rückwirkungsrechtsprechung zu einem Instrument der Absicherung eines Reservats der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber wird aus seiner Verantwortung gedrängt und der Bereich politisch-parlamentarischer Entscheidung ungerechtfertigt eingeengt. Dies entspricht dem Bild der Demokratie des Grundgesetzes nicht.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.