Bundessozialgericht Urteil, 14. Feb. 2018 - B 14 AS 12/17 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:140218UB14AS1217R0
bei uns veröffentlicht am14.02.2018

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. Oktober 2016 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 18. Dezember 2013 sowie der Mahngebührenbescheid der Beklagten vom 28. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2013 aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits für alle drei Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Erhebung einer Mahngebühr durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit.

2

Die Klägerin wurde durch bestandskräftig gewordene Bescheide des Jobcenters Uecker-Randow - inzwischen abgelöst durch das Jobcenter Greifswald-Süd - zur Erstattung von Leistungen nach dem SGB II verpflichtet. Anschließend wurde sie von der Beklagten gemahnt und zur Zahlung von 188,12 Euro unter Einschluss einer zugleich festgesetzten Mahngebühr von 1,20 Euro aufgefordert (Mahngebührenbescheid vom 28.2.2013). Den Widerspruch gegen die Gebührenerhebung mit dem Einwand der fehlenden Zuständigkeit wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 3.5.2013).

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Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.12.2013), das LSG hat die vom SG zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 18.10.2016): Der Mahngebührenbescheid sei rechtmäßig. Insbesondere sei die Beklagte nach einer vom Geschäftsführer des Jobcenters Uecker-Randow mit ihr für die Jahre 2012 bis 2014 abgeschlossenen Vereinbarung für die Mahnung offener Forderungen des Jobcenters zuständig gewesen. Die Vereinbarung habe ua das "Inkasso" umfasst, wozu nach dem "Serviceportfolio 2012" der Beklagten ab der Zahlungsgestörtheit einer Forderung sämtliche im Einziehungsverfahren notwendigen Aufgaben gehört hätten. Das habe die Trägerversammlung des Jobcenters mit dem Finanzplan für 2012 mit der Einstellung von 48 000 Euro für die Serviceleistung "Inkasso (einschließlich Zahlungsverkehr)" mindestens konkludent beschlossen.

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Mit ihrer vom BSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung ua des § 44c SGB II, der §§ 53, 33 SGB X sowie der §§ 3, 19 VwVG. Die Trägerversammlung des Jobcenters habe keinen formell und materiell wirksamen Beschluss zur Übertragung des Forderungseinzugs an die Beklagte gefasst.

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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. Oktober 2016 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 18. Dezember 2013 sowie den Mahngebührenbescheid vom 28. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2013 aufzuheben.

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Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG die Beklagte im hier maßgebenden Zeitraum als zuständig für die Mahnung offener Forderungen des Jobcenters Uecker-Randow und demzufolge zur Erhebung der angefochtenen Mahngebühr als befugt angesehen.

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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 28.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.5.2013, durch den die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Mahngebühr iHv 1,20 Euro festgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alternative 1 SGG; zur Qualifizierung der Festsetzung von Mahngebühren als Verwaltungsakt vgl nur BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 14 mwN; ebenso BSG vom 2.11.2012 - B 4 AS 97/11 R - juris, RdNr 17).

9

2. Geschäftsplanmäßig zuständig für die Entscheidung des Rechtsstreits ist der erkennende 14. Senat des BSG. Ob die Beklagte unter Berufung auf ihr nach dem SGB II übertragene Zuständigkeiten die Zahlung der vom Jobcenter Uecker-Randow festgesetzten Erstattungsforderung anmahnen und infolgedessen die streitbefangene Mahngebühr erheben durfte, betrifft Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und nicht der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit, für die der 11. Senat des BSG zuständig ist, weil sie insoweit Kompetenzen allein nach dem SGB II beansprucht.

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3. Der Sachentscheidung des Senats entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Insbesondere stand der streitbefangenen Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen, nachdem die Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung vom SG zugelassen worden war. Ebenfalls ist kein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden unterbliebenen notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung über den Mahngebührenbescheid gegenüber der Beklagten und dem Jobcenter als einer gemeinsamen Einrichtung nicht nur einheitlich ergehen kann; insoweit besteht allenfalls ein wirtschaftliches Interesse der gemeinsamen Einrichtung am Verfahrensausgang, ohne dass in diesem Verhältnis Rechte zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden (vgl BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 12).

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4. Als Rechtsgrundlage des Mahngebührenbescheids kommt nur in Betracht § 40 Abs 6 Halbsatz 1 SGB II(hier idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 19 Abs 2 VwVG(in der bis zum 28.11.2014 geltenden Fassung des Kostenermächtigungs-Änderungsgesetzes vom 25.6.1970, BGBl I 805) sowie § 3 Abs 3 VwVG. Hiernach wird eine Mahngebühr nach § 19 Abs 2 VwVG erhoben, sofern sich die Vollstreckung nach dem VwVG richtet, weil sie - wie hier - eine Forderung von in einer gemeinsamen Einrichtung zusammenwirkenden SGB II-Trägern und nicht die eines zugelassenen kommunalen Trägers betrifft(§ 40 Abs 6 Halbsatz 1 SGB II)und die zur Geltendmachung des Anspruchs befugte Behörde als Voraussetzung für die Anordnung der Vollstreckung den Schuldner gestützt auf § 3 Abs 3 VwVG besonders gemahnt hat.

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Darauf kann sich der Mahngebührenbescheid hier nicht stützen, weil die Beklagte im Außenverhältnis zur Klägerin weder aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisung noch aufgrund einer wirksamen Delegation zur Geltendmachung der vom Jobcenter Uecker-Randow festgesetzten Erstattung zu vollstreckungsrelevanten Maßnahmen sachlich zuständig war.

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5. Hat die gemeinsame Einrichtung eine abweichende Zuständigkeitsbestimmung nach § 44b Abs 4 SGB II nicht getroffen(dazu 6. bis 9.), ist sie zur Einleitung einer Vollstreckung nach dem VwVG nur selbst ermächtigt.

14

a) Wie der Senat bereits ausgeführt hat, ist bei der Vollstreckung von Forderungen gemeinsamer Einrichtungen zu unterscheiden zwischen ihrer Durchführung im Außenverhältnis und der Einleitung durch den zuständigen Träger (BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 14 und 16). Zuständig im Außenverhältnis zum Schuldner sind die Hauptzollämter als insoweit zuständige Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, derer sich die gemeinsamen Einrichtungen in Ermangelung einer anderweitigen Zuweisung für die Vollstreckung von Geldforderungen zu bedienen haben (§ 40 Abs 6 Halbsatz 1 SGB II iVm § 4 Buchst b VwVG, § 249 Abs 1 Satz 3 AO sowie § 1 Nr 4 Finanzverwaltungsgesetz). Einzuleiten - und ggf zu überwachen (vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 18 ff) - im Innenverhältnis ist dies durch Vollstreckungsersuchen der gemeinsamen Einrichtung, durch die die Finanzverwaltung im Wege der Amtshilfe um die Durchführung der Vollstreckung ersucht wird. Dazu erlässt die ersuchende Stelle eine Vollstreckungsanordnung nach § 3 Abs 1 Halbsatz 1 VwVG(zu Wirkung und Qualifizierung vgl näher BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 16 mwN), sofern die Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 3 Abs 2 VwVG vorliegen und - wie hier streitbefangen - der Schuldner nach § 3 Abs 3 VwVG besonders gemahnt worden ist.

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b) Zuständig für den Erlass einer Vollstreckungsanordnung ist nach § 3 Abs 4 VwVG die Behörde, die den (zu vollstreckenden) Anspruch geltend machen darf. Das ist im Geltungsbereich des SGB II gemäß § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II grundsätzlich die gemeinsame Einrichtung, die aus dem zu vollstreckenden Leistungsbescheid(§ 3 Abs 2 Buchst a VwVG) - hier dem Erstattungsbescheid des Jobcenters Uecker-Randow - berechtigt ist. Soweit sie danach "die Aufgaben der Träger nach diesem Buch" wahrnimmt, sind ihr dadurch ebenso die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung nach dem SGB II übertragen, wie es der Senat schon der bis zum 31.12.2010 geltenden Zuständigkeitsregelung (vgl § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF: "Die Arbeitsgemeinschaft nimmt die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach diesem Buch wahr") entnommen hatte (BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 19 mwN). Nur das entspricht von dem insoweit unveränderten Wortlaut abgesehen ("die Aufgaben") der Intention des Gesetzgebers, die Leistungsberechtigten in der gemeinsamen Einrichtung weiterhin nur an eine Stelle zu verweisen und die SGB II-Träger demzufolge grundsätzlich alle Aufgaben nach dem SGB II durch sie wahrnehmen zu lassen (Grundsatz der Gesamtwahrnehmung; BT-Drucks 17/1555 S 23; vgl auch BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 39/14 R - BSGE 118, 301 = SozR 4-4200 § 52 Nr 1, RdNr 14).

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Darauf baut zudem die Öffnungsklausel des § 44b Abs 4 SGB II auf(hier idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010, BGBl I 1112; nunmehr § 44b Abs 4 Satz 1 SGB II), soweit sie eine Übertragung "einzelne(r)" Aufgaben der gemeinsamen Einrichtung auf ihre Träger erlaubt und hierfür eine entsprechende Entscheidung voraussetzt; das steht einem Selbsteintrittsrecht eines der Träger in einzelne Aufgaben der gemeinsamen Einrichtung ebenfalls weiterhin entgegen (so bereits zur früheren Rechtslage BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 19 mwN; ebenso Fischer in Estelmann, SGB II, § 44b RdNr 70, Stand Dezember 2014).

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c) Die grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeit der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II umfasst auch Mahnungen und Mahngebührenbescheide nach dem VwVG. Dabei kann offenbleiben, ob öffentlich-rechtlich begründete Forderungen schon aus Gründen des Sozialdatenschutzes grundsätzlich nur von dem Sozialleistungsträger gemahnt werden dürfen, dem sie zustehen. Denn jedenfalls soweit eine Maßnahme der Vollstreckung dem VwVG zuzurechnen ist und deshalb eine öffentlich-rechtlich verliehene Kompetenz voraussetzt, bewirkt sie Rechtsfolgen nur unter Wahrung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung; ansonsten ist sie unwirksam (arg § 40 Abs 3 Nr 1 SGB X).

18

Ungeachtet der fehlenden Förmlichkeit (vgl zuletzt nur BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 5/15 R - BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr 24, RdNr 20 mwN)ist deshalb schon die einem Mahngebührenbescheid zugrunde liegende Mahnung grundsätzlich der gemeinsamen Einrichtung vorbehalten, da sie - wie die Erhebung der Mahngebühr erweist (vgl § 19 Abs 2 VwVG) - als Voraussetzung für den Erlass einer Vollstreckungsanordnung auf die Einleitung der Vollstreckung nach dem VwVG zielt (vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 16 mwN) und bereits insoweit Hoheitsbefugnisse nach dem VwVG beansprucht werden. Erst recht gilt das kraft der Rechtsform für den streitbefangenen Mahngebührenbescheid.

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6. Soll eine von der gemeinsamen Einrichtung grundsätzlich selbst wahrzunehmende Aufgabe durch einen ihrer Träger ausgeführt werden, erfordert das einen entsprechenden Übertragungsbeschluss ihrer Trägerversammlung.

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a) § 44b Abs 4 SGB II(nunmehr § 44b Abs 4 Satz 1 SGB II) bestimmt: "Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen." Durch diese mit dem Gesetz vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) eingefügte Öffnungsklausel hat der Gesetzgeber - anders als nach der Rechtslage zuvor (zu ihr vgl BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3) - eine ausdrückliche Grundlage dafür geschaffen, nach § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II grundsätzlich der gemeinsamen Einrichtung zugewiesene Aufgaben durch einen ihrer Träger wahrnehmen zu lassen. Ergänzt durch § 44b Abs 5 SGB II ("Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.") soll das die Verlagerung von Aufgaben ermöglichen, die von einem der Grundsicherungsträger zweckmäßiger auszuführen seien als von der gemeinsamen Einrichtung selbst (vgl BT-Drucks 17/1555 S 24).

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b) Die Entscheidung über die Verlagerung von Aufgaben nach § 44b Abs 4 SGB II obliegt innerorganisatorisch der Trägerversammlung der gemeinsamen Einrichtung nach § 44c SGB II. Hiernach ist für jede gemeinsame Einrichtung eine Trägerversammlung zu bilden (Abs 1 Satz 1), die "über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung" zu entscheiden hat (Abs 2 Satz 1). Dazu rechnen nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II jedenfalls ("insbesondere") die "Entscheidungen nach § 6 Abs 1 Satz 2 und § 44b Abs 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden". Ungeachtet der Ausgestaltung der Aufgabendelegation im Einzelnen obliegt damit der Trägerversammlung jedenfalls die Entscheidung darüber, welche Aufgaben dem Grunde nach verlagert werden sollen; ob sie auch über Modalitäten der Übertragung zu entscheiden hat, bedarf hier keiner Entscheidung.

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7. Der Übertragungsbeschluss nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II muss so gefasst sein, dass Art und Umfang der zu übertragenden Aufgaben ihm selbst ohne Weiteres zu entnehmen sind.

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a) Überträgt eine gemeinsame Einrichtung gestützt auf die Öffnungsklausel des § 44b Abs 4 SGB II Zuständigkeiten für die Wahrnehmung gesetzlich grundsätzlich ihr zugewiesener Aufgaben auf einen ihrer Träger, dann unterliegt sie dabei im Außenverhältnis zu den betroffenen Leistungsberechtigten denselben Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der Kompetenzzuordnung wie sie von Verfassungs wegen für Zuständigkeitszuweisungen durch den Gesetzgeber gelten. Denn auch wenn sich die übernommene Zuständigkeit aus Sicht des übernehmenden Trägers im Innenverhältnis zur gemeinsamen Einrichtung nur als "Serviceleistung" darstellt, werden dafür im Außenverhältnis zu den Leistungsberechtigten regelmäßig hoheitliche Befugnisse beansprucht - wie hier für die Vorbereitung der Vollstreckung nach dem VwVG durch die Mahnung nach dessen § 3 Abs 3 -, bei deren Zuordnung die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit zu beachten sind(zu diesen Anforderungen vgl nur BVerfG vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331, 378 f = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 191; BVerfG vom 2.6.2015 - 2 BvE 7/11 - BVerfGE 139, 194 RdNr 109 mwN). Macht die gemeinsame Einrichtung von der Möglichkeit der abweichenden Aufgabenwahrnehmung Gebrauch, muss sie deshalb für eine hinreichend klare Erkennbarkeit der anderweitigen Zuständigkeiten Sorge tragen; das verfehlt sie, wenn die Zuständigkeitsbestimmung eine klare Verantwortungszuordnung nicht ermöglicht (vgl zu den Anforderungen an die Klarheit der Kompetenzzuordnung im Interesse des Bürgers und im Hinblick auf das Demokratieprinzip nur BVerfG vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331, 366 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 157 f mwN).

24

b) Innerorganisatorisch ist das bereits von der Trägerversammlung bei Übertragungsentscheidungen nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II zu beachten. Da die Übertragungsentscheidung hiernach ausschließlich von ihr zu treffen ist und die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung entsprechende Beschlüsse gemäß § 44d Abs 1 Satz 3 SGB II durch Vereinbarungen mit den übernehmenden Trägern(vgl BT-Drucks 17/1555 S 24) nur "auszuführen" hat, muss sich schon aus dem Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise ergeben, welche Aufgaben im Einzelnen abweichend von § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II durch einen Träger der gemeinsamen Einrichtung wahrgenommen werden sollen. Das erfordert ein Maß an Klarheit, das bei der Umsetzung durch die Geschäftsführung jedes weitere (Auswahl-)Ermessen iS von § 44b Abs 4 SGB II ("die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben... wahrnehmen lassen") zu Gegenstand und Umfang der Übertragung entbehrlich macht; lässt der Übertragungsbeschluss die zu übertragende Zuständigkeit nicht ohne Weiteres erkennen, hat die Trägerversammlung eine wirksame "Entscheidung" iS von § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II nicht getroffen.

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8. Einen diesen Anforderungen genügenden Beschluss zur Übertragung von Vollstreckungsbefugnissen hat das LSG nicht festgestellt. Ein ausdrücklicher - als solcher bezeichneter - Beschluss liegt nach dem Gesamtzusammenhang der - den Senat bindenden (§ 163 SGG) - Feststellungen des LSG nicht vor und der Haushaltsbeschluss für das Jahr 2012 entspricht den aufgezeigten Maßgaben entgegen der Auffassung des LSG nicht; offenbleiben kann deshalb, ob - was allerdings zweifelhaft erscheinen kann - Übertragungsbeschlüsse nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II überhaupt konkludent getroffen werden können und ob der Haushaltsplan für das Jahr 2012 die hier streitbefangene Mahngebühr von Februar 2013 decken könnte.

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a) Entscheidend für die Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen ist insoweit nicht, ob die mit der Beklagten geschlossene Vereinbarung ihrerseits den Grundsätzen der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit entspricht. Auch kommt es nicht darauf an, ob die in Anspruch genommene Kompetenz zur Mahnung nach § 3 Abs 3 VwVG und darauf gestützt zur Erhebung einer Mahngebühr nach § 19 Abs 2 VwVG von dem Inkasso-Begriff im Haushaltsplan des Jobcenters Uecker-Randow gedeckt ist. Maßgebend ist vielmehr, ob die Trägerversammlung - unterstellt, der Haushaltsansatz wäre dafür ausreichend - mit der Bezeichnung "Inkasso (einschließlich Zahlungsverkehr)" eine den Grundsätzen der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit genügende Entscheidung iS von § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II über die Kompetenzzuordnung im Bereich des Forderungseinzugs getroffen hat. Das ist indes nicht der Fall.

27

b) Sollen Zuständigkeiten einer gemeinsamen Einrichtung im Bereich des Forderungseinzugs in einer den rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Weise übertragen werden, muss der Übertragungsentscheidung zweifelsfrei zu entnehmen sein, ob sie nur die Überwachung und Abwicklung des Zahlungsverkehrs erfasst oder ob auch Kompetenzen nach dem VwVG zur Mahnung und Einleitung (und Überwachung) der Vollstreckung einbezogen sind und wo die Zuständigkeiten für Stundung, Niederschlagung (vgl dazu nur Hengelhaupt in Hauck/Noftz, K § 44 SGB II, Stand der Kommentierung November 2004, RdNr 57 mwN) und Erlass von Forderungen (vgl § 44 SGB II) liegen. Fehlt es daran, erschwert das schon für die Betroffenen zu erkennen, von wem sie in welchem Verfahrensstadium in Anspruch genommen werden (dürfen), an wen sie sich mit Anträgen wenden können und gegen wen ggf Rechtsmittel zu richten sind. Auch die zur Durchführung der Vollstreckung zuständigen Stellen der Finanzverwaltung müssen ohne Weiteres erkennen können, ob die Vollstreckung von einer dazu nach § 3 Abs 4 VwVG befugten Stelle betrieben wird. Schließlich stehen Unsicherheiten über die Kompetenzzuordnung auch der wirksamen Wahrnehmung von Aufsichtsbefugnissen entgegen (zu diesem Erfordernis vgl BVerfG vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331, 377 f = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 188 ff mwN).

28

c) Dem genügt die Bezeichnung "Inkasso (einschließlich Zahlungsverkehr)" im Haushaltsbeschluss der Trägerversammlung nicht, weil hierdurch im Verhältnis zwischen ihr und dem Geschäftsführer nicht in einer unmittelbar ausführungsfähigen Weise (§ 44d Abs 1 Satz 3 SGB II) festgelegt ist, für welche Zuständigkeiten im Einzelnen eine Übertragungsvereinbarung mit der Beklagten abgeschlossen werden sollte. Insofern deckt die Wendung "einschließlich Zahlungsverkehr" zwar das Verständnis, dass sich die zu übertragende Aufgabe nicht nur auf die Abwicklung und Überwachung von Zahlungseingängen erstrecken sollte. Auch trägt der Wortsinn (vgl etwa Duden, Das Fremdwörterbuch, 11. Aufl 2015; Inkasso: Beitreibung, Einziehung fälliger Forderungen) den Schluss, dass die Beklagte auch Befugnisse des Jobcenters nach dem VwVG wahrnehmen sollte. Nicht hinreichend deutlich ist allerdings bereits, ob davon ebenfalls die Zuständigkeit für die Mahnung nach § 3 VwVG umfasst sein sollte; das belegt auch die vom LSG festgestellte - ansonsten entbehrliche - Konkretisierung, dass der Beklagten insoweit "ab dem Zeitpunkt der Zahlungsgestörtheit einer Forderung sämtliche Aufgaben [obliegen], die für die Durchführung eines Einziehungsverfahrens notwendig werden". Ohne jede Aussagekraft ist die Umschreibung "Inkasso (einschließlich Zahlungsverkehr)" schließlich jedenfalls dafür, ob die Zuständigkeiten für Stundung, Niederschlagung und Erlass von Forderungen ebenfalls von der Beklagten wahrgenommen werden oder ob sie insoweit beim Jobcenter Uecker-Randow verbleiben sollten.

29

9. Ohne eine den Grundsätzen der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit genügende Übertragungsentscheidung der Trägerversammlung ist die Übertragung jedenfalls hoheitlicher Befugnisse auf einen der Träger der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung unwirksam.

30

a) Nach der der Übertragungsregelung des § 44b Abs 4 SGB II zugrunde liegenden Konzeption soll die von dem Grundsatz der einheitlichen Aufgabenwahrnehmung abweichende Übertragung von Zuständigkeiten der gemeinsamen Einrichtung auf einen ihrer Träger rechtsgeschäftlich erfolgen(vgl BT-Drucks 17/1555 S 26), also durch öffentlich-rechtlichen Vertrag nach § 53 Abs 1 Satz 1 SGB X. Insoweit spricht § 44d Abs 1 SGB II schon dem Wortlaut nach dafür, dass die dafür vorausgesetzte organschaftliche Vertretungsmacht der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung erst und nur durch eine (den dargelegten Anforderungen genügende) Entscheidung der Trägerversammlung nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II begründet wird. Insoweit ist zwar die Vertretungsregelung des § 44d Abs 1 Satz 2 SGB II selbst unbegrenzt ("Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich"). Ihr liegen indes unbeschränkte Geschäftsführungsfunktionen nur zugrunde, soweit es die Führung der Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung betrifft (§ 44d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II), also bezogen auf ihre laufenden Angelegenheiten (vgl zu diesem Begriffsverständnis nur Weißenberger in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 44d RdNr 8); insoweit sind die Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen (vgl BT-Drucks 17/1555 S 26).

31

b) Anders verhält es sich demgegenüber bei der Umsetzung von Beschlüssen der Trägerversammlung. Sie betreffen schon der Art nach regelmäßig nicht die von der Geschäftsführerin oder dem Geschäftsführer zu "führenden" Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung. Zudem sind sie durch die Sonderregelung des § 44d Abs 1 Satz 3 Halbsatz 1 SGB II aus dem Anwendungsbereich der Allgemeinzuständigkeit nach § 44d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II ausgenommen, soweit die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer danach die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen "auszuführen" hat.

32

Insofern ist zwar bezogen auf die hier in Rede stehenden Übertragungsbeschlüsse nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II die Trägerversammlung als das insoweit zuständige Organ der gemeinsamen Einrichtung zur Umsetzung im Außenverhältnis verwiesen auf die organschaftliche Vertretung durch die Geschäftsführerin oder den Geschäftsführer der Einrichtung. Jedoch ist die Vertretungsmacht insoweit anders als im Anwendungsbereich von § 44d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II nicht ausschließlich gesetzlich begründet, sondern erst im Zusammenwirken mit einem organschaftlich zu fassenden Beschluss, was dafür spricht, dass eine organschaftliche Vertretungsmacht der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers in diesem Zusammenhang nicht besteht, solange ein von der Trägerversammlung zu treffender, ausführungsfähiger Beschluss nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II noch nicht vorliegt(aA Wendtland in Gagel, SGB II/SGB III, § 44d SGB II RdNr 10, Stand Oktober 2015: eher klarstellende Bedeutung).

33

c) Dafür sprechen jedenfalls in Bezug auf Übertragungsbeschlüsse im Bereich des Forderungseinzugs auch die insoweit zu beachtenden verfassungsrechtlichen Implikationen. Anders als vom Gesetzgeber in anderen Bereichen angestrebt (vgl etwa zur Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - BSGE 121, 268 = SozR 4-4200 § 15 Nr 6, RdNr 14 mwN) stehen Träger und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II bei der Beitreibung von durch Verwaltungsakt begründeten Forderungen in einem ausschließlich hoheitlich geprägten Über-/Unterordnungsverhältnis (Eingriffsverwaltung). Sollen die gemeinsamen Einrichtungen nach der gesetzlichen Konzeption hoheitliche Kompetenzen - wie hier zur Einleitung der Zwangsvollstreckung nach dem VwVG - rechtsgeschäftlich auf einen ihrer Träger verlagern können, erfordert dies nach dem Vorbehalt des Gesetzes die Einhaltung der dafür gesetzlich vorgegebenen Maßgaben und damit ua die Beteiligung der Trägerversammlung wie dargelegt.

34

Mindestens in Bezug auf die hier in Rede stehenden Hoheitsbefugnisse steht das dem Verständnis entgegen, dass die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung gestützt auf § 44d Abs 1 Satz 2 SGB II auch ohne einen entsprechenden Trägerversammlungsbeschluss wirksam eine von § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II abweichende Zuständigkeit begründen könnte. In dieser Lage gebührt vielmehr dem Interesse der Normbetroffenen an der Einhaltung der gesetzlichen Kompetenzordnung Vorrang vor dem Interesse des übernehmenden Trägers, zumal dieser aufgrund seiner Vertretung in der Trägerversammlung (§ 44c Abs 1 Satz 2 SGB II) unproblematisch Kenntnis von der entsprechenden Beschlusslage erlangen kann (anders demgegenüber die Interessenlage im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und "echten" Außenstehenden, vgl dazu zuletzt etwa BGH vom 18.11.2016 - V ZR 266/14 - BGHZ 213, 30 RdNr 21; wie dort wohl Knapp in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 44d RdNr 19: fraglich, ob Unwirksamkeit vereinbar mit Bedürfnissen des Rechtsverkehrs; wie hier dagegen im Ergebnis Luik in Hohm, GK-SGB II, § 44b RdNr 182.1, Stand April 2017; Weißenberger in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 44d RdNr 12: ohne Beschluss der Trägerversammlung geschlossener Vertrag ist schwebend unwirksam).

35

d) Ob ein ohne Beschluss der Trägerversammlung geschlossener Vertrag (nur) schwebend unwirksam oder - was näher liegen könnte - in entsprechender Anwendung von § 134 BGB nichtig ist, bedarf keiner Entscheidung, weil das LSG zum einen eine nachträgliche Genehmigung des Übertragungsvertrags durch die Trägerversammlung des Jobcenters Uecker-Randow nicht festgestellt hat und ihr zum anderen für den Fall hier Rückwirkung ohnehin nicht hätte zukommen können(vgl zur fehlenden Rückwirkung beim Zugang zur Versorgung nach dem SGB V nur BSG vom 21.2.2006 - B 1 KR 22/05 R - juris, RdNr 15 mwN).

36

10. Lässt sich die von der Beklagten beanspruchte Kompetenz für die Mahnung nach § 3 Abs 3 VwVG und für die Erhebung der Mahngebühr nach § 19 Abs 2 VwVG nach dem Vorstehenden ohnehin nicht auf die mit dem Geschäftsführer des Jobcenters Uecker-Randow geschlossene Zuständigkeitsvereinbarung stützen, bedarf es keiner weiteren Aufklärung (mehr) dazu, zu welchem Zeitpunkt das Jobcenter Uecker-Randow durch das Jobcenter Greifswald-Süd abgelöst worden ist und inwiefern sich ein ggf früher erfolgter Übergang auf die Geltung der Zuständigkeitsvereinbarung für die hier streitbefangene Mahnung und Gebührenerhebung im Februar 2013 ausgewirkt hat.

37

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 14. Feb. 2018 - B 14 AS 12/17 R

Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Urteil, 14. Feb. 2018 - B 14 AS 12/17 R

Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
Bundessozialgericht Urteil, 14. Feb. 2018 - B 14 AS 12/17 R zitiert 24 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 134 Gesetzliches Verbot


Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 33 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein. (2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, w

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 44b Gemeinsame Einrichtung


(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 15 Potenzialanalyse und Kooperationsplan


(1) Die Agentur für Arbeit soll unverzüglich zusammen mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit erforderlichen persönlichen Merkmale, die beruflichen Fähigkeiten und die Eignung feststel

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 40 Nichtigkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen d

Abgabenordnung - AO 1977 | § 1 Anwendungsbereich


(1) Dieses Gesetz gilt für alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Es ist nur vo

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 53 Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages


(1) Ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts kann durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde, anstatt ein

Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz - VwVG | § 3 Vollstreckungsanordnung


(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht. (2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind: a) der Leistungsbescheid, durch d

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 44 Veränderung von Ansprüchen


Die Träger von Leistungen nach diesem Buch dürfen Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 249 Vollstreckungsbehörden


(1) Die Finanzbehörden können Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung, eine sonstige Handlung, eine Duldung oder Unterlassung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken. Dies gilt auch für Steueranmeldungen (§ 168). Vollstreckungsbehörden si

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 44d Geschäftsführerin, Geschäftsführer


(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. S

Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz - VwVG | § 19 Kosten


(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 44c Trägerversammlung


(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen

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Tenor 1. Die Antragsgegnerin hat durch ihre Antworten (Bundestagsdrucksache 17/6022) auf die Fragen 10. e) und g) der Kleinen Anfrage vom 16. Mai 2011 (Bundestagsdrucksache 17/5847) die Antragstell

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

(1) Ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts kann durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde.

(2) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über Sozialleistungen kann nur geschlossen werden, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 36a Abs. 2 des Ersten Buches findet insoweit keine Anwendung.

(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 36a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 des Ersten Buches muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.

(5) Bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Satz 1 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen; bei einem elektronischen Verwaltungsakt muss auch das der Signatur zugrunde liegende Zertifikat nur die erlassende Behörde erkennen lassen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107 und 318 Abs. 5 der Abgabenordnung.

(2) Für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 wird eine Mahngebühr erhoben. Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 150 Euro. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet.

(3) Soweit die Bundespolizei nach diesem Gesetz tätig wird, werden Gebühren und Auslagen nach dem Bundesgebührengesetz erhoben.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens sowie die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts.

2

Die Klägerin steht seit 2005 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München GmbH - ARGE - (nunmehr Jobcenter Landeshauptstadt München). Im Mai 2008 wurde für die Klägerin vom AG München eine Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis umfasst ua die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung für den Bereich der Vermögenssorge einschließlich Schuldenregulierung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern.

3

Bereits mit Bescheid vom 17.4.2007 machte die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München GmbH gegenüber der Klägerin eine Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen in Höhe von 351,87 Euro geltend. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half die Arbeitsgemeinschaft mit Bescheid vom 9.7.2008 ab.

4

Mit Schreiben vom 20.5.2007, tituliert als "Mahnung", forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung des von der ARGE geltend gemachten Erstattungsbetrages auf und machte in diesem Schreiben zusätzlich Mahngebühren in Höhe von 2,05 Euro geltend. Hiergegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass der gegen den Bescheid vom 17.4.2007 erhobene Widerspruch aufschiebende Wirkung habe und die Forderung daher nicht fällig sei.

5

Nachdem die Beklagte am 13.7.2007 die Forderung gegen die Klägerin "mit Widerspruch eingelegt" kennzeichnete, wurde die Mahngebühr storniert. Mit Bescheid vom 13.11.2007 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig und lehnte die Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen ab.

6

Auf die Klage änderte das SG den Widerspruchsbescheid vom 13.11.2007 im Tenor unter Ziffer 2 dahingehend ab, dass die Beklagte die notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten habe und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt werde (Gerichtsbescheid vom 5.11.2009). Die hiergegen vom SG zugelassene und von der Beklagten eingelegte Berufung wies das LSG zurück (Urteil vom 12.5.2010). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe die Beklagte zu Recht verurteilt, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten und die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für erforderlich erklärt. Dies folge aus § 63 SGB X. Das Schreiben der Beklagten vom 20.5.2007 enthalte insoweit einen Verwaltungsakt, als gegenüber der Klägerin Mahngebühren festgesetzt worden seien. Es handele sich aufgrund gesetzlicher Grundlage um ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls. Die Regelung bestehe darin, dass der Adressat unmittelbar verpflichtet werde, die Mahngebühr zu zahlen. Der Rechtsgrund für das Entstehen der Mahngebühr werde erst durch die Mahnung selbst begründet, daher teile die Mahngebühr, als von der Mahnung unabhängig, nicht den Rechtscharakter der Mahnung. Der auf Aufhebung gerichtete Widerspruch der Klägerin sei daher zulässig und begründet. Die der Mahngebühr zugrundeliegende Forderung sei nicht fällig gewesen und die Beklagte habe die Mahngebühr aufgehoben. Angesichts dessen komme es auch nicht darauf an, ob die Beklagte überhaupt in eigenem Namen Mahngebühren erheben könne. Die Beklagte habe die Mahngebühr aufgehoben, sodass der Widerspruch erfolgreich gewesen sei und die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe. Eine ursächliche Verknüpfung zwischen der Widerspruchserhebung und der begünstigenden Entscheidung der Beklagten bestehe insoweit, als die Beklagte die Mahngebühr nach Bestätigung der Widerspruchseinlegung durch die ARGE und entsprechender Kennzeichnung der Forderung aufgehoben habe. Auch sei die Hinzuziehung des Rechtsanwalts notwendig gewesen. Der Klägerin sei aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten nicht zuzumuten gewesen, das Verfahren alleine zu betreiben. Dies habe sich durch die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - die Klägerin sei Analphabetin und stehe zwischenzeitlich sogar unter Betreuung - zur Überzeugung des Senats verfestigt.

7

Die Beklagte rügt - nach Zulassung der Revision durch den Senat mit Beschluss vom 6.4.2011 (B 4 AS 160/10 B) - nur noch die Verletzung materiellen Rechts - des § 63 Abs 2 SGB X. Zwar habe das BSG mit Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - inzwischen entschieden, dass es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren um einen Verwaltungsakt handele, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden könne. Die Rechtsauffassung des LSG zu diesem Punkt sei daher nicht zu beanstanden. Unabhängig von der Frage, ob der Widerspruch vorliegend "erfolgreich" iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X gewesen sei, sei jedenfalls die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht "notwendig" iS des § 63 Abs 2 SGB X gewesen. Der Klägerin sei zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen. So habe sie noch vor Widerspruchserhebung durch ihren Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten telefonisch eine Ratenzahlungsvereinbarung, die auch die Mahngebühr beinhaltet habe, geschlossen. Dies zeige, dass sie durchaus auch ohne anwaltliche Beratung imstande gewesen sei, ihre Rechte eigenständig wahrzunehmen. Zudem impliziere bereits das Verhältnis der Höhe der Mahngebühr an sich als auch im Verhältnis zur Hauptforderung, dass bei objektiver Betrachtung ein vernünftiger Bürger sich keines Rechtsanwalts bedient hätte.

8

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2010 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 5. November 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Eine Verletzung des § 63 SGB X durch das LSG sei nicht ersichtlich. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt müsse nicht hingenommen werden. Auch die Geringfügigkeit der Mahngebühr rechtfertige nicht, von einem Kostenübernahmeerfordernis abzusehen. Allenfalls sei denkbar, im Rahmen der Entscheidung bezüglich der Höhe der geltend gemachten Anwaltsgebühr Abstriche zu machen, nicht jedoch dem Grunde nach.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

12

Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte der Klägerin die für den Widerspruch mit Schreiben vom 18.6.2007 entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat.

13

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler liegen nicht vor. An der Prozessfähigkeit der Klägerin bestehen keine durchgreifenden Zweifel. Jedenfalls wäre ein etwaiger Mangel in der Prozessführung durch ausdrückliche Genehmigung der Betreuerin geheilt.

14

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Entscheidung über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2007 für das Vorverfahren gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit Schreiben vom 20.5.2007. Die Klägerin hat ihr Begehren ausdrücklich hierauf beschränkt. Sie verfolgt ihr Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG).

15

3. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat.

16

Nach § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

17

Der Anwendungsbereich des § 63 Abs 1 S 1 SGB X ist eröffnet, weil die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig durch die Beklagte zu Unrecht erfolgte. Vielmehr handelt es sich bei der in der Mahnung enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 14. Senats des BSG, die Festsetzung von Mahngebühren enthalte eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung, ausdrücklich an (s zur Verwaltungsaktqualität der Festsetzung von Mahngebühren und zur Unzulässigkeit der Übertragung der Aufgabe "Forderungseinzug" auf die BA: BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3). Es kann deshalb unentschieden bleiben, ob die Rechtsprechung des BSG, dass die Geltendmachung einer Forderung selbst durch Mahnung kein Verwaltungsakt sei (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 8) auch Fallgestaltungen erfasst, bei denen die Mahnung durch eine unzuständige Behörde erfolgt (hierzu BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, jeweils RdNr 18 ff).

18

Der Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben der Beklagten vom 20.5.2008 war auch erfolgreich. Erfolg iS des § 63 Abs 1 S 1 SGB X hat nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Widerspruch dann, wenn die Behörde ihm stattgibt(vgl zuletzt BSG Urteil vom 19.6.2012 - B 4 AS 142/11 R sowie BSG Urteile vom 21.7.1992 - 4 RA 20/91 - SozR 3-1300 § 63 Nr 3, S 13; vom 17.10.2006 - B 5 RJ 66/04 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 5 RdNr 14; vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr 6 RdNr 30; vom 2.5.2012 - B 11 AL 23/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dabei ist der Erfolg oder Misserfolg eines eingelegten Widerspruchs am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 78 ff SGG zu messen. Die Beklagte hat ihm dadurch stattgegeben, dass sie die Mahngebühr storniert hat und dies gegenüber der Klägerin verlautbart hat. Unerheblich ist insoweit, aus welchen Gründen der Widerspruch in der Sache Erfolg hatte.

19

4. Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte hinsichtlich der Gebühren und Auslagen des bevollmächtigten Rechtsanwalts mit Rücksicht auf die geringe Höhe der Mahngebühr ausscheide. Insoweit ist mit den Tatsacheninstanzen zu erkennen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig iS des § 63 Abs 2 SGB X gewesen ist. Nach dieser Vorschrift sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig ist. Es ist insoweit auf die Sicht eines verständigen Beteiligten im Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl nur Roos in von Wulffen, 7. Aufl 2010, § 63 RdNr 26; Feddern in jurisPK-SGB X § 63 RdNr 33 f).

20

Ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig ist, kann nicht allein anhand des im Widerspruchsverfahren geltend gemachten Betrages beurteilt werden. Insoweit kann sinngemäß zur weiteren Ausfüllung des Merkmals auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die das BVerfG zum Merkmal der Erforderlichkeit von Prozesskostenhilfe entwickelt hat (BVerfG vom 24.3.2011 - 1 BvR 2493/10 - NZS 2011, 775; BVerfG vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Entscheidender Maßstab ist hiernach nicht das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko, sondern die Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit. Da dem Widerspruchsführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen, kann die Notwendigkeit einer Zuziehung nur ausnahmsweise verneint werden. Denn es ist davon auszugehen, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Wahrnehmung der eigenen Interessen regelmäßig erfolgt, wenn im Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht.

21

Die vorstehenden Grundsätze werden durch das Urteil des 14. Senats des BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - zur Veröffentlichung vorgesehen - nicht infrage gestellt. Zwar ist mit dieser Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis für ein Klagebegehren in der Hauptsache verneint worden, das aus Sicht des Klägers denkbar allein auf die Verletzung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II gestützt werden konnte. Gleichwohl hat der 14. Senat jedoch ausgeführt, dass die Höhe der geltend gemachten Forderung nicht "schlechterdings und für sich allein betrachtet zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses" führe. Vielmehr fehle es am Rechtschutzbedürfnis nur dann, wenn besondere Umstände vorlägen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen ließen. Derartige besondere Umstände hat der 14. Senat bei einem isolierten Streit über die Anwendung der Rundungsregelung angenommen, die nicht aus Gründen der Existenzsicherung sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe geschaffen worden sei. Eine Abkehr vom "Grundsatz der Waffengleichheit" kann aus dieser Entscheidung folglich nicht hergeleitet werden.

22

Die hier vorliegenden Gesamtumstände rechtfertigen die Annahme einer Ausnahme nicht. Ein derartiger - hier jedoch nicht vorliegender - Ausnahmefall kann in Fällen der vorliegenden Art zB erwogen werden, wenn es um die Klärung tatsächlicher Fragen geht oder aus dem angegriffenen Bescheid ersichtlich ist, dass die Entscheidung auf einem Missverständnis beruht, das vom Widersprechenden leicht aufzuklären ist. Die Klägerin konnte der Mahnung insbesondere nicht entnehmen, dass die Geltendmachung der Forderung einschließlich der Mahngebühren auf der Vorstellung beruhte, dass kein Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid eingelegt worden war.

23

Der zu beurteilende Sachverhalt ist im Übrigen dadurch gekennzeichnet, dass sich die Klägerin der Geltendmachung des gesamten Rückforderungsbetrages zuzüglich der fraglichen Mahngebühren durch eine unzuständige Behörde ausgesetzt sah. In einer derartigen Situation lag die Einschaltung eines Rechtsanwalts für einen verständigen Betroffenen jedenfalls nahe.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107 und 318 Abs. 5 der Abgabenordnung.

(2) Für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 wird eine Mahngebühr erhoben. Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 150 Euro. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet.

(3) Soweit die Bundespolizei nach diesem Gesetz tätig wird, werden Gebühren und Auslagen nach dem Bundesgebührengesetz erhoben.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107 und 318 Abs. 5 der Abgabenordnung.

(2) Für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 wird eine Mahngebühr erhoben. Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 150 Euro. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet.

(3) Soweit die Bundespolizei nach diesem Gesetz tätig wird, werden Gebühren und Auslagen nach dem Bundesgebührengesetz erhoben.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erstattung von Kosten der außergerichtlichen Vertretung wegen der Vollstreckung von Erstattungsbescheiden nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

2

Die Klägerin steht im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Anschluss an die Teilaufhebung von Leistungen und Festsetzung entsprechender Erstattungsbeträge durch Bescheide des beklagten Jobcenters vom 24.8.2011 über einen Gesamtbetrag von 104 Euro (Rückforderungen für den Zeitraum Februar bis August 2011) sowie vom 24.7.2012 über einen Betrag von 453,47 Euro (Rückforderung für Juni 2012) teilte ihr die Vollstreckungsstelle des Hauptzollamts Lörrach (im Folgenden: Hauptzollamt) durch zwei als Vollstreckungsankündigung bezeichnete Schreiben vom 18.2.2013 mit, dass sie für das Forderungsmanagement der Regionaldirektion Hessen (im Folgenden: Regionaldirektion) der Bundesagentur für Arbeit (BA) Vollstreckungen durchzuführen habe. Als Grund der Vollstreckung waren angeführt ein Bescheid des Beklagten vom 24.8.2011 über 427,80 Euro wegen Mehrbedarf bei Behinderung für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.2011, Arbeitslosengeld II (Alg II) für den Zeitraum vom 1. bis 30.6.2012 sowie Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.2011, fällig am 12.9.2011, 10.8.2012 sowie 12.9.2011, sowie ein Bescheid vom 24.7.2012 mit einem Rückforderungsbetrag von 79,47 Euro und einer Mahngebühr von 2,55 Euro wegen Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1. bis 30.6.2012, fällig am 10.8.2012. Die mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung (zB in bewegliche Sachen, Arbeitseinkommen, Bankguthaben) könne die Klägerin vermeiden, wenn sie die aufgeführten Beträge innerhalb von einer Woche nach Erhalt der Schreiben auf ein Konto des Hauptzollamts überweise.

3

Gegen die zwei Vollstreckungsankündigungen erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 23.2.2013 Widerspruch zum Beklagten und beantragte ausdrücklich nach § 257 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 3 Abgabenordnung (AO) die Einstellung der Vollstreckung. Die mit Bescheid vom 24.8.2011 begründete Erstattungsforderung sei durch gerichtlichen Vergleich vom 7.8.2012 auf 51 Euro ermäßigt (Sozialgericht Mannheim, S 7 AS 200/12) und der Restbetrag zwischenzeitlich bezahlt worden. Gegen den Bescheid vom 24.7.2012 sei Klage mit aufschiebender Wirkung anhängig (SG Mannheim, S 7 AS 3744/12). Auf den Hinweis des Hauptzollamts, ungeachtet der auch ihm gegenüber vorgetragenen Einwendungen an den angekündigten Vollstreckungen festzuhalten (Schreiben vom 25.2.2013), beantragte die Klägerin am 14.3.2013 beim SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche, den sie im weiteren Verlauf für erledigt erklärte (SG Mannheim, S 5 AS 923/13 ER).

4

Im Gefolge der auf die Widersprüche eingeleiteten Prüfung veranlasste der Beklagte am 28.2.2013 die Einstellung der Vollstreckungen. Die Widersprüche selbst verwarf er dagegen als unzulässig und entschied, dass gegebenenfalls entstandene notwendige Aufwendungen nicht zu erstatten seien. Zwar sei der gerichtliche Vergleich vom 7.8.2012 zu den Bescheiden vom 24.8.2011 erst am 28.2.2013 verwaltungsmäßig vollzogen worden. Ebenfalls sei der Vollstreckungsauftrag zum Rückforderungsbescheid vom 24.7.2012 auf die dagegen erhobene Klage erst zwischenzeitlich ruhendgestellt worden. Die Widersprüche seien aber unzulässig, da Vollstreckungsankündigungen keine Verwaltungsakte seien, sondern lediglich informellen Charakter hätten. Gemäß § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) seien daher Kosten nicht zu erstatten(Widerspruchsbescheid vom 19.4.2013). Im Übrigen hätte es der Widersprüche nicht bedurft, weil für eine Überprüfung eine telefonische Nachfrage des Bevollmächtigten bei ihm - dem Beklagten - ausreichend gewesen wäre, was andere Verfahrensbevollmächtigte im Sinne einer guten Zusammenarbeit zur Reduzierung von Verfahren üblicherweise praktizierten (Schriftsatz vom 20.3.2013 zu SG Mannheim S 5 AS 923/13 ER).

5

Die Klagen mit dem Ziel, den Beklagten dem Grunde nach zur Erstattung der zweckentsprechenden Aufwendungen in den Vorverfahren zu verurteilen, sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 15.10.2013; Urteil des Landessozialgerichts vom 30.4.2014): Eine Vollstreckungsankündigung sei kein Verwaltungsakt, denn als Zahlungsaufforderung fehle es an einer Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X. Rechtsschutz sei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erlangen.

6

Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 31 Satz 1 und § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Vollstreckungsankündigung dokumentiere für den Betroffenen, dass die Vollstreckung durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet worden sei. Diese Einleitung stelle einen Verwaltungsakt dar. Im Übrigen könnten Kosten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ungeachtet des Verfahrensausgangs aus Gründen der Klageveranlassung zuzusprechen sein.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Oktober 2013 und die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 19. April 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gegen die Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts Lörrach vom 18. Februar 2013 notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die geltend gemachten Kostenerstattungsansprüche nicht bestehen. Gegen die Ankündigung der Vollstreckung durch das Hauptzollamt aus dem Bescheid eines Jobcenters ist der Widerspruch nicht gegeben (dazu 3.) und der Erfolg des in dem Widerspruch verkörperten Antrags auf Einstellung der Vollstreckung begründet keine Ansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X(dazu 4.); insoweit sind Bezieher von Grundsicherungsleistungen auf die Inanspruchnahme von Beratungs- oder Prozesskostenhilfe verwiesen, wenn sie zur Abwendung einer unstatthaften Vollstreckung anwaltliche Unterstützung benötigen.

10

1. Gegenstand des Verfahrens ist die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 19.4.2013, durch die der Beklagte Ansprüche zum einen unmittelbar nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X ausgeschlossen und dem Sinnzusammenhang nach weiter entschieden hat, dass wegen der mit den Widersprüchen inzident betriebenen Verfahren auf Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs 1 AO(dazu unten 4. a) Kostenerstattungsansprüche auch sonst nicht bestehen. Dagegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 iVm § 56 SGG), diese ist zulässig gerichtet auf ein Grundurteil, ohne dass es dazu eines weiteren Vorverfahrens im Hinblick auf die im Widerspruchsbescheid durch Verwaltungsakt (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Einzelkommentierung 12/2010, K § 63 RdNr 16a; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 33)getroffene Kostenentscheidung bedurft hätte (stRspr; vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 20 RdNr 12; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Einzelkommentierung 12/2010, K § 63 RdNr 25; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 78 RdNr 8; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 37). Zuständig hierfür, ohne dass der Senat dies im Rechtsmittelverfahren noch zu prüfen hätte (vgl § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz), sein können nur die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, denn nur diese sind - unabhängig von ihrem Inhalt - berufen, über Widerspruchsbescheide von Jobcentern nach dem SGB II zu entscheiden (vgl ebenso für das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 23/13 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 6 RdNr 10).

11

2. Einer Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Insbesondere stand der angegriffenen Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen, nachdem die Klägerin bei einer für sie günstigen Entscheidung eine Erstattungsforderung in Höhe von 847,28 Euro geltend zu machen beabsichtigte. Dass der Beklagte dagegen, sollte die Klägerin dem Grunde nach durchdringen, einen Gebührenansatz nur in Höhe von 559,30 Euro für angemessen hielt, ist demgegenüber nicht ausschlaggebend, weil im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung nicht abschließend über die Berechtigung der von dem Bevollmächtigten ins Auge gefassten Gebührenforderung zu befinden war und jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder auch nur geltend gemacht sind, dass ein Anspruch in dieser Höhe nach keiner Betrachtungsweise bestehen kann.

12

3. In der Sache bestehen Kostenerstattungsansprüche zunächst nicht, soweit die Klägerin Widerspruch zum Beklagten gegen die Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts erhoben hat. Als Rechtsgrundlage dafür kommt nur § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Daran fehlt es, weil weder gegen die Ankündigung einer bevorstehenden Vollstreckung durch das Hauptzollamt noch gegen die dem vorangehende Beauftragung mit der Vollstreckung der Widerspruch zum Beklagten gegeben und daher die Einstellung der Vollstreckung durch ihn nicht iS von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auf (statthaften) Widerspruch hin erfolgt ist.

13

a) Rechtsgrundlage der angekündigten Vollstreckungen sind gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II(hier idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) die §§ 1 bis 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) sowie die in § 5 VwVG im Einzelnen aufgeführten Vorschriften der AO. Danach wird für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach dem SGB II auf das VwVG (§ 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II) und im Übrigen auf § 66 SGB X verwiesen(§ 40 Abs 6 Halbs 2 SGB II). Mithin richtet sich die Vollstreckung aus den hier maßgeblichen Bescheiden, da der Beklagte kein zugelassener kommunaler Träger iS von § 6a SGB II ist(vgl die Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, hier idF der Verordnung vom 1.12.2010, BGBl I 1758), nach dem die Vollstreckung von Geldforderungen betreffenden 1. Abschnitt des VwVG mit dessen §§ 1 bis 4 sowie der Verweisung auf die AO in § 5 Abs 1 VwVG, insbesondere in ihrem 6. Teil mit den §§ 249 ff (zur Frage, ob im Bereich des SGB II überhaupt andere Ansprüche zu vollstrecken sind vgl Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 193).

14

b) Sachlich zuständig für die Durchführung der Vollstreckungen im Außenverhältnis zur Klägerin war demzufolge gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II iVm § 4 lit b VwVG sowie § 249 Abs 1 Satz 3 AO und § 1 Nr 4 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) das Hauptzollamt. Hiernach bedienen sich die Träger der Grundsicherung für die Vollstreckung von Geldforderungen der Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, soweit sich die Vollstreckung nach dem VwVG (des Bundes) richtet - wie hier gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II - und solange eine Bestimmung nach § 4 lit a VwVG nicht getroffen worden ist(§ 4 lit b VwVG), wonach Vollstreckungsbehörden auch sein können die von einer obersten Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern bestimmten Behörden des betreffenden Verwaltungszweigs, woran es hier fehlt. Diese Aufgabe ist im Aufbau der Bundesfinanzbehörden (§ 1 FVG) den Hauptzollämtern zugewiesen (§ 249 Abs 1 Satz 3 AO).

15

c) Soweit sich die Klägerin mit ihren an das Jobcenter gerichteten "Widersprüchen" gegen die sonach zuständigkeitshalber zu Recht vom Hauptzollamt herausgegebenen Vollstreckungsankündigungen gewandt hat, vermag das Kostenerstattungsansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X im Verhältnis zum beklagten Jobcenter schon deshalb nicht zu begründen, weil dessen Träger in Bezug auf das Hauptzollamt nicht die Rechtsträger iS von § 63 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGB X sind, dessen Behörde die Vollstreckungsankündigungen verfasst hat. Davon abgesehen kommt der Vollstreckungsankündigung auch sonst Verwaltungsaktqualität nicht zu, wie die Vor-instanzen im Ergebnis zutreffend erkannt haben. Ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zufolge, der sich der erkennende Senat anschließt, hat die Vollstreckungsankündigung vielmehr lediglich den Sinn, den Schuldner noch einmal auf die Situation hinzuweisen und ihm letztmalig die Gelegenheit zu geben, zur Abwendung der Vollstreckung freiwillig die Rückstände zu begleichen; Regelungswirkung kommt dem nicht bei (vgl BFH Beschluss vom 13.2.1997 - VII S 35/96 - BFH/NV 1997, 462; BFH Beschluss vom 14.6.1988 - VII B 15/88 - BFH/NV 1989, 75; BFH Beschluss vom 21.8.2000 - VII B 46/00 - BFH/NV 2001, 149; BFH Beschluss vom 30.8.2010 - VII B 48/10 - BFH/NV 2010, 2235; ebenso etwa Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 254 RdNr 4).

16

d) Auch auf Seiten des Beklagten sind im Vorfeld der Vollstreckungsankündigungen, insbesondere im Zuge der Beauftragung des Hauptzollamts mit der Durchführung der Vollstreckungen, keine Entscheidungen getroffen worden, die als Verwaltungsakte zu qualifizieren wären und gegen die bei sachdienlichem Verständnis des mit den Widersprüchen verfolgten Begehrens ein Widerspruch als statthaft gerichtet anzusehen sein könnte. Zwar übernimmt die Finanzverwaltung die Vollstreckung ausschließlich auf Initiative des Vollstreckungsgläubigers, nämlich durch die von diesem zu verantwortende Vollstreckungsanordnung nach § 3 Abs 1 Halbs 1 VwVG. Danach wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet (§ 3 Abs 1 Halbs 1 VwVG), die von der Behörde "erlassen" wird, die den Anspruch geltend machen darf (§ 3 Abs 4 VwVG). Darin liegt indessen ungeachtet der Wendungen "Anordnung" und "erlassen" keine rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung zulasten des Vollstreckungsschuldners. Vielmehr handelt es sich in dem durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Rechtsträgern bestimmten Verhältnis der beteiligten Behörden um Willenserklärungen zwischen Jobcenter und Hauptzollamt (vgl Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/Finanzgerichtsordnung , Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27: zwischenbehördliche Willenserklärung), durch die das Hauptzollamt im Wege der Amtshilfe (vgl zum VwVG Sadler, VwVG/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 2; zu § 250 AO: Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 1 ff; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 6 ff) um Vornahme von Vollstreckungshandlungen "ersucht" (so ausdrücklich § 250 AO)wird. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dem sich der erkennende Senat anschließt, hat deshalb bereits entschieden, dass der Einleitung der Vollstreckung durch Erklärung der ersuchenden Behörde Regelungswirkung im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner nicht zukommt (BVerwG Urteil vom 18.11.1960 - VII C 184.57 - DVBl 1961, 134; ebenso Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 2; iE ähnlich Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 9: Auftrag ohne Verwaltungsakteigenschaft; ebenso zum Ersuchen nach § 250 Abs 1 Satz 1 AO: Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 5).

17

4. Soweit der Beklagte das Vorgehen der Klägerin gegen die angekündigten Vollstreckungen zutreffend als Antrag auf deren Einstellung gewertet und diese (auch) zuständigkeitshalber zu Recht veranlasst hat (dazu a bis d), bestehen Ansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht, weil der Anwendungsbereich der Vorschrift auf das förmliche Widerspruchsverfahren beschränkt ist(dazu e); die - anders als der Beklagte meint - bei verständiger Würdigung nicht unberechtigte Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe ist insoweit bei Bedürftigkeit nur über die Inanspruchnahme von Beratungshilfe für das Verfahren dem Jobcenter gegenüber oder von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein gerichtliches Rechtsschutzersuchen zu gewährleisten (dazu f).

18

a) Zutreffend hat der Beklagte das mit den Widersprüchen der Sache nach verfolgte Begehren der Klägerin als Antrag auf Einstellung der angekündigten Vollstreckungen verstanden und darauf zu Recht geprüft, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt (noch oder überhaupt) statthaft waren. Rechtliche Grundlage dafür ist § 257 Abs 1 AO iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II sowie § 5 Abs 1 VwVG. Hiernach ist eine Vollstreckung einzustellen, sobald ua die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs 1 AO weggefallen sind, also die Vollziehung ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist(Nr 1), der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr 2) oder der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr 3).

19

b) Hierfür war die Zuständigkeit des Beklagten selbst dann gegeben, wenn mit der Rechtsprechung des BFH davon auszugehen ist, dass für Einstellungsentscheidungen nach § 257 Abs 1 AO - anders als es in der Mitteilung des Hauptzollamts an die Klägerin über seine Unzuständigkeit zur Prüfung der sachlichen Einwände gegen die angekündigten Vollstreckungen zum Ausdruck gekommen ist - zumindest auch, wenn nicht sogar primär die Zuständigkeit des Hauptzollamts als ersuchter und damit mit der Durchführung der Vollstreckung beauftragter Behörde bestanden hat(vgl nur BFH Beschluss vom 4.7.1986 - VII B 151/85 - BFHE 147, 5; BFH Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 (PKH) - juris, RdNr 7; ebenso Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 8). Dabei kann offenbleiben, ob schon steuerverfahrensrechtlich auch die Zuständigkeit der ersuchenden Vollstreckungsbehörde gegeben ist (so wohl Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27: auch die ersuchte Vollstreckungsbehörde) oder ob sich dies auf die ersuchte Vollstreckungsbehörde beschränkt (so Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 8). Denn jedenfalls im Anwendungsbereich des VwVG verpflichtet die Stellung als Anordnungsbehörde nach § 3 Abs 4 VwVG auch die ersuchende Behörde - hier das beklagte Jobcenter -, in jeder Verfahrenslage auf Änderungen oder Fehler zu reagieren, die die Rechtmäßigkeit ihrer Vollstreckungsanordnungen berühren.

20

Das folgt aus dem Zweck der von der Anordnungsbehörde zu erlassenden Vollstreckungsanordnung, vor Einleitung der Vollstreckung förmlich - wenn auch nicht durch Verwaltungsakt - nach Maßgabe des Katalogs in § 3 Abs 2 VwVG deren Statthaftigkeit zu bekräftigen(so schon BVerwG Urteil vom 18.11.1960 - VII C 184.57 - DVBl 1961, 134: größtmögliche Sicherheit gegen unzulässige und unberechtigte Vollstreckungsmaßnahmen; ähnlich Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 9: Anordnungsbehörde übernimmt durch Vollstreckungsanordnung die Verantwortung für das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen; Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 3). Damit ist der Anordnungsbehörde eine Garantenstellung für die Statthaftigkeit der Vollstreckung zugewiesen, die mit Erlass des Vollstreckungsauftrags nicht wegfällt; nach § 250 Abs 1 Satz 2 AO iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II iVm § 5 Abs 1 VwVG bleibt vielmehr die ersuchende Vollstreckungsbehörde für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs auch dann verantwortlich, wenn die Zuständigkeit zur Ausführung der Vollstreckung nach § 250 Abs 1 Satz 1 AO auf die ersuchte Behörde übergegangen ist. Das begründet die Verpflichtung der Anordnungsbehörde, in jedem Stadium der Vollstreckung neben der ersuchten Vollstreckungsbehörde selbstständig auf Änderungen der Statthaftigkeit der Vollstreckung zu reagieren und ggf deren Einstellung zu veranlassen (ebenso zur AO Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17 unter Verweis auf BFH Beschluss vom 4.7.1986 - VII B 151/85 - BFHE 147, 5: Vollstreckungsschuldner kann fehlende Vollstreckbarkeit in jedem Stadium des Verfahrens gegenüber ersuchender und ersuchter Behörde rügen).

21

c) Zuständig im Außenverhältnis zur Klägerin zur Entgegennahme des im aufgezeigten Verständnis als an die Anordnungsbehörde gerichtet anzusehenden Antrags auf Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs 1 AO war das beklagte Jobcenter auch dann, wenn es den Forderungseinzug vorliegend der Regionaldirektion der BA übertragen haben sollte, wofür die Angaben in den Vollstreckungsankündigungen sprechen könnten, dass die Vollstreckungen für die Regionaldirektion der BA vorgenommen werden sollten. Denn selbst wenn danach im Verhältnis zwischen Jobcenter und BA wirksam die Zuständigkeit der Regionaldirektion als Anordnungsbehörde iS von § 3 Abs 4 VwVG begründet worden und diese damit auch für die Überprüfung der Vollstreckungsanordnung zuständig geworden sein sollte(vgl zur früheren Rechtslage BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3; zu aktuellen Fragen vgl nur Knapp in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 44b RdNr 104 f; Weißenberger, SGb 2013, 14, 16), vermochte die Klägerin die Vollstreckungseinstellungsanträge nach dem Rechtsgedanken des § 16 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und erst recht ohne Kenntnis einer Übertragung wirksam beim Beklagten selbst anzubringen, zumal die Auseinandersetzung um die den Vollstreckungsankündigungen zu Grunde liegenden Erstattungsbescheide ausschließlich mit ihm geführt worden ist.

22

d) Das so verstandene Begehren auf Einstellung der Vollstreckung war auch in der Sache begründet. Dabei kann offenbleiben, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt je hätten betrieben werden dürfen, nachdem weder der in den Vollstreckungsankündigungen aufgeführte Bescheid vom 24.8.2011 noch der vom 24.7.2012 mit dem Inhalt ergangen ist, wie er vom Hauptzollamt bezeichnet worden ist. Denn jedenfalls soweit die Vollstreckung nach Auffassung des Beklagten zum einen auf den Bescheid vom 24.8.2011 mit einer Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 104 Euro gestützt sein sollte, war diese durch den gerichtlichen Vergleich vom 7.8.2012 auf 51 Euro ermäßigt (SG Mannheim zu S 7 AS 200/12) und dieser Restbetrag zwischenzeitlich bezahlt worden, der zu vollstreckende Verwaltungsakt also zum Teil iS von § 257 Abs 1 Nr 2 AO aufgehoben und die Forderung zum Teil iS von § 257 Abs 1 Nr 3 AO erloschen. Und in Bezug auf den Bescheid vom 24.7.2012 über den Erstattungsbetrag von 453,47 Euro kam der Klage dagegen (vgl SG Mannheim zu S 7 AS 3744/12) gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung mit der Folge zu, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzung des § 251 Abs 1 Satz 1 AO weggefallen und damit der Einstellungsgrund des § 257 Abs 1 Nr 1 AO verwirklicht worden ist, nachdem Erstattungsbescheide von der Ausnahmeregelung nach § 39 Nr 1 SGB II nicht erfasst sind(vgl BT-Drucks 16/10810 S 50; ebenso Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 39 RdNr 17; Aubel in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 39 RdNr 12; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand der Einzelkommentierung Februar 2012, K § 39 RdNr 68).

23

e) Ungeachtet dessen bestehen die streitbefangenen Kostenerstattungsansprüche nicht. Erstattungsfähig nach § 63 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 SGB X ist, wie bereits der Normtext und die systematische Stellung im Gesetz - nämlich im Fünften Abschnitt (Rechtsbehelfsverfahren) des Ersten Kapitels (Verwaltungsverfahren) des SGB X - deutlich machen, ausschließlich die anwaltliche Vergütung, die für das isolierte Vorverfahren anfällt. Die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X korrespondiert insoweit mit der Kostenregelung für ein ggf nachfolgendes gerichtliches Verfahren in § 193 Abs 2 SGG, wonach die notwendigen Aufwendungen eines für die sozialgerichtliche Klage gemäß § 78 SGG zwingend vorgeschriebenen Vorverfahrens zu den zu erstattenden Kosten gehören(grundlegend dazu bereits BSG Beschluss vom 24.8.1976 - 12/1 RA 105/75 - SozR 1500 § 193 Nr 3). War der Widerspruchsführer schon mit seinem Widerspruch erfolgreich und erübrigt sich eine Anrufung des Gerichts, besteht deshalb die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X(BSG Urteil vom 25.2.2010 - B 11 AL 24/08 R - BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 15). Die Aufwendungen für eine weitergehende Vertretung durch einen Rechtsanwalt, die nicht Vorverfahrenskosten sind, können dagegen auf Grundlage von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht erstattet werden(vgl BSG Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1; BSG Urteil vom 20.4.1983 - 5a RKn 1/82 - BSGE 55, 92, 93 = SozR 1300 § 63 Nr 1; BSG Urteil vom 25.11.1999 - B 13 RJ 23/99 R - SozR 3-1300 § 63 Nr 14; zuletzt BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 62/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 19; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 12/2010, K § 63 RdNr 10; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 6). Die Gerichte können § 63 SGB X nicht allein deshalb, weil es wünschenswert erscheinen mag, durch Rechtsfortbildung auf andere Verfahrensabschnitte als das Widerspruchsverfahren erstrecken. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 63 SGB X auf andere (ggf vorgelagerte) Verwaltungsverfahrensabschnitte rechtfertigen könnte, fehlt(ausführlich BSG Beschluss vom 24.8.1976 - 12/1 RA 105/75 - SozR 1500 § 193 Nr 3 S 3 ff und BSG Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1).

24

f) Eine planwidrige Regelungslücke in diesem Sinne hat auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Grundsätzen der Rechtswahrnehmungsgleichheit (grundlegend Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39) bewirkt. Danach verlangt der allgemeine Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 3 GG), dass der Gesetzgeber auch im außergerichtlichen Bereich die erforderlichen Vorkehrungen trifft, damit der Rechtsuchende mit der Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte nicht von vornherein an mangelnden Einkünften oder ungenügendem Vermögen scheitert (BVerfG Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39, 50). Das ist hier auch nicht schon deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin, wie der Beklagte im Verfahren meinte, "im Sinne einer guten Zusammenarbeit" telefonisch eine Überprüfung der Sachlage hätte anregen können; damit verkennt er die Bedeutung der Vollstreckungsandrohung und ihre faktische Zwangswirkung ("Die … mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung vermeiden, wenn Sie innerhalb von einer Woche … den Gesamtbetrag … einzahlen …"), zumal für Bezieher existenzsichernder Leistungen.

25

Jedoch besteht eine Rechtsschutzlücke für Bezieher existenzsichernder Leistungen zunächst deshalb nicht, weil nach dem Beratungshilfegesetz (im Folgenden: BerHG) Beratungshilfe einschließlich einer erforderlichen außergerichtlichen Vertretung unter anderem durch Rechtsanwälte beansprucht werden kann, wenn der Rechtsuchende die erforderlichen Mittel nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aufbringen kann, andere Möglichkeiten zumutbar nicht zur Verfügung stehen und die Inanspruchnahme nicht mutwillig erscheint (§ 3 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1, § 1 Abs 1 BerHG); zu einer entsprechenden Vertretung sind Rechtsanwälte auch verpflichtet, wenn nicht ein wichtiger Grund zur Ablehnung besteht (§ 49a Abs 1 Bundesrechtsanwaltsordnung). Weiterhin ist Raum dafür, gegen unberechtigte Vollstreckungsankündigungen unmittelbar (vorläufigen) gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl zur prozessualen Lage im finanzgerichtlichen Verfahren § 69 Abs 4 Satz 2 Nr 2 FGO und dazu etwa BFH Beschluss vom 22.11.2000 - V S 15/00 - BFH/NV 2001, 620) und hierzu PKH nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung zu beantragen. Jedenfalls für die betroffenen Leistungsbezieher sind damit ausreichende Wege zur Wahrnehmung ihrer Rechte eröffnet. Ob die niedrigen anwaltlichen Gebührensätze im beratungshilferechtlichen Verfahren (zu den Einzelheiten vgl Dürbeck in Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl 2014, S 400 ff) auch bei einer durch behördliche Fehler veranlassten Vertretung angemessen erscheinen, und ob eine bei dieser Rechtslage uU nicht auszuschließende vermehrte Inanspruchnahme von gerichtlichem (Eil-)Rechtsschutz gegenüber fehlerhaften Vollstreckungsankündigungen mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Entlastung der Gerichte in Einklang steht, hat der Senat dabei nicht zu berücksichtigen.

26

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Finanzbehörden können Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung, eine sonstige Handlung, eine Duldung oder Unterlassung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken. Dies gilt auch für Steueranmeldungen (§ 168). Vollstreckungsbehörden sind die Finanzämter und die Hauptzollämter sowie die Landesfinanzbehörden, denen durch eine Rechtsverordnung nach § 17 Absatz 2 Satz 3 Nummer 3 des Finanzverwaltungsgesetzes die landesweite Zuständigkeit für Kassengeschäfte und das Erhebungsverfahren einschließlich der Vollstreckung übertragen worden ist; § 328 Absatz 1 Satz 3 bleibt unberührt.

(2) Zur Vorbereitung der Vollstreckung können die Finanzbehörden die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners ermitteln. Die Finanzbehörde darf ihr bekannte, nach § 30 geschützte Daten, die sie bei der Vollstreckung wegen Steuern und steuerlicher Nebenleistungen verwenden darf, auch bei der Vollstreckung wegen anderer Geldleistungen als Steuern und steuerlicher Nebenleistungen verwenden.

(3) Zur Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen können die Vollstreckungsbehörden Auskunfts- und Unterstützungsersuchen nach § 757a der Zivilprozessordnung stellen. § 757a Absatz 5 der Zivilprozessordnung ist dabei nicht anzuwenden.

(1) Dieses Gesetz gilt für alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Es ist nur vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union anwendbar.

(2) Für die Realsteuern gelten, soweit ihre Verwaltung den Gemeinden übertragen worden ist, die folgenden Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend:

1.
die Vorschriften des Ersten, Zweiten, Vierten, Sechsten und Siebten Abschnitts des Ersten Teils (Anwendungsbereich; Steuerliche Begriffsbestimmungen; Datenverarbeitung und Steuergeheimnis; Betroffenenrechte; Datenschutzaufsicht, Gerichtlicher Rechtsschutz in datenschutzrechtlichen Angelegenheiten),
2.
die Vorschriften des Zweiten Teils(Steuerschuldrecht),
3.
die Vorschriften des Dritten Teils mit Ausnahme der §§ 82 bis 84(Allgemeine Verfahrensvorschriften),
4.
die Vorschriften des Vierten Teils(Durchführung der Besteuerung),
5.
die Vorschriften des Fünften Teils(Erhebungsverfahren),
6.
§ 249 Absatz 2 Satz 2,
7.
die §§ 351 und 361 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3,
8.
die Vorschriften des Achten Teils(Straf- und Bußgeldvorschriften, Straf- und Bußgeldverfahren).

(3) Auf steuerliche Nebenleistungen sind die Vorschriften dieses Gesetzes vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union sinngemäß anwendbar. Der Dritte bis Sechste Abschnitt des Vierten Teils gilt jedoch nur, soweit dies besonders bestimmt wird.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erstattung von Kosten der außergerichtlichen Vertretung wegen der Vollstreckung von Erstattungsbescheiden nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

2

Die Klägerin steht im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Anschluss an die Teilaufhebung von Leistungen und Festsetzung entsprechender Erstattungsbeträge durch Bescheide des beklagten Jobcenters vom 24.8.2011 über einen Gesamtbetrag von 104 Euro (Rückforderungen für den Zeitraum Februar bis August 2011) sowie vom 24.7.2012 über einen Betrag von 453,47 Euro (Rückforderung für Juni 2012) teilte ihr die Vollstreckungsstelle des Hauptzollamts Lörrach (im Folgenden: Hauptzollamt) durch zwei als Vollstreckungsankündigung bezeichnete Schreiben vom 18.2.2013 mit, dass sie für das Forderungsmanagement der Regionaldirektion Hessen (im Folgenden: Regionaldirektion) der Bundesagentur für Arbeit (BA) Vollstreckungen durchzuführen habe. Als Grund der Vollstreckung waren angeführt ein Bescheid des Beklagten vom 24.8.2011 über 427,80 Euro wegen Mehrbedarf bei Behinderung für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.2011, Arbeitslosengeld II (Alg II) für den Zeitraum vom 1. bis 30.6.2012 sowie Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.2011, fällig am 12.9.2011, 10.8.2012 sowie 12.9.2011, sowie ein Bescheid vom 24.7.2012 mit einem Rückforderungsbetrag von 79,47 Euro und einer Mahngebühr von 2,55 Euro wegen Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1. bis 30.6.2012, fällig am 10.8.2012. Die mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung (zB in bewegliche Sachen, Arbeitseinkommen, Bankguthaben) könne die Klägerin vermeiden, wenn sie die aufgeführten Beträge innerhalb von einer Woche nach Erhalt der Schreiben auf ein Konto des Hauptzollamts überweise.

3

Gegen die zwei Vollstreckungsankündigungen erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 23.2.2013 Widerspruch zum Beklagten und beantragte ausdrücklich nach § 257 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 3 Abgabenordnung (AO) die Einstellung der Vollstreckung. Die mit Bescheid vom 24.8.2011 begründete Erstattungsforderung sei durch gerichtlichen Vergleich vom 7.8.2012 auf 51 Euro ermäßigt (Sozialgericht Mannheim, S 7 AS 200/12) und der Restbetrag zwischenzeitlich bezahlt worden. Gegen den Bescheid vom 24.7.2012 sei Klage mit aufschiebender Wirkung anhängig (SG Mannheim, S 7 AS 3744/12). Auf den Hinweis des Hauptzollamts, ungeachtet der auch ihm gegenüber vorgetragenen Einwendungen an den angekündigten Vollstreckungen festzuhalten (Schreiben vom 25.2.2013), beantragte die Klägerin am 14.3.2013 beim SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche, den sie im weiteren Verlauf für erledigt erklärte (SG Mannheim, S 5 AS 923/13 ER).

4

Im Gefolge der auf die Widersprüche eingeleiteten Prüfung veranlasste der Beklagte am 28.2.2013 die Einstellung der Vollstreckungen. Die Widersprüche selbst verwarf er dagegen als unzulässig und entschied, dass gegebenenfalls entstandene notwendige Aufwendungen nicht zu erstatten seien. Zwar sei der gerichtliche Vergleich vom 7.8.2012 zu den Bescheiden vom 24.8.2011 erst am 28.2.2013 verwaltungsmäßig vollzogen worden. Ebenfalls sei der Vollstreckungsauftrag zum Rückforderungsbescheid vom 24.7.2012 auf die dagegen erhobene Klage erst zwischenzeitlich ruhendgestellt worden. Die Widersprüche seien aber unzulässig, da Vollstreckungsankündigungen keine Verwaltungsakte seien, sondern lediglich informellen Charakter hätten. Gemäß § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) seien daher Kosten nicht zu erstatten(Widerspruchsbescheid vom 19.4.2013). Im Übrigen hätte es der Widersprüche nicht bedurft, weil für eine Überprüfung eine telefonische Nachfrage des Bevollmächtigten bei ihm - dem Beklagten - ausreichend gewesen wäre, was andere Verfahrensbevollmächtigte im Sinne einer guten Zusammenarbeit zur Reduzierung von Verfahren üblicherweise praktizierten (Schriftsatz vom 20.3.2013 zu SG Mannheim S 5 AS 923/13 ER).

5

Die Klagen mit dem Ziel, den Beklagten dem Grunde nach zur Erstattung der zweckentsprechenden Aufwendungen in den Vorverfahren zu verurteilen, sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 15.10.2013; Urteil des Landessozialgerichts vom 30.4.2014): Eine Vollstreckungsankündigung sei kein Verwaltungsakt, denn als Zahlungsaufforderung fehle es an einer Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X. Rechtsschutz sei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erlangen.

6

Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 31 Satz 1 und § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Vollstreckungsankündigung dokumentiere für den Betroffenen, dass die Vollstreckung durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet worden sei. Diese Einleitung stelle einen Verwaltungsakt dar. Im Übrigen könnten Kosten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ungeachtet des Verfahrensausgangs aus Gründen der Klageveranlassung zuzusprechen sein.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Oktober 2013 und die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 19. April 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gegen die Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts Lörrach vom 18. Februar 2013 notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

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Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die geltend gemachten Kostenerstattungsansprüche nicht bestehen. Gegen die Ankündigung der Vollstreckung durch das Hauptzollamt aus dem Bescheid eines Jobcenters ist der Widerspruch nicht gegeben (dazu 3.) und der Erfolg des in dem Widerspruch verkörperten Antrags auf Einstellung der Vollstreckung begründet keine Ansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X(dazu 4.); insoweit sind Bezieher von Grundsicherungsleistungen auf die Inanspruchnahme von Beratungs- oder Prozesskostenhilfe verwiesen, wenn sie zur Abwendung einer unstatthaften Vollstreckung anwaltliche Unterstützung benötigen.

10

1. Gegenstand des Verfahrens ist die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 19.4.2013, durch die der Beklagte Ansprüche zum einen unmittelbar nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X ausgeschlossen und dem Sinnzusammenhang nach weiter entschieden hat, dass wegen der mit den Widersprüchen inzident betriebenen Verfahren auf Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs 1 AO(dazu unten 4. a) Kostenerstattungsansprüche auch sonst nicht bestehen. Dagegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 iVm § 56 SGG), diese ist zulässig gerichtet auf ein Grundurteil, ohne dass es dazu eines weiteren Vorverfahrens im Hinblick auf die im Widerspruchsbescheid durch Verwaltungsakt (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Einzelkommentierung 12/2010, K § 63 RdNr 16a; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 33)getroffene Kostenentscheidung bedurft hätte (stRspr; vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 20 RdNr 12; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Einzelkommentierung 12/2010, K § 63 RdNr 25; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 78 RdNr 8; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 37). Zuständig hierfür, ohne dass der Senat dies im Rechtsmittelverfahren noch zu prüfen hätte (vgl § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz), sein können nur die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, denn nur diese sind - unabhängig von ihrem Inhalt - berufen, über Widerspruchsbescheide von Jobcentern nach dem SGB II zu entscheiden (vgl ebenso für das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 23/13 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 6 RdNr 10).

11

2. Einer Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Insbesondere stand der angegriffenen Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen, nachdem die Klägerin bei einer für sie günstigen Entscheidung eine Erstattungsforderung in Höhe von 847,28 Euro geltend zu machen beabsichtigte. Dass der Beklagte dagegen, sollte die Klägerin dem Grunde nach durchdringen, einen Gebührenansatz nur in Höhe von 559,30 Euro für angemessen hielt, ist demgegenüber nicht ausschlaggebend, weil im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung nicht abschließend über die Berechtigung der von dem Bevollmächtigten ins Auge gefassten Gebührenforderung zu befinden war und jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder auch nur geltend gemacht sind, dass ein Anspruch in dieser Höhe nach keiner Betrachtungsweise bestehen kann.

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3. In der Sache bestehen Kostenerstattungsansprüche zunächst nicht, soweit die Klägerin Widerspruch zum Beklagten gegen die Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts erhoben hat. Als Rechtsgrundlage dafür kommt nur § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Daran fehlt es, weil weder gegen die Ankündigung einer bevorstehenden Vollstreckung durch das Hauptzollamt noch gegen die dem vorangehende Beauftragung mit der Vollstreckung der Widerspruch zum Beklagten gegeben und daher die Einstellung der Vollstreckung durch ihn nicht iS von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auf (statthaften) Widerspruch hin erfolgt ist.

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a) Rechtsgrundlage der angekündigten Vollstreckungen sind gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II(hier idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) die §§ 1 bis 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) sowie die in § 5 VwVG im Einzelnen aufgeführten Vorschriften der AO. Danach wird für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach dem SGB II auf das VwVG (§ 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II) und im Übrigen auf § 66 SGB X verwiesen(§ 40 Abs 6 Halbs 2 SGB II). Mithin richtet sich die Vollstreckung aus den hier maßgeblichen Bescheiden, da der Beklagte kein zugelassener kommunaler Träger iS von § 6a SGB II ist(vgl die Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, hier idF der Verordnung vom 1.12.2010, BGBl I 1758), nach dem die Vollstreckung von Geldforderungen betreffenden 1. Abschnitt des VwVG mit dessen §§ 1 bis 4 sowie der Verweisung auf die AO in § 5 Abs 1 VwVG, insbesondere in ihrem 6. Teil mit den §§ 249 ff (zur Frage, ob im Bereich des SGB II überhaupt andere Ansprüche zu vollstrecken sind vgl Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 193).

14

b) Sachlich zuständig für die Durchführung der Vollstreckungen im Außenverhältnis zur Klägerin war demzufolge gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II iVm § 4 lit b VwVG sowie § 249 Abs 1 Satz 3 AO und § 1 Nr 4 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) das Hauptzollamt. Hiernach bedienen sich die Träger der Grundsicherung für die Vollstreckung von Geldforderungen der Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, soweit sich die Vollstreckung nach dem VwVG (des Bundes) richtet - wie hier gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II - und solange eine Bestimmung nach § 4 lit a VwVG nicht getroffen worden ist(§ 4 lit b VwVG), wonach Vollstreckungsbehörden auch sein können die von einer obersten Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern bestimmten Behörden des betreffenden Verwaltungszweigs, woran es hier fehlt. Diese Aufgabe ist im Aufbau der Bundesfinanzbehörden (§ 1 FVG) den Hauptzollämtern zugewiesen (§ 249 Abs 1 Satz 3 AO).

15

c) Soweit sich die Klägerin mit ihren an das Jobcenter gerichteten "Widersprüchen" gegen die sonach zuständigkeitshalber zu Recht vom Hauptzollamt herausgegebenen Vollstreckungsankündigungen gewandt hat, vermag das Kostenerstattungsansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X im Verhältnis zum beklagten Jobcenter schon deshalb nicht zu begründen, weil dessen Träger in Bezug auf das Hauptzollamt nicht die Rechtsträger iS von § 63 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGB X sind, dessen Behörde die Vollstreckungsankündigungen verfasst hat. Davon abgesehen kommt der Vollstreckungsankündigung auch sonst Verwaltungsaktqualität nicht zu, wie die Vor-instanzen im Ergebnis zutreffend erkannt haben. Ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zufolge, der sich der erkennende Senat anschließt, hat die Vollstreckungsankündigung vielmehr lediglich den Sinn, den Schuldner noch einmal auf die Situation hinzuweisen und ihm letztmalig die Gelegenheit zu geben, zur Abwendung der Vollstreckung freiwillig die Rückstände zu begleichen; Regelungswirkung kommt dem nicht bei (vgl BFH Beschluss vom 13.2.1997 - VII S 35/96 - BFH/NV 1997, 462; BFH Beschluss vom 14.6.1988 - VII B 15/88 - BFH/NV 1989, 75; BFH Beschluss vom 21.8.2000 - VII B 46/00 - BFH/NV 2001, 149; BFH Beschluss vom 30.8.2010 - VII B 48/10 - BFH/NV 2010, 2235; ebenso etwa Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 254 RdNr 4).

16

d) Auch auf Seiten des Beklagten sind im Vorfeld der Vollstreckungsankündigungen, insbesondere im Zuge der Beauftragung des Hauptzollamts mit der Durchführung der Vollstreckungen, keine Entscheidungen getroffen worden, die als Verwaltungsakte zu qualifizieren wären und gegen die bei sachdienlichem Verständnis des mit den Widersprüchen verfolgten Begehrens ein Widerspruch als statthaft gerichtet anzusehen sein könnte. Zwar übernimmt die Finanzverwaltung die Vollstreckung ausschließlich auf Initiative des Vollstreckungsgläubigers, nämlich durch die von diesem zu verantwortende Vollstreckungsanordnung nach § 3 Abs 1 Halbs 1 VwVG. Danach wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet (§ 3 Abs 1 Halbs 1 VwVG), die von der Behörde "erlassen" wird, die den Anspruch geltend machen darf (§ 3 Abs 4 VwVG). Darin liegt indessen ungeachtet der Wendungen "Anordnung" und "erlassen" keine rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung zulasten des Vollstreckungsschuldners. Vielmehr handelt es sich in dem durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Rechtsträgern bestimmten Verhältnis der beteiligten Behörden um Willenserklärungen zwischen Jobcenter und Hauptzollamt (vgl Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/Finanzgerichtsordnung , Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27: zwischenbehördliche Willenserklärung), durch die das Hauptzollamt im Wege der Amtshilfe (vgl zum VwVG Sadler, VwVG/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 2; zu § 250 AO: Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 1 ff; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 6 ff) um Vornahme von Vollstreckungshandlungen "ersucht" (so ausdrücklich § 250 AO)wird. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dem sich der erkennende Senat anschließt, hat deshalb bereits entschieden, dass der Einleitung der Vollstreckung durch Erklärung der ersuchenden Behörde Regelungswirkung im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner nicht zukommt (BVerwG Urteil vom 18.11.1960 - VII C 184.57 - DVBl 1961, 134; ebenso Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 2; iE ähnlich Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 9: Auftrag ohne Verwaltungsakteigenschaft; ebenso zum Ersuchen nach § 250 Abs 1 Satz 1 AO: Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 5).

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4. Soweit der Beklagte das Vorgehen der Klägerin gegen die angekündigten Vollstreckungen zutreffend als Antrag auf deren Einstellung gewertet und diese (auch) zuständigkeitshalber zu Recht veranlasst hat (dazu a bis d), bestehen Ansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht, weil der Anwendungsbereich der Vorschrift auf das förmliche Widerspruchsverfahren beschränkt ist(dazu e); die - anders als der Beklagte meint - bei verständiger Würdigung nicht unberechtigte Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe ist insoweit bei Bedürftigkeit nur über die Inanspruchnahme von Beratungshilfe für das Verfahren dem Jobcenter gegenüber oder von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein gerichtliches Rechtsschutzersuchen zu gewährleisten (dazu f).

18

a) Zutreffend hat der Beklagte das mit den Widersprüchen der Sache nach verfolgte Begehren der Klägerin als Antrag auf Einstellung der angekündigten Vollstreckungen verstanden und darauf zu Recht geprüft, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt (noch oder überhaupt) statthaft waren. Rechtliche Grundlage dafür ist § 257 Abs 1 AO iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II sowie § 5 Abs 1 VwVG. Hiernach ist eine Vollstreckung einzustellen, sobald ua die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs 1 AO weggefallen sind, also die Vollziehung ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist(Nr 1), der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr 2) oder der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr 3).

19

b) Hierfür war die Zuständigkeit des Beklagten selbst dann gegeben, wenn mit der Rechtsprechung des BFH davon auszugehen ist, dass für Einstellungsentscheidungen nach § 257 Abs 1 AO - anders als es in der Mitteilung des Hauptzollamts an die Klägerin über seine Unzuständigkeit zur Prüfung der sachlichen Einwände gegen die angekündigten Vollstreckungen zum Ausdruck gekommen ist - zumindest auch, wenn nicht sogar primär die Zuständigkeit des Hauptzollamts als ersuchter und damit mit der Durchführung der Vollstreckung beauftragter Behörde bestanden hat(vgl nur BFH Beschluss vom 4.7.1986 - VII B 151/85 - BFHE 147, 5; BFH Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 (PKH) - juris, RdNr 7; ebenso Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 8). Dabei kann offenbleiben, ob schon steuerverfahrensrechtlich auch die Zuständigkeit der ersuchenden Vollstreckungsbehörde gegeben ist (so wohl Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27: auch die ersuchte Vollstreckungsbehörde) oder ob sich dies auf die ersuchte Vollstreckungsbehörde beschränkt (so Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 8). Denn jedenfalls im Anwendungsbereich des VwVG verpflichtet die Stellung als Anordnungsbehörde nach § 3 Abs 4 VwVG auch die ersuchende Behörde - hier das beklagte Jobcenter -, in jeder Verfahrenslage auf Änderungen oder Fehler zu reagieren, die die Rechtmäßigkeit ihrer Vollstreckungsanordnungen berühren.

20

Das folgt aus dem Zweck der von der Anordnungsbehörde zu erlassenden Vollstreckungsanordnung, vor Einleitung der Vollstreckung förmlich - wenn auch nicht durch Verwaltungsakt - nach Maßgabe des Katalogs in § 3 Abs 2 VwVG deren Statthaftigkeit zu bekräftigen(so schon BVerwG Urteil vom 18.11.1960 - VII C 184.57 - DVBl 1961, 134: größtmögliche Sicherheit gegen unzulässige und unberechtigte Vollstreckungsmaßnahmen; ähnlich Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 9: Anordnungsbehörde übernimmt durch Vollstreckungsanordnung die Verantwortung für das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen; Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 3). Damit ist der Anordnungsbehörde eine Garantenstellung für die Statthaftigkeit der Vollstreckung zugewiesen, die mit Erlass des Vollstreckungsauftrags nicht wegfällt; nach § 250 Abs 1 Satz 2 AO iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II iVm § 5 Abs 1 VwVG bleibt vielmehr die ersuchende Vollstreckungsbehörde für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs auch dann verantwortlich, wenn die Zuständigkeit zur Ausführung der Vollstreckung nach § 250 Abs 1 Satz 1 AO auf die ersuchte Behörde übergegangen ist. Das begründet die Verpflichtung der Anordnungsbehörde, in jedem Stadium der Vollstreckung neben der ersuchten Vollstreckungsbehörde selbstständig auf Änderungen der Statthaftigkeit der Vollstreckung zu reagieren und ggf deren Einstellung zu veranlassen (ebenso zur AO Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17 unter Verweis auf BFH Beschluss vom 4.7.1986 - VII B 151/85 - BFHE 147, 5: Vollstreckungsschuldner kann fehlende Vollstreckbarkeit in jedem Stadium des Verfahrens gegenüber ersuchender und ersuchter Behörde rügen).

21

c) Zuständig im Außenverhältnis zur Klägerin zur Entgegennahme des im aufgezeigten Verständnis als an die Anordnungsbehörde gerichtet anzusehenden Antrags auf Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs 1 AO war das beklagte Jobcenter auch dann, wenn es den Forderungseinzug vorliegend der Regionaldirektion der BA übertragen haben sollte, wofür die Angaben in den Vollstreckungsankündigungen sprechen könnten, dass die Vollstreckungen für die Regionaldirektion der BA vorgenommen werden sollten. Denn selbst wenn danach im Verhältnis zwischen Jobcenter und BA wirksam die Zuständigkeit der Regionaldirektion als Anordnungsbehörde iS von § 3 Abs 4 VwVG begründet worden und diese damit auch für die Überprüfung der Vollstreckungsanordnung zuständig geworden sein sollte(vgl zur früheren Rechtslage BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3; zu aktuellen Fragen vgl nur Knapp in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 44b RdNr 104 f; Weißenberger, SGb 2013, 14, 16), vermochte die Klägerin die Vollstreckungseinstellungsanträge nach dem Rechtsgedanken des § 16 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und erst recht ohne Kenntnis einer Übertragung wirksam beim Beklagten selbst anzubringen, zumal die Auseinandersetzung um die den Vollstreckungsankündigungen zu Grunde liegenden Erstattungsbescheide ausschließlich mit ihm geführt worden ist.

22

d) Das so verstandene Begehren auf Einstellung der Vollstreckung war auch in der Sache begründet. Dabei kann offenbleiben, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt je hätten betrieben werden dürfen, nachdem weder der in den Vollstreckungsankündigungen aufgeführte Bescheid vom 24.8.2011 noch der vom 24.7.2012 mit dem Inhalt ergangen ist, wie er vom Hauptzollamt bezeichnet worden ist. Denn jedenfalls soweit die Vollstreckung nach Auffassung des Beklagten zum einen auf den Bescheid vom 24.8.2011 mit einer Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 104 Euro gestützt sein sollte, war diese durch den gerichtlichen Vergleich vom 7.8.2012 auf 51 Euro ermäßigt (SG Mannheim zu S 7 AS 200/12) und dieser Restbetrag zwischenzeitlich bezahlt worden, der zu vollstreckende Verwaltungsakt also zum Teil iS von § 257 Abs 1 Nr 2 AO aufgehoben und die Forderung zum Teil iS von § 257 Abs 1 Nr 3 AO erloschen. Und in Bezug auf den Bescheid vom 24.7.2012 über den Erstattungsbetrag von 453,47 Euro kam der Klage dagegen (vgl SG Mannheim zu S 7 AS 3744/12) gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung mit der Folge zu, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzung des § 251 Abs 1 Satz 1 AO weggefallen und damit der Einstellungsgrund des § 257 Abs 1 Nr 1 AO verwirklicht worden ist, nachdem Erstattungsbescheide von der Ausnahmeregelung nach § 39 Nr 1 SGB II nicht erfasst sind(vgl BT-Drucks 16/10810 S 50; ebenso Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 39 RdNr 17; Aubel in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 39 RdNr 12; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand der Einzelkommentierung Februar 2012, K § 39 RdNr 68).

23

e) Ungeachtet dessen bestehen die streitbefangenen Kostenerstattungsansprüche nicht. Erstattungsfähig nach § 63 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 SGB X ist, wie bereits der Normtext und die systematische Stellung im Gesetz - nämlich im Fünften Abschnitt (Rechtsbehelfsverfahren) des Ersten Kapitels (Verwaltungsverfahren) des SGB X - deutlich machen, ausschließlich die anwaltliche Vergütung, die für das isolierte Vorverfahren anfällt. Die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X korrespondiert insoweit mit der Kostenregelung für ein ggf nachfolgendes gerichtliches Verfahren in § 193 Abs 2 SGG, wonach die notwendigen Aufwendungen eines für die sozialgerichtliche Klage gemäß § 78 SGG zwingend vorgeschriebenen Vorverfahrens zu den zu erstattenden Kosten gehören(grundlegend dazu bereits BSG Beschluss vom 24.8.1976 - 12/1 RA 105/75 - SozR 1500 § 193 Nr 3). War der Widerspruchsführer schon mit seinem Widerspruch erfolgreich und erübrigt sich eine Anrufung des Gerichts, besteht deshalb die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X(BSG Urteil vom 25.2.2010 - B 11 AL 24/08 R - BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 15). Die Aufwendungen für eine weitergehende Vertretung durch einen Rechtsanwalt, die nicht Vorverfahrenskosten sind, können dagegen auf Grundlage von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht erstattet werden(vgl BSG Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1; BSG Urteil vom 20.4.1983 - 5a RKn 1/82 - BSGE 55, 92, 93 = SozR 1300 § 63 Nr 1; BSG Urteil vom 25.11.1999 - B 13 RJ 23/99 R - SozR 3-1300 § 63 Nr 14; zuletzt BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 62/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 19; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 12/2010, K § 63 RdNr 10; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 6). Die Gerichte können § 63 SGB X nicht allein deshalb, weil es wünschenswert erscheinen mag, durch Rechtsfortbildung auf andere Verfahrensabschnitte als das Widerspruchsverfahren erstrecken. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 63 SGB X auf andere (ggf vorgelagerte) Verwaltungsverfahrensabschnitte rechtfertigen könnte, fehlt(ausführlich BSG Beschluss vom 24.8.1976 - 12/1 RA 105/75 - SozR 1500 § 193 Nr 3 S 3 ff und BSG Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1).

24

f) Eine planwidrige Regelungslücke in diesem Sinne hat auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Grundsätzen der Rechtswahrnehmungsgleichheit (grundlegend Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39) bewirkt. Danach verlangt der allgemeine Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 3 GG), dass der Gesetzgeber auch im außergerichtlichen Bereich die erforderlichen Vorkehrungen trifft, damit der Rechtsuchende mit der Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte nicht von vornherein an mangelnden Einkünften oder ungenügendem Vermögen scheitert (BVerfG Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39, 50). Das ist hier auch nicht schon deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin, wie der Beklagte im Verfahren meinte, "im Sinne einer guten Zusammenarbeit" telefonisch eine Überprüfung der Sachlage hätte anregen können; damit verkennt er die Bedeutung der Vollstreckungsandrohung und ihre faktische Zwangswirkung ("Die … mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung vermeiden, wenn Sie innerhalb von einer Woche … den Gesamtbetrag … einzahlen …"), zumal für Bezieher existenzsichernder Leistungen.

25

Jedoch besteht eine Rechtsschutzlücke für Bezieher existenzsichernder Leistungen zunächst deshalb nicht, weil nach dem Beratungshilfegesetz (im Folgenden: BerHG) Beratungshilfe einschließlich einer erforderlichen außergerichtlichen Vertretung unter anderem durch Rechtsanwälte beansprucht werden kann, wenn der Rechtsuchende die erforderlichen Mittel nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aufbringen kann, andere Möglichkeiten zumutbar nicht zur Verfügung stehen und die Inanspruchnahme nicht mutwillig erscheint (§ 3 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1, § 1 Abs 1 BerHG); zu einer entsprechenden Vertretung sind Rechtsanwälte auch verpflichtet, wenn nicht ein wichtiger Grund zur Ablehnung besteht (§ 49a Abs 1 Bundesrechtsanwaltsordnung). Weiterhin ist Raum dafür, gegen unberechtigte Vollstreckungsankündigungen unmittelbar (vorläufigen) gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl zur prozessualen Lage im finanzgerichtlichen Verfahren § 69 Abs 4 Satz 2 Nr 2 FGO und dazu etwa BFH Beschluss vom 22.11.2000 - V S 15/00 - BFH/NV 2001, 620) und hierzu PKH nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung zu beantragen. Jedenfalls für die betroffenen Leistungsbezieher sind damit ausreichende Wege zur Wahrnehmung ihrer Rechte eröffnet. Ob die niedrigen anwaltlichen Gebührensätze im beratungshilferechtlichen Verfahren (zu den Einzelheiten vgl Dürbeck in Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl 2014, S 400 ff) auch bei einer durch behördliche Fehler veranlassten Vertretung angemessen erscheinen, und ob eine bei dieser Rechtslage uU nicht auszuschließende vermehrte Inanspruchnahme von gerichtlichem (Eil-)Rechtsschutz gegenüber fehlerhaften Vollstreckungsankündigungen mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Entlastung der Gerichte in Einklang steht, hat der Senat dabei nicht zu berücksichtigen.

26

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den automatisierten Datenabgleich zwischen dem Beklagten und dem Bundeszentralamt für Steuern.

2

Der Beklagte erhielt während des SGB II-Bezugs des Klägers von Mai 2005 bis November 2006 über den automatisierten vierteljährlichen Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern Kenntnis davon, dass der Kläger im Jahr 2004 Einkünfte aus Vermögen erzielt hatte. Nach vergeblicher Aufforderung zur Darlegung der Höhe des Vermögens sowie der Kapitalerträge entzog der Beklagte ihm die SGB II-Leistungen wegen nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit. Seit August 2012 erhält der Kläger erneut Leistungen nach dem SGB II, die der Beklagte vorläufig bewilligte.

3

Die im Dezember 2012 erhobene und gegen die Durchführung des automatisierten Datenabgleichs gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 22.11.2013). Die Berufung mit dem Begehren, das erstinstanzliche Urteil zu ändern und "den Beklagten zu verurteilen, den Datenabgleich nach Maßgabe des § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II zukünftig zu unterlassen", ist ohne Erfolg geblieben(Urteil des LSG vom 8.5.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die zulässige vorbeugende Unterlassungsklage sei nicht begründet. Zwar werde mit dem automatisierten Datenabgleich in das durch Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen; dies begegne jedoch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Eingriff erfolge mit der erforderlichen Bestimmtheit und Normenklarheit. § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II regele, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welcher Aufgaben der geregelten Informationserhebung berechtigt sein solle. Unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels und der Intensität des Eingriffs sei dieser nach Maßgabe der getroffenen Regelung verhältnismäßig. Der automatisierte Datenabgleich nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II solle die Überprüfung des beim Alg II zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens sicherstellen, diene der Aufdeckung von nicht angegebenem Vermögen und des Leistungsmissbrauchs sowie gleichzeitig der Abschreckung gegenüber Antragstellern, die bestimmte Vermögenswerte nicht angeben wollten. Die ermittelten Kapitalerträge ermöglichten Rückschlüsse auf aktuelles bzw in der Vergangenheit vorhandenes Vermögen. Durch weitere Ermittlungen könne der Beklage feststellen, ob anrechenbares Vermögen vorhanden (gewesen) sei, das für den laufenden oder einen bereits zurückliegenden Leistungszeitraum Auswirkungen auf den Grund oder die Höhe der Leistungen habe oder gehabt habe. Das Mittel des automatisierten Datenabgleichs mit dem Bundeszentralamt für Steuern sei zur Erreichung des Gesetzeszwecks erforderlich, weil ein ebenso wirksamer, den Leistungsempfänger weniger belastender Weg nicht ersichtlich sei. Die beanstandete gesetzliche Ermächtigung wahre auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, weil der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem dargestellten Schutzzweck nicht schwerwiegender sei. Auch der beschränkte Blick in die Vergangenheit sei verhältnismäßig. Die gemeldeten Daten beträfen von vornherein Sachverhalte (Erwirtschaftung von Erträgen aus Vermögen), die in einer (zeitnahen) Vergangenheit lägen. Die Schwere der vom Kläger beanstandeten Eingriffe, die durch die quartalsmäßige Abfrage ausgelöst würden, stehe nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß des § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II gegen Verfassungsrecht. Das LSG habe nicht problematisiert, ob es - wie in § 52 Abs 4 SGB II festgelegt - in formeller Hinsicht genüge, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Verordnungsermächtigung zu erteilen. Auch liege kein konkreter, sondern ein allgemeiner Erhebungszweck vor, wenn der Gesetzgeber unterstelle, Hinweise auf Vermögen trotz einer ersten (negativen) Abfrage bei erstmaliger Antragsstellung zu finden. Fraglich sei auch, ob der automatisierte Datenabgleich in der konkreten Häufigkeit geeignet sei, nach der erstmaligen Abfrage für die Vergangenheit noch weitere, neue Erkenntnisse zu bringen. Hierzu müssten empirische Ermittlungen erfolgen. § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II ermögliche ein "dauerhaftes Ermitteln ins Blaue hinein". Eine Verhältnismäßigkeit sei daher nicht mehr gegeben. Die quartalsmäßigen Abgleiche aller Leistungsberechtigten fielen in den Bereich anlassloser Routineabrufe, die nach verfassungsrechtlicher Rechtsprechung unzulässig seien.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 2014 und des Sozialgerichts Dortmund vom 22. November 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Datenabgleich nach Maßgabe des § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II zu unterlassen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er vertritt die Auffassung, dass der automatisierte Datenabgleich zur Vermeidung des Sozialleistungsmissbrauchs geeignet sei. Das LSG habe zu Recht darauf hingewiesen, dass ein konkreter Einzelabruf bei den Kreditinstituten einen stigmatisierenden Charakter habe, es also weniger belastende Wege zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht gebe.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil steht im Ergebnis mit Bundesrecht im Einklang.

9

1. a) Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, den automatisierten Datenabgleich in der gesetzlich vorgesehenen Form mit dem Bundeszentralamt für Steuern zukünftig zu unterlassen. Er wendet sich nicht im Wege des grundsätzlich nachgängigen Rechtsschutzes gegen einzelne oder wiederholte Datenabgleiche, die in der Vergangenheit nach bestimmten - ggf gesetzlichen Vorgaben zuwiderlaufenden - Praktiken stattgefunden haben. Vielmehr macht der Kläger geltend, dass der Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern, wie er in § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) iVm den Regelungen der Verordnung über den automatisierten Datenabgleich bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Grundsicherungs-Datenabgleichsverordnung ) vom 27.7.2005 (BGBl I 2273), zuletzt geändert durch Art 1 Erste ÄndVO vom 21.2.2012 (BGBl I 309), im Einzelnen gesetzlich umschrieben ist, unzulässig sei. Sein Begehren richtet sich damit auf die künftige Unterlassung eines schlicht hoheitlichen Verwaltungshandelns des Beklagten. Dieses Klageziel kann er grundsätzlich im Wege einer sogenannten vorbeugenden Unterlassungsklage verfolgen, deren Zulässigkeit als besondere Form der Leistungsklage über den Wortlaut des § 54 Abs 1 S 1 SGG hinaus allgemein anerkannt ist(BSG Urteil vom 5.2.1985 - 6 RKa 40/83 - SozR 2200 § 368n Nr 34 RdNr 10; BSG Urteil vom 27.1.1977 - 7 RAr 17/76 - BSGE 43, 134 = SozR 4100 § 34 Nr 6, RdNr 18).

10

b) Das für eine vorbeugende Unterlassungsklage geforderte qualifizierte Rechtsschutzinteresse einschließlich einer Wiederholungsgefahr (BSG Urteil vom 5.2.1985 - 6 RKa 40/83 - SozR 2200 § 368n Nr 34 mwN) hat der Kläger schlüssig dargelegt. Bei einem hoheitlichen Handeln besteht dies darin, dass der Betreffende von der Verwaltungsmaßnahme widerrechtlich berührt, dh in seinen Rechten nachteilig verletzt wird bzw eine solche Verletzung behauptet.

11

Als maßgebliches Kriterium für das Bestehen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses muss ein erneutes, als widerrechtlich beurteiltes Vorgehen der Gegenseite ernstlich zu befürchten sein (BSG Urteil vom 15.11.1995 - 6 RKa 17/95 - RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, Vor § 51 RdNr 17a und § 54 RdNr 42a; Ulmer in Hennig, § 54 RdNr 119 SGG, Stand: Dezember 2012). Es muss dargelegt werden, dass das Abwarten einer für die Zukunft (möglicherweise) zu gewärtigenden Beeinträchtigung mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre bzw ein gerade auf die Inanspruchnahme eines vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse besteht, das regelmäßig nicht gegeben ist, wenn und solange der Kläger auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (vgl BSG Urteil vom 16.5.2013 - B 3 P 5/12 R - SozR 4-3300 § 115 Nr 2 RdNr 9; BSG Urteil vom 24.7.2013 - B 3 P 4/02 R - BSGE 91, 174, 176 = SozR 4-3300 § 37 Nr 1, RdNr 7; vgl auch BVerwG Urteil vom 22.10.2014 - 6 C 7/13 - RdNr 12 f).

12

Ein solches spezifisches Interesse an einem vorbeugenden Rechtsschutz liegt hier vor. Mit seinem Vorbringen, der automatisierte Datenabgleich nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II werde laufend durchgeführt und verletze das Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I sowie sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, hat der Kläger schlüssig dargetan, dass er durch den Datenabgleich in seinen Rechten betroffen sei. Unstreitig ist er wegen seines laufenden SGB II-Bezugs dem Datenabgleich automatisch und ohne die Möglichkeit einer eigenen Einflussnahme in regelmäßigen Abständen unterworfen, weshalb ein erneutes von ihm als widerrechtlich bewertetes Vorgehen des Beklagten im Sinne einer Wiederholungsgefahr ernstlich zu befürchten ist. Der Beklagte ist nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II verpflichtet, die vorgesehenen Daten jeweils zu Beginn eines jeden Quartals zu erheben. Es ist dem Kläger wegen des Datenabgleichs ohne angreifbaren Verwaltungsakt nicht möglich, nachträglich effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Gleichfalls hat das LSG zu Recht ausgeführt, dass ggf stattgefundene tatsächliche Handlungen der Datenübermittlung und des Datenabgleichs nicht mehr rückgängig gemacht werden können, der Kläger also auf einen nachträglichen Rechtsschutz nicht verwiesen werden kann.

13

Mit seinem Klagevortrag bringt er zudem zum Ausdruck, dass er sich gegen die Durchführung des automatisierten Datenabgleichs mit dem Bundeszentralamt für Steuern unabhängig von einer hiermit ggf verbundenen Anrechnung von bisher nicht angegebenem Vermögen oder (Zins-)Einkünften durch spätere Rücknahme- und Erstattungsbescheide wenden möchte. Unbesehen dieser möglichen Folgen des Datenabgleichs hat der Kläger schlüssig behauptet, durch den Datenabgleich nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II an sich in seinen Rechten verletzt zu sein. Er kann also - zur eventuellen Erreichung seines Klageziels - nicht darauf verwiesen werden, gegen die nach den Feststellungen des LSG möglicherweise wegen fehlender Auskünfte zu Vermögenswerten nur vorläufig erfolgte Bewilligung vorzugehen und in diesem Rahmen einzuwenden, dass die Erkenntnisse aus dem Datenabgleich nicht "verwertet" werden dürften.

14

2. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage auf Unterlassung des Datenabgleichs mit dem Bundeszentralamt für Steuern zutreffend gegen den Beklagten als gemeinsame Einrichtung. Der Beklagte ist der richtige Klagegegner. Nach § 44b Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) nimmt die gemeinsame Einrichtung grundsätzlich alle Aufgaben der Träger nach dem SGB II gegenüber den Leistungsberechtigten wahr (Grundsatz der Gesamtwahrnehmung). Der Beklagte ist die verantwortliche Stelle für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten nach § 67 Abs 9 SGB X sowie Stelle iS des § 35 Abs 1 SGB I, sodass der hier streitige Unterlassungsanspruch gegen ihn zu richten ist(Harich in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 50 RdNr 7).

15

3. Das LSG hat die Klage zu Recht als unbegründet angesehen, weil dem Kläger der geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht zusteht.

16

Materiell-rechtlich beruht der Unterlassungsanspruch auf einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem der Inhaber eines Rechts, sofern ein Eingriff in ein absolutes Recht oder ein ansonsten geschütztes Rechtsgut droht, die Unterlassung des Eingriffs verlangen kann, wenn er nicht zu dessen Duldung verpflichtet ist (BSG Urteil vom 15.11.1995 - 6 RKa 17/95, RdNr 17 mwN). § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm den Regelungen der GrSiDAV enthält eine gesetzliche Grundlage, die in Übereinstimmung mit den datenschutzrechtlichen Regelungen im SGB I und SGB X steht und den Kläger auf einfach-gesetzlicher Ebene zur Duldung des automatisierten Datenabgleichs verpflichtet.

17

a) Zwar hat nach § 35 Abs 1 S 1 SGB I jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). Auch handelt es sich bei den für den Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern verwendeten Informationen um Sozialdaten iS des § 67 Abs 1 SGB X. Sozialdaten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden(§ 67 Abs 1 SGB X). Hierzu gehören auch die hier verwendeten Daten. Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung dieser Sozialdaten ist nur unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des Zehnten Buches zulässig (§ 35 Abs 2 SGB I). Hierzu bestimmt § 67d Abs 1 SGB X, dass eine Übermittlung von Sozialdaten nur zulässig ist, soweit eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach den §§ 68 bis 77 SGB X oder einer anderen Rechtsvorschrift des Sozialgesetzbuches vorliegt. Nach § 67a Abs 2 S 1 SGB X sind Sozialdaten grundsätzlich beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung dürfen sie bei anderen (als in den in § 35 SGB I oder in § 69 Abs 2 SGB X genannten Stellen) oder bei "anderen Personen oder Stellen" nur erhoben werden, "wenn eine Rechtsvorschrift die Erhebung bei ihnen zulässt oder die Übermittlung an die erhebende Stelle ausdrücklich vorschreibt" (§ 67a Abs 2 S 2 Nr 2a SGB X).

18

b) § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II enthält eine diesen Vorgaben entsprechende spezielle und bereichsspezifische Ermächtigung im SGB II(Harich in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 52 RdNr 2)an die BA und die zugelassenen kommunalen Träger zur Übermittlung und Überprüfung von Daten iS von § 67d Abs 1 SGB X.

19

Nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II überprüfen die BA und die zugelassenen kommunalen Träger Personen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. im Wege des automatisierten Datenabgleichs daraufhin, ob und welche Daten nach § 45d Abs 1 und § 45e des EStG an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt werden. Auf der Grundlage der Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Erlass einer Rechtsverordnung in § 52 Abs 4 SGB II zur Regelung von Einzelheiten des Verfahrens des automatisierten Datenabgleichs und der Verfahrenskosten hat der Verordnungsgeber die GrSiDAV vom 27.7.2005 (BGBl I 2273), zuletzt geändert durch Art 1 der Verordnung vom 21.2.2012 (BGBl I 309), erlassen. § 2 Abs 4 GrSiDAV bestimmt, dass das Bundeszentralamt für Steuern die ihm übermittelten Daten mit den dort gespeicherten Daten zur Feststellung von Kapitalerträgen, für die ein Freistellungsauftrag erteilt worden ist, und von Namen und Anschrift des Empfängers des Freistellungsauftrags(Nr 1), sowie von Zinserträgen, die aufgrund der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3.6.2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (ABl Nr L 1573 S 38) mitgeteilt wurden (Nr 2), abgleicht. Nach § 1 Abs 1 GrSiDAV bezieht die BA in den Datenabgleich alle Personen ein, die innerhalb des dem Abgleich vorangehenden Kalendervierteljahres (Abgleichszeitraum) von einem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit Ausnahme der zugelassenen kommunalen Träger Leistungen bezogen haben (Abgleichsfälle). Abweichend hiervon werden in den Abgleich mit den Daten des Bundeszentralamtes für Steuern zum vierten Kalendervierteljahr alle Personen einbezogen, die innerhalb des dem Abgleich vorangegangenen Jahres Leistungen bezogen haben (§ 1 S 2 GrSiDAV). Mit den genannten Regelungen wird der Umfang der Datenübermittlung und -überprüfung hinsichtlich der in die Überprüfung einzubeziehenden Zeiträume konkretisiert.

20

4. Das Unterlassungsbegehren des Klägers hat auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen Erfolg, weil der automatisierte Datenabgleich zwischen der BA und dem Bundeszentralamt für Steuern nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm den Vorschriften der GrSiDAV das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Zwar ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Die mit dem Datenabgleich verbundenen Eingriffe, die in der Übermittlung der Sozialdaten (§ 67 Abs 6 S 2 Nr 3 SGB X), vorübergehenden Speicherung (§ 67 Abs 6 S 2 Nr 1 SGB X) und einem Datenabgleich im Sinne des Synchronisierens der Daten zwischen zwei Datenträgern (vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 52 RdNr 9, Stand März 2015) liegen, sind jedoch verfassungsgemäß (dazu 5. und 6.).

21

In seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt das allgemeine Persönlichkeitsrecht Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den Einzelnen aus informationsbezogenen Maßnahmen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung, ergeben (BVerfG vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - BVerfGE 65, 1, 41 ff; vom 12.4.2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29, 45 f; vom 4.4.2006 - 1 BvR 518/02 - BVerfGE 115, 320; vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168, 183). Es gibt dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen (vgl BVerfGE 65, 1, 43; 84, 192, 194). Eine Gefährdung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen von Rechtsgütern entstehen, so insbesondere wenn personenbezogene Informationen in einer Art und Weise genutzt und verknüpft werden (können), die der Betroffene weder überschauen noch beherrschen kann. Vor allem mittels elektronischer Datenverarbeitung können aus solchen Informationen weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen als auch Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit mit sich bringen können (BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168, 183 f).

22

Mit den Datenabgleichen auf der Grundlage von § 52 SGB II iVm den Vorschriften der GrSiDAV wird dem SGB II-Träger Kenntnis darüber verschafft, ob und ggf in welchem Umfang Leistungsberechtigte nach dem SGB II für vorhandenes Vermögen an inländische Kreditanstalten Freistellungsaufträge erteilt und Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt haben. Hierfür wird an die Mitteilungspflichten von inländischen und ausländischen Kreditinstituten ua an das Bundeszentralamt für Steuern nach § 45d EStG und § 45e EStG angeknüpft. Die so gewonnenen Informationen werden auch - zumindest vorübergehend - gespeichert und können zur Grundlage weiterer Maßnahmen gemacht werden. Stellt sich heraus, dass der Betroffene über bislang unbekannte Konten und Depots verfügt, kann sich der zuständige SGB II-Träger - auf der Grundlage anderer Regelungen - ggf weitere Informationen über deren Inhalt verschaffen. Das in den angegriffenen Normen vorgesehene Verfahren führt damit zu einem Abruf von Daten, die den Zugriff auf weitere Informationen ermöglichen. Auch die im Anschluss - etwa über die Mitwirkungsvorschriften der §§ 60 ff SGB I - erhebbaren Informationen über Vermögensbeträge und Zinserträge können für den Persönlichkeitsschutz des Betroffenen bedeutsam sein. Der SGB II-Träger kann Maßnahmen vorbereiten, die ansonsten nicht möglich wären. Die Belange der Betroffenen können durch Erstattungsverlangen, aber auch Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden, berührt werden. Von diesen Beeinträchtigungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist der Kläger, wie sich etwa an den vorangegangenen Aufhebungs- und Erstattungsverfahren im Jahre 2004 zeigt, unmittelbar betroffen.

23

5. a) Die automatisierte Datenerhebung und -übermittlung nach § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II verletzt im Ergebnis jedoch nicht das durch Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die angegriffene Norm genügt dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit, aber auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dazu 6.).

24

Bezogen auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung findet das Bestimmtheitsgebot seine Grundlage in Art 2 Abs 1 iVm mit Art 1 Abs 1 GG (vgl BVerfG Urteil vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - BVerfGE 65, 1, 46 ff, 54; BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168, 186 ff). Es soll sicherstellen, dass die gesetzesausführende Verwaltung steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe für ihr Verhalten vorfindet und dass die Gerichte die Rechtskontrolle des Verwaltungshandelns anhand klarer rechtlicher Maßstäbe durchführen können; ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann. Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung grundsätzlich bereichsspezifisch, präzise und normenklar durch gesetzliche Regelungen festgelegt werden (vgl BVerfG Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33, 52 f; BVerfG Urteil vom 27.7.2005 - 1 BvR 668/04 - BVerfGE 113, 348, 375 ff).

25

b) Von dem automatisierten Datenabgleich erfasst werden nach § 52 Abs 1 SGB II Personen, die Leistungen nach dem SGB II "beziehen". Der berücksichtigte Personenkreis wird in § 1 Abs 1 S 1 GrSiDAV weiter umschrieben. Dies geschieht mit der Festlegung, dass die BA bei dem Datenabgleich alle Personen einbezieht, die innerhalb des dem Abgleich vorangehenden Kalendervierteljahres (Abgleichszeitraum) von einem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit Ausnahme der zugelassenen kommunalen Träger Leistungen bezogen haben. Eine weitere Konkretisierung der Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - wie hier - durch Rechtsverordnung steht das Bestimmtheitsgebot nicht entgegen, soweit sich aus dieser eine normenklare Festlegung entnehmen lässt (BVerfG Urteil vom 24.4.2013 - 1 BvR 1215/07 - BVerfGE 133, 277, 336). Dies ist hier der Fall, weil sich die in der GrSiDAV erfolgte Begrenzung des Umfangs des Datenabgleichs in zeitlicher Hinsicht als generell-abstrakte Präzisierung und normenklare Konkretisierung des in § 52 Abs 1 SGB II vom Gesetzgeber umfassend angeordneten Datenabgleichs erweist. Hinsichtlich des Ausmaßes der Ermächtigung zur Regelung des Datenabgleichs durch Rechtsverordnung enthält Art 52 Abs 4 SGB II mit seiner Bezugnahme auf das Verfahren des Datenabgleichs eine Regelung, die den hier einräumten Gestaltungsspielraum jedenfalls im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des SGB II und unter Berücksichtigung des Zwecks des Datenabgleichs (s hierzu d) eingrenzt. Wie bereits in der Systematik des § 52 Abs 1 SGB II mit den genannten Stichtagen angelegt, findet nach § 1 Abs 1 S 1 GrSiDAV eine Begrenzung des von dem Abgleich erfassten Personenkreises in Anknüpfung an einen SGB II-Leistungsbezug in dem jeweils vorangegangenen Kalendervierteljahr statt. Darüber hinaus werden nach § 1 Abs 1 S 1 GrSiDAV in den Abgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern zum vierten Kalendervierteljahr alle Personen einbezogen, die innerhalb des dem Abgleich vorangegangenen Jahres SGB II-Leistungen erhalten haben(§ 1 Abs 1 S 2 GrSiDAV). Diese Regelungen bringen hinreichend klar zum Ausdruck, dass in den Datenabgleich alle Personen einbezogen werden, die - bezogen auf die jeweiligen Stichtage im vorangegangenen Vierteljahr bzw Kalenderjahr (Abgleichszeiträume) - für mindestens einen Tag SGB II-Leistungen bezogen haben (Voelzke in Hauck/Noftz, K § 52 RdNr 26, Stand 7/2012; vgl auch BR-Drucks 483/05; aA Schmidt in Gagel, SGB II/SGB III, § 52 RdNr 9, Stand 6/2009 "nur aktueller Grundsicherungsempfänger").

26

c) Durch die Bezugnahme auf die nach den steuerrechtlichen Vorschriften der §§ 45d, 45e EStG an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermittelnden Daten wird der Gegenstand des Datenabgleichs abschließend festgelegt.

27

Zu dem Gegenstand der Datenübermittlung bzw des Datenabgleichs regelt § 52 Abs 2 SGB II iVm der GrSiDAV, welche Daten einer Person im SGB II-Bezug von der - intern zuständigen - BA an die in Abs 1 genannten Stellen(ua das Bundeszentralamt für Steuern nach Abs 1 Nr 3) bzw über die Vermittlungsstelle (Datenstelle der Rentenversicherungsträger, "Kopfstelle") nach Abs 2a übermittelt werden dürfen. Es handelt sich um abschließend aufgeführte personenbezogene Daten (Name und Vorname, Geburtsdatum und -ort, Anschrift, Versicherungsnummer). Nach Übermittlung der Anfragedatensätze durch die BA an die Kopfstelle leitet diese dem Bundeszentralamt für Steuern einen um die Daten "Versicherungsnummer" und "Geburtsort" verminderten Anfragedatensatz (§ 1b Abs 1 S 1 Nr 1 GrSiDAV) weiter, der wiederum Gegenstand des Datenabgleichs bei dem Bundeszentralamt für Steuern ist (§ 2 Abs 4 GrSiDAV).

28

Das Bundeszentralamt für Steuern führt den Datenabgleich in der Weise durch, dass es die dort eingegangenen Anfragedatensätze mit denjenigen Daten abgleicht ("synchronisiert"), die "nach § 45 d Abs 1 und § 45 e des Einkommensteuergesetzes an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt worden sind"(§ 52 Abs 1 Nr 3 SGB II). Hiervon grundsätzlich erfasst sind die beim Bundeszentralamt für Steuern gespeicherten Daten zu Kapitalerträgen, für die ein Freistellungsauftrag erteilt worden ist, und von Namen und Anschrift des Empfängers des Freistellungsauftrags, sowie von Zinserträgen, die aufgrund der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3.6.2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (ABl EU Nr L 157 S 38) mitgeteilt wurden (vgl § 2 Abs 4 GrSiDAV).

29

Der Umstand, dass sich der Gegenstand der Datenübermittlung und des Datenabgleichs hier erst aus den genannten steuerrechtlichen Regelungen ergibt, steht dem Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit nicht entgegen. Ausreichend ist es, wenn sich der Gegenstand jedenfalls aus dem Zusammenwirken verschiedener Regelungen ergibt (BVerfG Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33, 53 f), was hier zu bejahen ist. Mit der Bezugnahme auf § 45d Abs 1 EStG wird an die Mitteilungspflichten der inländischen Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute zu den beim verpflichtenden Steuerabzug aufgrund eines Freistellungsauftrags oder einer Nichtveranlagungsbescheinigung freigestellten Kapitalerträgen angeknüpft. Diese Daten sind nach § 45d Abs 1 EStG idF des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8.12.2010 (BGBl I 1768) regelmäßig bis zum 1.3. des Jahres zu übermitteln, das auf das Jahr folgt, in dem die Kapitalerträge den Gläubigern zufließen. Bei der steuerrechtlichen Regelung des § 45e EStG ergibt sich der Gegenstand des Datenabgleichs aus der Richtlinie 2003/48/EG(EU-Zinsrichtlinie). Diese sieht vor, dass Erträge, die in einem Mitgliedstaat im Wege von Zinszahlungen an wirtschaftliche Eigentümer, die natürliche Personen sind und die in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich ansässig sind, erzielt werden, nach den Rechtsvorschriften dieses letzteren Mitgliedstaats effektiv besteuert werden (Niedland in Lademann, EStG, § 45e, Stand September 2010). Dabei werden nach Art 8 der Richtlinie 2003/48/EG Informationen zur Identität und zum Wohnsitz des wirtschaftlichen Eigentümers, Name und Anschrift der (ausländischen) Zahlstelle (zB des ausländischen Kreditinstituts), Konto- oder Depotnummer des wirtschaftlichen Eigentümers oder Bezeichnung der Forderung, aus der die Zinsen stammen sowie der Betrag und Zeitraum der Zinszahlung an die "zuständige Behörde" - im Inland ist dies das Bundeszentralamt für Steuern (§ 5 Abs 2 S 1 der Zinsinformationsverordnung vom 26.1.2004 - BGBl I 128) übermittelt (Art 6 der Richtlinie 2003/48/EG).

30

d) § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II und § 2 Abs 4 GrSiDAV legen auch hinreichend normenklar fest, welcher Ausschnitt der beim Bundeszentralamt für Steuern vorhandenen Daten in die automatisierten Datenabgleiche zu den verschiedenen Abgleichszeitpunkten im Verlauf eines Kalenderjahres einbezogen werden dürfen. Nach der gesetzlichen Anknüpfung in § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II wird zunächst auf die nach § 45d Abs 1 und § 45e Abs 1 EStG "übermittelten Daten" abgestellt, ohne dass zugleich festgelegt wird, in welchem Zeitraum die Angaben der Kreditinstitute an das Bundeszentralamt für Steuern weitergeleitet worden sein müssen. Auch § 2 Abs 4 GrSiDAV gibt hierzu keinen näheren Aufschluss, weil nach dessen Wortlaut nur mit "gespeicherten Daten" abgeglichen werden soll. Ausreichend zur Wahrung des Gebots der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit ist jedoch, dass sich die Regelungsinhalte unter Nutzung der juristischen Methodik bewältigen lassen, sodass das Verwaltungshandeln vorhersehbar und justiziabel ist (BVerfG Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33, 56 f; BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvL 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168, 188). Dies ist hier zu bejahen.

31

Aus der Systematik des Datenabgleichs in § 52 SGB II iVm der GrSiDAV folgt, dass bei den als Abgleichsgegenstand einzubeziehenden steuerrechtlichen Meldungen nicht auf Daten zurückgegriffen werden darf, die in der länger zurückliegenden Vergangenheit an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt worden sind. Vielmehr gilt in gleicher Weise wie bei den weiteren Formen der Datenabgleiche des § 52 Abs 1 SGB I, dass die Abgleichszeiträume sowohl den Kreis der einzubeziehenden Personen auf Seiten des Jobcenters (Anfragedatensätze) als auch den Umfang der einbezogenen Daten der jeweiligen Auskunftsstellen einheitlich begrenzen. So ist in § 2 Abs 2 und 3 GrSiDAV ausdrücklich geregelt, dass die vom Jobcenter übermittelten Daten mit den bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und der Deutschen Post AG gespeicherten Daten zur Feststellung eines zeitgleichen Bezugs anderer Leistungen "im Abgleichszeitraum" überprüft werden sollen. Der Abgleich bezieht sich also in diesen Fallgestaltungen auf die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Daten der nachfragenden Stelle und die Auskunftsstelle zeitlich übereinstimmenden Abgleichszeitraum. Auch beim Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern ist auf die tatsächlichen Verhältnisse und Entwicklungen im Abgleichszeitraum, also die nach § 45d EStG und § 45e EStG aktuell übermittelten, nicht jedoch die in den zurückliegenden Jahren übermittelten und noch gespeicherten Daten als Gegenstand des Abgleichs abzustellen. Dies folgt aus der wegen der Abweichung vom Sozialgeheimnis geforderten engen Auslegung des § 52 SGB II(vgl hierzu Schmidt in Gagel, SGB II/SGB III, § 52 RdNr 9, Stand 6/2009; Voelzke in Hauck/Noftz, K § 52 RdNr 5, Stand 3/2015), die eine Begrenzung der auf Seiten des Bundeszentralamtes für Steuern einzubeziehenden Daten erfordert, die über das Merkmal der "gespeicherten" Daten hinausgehen muss. § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm § 2 GrSiDAV enthält zudem - wie ein Vergleich mit den Datenabgleichen in anderen Sozialleistungsbereichen zeigt - keine vom festgelegten Abgleichszeitraum abweichenden Regelungen zum Umfang der in zeitlicher Hinsicht auf Seiten der Auskunftsstellen in den Datenabgleich einzubeziehenden Daten(für eine derartige Regelung vgl zB § 2 Abs 2 S 2 der Verordnung zur Durchführung des § 118 Abs 1 und 2 SGB XII vom 21.1.1998 , zuletzt geändert durch Art 365 vom 31.10.2006 ).

32

Bei dem Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern ist daher auf die aktuell im Abgleichszeitraum übermittelten Daten abzustellen. Dies sind die in dem jeweiligen Kalendervierteljahr vor den Abgleichszeitpunkten 1.4., 1.7. und 1.1. neu bei dem Bundeszentralamt für Steuern eingegangenen Daten. Bezogen auf den Abgleichszeitpunkt 1.10. des jeweiligen Jahres werden die Daten derjenigen Leistungsbezieher, die in dem vorangegangenen Jahr für mindestens einen Tag tatsächlich SGB II-Leistungen bezogen haben, mit den beim Bundeszentralamt für Steuern in dem Abgleichszeitraum neu eingegangenen Mitteilungen der Kreditinstitute zu Freistellungsaufträgen und Zinseinkünften abgeglichen.

33

e) Auch die Beteiligten des Datenabgleichs und das Verfahren sind normenklar festgelegt. Beteiligt sind die BA bzw die zugelassenen kommunalen Träger, das Bundeszentralamt für Steuern und die Datenstelle der Rentenversicherungsträger als Vermittlungs- bzw Kopfstelle.

34

f) Der bereichsspezifische Zweck des automatisierten Datenabgleichs ist dem Gesamtzusammenhang der Regelungen zu entnehmen und liegt in einer Überprüfung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II sowie der Vermeidung eines Leistungsmissbrauchs. Das Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit wird auch nicht dadurch verletzt, dass dieser Zweck des Datenabgleichs nicht unmittelbar in § 52 SGB II aufgenommen ist. Ausreichend ist, dass er ohne Weiteres bestimmbar ist. Insofern ergibt sich aus dem Kontext der Regelungen, dass keine mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Sammlung personenbezogener Informationen auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken (vgl BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168 ff, 187 mwN) gegeben ist. Den in § 52 Abs 1 SGB II im Einzelnen aufgeführten Abrufgegenständen liegt klar erkennbar zugrunde, dass ein Bezug von SGB II-Leistungen vermieden werden soll, wenn andere Einkünfte oder Vermögenswerte vorliegen, die - bei einer Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach ordnungsgemäßen Angaben des Leistungsberechtigten - eigentlich zum Ausschluss oder zur Verminderung des SGB II-Anspruchs führen würden. Die Datenabgleiche verfolgen erkennbar das Ziel, das (weitere) Vorliegen einer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zu prüfen, einen Leistungsmissbrauch zu vermeiden sowie die "Konzentration der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf die wirklich Bedürftigen sowie die wirtschaftliche und sparsame Verwendung der Haushaltsmittel" sicherzustellen (vgl BT-Drucks 15/1516 S 64; BT-Drucks 16/1410, S 30; BR-Drucks 483/05, S 6).

35

6. Die in § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm den Regelungen der GrSiDAV enthaltene Eingriffsermächtigung genügt auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient (dazu a) und als Mittel zu diesem Zweck geeignet (dazu b) sowie erforderlich und angemessen (dazu c) ist (BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168, 193; BVerfG Beschluss vom 4.4.2006 - 1 BvR 518/02 - BVerfGE 115, 320, 345). Diesen Erfordernissen ist Rechnung getragen. Die Regelungen genügen auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (dazu d).

36

a) Der Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern dient der Überprüfung der Leistungsberechtigung bei Sozialleistungen und damit einem Gemeinwohlbelang, dem nach der Rechtsprechung des BVerfG eine erhebliche Bedeutung zukommt (BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168 ff, RdNr 126). Wie bereits vorstehend näher ausgeführt, verfolgt der Gesetzgeber mit dem automatisierten Datenabgleich nach § 52 SGB II den legitimen Zweck, das anzurechnende Einkommen und Vermögen(§§ 11, 12 SGB II) zu überprüfen, sodass einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme entgegen gewirkt und ein Missbrauch von Sozialleistungen aufgedeckt werden kann (BT-Drucks 15/1516, S 64; 16/1410, S 30; vgl BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14 AS 4/07 R - BSGE 101, 260 ff = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 25 zur Vorlagepflicht von Kontoauszügen).

37

b) Der automatisierte Abgleich von Daten nach § 52 SGB II iVm der GrSiDAV ist auch geeignet, die beschriebenen Zwecke zu erreichen. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit von Leistungsberechtigten nach dem SGB II ist die Kenntnis von Kapitalerträgen und evtl dahinter stehenden Vermögenswerten bei deutschen und ausländischen Kreditinstituten oder etwaigen Zinserträgen von entscheidender Bedeutung. Ergeben sich aus den von Bundeszentralamt für Steuern über die Kopfstelle der BA übermittelten Daten Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen zu den Vermögensverhältnissen des SGB II-Leistungsberechtigten, unterrichtet die BA die Stellen, die Leistungen bewilligt haben, innerhalb von zwei Wochen über die Ergebnisse des Datenabgleichs (§ 1 Abs 2 GrSiDAV). Diejenigen SGB II-Träger, die Leistungen bewilligt haben, können ggf Aufhebungs- und Erstattungsverfahren einleiten oder nach § 34 SGB II - bei Vermögensverschiebungen zu Lasten des Grundsicherungsträgers insbesondere vor dem Bezug von SGB II-Leistungen - Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten geltend machen.

38

c) Das Mittel des automatisierten Datenabgleichs ist zur Erreichung der beschriebenen Gesetzeszwecke erforderlich. Dem kann nicht mit dem Argument des Klägers entgegen getreten werden, dass zunächst empirische Erhebungen zur tatsächlichen Häufigkeit der Missbrauchstatbestände erfolgen müssten. Der gesetzgeberische Gestaltungspielraum ist jedenfalls nicht in der Weise eingeschränkt, dass ein automatisierter Datenabgleich nur möglich ist, wenn durch den Datenabgleich nachgewiesene Überzahlungen von SGB II-Leistungen wegen fehlender Hilfebedürftigkeit in einem bestimmten Umfang feststellbar sind. Ausreichend ist, dass das tatsächliche Phänomen des unberechtigten Bezugs von SGB II-Leistungen wegen nicht angegebenen Einkommen und Vermögen besteht. Insofern hat der Beklagte in seiner Revisionserwiderung auf die in den Jahren 2005 bis 2012 durch den Datenabgleich nach § 52 SGB II festgestellten Überzahlungsbeträge in Höhe von rund 575 Mio Euro hingewiesen(vgl BT-Drucks 17/13629 vom 24.5.2013). Auch wenn zu unterstellen ist, dass die weitaus überwiegende Zahl der Empfänger von SGB II-Leistungen vorhandenes Einkommen oder Vermögen korrekt angibt, hat bereits das Wissen um einen möglichen Datenabgleich eine nicht zu unterschätzende Präventivwirkung (vgl Harich in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 52 RdNr 6; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 118 RdNr 4, Stand 12/2010; 18. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - BT-Drucks 14/5555, S 137 zu dem zum 1.1.1998 eingeführten Sozialhilfedatenabgleich). Entgegen der Ansicht des Klägers muss der Gesetzgeber nicht allein auf die Deklarationsbereitschaft der Leistungsberechtigten bei Antragstellung abstellen, sondern kann eine Verifizierung der (fortdauernden) Richtigkeit der Angaben durchführen.

39

Ein ebenso wirksamer, den Betroffenen aber weniger belastender Weg als das Verfahren des automatisierten Datenabgleichs ist nicht ersichtlich (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 118 RdNr 4, Stand 12/2010). Das automatisierte, pauschale Abgleichverfahren ist in den meisten Fallgestaltungen zu Unrecht bezogener SGB II-Leistungen die einzige Möglichkeit einen Doppelbezug von Sozialleistungen bzw einen Leistungsbezug trotz Vorhandenseins von Einkommen und Vermögen zu belegen (Zahn, Datenabgleich zur Missbrauchskontrolle im Bereich der Sozialleistungen, 2001, S 230). Das LSG hat insofern zu Recht darauf hingewiesen, dass stichprobenartige Einzelabfragen schon wegen der hohen Zahl von Kreditinstituten in der Bundesrepublik und wegen der möglicherweise hohen Zahl der Abfragen kein praktikables alternatives Mittel zur Zielerreichung sind (vgl BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168 ff, 194 f). Bei der Auswahl der in eine mögliche Stichprobe einbezogenen Kreditinstitute sind keine konkreten gesetzlichen Vorgaben denkbar, die dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit gerecht werden und zugleich zu einer sachgerechten Begrenzung eines Datenabgleichs durch Einzelabfragen vor dem Hintergrund der Zweckbestimmung des Datenabgleichs führen könnten. Das Herausgreifen nur einzelner Leistungsberechtigter wäre mit einer Ungleichbehandlung der SGB II-Bezieher in der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle verbunden.

40

Zudem ist zweifelhaft, ob Einzelanfragen überhaupt ein milderes Mittel im Vergleich zu einem automatisierten Verfahren des Datenabgleichs darstellen (BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168 ff, RdNr 123). Aufgrund von individuellen Anfragen - etwa im Wege von stichprobenhaften Überprüfungen - werden die angeschriebenen Kreditinstitute zugleich über den Bezug von existenzsichernden Mitteln durch ihren Kunden direkt unterrichtet, was Einfluss auf deren Kreditwürdigkeit und eine stigmatisierende Wirkung haben kann. Dagegen ist im Rahmen des automatisierten Verfahrens nach § 52 SGB II eine Kenntnisnahme des SGB II-Bezugs durch die Kreditinstitute auszuschließen(vgl BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168 ff, 195). Anders als bei Einzelabfragen greift § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II auf bereits an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelte Daten zur Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Steuervorteilen zurück.

41

d) Die Ermächtigung zum automatisierten Datenabgleich wahrt auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

42

Dieses Gebot verlangt, dass die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen darf. Der Gesetzgeber hat das Individualinteresse, das durch einen Grundrechtseingriff beschnitten wird, den Allgemeininteressen, denen der Eingriff dient, angemessen zuzuordnen. Das Gewicht des Eingriffs wird insbesondere von der Art der erfassten Informationen, dem Anlass und den Umständen ihrer Erhebung, dem betroffenen Personenkreis und der Art der möglichen Verwertung der Daten beeinflusst (BVerfG Urteil vom 11.3.2008 - 1 BvR 2074/05 ua - BVerfGE 120, 378, 401; BFH Urteil vom 18.1.2012 - II R 491/10 - BFHE 235, 151). Ist das Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung jedoch geringer, kann diese mit Rücksicht auf wichtige Ziele des Gesetzes eher als verhältnismäßig hinzunehmen sein (BVerfG Beschluss vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - BVerfGE 118, 168 ff, 195).

43

Nach diesen Maßstäben steht § 52 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm den Regelungen der GrSiDAV - soweit diese zu Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung berechtigen - nicht außer Verhältnis zu den verfolgten Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung. Die erhobenen und übermittelten Daten weisen keine gesteigerte Persönlichkeitsrelevanz auf; sie beinhalten insbesondere kein Persönlichkeitsprofil des SGB II-Leistungsberechtigten, bilden seine Persönlichkeit auch nicht teilweise ab und lassen keine Einblicke oder Rückschlüsse auf Art und Intensität von Beziehungen, Kommunikationsverhalten und Kommunikationsinhalt, soziales Umfeld, persönliche Angelegenheiten, Interessen, Neigungen und Gewohnheiten zu (vgl zB BFH Urteil vom 18.1.2012 - II R 491/10 - BFHE 235, 151). Soweit dem SGB II-Träger eine Kenntnis über eventuelle Sparkonten bzw Kapitalerträge, für die Freistellungsaufträge erteilt worden sind, vermittelt wird, handelt es sich lediglich um (Teil-)Informationen zur Einkommens- und Vermögenssituation des Leistungsberechtigten. Es entsteht kein umfassender "Sozialdatenpool"; vielmehr werden nur Informationen erhoben, zu deren Angabe der SGB II-Leistungsberechtigte ohnehin bei Antragstellung und bei einer späteren Änderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet wären (Müller-Thele in Mergler/Zink, SGB II/SGB XII, § 52 SGB II RdNr 11, Stand April 2009).

44

Auch die Häufigkeit des automatisierten Datenabgleichs führt nicht zu dessen Unangemessenheit. § 52 Abs 1 S 1 SGB II wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) in der Weise geändert, dass anstelle des zuvor festgelegten "regelmäßigen Datenabgleichs" vierteljährliche Vorgaben für den Datenabgleich durch die Bundesagentur und die zugelassenen kommunalen Träger normenklar festgelegt worden sind (vgl BT-Drucks 16/1410, S 30). Das LSG hat bereits darauf hingewiesen, dass nach Durchführung der automatisierten Abfrage die Daten unverzüglich gelöscht werden, falls keine Kapitalerträge gemeldet worden sind (vgl § 52 Abs 2a S 3 SGB II, § 52 Abs 3 SGB II). Diese Regelungen beinhalten umfassende verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur Einhaltung des verfassungsrechtlich gebotenen Datenschutzes.

45

Die Häufigkeit der Datenabgleiche hat der Gesetzgeber mit den rechtfertigenden Gründen der Fluktuation bei den Leistungsbeziehern, der Häufigkeit von Veränderungen ihrer wirtschaftlichen Situation sowie dem Aufwand und Zeitbedarf für die Durchführung des Datenabgleichs bei den Auskunftsstellen begründet (BR-Drucks 483/05, S 7). Die Ausführungen des Gesetzgebers verdeutlichen, dass von dem automatisierten Datenabgleich auch diejenigen Leistungsbezieher erfasst werden sollten, die nur für kurze Zeit SGB II-Leistungen beziehen. Da sich der Datenabgleich zu den Stichtagen 1.1., 1.4. und 1.7. jeweils nur auf das vorangegangene Kalendervierteljahr bezieht, ermöglicht der Datenabgleich eine schnelle Reaktion auf die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse. Demgegenüber führt ein zeitlich größerer Abstand der Datenabgleiche zwangsläufig zu vermehrten Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden, die regelmäßig mit einer erschwerten oder nicht mehr möglichen "Rückführung" der überzahlten SGB II-Beträge verbunden sind.

46

Auch die zeitlich länger zurückwirkenden Datenabgleiche zwischen der BA und des Bundeszentralamts für Steuern zum 1.10. eines jeden Jahres sind durch ausreichende Gründe gerechtfertigt. Nach § 52 Abs 4 SGB II iVm § 1 Abs 1 S 2 GrSiDAV werden in den Abgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern zum vierten Kalendervierteljahr alle Personen einbezogen, die innerhalb des dem Abgleich vorangegangenen Jahres Leistungen bezogen haben. Dies hat der Verordnungsgeber mit Gründen der praktischen Durchführbarkeit des Datenabgleichs gerechtfertigt, ohne dass dies aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden wäre. Er hat darauf Bezug genommen, dass bei dem Bundesamt für Finanzen (als Vorgängerin des seit 1.1.2006 zuständigen Bundeszentralamtes für Steuern) erst im vierten Kalendervierteljahr ein zuverlässiger Datenbestand über das Vorjahr vorliege, während im ersten, zweiten und dritten Kalendervierteljahr die Anfragesätze auf der Grundlage der jeweils aktuellen Daten geprüft würden (BR-Drucks 483/05, S 7). Dieser einmalige im Verlauf des Kalenderjahres auf das gesamte vorangegangene Jahr bezogene, "rückwirkende Datenabgleich" ist im Hinblick auf die Ziele des § 52 SGB II erforderlich, weil sich - unbeschadet der Verkürzung der Übermittlungsfristen der inländischen Kreditinstitute von dem Zeitraum bis zum 31.5. des Folgejahres auf den Zeitraum bis zum 31.3. des Folgejahres (durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 8.12.2010, BGBl 1768) - in zahlreichen Fallgestaltungen auch weiter zurückliegende Informationen zu Vermögen und Zinserträgen oder aktuellere Daten ergeben können. So ist zB - bei einem Verbrauch von Vermögen vor einem (erneuten) Antrag auf SGB II-Leistungen - auch ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in Betracht zu ziehen(vgl hierzu BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 14 AS 76/12 R - RdNr 13; BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 14), der erst drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist, erlischt. Zwar können die nicht auf die Dauer und die zeitliche Lage eines SGB II-Bezugs im Jahresverlauf abstellenden Stichtage in einigen Fallgestaltungen des jahresbezogenen Abgleichs dazu führen, dass diese (nur) bereits bekannte Inhalte ergeben. Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber in Bezug genommenen Gründe der praktischen Durchführbarkeit des Datenabgleichs zu festgelegten Zeitpunkten führen jedoch auch diese Nachteile, die dem von Datenabgleichen Betroffenen infolge des Abgleichs drohen, angesichts der verfolgten Ziele nicht zur Unangemessenheit der Ermächtigung.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2015 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. März 2014 zurückgewiesen.

Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen Kosten für das Revisions- und das Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe der von der beklagten BA zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren für ein isoliertes Vorverfahren wegen einer Mahngebühr.

2

Die im Bezug ergänzender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stehende Klägerin war von der beklagten BA unter Verhängung einer Mahngebühr von 7,85 Euro aufgefordert worden, innerhalb einer Woche einen Gesamtbetrag von 1520,63 Euro zu zahlen, der seit dem 25.1.2011 fällig sei und aus Bescheiden des zuständigen Jobcenters resultiere. Bleibe die Zahlung aus, werde die mit weiteren Kosten verbundene zwangsweise Einziehung veranlasst (Schreiben vom 23.10.2011). Die Klägerin erhob vertreten durch einen Rechtsanwalt Widerspruch gegen "die Mahnung" und machte geltend, die Bescheide seien ihr nicht bekannt und mangels Fälligkeit sei die Erhebung von Mahngebühren nicht statthaft (Widerspruch vom 27.10.2011). Dem folgend hob die Beklagte die Festsetzung der Mahngebühr auf und anerkannte dem Grunde nach die Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen würden (Abhilfebescheid vom 27.7.2012).

3

Während der Bevollmächtigte der Klägerin im nachfolgenden Erstattungsverfahren unter Einbeziehung ua einer Geschäftsgebühr nach § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) iVm Nr 2400 Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG in Höhe von 240 Euro Kosten von 309,40 Euro geltend gemacht hat, anerkannte die Beklagte unter Berücksichtigung einer Geschäftsgebühr von 40 Euro einen Betrag von 57,12 Euro als notwendige Aufwendungen. Die Erhebung einer Geschäftsgebühr von 240 Euro sei unbillig und daher für sie nicht verbindlich. Bei einer Mahngebühr von 7,85 Euro seien die rechtliche Schwierigkeit, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Bedeutung der Angelegenheit weit unterdurchschnittlich (Kostenfestsetzungsbescheid vom 13.11.2012 und Widerspruchsbescheid vom 3.12.2012).

4

Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Ansatz einer Geschäftsgebühr von 120 Euro weitere 109,48 Euro zu gewähren (Geschäftsgebühr 120 Euro; Post- und Telekommunikationspauschale 20 Euro; Umsatzsteuer 26,60 Euro abzüglich bereits zuerkannter 57,12 Euro) und die Klage abgewiesen, soweit sie darüber hinaus auf Erstattung des vollen Mehrbetrags bis zur geltend gemachten Forderung von 309,40 Euro gerichtet war (Urteil vom 17.3.2014). Das LSG hat das Urteil des SG auf die von ihm zugelassene Berufung der Beklagten geändert und diese unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen zur Erstattung weiterer 61,88 Euro verurteilt (Urteil vom 29.1.2015): Zwar sei - anders als das SG angenommen hatte - auch die Bedeutung der Angelegenheit gering gewesen, weil nur auf die Höhe der Mahngebühr und nicht auch auf deren mittelbare Wirkungen abgestellt werden dürfe. Jedoch habe der enge Zeitrahmen für die Zahlung von einer Woche zu einem kurzfristigen Beratungsbedarf geführt und faktisch die Monatsfrist für die Erstellung des Widerspruchs auf wenige Tage verkürzt, weshalb eine Geschäftsgebühr in Höhe des doppelten Mindestsatzes angemessen sei (Geschäftsgebühr 80 Euro; Post- und Telekommunikationspauschale 20 Euro; Umsatzsteuer 19 Euro abzüglich 57,12 Euro).

5

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 14 Abs 1 Satz 1 RVG. Im Rahmen seines Ermessens dürfe ihr Anwalt die mittelbaren Auswirkungen der Mahngebühr bei seiner Gebührenbestimmung sehr wohl berücksichtigen. Weder mit dem Jobcenter noch mit der Beklagten habe sie eine verbindliche Klärung der Angelegenheit erreichen können. Aufgrund der getrennten Zuständigkeiten beim Inkasso der Jobcenter sei regelmäßig unklar, wie der Vollzug einer Forderung gestoppt werden könne. Die Mahngebühr werde dabei als Druckmittel eingesetzt, das deutlich mache, dass das Anwachsen weiterer Kosten bei nicht rechtzeitiger Zahlung nicht verhindert werden könne.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2015 zu ändern und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 17. März 2014 insgesamt zurückzuweisen.

7

Die Beklagte bekräftigt ihre Auffassung, dass Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin gering gewesen seien, und beantragt,
 die Revision zurückzuweisen und
 das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 2015 im Wege der Anschlussrevision zu ändern und das Urteil des Sozialgerichts vom 17. März zu ändern, soweit sie zur Gewährung weiterer 109,48 Euro verurteilt worden ist.

8

Insoweit beantragt die Klägerin,
die Anschlussrevision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet, die zulässige Anschlussrevision der Beklagten hingegen unbegründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 und Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Klägerin unter Berücksichtigung einer Geschäftsgebühr von 120 Euro ein Anspruch auf Erstattung weiterer 109,48 Euro zusteht. Unter Zurückweisung der Anschlussrevision ist deshalb das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des LSG vom 29.1.2015 und des SG vom 17.3.2014 sowie der Kostenfestsetzungsbescheid der beklagten BA vom 13.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.12.2012, soweit die Beklagte dadurch die von ihr zu erstattenden Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren auf 57,12 Euro begrenzt hat und sie vom SG zur Erstattung weiterer 109,48 Euro verurteilt worden ist. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist dagegen zum einen der weitergehende Erstattungsanspruch in der ursprünglich geltend gemachten Höhe von 309,40 Euro, nachdem das SG die den Mehrbetrag von 109,48 Euro übersteigende Klage abgewiesen hat und die Klägerin dagegen nicht mit Berufung vorgegangen ist. Ebenfalls nicht zu befinden ist über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts iS von § 63 Abs 2 SGB X. Hierüber hat die Beklagte zwar anders als von den Vorinstanzen angenommen nicht bereits mit dem Abhilfebescheid vom 27.7.2012 entschieden. Jedoch hat sie durch die Zuerkennung jedenfalls eines Teils der beanspruchten Kosten mit dem streitbefangenen Kostenfestsetzungsbescheid zumindest konkludent anerkannt, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin notwendig war (vgl etwa BSG Urteil vom 5.5.2009 - B 13 R 137/08 R - RdNr 12 sowie BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 83/08 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 11 RdNr 13). Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl nur BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 11 f).

11

2. Prozessuale Hindernisse, die einer Sachentscheidung entgegenstünden, liegen nicht vor. Wird wie vorliegend in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff SGG)gestritten, handelt es sich insbesondere nicht um Kosten des Verfahrens iS von § 144 Abs 4 iVm § 165 Satz 1 SGG, bei denen Berufung und Revision nicht statthaft sind(vgl nur BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 9 mwN; BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 83/08 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 11 RdNr 11; BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 62/12 R - RdNr 11). Ebenfalls stand der Berufung nach der Zulassung durch das LSG nicht die Wertgrenze von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen.

12

3. Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin auf Erstattung weiterer Kosten dem Grunde nach ist § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit dem Abhilfebescheid vom 27.7.2012 sowie dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 13.11.2012. Hiernach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat - hier also die BA als Rechtsträgerin der die Vollstreckung für das Jobcenter betreibenden Stelle (hierzu zuletzt BSG Urteil vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 23, auch vorgesehen für BSGE, RdNr 21) -, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGB X). Dazu rechnen auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, wenn seine Zuziehung im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs 2 SGB X). In diesem Sinne ist mit den Bescheiden vom 27.7.2012 und 13.11.2012 bindend entschieden, dass die Beklagte die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten einschließlich der Gebühren des Bevollmächtigten der Klägerin dem Grunde nach zu erstatten hat.

13

4. Zu den hiernach zu erstattenden Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der Klägerin rechnet entgegen der Auffassung von Beklagter und LSG eine Geschäftsgebühr nach Nr 2400 des VV zum RVG aF in Höhe von 120 Euro.

14

a) Die nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X zu erstattenden Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts iS von § 63 Abs 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren(stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 15), die sich nach dem RVG bemessen (§ 1 Abs 1 Satz 1 RVG). In sozialrechtlichen Angelegenheiten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, für die - wie hier - bei Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens das GKG nicht anzuwenden wäre, entstehen danach Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs 2 RVG), die sich nach dem VV der Anlage 1 zum RVG bestimmen (§ 2 Abs 2 Satz 1 RVG). Sie umfassen nach Nr 2400 des VV zum RVG (hier in der ab 1.7.2006 geltenden Fassung, vgl Art 5 Abs 1 Nr 4 Buchst b sowie Art 8 Satz 2 KostRMoG, aF; seit dem 1.8.2013 ersetzt durch Nr 2302 VV RVG idF des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts <2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG> vom 23.7.2013, BGBl I 2586) eine Geschäftsgebühr ua für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (vgl Vorbemerkung II zu Nr 2400 VV RVG aF iVm Vorbemerkung 2.3 III zu Nr 2300 VV RVG). Sie bestimmte sich in der hier geltenden Fassung innerhalb eines Betragsrahmens von 40 bis 520 Euro, wobei eine Gebühr von mehr als 240 Euro (so genannte Schwellengebühr) nur gefordert werden konnte, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.

15

b) Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen(§ 14 Abs 1 Satz 1 RVG), und zwar bei Rahmengebühren, die sich - wie hier - nicht nach dem Gegenstandswert richten, unter Berücksichtigung auch des Haftungsrisikos (§ 14 Abs 1 Satz 3 RVG). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG).

16

c) Dass hiernach die ursprüngliche Kostennote des Bevollmächtigten der Klägerin vom 9.8.2012 mit einer Geschäftsgebühr nach Nr 2400 VV RVG aF in Höhe der Schwellengebühr von 240 Euro unbillig ist, hat die Beklagte zutreffend - und auch wirksam (vgl BGH Beschluss vom 20.1.2011 - V ZB 216/10 -, ASR 2011, 211 RdNr 10; vgl auch Loytved, jurisPR-SozR 15/2015 Anm 5) - beanstandet. Anders als mit diesem Gebührenansatz zugrunde gelegt (zur Bedeutung und Einordnung der Schwellengebühr grundlegend BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 24 f mwN) entspricht die mit ihm abgerechnete anwaltliche Tätigkeit von der Bedeutung der Angelegenheit abgesehen (dazu unter e) nach keinem der übrigen in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG angeführten Gesichtspunkte derart einem durchschnittlichen sozialrechtlichen "Normal"-Widerspruchsverfahren, dass sie die Erhebung einer Geschäftsgebühr von 240 Euro rechtfertigen könnte.

17

Wie den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und daher bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zu entnehmen ist, waren vielmehr insbesondere der Umfang der abgerechneten anwaltlichen Tätigkeit, also der benötigte Zeitaufwand (vgl BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 28 ff), unterdurchschnittlich und die Schwierigkeit, also die Intensität der Arbeit (ebenda RdNr 32 ff), ebenfalls allenfalls unterdurchschnittlich. Das Widerspruchsvorbringen erschöpfte sich in dem Vorbringen, die in dem Mahnschreiben angegebenen Bescheide seien "unsererseits nicht bekannt" und die Forderungen daher nicht fällig. Dass dies ein aufwändiges Aktenstudium oder die Anforderung weiterer Unterlagen oder die Prüfung schwieriger Rechtsfragen erfordert hätte, ist nicht zu erkennen. Entsprechendes gilt für die Bestimmung des einzulegenden Rechtsbehelfs, nachdem gegen die Festsetzung der Mahngebühr ungeachtet des um ihre Rechtsqualität zu diesem Zeitpunkt noch geführten Streits (vgl BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 14) ausweislich der Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich der Widerspruch eröffnet war. Unterdurchschnittlich waren auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin (vgl BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 38) und besondere gebührenerhöhende Haftungsrisiken bestanden ebenfalls nicht (vgl ebenda RdNr 39).

18

d) Ungeachtet dessen haben die Vorinstanzen entgegen der Auffassung der Beklagten zutreffend entschieden, dass die Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin nicht lediglich mit der Mindestgebühr von 40 Euro nach Nr 2400 VV RVG aF abzugelten ist. Dagegen spricht bereits, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wenn auch unterdurchschnittlich, aber nicht weit unterdurchschnittlich war. Weder aus dem Vorbringen der Beklagten noch sonst ergibt sich, dass ihr Bevollmächtigter bereits vorher mit dem Vorgang befasst war. Nach den Feststellungen des LSG sind ungeachtet der Frage ihres Zugangs Widersprüche gegen die dem Mahnschreiben zugrunde liegenden Bescheide nicht ersichtlich. Zur Information ihres Anwalts und zur Beratung der Klägerin war deshalb vor Erhebung des Widerspruchs zumindest eine Besprechung mit der Klägerin durchzuführen, deren Zeitdauer in die Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ebenfalls einzugehen hat (vgl BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 28).

19

e) Weiterhin hat das SG entgegen der Auffassung der Beklagten und insoweit auch des LSG im Ergebnis ebenfalls zutreffend entschieden, dass bei der Bedeutung der Angelegenheit neben der Mahngebühr auch die Zahlungsaufforderung in Bezug auf den Mahnbetrag selbst zu berücksichtigen ist.

20

Richtig ist zwar, dass Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nur der Mahngebührenbescheid über 7,85 Euro war, weil nur ihm und nicht auch der Mahnung bzw der Zahlungsaufforderung Verwaltungsaktsqualität zukam (vgl zur Mahngebühr nur BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 14; zur Mahnung BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; entsprechend zur Vollstreckungsankündigung BSG Urteil vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 23, ebenfalls vorgesehen für BSGE, RdNr 15). Gebührenrechtlich im Verhältnis der Klägerin zu ihrem Anwalt ist das allerdings ohne Bedeutung. Maßgebend in diesem Verhältnis sind nicht die verfahrensrechtlichen Unterschiede zwischen dem Mahngebührenbescheid als Verwaltungsakt und der Zahlungsaufforderung als Realakt, sondern ausschließlich der Angelegenheitsbegriff des § 15 Abs 2 RVG.

21

Hiernach sind im Mandatsverhältnis zum Anwalt einer Angelegenheit zuzuordnen und deshalb gemäß § 15 Abs 2 RVG nur einmal abrechenbar alle auftragsgemäß erbrachten Leistungen, zwischen denen ein innerer Zusammenhang besteht und die sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann(BGH Urteil vom 27.7.2010 - VI ZR 261/09 - NJW 2010, 3035, 3036 RdNr 16). Bei dem engen inneren Zusammenhang zwischen Mahnung auf der einen und erhobener Gebühr auf der anderen Seite (vgl § 19 Abs 2 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) ist danach ausgeschlossen, dass das Vorgehen gegen die Mahnung und das gegen die Mahngebühr im Verhältnis zur Klägerin gesondert abzurechnen sein könnte. Ebenso wenig könnte die Klägerin für das Letztere Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG) als Ausgleich dafür erhalten, dass die Beklagte nur für einen Teil der Kosten der Rechtsverfolgung auf die Mahnung aufkommt (zu dieser Kompensation für den begrenzten Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X vgl BSG Urteil vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 23, ebenfalls vorgesehen für BSGE, RdNr 24 f). Gebührenrechtlich ist die Klägerin vielmehr einem einheitlichem Vergütungsanspruch ihres Anwalts ausgesetzt, in dessen Bemessung im Verhältnis zwischen ihm und ihr nach Maßgabe von § 14 Abs 1 RVG nach der objektiven Bedeutung der Angelegenheit für sie auch ihr Interesse an der Abwendung der Zwangsvollstreckung eingeht.

22

Das gebietet es, im kostenerstattungsrechtlichen Verhältnis zwischen Klägerin und beklagter BA bei der Bedeutung der Sache auch diese Wirkungen des erfolgreichen Widerspruchs gegen den Mahngebührenbescheid als von seinen Folgen umfasst ("Soweit der Widerspruch erfolgreich ist" <§ 63 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGB X>) zu berücksichtigen. Das ist insofern sachgerecht, als die Beklagte zum einen vornehmlich durch die kurz bemessene Zahlungsaufforderung Anlass für das Vorgehen gegen die Mahnung und den Mahngebührenbescheid gegeben hat. Zum anderen sind die Mahngebühr und die Mahnung schon rechtlich insoweit miteinander verknüpft, als die Gebühr als Entgelt für die Amtshandlung (vgl § 19 Abs 1 Satz 1 VwVG)der Mahnung erhoben wird und sie deshalb - von der korrekten Bemessung abgesehen (vgl § 19 Abs 2 Satz 2 und 3 VwVG) - nur rechtmäßig ist, wenn die Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl § 3 Abs 2 VwVG) und mithin auch die Mahnung gemäß § 3 Abs 3 VwVG ergehen darf. Weiter sind Mahngebühr und Mahnung auch in ihren tatsächlichen Wirkungen aufeinander bezogen, indem durch die Erhebung der Gebühr - wenn auch noch mit relativ niedrigem Betrag - die Dringlichkeit der alsbaldigen Zahlung und die nachteiligen Folgen ("Hierdurch entstehen weitere Kosten, die die Forderung unnötig erhöhen") für den Fall verdeutlicht werden, dass nicht fristgerecht bezahlt wird. Schließlich steht dem die Grenze des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auch nicht insoweit entgegen, als durch die Beschränkung der Kostenerstattung auf die förmlichen Rechtsbehelfe nicht jegliche Ersatzansprüche im Hinblick auf das nichtförmliche Verwaltungshandeln ausgeschlossen werden, sondern nur für diesen Anwendungsbereich eine Sonderregelung zu § 839 BGB begründet werden sollte(vgl BT-Drucks 7/910 S 92 zum Entwurf des § 80 VwVfG, dem § 63 SGB X im Wesentlichen nachgebildet ist).

23

f) Unter Einbeziehung des Mahnbetrags als gebührenerheblichen Umstand hat das SG die Geschäftsgebühr nach Nr 2400 des VV zum RVG aF nach den Kriterien des § 14 Abs 1 RVG - unterdurchschnittlicher Zeitaufwand, allenfalls unterdurchschnittliche Schwierigkeit, unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse, durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit und kein zur Erhöhung führendes Haftungsrisiko - im Einzelfall hier im Ergebnis zu Recht mit 120 Euro angesetzt. Zwar war der Streit über die angedrohte Vollstreckung nicht vorentscheidend für den dauerhaften Bestand der zu vollstreckenden Forderungen. Insofern rechtfertigt sich ein Abschlag gegenüber der Bedeutung eines solchen Betrags in einer Hauptsachestreitigkeit. Gleichwohl hatte der Streit angesichts des Gesamtbetrags der Mahnsumme und der Mittel, die der Klägerin und ihren Töchtern monatlich zur Verfügung standen, keine nur unterdurchschnittliche Bedeutung. Sie war schließlich auch nicht deshalb relativiert, weil über den Bestand der der Mahnung zugrunde gelegten Rückforderungsbescheide bereits in anderen Verfahren zu entscheiden und daher über die Durchsetzbarkeit der Forderung nicht im Wesentlichen im Rahmen des Mahnverfahrens zu befinden gewesen wäre und deshalb - was hier nicht zu entscheiden ist - der Abwendung der Zwangsvollstreckung geringere Bedeutung beizumessen sein könnte.

24

5. Hinzu kommen die zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitigen Auslagentatbestände nach Nr 7002 VV RVG und Nr 7008 VV RVG, woraus sich der vom SG zuerkannte Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 166,60 Euro (57,12 Euro zuzüglich des Mehrbetrags von 109,48 Euro) ergibt.

25

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107 und 318 Abs. 5 der Abgabenordnung.

(2) Für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 wird eine Mahngebühr erhoben. Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 150 Euro. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet.

(3) Soweit die Bundespolizei nach diesem Gesetz tätig wird, werden Gebühren und Auslagen nach dem Bundesgebührengesetz erhoben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erstattung von Kosten der außergerichtlichen Vertretung wegen der Vollstreckung von Erstattungsbescheiden nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

2

Die Klägerin steht im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Anschluss an die Teilaufhebung von Leistungen und Festsetzung entsprechender Erstattungsbeträge durch Bescheide des beklagten Jobcenters vom 24.8.2011 über einen Gesamtbetrag von 104 Euro (Rückforderungen für den Zeitraum Februar bis August 2011) sowie vom 24.7.2012 über einen Betrag von 453,47 Euro (Rückforderung für Juni 2012) teilte ihr die Vollstreckungsstelle des Hauptzollamts Lörrach (im Folgenden: Hauptzollamt) durch zwei als Vollstreckungsankündigung bezeichnete Schreiben vom 18.2.2013 mit, dass sie für das Forderungsmanagement der Regionaldirektion Hessen (im Folgenden: Regionaldirektion) der Bundesagentur für Arbeit (BA) Vollstreckungen durchzuführen habe. Als Grund der Vollstreckung waren angeführt ein Bescheid des Beklagten vom 24.8.2011 über 427,80 Euro wegen Mehrbedarf bei Behinderung für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.2011, Arbeitslosengeld II (Alg II) für den Zeitraum vom 1. bis 30.6.2012 sowie Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.8.2011, fällig am 12.9.2011, 10.8.2012 sowie 12.9.2011, sowie ein Bescheid vom 24.7.2012 mit einem Rückforderungsbetrag von 79,47 Euro und einer Mahngebühr von 2,55 Euro wegen Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1. bis 30.6.2012, fällig am 10.8.2012. Die mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung (zB in bewegliche Sachen, Arbeitseinkommen, Bankguthaben) könne die Klägerin vermeiden, wenn sie die aufgeführten Beträge innerhalb von einer Woche nach Erhalt der Schreiben auf ein Konto des Hauptzollamts überweise.

3

Gegen die zwei Vollstreckungsankündigungen erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 23.2.2013 Widerspruch zum Beklagten und beantragte ausdrücklich nach § 257 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 3 Abgabenordnung (AO) die Einstellung der Vollstreckung. Die mit Bescheid vom 24.8.2011 begründete Erstattungsforderung sei durch gerichtlichen Vergleich vom 7.8.2012 auf 51 Euro ermäßigt (Sozialgericht Mannheim, S 7 AS 200/12) und der Restbetrag zwischenzeitlich bezahlt worden. Gegen den Bescheid vom 24.7.2012 sei Klage mit aufschiebender Wirkung anhängig (SG Mannheim, S 7 AS 3744/12). Auf den Hinweis des Hauptzollamts, ungeachtet der auch ihm gegenüber vorgetragenen Einwendungen an den angekündigten Vollstreckungen festzuhalten (Schreiben vom 25.2.2013), beantragte die Klägerin am 14.3.2013 beim SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche, den sie im weiteren Verlauf für erledigt erklärte (SG Mannheim, S 5 AS 923/13 ER).

4

Im Gefolge der auf die Widersprüche eingeleiteten Prüfung veranlasste der Beklagte am 28.2.2013 die Einstellung der Vollstreckungen. Die Widersprüche selbst verwarf er dagegen als unzulässig und entschied, dass gegebenenfalls entstandene notwendige Aufwendungen nicht zu erstatten seien. Zwar sei der gerichtliche Vergleich vom 7.8.2012 zu den Bescheiden vom 24.8.2011 erst am 28.2.2013 verwaltungsmäßig vollzogen worden. Ebenfalls sei der Vollstreckungsauftrag zum Rückforderungsbescheid vom 24.7.2012 auf die dagegen erhobene Klage erst zwischenzeitlich ruhendgestellt worden. Die Widersprüche seien aber unzulässig, da Vollstreckungsankündigungen keine Verwaltungsakte seien, sondern lediglich informellen Charakter hätten. Gemäß § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) seien daher Kosten nicht zu erstatten(Widerspruchsbescheid vom 19.4.2013). Im Übrigen hätte es der Widersprüche nicht bedurft, weil für eine Überprüfung eine telefonische Nachfrage des Bevollmächtigten bei ihm - dem Beklagten - ausreichend gewesen wäre, was andere Verfahrensbevollmächtigte im Sinne einer guten Zusammenarbeit zur Reduzierung von Verfahren üblicherweise praktizierten (Schriftsatz vom 20.3.2013 zu SG Mannheim S 5 AS 923/13 ER).

5

Die Klagen mit dem Ziel, den Beklagten dem Grunde nach zur Erstattung der zweckentsprechenden Aufwendungen in den Vorverfahren zu verurteilen, sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 15.10.2013; Urteil des Landessozialgerichts vom 30.4.2014): Eine Vollstreckungsankündigung sei kein Verwaltungsakt, denn als Zahlungsaufforderung fehle es an einer Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X. Rechtsschutz sei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erlangen.

6

Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 31 Satz 1 und § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Vollstreckungsankündigung dokumentiere für den Betroffenen, dass die Vollstreckung durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet worden sei. Diese Einleitung stelle einen Verwaltungsakt dar. Im Übrigen könnten Kosten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ungeachtet des Verfahrensausgangs aus Gründen der Klageveranlassung zuzusprechen sein.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Oktober 2013 und die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 19. April 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gegen die Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts Lörrach vom 18. Februar 2013 notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die geltend gemachten Kostenerstattungsansprüche nicht bestehen. Gegen die Ankündigung der Vollstreckung durch das Hauptzollamt aus dem Bescheid eines Jobcenters ist der Widerspruch nicht gegeben (dazu 3.) und der Erfolg des in dem Widerspruch verkörperten Antrags auf Einstellung der Vollstreckung begründet keine Ansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X(dazu 4.); insoweit sind Bezieher von Grundsicherungsleistungen auf die Inanspruchnahme von Beratungs- oder Prozesskostenhilfe verwiesen, wenn sie zur Abwendung einer unstatthaften Vollstreckung anwaltliche Unterstützung benötigen.

10

1. Gegenstand des Verfahrens ist die Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 19.4.2013, durch die der Beklagte Ansprüche zum einen unmittelbar nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X ausgeschlossen und dem Sinnzusammenhang nach weiter entschieden hat, dass wegen der mit den Widersprüchen inzident betriebenen Verfahren auf Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs 1 AO(dazu unten 4. a) Kostenerstattungsansprüche auch sonst nicht bestehen. Dagegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 iVm § 56 SGG), diese ist zulässig gerichtet auf ein Grundurteil, ohne dass es dazu eines weiteren Vorverfahrens im Hinblick auf die im Widerspruchsbescheid durch Verwaltungsakt (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Einzelkommentierung 12/2010, K § 63 RdNr 16a; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 33)getroffene Kostenentscheidung bedurft hätte (stRspr; vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 20 RdNr 12; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Einzelkommentierung 12/2010, K § 63 RdNr 25; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 78 RdNr 8; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 37). Zuständig hierfür, ohne dass der Senat dies im Rechtsmittelverfahren noch zu prüfen hätte (vgl § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz), sein können nur die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, denn nur diese sind - unabhängig von ihrem Inhalt - berufen, über Widerspruchsbescheide von Jobcentern nach dem SGB II zu entscheiden (vgl ebenso für das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 23/13 R - SozR 4-3500 § 75 Nr 6 RdNr 10).

11

2. Einer Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Insbesondere stand der angegriffenen Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen, nachdem die Klägerin bei einer für sie günstigen Entscheidung eine Erstattungsforderung in Höhe von 847,28 Euro geltend zu machen beabsichtigte. Dass der Beklagte dagegen, sollte die Klägerin dem Grunde nach durchdringen, einen Gebührenansatz nur in Höhe von 559,30 Euro für angemessen hielt, ist demgegenüber nicht ausschlaggebend, weil im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung nicht abschließend über die Berechtigung der von dem Bevollmächtigten ins Auge gefassten Gebührenforderung zu befinden war und jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder auch nur geltend gemacht sind, dass ein Anspruch in dieser Höhe nach keiner Betrachtungsweise bestehen kann.

12

3. In der Sache bestehen Kostenerstattungsansprüche zunächst nicht, soweit die Klägerin Widerspruch zum Beklagten gegen die Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts erhoben hat. Als Rechtsgrundlage dafür kommt nur § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Daran fehlt es, weil weder gegen die Ankündigung einer bevorstehenden Vollstreckung durch das Hauptzollamt noch gegen die dem vorangehende Beauftragung mit der Vollstreckung der Widerspruch zum Beklagten gegeben und daher die Einstellung der Vollstreckung durch ihn nicht iS von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auf (statthaften) Widerspruch hin erfolgt ist.

13

a) Rechtsgrundlage der angekündigten Vollstreckungen sind gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II(hier idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) die §§ 1 bis 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) sowie die in § 5 VwVG im Einzelnen aufgeführten Vorschriften der AO. Danach wird für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach dem SGB II auf das VwVG (§ 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II) und im Übrigen auf § 66 SGB X verwiesen(§ 40 Abs 6 Halbs 2 SGB II). Mithin richtet sich die Vollstreckung aus den hier maßgeblichen Bescheiden, da der Beklagte kein zugelassener kommunaler Träger iS von § 6a SGB II ist(vgl die Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, hier idF der Verordnung vom 1.12.2010, BGBl I 1758), nach dem die Vollstreckung von Geldforderungen betreffenden 1. Abschnitt des VwVG mit dessen §§ 1 bis 4 sowie der Verweisung auf die AO in § 5 Abs 1 VwVG, insbesondere in ihrem 6. Teil mit den §§ 249 ff (zur Frage, ob im Bereich des SGB II überhaupt andere Ansprüche zu vollstrecken sind vgl Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 193).

14

b) Sachlich zuständig für die Durchführung der Vollstreckungen im Außenverhältnis zur Klägerin war demzufolge gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II iVm § 4 lit b VwVG sowie § 249 Abs 1 Satz 3 AO und § 1 Nr 4 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) das Hauptzollamt. Hiernach bedienen sich die Träger der Grundsicherung für die Vollstreckung von Geldforderungen der Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung, soweit sich die Vollstreckung nach dem VwVG (des Bundes) richtet - wie hier gemäß § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II - und solange eine Bestimmung nach § 4 lit a VwVG nicht getroffen worden ist(§ 4 lit b VwVG), wonach Vollstreckungsbehörden auch sein können die von einer obersten Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern bestimmten Behörden des betreffenden Verwaltungszweigs, woran es hier fehlt. Diese Aufgabe ist im Aufbau der Bundesfinanzbehörden (§ 1 FVG) den Hauptzollämtern zugewiesen (§ 249 Abs 1 Satz 3 AO).

15

c) Soweit sich die Klägerin mit ihren an das Jobcenter gerichteten "Widersprüchen" gegen die sonach zuständigkeitshalber zu Recht vom Hauptzollamt herausgegebenen Vollstreckungsankündigungen gewandt hat, vermag das Kostenerstattungsansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X im Verhältnis zum beklagten Jobcenter schon deshalb nicht zu begründen, weil dessen Träger in Bezug auf das Hauptzollamt nicht die Rechtsträger iS von § 63 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGB X sind, dessen Behörde die Vollstreckungsankündigungen verfasst hat. Davon abgesehen kommt der Vollstreckungsankündigung auch sonst Verwaltungsaktqualität nicht zu, wie die Vor-instanzen im Ergebnis zutreffend erkannt haben. Ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zufolge, der sich der erkennende Senat anschließt, hat die Vollstreckungsankündigung vielmehr lediglich den Sinn, den Schuldner noch einmal auf die Situation hinzuweisen und ihm letztmalig die Gelegenheit zu geben, zur Abwendung der Vollstreckung freiwillig die Rückstände zu begleichen; Regelungswirkung kommt dem nicht bei (vgl BFH Beschluss vom 13.2.1997 - VII S 35/96 - BFH/NV 1997, 462; BFH Beschluss vom 14.6.1988 - VII B 15/88 - BFH/NV 1989, 75; BFH Beschluss vom 21.8.2000 - VII B 46/00 - BFH/NV 2001, 149; BFH Beschluss vom 30.8.2010 - VII B 48/10 - BFH/NV 2010, 2235; ebenso etwa Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 254 RdNr 4).

16

d) Auch auf Seiten des Beklagten sind im Vorfeld der Vollstreckungsankündigungen, insbesondere im Zuge der Beauftragung des Hauptzollamts mit der Durchführung der Vollstreckungen, keine Entscheidungen getroffen worden, die als Verwaltungsakte zu qualifizieren wären und gegen die bei sachdienlichem Verständnis des mit den Widersprüchen verfolgten Begehrens ein Widerspruch als statthaft gerichtet anzusehen sein könnte. Zwar übernimmt die Finanzverwaltung die Vollstreckung ausschließlich auf Initiative des Vollstreckungsgläubigers, nämlich durch die von diesem zu verantwortende Vollstreckungsanordnung nach § 3 Abs 1 Halbs 1 VwVG. Danach wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet (§ 3 Abs 1 Halbs 1 VwVG), die von der Behörde "erlassen" wird, die den Anspruch geltend machen darf (§ 3 Abs 4 VwVG). Darin liegt indessen ungeachtet der Wendungen "Anordnung" und "erlassen" keine rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung zulasten des Vollstreckungsschuldners. Vielmehr handelt es sich in dem durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Rechtsträgern bestimmten Verhältnis der beteiligten Behörden um Willenserklärungen zwischen Jobcenter und Hauptzollamt (vgl Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/Finanzgerichtsordnung , Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27: zwischenbehördliche Willenserklärung), durch die das Hauptzollamt im Wege der Amtshilfe (vgl zum VwVG Sadler, VwVG/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 2; zu § 250 AO: Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 1 ff; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 6 ff) um Vornahme von Vollstreckungshandlungen "ersucht" (so ausdrücklich § 250 AO)wird. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dem sich der erkennende Senat anschließt, hat deshalb bereits entschieden, dass der Einleitung der Vollstreckung durch Erklärung der ersuchenden Behörde Regelungswirkung im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner nicht zukommt (BVerwG Urteil vom 18.11.1960 - VII C 184.57 - DVBl 1961, 134; ebenso Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 2; iE ähnlich Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 9: Auftrag ohne Verwaltungsakteigenschaft; ebenso zum Ersuchen nach § 250 Abs 1 Satz 1 AO: Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 5).

17

4. Soweit der Beklagte das Vorgehen der Klägerin gegen die angekündigten Vollstreckungen zutreffend als Antrag auf deren Einstellung gewertet und diese (auch) zuständigkeitshalber zu Recht veranlasst hat (dazu a bis d), bestehen Ansprüche nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht, weil der Anwendungsbereich der Vorschrift auf das förmliche Widerspruchsverfahren beschränkt ist(dazu e); die - anders als der Beklagte meint - bei verständiger Würdigung nicht unberechtigte Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe ist insoweit bei Bedürftigkeit nur über die Inanspruchnahme von Beratungshilfe für das Verfahren dem Jobcenter gegenüber oder von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein gerichtliches Rechtsschutzersuchen zu gewährleisten (dazu f).

18

a) Zutreffend hat der Beklagte das mit den Widersprüchen der Sache nach verfolgte Begehren der Klägerin als Antrag auf Einstellung der angekündigten Vollstreckungen verstanden und darauf zu Recht geprüft, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt (noch oder überhaupt) statthaft waren. Rechtliche Grundlage dafür ist § 257 Abs 1 AO iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II sowie § 5 Abs 1 VwVG. Hiernach ist eine Vollstreckung einzustellen, sobald ua die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs 1 AO weggefallen sind, also die Vollziehung ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist(Nr 1), der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr 2) oder der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr 3).

19

b) Hierfür war die Zuständigkeit des Beklagten selbst dann gegeben, wenn mit der Rechtsprechung des BFH davon auszugehen ist, dass für Einstellungsentscheidungen nach § 257 Abs 1 AO - anders als es in der Mitteilung des Hauptzollamts an die Klägerin über seine Unzuständigkeit zur Prüfung der sachlichen Einwände gegen die angekündigten Vollstreckungen zum Ausdruck gekommen ist - zumindest auch, wenn nicht sogar primär die Zuständigkeit des Hauptzollamts als ersuchter und damit mit der Durchführung der Vollstreckung beauftragter Behörde bestanden hat(vgl nur BFH Beschluss vom 4.7.1986 - VII B 151/85 - BFHE 147, 5; BFH Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 (PKH) - juris, RdNr 7; ebenso Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 8). Dabei kann offenbleiben, ob schon steuerverfahrensrechtlich auch die Zuständigkeit der ersuchenden Vollstreckungsbehörde gegeben ist (so wohl Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung September 2013, § 250 AO RdNr 27: auch die ersuchte Vollstreckungsbehörde) oder ob sich dies auf die ersuchte Vollstreckungsbehörde beschränkt (so Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17; Werth in Klein, AO, 12. Aufl 2014, § 250 RdNr 8). Denn jedenfalls im Anwendungsbereich des VwVG verpflichtet die Stellung als Anordnungsbehörde nach § 3 Abs 4 VwVG auch die ersuchende Behörde - hier das beklagte Jobcenter -, in jeder Verfahrenslage auf Änderungen oder Fehler zu reagieren, die die Rechtmäßigkeit ihrer Vollstreckungsanordnungen berühren.

20

Das folgt aus dem Zweck der von der Anordnungsbehörde zu erlassenden Vollstreckungsanordnung, vor Einleitung der Vollstreckung förmlich - wenn auch nicht durch Verwaltungsakt - nach Maßgabe des Katalogs in § 3 Abs 2 VwVG deren Statthaftigkeit zu bekräftigen(so schon BVerwG Urteil vom 18.11.1960 - VII C 184.57 - DVBl 1961, 134: größtmögliche Sicherheit gegen unzulässige und unberechtigte Vollstreckungsmaßnahmen; ähnlich Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 9: Anordnungsbehörde übernimmt durch Vollstreckungsanordnung die Verantwortung für das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen; Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2014, § 3 VwVG RdNr 3). Damit ist der Anordnungsbehörde eine Garantenstellung für die Statthaftigkeit der Vollstreckung zugewiesen, die mit Erlass des Vollstreckungsauftrags nicht wegfällt; nach § 250 Abs 1 Satz 2 AO iVm § 40 Abs 6 Halbs 1 SGB II iVm § 5 Abs 1 VwVG bleibt vielmehr die ersuchende Vollstreckungsbehörde für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs auch dann verantwortlich, wenn die Zuständigkeit zur Ausführung der Vollstreckung nach § 250 Abs 1 Satz 1 AO auf die ersuchte Behörde übergegangen ist. Das begründet die Verpflichtung der Anordnungsbehörde, in jedem Stadium der Vollstreckung neben der ersuchten Vollstreckungsbehörde selbstständig auf Änderungen der Statthaftigkeit der Vollstreckung zu reagieren und ggf deren Einstellung zu veranlassen (ebenso zur AO Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand der Einzelkommentierung Juni 2012, § 250 AO RdNr 17 unter Verweis auf BFH Beschluss vom 4.7.1986 - VII B 151/85 - BFHE 147, 5: Vollstreckungsschuldner kann fehlende Vollstreckbarkeit in jedem Stadium des Verfahrens gegenüber ersuchender und ersuchter Behörde rügen).

21

c) Zuständig im Außenverhältnis zur Klägerin zur Entgegennahme des im aufgezeigten Verständnis als an die Anordnungsbehörde gerichtet anzusehenden Antrags auf Einstellung der Vollstreckung nach § 257 Abs 1 AO war das beklagte Jobcenter auch dann, wenn es den Forderungseinzug vorliegend der Regionaldirektion der BA übertragen haben sollte, wofür die Angaben in den Vollstreckungsankündigungen sprechen könnten, dass die Vollstreckungen für die Regionaldirektion der BA vorgenommen werden sollten. Denn selbst wenn danach im Verhältnis zwischen Jobcenter und BA wirksam die Zuständigkeit der Regionaldirektion als Anordnungsbehörde iS von § 3 Abs 4 VwVG begründet worden und diese damit auch für die Überprüfung der Vollstreckungsanordnung zuständig geworden sein sollte(vgl zur früheren Rechtslage BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3; zu aktuellen Fragen vgl nur Knapp in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 44b RdNr 104 f; Weißenberger, SGb 2013, 14, 16), vermochte die Klägerin die Vollstreckungseinstellungsanträge nach dem Rechtsgedanken des § 16 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und erst recht ohne Kenntnis einer Übertragung wirksam beim Beklagten selbst anzubringen, zumal die Auseinandersetzung um die den Vollstreckungsankündigungen zu Grunde liegenden Erstattungsbescheide ausschließlich mit ihm geführt worden ist.

22

d) Das so verstandene Begehren auf Einstellung der Vollstreckung war auch in der Sache begründet. Dabei kann offenbleiben, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt je hätten betrieben werden dürfen, nachdem weder der in den Vollstreckungsankündigungen aufgeführte Bescheid vom 24.8.2011 noch der vom 24.7.2012 mit dem Inhalt ergangen ist, wie er vom Hauptzollamt bezeichnet worden ist. Denn jedenfalls soweit die Vollstreckung nach Auffassung des Beklagten zum einen auf den Bescheid vom 24.8.2011 mit einer Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 104 Euro gestützt sein sollte, war diese durch den gerichtlichen Vergleich vom 7.8.2012 auf 51 Euro ermäßigt (SG Mannheim zu S 7 AS 200/12) und dieser Restbetrag zwischenzeitlich bezahlt worden, der zu vollstreckende Verwaltungsakt also zum Teil iS von § 257 Abs 1 Nr 2 AO aufgehoben und die Forderung zum Teil iS von § 257 Abs 1 Nr 3 AO erloschen. Und in Bezug auf den Bescheid vom 24.7.2012 über den Erstattungsbetrag von 453,47 Euro kam der Klage dagegen (vgl SG Mannheim zu S 7 AS 3744/12) gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung mit der Folge zu, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzung des § 251 Abs 1 Satz 1 AO weggefallen und damit der Einstellungsgrund des § 257 Abs 1 Nr 1 AO verwirklicht worden ist, nachdem Erstattungsbescheide von der Ausnahmeregelung nach § 39 Nr 1 SGB II nicht erfasst sind(vgl BT-Drucks 16/10810 S 50; ebenso Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 39 RdNr 17; Aubel in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 39 RdNr 12; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand der Einzelkommentierung Februar 2012, K § 39 RdNr 68).

23

e) Ungeachtet dessen bestehen die streitbefangenen Kostenerstattungsansprüche nicht. Erstattungsfähig nach § 63 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 SGB X ist, wie bereits der Normtext und die systematische Stellung im Gesetz - nämlich im Fünften Abschnitt (Rechtsbehelfsverfahren) des Ersten Kapitels (Verwaltungsverfahren) des SGB X - deutlich machen, ausschließlich die anwaltliche Vergütung, die für das isolierte Vorverfahren anfällt. Die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X korrespondiert insoweit mit der Kostenregelung für ein ggf nachfolgendes gerichtliches Verfahren in § 193 Abs 2 SGG, wonach die notwendigen Aufwendungen eines für die sozialgerichtliche Klage gemäß § 78 SGG zwingend vorgeschriebenen Vorverfahrens zu den zu erstattenden Kosten gehören(grundlegend dazu bereits BSG Beschluss vom 24.8.1976 - 12/1 RA 105/75 - SozR 1500 § 193 Nr 3). War der Widerspruchsführer schon mit seinem Widerspruch erfolgreich und erübrigt sich eine Anrufung des Gerichts, besteht deshalb die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 63 SGB X(BSG Urteil vom 25.2.2010 - B 11 AL 24/08 R - BSGE 106, 21 = SozR 4-1300 § 63 Nr 12, RdNr 15). Die Aufwendungen für eine weitergehende Vertretung durch einen Rechtsanwalt, die nicht Vorverfahrenskosten sind, können dagegen auf Grundlage von § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht erstattet werden(vgl BSG Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1; BSG Urteil vom 20.4.1983 - 5a RKn 1/82 - BSGE 55, 92, 93 = SozR 1300 § 63 Nr 1; BSG Urteil vom 25.11.1999 - B 13 RJ 23/99 R - SozR 3-1300 § 63 Nr 14; zuletzt BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 62/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 19; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 12/2010, K § 63 RdNr 10; Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 63 RdNr 6). Die Gerichte können § 63 SGB X nicht allein deshalb, weil es wünschenswert erscheinen mag, durch Rechtsfortbildung auf andere Verfahrensabschnitte als das Widerspruchsverfahren erstrecken. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 63 SGB X auf andere (ggf vorgelagerte) Verwaltungsverfahrensabschnitte rechtfertigen könnte, fehlt(ausführlich BSG Beschluss vom 24.8.1976 - 12/1 RA 105/75 - SozR 1500 § 193 Nr 3 S 3 ff und BSG Urteil vom 12.12.1990 - 9a/9 RVs 13/89 - SozR 3-1300 § 63 Nr 1).

24

f) Eine planwidrige Regelungslücke in diesem Sinne hat auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Grundsätzen der Rechtswahrnehmungsgleichheit (grundlegend Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39) bewirkt. Danach verlangt der allgemeine Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 3 GG), dass der Gesetzgeber auch im außergerichtlichen Bereich die erforderlichen Vorkehrungen trifft, damit der Rechtsuchende mit der Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte nicht von vornherein an mangelnden Einkünften oder ungenügendem Vermögen scheitert (BVerfG Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39, 50). Das ist hier auch nicht schon deshalb unbeachtlich, weil die Klägerin, wie der Beklagte im Verfahren meinte, "im Sinne einer guten Zusammenarbeit" telefonisch eine Überprüfung der Sachlage hätte anregen können; damit verkennt er die Bedeutung der Vollstreckungsandrohung und ihre faktische Zwangswirkung ("Die … mit zusätzlichen Kosten verbundene Vollstreckung vermeiden, wenn Sie innerhalb von einer Woche … den Gesamtbetrag … einzahlen …"), zumal für Bezieher existenzsichernder Leistungen.

25

Jedoch besteht eine Rechtsschutzlücke für Bezieher existenzsichernder Leistungen zunächst deshalb nicht, weil nach dem Beratungshilfegesetz (im Folgenden: BerHG) Beratungshilfe einschließlich einer erforderlichen außergerichtlichen Vertretung unter anderem durch Rechtsanwälte beansprucht werden kann, wenn der Rechtsuchende die erforderlichen Mittel nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht aufbringen kann, andere Möglichkeiten zumutbar nicht zur Verfügung stehen und die Inanspruchnahme nicht mutwillig erscheint (§ 3 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 1, § 1 Abs 1 BerHG); zu einer entsprechenden Vertretung sind Rechtsanwälte auch verpflichtet, wenn nicht ein wichtiger Grund zur Ablehnung besteht (§ 49a Abs 1 Bundesrechtsanwaltsordnung). Weiterhin ist Raum dafür, gegen unberechtigte Vollstreckungsankündigungen unmittelbar (vorläufigen) gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl zur prozessualen Lage im finanzgerichtlichen Verfahren § 69 Abs 4 Satz 2 Nr 2 FGO und dazu etwa BFH Beschluss vom 22.11.2000 - V S 15/00 - BFH/NV 2001, 620) und hierzu PKH nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung zu beantragen. Jedenfalls für die betroffenen Leistungsbezieher sind damit ausreichende Wege zur Wahrnehmung ihrer Rechte eröffnet. Ob die niedrigen anwaltlichen Gebührensätze im beratungshilferechtlichen Verfahren (zu den Einzelheiten vgl Dürbeck in Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl 2014, S 400 ff) auch bei einer durch behördliche Fehler veranlassten Vertretung angemessen erscheinen, und ob eine bei dieser Rechtslage uU nicht auszuschließende vermehrte Inanspruchnahme von gerichtlichem (Eil-)Rechtsschutz gegenüber fehlerhaften Vollstreckungsankündigungen mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Entlastung der Gerichte in Einklang steht, hat der Senat dabei nicht zu berücksichtigen.

26

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Rahmen der Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen die Erhebung von Mahngebühren durch die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).

2

Die Arbeitsgemeinschaft Leipzig (ARGE) hob gegenüber dem Kläger mit einem Bescheid vom 2.8.2007 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von September 2005 bis Januar 2007 auf und forderte von ihm einen Betrag in Höhe von 5886,25 Euro zurück (3266,30 Euro Regelleistung und 2619,95 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Die ARGE übergab sodann den Vorgang der Regionaldirektion Sachsen der beklagten BA zur Einziehung der Forderung. Diese betreibt auf der Grundlage einer "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007" vom 2./3.1.2007 verschiedene Aufgaben, die in einem Dienstleistungskatalog aufgelistet sind. Darunter fällt auch der Einzug von Forderungen für die ARGE.

3

Mit Schreiben vom 3.8.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung des Erstattungsbetrags auf. Mit einem weiteren, mit "Mahnung" überschriebenem Schriftstück vom 14.10.2007 wies die Beklagte den Kläger auf seine noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 5915,95 Euro hin. In dieser Summe enthalten war eine Position in Höhe von 29,70 Euro, die bezeichnet wurde: "Forderung: Mahngebühren/Bescheid: 14.10.07 RD Sachsen".

4

Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 als unzulässig mit der Begründung, bei der Mahnung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, da sie keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Vielmehr werde nur noch über die bestehende Forderung sowie über weitere Zahlungsmodalitäten unterrichtet.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage, mit der sich der Kläger ausschließlich gegen die Erhebung der Mahngebühren wandte, hat das Sozialgericht Leipzig die Festsetzung der Mahngebühren aufgehoben (Urteil vom 26.5.2009). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 25.2.2010 ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der Festsetzung von Mahngebühren durch die Beklagte um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Auch wenn die Mahnung selbst lediglich als unselbstständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckung zu qualifizieren sei, stelle die Festsetzung von Mahngebühren in bestimmter Höhe auf gesetzlicher Grundlage ein hoheitliches Handeln mit Außenwirkung zur Regelung eines Einzelfalls dar. Allerdings sei die Beklagte gegenüber dem Kläger zur Festsetzung von Mahngebühren nicht befugt gewesen, da Inhaberin der Erstattungsforderung allein die ARGE sei. Aus der Übertragung von Aufgaben an die ARGE im Rahmen des § 44b Abs 3 SGB II folge, dass die Beklagte als Trägerin der Grundsicherung bei der Vollstreckung von Forderungen der ARGE kein eigenes Geschäft mehr wahrnehme. Dies gelte insbesondere für solche Forderungen, die auf den kommunalen Unterkunftsleistungen beruhten. In diesem Zusammenhang könne dahinstehen, ob die 2007 getroffene Verwaltungsvereinbarung zwischen der ARGE und der Beklagten eine nach §§ 88 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zulässige Übertragung von Aufgaben darstelle, denn zum einen habe es die Beklagte versäumt, das Tätigwerden im fremden Auftrag hinreichend deutlich zu machen, zum anderen hätte die Beklagte gemäß § 90 Satz 2 SGB X den Widerspruch der ARGE vorlegen müssen und habe nicht selbst über ihn entscheiden dürfen.

6

Die Beklagte hat die vom LSG in seinem Urteil zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung der §§ 31 Satz 1, 89 Abs 1 und 90 Satz 2 SGB X. Sie vertritt die Auffassung, die Erhebung von Mahngebühren stelle keinen Verwaltungsakt dar. Insbesondere habe sie die Mahngebühr nicht in einem formalisierten Verfahren festgesetzt, sondern zusammen mit der Mahnung sei die anfallende Mahngebühr, deren Höhe sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, eingefordert worden. Auch die äußere Form der Mahnung spreche nicht für das Vorliegen eines so genannten "Formverwaltungsakts". Darüber hinaus sei sie auf der Grundlage der mit der ARGE gemäß § 88 SGB X abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung auch zur Erhebung der Mahngebühren berechtigt gewesen. Auch könne die Rechtswidrigkeit zumindest des Widerspruchsbescheids nicht aus § 90 Satz 2 SGB X hergeleitet werden, wonach die Widerspruchsstelle des Auftraggebers den Widerspruchsbescheid "erlässt", denn diese Regelung sei als Sollvorschrift auszulegen, wie sich aus den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ergebe.

7

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des LSG im Hinblick auf die Verwaltungsaktqualität der Erhebung der Mahngebühren für zutreffend, weist aber ergänzend darauf hin, dass er die zwischen der Beklagten und der ARGE getroffene Verwaltungsvereinbarung für rechtswidrig halte.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

11

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn es bestehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler (dazu unter 1.). Die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Festsetzung von Mahngebühren konnte mit der hier zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (dazu unter 2.). Bei der Entscheidung in der Sache hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht der Revision kein Bundesrecht verletzt. Es kann offen bleiben, ob Mahngebühren durch eine ARGE auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Bundes oder des der Länder erhoben werden dürfen (dazu unter 3.a), denn jedenfalls war die beklagte BA gegenüber dem Kläger zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt (dazu unter 3.b).

12

1. Es liegt hier kein eine Sachentscheidung hindernder Verfahrensfehler darin, dass die ARGE dem Verfahren nicht beigeladen wurde. Ein Fall einer von Amts wegen im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 Sozialgerichtsgesetz( vgl zuletzt nur BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris) ist vorliegend nicht gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung gegenüber der Beklagten und gegenüber der ARGE nicht nur einheitlich ergehen kann. Eine einheitliche Entscheidung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die gerichtliche Entscheidung im Abweisungs- oder im Stattgabefall unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt oder feststellt, verändert oder aufhebt (vgl BSG Urteil vom 9.2.1994 - 11 RAr 49/93 - juris; BSG SozR 1500 § 75 Nr 71; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VI, RdNr 11a). Hieran fehlt es vorliegend, weil die ARGE allenfalls ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, ohne dass ihre Rechte durch die Entscheidung zwangsläufig und unmittelbar festgestellt oder verändert werden.

13

2. Zutreffend ist der Kläger gegen die Festsetzung der Mahngebühren mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) vorgegangen, deren besondere Voraussetzungen hier ebenfalls gegeben sind.

14

Bei der in der Mahnung vom 14.10.2007 enthaltenen Festsetzung von Mahngebühren handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 SGB X, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Festsetzung von Mahngebühren enthält eine für den betroffenen Schuldner verbindliche Einzelfallregelung (vgl Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz , 9. Aufl 2011, § 19 VwVG RdNr 7 und § 3 VwVG RdNr 8). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der bisherigen Revisionsrechtsprechung, denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bislang lediglich entschieden, dass die Mahnung selbst kein Verwaltungsakt sei, ohne dass die Erhebung einer Gebühr für diese Mahnung Gegenstand der Verfahren gewesen wäre (vgl BSG Beschluss vom 5.8.1997 - 11 BAr 95/97 - juris RdNr 6; Beschluss vom 7.6.1999 - B 7 AL 264/98 B - juris RdNr 7; dem folgend Bundesfinanzhof Beschluss vom 30.9.2002 - VII S 16/02 - juris RdNr 8). Auch der 12. Senat des BSG ist bereits im Rahmen einer Beitragsstreitigkeit von der Verwaltungsaktqualität einer Mahngebührenfestsetzung nach § 19 Abs 2 VwVG ausgegangen(BSG Urteil vom 23.11.1992 - 12 RK 23/90 - SozR 3-7910 § 59 Nr 1 S 4). Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, sie "fordere" nur, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und regele nichts, nicht durch. Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern setzt voraus, dass sie - wie es etwa in § 19 Abs 2 Satz 1 VwVG heißt - "erhoben" wird. Nach der entsprechenden landesrechtlichen Regelung, auf die sich die Beklagte alternativ beruft, ist sogar nur ein entsprechender Gebührenrahmen festgelegt (der im Übrigen bei 25 Euro endet). Auf die Frage, ob es sich aufgrund der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben um einen so genannten formellen Verwaltungsakt handelte, gegen den bereits deshalb die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 75/06 R - juris), kommt es hier nicht mehr an.

15

Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen, insbesondere fehlt es nicht an den speziell für die Anfechtungsklage geltenden Sachurteilsvoraussetzungen. Soweit zwischen den Beteiligten bislang streitig war, ob die Beklagte zum Erlass des Widerspruchsbescheids befugt war (§ 90 Satz 2 SGB X), berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht(BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG).

16

3. Das LSG hat der Anfechtungsklage auch zu Recht stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten über die Erhebung einer Mahngebühr ist rechtswidrig.

17

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom 14.10.2007 erhobenen Mahngebühren § 19 Abs 2 VwVG iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 1 Satz 1 SGB X ist oder § 4 Abs 2 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (SächsVwVG) iVm §§ 1, 6 Sächsisches Verwaltungskostengesetz (SächsVwKG) und Nr 1 Tarifstelle 8.1 der Anlage 1 zu § 1 des Siebten Sächsischen Kostenverzeichnisses vom 24.5.2006 (SächsGVBl 189) iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II und § 66 Abs 3 Satz 1 SGB X. Für die Verwaltungsvollstreckung und damit auch für die der Vollstreckung vorgelagerten Mahnung besteht jedenfalls keine Kostenfreiheit nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB X(Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 66 RdNr 23; speziell zur Mahngebühr Augstein/App, KKZ 2002, 7). Die Frage nach der Anwendung von Bundes- oder Landesrecht bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil der Verwaltungsakt vom 14.10.2007 ohnehin (formell) rechtswidrig ist. Die Beklagte war nämlich nach beiden Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Mahngebühren nicht befugt, weil ihr die sachliche Zuständigkeit fehlte (dazu unter a). Dieser Mangel, an dem der Verwaltungsakt zur Erhebung der Mahngebühren leidet, führt zu dessen Aufhebung (dazu unter b).

18

a) Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes war für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl § 3 Abs 3, 4 iVm § 19 Abs 2 VwVG). Wie sich aus den - den Senat insoweit nach § 162 SGG bindenden - Feststellungen des LSG ergibt, gilt Gleiches nach den entsprechenden Regelungen des sächsischen Verwaltungsvollstreckungsrechts(vgl § 13 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Satz 2 SächsVwVG sowie §§ 1, 6 SächsVwKG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Beklagte für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist (aa). Etwas anderes folgt auch nicht aus der abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (bb). Ebenso wenig kann die sachliche Zuständigkeit der Beklagten aus der entsprechenden Anwendung des § 88 SGB X hergeleitet werden(cc).

19

aa) Die Beklagte ist nicht befugt, einzelne Aufgabenbereiche im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne entsprechende gesetzliche Grundlage in eigener Zuständigkeit auszuüben. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Beklagten um einen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich die BA und die kreisfreien Städte und Kreise(vgl auch § 12 Satz 1, § 19a Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch). Trotz ihrer Trägereigenschaft war es der beklagten BA verwehrt, gegenüber dem Kläger in eigener Zuständigkeit tätig zu werden. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und der ARGE bestimmte sich allein nach § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF, wonach die ARGE "die Aufgaben" der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahrnahm. Dabei sollte die ARGE die gesamten operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (BVerfGE 119, 331, 368 mwN). Die Übertragung einzelner Aufgaben durch die Träger kollidiert mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II; vgl Luthe, SGb 2011, 131, 138) und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine Art "Selbsteintrittsrecht" der Grundsicherungsträger sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Die Vorinstanzen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Selbsteintrittsrecht nie ein Tätigwerden im Leistungsbereich des jeweils anderen Trägers rechtfertigen könnte. Ein einheitlicher Forderungseinzug erfordert aber regelmäßig ein solches Tätigwerden in einem anderen Leistungsbereich. Letztlich geht auch die Beklagte (zu Recht) davon aus, sie sei als Leistungsträgerin nicht bereits originär zuständig gewesen, denn in diesem Fall hätte es nicht der Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses zwischen der ARGE und ihr bedurft, um im Rahmen des Forderungseinzugs tätig zu werden.

20

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten lässt sich aber auch nicht aus § 1 der hier geschlossenen Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen 2007 vom 2./3.1.2007 iVm dem dort in Bezug genommenen Dienstleistungskatalog, der auch die Dienstleistung "Forderungseinzug" beinhaltet, iVm §§ 88 bis 90 SGB X herleiten. Dass die Übertragung von Aufgaben auf andere Leistungsträger oder auf Dritte einer gesetzlichen Grundlage bedarf, folgt aus der grundsätzlich fehlenden Disponibilität der Zuständigkeitsregelungen für den Fall, dass hierdurch die Rechtssphäre des Bürgers berührt wird (vgl Steinbach in Hauck/Noftz, Stand 2007, § 88 SGB X RdNr 1 mwN),was hier der Fall ist.

21

Nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGB X, der im Rahmen der Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander das Auftragsverhältnis regelt, kann ein Leistungsträger (Auftraggeber) ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben vom Auftraggeber und Beauftragten zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist.

22

Die Anwendung des § 88 SGB X scheitert aber bereits daran, dass diese Norm nach ihrem Wortlaut auf die Beauftragung der Beklagten durch die ARGE keine Anwendung findet, denn das Gesetz erlaubt es nur einem Leistungsträger iS von § 12 SGB I, als Auftraggeber einen Auftragsvertrag zu schließen(vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 88 SGB X RdNr 19). Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II aF waren aber selbst nicht Leistungsträger(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20). Sie wurden vielmehr von den Trägern gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II aF zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem SGB II durch Vertrag errichtet. Gemäß § 44b Abs 3 SGB II aF nahm die ARGE die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach dem SGB II wahr. Die kommunalen Träger sollten der ARGE die Wahrnehmung ihrer Aufgaben übertragen. Wegen der fehlenden Leistungsträgereigenschaft der ARGE war es ihr verwehrt, auf der Grundlage des § 88 Abs 1 SGB X ihre Aufgaben durch die Beklagte wahrnehmen zu lassen.

23

cc) Auch eine entsprechende Anwendung des § 88 SGB X auf den vorliegenden Fall einer Rückübertragung von Aufgaben von einer nach § 44b SGB II aF errichteten ARGE als (Misch-) Behörde auf einen ihrer beiden Leistungsträger scheidet aus. Dagegen spricht bereits die auch verfassungsrechtlich geforderte klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeit (vgl hierzu BVerfGE 119, 331, 366), die eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordert wie sie inzwischen mit § 44b Abs 4 SGB II idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II und § 44b Abs 5 SGB II auch geschaffen worden ist. Zum anderen besteht bei der "Redelegation" von der ARGE zu einem ihrer Träger die besondere Problematik der Teilidentität der Beteiligten, die einem Vertrag als mehrseitigem Rechtsgeschäft grundsätzlich fremd ist (vgl zur Rechtsnatur der Beauftragung nach § 88 SGB X als koordinationsrechtlichem Vertrag BSGE 69, 238, 240 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2). Auch um Interessenskollisionen vorzubeugen, bedarf es daher einer verfahrensmäßigen Absicherung einer solchen Aufgabenwahrnehmung. Gegen die Möglichkeit der Arbeitsgemeinschaften, ihre Leistungsträger gemäß § 88 SGB X mit einzelnen Aufgaben zu beauftragen, spricht zuletzt auch, dass § 44b SGB II aF zwar durchaus von einer (entsprechenden) Anwendung der Auftragsregelungen nach §§ 88 ff SGB X ausging, dies aber allein im umgekehrten Verhältnis. Nach § 94 Abs 4 SGB X gelten § 88 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 SGB X für ARGE'en, die nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB X iVm § 44b SGB II aF von den Leistungsträgern nach dem SGB II gegründet werden, entsprechend. Dabei ordnete § 44b Abs 3 Satz 2 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich an, dass § 88 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach ein wesentlicher Teil des gesamten Aufgabenbereichs beim Auftraggeber verbleiben muss, nicht galt.

24

Für die Zulässigkeit einer vertraglichen Aufgabenübertragung im hier maßgeblichen Zeitraum kann auch die zwischenzeitlich in § 44b Abs 4 SGB II ergangene Neuregelung nicht fruchtbar gemacht werden. Zwar heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, § 44b Abs 4 SGB II "stellt klar", dass die gemeinsame Einrichtung einzelne ihrer Aufgaben von den Trägern wahrnehmen lassen könne(BT-Drucks 17/1555, 24; wortgleich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, vgl BR-Drucks 226/10, 37 f). Es ist aber nicht zu erkennen, worauf sich die Annahme, es handele sich lediglich um eine Klarstellung, gründet. Die Gesetzesbegründung macht im selben Zusammenhang zudem deutlich, dass erst durch die Neuregelung "die Möglichkeit eröffnet werden" sollte, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die Leistungsträger zu übertragen (BT-Drucks, aaO).

25

b) Die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten zur Erhebung der Mahngebühren führt zur Aufhebung des Verwaltungsakts vom 14.10.2007. Da der Kläger allein einen Anfechtungsantrag gestellt hat, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Verwaltungsakt gemäß § 40 SGB X an einem so schwerwiegenden Fehler leidet, dass er nichtig ist(BSGE 17, 139, 142; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 14a; vgl zur Frage der Nichtigkeit im Falle einer sachlichen Unzuständigkeit auch BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 6 f mwN). Auf die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und bloßer Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts kommt es vorliegend auch deshalb nicht an, weil die Aufhebbarkeit des (formell) rechtswidrigen Bescheids nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört weder zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, noch zu den Fehlern, deretwegen nach § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht verlangt werden kann(BSG SozR 3-3300 § 20 Nr 5 S 22). Insofern ist allein festzustellen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers jedenfalls begründet ist.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin hat durch ihre Antworten (Bundestagsdrucksache 17/6022) auf die Fragen 10. e) und g) der Kleinen Anfrage vom 16. Mai 2011 (Bundestagsdrucksache 17/5847) die Antragstellerin in ihren Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt.

2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Organstreitverfahrens sind Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Antragstellerin, einer Fraktion des Deutschen Bundestages, zu Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei für mehrere Länder.

I.

2

1. Grundlage für Unterstützungseinsätze der Bundespolizei ist § 11 des Gesetzes über die Bundespolizei (BPolG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes und anderer Gesetze vom 26. Februar 2008 (BGBl I S. 215). Der im vorliegenden Verfahren relevante § 11 Abs. 1 Nr. 1 BPolG entspricht Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes - der heutigen Bundespolizei - zur Unterstützung seiner Polizei anfordern kann, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte.

3

Formelle Voraussetzung eines Unterstützungseinsatzes ist in diesen Fällen nach § 11 Abs. 4 BPolG die Anforderung der Bundespolizei durch ein Land. Die Anforderung, für die das Gesetz keine Form vorschreibt, soll nach § 11 Abs. 4 Satz 2 BPolG alle für die Entscheidung wesentlichen Merkmale des Einsatzauftrags enthalten. Die Entscheidung über die Verwendung der Bundespolizei zur Unterstützung eines Landes aufgrund einer Anforderung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BPolG trifft nach § 11 Abs. 3 Satz 1 BPolG das Bundesministerium des Innern. Dieses hat seine Entscheidungsbefugnis gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 BPolG durch eine Verwaltungsvorschrift auf das Bundespolizeipräsidium übertragen (Verwaltungsvorschrift "Einsätze der Bundespolizei zur Unterstützung der Länder - Übertragung der Entscheidungsbefugnis in bestimmten Fällen auf das Bundespolizeipräsidium" vom 22. Februar 2008, GMBl 2008, S. 267). Nach Ziffer 1.2 dieser Verwaltungsvorschrift prüft das Bundespolizeipräsidium die Verfügbarkeit geeigneter Bundespolizeikräfte. Auf dieser Grundlage sowie anhand des Gesamtunterstützungsbedarfs und gegebenenfalls überbehördlicher Bindungen trifft es die Entscheidung und übermittelt ein konkretes Kräfteangebot an das jeweils ersuchende Land oder die ersuchenden Länder. Nach der Annahme dieses Angebots durch das anfordernde Land weist das Bundespolizeipräsidium die Unterstützung an. Die Unterstützung eines Landes durch die Bundespolizei richtet sich gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BPolG nach dem für das anfordernde Land geltenden Recht, also nach dem jeweiligen Landesrecht und dem sachlich einschlägigen Bundesrecht, etwa dem Versammlungs-, Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht (Drewes/ Malmberg/Walter, BPolG, 4. Aufl. 2010, § 11 Rn. 51). Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BPolG unterliegt die Bundespolizei bei Unterstützungseinsätzen den fachlichen Weisungen des Landes, während die Weisungsbefugnis im Hinblick auf Organisation und Dienstrecht beim Bund verbleibt (Drewes/Malmberg/Walter, a.a.O., § 11 Rn. 54 m.w.N.).

4

2. Die Vorschrift des § 11 BPolG lautet:

"§ 11 Verwendung zur Unterstützung eines Landes

(1) Die Bundespolizei kann zur Unterstützung eines Landes verwendet werden

1. zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in Fällen von besonderer Bedeutung nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes,

2. zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes,

3. zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes nach Artikel 91 Abs. 1 des Grundgesetzes,

soweit das Land ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen kann.

(2) 1Die Unterstützung eines Landes durch die Bundespolizei nach Absatz 1 richtet sich nach dem für das Land geltenden Recht. 2Vorbehaltlich des Artikels 35 Abs. 3 des Grundgesetzes unterliegt die Bundespolizei dabei den fachlichen Weisungen des Landes.

(3) 1Die Entscheidung über eine Verwendung der Bundespolizei nach Absatz 1 trifft im Fall des Artikels 35 Abs. 3 des Grundgesetzes die Bundesregierung, im übrigen das Bundesministerium des Innern auf Anforderung des Landes. 2Das Bundesministerium des Innern kann seine Entscheidungsbefugnis in bestimmten Fällen durch Verwaltungsvorschrift auf eine Bundespolizeibehörde übertragen.

(4) 1Einer Anforderung der Bundespolizei ist zu entsprechen, soweit nicht eine Verwendung der Bundespolizei für Bundesaufgaben dringender ist als die Unterstützung des Landes. 2Die Anforderung soll alle für die Entscheidung wesentlichen Merkmale des Einsatzauftrages enthalten. 3Die durch eine Unterstützung eines Landes nach Absatz 1 entstehenden Mehrkosten trägt das Land, sofern nicht im Einzelfall aus besonderen Gründen in einer Verwaltungsvereinbarung etwas anderes bestimmt wird.

(5) Die Verpflichtung zur Amtshilfe bleibt unberührt."

II.

5

Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

6

1. Am 19. Februar 2011 fand in Dresden anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg ein Aufmarsch von Anhängern des rechtsradikalen Spektrums statt. Es gab eine Gegendemonstration, an der nach Angaben des Veranstalters etwa 20.000 Personen teilnahmen. Am Polizeieinsatz an jenem Tage waren neben der Landespolizei des Freistaates Sachsen Polizeibeamte anderer Länder und der Bundespolizei beteiligt.

7

2. Hinsichtlich dieses Polizeieinsatzes richteten die Antragstellerin sowie verschiedene Mitglieder des Bundestages am 1. März 2011 eine Kleine Anfrage mit dem Titel "Gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten am 19. Februar 2011 in Dresden" an die Antragsgegnerin (BTDrucks 17/4992). Diese Kleine Anfrage bezog sich zum einen auf den Bereich der originären Aufgabenwahrnehmung durch die Bundespolizei, dabei vor allem auf die Erfüllung bahnpolizeilicher Aufgaben, zum anderen auf die Unterstützung der Sächsischen Landespolizei durch Beamte der Bundespolizei gemäß § 11 BPolG. In der Vorbemerkung zu dieser Kleinen Anfrage heißt es unter anderem:

"Rund 20 000 Antifaschistinnen und Antifaschisten haben am 19. Februar 2011 in Dresden der Neonaziszene eine klare Niederlage bereitet. Der geplante Aufmarsch der extremen Rechten wurde durch das entschlossene Handeln der antifaschistischen Demonstrantinnen und Demonstranten vereitelt, die damit ihren Erfolg aus dem Vorjahr, als sie den Naziaufmarsch ebenfalls verhindern konnten, noch übertrafen.

Das Einsatzkonzept der sächsischen Polizei - die von Einheiten der Bundespolizei unterstützt wurde - sah aber die rigorose Abschottung der Gegendemonstranten vor. Dabei kam es mitunter zu äußerst gewaltsamem und eskalierendem Vorgehen, wie durch zahlreiche Videos im Internet und Augenzeugenberichte dokumentiert. Insbesondere über massiven und ohne Vorwarnung erfolgten Einsatz von Pfefferspray bzw. Pepperball sowie von Wasserwerfern wird berichtet (www.youtube.com/watch?v=EdXsLFLY_fs, Pfeffersprayeinsatz gegen abziehende Personengruppe; www.youtube.com/watch?v =9bAVcACehOc&feature=player_embedded, Pfeffersprayeinsatz auf gewaltfreien Demonstranten, möglicherweise einen Journalisten). Um einen besonders eklatanten Fall von Polizeigewalt handelt es sich beim anlasslosen Angriff eines Wasserwerfers auf eine Menschenmenge, die sich friedlich über eine Kreuzung bewegte (www.youtube.com/watch?v=N1vYuHpGKlI&feature= player_embedded).

[…]

Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, kommentierte die Ereignisse in der Presse folgendermaßen: 'Die Polizei ist eben vollauf damit beschäftigt, die Neonazis zu schützen (…). Das ist sächsische Demokratie.'

Es muss aufgeklärt werden, inwiefern Einheiten der Bundespolizei zu dieser Art der Demokratiedurchsetzung beigetragen haben. Wenn eine Landespolizei brutal gegen Antifaschisten vorgeht, um Nazis zu schützen, sollte die Bundespolizei dies nicht auch noch unterstützen."

8

In der Vorbemerkung der Antwort auf diese Kleine Anfrage (BTDrucks 17/5270, S. 2, Anlage Ast. 2) stellte die Antragsgegnerin fest:

"Polizeiliche Einsatzlagen im Zusammenhang mit Demonstrationen und Versammlungen fallen in die Zuständigkeit der Länder. Die Bundesregierung nimmt zu polizeilichen Einsätzen, soweit sie im Verantwortungsbereich eines Landes liegen - hier des Freistaates Sachsen - keine Stellung und bewertet diese nicht."

9

Folgende Fragen und Antworten sind streitgegenständlich:

10

Frage: "3. c) Wie ist der Einsatz in der Praxis durchgeführt worden und wer hat ihn geführt, von wem hat die Bundespolizei Weisungen erhalten, und wie ist die Koordination ihres Einsatzes im Rahmen des Gesamteinsatzes sichergestellt worden?"

11

Antwort: "Im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei erfolgte der Einsatz eigenverantwortlich durch eine eingerichtete 'Besondere Aufbauorganisation' unter Führung der Bundespolizeidirektion Pirna."

12

Frage: "4. Wie sah das Einsatzkonzept aus, und wie bewertet die Bundesregierung dessen Umsetzung?"

13

Antwort: "Soweit die Frage auf das Einsatzkonzept der sächsischen Polizei zielt, wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

14

Frage: "5. Wie bewertet die Bundesregierung den von zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Proteste sowie auf Videos dokumentierten großflächigen Einsatz von Pfefferspray?"

15

Antwort: "Es wird auf die Antwort zu Frage 6a verwiesen."

16

Frage: "6. Haben Angehörige der Bundespolizei Pfefferspray oder andere Reizmittel verwendet, und wenn ja,

a) wann und wo genau,"

17

Antwort: "Ein Einsatz von Pfefferspray oder anderer Reizmittel im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei wird ausgeschlossen. Hinsichtlich der Frage des Einsatzes von Pfefferspray oder anderer Reizmittel im Aufgabenbereich des Freistaates Sachsen wird auf die dortige einsatzführende Zuständigkeit und auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

18

Frage: "b) wie viele Sprühdosen wurden verbraucht bzw. welcher Ersatzbedarf wurde angezeigt (bitte jeweils die Füllmenge angeben)?"

19

Antwort: "Hinsichtlich der Frage des Verbrauchs von Sprühdosen und zum entsprechenden Ersatzbedarf im Aufgabenbereich des Freistaates Sachsen wird auf die dortige einsatzführende Zuständigkeit verwiesen."

20

Frage: "7. Hat die Bundespolizei Wasserwerfer eingesetzt, und wenn ja

a) wann und wo genau, und inwiefern waren dem Wasser Reizstoffe beigemischt?

b) Inwiefern wurden die Opfer des Einsatzes vorgewarnt, bzw. in welchen Fällen ist dies unterblieben (bitte begründen)?

c) Inwiefern war die Bundespolizei am Wasserwerfereinsatz, wie er auf youtube (www.youtube.com) dokumentiert ist, beteiligt?"

21

Antwort: "Die im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei eingesetzten Wasserwerfer haben kein Wasser während des Einsatzes abgegeben. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

22

Frage: "9. Wie bewertet die Bundesregierung die Durchsuchung des Pressebüros des Bündnisses 'Dresden Nazifrei', bei der auch Räume der Partei DIE LINKE. durchsucht und Computer sowie Mobiltelefone beschlagnahmt wurden?

Welche rechtliche Grundlage gab es für diese Aktion, und inwiefern waren Bundespolizisten daran beteiligt?"

23

Antwort: "Die Bundespolizei war an den Durchsuchungsmaßnahmen des Pressebüros des Bündnisses 'Dresden Nazifrei' nicht beteiligt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

24

Frage: "11. Waren Bundespolizisten während der Angriffe von Nazis auf das linke Hausprojekt 'Praxis' zugegen, und wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die anwesende Polizei diesen Überfall nur beobachtete und es den Nazis möglich war, sich an diesem Tag unter den Augen der Polizei diesem Gebäude zu nähern?"

25

Antwort: "Angehörige der Bundespolizei waren bei dem geschilderten Ereignis nicht zugegen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

26

Frage: "12. Ist in der Vorbereitung des Polizeieinsatzes auf eine besondere Gefährdung von Gebäuden, die linke Projekte oder Parteien beherbergen, hingewiesen worden, und welche Planungen wurden für den Fall eines Naziangriffs vorgenommen?"

27

Antwort: "Die benannten Objekte befinden sich nicht auf Bahnanlagen und damit nicht im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

28

Frage: "13. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Anweisungen, Abgeordnete der Partei DIE LINKE. nicht durch Polizeisperren zu lassen und sie gezielt anders zu behandeln, als Abgeordnete anderer Parteien?"

29

Antwort: "Entsprechende Anweisungen im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei gab es nicht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

30

Frage: "14. a) Wer leitet die Sonderkommission, und wer gehört ihr außerdem noch an?

b) Wird der Überfall auf das 'Haus der Begegnung' am Abend des 19. Februar 2011 ebenfalls Untersuchungsgegenstand der Sonderkommission sein?

c) Welche Vorkommnisse sind aus Sicht der Bundesregierung vorrangig zu prüfen, und welche Verdachtsfälle unverhältnismäßiger Polizeigewalt gehören hierzu?"

31

Antwort: "Die Leitung der Sonderkommission obliegt der Polizeidirektion Dresden. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

32

Frage: "18. Wie bewertet die Bundesregierung den politischen Schaden, der entsteht, wenn eine Landespolizei mit Unterstützung der Bundespolizei, wie am 19. Februar 2011 in Dresden, ihre Kraft vorrangig darauf konzentriert, den Naziaufmarsch zu schützen, und dafür ganze Stadtteile frei von Antifaschisten zu halten?"

33

Antwort: "Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

34

Frage: "19. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Erfahrungen von Dresden im Rahmen der Innenministerkonferenz zu thematisieren und Konsequenzen für künftige Polizeieinsätze anlässlich von Naziaufmärschen zu ziehen, und wenn ja, welche Konsequenzen erwägt sie?"

35

Antwort: "Eine Behandlung der Thematik auf der ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder ist seitens der Bundesregierung nicht geplant. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen."

36

3. Zum selben Sachverhalt richteten die Antragstellerin sowie mehrere Abgeordnete am 20. April 2011 eine weitere Kleine Anfrage an die Antragsgegnerin (BTDrucks 17/5639). In einer "Vorbemerkung" drückten die Fragesteller ihr Missfallen über die Antworten der Bundesregierung auf die oben angeführte Kleine Anfrage aus. Sie sahen darin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG und führten dies in der Vorbemerkung weiter aus.

37

Auf die in dieser Kleinen Anfrage gestellten Fragen antwortete die Antragsgegnerin (BTDrucks 17/5737) unter anderem wie folgt:

38

Frage: "4. Wie sah das Einsatzkonzept der sächsischen Polizei aus, von dem die Bundespolizei im Rahmen der Abstimmung der Einsatzkonzepte sowie der Tätigkeit der Verbindungsbeamten Kenntnis erhalten hat, welche Elemente hat die Bundespolizei bei der Abstimmung als besonders wichtig eingebracht, und wie bewertet die Bundesregierung die Umsetzung des abgestimmten Einsatzkonzeptes?"

39

Antwort: "Nach Kenntnis der Bundesregierung sah das Einsatzkonzept die Gewährleistung friedlicher Versammlungen und Kundgebungen sowie den Schutz deren Teilnehmer vor. An der Erstellung des Einsatzkonzeptes der Polizei des Freistaates Sachsen hat die Bundespolizei nicht mitgewirkt. Die den Einsatz der Bundespolizei führende Bundespolizeidirektion Pirna hat im Rahmen der Einsatzvorbereitung über einzelne Teilabschnitte des Einsatzkonzeptes Kenntnis erhalten, bei denen Schnittstellen zum Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei betroffen waren. Dabei hat die Bundespolizei ihr eigenes Einsatzkonzept thematisiert.

Die Bewertung des Polizeieinsatzes in der Zuständigkeit und der Verantwortung der Polizei des Freistaates Sachsen obliegt den dort zuständigen Stellen. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 17/5270 verwiesen."

40

Frage: "6. Wie bewertet die Bundesregierung die Durchsuchung des Pressebüros des Bündnisses 'Dresden Nazifrei', bei der auch Räume der Partei DIE LINKE. durchsucht und Computer sowie Mobiltelefone beschlagnahmt wurden?

Welche rechtliche Grundlage gab es nach Kenntnis der Bundesregierung für diese Aktion?"

41

Antwort: "Die Bundespolizei war an der Durchsuchung des Pressebüros des in der Frage genannten Bündnisses nicht beteiligt. Insofern liegen der Bundesregierung hierzu keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen obliegt die Bewertung den hierfür zuständigen Stellen des Freistaates Sachsen."

42

Fragen: "8. Haben Angehörige der Bundespolizei, die dem Freistaat Sachsen unterstellt worden waren, Pfefferspray oder andere Reizmittel verwendet, und wenn ja,

a) wann und wo genau,

b) wie viele Sprühdosen wurden verbraucht, bzw. welcher Ersatzbedarf wurde angezeigt (bitte jeweils die Füllmenge angeben)?

9. Haben die drei Wasserwerfer der Bundespolizei, die dem Freistaat unterstellt worden sind, während des Einsatzes Wasser abgegeben, und wenn ja,

a) wann und wo genau, und inwiefern waren dem Wasser Reizstoffe beigemischt,

b) inwiefern wurden die Opfer des Einsatzes vorgewarnt, bzw. in welchen Fällen ist dies unterblieben (bitte begründen),

c) inwiefern war die Bundespolizei am Wasserwerfereinsatz, wie er auf www.youtube.com/ dokumentiert ist, beteiligt, und falls sie beteiligt war, wie schätzt die Bundesregierung die rechtliche Zulässigkeit dieses Einsatzes ein?"

43

Antwort: "Soweit Angehörige der Bundespolizei gemäß § 11 BPolG zur Unterstützung des Landes eingesetzt waren, obliegt die Zuständigkeit und Verantwortung für die Durchführung des Einsatzes dem Freistaat Sachsen. Aussagen und Bewertungen zu diesem Einsatz im Zuständigkeitsbereich des Freistaates Sachsen sind durch die dort zuständigen Stellen zu treffen."

44

4. Am 1. Mai 2011 kam es zu einem Einsatz der Bundespolizei in Berlin, Heilbronn und an anderen Orten, der Gegenstand einer weiteren Kleinen Anfrage (BTDrucks 17/5847, Antwort: BTDrucks 17/6022) der Antragstellerin und mehrerer Bundestagsabgeordneter war. In der Vorbemerkung zu dieser Kleinen Anfrage heißt es unter anderem:

"Während Zeitungen wie die 'BZ' bereits Wochen vor dem 1. Mai 2011 Krawalle in Berlin prophezeiten, zeigte sich der Senator für Inneres und Sport von Berlin, Dr. Ehrhart Körting, am 2. Mai 2011 'hochzufrieden' mit dem Verlauf des 1. Mai 2011 und der Walpurgisnacht am 30. April 2011. Es habe deutlich weniger Festnahmen und weniger 'Krawall' gegeben, als in den Vorjahren.

Umso mehr Gewalt ging dafür offenbar von Seiten der Polizei aus. Insbesondere am Kottbusser Tor, wo vornehmlich Angehörige der Bundespolizei eingesetzt waren, hat es einen umfassenden Einsatz von Pfefferspray gegeben. Es seien 'immer wieder Trupps von rund 20 Polizisten im Zickzack durch die bis dahin friedliche Menschenmenge' gezogen, berichtete die 'tageszeitung' ('taz') am 3. Mai 2011. Sie hätten dabei 'wahllos Umstehende mit Fäusten traktiert und immer wieder Pfefferspray eingesetzt.'

Dass diese Ausführungen zutreffend sind, legt die Tatsache nahe, dass Polizisten, die in Zivil eingesetzt waren, selbst Opfer ihrer uniformierten Kollegen geworden sind. Mindestens zwei Zivilfahnder seien 'plötzlich von Pfefferspray getroffen und zudem durch Faustschläge im Gesicht verletzt worden. Die beiden Polizisten hätten anschließend aufgrund von Augenreizungen und Prellungen vom Dienst abtreten müssen. Zudem sollen nach Polizeiangaben in diesem Zusammenhang weitere sechs Beamte durch Reizgaseinwirkungen verletzt worden sein', heißt es in der 'taz' weiter. Sanitäter sprachen von über 200 durch Pfefferspray verletzten Personen, die sie zu versorgen hatten.

Die Fraktion DIE LINKE. sieht sich durch solche Berichte in ihrer Annahme bestätigt, dass Pfefferspray von der Polizei, auch der Bundespolizei, häufig unverhältnismäßig eingesetzt wird.

[…]

Die Fraktion DIE LINKE. will nun erfahren, welche Einsätze von der Bundespolizei am 1. Mai 2011 bundesweit durchgeführt worden sind."

45

In der Kleinen Anfrage wurden unter anderem die nachfolgenden Fragen gestellt:

Frage: " 3. b) Wie viele Wasserwerfer hatte die Bundespolizei am Maiwochenende im Einsatz (bitte nach einzelnen Städten angeben)?

c) Aus wie vielen dieser Wasserwerfer wurde Wasser abgegeben (bitte nach einzelnen Städten und mit genauen Orten und Zeiten angeben)?

d) In welchen Fällen waren dem Wasser Reizstoffe beigemischt?"

46

Antwort: "Im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei wurden keine Wasserwerfer eingesetzt. Zur Unterstützung der Länder gemäß § 11 BPolG wurde das Land Berlin mit drei und das Land Hamburg mit zwei Wasserwerfern unterstützt. Die Zuständigkeit und Verantwortung für die Durchführung dieser Einsätze obliegt den jeweiligen Ländern. Aussagen zu den Einsätzen im Zuständigkeitsbereich eines Landes sind durch die dort zuständigen Stellen zu treffen."

47

Frage: "4. Wie viele Bundespolizistinnen und Bundespolizisten waren mit Reizmittelsprühgeräten ausgestattet, und wie viele von ihnen haben diese auch eingesetzt?

a) Welche Reizmittel sind dabei verwendet worden? (bitte nach Typ und Fabrikat aufschlüsseln)

b) Wann und wo genau sind diese Geräte benutzt worden?

48

Antwort: "Die Polizeibeamten der Bundespolizei sind mit Reizstoff-Sprühgeräten (RSG 3) ausgestattet. Einsatzeinheiten der Bundespolizei werden zusätzlich mit dem Reizstoff-Sprühgerät RSG 4 ausgestattet. Die Reizstoff-Sprühgeräte der Bundespolizei enthalten den synthetischen Wirkstoff PAVA (Pelargonsäurevanillylamid) des Herstellers Carl Hoernecke GmbH & Co. KG und IDC SYSTEM AG in den Füllmengen 63ml und 30ml (RSG 3) sowie 400ml (RSG 4).

Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Bundespolizei im originären Zuständigkeitsbereich am 30. April 2011 am Bahnhof Bremen-Neustadt fünfmal das Reizstoff-Sprühgerät (RSG 3) eingesetzt.

Soweit Angehörige der Bundespolizei im Rahmen eines Einsatzes gemäß § 11 BPolG eingesetzt waren, obliegt die Zuständigkeit und Verantwortung für die Durchführung des Einsatzes dem jeweiligen Land. Aussagen und Bewertungen zu den Einsätzen im Zuständigkeitsbereich eines Landes sind durch die dort zuständigen Stellen zu treffen."

49

Frage: "6. Wie viele freiheitsentziehende Maßnahmen und Platzverweise sind von der Bundespolizei am Maiwochenende vorgenommen bzw. ausgesprochen worden (bitte mit Begründungen, nach Maßnahmen und Orten bzw. Zeitpunkt aufgliedern)?"

50

Antwort: "Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Bundespolizei im Rahmen der originären bahnpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei (Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes) zur Gefahrenabwehr insgesamt 1195 Platzverweise [es folgen detaillierte, nach Orten aufgeschlüsselte numerische Angaben] und 30 freiheitsentziehende Maßnahmen auf Grundlage der Strafprozessordnung ausgesprochen [es folgen detaillierte, nach Orten aufgeschlüsselte numerische Angaben].

Soweit Angehörige der Bundespolizei im Rahmen eines Einsatzes gemäß § 11 BPolG eingesetzt waren, obliegt die Zuständigkeit und Verantwortung für die Durchführung des Einsatzes dem jeweiligen Land. Aussagen und Bewertungen zu den Einsätzen im Zuständigkeitsbereich eines Landes sind durch die dort zuständigen Stellen zu treffen."

51

Frage: "7. Wie ist der Einsatz von Bundespolizisten im Zusammenhang mit dem Maiwochenende konkret geregelt worden?

a) Welche Gremien und Stäbe sind eingerichtet worden, in denen die Bundespolizei vertreten war (bitte Anzahl der Vertreter, die entsendenden Behörden unter Angabe der jeweiligen Abteilung, die Gesamtzusammensetzung der Gremien und jeweilige Aufgaben nennen und für jedes Land bzw. jede Stadt einzeln angeben)?

b) Inwiefern ist die Bundespolizei in die jeweilige Einsatzstrategie und -taktik eingeweiht worden, bzw. inwiefern hat sie diese mitgestaltet?

c) Wer hat die Einsätze geführt, von wem hat die Bundespolizei Weisungen erhalten, wie ist die Koordination des Einsatzes im Rahmen des Gesamteinsatzes jeweils sichergestellt worden, und wie sind die Einsätze in der Praxis durchgeführt worden?"

52

Antwort: "Im originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei wurde die Einsatzlage durch die einsatzführenden, regional zuständigen Bundespolizeidirektionen eigenverantwortlich geführt. Die Bundespolizeidirektionen Bad Bramstedt, Berlin und Stuttgart haben hierzu eigenständige Einsatzstäbe eingerichtet.

Die Bundespolizei hat in den Führungsstab der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern einen Polizeibeamten und in den Führungsstab der Polizei des Landes Berlin drei Polizeibeamte als Verbindungsbeamte entsandt. Zwischen der Polizeidirektion Heilbronn und der Bundespolizeidirektion Stuttgart wurden wechselseitig Verbindungsbeamte ausgetauscht.

Die Verbindungsbeamten stellen im Einsatz die Kommunikation zwischen den Führungsstäben der Polizeien des Landes und der Bundespolizei sicher. Der Austausch von Verbindungsbeamten zwischen benachbarten Polizeibehörden im Einsatz ist übliche Praxis und hat sich bewährt.

Die Zuständigkeit und Verantwortung für Polizeieinsätze in den Ländern obliegt den jeweiligen dort zuständigen Behörden."

53

Frage: "9. Inwieweit waren Beamte der Bundespolizei während der 'Revolutionären 1. Mai Demonstration' in Berlin im Einsatz?

a) Wer leitete diesen Einsatz?

b) Wie lautete der Auftrag der hier eingesetzten Bundespolizeibeamten?

c) Inwieweit kam es hier zu freiheitsentziehenden Maßnahmen durch Beamte der Bundespolizei?

d) Inwieweit setzten Beamte der Bundespolizei hier Pfefferspray ein?"

54

Antwort: "Die Bundespolizei hat am 1. Mai 2011 das Land Berlin mit insgesamt 982 Polizeibeamten unterstützt (am 30. April 2011 mit 852 Polizeibeamten). Die polizeiliche Einsatzlage im Zusammenhang mit der in Frage 9 aufgeführten Demonstration lag im Verantwortungsbereich und Zuständigkeit des Landes Berlin. Aussagen und Bewertungen zu diesem Einsatz obliegen den dort zuständigen Stellen.

Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 und 2 verwiesen."

55

Frage: "10. Inwieweit waren Beamte der Bundespolizei im Anschluss an die Berliner 'Revolutionäre 1. Mai Demonstration' in den Abend- und Nachtstunden am Kottbusser Tor im Einsatz?

a) Wie viele Bundespolizistinnen und Bundespolizisten waren an diesem Ort im Einsatz?

b) Wer leitete diesen Einsatz?

c) Wie lautete der Auftrag der hier eingesetzten Bundespolizeibeamten?

d) Inwieweit kam es hier zu freiheitsentziehenden Maßnahmen durch Beamte der Bundespolizei?

e) Inwieweit setzten Beamte der Bundespolizei hier Pfefferspray ein?

f) Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung in den Abend- und Nachtstunden des 1. Mai 2011 am Kottbusser Tor eine polizeiliche Aufforderung, den Platz zu verlassen, und wenn ja, zu welcher Zeit?

g) Inwieweit bewertet die Bundesregierung den Polizeieinsatz und insbesondere den exzessiven Gebrauch von Pfefferspray in den Abend- und Nachtstunden des 1. Mai 2011 am Kottbusser Tor in Berlin als verhältnismäßig?"

56

Antwort: "Es wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen."

57

Frage: "11. Wie sah das Einsatzkonzept in Heilbronn aus, und wie bewertet die Bundesregierung dessen Umsetzung?"

58

Antwort: "Das Einsatzkonzept der Bundespolizei im originären Zuständigkeitsbereich sah die Bildung einer besonderen Aufbauorganisation vor. Ziel des Einsatzkonzeptes war es, die anreisenden Demonstrationsteilnehmer aus dem Hauptbahnhof Heilbronn in den Zuständigkeitsbereich der Landespolizei Baden-Württemberg zu begleiten und unbeteiligte Reisende sowie die Bahnanlagen zu schützen. Nach Kenntnis der Bundesregierung konnte die bundespolizeiliche Einsatzlage mit diesem Einsatzkonzept bewältigt werden.

Die Verantwortung für den Polizeieinsatz im Stadtgebiet Heilbronn lag bei der Polizei des Landes Baden-Württemberg. Insofern obliegen Aussagen hierzu den dort zuständigen Stellen."

59

Frage: "12. Wie bewertet die Bundesregierung die stundenlangen Einkesselungen mehrerer Hundert Menschen in Heilbronn, wobei die Betroffenen lange Zeit weder mit Wasser versorgt wurden noch Zugang zu Toiletten erhielten?"

60

Antwort: "Die Bundespolizei war an dem in der Frage beschriebenen Sachverhalt nicht beteiligt. Die Verantwortung für den Polizeieinsatz im Stadtgebiet Heilbronn lag bei der Polizei des Landes Baden-Württemberg. Insofern obliegen Aussagen hierzu den dort zuständigen Stellen.

Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 11 verwiesen."

III.

61

Die Antragstellerin sieht sich dadurch in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt, dass die Antragsgegnerin in ihren Antworten auf die oben wiedergegebenen Kleinen Anfragen die Auskunft über Unterstützungseinsätze der Bundespolizei nach § 11 BPolG teilweise zu Unrecht verweigert habe.

62

1. Die Kleine Anfrage bezüglich des Einsatzes der Bundespolizei am 19. Februar 2011 in Dresden habe darauf abgezielt, Aufklärung darüber zu erlangen, inwiefern und in welcher Weise Einheiten der Bundespolizei gegen Teilnehmer der Gegendemonstration vorgegangen waren. Die Antragsgegnerin habe mit ihrer Vorbemerkung, wonach zu polizeilichen Einsätzen im Verantwortungsbereich eines Landes nicht Stellung genommen werde, die Marschroute für die Einzelfragen vorgegeben. Diese seien bezüglich des Einsatzes der Bundespolizei nach § 11 BPolG nicht beantwortet worden.

63

Auch nach ausdrücklichem Hinweis auf das Fragerecht der Antragstellerin in der weiteren Kleinen Anfrage bezüglich des Einsatzes der Bundespolizei am 19. Februar 2011 in Dresdenhabe die Antragsgegnerin Antworten zum Unterstützungseinsatz der Bundespolizei verweigert.

64

Anlass der Kleinen Anfrage bezüglich des Einsatzes der Bundespolizei am 1. Mai 2011 in Berlin, Heilbronn und an anderen Ortensei "ein sehr hartes Vorgehen gerade von Bundespolizisten gegen Demonstranten bzw. Menschenansammlungen" auch "unter Einsatz von Pfefferspray und körperlicher Gewalt" gewesen, wodurch eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen verletzt worden sein solle. Im Rahmen des Einsatzes in Heilbronn, an dem offenbar Bundespolizisten beteiligt gewesen seien, solle es zu einem mehrstündigen Einkesseln von Demonstranten, zu körperlicher Gewalt und möglicherweise willkürlichen Festnahmen gekommen sein. Ziel der Kleinen Anfrage sei die Feststellung gewesen, welche Einsätze von der Bundespolizei vorgenommen worden seien und wie deren Angehörige dabei vorgegangen seien.

65

2. Die Antragstellerin hält ihren Antrag im Organstreitverfahren für zulässig. Auf Anfragen in den Landtagen müsse sie sich nicht verweisen lassen. In Baden-Württemberg existiere schon keine Fraktion der Linkspartei. Im Übrigen habe die Antragstellerin kein Durchgriffsrecht auf ihr politisch gleichgeordnete Landtagsfraktionen, welche die Kosten und Mühen für eine etwaige verfassungsgerichtliche Durchsetzung des Informationsanspruchs durchaus scheuen könnten. Kenntnisse der Antragsgegnerin, wie sie das Ziel der Fragen der Antragstellerin gewesen seien, könnten über die Landesregierungen ohnehin nicht erlangt werden.

66

3. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet gewesen, Angaben zu den streitgegenständlichen Unterstützungseinsätzen zu machen.

67

a) Eine Antwortpflicht der Bundesregierung bestehe für alle Fragen zu Vorgängen aus ihrem Verantwortungsbereich. Dieser sei weiter als die Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes und umfasse alle Bereiche, in denen sich die Bundesregierung finanziell engagiere, sowie alles, worauf sie direkt oder indirekt Einfluss nehmen könne, etwa durch mögliche legislative Konsequenzen auf Bundesebene oder durch Maßnahmen der Bundesaufsicht. Im Zweifel sei der Verantwortungsbereich eröffnet.

68

Unterstützungseinsätze der Bundespolizei gehörten zum Verantwortungsbereich der Bundesregierung. Es gehe um die Tätigkeit einer der Antragsgegnerin nachgeordneten Behörde. Auch könne die Antragsgegnerin bei der Prüfung einer Anfrage gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 BPolG die Einsätze beeinflussen oder gar die Verwendung der Bundespolizei verweigern. Im Dresdener Fall sei die Bundespolizei nach den Angaben der Antragsgegnerin mit zwei Verbindungsbeamten im Führungsstab und mit einem Mitarbeiter im Vorbereitungsstab der Polizeidirektion Dresden vertreten gewesen, wodurch sie konkret Einfluss genommen habe, etwa bei der Abstimmung der Einsatzkonzepte und bei den fortwährenden Einsatzbesprechungen. Ohnehin verbleibe jedem Führer einer Einsatzhundertschaft innerhalb des Einsatzkonzepts ein gewisser Entscheidungsspielraum. Die Aktivität der Antragsgegnerin gehe über eine finanzielle Beteiligung hinaus, könne zu Grundrechtsbeeinträchtigungen von Bürgern führen und Amtshaftungsansprüche gegen den Bund auslösen. Gleichzeitig obliege der Antragsgegnerin eine Fürsorgepflicht für die am Einsatz beteiligten Bundespolizisten. Schließlich habe die Antragsgegnerin die Möglichkeit, legislative Konsequenzen aus einem Einsatz zu ziehen und etwa eine Änderung von § 11 BPolG zu initiieren.

69

Für den Verfassungsschutz habe das Bundesverfassungsgericht den Verantwortungsbereich schon wegen der Möglichkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Daten der Landesverfassungsschutzbehörden zu nutzen, sowie wegen der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzämter als betroffen angesehen (BVerfGE 124, 161 <196>). Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, sich durch Befragung der eingesetzten Bundesbeamten oder durch Einsicht in deren verfasste Einsatzberichte Kenntnisse zu verschaffen.

70

b) Auch wenn man die Unterstützungseinsätze als Organleihe qualifizieren wollte, schlösse dies die Auskunftspflicht nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehe unter bestimmten Voraussetzungen eine Untersuchungsbefugnis des Bundestages im Verhältnis zu den Ländern (BVerfGE 77, 1 <5>). Diese Voraussetzungen lägen hier vor: Die verfahrensgegenständlichen Einsätze hätten in zehn Ländern stattgefunden und eine Vielzahl von Menschen im gesamten Bundesgebiet betroffen; ein Gewalteinsatz gegen Demonstranten verstoße möglicherweise auch gegen Bundesrecht, etwa gegen Strafvorschriften wie § 340 StGB.

71

c) Fragen nach der Koordination zwischen Bundespolizei und Landespolizeien, nach der Erteilung von Weisungen an die Bundespolizei, nach dem Einsatzkonzept und nach der zwischen Bundespolizei und jeweiligem Land im Vorfeld abgestimmten und im Nachgang besprochenen Einsatzorganisation beträfen nicht erst die konkrete Durchführung eines Einsatzes. Auch Fragen zur Vertretung der Bundespolizei in Gremien und Stäben sowie nach ihrer Einweihung in die Einsatzstrategie und deren Mitgestaltung gingen über die bloße Einsatzdurchführung hinaus. Fragen nach der Ausrüstung der Bundespolizei berührten schon aus Fürsorgegründen Aufgaben der Antragsgegnerin.

72

d) Die anerkannten Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts seien nicht einschlägig. Weder liege die Sachmaterie völlig und absolut außerhalb des Verantwortungsbereichs der Antragsgegnerin noch seien der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung hinsichtlich laufender Vorgänge betroffen oder die Funktionsfähigkeit der Regierung beeinträchtigt. Eine Geheimhaltungsbedürftigkeit sei nicht erkennbar, auch die Antragsgegnerin lege eine solche nicht begründet dar. Gegen einen Geheimhaltungsbedarf spreche zudem, dass die Einsätze in der Öffentlichkeit stattgefunden hätten.

73

Auch Fragen nach bestimmten Bewertungen durch die Regierung seien zu beantworten. Abgeordnete seien auf Kenntnisse über die politische Bewertung von Vorgängen durch die Regierung angewiesen, um der Bewertung gegebenenfalls, etwa durch Gesetzesinitiativen, entgegenwirken zu können. Öffentliche Debatten mit Argument und Gegenargument lebten nicht von Tatsacheninformationen allein, weswegen das Fragerecht auch die Erkundung von Bewertungen beinhalte. Dass sie sich zu den Vorgängen bislang keine Meinung gebildet habe, habe die Antragsgegnerin in ihren Antworten nicht geltend gemacht. Es sei auch wenig glaubhaft, dass im Bundesministerium des Innern keine Bewertung der Einsätze stattgefunden habe, welche als Grundlage für neue Entscheidungen über Unterstützungseinsätze der Bundespolizei dienen könne.

74

e) Die Antragsgegnerin habe die Rechte der Antragstellerin auch dadurch verletzt, dass sie ihre Antwortverweigerung nicht ausreichend begründet habe. Ein pauschaler Hinweis auf die Zuständigkeit des Landes könne die erforderliche einzelfallbezogene Argumentation nicht ersetzen. Die Begründungsanforderungen seien in Fällen, in denen die Bundesregierung ihren Verantwortungsbereich für nicht eröffnet halte, nicht auf bloße Plausibilisierungspflichten reduziert.

75

4. Zu den Fragen 3. c) und 4. in BTDrucks 17/5270 trägt die Antragstellerin vor, diese bezögen sich nicht auf den konkreten Ablauf des Einsatzes, sondern auf die Koordination zwischen Bundespolizei und Landespolizei, auf die erteilten Weisungen und das im Rahmen der Anforderung besprochene Einsatzkonzept. Die Frage 12. betreffe ebenfalls die Vorbereitung des Einsatzes, soweit die Antragsgegnerin vor ihrer Entscheidung über die Anforderung davon Kenntnis erhalten habe. Auch Frage 14. zur "Sonderkommission" betreffe die Einsatzorganisation und dabei das Verhältnis zwischen Bund und Land.

76

Hinsichtlich der Fragen in BTDrucks 17/5847 führt die Antragstellerin ergänzend aus, Fragen nach der Ausrüstung der Bundespolizeibeamten gehörten aus Gründen der Fürsorge zum Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin. Die Mitwirkung der Bundespolizei in Gremien und Stäben ziele ebenfalls auf die Zusammenarbeit von Bund und Ländern, insbesondere auf die Einflussnahme durch die Bundespolizei. Fragen nach dem Auftrag beträfen auch den Gesichtspunkt, ob das anfordernde Land gemäß § 11 Abs. 1 BPolG für den Auftrag nicht genügend eigene Kräfte gehabt habe, was bei der Entscheidung über die Anforderung habe geprüft werden müssen.

IV.

77

1. Die Antragsgegnerin verweist einleitend darauf, dass alle Fragen zum Einsatz der Bundespolizei im Bereich des Bahnschutzes beantwortet worden seien. Gleiches gelte für die Fragen zu Anzahl und Ausrüstung der den Ländern zur Verfügung gestellten Bundesbeamten. Lediglich Fragen zu den Einsatzmodalitäten habe sie aus Rechtsgründen nicht beantwortet. Alle relevanten Kenntnisse, auch solche aus gemeinsamen Einsatzvorbesprechungen, habe sie offengelegt.

78

2. Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig. Die gerügten Maßnahmen oder Unterlassungen seien nicht hinreichend genau bezeichnet. Die Antragstellerin liste nicht im Einzelnen auf, welche Antworten auf welche Fragen konkret ihr Fragerecht verletzten, und setze sich nicht substantiiert mit den erteilten Antworten auf ihre Fragen auseinander. Auch fehle der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis, da sie anderweitig leichter an die begehrten Informationen gelangen könne. Über das Fragerecht der ihr politisch gleichgerichteten Fraktionen in allen betroffenen Landtagen könnten die Fragen direkt an die zuständigen Landesregierungen gerichtet werden.

79

3. Zumindest sei der Antrag unbegründet. Der Informationsanspruch des Bundestages umfasse wegen der Eigenstaatlichkeit der Länder allein den Verantwortungsbereich der Bundesregierung, während für Unterstützungseinsätze nach § 11 BPolG die jeweils anfordernde Landesregierung verantwortlich sei. Vorhandene Kenntnisse habe die Antragsgegnerin offengelegt. Zur Vornahme von Bewertungen sei sie nicht verpflichtet. Ihre Antwortverweigerung habe sie hinlänglich begründet.

80

a) Der parlamentarische Informationsanspruch reiche nur so weit wie die - mindestens mittelbare - Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin für einen Sachverhalt. Grenzen ergäben sich insbesondere aus der föderalen Struktur der Bundesrepublik. Wie bei einem Untersuchungsausschuss sei das Auskunftsrecht an die Grenzen der Informations- und Kontrollaufgaben des Parlaments gebunden. In den Wirkungsbereich der Länder dürfe der Bund nur insoweit eingreifen, als ihm nach dem Grundgesetz Aufsichts- und Kontrollrechte zukämen. Maßnahmen der Landesexekutive seien dementsprechend nicht Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle auf Bundesebene.

81

b) Während die Antragsgegnerin die vorhandenen Kenntnisse mitgeteilt habe, habe sie sich zu Recht nicht darum bemüht, an weitere Kenntnisse über einen Polizeieinsatz zu gelangen, in dessen Rahmen die Bundespolizei in Organleihe für das anfordernde Land - also nach dessen Recht und auf dessen Weisung - tätig geworden sei. Im Wege der Organleihe nehme die Bundespolizei funktional Länderaufgaben wahr. Wissen, welches Beamte der Bundespolizei im Rahmen eines Unterstützungseinsatzes erwürben, sei Länderwissen und unterstehe nicht der Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin.

82

c) Die Fürsorgepflicht des Bundes für seine Beamten spiele lediglich im Rahmen der Entscheidung über eine Anforderung, bei der Wahl der Ausrüstung und bei auf Hinweis des Landes nachträglich geführten Disziplinarverfahren eine Rolle. § 11 Abs. 4 Satz 2 BPolG erweitere die Verantwortlichkeit des Bundes nicht auf die Durchführung des Einsatzes, sondern solle der Bundesregierung nur die Entscheidung über eine Anforderung ermöglichen. Keineswegs müsse bei einer Anforderung ein konkretes Einsatzkonzept mitgeteilt werden.

83

d) Diese Abgrenzung der Verantwortungsbereiche im föderalen System decke sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Untersuchungsausschuss "Neue Heimat" (BVerfGE 77, 1). Die dort genannten - bereits großzügigen - Kriterien für eine Verantwortlichkeit des Bundes, nämlich mögliche Verstöße gegen Bundesrecht, die Betroffenheit von Haushaltsmitteln des Bundes in beträchtlichem Umfang und von einer Vielzahl an Personen im gesamten Bundesgebiet, seien vorliegend nicht erfüllt. Sachspezifisches Bundesrecht sei nicht berührt, Haushaltsmittel des Bundes in beträchtlichem Umfang seien angesichts der Kostentragung durch die Länder nicht einzusetzen, und die Maßnahmen der Bundespolizei hätten - wenn man nicht unzulässigerweise unabhängige Einsätze gemeinsam betrachte - auch keine Vielzahl von Personen im gesamten Bundesgebiet betroffen.

84

Aus einer Berechtigung zu staatlicher Informationspolitik folge nicht zugleich eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Informationserteilung. Einen Fall legitimationsbedürftigen Verwaltungshandelns des Bundes stelle der Unterstützungseinsatz in Organleihe nicht dar, es handele sich vielmehr um ein rein exekutivisches Länderhandeln. Diesem könne die Antragsgegnerin von vornherein keine demokratische Legitimation verschaffen. An der ausschließlichen Verantwortung des anfordernden Landes ändere auch der erhöhte Grundrechtsbezug nichts. Wie § 11 Abs. 2 Satz 1 BPolG verdeutliche, habe allein das Land die Wahrung der Grundrechte sicherzustellen. Auch sei es allein etwaigen Amtshaftungsansprüchen ausgesetzt.

85

Die Möglichkeit legislativer Konsequenzen auf Bundesebene könne für sich genommen kein Informationsrecht begründen, da sonst das Informationsrecht grenzenlos würde. Art. 76 Abs. 1 GG sei kein tauglicher Anknüpfungspunkt, zumal die Norm auch für Verfassungsänderungen gelte. Für eine mögliche gesetzgeberische Änderung von § 11 BPolG bedürfe es zudem keiner Informationen über Einsätze vor Ort.

86

Der den Bundespolizisten im Einsatz verbleibende Spielraum sei nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BPolG stets nach dem für das Land geltenden Recht auszufüllen. Insoweit bestehe keine Verantwortung der Antragsgegnerin. Tatsachenkenntnisse der eingesetzten Bundespolizisten begründeten eine solche Verantwortung ebenso wenig, da die Beamten funktional Länderaufgaben wahrgenommen hätten. Aufgabe der "im Rahmen der bewährten Praxis" in Dresden eingesetzten Verbindungsbeamten der Bundespolizei sei lediglich der rasche Informationsaustausch gewesen. Relevante Einblicke in die Einsatzplanung des Landes hätten die Beamten nicht erhalten. Erlangte Kenntnisse seien übermittelt worden, so der Umstand, dass bei den Einsatzvorbesprechungen "eine Gefährdung des […] Hausprojekts nicht angesprochen worden" sei (Antwort auf Frage 7 in BTDrucks 17/5737, S. 5).

87

e) Eine Regelung, nach der der Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin im Zweifel weit auszulegen sei, möge für die Zuordnung von Einzelfällen zum Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin greifen, setzte aber dessen sachgerechte Bestimmung voraus.

88

f) Selbst innerhalb ihres Verantwortungsbereichs sei die Antragsgegnerin nicht zur Bewertung von Sachverhalten verpflichtet. Grund des parlamentarischen Fragerechts sei - wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klar ergebe - die Informationsdominanz der Antragsgegnerin. Auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof unterscheide zu Recht zwischen tatsachenbezogenen und "tendenziellen" Anfragen, die auf "meinungsmäßige Stellungnahme" bezogen seien. Bei letzteren bestehe nur die Pflicht, ein bereits existierendes Meinungsbild mitzuteilen, aber keine Pflicht zur Bildung einer Meinung. Hinsichtlich der Frage, ob sie in einen Prozess des Meinungsaustauschs eintreten wolle, verfüge die Regierung über einen Entscheidungsspielraum, in dessen Rahmen sie das öffentliche Interesse an der Meinungsbildung berücksichtigen müsse. Zur Debattenteilnahme gezwungen werden könne die Antragsgegnerin nicht.

89

Eine Pflicht zur Bewertung ergebe sich auch nicht aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder aus dem Gleichheitsgrundsatz. Insbesondere setze eine aus dem Aspekt der Dienstordnungsmäßigkeit von Verhaltensweisen von Bundesbeamten resultierende Pflicht zur Meinungsbildung voraus, dass diese in Erfüllung von Bundesaufgaben handelten. Dies sei hier nicht der Fall.

90

g) Ihren Begründungspflichten habe die Antragsgegnerin genügt. In dem hier vorliegenden Fall fehlender Verantwortlichkeit müsse die Nichtbeantwortung nicht vergleichbar ausführlich begründet werden wie etwa eine Antwortverweigerung aus Geheimhaltungsgründen. Die Begründungsanforderungen seien umso niedriger, je deutlicher die Unzuständigkeit der Bundesregierung sei.

91

4. Hinsichtlich der von der Antragstellerin gegebenen Erläuterungen zu einzelnen Fragen ist die Antragsgegnerin der Ansicht, diese stellten lediglich einen Versuch dar, im Wege der Interpretation neue Fragen zu formulieren, die nicht Gegenstand des Verfahrens seien. In Wahrheit seien die Fragen teils erkennbar auf die konkrete Einsatzdurchführung gerichtet, teils bereits beantwortet worden.

V.

92

Der Landtag von Rheinland-Pfalz hat zum Verfahren Stellung genommen. Er ist der Ansicht, dass soweit wie das fachliche Weisungsrecht eines Landes bezüglich eines Einsatzes reiche, keine Informationspflicht der Antragsgegnerin bestehe. Das gelte auch für die Beantwortung von Dreiecksfragen zur Bewertung eines Einsatzes. Fragen zur Organisation der Bundespolizei, zur Dienstaufsicht über die eingesetzten Bundesbeamten und zu faktischen Einflussnahmen der Bundespolizei auf den Einsatzverlauf seien dagegen zu beantworten. Auch könnten Unterstützungseinsätze mittelbarer Gegenstand des Fragerechts sein, wenn Bundesrecht - wie das Versammlungsgesetz des Bundes - angewendet werde, allerdings lediglich insoweit, wie die Ausübung oder Nichtausübung der Aufsichtsbefugnisse nach Art. 84 Abs. 3 Satz 1 GG betroffen sei. Ein uneingeschränktes Fragerecht bestehe hinsichtlich des Anforderungsverfahrens, also bezogen auf das Anforderungsgesuch, die der Entscheidung der Bundesregierung zugrunde liegenden Erwägungen und den Umfang der gewährten Unterstützung.

VI.

93

In der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2015 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt. Als sachkundige Dritte gemäß § 27a BVerfGG hat das Bundesverfassungsgericht den Präsidenten der Deutschen Hochschule der Polizei sowie Einsatzleiter der Bereitschaftspolizeien der Länder Hessen, Niedersachsen und Sachsen und einen Einsatzleiter der Bundespolizei angehört.

B.

94

Der Antrag ist zulässig.

I.

95

1. Die Antragstellerin ist als Fraktion, die bei Antragstellung im 17. Deutschen Bundestag vertreten war und auch im derzeitigen 18. Deutschen Bundestag vertreten ist, nach § 63 BVerfGG in Organstreitigkeiten parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, sowohl eigene Rechte als auch Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 <165>; 67, 100 <125>; 131, 152 <190>; stRspr). Dies ist Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments und zugleich ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>; 131, 152 <190>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.

96

2. Die Antragstellerin hat die Maßnahmen beziehungsweise Unterlassungen im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG hinreichend konkret bezeichnet, durch die die Antragsgegnerin sie und den Deutschen Bundestag in ihrem Frage- und Informationsrecht verletzt haben soll. Bei der Bestimmung des prozessualen Begehrens ist das Bundesverfassungsgericht nicht an die wörtliche Fassung des Antrages gebunden, insbesondere kann es bei dessen Auslegung die Antragsbegründung berücksichtigen (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 68, 1 <68>; 103, 242 <257>). Die Antragstellerin hat in der Antragsbegründung die Fragen und Antworten im Wortlaut aufgeführt und das gerügte Antwortverhalten spezifiziert. Angegriffen wird danach die teilweise Nichtbeantwortung der Fragen zu Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei nach § 11 BPolG unter Verweis auf die Verantwortlichkeit des jeweiligen Landes. Der Gegenstand des Organstreitverfahrens wird damit hinreichend deutlich. Die Antragstellerin hat zudem gemäß § 64 Abs. 2 BVerfGG die Bestimmungen des Grundgesetzes bezeichnet, gegen die die beanstandeten Maßnahmen ihrer Ansicht nach verstoßen.

97

3. Der - fristgerecht eingereichte - Antrag bezieht sich auf taugliche Antragsgegenstände. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG kann Antragsgegenstand im Organstreitverfahren sowohl eine Maßnahme als auch ein Unterlassen sein. Es kommt somit nicht darauf an, ob es sich bei den gerügten Antworten der Antragsgegnerin jeweils um eine Maßnahme in Form der Verweigerung einer hinreichenden Antwort oder um ein Unterlassen in Form einer pflichtwidrigen Nichtbeantwortung oder einer nicht hinreichenden Beantwortung der jeweiligen Anfrage handelt. Die teilweise Verweigerung von Antworten auf Fragen der Antragstellerin kann die Antragstellerin und den Deutschen Bundestag in ihrem aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitenden Auskunftsrecht ebenso verletzen wie die Nichtbeantwortung oder die nicht hinreichende Beantwortung der Anfragen. Somit sind die Maßnahmen oder Unterlassungen auch rechtserheblich (vgl. BVerfGE 96, 264 <277>; 103, 81 <86>; 104, 310 <324>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 106).

II.

98

Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Ein die Antragstellerin und den Deutschen Bundestag einerseits und die Antragsgegnerin andererseits umschließendes Verfassungsrechtsverhältnis (vgl. etwa BVerfGE 1, 208 <221>; 84, 290 <297>; 124, 161 <185>) liegt vor. Die Antragstellerin beanstandet Antworten der Antragsgegnerin auf an diese gerichtete parlamentarische Anfragen. Der Organstreit betrifft damit die Reichweite des verfassungsrechtlich verankerten, in der Geschäftsordnung des Bundestags näher ausgestalteten Fragerechts sowie die grundsätzliche Verpflichtung der Bundesregierung, auf Fragen im Parlament Rede und Antwort zu stehen (vgl. BVerfGE 124, 161 <185>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 108). Das betreffende Recht auf Information stellt sowohl ein eigenes Recht der Fraktionen aus dem innerparlamentarischen Raum (vgl. BVerfGE 91, 246 <250 f.>; 100, 266 <270>) dar, das der Bundesregierung gegenüber geltend gemacht werden kann (vgl. BVerfGE 124, 161 <187>), als auch ein Recht des Deutschen Bundestages aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, auf welches die Antragstellerin sich im Wege der Prozessstandschaft berufen kann (vgl. BVerfGE 124, 161 <187>).

99

Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass das beanstandete Verhalten der Antragsgegnerin Rechte des Bundestages und eigene Rechte der Antragstellerin, die aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsen, verletzt (vgl. BVerfGE 94, 351 <362 f.>; 112, 363 <365>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 108). Vielmehr erscheint es möglich, dass die Antragsgegnerin durch ihre Antworten einen Informationsanspruch der Antragstellerin und des Deutschen Bundestages aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG in unzulässiger Weise verkürzt hat. Die Antragstellerin hat hinreichend dargelegt, dass sie und der Deutsche Bundestag durch das angegriffene Verhalten der Antragsgegnerin in Rechten verletzt sein können, die ihnen durch das Grundgesetz übertragen worden sind.Sie macht die Möglichkeit einer Verletzung des parlamentarischen Fragerechts durch konkrete Antworten der Antragsgegnerin geltend. Aus der Antragsbegründung geht hervor, dass sie die Antworten auf die darin hervorgehobenen Fragen jeweils nur hinsichtlich der Unterstützungseinsätze der Bundespolizei, nicht aber hinsichtlich deren originärer Aufgabenerfüllung rügt. Bezüglich der Unterstützungseinsätze wurden Fragen teilweise nicht beantwortet, ohne dass offensichtlich wäre, dass ein Auskunftsrecht der Antragstellerin und des Deutschen Bundestages nicht bestanden hätte.

III.

100

1. Dem Begehren der Antragstellerin fehlt nicht deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie im Wege der Kooperation mit ihr politisch gleichgerichteten Fraktionen der Landesparlamente leichter an die begehrten Informationen gelangen könnte. Ungeachtet der Frage, ob die Antragstellerin tatsächlich über geeignete Beziehungen zu Fraktionen in allen einschlägigen Landesparlamenten verfügt, muss sie sich auf diese Alternative nicht verweisen lassen. Denn sie stellt schon deshalb keinen gleichwertigen verfassungsrechtlichen Weg zur Verfolgung ihres Prozessziels dar, weil Informationen über Kenntnisse und Bewertungen gerade der Antragsgegnerin auf diese Weise nicht zu erlangen sind.

101

2. Der zwischenzeitliche Ablauf der Legislaturperiode lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die Antragstellerin ist weiterhin als Fraktion im Deutschen Bundestag vertreten und die begehrte Entscheidung bezieht sich nicht auf eine Fallgestaltung, die maßgeblich durch die besonderen und deshalb nicht wiederholbaren Verhältnisse der abgelaufenen Wahlperiode geprägt wird.

C.

102

Der Antrag ist teilweise begründet.

I.

103

1. Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, an dem die einzelnen Abgeordneten und die Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten nach Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages teilhaben und dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert (vgl. BVerfGE 124, 161 <188>; stRspr). Aus dem Frage- und Interpellationsrecht des Parlaments folgt für die Mitglieder der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Verpflichtung, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen. Die Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Anfragen und auf Fragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages sollen dazu dienen, dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die Bundesregierung schafft so mit ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit innerhalb des Parlaments (vgl. zum Ganzen BVerfGE 13, 123 <125>; 57, 1 <5>; 105, 252 <270>; 105, 279 <306>; 124, 161 <187 ff.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 130).

104

Das parlamentarische Regierungssystem wird auch durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt. Die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirklicht den Grundsatz der Gewaltenteilung, der für das Grundgesetz ein tragendes Funktions- und Organisationsprinzip darstellt. Der Gewaltenteilungsgrundsatz zielt dabei nicht auf eine vollständige Trennung der Funktionen der Staatsgewalt, sondern auf die politische Machtverteilung, das Ineinandergreifen der drei Gewalten und die daraus resultierende gegenseitige Kontrolle und Begrenzung mit der Folge der Mäßigung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 3, 225 <247>; 7, 183 <188>; 9, 268 <279>; 22, 106 <111>; 34, 52 <59>; 95, 1 <15>). Er gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung, zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in den der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung, eine Auslegung des Grundgesetzes dahin, dass parlamentarische Kontrolle auch tatsächlich wirksam werden kann. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht (vgl. BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <219, 222>; 124, 78 <121>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 131).

105

Die Kontrollfunktion ist zugleich Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Er legt fest, dass das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden (vgl. BVerfGE 83, 60 <72>; 93, 37 <66>; 130, 76 <123>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 132).

106

Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird außer durch die Wahl des Parlaments, die vom Parlament beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt und die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung auch durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung hergestellt. Das "Ausgehen der Staatsgewalt" vom Volk muss für das Volk wie auch für die Staatsorgane jeweils konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein. Es muss ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht werden, ein bestimmtes Legitimationsniveau (vgl. BVerfGE 83, 60 <72>; 93, 37 <67>; 107, 59 <87>; 130, 76 <124>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 132). Nur das vom Volk gewählte Parlament kann den Organ- und Funktionsträgern der Verwaltung auf allen ihren Ebenen demokratische Legitimation vermitteln. Im Fall der nicht durch unmittelbare Volkswahl legitimierten Amtswalter und Organe setzt die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt regelmäßig voraus, dass sich die Bestellung der Amtsträger auf das Staatsvolk zurückführen lässt und ihr Handeln eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation erfährt. In personeller Hinsicht ist eine hoheitliche Entscheidung demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie trifft, durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückführen lässt. Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch Gesetzesbindung und Bindung an Aufträge und Weisungen der Regierung vermittelt. Letztere entfaltet Legitimationswirkung aufgrund der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung (BVerfGE 93, 37 <67 f.>; 107, 59 <87 f.>; 130, 76 <124>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 132). Hieraus folgt, dass sich der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten von vornherein nicht auf Angelegenheiten beziehen kann, die nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen, da es insoweit an einer Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag fehlt (vgl. BVerfGE 124, 161 <189, 196>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 135).

107

2. Im föderal verfassten Staat des Grundgesetzes kann demokratische Legitimation grundsätzlich nur durch das Bundes- oder Landesvolk für seinen jeweiligen Bereich vermittelt werden (BVerfGE 119, 331 <366>). Staatliche Aufgaben müssen daher durch Organe und Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine klare Verantwortungszuordnung ermöglichen. Der Bürger muss wissen können, wen er wofür verantwortlich machen kann (BVerfGE 119, 331 <366>). Die Kompetenzaufteilung nach Art. 30 und Art. 83 ff. GG ist somit zum einen wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips im Grundgesetz, die dazu dient, die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen. Zum anderen wird durch die organisatorische und funktionelle Trennung der Verwaltung des Bundes und der Verwaltung der Länder im Sinne von in sich geschlossenen Einheiten (vgl. hierzu BVerfGE 108, 169 <181 f.>; 119, 331 <364>) die Zuordnung von Verantwortung ermöglicht, die Voraussetzung für eine effektive parlamentarische Kontrolle durch den Deutschen Bundestag und die Volksvertretungen der Länder ist und über die staatliches Handeln auf das Volk als Souverän des Bundes und des jeweiligen Landes rückgeführt werden kann (BVerfG, Urteil vom 7. Oktober 2014 - 2 BvR 1641/11 -, juris, Rn. 81).

108

Die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern sind in den Art. 83 ff. GG erschöpfend geregelt und grundsätzlich nicht abdingbares Recht (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>; 119, 331 <364>). Es gilt der allgemeine Verfassungssatz, dass weder der Bund noch die Länder über ihre im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen verfügen können (vgl. BVerfGE 4, 115 <139>); Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern sind selbst mit Zustimmung der Beteiligten nicht zulässig (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>). Aus dem Normgefüge der Art. 83 ff. GG folgt, dass Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse gleich welcher Art im Aufgabenbereich der Länder, wenn die Verfassung dem Bund entsprechende Sachkompetenzen nicht übertragen hat, durch das Grundgesetz ausgeschlossen sind (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>; 108, 169 <182>; 119, 331 <365>). Das Grundgesetz schließt, von begrenzten Ausnahmen abgesehen, auch eine sogenannte Mischverwaltung aus (vgl. BVerfGE 63, 1 <38 ff.>; 108, 169 <182>; 119, 331 <365>; BVerfG, Urteil vom 7. Oktober 2014 - 2 BvR 1641/11 -, juris, Rn. 80 ff.).

109

3. Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung von Aufgaben eines Landes nur aufgrund ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ermächtigung zulässig, wie sie das Grundgesetz in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 für Fälle von besonderer Bedeutung unter engen Voraussetzungen vorsieht. Ein darüber hinausgehender regelmäßiger Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung von Aufgaben der Länder wäre ebenso wenig zulässig wie der Ausbau der mit begrenzten Aufgaben betrauten Bundespolizei zu einer allgemeinen, mit der Polizei der Länder konkurrierenden Polizei des Bundes (vgl. BVerfGE 97, 198 <217 f.>). Zudem hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Verwaltungszuständigkeiten die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit zu beachten, um die Länder vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen und eine Aushöhlung des Grundsatzes des Art. 30 GG zu verhindern (vgl. BVerfGE 108, 169 <181 f.>; 119, 331 <366>). Die einfachrechtlichen Regelungen über die Zuständigkeiten bei Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei für die Länder sind daher so auszugestalten, dass sie eine klare und widerspruchsfreie Zuordnung der Kompetenzen und der Verantwortung des Bundes und des jeweiligen Landes ermöglichen.

II.

110

1. Das Frage- und Auskunftsrecht des Deutschen Bundestages, seiner Abgeordneten und Fraktionen gegenüber der Bundesregierung kann sich hinsichtlich der Unterstützungseinsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG danach nur auf Umstände beziehen, die nach der im Grundgesetz angelegten und im Gesetz über die Bundespolizei näher geregelten Verteilung der Zuständigkeiten in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen.

111

a) Die Bundesregierung hat daher zunächst auf parlamentarische Fragen zu der Entscheidung über das Ersuchen eines Landes um Unterstützung durch die Bundespolizei zu antworten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung wie üblich durch das Bundespolizeipräsidium getroffen wurde oder durch das Bundesministerium des Innern aufgrund seines Entscheidungsvorbehalts gemäß Ziffer 2 der Verwaltungsvorschrift "Einsätze der Bundespolizei zur Unterstützung der Länder - Übertragung der Entscheidungsbefugnis in bestimmten Fällen auf das Bundespolizeipräsidium" vom 22. Februar 2008 (GMBl 2008, S. 267). Dabei sind gegebenenfalls auch Tatsachen mitzuteilen, die zwar aus dem Bereich des anfragenden Landes stammen, aber die Grundlage für die Entscheidung über das Ersuchen bildeten, also etwa die in der Anforderung angegebenen wesentlichen Merkmale des Einsatzauftrages (vgl. § 11 Abs. 4 Satz 2 BPolG), der Umfang der angefragten Kräfte oder spezielle Anforderungen an die Art der zu entsendenden Unterstützungskräfte oder deren Ausrüstung.

112

b) Weiter sind Fragen zu beantworten, die sich auf Begleitumstände eines Unterstützungseinsatzes beziehen, für die eine Behörde des Bundes aufgrund ihrer Eigenschaft als Dienstherr der eingesetzten Beamten die Verantwortung trägt. Dies ist etwa der Fall bei Fragen zur Ausbildung und Ausrüstung der eingesetzten Bundespolizistinnen und -polizisten oder zu Disziplinarverfahren, die nach einem Unterstützungseinsatz gegen einzelne Beamte aufgrund ihres Verhaltens während des Einsatzes eingeleitet wurden. Mitzuteilen wären dabei auch etwaige, dem Dienstherrn bekannt gewordene Strafverfahren, die die Justizbehörden der Länder aufgrund eines solchen Verhaltens gegen Bundesbeamte eingeleitet haben (zu den diesbezüglichen Mitteilungspflichten siehe Nr. 15 der "Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen" in der Fassung vom 19. Mai 2008, BAnz Nr. 126a vom 21. August 2008).

113

c) Entsprechendes gilt für sonstige Aspekte des Unterstützungseinsatzes, die in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen, wie etwa Fragen zu den einsatzbedingten Mehrkosten. Auch wenn diese letztlich nach § 11 Abs. 4 Satz 3 BPolG vom Land zu tragen sind, ist die Berechnung der Kosten, die der Bund von dem unterstützten Land erstattet verlangt, ein Vorgang, der in die alleinige Zuständigkeit und Verantwortung des Bundes fällt.

114

d) Die Bundesregierung ist hingegen grundsätzlich nicht verpflichtet, sich zu dem Konzept des in die Verantwortung der Landespolizei fallenden Gesamteinsatzes sowie zu dessen Vorbereitung, Planung und Durchführung zu äußern. Die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch polizeiliche Maßnahmen abzuwehren, liegt nach Art. 30, 70, 83 GG in der Zuständigkeit und Verantwortung der Länder (vgl. BVerfGE 97, 198 <214 ff.>). Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG schon nach dem Wortlaut der Norm die Bundespolizei das jeweilige Land bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Aufgabe unterstützt. Dadurch, dass der Bund dem Land Einheiten seiner Bereitschaftspolizei zur Verfügung stellt, übernimmt er weder faktisch noch rechtlich die Verantwortung für die Leitung des Gesamteinsatzes. Auf die Frage, ob die Unterstützungsleistung rechtlich als Organleihe oder als Amtshilfe zu qualifizieren ist, kommt es für die Bestimmung der Zuständigkeiten, der Verantwortlichkeiten und der demokratischen Legitimation des Handelns der am Einsatz beteiligten Beamten des Bundes nicht an (zum Meinungsstreit vgl. Peilert, in: Heesen/Hönle/ders./Martens, Bundespolizeigesetz, 5. Aufl. 2012, § 11 Rn. 4 ff.).

115

Nach § 11 Abs. 2 BPolG richtet sich die Unterstützung eines Landes durch die Bundespolizei in den hier relevanten Fällen nach dem für das Land geltenden Recht; die Bundespolizei unterliegt dabei den fachlichen Weisungen des Landes. Hieraus folgt, dass das Land für das auf Weisung seiner Beamten erfolgende Handeln der Beamten der Bundespolizei die Verantwortung trägt. Da sich die Landesregierung für dieses Handeln gegebenenfalls gegenüber der Volksvertretung des jeweiligen Landes rechtfertigen muss, entsteht auch keine Lücke im Bereich der demokratischen Legitimation und der parlamentarischen Kontrolle staatlichen Handelns. Dass die Partei DIE LINKE nicht in allen Landesparlamenten durch Fraktionen vertreten ist und eine Bundestagsfraktion vorhandene Fraktionen in den Landesparlamenten nicht zwingen kann, ein bestimmtes Verhalten von Beamten der Bundespolizei bei Unterstützungseinsätzen für Länder durch parlamentarische Anfragen gegenüber der jeweiligen Landesregierung zu überprüfen, stellt keine Legitimations- oder Kontrolllücke dar, sondern ist Folge des föderalen Staatsaufbaus. Dem staatlichen Handeln wird in diesen Fällen demokratische Legitimation durch die Verantwortlichkeit der Landesregierung gegenüber der Volksvertretung des Landes verliehen. Auf deren konkrete Zusammensetzung kommt es dabei nicht an. Ebenso wenig ist für das Maß demokratischer Legitimation relevant, ob die in den Landesparlamenten vertretenen Fraktionen und Abgeordneten das staatliche Handeln zum Gegenstand parlamentarischer Anfragen machen oder nicht. Die Legitimation wird dem Handeln durch die Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle verliehen, nicht durch ihre tatsächliche Ausübung.

116

Der Bund trägt allerdings - ungeachtet der Weisungsbefugnis des Landes - die dienstrechtliche Verantwortung für etwaiges rechtswidriges Verhalten seiner eingesetzten Beamten, denn diese sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Parlamentarische Anfragen zu rechtswidrigem, disziplinarrechtlich relevantem Verhalten einzelner Bundespolizisten im Rahmen von Unterstützungseinsätzen sind daher zu beantworten. Die Fragen müssen aber hinreichend klar erkennen lassen, dass und aufgrund welcher Tatsachen der begründete Verdacht eines rechtswidrigen Verhaltens von Bundespolizisten besteht. In einem solchen Fall ist die Bundesregierung zur Mitteilung verpflichtet, welche Weisungslage bestand, ob sich die betreffenden Beamten der Bundespolizei an diese Weisungen gehalten haben und, für den Fall der Abweichung, welche Gründe für eine solche vorlagen sowie welche Konsequenzen nach Beendigung des Einsatzes gezogen wurden. Nur diese Angaben ermöglichen die Aufdeckung etwaiger Dienstpflichtverletzungen, bei denen dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <219, 222>; 124, 78 <123>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 131).

117

e) Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, sich zu Vorgängen aus dem Verantwortungsbereich eines Landes eine Meinung zu bilden und diese auf eine parlamentarische Anfrage hin mitzuteilen. Hat allerdings innerhalb der Bundesregierung eine derartige Meinungsbildung tatsächlich stattgefunden, so ist deren Ergebnis auf Verlangen offenzulegen. Dies gilt auch für die Bewertung eines Einsatzes durch das Bundesministerium des Innern oder das ihm nachgeordnete Bundespolizeipräsidium.

118

Die Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Parlament besteht auch dann, wenn Abgeordnete und Fraktionen Fragen zu Vorgängen an die Bundesregierung richten, die in die Zuständigkeit eines Ressorts fallen und durch dieses ohne Befassung des Kabinetts abschließend behandelt werden. Die Bundesregierung darf in diesem Fall eine Antwort nicht durch Verweis auf das Ressortprinzip verweigern (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 213). Bereitet ein Ressort hingegen durch eine interne Stellungnahme die Meinungsbildung im Kabinett lediglich vor und ist diese noch nicht abgeschlossen, so darf die Bundesregierung unter Umständen mit entsprechender Begründung die Antwort auf die Anfrage unter Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes verweigern (zu den Voraussetzungen siehe BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 136 ff.).

119

Nehmen der Bund und das den Einsatz leitende Land oder die an dem Einsatz beteiligten Länder eine gemeinsame Auswertung des Einsatzes vor, so ist diese - etwa in Form eines gemeinsamen Abschlussberichts - auf Anfrage zu übermitteln, wenn nicht Geheimhaltungsgründe vorliegen. Nehmen Beamte des Bundes hingegen lediglich an einem durch das Land eingerichteten Gremium teil, das eine solche Aus- und Bewertung für das Land in dessen alleiniger Federführung vornimmt, so ist der Verantwortungsbereich der Bundesregierung und der ihr nachgeordneten Verwaltung des Bundes nicht betroffen und es besteht keine Antwortpflicht.

120

2. Aus der verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages grundsätzlich zu erfüllen, folgt, dass sie im Falle einer Weigerung der Auskunfterteilung die Gründe darlegen muss, aus denen sie die erbetenen Auskünfte verweigert. Denn der Bundestag kann seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns nur dann effektiv wahrnehmen, wenn er anhand einer der jeweiligen Problemlage angemessen ausführlichen Begründung beurteilen und entscheiden kann, ob er die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder welche weiteren Schritte er unternimmt, sein Auskunftsverlangen ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen. Hierzu muss er Abwägungen betroffener Belange, die zur Versagung von Auskünften geführt haben, auf ihre Plausibilität und Nachvollziehbarkeit überprüfen können. Eine Begründung der Antwortverweigerung ist daher nur dann entbehrlich, wenn die Geheimhaltungsbedürftigkeit evident ist (vgl. zum Ganzen BVerfGE 124, 161 <193>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 157).

121

Verweigert die Bundesregierung die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu einem Unterstützungseinsatz der Bundespolizei für die Polizei eines Landes aufgrund fehlender eigener Verantwortlichkeit, so genügt zur Begründung der Verweis auf die Zuständigkeit des Landes. Diese Angabe versetzt den Fragesteller in die Lage, für die jeweilige Frage zu prüfen, ob die Umstände in den Verantwortlichkeitsbereich des Landes oder des Bundes fallen.

122

Einer ausführlicheren Begründung bedarf es, wenn die Bundesregierung Auskünfte zu Umständen aus ihrem Verantwortungsbereich verweigern will, etwa weil es sich um einen Vorgang aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung handelt oder weil in seltenen Ausnahmefällen Gründe des Staatswohls der Auskunfterteilung entgegenstehen (vgl. zu diesen Antwortverweigerungsgründen BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 -, juris, Rn. 134 ff.). In diesen Fällen bedarf der Fragesteller näherer Angaben, um die Abwägung zwischen dem parlamentarischen Informationsrecht einerseits und den betroffenen Belangen, die zur Versagung der Auskünfte geführt haben, andererseits auf ihre Plausibilität hin überprüfen zu können.

III.

123

Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin mit den Antworten auf die streitgegenständlichen Kleinen Anfragen der Antragstellerin deren Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG teilweise verletzt.

124

1. Die Antworten der Antragsgegnerin vom 23. März 2011 (BTDrucks 17/5270 vom 25. März 2011) auf die Kleine Anfrage der Antragstellerin vom 1. März 2011 (BTDrucks 17/4992 vom 4. März 2011) sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die den Antworten auf die einzelnen Fragen der Antragstellerin zu Grunde liegende Vorbemerkung der Antragsgegnerin (BTDrucks 17/5270, S. 2), wonach polizeiliche Einsatzlagen im Zusammenhang mit Demonstrationen und Versammlungen in die Zuständigkeit der Länder fallen, lässt erkennen, dass sie sich bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage verpflichtet sah, auf Fragen zu Vorgängen aus ihrem eigenen Verantwortungsbereich, aber auch nur auf diese, zu antworten. In ihren jeweiligen Antworten hat die Bundesregierung die Verantwortungsbereiche des Bundes und des jeweiligen Landes, hier des Freistaates Sachsen, zutreffend abgegrenzt.

125

a) Die mit der Frage 3. c) angesprochene Koordination des Einsatzes der Unterstützungskräfte der Bundespolizei und die diesen erteilten Weisungen fallen grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Polizei des unterstützten Landes, soweit nicht der originäre Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei betroffen war. Dadurch, dass die Antragsgegnerin in ihrer Antwort lediglich Angaben zu dem Einsatz der Bundespolizei in deren originärem Zuständigkeitsbereich machte, hat sie daher keine Rechte der Antragstellerin verletzt. Angesichts der Vorbemerkung zur Verantwortlichkeit des Landes für derartige polizeiliche Einsätze bedurfte es auch keiner weiteren Begründung der Antwortverweigerung.

126

Eine Antwortpflicht der Bundesregierung wurde auch nicht dadurch begründet, dass die Antragstellerin in ihrer Vorbemerkung zu der Kleinen Anfrage ausgeführt hat, es sei zu gewaltsamem und eskalierendem Vorgehen der Polizei gekommen, insbesondere zu massivem und ohne Vorwarnung erfolgtem Einsatz von Pfefferspray beziehungsweise Pepperball sowie von Wasserwerfern; einen besonders eklatanten Fall von Polizeigewalt stelle der anlasslose Angriff eines Wasserwerfers auf eine Menschenmenge dar, die sich friedlich über eine Kreuzung bewegt habe (BTDrucks 17/4992, S. 1). Soweit der Einsatz von Pepperball-Systemen gerügt wird, ergibt sich aus der Antwort der Antragsgegnerin auf Frage 6. c), dass die Bundespolizei über solche Systeme nicht verfügt. Im Übrigen ist nicht hinreichend klar erkennbar, dass sich der Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens konkret gegen Beamte der Bundespolizei richtet und nicht gegen Beamte der Polizei des Freistaates Sachsen oder anderer, am Einsatz mit Unterstützungskräften beteiligter Länder. Eine solche Zuordnung im Rahmen der Fragestellung wäre aber erforderlich gewesen, da nur hierdurch ein Bezug zum Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin hergestellt wird. Der Senat verkennt nicht, dass es für die Fragesteller im Einzelfall schwierig sein kann, festzustellen, ob ein aus ihrer Sicht beanstandungswürdiges Verhalten von Beamten der Bundespolizei ausging oder von Beamten eines einsatzbeteiligten Landes. Diese Schwierigkeiten können aber nicht dazu führen, dass in Zweifelsfällen die Bundesregierung verpflichtet wäre, zu ermitteln und in ihrer Antwort darzulegen, ob eine Maßnahme in den Verantwortungsbereich der Bundespolizei fällt oder nicht. Mit einer derart weit gefassten Antwortpflicht würde der Grundsatz, dass sich die Bundesregierung nur zu Umständen aus dem eigenen Verantwortungsbereich äußern muss, im Ergebnis aufgehoben.

127

b) Auch für das Einsatzkonzept, auf das Frage 4. abzielt, trägt die Polizei des Freistaates Sachsen die Verantwortung. Soweit nach einer Bewertung der Umsetzung des Konzeptes durch die Bundesregierung gefragt wurde, muss die Antwort der Antragsgegnerin so verstanden werden, dass eine Meinungsbildung hierzu zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte. Eine Verpflichtung, sich eine solche Meinung zu bilden, traf die Antragsgegnerin nicht.

128

c) Entsprechendes gilt für die Fragen 5., 6., 6. a) und b) sowie 7. Die Weisungsbefugnis und damit auch die Verantwortung für den etwaigen Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfern lagen bei der Einsatzleitung des Landes. Konkrete Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Handeln gerade von Beamten der Bundespolizei wurden auch in diesen Fragen nicht vorgebracht. Zu einer diesbezüglichen Meinungsbildung und zur Bewertung dieser Maßnahmen war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet. Ihre Antwort ist so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte.

129

d) Die Frage 9. zur Durchsuchung des Pressebüros des Bündnisses "Dresden Nazifrei" ist mit der Angabe der Antragsgegnerin, die Bundespolizei sei an den Durchsuchungsmaßnahmen nicht beteiligt gewesen, hinreichend beantwortet worden. Zu der erbetenen Bewertung der Maßnahme war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet. Ihre Antwort ist so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte. Entsprechendes gilt für die Antwort auf Frage 11.

130

e) Die mit der Frage 12. angesprochene Vorbereitung und Planung des Polizeieinsatzes fällt einschließlich der Einschätzung der Gefährdung von Gebäuden in die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Landes. Die Antragsgegnerin durfte sich daher darauf beschränken, auf die Vorbemerkung Bezug zu nehmen.

131

f) Auch etwaige Anweisungen hinsichtlich der Polizeisperren unterfielen dem Weisungsrecht der Landespolizei, so dass auch bei der Antwort auf Frage 13. eine Bezugnahme auf die Vorbemerkung der Antragsgegnerin genügte. Einen konkreten Vorwurf, Beamte der Bundespolizei hätten Abgeordnete der Partei DIE LINKE dabei anders behandelt als Abgeordnete anderer Parteien, enthielt die Frage nicht. Es kann daher dahinstehen, ob allein dieser Umstand den Verdacht eines diskriminierenden und damit rechtswidrigen Verhaltens begründen würde.

132

g) Die Frage 14. bezog sich insgesamt auf eine Sonderkommission, die gemäß der Antwort der Antragsgegnerin durch die Polizeidirektion Dresden geleitet wurde. Die Antragsgegnerin durfte sich daher mit einem Hinweis auf die Vorbemerkung zu den Verantwortungsbereichen von Bund und Land begnügen.

133

h) Zu der mit Frage 18. erbetenen Bewertung eines von der Antragstellerin unterstellten politischen Schadens durch das Einsatzkonzept des Landes und seine Umsetzung war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet. Ihre Antwort ist so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte.

134

i) Aus der Antwort auf Frage 19., wonach eine Behandlung des Einsatzes auf der ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder seitens der Antragsgegnerin nicht geplant sei, geht aufgrund der Bezugnahme auf die Vorbemerkung wiederum hinreichend deutlich hervor, dass eine Bewertung des Einsatzes durch die Bundesregierung angesichts der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Landes nicht beabsichtigt war.

135

2. Auch durch die Antworten der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2011 (BTDrucks 17/5737 vom 6. Mai 2011) auf die weitere Kleine Anfrage der Antragstellerin vom 20. April 2011 (BTDrucks 17/5639 vom 20. April 2011) wurden deren Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nicht verletzt.

136

a) Die Frage 4. betraf das Einsatzkonzept der sächsischen Polizei, das in deren alleinige Verantwortung fiel und an dessen Erstellung die Bundespolizei nach Angaben der Antragsgegnerin nicht mitgewirkt hatte. Weitere Ausführungen hierzu waren daher nicht erforderlich. Soweit die Antragsgegnerin um eine Bewertung der Umsetzung des Einsatzkonzeptes gebeten wurde, war sie hierzu nicht verpflichtet. Ihre Antwort ist so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Antwort auf Frage 6., mit der ebenfalls um eine Bewertung gebeten wurde.

137

b) Die Fragen 8. und 9. betrafen erneut den Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfern. Insofern wird auf die Ausführungen oben unter 1. a) und c) verwiesen (Rn. 125 f. und 128).

138

3. Die Antworten der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2011 (BTDrucks 17/6022 vom 31. Mai 2011) auf die Kleine Anfrage der Antragstellerin vom 16. Mai 2011 (BTDrucks 17/5847 vom 16. Mai 2011) zu dem Einsatz der Bundespolizei in Berlin, Heilbronn und an anderen Orten stellen hingegen teilweise eine Verkürzung des Fragerechts der Antragstellerin und damit eine Verletzung der Antwortpflicht der Antragsgegnerin dar.

139

a) Die Fragen 3. b), c), d) und 4. betrafen den Einsatz von Wasserwerfern und Reizstoffsprühgeräten. Sie wurden ausreichend beantwortet, soweit sie den originären Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei und die in die Verantwortung der Antragsgegnerin fallende Ausrüstung der Beamten der Bundespolizei betrafen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen oben unter 1. a) und c) verwiesen (Rn. 125 f. und 128).

140

b) Die Frage 6. zu freiheitsentziehenden Maßnahmen und Platzverweisen hat die Antragsgegnerin hinsichtlich der originären bahnpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei beantwortet. Im Übrigen durfte sie auf die Zuständigkeit und Verantwortung des jeweiligen Landes für die Durchführung des Einsatzes verweisen.

141

c) Die Fragen 7. und 7. a) hat die Antragsgegnerin hinsichtlich der von den Bundespolizeidirektionen eingerichteten Einsatzstäbe und der von der Bundespolizei in die Führungsstäbe der Länder entsandten Verbindungsbeamten beantwortet. Die weitere Zusammensetzung der Gremien der Polizei der jeweiligen Länder fällt nicht in ihren Verantwortungsbereich. Dies gilt auch für die Einsatzstrategie und -taktik des jeweiligen Landes (Frage 7. b), selbst wenn Beamte der Bundespolizei diese mitgestaltet haben sollten. Hinsichtlich der Koordination des Einsatzes der Unterstützungskräfte der Bundespolizei und der diesen erteilten Weisungen (Frage 7. c) wird auf die Ausführungen unter 1. a) (Rn. 125) verwiesen.

142

d) Die Frage 9. wurde hinsichtlich der Anzahl eingesetzter Beamter der Bundespolizei beantwortet. Die Teilfragen 9. a), b), c) und d) zur Einsatzleitung, zum Auftrag der eingesetzten Bundespolizeibeamten und zu freiheitsentziehenden Maßnahmen betrafen den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der bei der Einsatzdurchführung weisungsbefugten Landespolizei, so dass sich die Antragsgegnerin insoweit auf einen entsprechenden Hinweis beschränken durfte. Entsprechendes gilt für die Beantwortung der Fragen 10. a), b), c), d) und f).

143

Die Antragsgegnerin wäre jedoch verpflichtet gewesen, auf die Fragen 10. e) und g) dieser Kleinen Anfrage zu antworten. In der Vorbemerkung zu der Kleinen Anfrage hat die Antragstellerin ausgeführt, laut Presseberichten habe es insbesondere am Kottbusser Tor in Berlin, wo vornehmlich Angehörige der Bundespolizei eingesetzt gewesen seien, einen umfassenden und nach Einschätzung der Antragstellerin unverhältnismäßigen Einsatz von Pfefferspray und Reizgas gegeben. Damit hat die Antragstellerin Tatsachen vorgebracht, die den konkreten Verdacht disziplinarrechtlich relevanten Verhaltens von Bundespolizisten begründeten. Die Antragsgegnerin wäre daher verpflichtet gewesen, über ihr nachgeordnete Behörden aufzuklären, ob es tatsächlich zu einem solchen Verhalten von Beamten der Bundespolizei kam. Das Ergebnis dieser Prüfung hätte sie in ihrer Antwort mitteilen müssen. Für den Fall, dass es sich um Maßnahmen der Bundespolizei gehandelt haben sollte, hätte sie darüber hinaus angeben müssen, ob diese auf einer Weisung der Einsatzleitung des Landes beruhten und, falls dies nicht der Fall gewesen sein sollte, weshalb die Maßnahmen ohne eine solche Weisung ergriffen wurden.

144

Soweit mit Frage 10. g) um eine Bewertung des beanstandeten Einsatzes von Pfefferspray gebeten wurde, war die Antragsgegnerin zu einer solchen zwar grundsätzlich nicht verpflichtet und ist ihre Antwort so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte. Die Frage ist aber im Kontext des Vorwurfs rechtswidrigen Verhaltens von Bundespolizisten zu sehen. Für den Fall, dass die Maßnahmen von der Bundespolizei getroffen worden sein sollten, hätte seitens der jeweiligen Disziplinarvorgesetzten ohnehin eine Bewertung erfolgen müssen. Die Antragsgegnerin war deshalb gehalten, sich zu dem in der Frage erhobenen Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens von Bundespolizisten zu äußern.

145

e) Die Frage 11. betraf das Einsatzkonzept in Heilbronn. Sie wurde hinsichtlich des originären Zuständigkeitsbereichs der Bundespolizei beantwortet. Soweit sie auch das Einsatzkonzept der Polizei des Landes Baden-Württemberg betraf, wird auf die Ausführungen unter 1. b) (Rn. 127) verwiesen.

146

f) Die Frage 12. zu den "stundenlangen Einkesselungen mehrerer Hundert Menschen in Heilbronn" wurde dahingehend beantwortet, dass die Bundespolizei an dem in der Frage beschriebenen Sachverhalt nicht beteiligt gewesen sei. Zu der erbetenen Bewertung des in die Verantwortung der Polizei des Landes Baden-Württemberg fallenden Einsatzes war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet. Ihre Antwort ist so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte.

IV.

147

Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66 <67>), liegen nicht vor.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. Sie oder er hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen und nimmt an deren Sitzungen beratend teil.

(2) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer wird für fünf Jahre bestellt. Für die Ausschreibung der zu besetzenden Stelle findet § 4 der Bundeslaufbahnverordnung entsprechende Anwendung. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers erzielt werden, unterrichtet die oder der Vorsitzende der Trägerversammlung den Kooperationsausschuss. Der Kooperationsausschuss hört die Träger der gemeinsamen Einrichtung an und unterbreitet einen Vorschlag. Können sich die Mitglieder des Kooperationsausschusses nicht auf einen Vorschlag verständigen oder kann in der Trägerversammlung trotz Vorschlags keine Einigung erzielt werden, wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer von der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger abwechselnd jeweils für zweieinhalb Jahre bestimmt. Die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Agentur für Arbeit; abweichend davon erfolgt die erstmalige Bestimmung durch den kommunalen Träger, wenn die Agentur für Arbeit erstmalig die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Trägerversammlung bestimmt hat. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer kann auf Beschluss der Trägerversammlung vorzeitig abberufen werden. Bis zur Bestellung einer neuen Geschäftsführerin oder eines neuen Geschäftsführers führt sie oder er die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung kommissarisch.

(3) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ist Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer eines Trägers und untersteht dessen Dienstaufsicht. Soweit sie oder er Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer einer nach § 6 Absatz 2 Satz 1 herangezogenen Gemeinde ist, untersteht sie oder er der Dienstaufsicht ihres oder seines Dienstherrn oder Arbeitgebers.

(4) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer übt über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Bundesagentur und des kommunalen Trägers und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion, mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse, aus.

(5) Die Geschäftsführerin ist Leiterin, der Geschäftsführer ist Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn und Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes.

(6) Bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen, hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

(7) Bei der besoldungsrechtlichen Einstufung der Dienstposten der Geschäftsführerinnen und der Geschäftsführer sind Höchstgrenzen einzuhalten. Die Besoldungsgruppe A 16 der Bundesbesoldungsordnung A, in Ausnahmefällen die Besoldungsgruppe B 3 der Bundesbesoldungsordnung B, oder die entsprechende landesrechtliche Besoldungsgruppe darf nicht überschritten werden. Das Entgelt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf die für Beamtinnen und Beamte geltende Besoldung nicht übersteigen.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107 und 318 Abs. 5 der Abgabenordnung.

(2) Für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 wird eine Mahngebühr erhoben. Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 150 Euro. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet.

(3) Soweit die Bundespolizei nach diesem Gesetz tätig wird, werden Gebühren und Auslagen nach dem Bundesgebührengesetz erhoben.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

Die Träger von Leistungen nach diesem Buch dürfen Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. Sie oder er hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen und nimmt an deren Sitzungen beratend teil.

(2) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer wird für fünf Jahre bestellt. Für die Ausschreibung der zu besetzenden Stelle findet § 4 der Bundeslaufbahnverordnung entsprechende Anwendung. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers erzielt werden, unterrichtet die oder der Vorsitzende der Trägerversammlung den Kooperationsausschuss. Der Kooperationsausschuss hört die Träger der gemeinsamen Einrichtung an und unterbreitet einen Vorschlag. Können sich die Mitglieder des Kooperationsausschusses nicht auf einen Vorschlag verständigen oder kann in der Trägerversammlung trotz Vorschlags keine Einigung erzielt werden, wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer von der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger abwechselnd jeweils für zweieinhalb Jahre bestimmt. Die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Agentur für Arbeit; abweichend davon erfolgt die erstmalige Bestimmung durch den kommunalen Träger, wenn die Agentur für Arbeit erstmalig die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Trägerversammlung bestimmt hat. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer kann auf Beschluss der Trägerversammlung vorzeitig abberufen werden. Bis zur Bestellung einer neuen Geschäftsführerin oder eines neuen Geschäftsführers führt sie oder er die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung kommissarisch.

(3) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ist Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer eines Trägers und untersteht dessen Dienstaufsicht. Soweit sie oder er Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer einer nach § 6 Absatz 2 Satz 1 herangezogenen Gemeinde ist, untersteht sie oder er der Dienstaufsicht ihres oder seines Dienstherrn oder Arbeitgebers.

(4) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer übt über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Bundesagentur und des kommunalen Trägers und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion, mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse, aus.

(5) Die Geschäftsführerin ist Leiterin, der Geschäftsführer ist Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn und Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes.

(6) Bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen, hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

(7) Bei der besoldungsrechtlichen Einstufung der Dienstposten der Geschäftsführerinnen und der Geschäftsführer sind Höchstgrenzen einzuhalten. Die Besoldungsgruppe A 16 der Bundesbesoldungsordnung A, in Ausnahmefällen die Besoldungsgruppe B 3 der Bundesbesoldungsordnung B, oder die entsprechende landesrechtliche Besoldungsgruppe darf nicht überschritten werden. Das Entgelt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf die für Beamtinnen und Beamte geltende Besoldung nicht übersteigen.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 eine gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b bleibt unberührt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufgaben werden von Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrgenommen, denen entsprechende Tätigkeiten zugewiesen worden sind.

(2) Die Träger bestimmen den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung durch Vereinbarung. Die Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung sollen die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen. Die Träger können die Zusammenlegung mehrerer gemeinsamer Einrichtungen zu einer gemeinsamen Einrichtung vereinbaren.

(3) Den Trägern obliegt die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie haben in ihrem Aufgabenbereich nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder 2 gegenüber der gemeinsamen Einrichtung ein Weisungsrecht; dies gilt nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c. Die Träger sind berechtigt, von der gemeinsamen Einrichtung die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung befassen die Träger den Kooperationsausschuss nach § 18b. Der Kooperationsausschuss kann innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben.

(4) Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Im Übrigen gelten die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend.

(5) Die Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung.

(6) Die Träger teilen der gemeinsamen Einrichtung alle Tatsachen und Feststellungen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen erforderlich sind.

(1) Ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts kann durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde.

(2) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über Sozialleistungen kann nur geschlossen werden, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht.

(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. Sie oder er hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen und nimmt an deren Sitzungen beratend teil.

(2) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer wird für fünf Jahre bestellt. Für die Ausschreibung der zu besetzenden Stelle findet § 4 der Bundeslaufbahnverordnung entsprechende Anwendung. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers erzielt werden, unterrichtet die oder der Vorsitzende der Trägerversammlung den Kooperationsausschuss. Der Kooperationsausschuss hört die Träger der gemeinsamen Einrichtung an und unterbreitet einen Vorschlag. Können sich die Mitglieder des Kooperationsausschusses nicht auf einen Vorschlag verständigen oder kann in der Trägerversammlung trotz Vorschlags keine Einigung erzielt werden, wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer von der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger abwechselnd jeweils für zweieinhalb Jahre bestimmt. Die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Agentur für Arbeit; abweichend davon erfolgt die erstmalige Bestimmung durch den kommunalen Träger, wenn die Agentur für Arbeit erstmalig die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Trägerversammlung bestimmt hat. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer kann auf Beschluss der Trägerversammlung vorzeitig abberufen werden. Bis zur Bestellung einer neuen Geschäftsführerin oder eines neuen Geschäftsführers führt sie oder er die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung kommissarisch.

(3) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ist Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer eines Trägers und untersteht dessen Dienstaufsicht. Soweit sie oder er Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer einer nach § 6 Absatz 2 Satz 1 herangezogenen Gemeinde ist, untersteht sie oder er der Dienstaufsicht ihres oder seines Dienstherrn oder Arbeitgebers.

(4) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer übt über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Bundesagentur und des kommunalen Trägers und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion, mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse, aus.

(5) Die Geschäftsführerin ist Leiterin, der Geschäftsführer ist Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn und Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes.

(6) Bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen, hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

(7) Bei der besoldungsrechtlichen Einstufung der Dienstposten der Geschäftsführerinnen und der Geschäftsführer sind Höchstgrenzen einzuhalten. Die Besoldungsgruppe A 16 der Bundesbesoldungsordnung A, in Ausnahmefällen die Besoldungsgruppe B 3 der Bundesbesoldungsordnung B, oder die entsprechende landesrechtliche Besoldungsgruppe darf nicht überschritten werden. Das Entgelt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf die für Beamtinnen und Beamte geltende Besoldung nicht übersteigen.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. Sie oder er hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen und nimmt an deren Sitzungen beratend teil.

(2) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer wird für fünf Jahre bestellt. Für die Ausschreibung der zu besetzenden Stelle findet § 4 der Bundeslaufbahnverordnung entsprechende Anwendung. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers erzielt werden, unterrichtet die oder der Vorsitzende der Trägerversammlung den Kooperationsausschuss. Der Kooperationsausschuss hört die Träger der gemeinsamen Einrichtung an und unterbreitet einen Vorschlag. Können sich die Mitglieder des Kooperationsausschusses nicht auf einen Vorschlag verständigen oder kann in der Trägerversammlung trotz Vorschlags keine Einigung erzielt werden, wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer von der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger abwechselnd jeweils für zweieinhalb Jahre bestimmt. Die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Agentur für Arbeit; abweichend davon erfolgt die erstmalige Bestimmung durch den kommunalen Träger, wenn die Agentur für Arbeit erstmalig die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Trägerversammlung bestimmt hat. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer kann auf Beschluss der Trägerversammlung vorzeitig abberufen werden. Bis zur Bestellung einer neuen Geschäftsführerin oder eines neuen Geschäftsführers führt sie oder er die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung kommissarisch.

(3) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ist Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer eines Trägers und untersteht dessen Dienstaufsicht. Soweit sie oder er Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer einer nach § 6 Absatz 2 Satz 1 herangezogenen Gemeinde ist, untersteht sie oder er der Dienstaufsicht ihres oder seines Dienstherrn oder Arbeitgebers.

(4) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer übt über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Bundesagentur und des kommunalen Trägers und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion, mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse, aus.

(5) Die Geschäftsführerin ist Leiterin, der Geschäftsführer ist Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn und Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes.

(6) Bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen, hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

(7) Bei der besoldungsrechtlichen Einstufung der Dienstposten der Geschäftsführerinnen und der Geschäftsführer sind Höchstgrenzen einzuhalten. Die Besoldungsgruppe A 16 der Bundesbesoldungsordnung A, in Ausnahmefällen die Besoldungsgruppe B 3 der Bundesbesoldungsordnung B, oder die entsprechende landesrechtliche Besoldungsgruppe darf nicht überschritten werden. Das Entgelt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf die für Beamtinnen und Beamte geltende Besoldung nicht übersteigen.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. Sie oder er hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen und nimmt an deren Sitzungen beratend teil.

(2) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer wird für fünf Jahre bestellt. Für die Ausschreibung der zu besetzenden Stelle findet § 4 der Bundeslaufbahnverordnung entsprechende Anwendung. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers erzielt werden, unterrichtet die oder der Vorsitzende der Trägerversammlung den Kooperationsausschuss. Der Kooperationsausschuss hört die Träger der gemeinsamen Einrichtung an und unterbreitet einen Vorschlag. Können sich die Mitglieder des Kooperationsausschusses nicht auf einen Vorschlag verständigen oder kann in der Trägerversammlung trotz Vorschlags keine Einigung erzielt werden, wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer von der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger abwechselnd jeweils für zweieinhalb Jahre bestimmt. Die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Agentur für Arbeit; abweichend davon erfolgt die erstmalige Bestimmung durch den kommunalen Träger, wenn die Agentur für Arbeit erstmalig die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Trägerversammlung bestimmt hat. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer kann auf Beschluss der Trägerversammlung vorzeitig abberufen werden. Bis zur Bestellung einer neuen Geschäftsführerin oder eines neuen Geschäftsführers führt sie oder er die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung kommissarisch.

(3) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ist Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer eines Trägers und untersteht dessen Dienstaufsicht. Soweit sie oder er Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer einer nach § 6 Absatz 2 Satz 1 herangezogenen Gemeinde ist, untersteht sie oder er der Dienstaufsicht ihres oder seines Dienstherrn oder Arbeitgebers.

(4) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer übt über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Bundesagentur und des kommunalen Trägers und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion, mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse, aus.

(5) Die Geschäftsführerin ist Leiterin, der Geschäftsführer ist Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn und Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes.

(6) Bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen, hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

(7) Bei der besoldungsrechtlichen Einstufung der Dienstposten der Geschäftsführerinnen und der Geschäftsführer sind Höchstgrenzen einzuhalten. Die Besoldungsgruppe A 16 der Bundesbesoldungsordnung A, in Ausnahmefällen die Besoldungsgruppe B 3 der Bundesbesoldungsordnung B, oder die entsprechende landesrechtliche Besoldungsgruppe darf nicht überschritten werden. Das Entgelt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf die für Beamtinnen und Beamte geltende Besoldung nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Änderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 und des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2014 festgestellt, dass der Verwaltungsakt vom 20. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2014 sowie des Änderungsbescheids vom 1. August 2014 für die Zeit vom 20. Mai 2014 bis 19. November 2014 rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für alle Instanzen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen Eingliederungsvereinbarungen (EinglVb) nach dem SGB II ersetzende Verwaltungsakte (im Folgenden: Eingliederungsverwaltungsakte).

2

Der 1978 geborene Kläger bezieht vom beklagten Jobcenter laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nachdem die ihm gesetzte Frist zur Unterzeichnung einer EinglVb verstrichen war, ersetzte der Beklagte die EinglVb unter Hinweis auf die nicht zustande gekommene Vereinbarung und die Notwendigkeit der Verbesserung der beruflichen Integrationschancen des Klägers für die Dauer vom 20.5.2014 bis 19.11.2014 durch einen Verwaltungsakt ua folgenden Inhalts:

"1. Unterstützung durch Jobcenter …
Das Jobcenter unterbreitet Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen.
Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III, sofern Sie diese zuvor beantragt haben.
Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt durch Sie beantragt wurde.


2. Bemühungen von G
- …
- Sie unternehmen von Mai 2014 bis einschließlich Oktober 2014 mindestens 6 Bewerbungen pro Monat für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und legen hierüber folgende Nachweise … vor:
- Vorlage dieser Dokumentation bei jeder Einladung durch die Arbeitsvermittlung!
- … "
(Bescheid vom 20.5.2014 und Widerspruchsbescheid vom 21.5.2014).

3

Nach Erhebung der Klage hiergegen und noch vor Ablauf des Geltungszeitraums dieses Eingliederungsverwaltungsakts erließ der Beklagte auf Hinweise, dass die geforderten Bewerbungen des Klägers bei den Arbeitgebern nicht eingegangen seien, und nach Nichtzustandekommen einer ihm deswegen unterbreiteten ändernden EinglVb einen den ursprünglichen Bescheid teilweise ersetzenden neuen Eingliederungsverwaltungsakt für die Zeit vom 1.8.2014 bis 31.1.2015, wonach bei unveränderter Fassung im Übrigen nunmehr Bewerbungsschreiben innerhalb von drei Werktagen zum Postversand beim Beklagten einzureichen seien (Bescheid vom 1.8.2014 und Widerspruchsbescheid vom 13.8.2014).

4

Gestützt auf ein vom Kläger nicht angenommenes Teilanerkenntnis des Beklagten hat das SG den Bescheid vom 1.8.2014 aufgehoben, soweit der Geltungszeitraum des Eingliederungsverwaltungsakts durch ihn über den 19.11.2014 hinaus verlängert worden ist, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 30.10.2014). Das LSG hat die Berufung hiergegen nach Umstellung der Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage zurückgewiesen (Urteil vom 26.2.2015): Der Eingliederungsverwaltungsakt beruhe auf einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage und sei auch im Übrigen rechtmäßig. Insbesondere seien dem Kläger sechs Bewerbungen monatlich zumutbar. Nicht zu beanstanden sei auch die partielle Änderung des Eingliederungsverwaltungsakts. Eine hierzu berechtigende rechtlich wesentliche Änderung der Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X bestehe, wenn aus begründetem Anlass während der Geltungsdauer eines Eingliederungsverwaltungsakts Verhandlungen über eine neue EinglVb aufgenommen würden. So liege es hier wegen der Feststellung des Beklagten, dass entgegen der Angaben des Klägers keine Bewerbungen bei potentiellen Arbeitgebern eingegangen seien. In dieser Lage dürfe das Jobcenter die Vorlage von Bewerbungskopien fordern.

5

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 15 Abs 1 SGB II sowie seiner Grundrechte aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 GG sowie aus Art 2 Abs 1, Art 12 Abs 1 sowie Art 3 Abs 1 GG. Die in Ziff 1 des Eingliederungsverwaltungsakts umschriebenen Unterstützungsleistungen des Beklagten seien unbestimmt und daher unzureichend, insbesondere im Hinblick auf Bewerbungs- und Fahrkosten. Der tatsächliche Zugang von Bewerbungen in der Vergangenheit stelle keinen rechtlich wesentlichen Umstand für den Fortbestand des ursprünglichen Eingliederungsverwaltungsakts dar und rechtfertige daher nicht den Erlass des Änderungsbescheids. Verfassungswidrig sei, dass er über die Sanktionsnormen der §§ 31 ff SGB II dazu angehalten werde, jede zumutbare Arbeit aufzunehmen, unabhängig davon, ob dies seinem Willen oder seinem Verständnis von guter Arbeit entspreche.

6

Der Kläger beantragt,
unter Änderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 und des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2014 festzustellen, dass der Verwaltungsakt vom 20. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2014 sowie des Änderungsbescheids vom 1. August 2014 für die Zeit vom 20. Mai 2014 bis 19. November 2014 rechtswidrig war.

7

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Ersetzung der EinglVb war mangels einer ausreichenden Ermessensbetätigung seitens des beklagten Jobcenters zu den ihm zu gewährenden Leistungen zur Eingliederung in Arbeit rechtswidrig.

9

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nach Ablauf des Geltungszeitraums des Eingliederungsverwaltungsakts vom 20.5.2014 und dessen teilweiser Aufhebung durch das SG für die Zeit ab dem 20.11.2014 das Begehren des Klägers, für den verbliebenen Zeitraum vom 20.5.2014 bis 19.11.2014 seine Rechtswidrigkeit in der Gestalt feststellen zu lassen, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 21.5.2014 und den Änderungsbescheid vom 1.8.2014 erhalten hat. Dieses Interesse verfolgt der Kläger zulässig mit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 SGG(vgl zum berechtigten Interesse nach zeitbedingter Erledigung eines Eingliederungsverwaltungsakts BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 16).

10

2. Rechtsgrundlage des Eingliederungsverwaltungsakts ist § 15 Abs 1 Satz 6 iVm § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II(hier idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011, BGBl I 850). Hiernach soll die Agentur für Arbeit (AA) im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Diese soll insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind, 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (Satz 1 und 2). Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen (Satz 6).

11

Hiernach war, nachdem der Kläger den ihm unterbreiteten Entwurf einer EinglVb nicht unterzeichnet hatte, jedenfalls deshalb (vgl BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 17 ff; weitergehend BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 13/09 R - BSGE 104, 185 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1, RdNr 17) Raum für den Erlass eines ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakts. Dafür war der Beklagte in Wahrnehmung der Aufgaben der AA auch sachlich zuständig (§ 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II). Bei dem dabei auszuübenden Ermessen hat er aber die Anforderungen verfehlt, die bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II zu beachten sind.

12

3. Ersetzt das Jobcenter eine EinglVb durch Verwaltungsakt, sind die ersetzenden Regelungen im Rahmen pflichtgemäßem Ermessens nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale EinglVb gelten.

13

a) Ob und mit welchen Inhalten eine EinglVb durch Verwaltungsakt ersetzt wird, hat das Jobcenter gemäß § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ("sollen die Regelungen … durch Verwaltungsakt erfolgen") nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Entsprechend § 39 Abs 1 SGB I ist daher die Ersetzungsentscheidung an den Zwecken auszurichten, die nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden EinglVb verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer vertraglichen Verständigung über die Inhalte der EinglVb zu wahren sind. Auch die Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsakts müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die je für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II abzuleiten sind. Zu beachten sind zudem weiter die Maßgaben, die aus der Vertragsform der zu ersetzenden EinglVb resultieren. Als öffentlich-rechtlicher Vertrag (so Urteil vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - RdNr 16) unterliegt der Abschluss einer EinglVb den Anforderungen des § 55 Abs 1 Satz 2 SGB X(dazu näher ebenda RdNr 16). Muss danach die Gegenleistung, zu der sich der Vertragspartner der Behörde verpflichtet, "den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen", so gilt nichts anderes, wenn das Jobcenter "die Regelungen" (§ 15 Abs 1 Satz 6 SGB II) durch Verwaltungsakt zu ersetzen hat; auch in dieser Handlungsform wahrt die verbindliche und ggf die Sanktionsfolgen nach §§ 31a, 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II auslösende Konkretisierung der Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den durch § 55 Abs 1 Satz 2 SGB X vorgegebenen Rahmen nur, wenn ihr eine iS der Vorschrift den Umständen nach angemessene Bestimmung der "vertraglichen Leistung der Behörde", also: der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, gegenübersteht.

14

b) Nichts anderes folgt aus dem bei der Ersetzungsentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu beachtenden Sinn und Zweck von § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II selbst. Wie die Materialien und die Verankerung der Verpflichtung zum Abschluss einer EinglVb bereits in die zentrale Bestimmung des § 2 Abs 1 Satz 2 SGB II zur Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten erweisen, misst der Gesetzgeber der wechselbezüglichen Konkretisierung von Pflichten und Obliegenheiten im Rahmen von EinglVben entgegen verbreiteter Skepsis(vgl etwa Ebsen in von Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, S 725, 736 ff; von Koppenfels-Spies, NZS 2011, 1, 5 ff) eine herausgehobene Bedeutung für die Eingliederung in Arbeit zu (vgl BT-Drucks 15/1516 S 43). Getragen von der Erwartung, dass bei personalintensiverer Betreuung und individuellen Eingliederungskonzepten insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit besser abgebaut werden könne, soll das einem Fallmanagement dienen, das unter aktiver Mitarbeit des Leistungsberechtigten aufbauend auf einer Erhebung seiner konkreten Bedarfslage ein individuelles Angebot mit einer "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" planen und steuern soll (vgl BT-Drucks 15/1516 S 44). Demgemäß soll die EinglVb in Konkretisierung des Sozialrechtsverhältnisses zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und AA (vgl BT-Drucks 15/1516 S 54) sicherstellen, dass einerseits die AA Angebote unterbreitet, die den individuellen Bedürfnissen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entsprechen, und zugleich soll mit jedem Leistungsberechtigten vereinbart werden, welche Anstrengungen von ihm selbst im Rahmen des Eingliederungsprozesses erwartet werden (vgl BT-Drucks 15/1516 S 46). Diesem Zweck würde es nicht genügen, würde das Jobcenter nicht auch bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II eine der individuellen Bedarfslage des erwerbsfähigen Leistungsbeziehers gerecht werdende Konkretisierung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vornehmen.

15

c) Nur so versteht sich in systematischer Hinsicht auch, dass mit dem Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II "die" Regelungen nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II zu ersetzen und im Unterschied zur Arbeitsförderung nicht nur die Eigenbemühungen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu konkretisieren sind. Soweit dort das Instrumentarium der EinglVb (zunächst § 35 Abs 4 SGB III idF des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001, BGBl I 3443; seit 1.1.2009: § 37 Abs 2 SGB III idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008, BGBl I 2917) zwischenzeitlich in § 37 Abs 3 Satz 4 SGB III ebenfalls um eine Regelung zur Ersetzung durch Verwaltungsakt ergänzt worden ist, beschränkt sie sich ausschließlich auf die Festsetzung der "erforderlichen Eigenbemühungen" iS von § 37 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III. Ob die Arbeitsagentur darüber hinaus in dem die EinglVb ersetzenden Verwaltungsakt auch Leistungen der aktiven Arbeitsförderung gewährt, ist hingegen in ihr Ermessen gestellt (vgl Rademacker in Hauck/Noftz, SGB III, K § 37 SGB III RdNr 28, Stand der Einzelkommentierung Juli 2013). Diese unterschiedliche Ausgestaltung erweist ebenfalls, dass sich die Eingliederungsverwaltungsakte nach dem SGB II auch in Bezug auf das Sanktionsregime der §§ 31a, 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II nicht auf die Bestimmung der von den Leistungsberechtigten erwarteten Eigenbemühungen beschränken dürfen(zu den Motiven für die Einführung des Eingliederungsverwaltungsakts in das SGB III durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vgl dagegen BT-Drucks 16/10810 S 30), sondern dass sie zur Meidung eines Formenmissbrauchs jeweils ebenso situationsangepasste Eingliederungszusagen vorzusehen haben.

16

d) Gestützt wird das schließlich auch durch die Weiterentwicklung, die § 15 SGB II nach dem Entwurf der Bundesregierung eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung (im Folgenden: 9. SGB II-ÄndG-E) erfahren soll. Danach soll den Vorschriften über die EinglVb in Anlehnung an § 37 Abs 1 SGB III eine Pflicht zur Durchführung von Potentialanalysen vorangestellt werden(§ 15 Abs 1 Satz 1 SGB II idF 9. SGB II-ÄndG-E, vgl BT-Drucks 18/8041 S 7), wie es in den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 15 SGB II im Rahmen des sogenannten Profilings bereits zugrunde gelegt wird(vgl Brühl/Hofmann, Durchführungshinweise der BA für die Anwendung des SGB II, 8. Aufl 2011, Anlage zu § 15). Auch das unterstreicht, dass die EinglVb nach der Konzeption des SGB II als das maßgebliche Werkzeug zur Planung und Gestaltung des Eingliederungsprozesses und zur Festlegung gegenseitiger Rechte und Pflichten anzusehen und dabei an den jeweiligen individuellen Umständen auszurichten ist (vgl BT-Drucks 18/8041 S 37), was auch bei Ersetzungsentscheidungen durch Verwaltungsakt entsprechend zu berücksichtigen ist.

17

4. Hieran gemessen war der streitbefangene Eingliederungsverwaltungsakt sowohl in seiner ursprünglichen Fassung vom 20.5.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2014 als auch in der Fassung des Änderungsbescheids vom 1.8.2014 in der noch im Streit stehenden Zeit vom 20.5.2014 bis 19.11.2014 rechtswidrig, ohne dass es auf die Berechtigung zu der Änderung selbst noch ankommt.

18

a) Dahinstehen kann dabei, ob bereits das an den Kläger gerichtete Verlangen rechtswidrig war, mindestens sechs Bewerbungen pro Monat für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber Nachweis zu führen. Zwar können solche Aufforderungen nach dem Maßstab von § 2 Abs 2 Satz 2 SGB II und § 10 SGB II zumutbar sein, wie das BSG zu entsprechenden Anforderungen aus dem Regelungsbereich des SGB III bereits entschieden hat(BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3, RdNr 29; BSG Urteil vom 31.1.2006 - B 11a AL 13/05 R - RdNr 21). Hiernach müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB II), soweit nicht einer der Ausnahmetatbestände des § 10 Abs 1 SGB II vorliegt. Jedoch entzieht sich auch das einer schematischen, die Umstände des Einzelfalls außer Betracht lassenden Bewertung. Wie der erkennende Senat schon entschieden hat, darf in Eingliederungsvereinbarungen nicht an Zielen starr festgehalten werden, die sich als erfolglos erwiesen haben (BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 21). Ebenso hat der 4. Senat des BSG darauf hingewiesen, dass die Chancen, eine Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erlangen, bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die die Voraussetzungen des § 16d Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllen, deutlich herabgesetzt sind(BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4, RdNr 25 zu § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Von Bedeutung ist schließlich ebenfalls die Arbeitsmarktlage in der konkreten Bewerbersituation (vgl BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3, RdNr 29).

19

Daher ist die Rechtsprechung des BSG zu § 119 Abs 1 Nr 1 SGB III(in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung, inzwischen entsprechend: § 138 Abs 1 Nr 2 SGB III) nicht dahin zu verstehen, dass aus der Selbsthilfeobliegenheit des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II eine allgemeingültige Zahl monatlicher Bewerbungsbemühungen abzuleiten sein könnte, die von besonderen und entsprechend darzulegenden Umständen des Einzelfalls abgesehen grundsätzlich als zumutbar anzusehen wäre. Vielmehr ist nach der aufgezeigten Regelungsintention des Gesetzgebers jeweils im Einzelfall zu beurteilen, welche Eigenbemühungen von dem Arbeitsuchenden mit Blick auf die individuellen Fähigkeiten und gesundheitliche Situation einerseits (vgl etwa Müller in Hauck/Noftz, SGB II, § 15 RdNr 49, Stand Einzelkommentierung Juli 2012; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 26; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 43; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 15 RdNr 88 ff; zur Rechtslage nach dem BSHG auch BVerwG Urteil vom 17.5.1995 - 5 C 20/93 - BVerwGE 98, 203, Juris RdNr 17) und die Arbeitsmarktlage andererseits zumutbar verlangt werden können. Ob die hier im Streit stehenden Anforderungen dem genügt haben, vermochte der Senat mangels näherer Feststellungen der Vorinstanzen (vgl § 163 SGG) nicht zu beurteilen. Das konnte indes dahinstehen, weil sich jedenfalls die Eingliederungszusagen des streitbefangenen Eingliederungsverwaltungsakts als unzureichend erweisen und er deshalb insgesamt rechtswidrig ist.

20

b) Die Eingliederungszusagen sind allerdings entgegen der Auffassung des Klägers nicht schon hinsichtlich der Erklärung unzureichend, Bewerbungsaktivitäten nach "Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III" zu unterstützen durch Übernahme von "angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen …, sofern Sie diese zuvor beantragt haben" bzw "von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt durch Sie beantragt wurde". Darin liegt zwar eine verbindliche Verpflichtung dem Grunde nach und nicht lediglich ein nicht bindender Verweis auf die Rechtslage (zu einer solchen Fallgestaltung vgl dagegen Urteil vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - RdNr 21 ff). Das ist auch ausgehend von der Rechtsprechung des BSG zum Eintritt einer Sperrzeit im Arbeitsförderungsrecht nicht entbehrlich (vgl BSG Urteil vom 15.2.1979 - 7/12 RAr 43/77 - SozR 4100 § 119 Nr 7 S 32; BSG Urteil vom 16.10.1990 - 11 RAr 65/89 - SozR 3-4100 § 119 Nr 4 S 16 ff). In der Ausgestaltung hat das BSG es indes regelmäßig ausreichen lassen, wenn die auf Antrag bestehenden Ansprüche dem Grunde nach verbindlich bezeichnet waren (vgl BSG Urteil vom 15.2.1979 - 7/12 RAr 43/77 - SozR 4100 § 119 Nr 7 S 32; BSG Urteil vom 16.10.1990 - 11 RAr 65/89 - SozR 3-4100 § 119 Nr 4 S 17). Hiervon abzuweichen besteht jedenfalls in Fällen wie hier kein Anlass. Zwar mögen Gestaltungen denkbar sein, bei denen angesichts der geforderten Eigenbemühungen mit hohen Bewerbungskosten zu rechnen ist und deren Höhe im Vorhinein abschätzbar ist. Dass es hier so lag, ist indes weder den Feststellungen des LSG noch dem Vorbringen des Klägers zu entnehmen. Angesichts dessen lässt es keinen Ermessensfehler erkennen, dass die zu beanspruchenden Leistungen in den streitbefangenen Verfügungen nach Art und Rechtsgrundlage lediglich dem Grunde nach bezeichnet worden sind und die Bestimmung ihrer Höhe im Einzelnen dem Antragsverfahren überlassen geblieben ist.

21

c) Unzureichend war jedoch, dass der streitbefangene Eingliederungsverwaltungsakt über den Verweis auf die Rechtsansprüche zur Erstattung von Bewerbungskosten und der Zusage, bei geeigneten Angeboten Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, hinaus keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der angestrebten "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" (vgl BT-Drucks 15/1516 S 44) bezeichnet hat, ohne dass dies von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen wäre. Zwar mag es dafür im Einzelfall Gründe geben. Soll auf Eingliederungsangebote nach § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind, verzichtet werden, setzt das jedoch gemäß § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ("sollen" die Regelungen von Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen) die Ausübung pflichtgemäßem Ermessens voraus(§ 39 Abs 1 SGB I), wofür mangels jeder Begründung der angefochtenen Entscheidungen (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X) hier nichts erkennbar ist. Damit erschöpften sich die streitbefangenen Entscheidungen von der Bezeichnung ohnehin bestehender gesetzlicher Ansprüche abgesehen in der Konkretisierung von Eigenbemühungen des Klägers, womit sie im Ergebnis auf eine Anknüpfungsgrundlage für mögliche Sanktionsentscheidungen reduziert worden sind; das entspricht der gesetzlichen Konzeption nicht (vgl ebenso etwa LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 22.1.2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B - RdNr 6; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 12.1.2012 - L 7 AS 242/10 B - RdNr 11; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.7.2015 - L 9 AS 609/15 - RdNr 25).

22

d) Dieser Ermessensausfall begründete die Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Eingliederungsverwaltungsakte insgesamt. Zwar konnte der Kläger etwaige weitergehende Eingliederungsleistungen auch ohne Fixierung im Eingliederungsverwaltungsakt beanspruchen. Ebenso bestand eine entsprechende Verpflichtung auf Seiten des Beklagten, ohne dass es auf die ersetzten EinglVben ankam (vgl § 14 SGB II). Nach dem dargelegten Konzept des § 15 SGB II mit der Wechselbezüglichkeit konkret zu fassender Leistungen zur Eingliederung in Arbeit auf der einen und konkret zu bestimmender Anforderungen an die Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auf der anderen Seite ist eine auf Absatz 1 Satz 6 gestützte Ersetzungsentscheidung nach dem Rechtsgedanken des § 58 Abs 3 SGB X aber insgesamt zu Lasten des Regelungsadressaten rechtswidrig, wenn sie sich auf die Vorgabe allein ihn verpflichtender Maßgaben beschränkt. Hiernach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag bei der Nichtigkeit auch eines Teils im Ganzen nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre. Das gilt für den eine EinglVb als öffentlich-rechtlichen Vertrag ersetzenden Verwaltungsakt entsprechend, weil es nach der gesetzlichen Konzeption, wie ausgeführt, ausgeschlossen ist, dass das Jobcenter die Ersetzungsentscheidung von besonderen Ausnahmefällen abgesehen regelhaft auf die Bestimmung ausschließlich von Pflichten der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beschränken darf. Sind keine Gründe dargelegt, die ermessensfehlerfrei ausnahmsweise das Absehen von situationsangepassten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit tragen, ist der die EinglVb ersetzende Verwaltungsakt in einer das Regelungskonzept des SGB II verfehlenden Weise allein auf die die sanktionsbewehrte Kontrolle der Eigenaktivitäten des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beschränkt und insgesamt rechtswidrig.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer führt hauptamtlich die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung, soweit durch Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Sie oder er vertritt die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich. Sie oder er hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen und nimmt an deren Sitzungen beratend teil.

(2) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer wird für fünf Jahre bestellt. Für die Ausschreibung der zu besetzenden Stelle findet § 4 der Bundeslaufbahnverordnung entsprechende Anwendung. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers erzielt werden, unterrichtet die oder der Vorsitzende der Trägerversammlung den Kooperationsausschuss. Der Kooperationsausschuss hört die Träger der gemeinsamen Einrichtung an und unterbreitet einen Vorschlag. Können sich die Mitglieder des Kooperationsausschusses nicht auf einen Vorschlag verständigen oder kann in der Trägerversammlung trotz Vorschlags keine Einigung erzielt werden, wird die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer von der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger abwechselnd jeweils für zweieinhalb Jahre bestimmt. Die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Agentur für Arbeit; abweichend davon erfolgt die erstmalige Bestimmung durch den kommunalen Träger, wenn die Agentur für Arbeit erstmalig die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Trägerversammlung bestimmt hat. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer kann auf Beschluss der Trägerversammlung vorzeitig abberufen werden. Bis zur Bestellung einer neuen Geschäftsführerin oder eines neuen Geschäftsführers führt sie oder er die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung kommissarisch.

(3) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ist Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer eines Trägers und untersteht dessen Dienstaufsicht. Soweit sie oder er Beamtin, Beamter, Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer einer nach § 6 Absatz 2 Satz 1 herangezogenen Gemeinde ist, untersteht sie oder er der Dienstaufsicht ihres oder seines Dienstherrn oder Arbeitgebers.

(4) Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer übt über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Bundesagentur und des kommunalen Trägers und die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion, mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse, aus.

(5) Die Geschäftsführerin ist Leiterin, der Geschäftsführer ist Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn und Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes.

(6) Bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen, hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

(7) Bei der besoldungsrechtlichen Einstufung der Dienstposten der Geschäftsführerinnen und der Geschäftsführer sind Höchstgrenzen einzuhalten. Die Besoldungsgruppe A 16 der Bundesbesoldungsordnung A, in Ausnahmefällen die Besoldungsgruppe B 3 der Bundesbesoldungsordnung B, oder die entsprechende landesrechtliche Besoldungsgruppe darf nicht überschritten werden. Das Entgelt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf die für Beamtinnen und Beamte geltende Besoldung nicht übersteigen.

(1) Die gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung. In der Trägerversammlung sind Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten. In der Regel entsenden die Träger je drei Vertreterinnen oder Vertreter. Jede Vertreterin und jeder Vertreter hat eine Stimme. Die Vertreterinnen und Vertreter wählen eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden für eine Amtszeit von bis zu fünf Jahren. Kann in der Trägerversammlung keine Einigung über die Person der oder des Vorsitzenden erzielt werden, wird die oder der Vorsitzende von den Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers abwechselnd jeweils für zwei Jahre bestimmt; die erstmalige Bestimmung erfolgt durch die Vertreterinnen und Vertreter der Agentur für Arbeit. Die Trägerversammlung entscheidet durch Beschluss mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der oder des Vorsitzenden; dies gilt nicht für Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1, 4 und 8. Die Beschlüsse sind von der oder dem Vorsitzenden schriftlich oder elektronisch niederzulegen. Die Trägerversammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.

(2) Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung. Dies sind insbesondere

1.
die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers,
2.
der Verwaltungsablauf und die Organisation,
3.
die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung,
4.
die Entscheidungen nach § 6 Absatz 1 Satz 2 und § 44b Absatz 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden,
5.
die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,
6.
die Arbeitsplatzgestaltung,
7.
die Genehmigung von Dienstvereinbarungen mit der Personalvertretung,
8.
die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung,
9.
die grundsätzlichen Regelungen der innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten.

(3) Die Trägerversammlung nimmt in Streitfragen zwischen Personalvertretung und Geschäftsführerin oder Geschäftsführer die Aufgaben einer übergeordneten Dienststelle und obersten Dienstbehörde nach den §§ 71 bis 75, 77 und 82 des Bundespersonalvertretungsgesetzes wahr.

(4) Die Trägerversammlung berät zu gemeinsamen Betreuungsschlüsseln. Sie hat dabei die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zu berücksichtigen. Bei der Personalbedarfsermittlung sind im Regelfall folgende Anteilsverhältnisse zwischen eingesetztem Personal und Leistungsberechtigten nach diesem Buch zu berücksichtigen:

1.
1:75 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres,
2.
1:150 bei der Gewährung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben.

(5) Die Trägerversammlung stellt einheitliche Grundsätze der Qualifizierungsplanung und Personalentwicklung auf, die insbesondere der individuellen Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen und Fähigkeiten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Qualifikation vermitteln sollen. Die Trägerversammlung stimmt die Grundsätze der Personalentwicklung mit den Personalentwicklungskonzepten der Träger ab. Die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer berichtet der Trägerversammlung regelmäßig über den Stand der Umsetzung.

(6) In der Trägerversammlung wird das örtliche Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Beachtung von Zielvorgaben der Träger abgestimmt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 266/14 Verkündet am:
18. November 2016
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
GO BY Art. 38 Abs. 1
Die organschaftliche Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters einer bayerischen
Gemeinde ist im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt; infolgedessen
wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des ersten
Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet, die dieser ohne die erforderliche Beschlussfassung
des Gemeinderats vorgenommen hat.
BGH, Urteil vom 18. November 2016 - V ZR 266/14 - OLG Nürnberg
LG Ansbach
ECLI:DE:BGH:2016:181116UVZR266.14.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg - 4. Zivilsenat - vom 28. Oktober 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eine Große Kreisstadt in Bayern. Im Zuge der Verlegung zweier Bundesstraßen erwarb die beklagte Bundesrepublik Deutschland von einem Dritten im Jahr 1986 ein Grundstück, an dem eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in Gestalt eines Rohrleitungsrechts zugunsten der Klägerin bestand. Ausweislich der Bestellungsurkunde war die Klägerin verpflichtet, im Falle einer Wegmessung nicht betroffener Grundstücksteile die „Pfandfreigabe“ zu erklären.
2
Aus Neuvermessungen ging unter anderem ein Grundstück hervor, auf dem eine durch die Dienstbarkeit gesicherte Rohrleitungstrasse der Klägerin die Bundesstraße B 2 unterquert (Flurstück Nr. 2394/1). Am 30. April 1997 erklärte der damalige Oberbürgermeister der Klägerin als deren Vertreter gegenüber einem Notar unter anderem für dieses Grundstück die Pfandfreigabe. Daraufhin wurde das Rohrleitungsrecht im Grundbuch gelöscht. Als die Leitung im Jahr 2009 wegen Baumaßnahmen der Beklagten tiefer gelegt werden sollte, wurde die fehlende dingliche Sicherung der auf dem Flurstück Nr. 2394/1 verlaufenden Leitung bemerkt.
3
Die auf Wiedereintragung der Grunddienstbarkeit gerichtete Klage der Gemeinde hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ihr stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:


I.


4
Das Berufungsgericht lässt dahinstehen, ob es an einem Rechtsgrund für die Pfandfreigabe fehle, weil die Klägerin schuldrechtlich hierzu nicht verpflichtet gewesen sei oder weil sie die Pfandfreigabe wirksam angefochten habe. Einem auf Bereicherungsrecht gestützten Grundbuchberichtigungsanspruch stehe jedenfalls die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen.
5
Die Klägerin könne jedoch gemäß § 894 BGB Berichtigung des Grundbuchs verlangen. Die Unrichtigkeit ergebe sich daraus, dass die von dem Oberbürgermeister der Klägerin erklärte Pfandfreigabe mangels Vertretungsmacht unwirksam sei. Der Oberbürgermeister habe erkennbar im vermeintlichen Vollzug der Verpflichtung zur Freigabe aus dem Kaufvertrag gehandelt. Die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters - der in einer Großen Kreisstadt wie der Klägerin gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (BayGO) die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister führt - nach Art. 38 Abs. 1 BayGO bestehe nicht. Sie erstrecke sich nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO nur auf die laufenden Angelegenheiten, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen. Ob die Pfandfreigabe zu den laufenden Angelegenheiten zähle, könne dahinstehen, weil sie erhebliche Pflichten erwarten lasse. Auch aus § 10 der Geschäftsordnung des Stadtrats der Klägerin ergebe sich keine Vertretungsbefugnis. Die Befugnisse des Bürgermeisters würden hiernach zwar auf „die Entscheidung über den Erwerb, Veräußerung oder Verpfändung von Ver- mögensgegenständen (insbesondere von Grundstücken) bis zu einem Wert von 30.000 DM“ erstreckt. Hierzu zähle jedoch nicht der Verzicht auf ein Recht, der der Gemeinde nur Nachteile bringen könne; er habe zur Folge, dass nunmehr die Gemeinde die Kosten einer Trassenverlegung zu tragen habe. Der Oberbürgermeister sei allenfalls befugt gewesen, die vertragliche Freigabeverpflichtung zu vollziehen. Da sich diese gerade nicht auf das Flurstück Nr. 2394/1 beziehe , habe es eines Gemeinderatsbeschlusses bedurft, der sich aus den Grundakten nicht ergebe.

II.


6
Die Revision hat Erfolg. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung, wonach die von dem Oberbürgermeister der Klägerin hinsichtlich des Rohrleitungsrechts abgegebene Pfandfreigabeerklärung unwirksam ist, weil der nach der gemeindeinternen Zuständigkeitsverteilung erforderliche Gemeinderatsbeschluss fehlt, kann eine Unrichtigkeit des Grundbuchs im Sinne von § 894 BGB nicht angenommen werden.
7
1. Für das Kommunalrecht anderer Bundesländer entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die organschaftliche Vertretungsmacht des Bürgermeisters (bzw. des Landrats) im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt ist. Die Gemeinde wird durch seine Erklärungen grundsätzlich auch dann verpflichtet, wenn es an einem erforderlichen Beschluss der Gemeindevertretung fehlt (Senat, Urteil vom 20. April 1966 - V ZR 50/65, MDR 1966, 669: Baden-Württemberg; BGH, Urteil vom 16. November 1978 - III ZR 81/77, NJW 1980, 117, 118: Rheinland-Pfalz; BGH, Urteil vom 20. September 1984 - III ZR 47/83, BGHZ 92, 164, 169 f.: NordrheinWestfalen ; BGH, Urteil vom 6. März 1986 - VII ZR 235/84, BGHZ 97, 224, 226: Saarland; BGH, Urteil vom 17. April 1997 - III ZR 98/96, VersR 1998, 118; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89, 93 f.: DDRKommunalverfassung ). Dies orientiert sich an der im Kommunalrecht anerkannten strikten Unterscheidung zwischen interner Willensbildung und externer Vertretungsbefugnis (BGH, Urteil vom 17. April 1997 - III ZR 98/96, VersR 1998, 118 mwN) und an der herrschenden Meinung für die Vertretung juristischer Personen des Zivilrechts durch ihre Organe (BGH, Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 256/77, NJW 1980, 115). Von einer unbeschränkten Vertretungsmacht des Bürgermeisters geht auch das Bundesarbeitsgericht für die Länder Baden- Württemberg (BAGE 47, 179, 184 f.) und Sachsen (NJW 2002, 1287, 1289) aus.
8
2. Ob diese Erwägungen auf das bayerische Kommunalrecht übertragbar sind, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsfrage bislang offen gelassen (Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 256/77, NJW 1980, 115; Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 539/05, wistra 2006, 306; Urteil vom 11. Juni 1992 - VII ZR 110/91, NJW-RR 1992, 1435 f. zu Art. 35 Abs. 1 BayLKrO).
9
a) In ständiger Rechtsprechung verneinen die bayerischen Gerichte - wie das Berufungsgericht - eine unbeschränkte Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters (vgl. BayObLGZ 1952, 271 ff.; 1971, 252, 256; 1974, 81, 84; 1974, 374, 376; 1986, 112; 1997, 37, 41; BayObLG, BayVBl. 1973, 131, 313; 1974, 706; 1998, 122; BayVerfGH 25, 27, 43; BayVGH, BayVBl. 2012, 177 Rn. 30; 2012, 341; OLG München, MittBayNot 2009, 222 f.; 2012, 248 ff.; Beschluss vom 18. Juni 2010 - 34 Wx 65/10, juris Rn. 7; Beschlussvom 28. Januar 2013 - 34 Wx 390/12, juris Rn. 9; offen gelassen durch BayObLG, BayVBl. 1999, 473). Diese Ansicht hat auch das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 8. Dezember 1959 vertreten (3 AZR 348/56, juris Rn. 25; vgl. auch BAG, Urteil vom 18. Oktober 1990 - 2 AZR 157/90, juris Rn. 24 zu Art. 35 Abs. 1 BayLKrO - obiter dictum). Art. 38 Abs. 1 BayGO begründe lediglich das Vertretungsrecht des ersten Bürgermeisters, nicht aber seine Vertretungsmacht. Letztere ergebe sich aus Art. 37 BayGO, sofern das Rechtsgeschäft unter den dort genannten Voraussetzungen in seinen eigenen Zuständigkeitsbereich falle. Soweit dagegen der Gemeinderat als willensbildendes Organ der Gemeinde zu entscheiden habe (Art. 29 BayGO), werde die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters erst durch einen entsprechenden Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss be- gründet (vgl. nur BayObLGZ 1974, 81, 84; BayObLG, BayVBl. 1974, 706). Insoweit sei der erste Bürgermeister bloßes Vollzugsorgan (Art. 36 Abs. 1 BayGO). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu anderen Bundesländern sei wegen der Eigenständigkeit des jeweiligen Gemeinderechts nicht auf Bayern zu übertragen. Die jahrzehntelang dauernde tatsächliche Übung und in Bayern herrschende Meinung könne sich nicht nur auf das Gesetz, sondern auch auf die Gesetzesmaterialien und das Herkommen stützen (vgl. nur BayObLGZ 1986, 112, 114 f.; 1997, 37, 41). Entgegen dieser internen Zuständigkeitsverteilung vorgenommene zivilrechtliche Rechtsgeschäfte seien nach §§ 177 ff. BGB schwebend unwirksam (BayVGH, BayVBl. 2012, 177 Rn. 30 mwN).
10
Dieser Ansicht folgen Teile der Rechtsliteratur (Masson, Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, (1952), Art. 38 BayGO Anm. 2; Steiner in: Berg/Knemeyer/Papier/Steiner, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl., S. 137, 145; Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 29 BayGO Rn. 25 [Stand Dezember 2014] und Art. 38 BayGO Rn. 3 [Stand November 2013]; Demharter, GBO, 29. Aufl., § 19 Rn. 85; Schaub in: Bauer/v. Oefele, GBO, 3. Aufl., AT VII Rn. 327 ff.; Wachsmuth in: Schulz/Wachsmuth/Zwick, Kommunalverfassungsrecht Bayern, Art. 38 BayGO Anm. 2.2 [Stand Juni 2013], anders allerdings Art. 36 BayGO Anm. 3.5 [Stand Mai 2015]; Boley, BayBgm 1953, 244 f. und 267; Wegmann, BayKommP 1997, 313, 316).
11
b) In weiten Teilen der Rechtsliteratur wird die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters dagegen im Grundsatz als unbeschränkt angesehen (Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, Art. 38 BayGO Erl. 2.1 [Stand Oktober 2013]; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern, Art. 38 GO Anm. 1.1 [Stand März 2015]; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 38 BayGO Rn. 3 [Stand Juli 2015]; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 257 Fn. 86; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., Rn. 369 und 433; Lange, Kommunalrecht, 2013, Kap. 8 Rn. 166 ff.; Lissack, Bayerisches Kommunalrecht, 3. Aufl., § 4 Rn. 36; Becker in: Becker/Heckmann/Kempen/Mansen, Öffentliches Recht in Bayern, 6. Aufl., Rn. 166; Burgi, Kommunalrecht, 3. Aufl., S. 173 f.; Schoch/Röhl, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl., Kommunalrecht Rn. 147 Fn. 448; Berroth, Die Vertretung der Gemeinde nach außen, 1964, S. 71 f.; Fritz, Vertrauensschutz im Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983, S. 63 f.; Karstendiek, Vertretungsmängel bei öffentlichen Auftraggebern, 1990, S. 63 ff.; Habermehl, DÖV 1987, 144, 147 Fn. 23; Reuter, DtZ 1997, 15, 16; Brötel, NJW 1998, 1676, 1679 ff.).
12
3. Der Senat entscheidet die Rechtsfrage im Sinne der zweiten Ansicht. Die organschaftliche Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters einer bayerischen Gemeinde gemäß Art. 38 Abs. 1 BayGO ist im Außenverhältnis allumfassend und unbeschränkt; infolgedessen wird die Gemeinde auch durch solche Rechtshandlungen des ersten Bürgermeisters berechtigt und verpflichtet, die dieser ohne die erforderliche Beschlussfassung des Gemeinderats vorgenommen hat. Soweit der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 8. Dezember 1959 (3 AZR 348/56, juris) die gegenteilige Auffassung vertreten hat, hat der nunmehr zuständige Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf vorgeschaltete Anfrage des erkennenden Senats gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 RsprEinhG (Senat, Beschluss vom 18. März 2016 - V ZR 266/14, BayVBl 2016, 716 ff.) mitgeteilt, dass er hieran nicht festhält (BAG, Beschluss vom 22. August 2016 - 2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296). Im Ergebnis kann deshalb dahinstehen, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Nr. 1 BayGO vorlag oder ob sich aus der Geschäftsordnung der Klägerin eine Eigenentscheidungsbefugnis des ersten Bürgermeisters ergab.
13
Ob Beschränkungen Außenwirkung haben, ist durch Auslegung der die Vertretung regelnden Normen zu ermitteln; die Regelungen der bayerischen Gemeindeordnung weisen keine Besonderheiten auf, die eine von der Rechtslage in den anderen Bundesländern abweichende Reichweite der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters rechtfertigen könnten.
14
a) Unter der Überschrift „Verpflichtungsgeschäfte; Vertretung der Gemeinde nach außen“ regelt Art. 38 Abs. 1 BayGO, dass der erste Bürgermeister die Gemeinde nach außen vertritt. Nur dieser (und nicht der Gemeinderat) kann für die Gemeinde nach außen handeln. Aus dem Wortlaut der Norm ergeben sich keine Einschränkungen der Vertretungsbefugnis. Danach begründet sie im Zweifel nicht nur ein formelles Vertretungsrecht, sondern eine unbeschränkte organschaftliche Vertretungsmacht (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1977 - II ZR 236/75, MDR 1978, 388 f.) oder - mit anderen Worten - die materielle Befugnis zur Vornahme des betreffenden Geschäfts im Außenverhältnis.
15
b) Die systematische Auslegung ergibt nichts Gegenteiliges. Die Vorschriften der bayerischen Gemeindeordnung, die die Zuständigkeit von Gemeinderat und erstem Bürgermeister abgrenzen (Art. 29, 30 Abs. 2, Art. 36, 37 BayGO), regeln lediglich die gemeindeinterne Kompetenzverteilung. Insbesondere trifft Art. 36 Satz 1 BayGO, wonach der erste Bürgermeister die Beschlüsse des Gemeinderats vollzieht, keine Aussage über die in Art. 38 Abs. 1 BayGO eigenständig geregelte Vertretung der Gemeinde nach außen. Der Bestimmung lässt sich auch nicht entnehmen, dass der erste Bürgermeister „bloßes Vollzugsorgan“ ist. In Art. 29 BayGO wird er wie der Gemeinderat ausdrücklich als Hauptorgan bezeichnet. Als grundsätzlich gleichgewichtiges Hauptorgan neben dem Gemeinderat hat er einen eigenen, in Art. 37 BayGO positiv definierten Aufgabenbereich (Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung , Landkreisordnung und Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, Art. 38 BayGO Erl. 2.1 [Stand Mai 2006]; Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 29 BayGO Rn. 1 [Stand Juli 2015]; Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 320 f.; ähnlich Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 29 BayGO Rn. 21 [Stand Dezember 2014]).
16
c) Der Entstehungsgeschichte der bayerischen Gemeindeordnung lässt sich ein auf eine Beschränkung der Vertretungsmacht gerichteter Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen.
17
aa) Eine ausdrückliche Stellungnahme hierzu findet sich in den Gesetzesmaterialien nicht. Soweit in dem Regierungsentwurf zu Art. 39 Abs. 1 (entspricht Art. 38 Abs. 1 BayGO) ausgeführt wird, die Vertretung der Gemeinde im Rechtsverkehr sei herkömmlich Sache des ersten Bürgermeisters, der allerdings den betreffenden Gemeinderats- oder Ausschussbeschluss dem Vertragspartner der Gemeinde oder dem beurkundenden Notar auf Verlangen nachzuweisen habe (Regierungsentwurf, Landtagsdrucksachen 1951/1952 Beilage 1140, S. 35), ist dies unergiebig (aA BayObLGZ 1952, 271, 274). Denn der Entwurf erfuhr im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch umfangreiche Änderungen, durch die die Stellung des ersten Bürgermeisters gegenüber dem Gemeinderat deutlich gestärkt wurde. So wird der erste Bürgermeister in allen Gemeinden vom Volk gewählt (Art. 17 BayGO), während der Regierungsentwurf eine direkte Wahl nur in Gemeinden bis zu 20.000 Einwohnern und für größere Gemeinden die Wahl durch den Gemeinderat vorgesehen hatte (Art. 17 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1 Satz 2). Art. 29 BayGO, wonach der Gemeinderat die Gemeinde verwaltet, soweit nicht der erste Bürgermeister selbständig ent- scheidet, erhielt die Überschrift „Hauptorgane“ (vgl. Sitzungsprotokoll der 60. Sitzung des Landtags vom 19. Dezember 1951, S. 1083, 1085). In Art. 30 Abs. 2 BayGO wurde die Passage eingefügt, wonach der Gemeinderat (nur) „im Rahmen des Art. 29“ über alle Angelegenheiten bestimmt, für die nicht beraten- de Ausschüsse bestellt sind (Sitzungsprotokoll der 60. Sitzung des Landtags vom 19. Dezember 1951, S. 1085). Dieser Einschub nimmt die in Art. 37 BayGO festgelegten selbständigen Befugnisse des ersten Bürgermeisters ausdrücklich vom Aufgabenbereich des Gemeinderates aus. Schließlich wurde dem Gemeinderat auf Einwendung des Bayerischen Senats die ursprünglich in Art. 38 Abs. 2 Sätzen 2 und 3 des Entwurfs vorgesehene Möglichkeit genommen , den von dem ersten Bürgermeister getätigten dringlichen Anordnungen und unaufschiebbaren Geschäften vorbehaltlich entstandener Rechte Dritter die Genehmigung zu versagen (vgl. Protokoll der Plenarsitzung des Bayerischen Senats vom 11. Januar 1952, Anlage 5, S. 7 und Sitzungsprotokoll der 66. Sitzung des Landtags vom 18. Januar 1952, S. 1305 f., 1310).
18
bb) Demgegenüber spricht der Vergleich mit den in dem Regierungsentwurf nicht erwähnten Vorgängerregelungen in den Gemeindeordnungen vom 17. Oktober 1927 (GVBl. S. 293) und vom 18. Dezember 1945 (GVBl. 1946 S. 225) eher für eine nunmehr unbeschränkte Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters im Außenverhältnis (Fritz, Vertrauensschutz im Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983, S. 64; aA BayObLGZ 1952, 271, 274). In diesen Vorgängerregelungen kam die außerhalb der Eigenentscheidungsbefugnis bestehende Abhängigkeit der Vertretungsmacht von der internen Willensbildung im Gesetzeswortlaut nämlich noch deutlich zum Ausdruck. Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 3 BayGO 1927 vollzog der erste Bürgermeister die Beschlüsse des Gemeinderats und vertrat „hierbei“ den Gemeinderat (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayGO 1945: die Gemeinde) nach außen. Deshalb wurde ein solcher Beschluss als Voraussetzung der Vertretungsmacht angesehen (vgl. Stöhsel/Stenger, Die neue bayerische Gemeindegesetzgebung, 1929, Art. 17 BayGO Anm. 5; Woerner, Kommentar zur bayerischen Gemeindeordnung vom 17. Oktober 1927, 1931, Art. 17 BayGO Anm. 11). Diese Einschränkung findet sich in der nunmehr geltenden Fassung des Art. 38 Abs. 1 BayGO gerade nicht mehr.
19
d) Signifikante Unterschiede zu dem Kommunalrecht der anderen Bundesländer , die nur in Bayern die Annahme einer beschränkten Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters im Außenverhältnis erlauben könnten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil entspricht die dualistische Struktur der bayerischen Kommunalverfassung derjenigen der baden-württembergischen Gemeindeordnung. Dieses Konzept der süddeutschen Kommunalverfassung ist in Abwandlungen inzwischen in den meisten Bundesländern übernommen worden (näher Wolff/Bachhof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl., § 97 Rn. 7; Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 12. Aufl., Rn. 292). Auch der badenwürttembergische Gemeinderat ist gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 GO BW Hauptorgan der Gemeinde. Gleichwohl ist die Vertretungsmacht des Bürgermeisters gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 GO BW unbeschränkt (vgl. Senat, Urteil vom 20. April 1966 - V ZR 50/65, MDR 1966, 669 sowie BAGE 47, 179 ff. zu § 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO BW). Selbst für das frühere nordrhein-westfälische Kommunalverfassungsrecht , das eine Allzuständigkeit des Gemeinderats (§ 28 GO NRW aF) und eine entsprechend schwächere Stellung des Gemeindedirektors vorsah, war die umfassende Außenvertretungsmacht des Gemeindedirektors anerkannt (eingehend OLG Köln, DVBl. 1960, 816, 817 f. mit Anm. Roemer; BGH, Urteil vom 20. September 1984 - III ZR 47/83, BGHZ 92, 164, 169 zu §§ 28, 55 GO NRW i.d.F. von 1969).
20
e) Entscheidend für die Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO als Einräumung einer umfassenden Vertretungsmacht im Außenverhältnis spricht - wie in den anderen Bundesländern auch - das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und angemessenem Verkehrsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1997 - III ZR 98/96, VersR 1998, 118; U. Stelkens, Verwaltungsprivatrecht , 2005, S. 207: sinnvolles Ordnungsprinzip; hierzu auch BAG, Beschluss vom 22. August 2016 - 2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296 Rn. 11).
21
aa) Der Erklärungsempfänger - in der Regel der Bürger - muss sich auf die Vertretungsbefugnis des für die Gemeinde nach außen handelnden Organs verlassen können. Demgegenüber bleibt es der Gemeinde unbenommen, gegen ihr pflichtwidrig handelndes Organ beamtenrechtliche Sanktionen zu verhängen bzw. Schadensersatzforderungen geltend zu machen. Es erscheint unangemessen , das Risiko fehlerhaften Organhandelns dem Erklärungsempfänger aufzubürden, der die Vorgänge bei der internen Willensbildung als außenstehender Dritter in aller Regel nicht erkennen kann. Insbesondere wird ein ausreichender Schutz nicht dadurch gewährleistet, dass er von der für die Gemeinde handelnden Person den Nachweis ihrer Befugnis zur Vornahme des betreffenden Geschäfts verlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1977 - II ZR 236/75, MDR 1978, 388; aA BayObLGZ 1952, 271, 274; 1974, 374, 376; 1986, 112, 115 mwN). Dabei verbleiben nämlich erhebliche Ungewissheiten. Wird dem Erklärungsempfänger die Ausfertigung eines Gemeinderatsbeschlusses vorgelegt (vgl. Art. 54 BayGO), müsste er überprüfen, ob dieser wirksam ist und das konkrete Rechtsgeschäft umfasst. Hat der Gemeinderat keinen Beschluss gefasst, kann eine schwierige Abgrenzung der gemeindeinternen Zuständigkeiten erforderlich sein, insbesondere im Hinblick auf die oft zweifelhafte Einordnung einer Rechtshandlung als Geschäft der laufenden Verwaltung (vgl. hierzu etwa BayObLGZ 1974, 374, 377). Dies ist umso problematischer, als sich die Gemeinde im Falle einer Fehleinschätzung unter Umständen noch Jahrzehnte später auf eine fehlende Vertretungsbefugnis des für sie handelnden Bürgermeisters berufen kann (vgl. z.B. BayObLG, MittBayNot 1997, 120 ff.).
22
bb) Vor denselben praktischen Schwierigkeiten und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit stehen nach der bislang in Bayern herrschenden Meinung die dortigen Grundbuchämter. Sie dürfen Eintragungen in das Grundbuch nur dann vornehmen, wenn die Vertretungsbefugnis des ersten Bürgermeisters in der Form des § 29 GBO nachgewiesen ist. Dementsprechend betrifft ein großer Teil der oben (unter II.2a)) zitierten Entscheidungen der bayerischen Gerichte die Frage, ob dieser Nachweis als erbracht anzusehen ist oder nicht (vgl. nur aus jüngerer Zeit OLG München, MittBayNot 2009, 222 f.; 2012, 248 ff.; Beschluss vom 18. Juni 2010 - 34 Wx 65/10, juris; Beschluss vom 28. Januar 2013 - 34 Wx 390/12, juris). Den Grundbuchämtern wird in diesem Zusammenhang ggf. die Auslegung von Gemeinderatsbeschlüssen abverlangt (vgl. z.B. OLG München, MittBayNot 2012, 248 ff.); sie haben strenge Anforderungen an die Beweisführung zu stellen und die Eintragung im Zweifel abzulehnen (BayOblGZ 1974, 374, 376 ff.). Nach der von dem Senat vorgenommenen Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO ist dieser Nachweis entbehrlich; es ist nicht Aufgabe der Grundbuchämter, die Einhaltung der gemeindlichen Zuständigkeitsordnung zu überwachen.
23
f) Schließlich kann den Überlegungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts , wonach die von den bayerischen Gerichten seit 1952 vorgenom- mene Auslegung des Art. 38 Abs. 1 BayGO zu der Entstehung von Gewohnheitsrecht geführt haben könnte (BayObLGZ 1986, 112, 115), nicht beigetreten werden. Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (vgl. nur Senat, Urteil vom 21. November 2008 - V ZR 35/08, NJW-RR 2009, 311 Rn. 12; BVerfGE 122, 248, 269). Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil der Bundesgerichtshof die Frage bereits 1966 für die sehr ähnlich gelagerte badenwürttembergische Gemeindeordnung anders entschieden und dies im Jahr 1979 für Bayern ausdrücklich offen gelassen hat; zudem wurden in der Rechtsliteratur schon frühzeitig Bedenken im Hinblick auf den Verkehrsschutz erhoben (vgl. z.B. Walz in Peters, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 1. Aufl. [1956] Bd. I, S. 235, 266 f.). Darüber hinaus hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem (auf Anfrage des erkennenden Senats in dieser Sache ergangenen) Beschluss vom 22. August 2016 (2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296 Rn. 11) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nach Art. 38 Abs. 1 BayGO nicht auf der Bildung einer Rechtsüberzeugung in den beteiligten Kreisen beruhe; da zu diesen auch Dritte gehörten, die in rechtsgeschäftliche Beziehungen zu den bayerischen Kommunen treten, dürfte schon wegen des Umfangs und der Unbestimmtheit dieses Personenkreises eine einheitlich als richtig angesehene Rechtsüberzeugung nicht feststellbar sein.

III.


24
Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
25
1. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützter Anspruch der Klägerin auf Berichtigung des Grundbuchs nicht verneinen.
26
a) Ein solcher Anspruch kann sich daraus ergeben, dass eine schuldrechtliche Verpflichtung der Klägerin zur Pfandfreigabe - also zur dinglichen Aufgabe des Rohrleitungsrechts (§ 875 Abs. 1 BGB) hinsichtlich des Flurstücks Nr. 2394/1 und zur Abgabe der darauf bezogenen Löschungsbewilligung - nicht bestand. Insoweit macht die Klägerin geltend, ihre Verpflichtung zur Pfandfreigabe habe sich nur auf die Wegmessung nicht betroffener Grundstücksteile bezogen; die Beklagte hat bestritten, dass die Pfandfreigabe irrtümlich erfolgte. Hiervon hängt ab, ob die Beklagte ihre vorteilhafte Buchposition ohne Rechtsgrund erlangt hat.
27
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Verjährung des Anspruchs nicht eingetreten.
28
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der im Jahr 1997 entstandene Anspruch zunächst der Verjährungsfrist von dreißig Jahren unterlag (§ 195 BGB aF). Ab dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2002 galt gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB die (kürzere) zehnjährige Verjährungsfrist des § 196 BGB nF, die von diesem Tag an zu berechnen war. Die Frist lief daher am Montag, dem 2. Januar 2012, ab. Dem für die Vertretung des Freistaats Bayern (als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland) zuständigen Landesamt für Finanzen wurde die im Dezember 2011 eingereichte Klage erst am 20. Januar 2012 zugestellt.
29
bb) Gleichwohl ist die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Klage gehemmt worden. Denn die Zustellung wirkt, anders als das Berufungsgericht meint, auf die vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgte Einreichung der Klage zurück, da sie „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO er- folgt ist. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen (vgl. nur Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14, NJW 2015, 2666 Rn. 5 mwN). Dieser Zeitraum ist nicht überschritten. Zuzurechnen ist der Klägerin zwar, dass in der Klageschrift das (unzuständige) Staatliche Bauamt Ansbach als Vertreterin der Beklagten benannt worden ist. Aber nach einem Hinweis des Gerichts hat sie bereits am 10. Januar 2012 die Zustellung der Klage an das (zuständige) Landesamt für Finanzen beantragt, deren Ausführung dem Gericht oblag. Da die hinzunehmende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen nach ständiger Rechtsprechung erst vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist an berechnet wird (vgl. Senat, Versäumnisurteil vom 25. September 2015 - V ZR 203/14, NJW 2016, 568 Rn. 11; BGH, Urteil vom 10. September 2015 - IX ZR 255/14, NJW 2016, 151 Rn. 15, jeweils mwN), hier also ab dem 2. Januar 2012, kommt es - anders als der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemeint hat - auf den fehlgeschlagenen Zustellungsversuch im Dezember 2011 nicht an.
30
c) Inhaltlich hat sich das Berufungsgericht mit diesem Anspruch - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang nicht befasst. Die insoweit getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um dem Revisionsgericht eine eigene Prüfung zu ermöglichen. Zwar geht das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang, nämlich bei der - nach den Ausführungen unter II.3. entbehrlichen - Prüfung, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO vorlag, davon aus, dass sich die Verpflichtung der Klägerin zu der Pfandfreigabe nicht auf das Flurstück Nr. 2394/1 bezog und der Bürgermeister irrtümlich auf das Rohrleitungsrecht verzichtet habe. Bei der entscheidenden Prüfung eines Anspruchs gemäß § 812 Abs. 1 BGB lässt es aber ausdrücklich offen, ob die Klägerin schuldrechtlich zu der Pfandfreigabe verpflichtet war. Das Berufungsgericht wird infolgedessen zunächst tragfähige Feststellungen zu den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu treffen haben , um auf dieser Grundlage zu beurteilen, ob ein Rechtsgrund für die Pfandfreigabe bestand oder nicht; die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit die Klägerin.
31
2. Darüber hinaus kann sich ein Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs aus der Anfechtung der Pfandfreigabeerklärung ergeben. Diese kann im Hinblick auf die Anfechtung der dinglich wirkenden Aufgabe des Rohrleitungsrechts (§ 875 Abs. 1 BGB) und der verfahrensrechtlichen Löschungsbewilligung ebenfalls einen Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen; daneben kann ein Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB bestehen.

Da die Anfechtung bei Abgabe der Anfechtungserklärung am 6. Mai 2010 jedenfalls nicht durch Zeitablauf ausgeschlossen war (Art. 229 § 6 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 EGBGB, § 121 Abs. 2 aF, § 121 Abs. 2 nF BGB), wird das Berufungsgericht ggf. Feststellungen zu der - von dem Landgericht verneinten - Einhaltung der Frist des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB treffen müssen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
LG Ansbach, Entscheidung vom 16.08.2013 - 2 O 1474/11 Öff -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 28.10.2014 - 4 U 1900/13 -

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Die Vollstreckung wird gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet; eines vollstreckbaren Titels bedarf es nicht.

(2) Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung sind:

a)
der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist;
b)
die Fälligkeit der Leistung;
c)
der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit.

(3) Vor Anordnung der Vollstreckung soll der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden.

(4) Die Vollstreckungsanordnung wird von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf.

(1) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz werden Kosten (Gebühren und Auslagen) gemäß § 337 Abs. 1, §§ 338 bis 346 der Abgabenordnung erhoben. Für die Gewährung einer Entschädigung an Auskunftspflichtige, Sachverständige und Treuhänder gelten §§ 107 und 318 Abs. 5 der Abgabenordnung.

(2) Für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 wird eine Mahngebühr erhoben. Sie beträgt ein halbes Prozent des Mahnbetrages, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 150 Euro. Die Mahngebühr wird auf volle Euro aufgerundet.

(3) Soweit die Bundespolizei nach diesem Gesetz tätig wird, werden Gebühren und Auslagen nach dem Bundesgebührengesetz erhoben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.