Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 28. Aug. 2015 - 18 Sa 335/15

ECLI:ECLI:DE:LAGHAM:2015:0828.18SA335.15.00
bei uns veröffentlicht am28.08.2015

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 31.10.2014 – 4 Ca 2345/13 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 28. Aug. 2015 - 18 Sa 335/15

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo
Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 28. Aug. 2015 - 18 Sa 335/15 zitiert 24 §§.

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Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 4 Anrufung des Arbeitsgerichts


Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung er

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 174 Einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten


Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 124 Anfechtungsfrist


(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen. (2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im F

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(1) Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. (2) Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrag der andere Teil, im Falle des § 123 Abs. 2 Satz 2 derjenige, welcher aus dem Vertrag unmittelbar ein Recht erworben hat. (

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 14. Januar 2009 - 10 Sa 446/08 - wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen.

(2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.

(3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner.

(2) Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrag der andere Teil, im Falle des § 123 Abs. 2 Satz 2 derjenige, welcher aus dem Vertrag unmittelbar ein Recht erworben hat.

(3) Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft, das einem anderen gegenüber vorzunehmen war, ist der andere der Anfechtungsgegner. Das Gleiche gilt bei einem Rechtsgeschäft, das einem anderen oder einer Behörde gegenüber vorzunehmen war, auch dann, wenn das Rechtsgeschäft der Behörde gegenüber vorgenommen worden ist.

(4) Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft anderer Art ist Anfechtungsgegner jeder, der auf Grund des Rechtsgeschäfts unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat. Die Anfechtung kann jedoch, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben war, durch Erklärung gegenüber der Behörde erfolgen; die Behörde soll die Anfechtung demjenigen mitteilen, welcher durch das Rechtsgeschäft unmittelbar betroffen worden ist.

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

(1) Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll.

(2) Die Erklärung bedarf nicht der Form, welche für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht.

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 2. Juni 2009 - 14 Sa 101/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung ihres Arbeitsvertrags und über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1982 geborene Kläger war - nach seiner Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst - befristet bis zum 31. Juli 2002 beim Landkreis K beschäftigt. Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unterblieb, nachdem der Landkreis von Aktivitäten des Klägers für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Kenntnis erlangt hatte.

3

Seit August 2003 war der Kläger beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter in der Oberfinanzdirektion K (OFD) tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und anschließend der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) Anwendung.

4

Vor seiner Einstellung hatte das beklagte Land den Kläger schriftlich unter Bezugnahme auf § 8 BAT über seine Pflicht zur Verfassungstreue belehrt. Am 17. Juli 2003 unterzeichnete er eine sich an die Belehrung anschließende vorformulierte Erklärung mit folgendem Inhalt:

        

„Auf Grund dieser Belehrung erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die vorstehenden Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahe und dass ich bereit bin, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten.

        

Ich versichere ausdrücklich, dass ich Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eine ihrer obengenannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstütze und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation bin.

        

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich bei einem Verstoß gegen diese Dienst- und Treuepflichten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen muss.“

5

Seit 2004 war der Kläger im Druck- und Versandzentrum der OFD eingesetzt. Dort war er insbesondere für die Produktionsplanung, -steuerung und -überwachung zuständig. In dem Zentrum werden sämtliche im Zuständigkeitsbereich der OFD anfallenden Bescheide und Schreiben (etwa Steuerbescheide und Beihilfebescheide sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen) mittels elektronisch gesteuerter Druckabläufe erstellt.

6

Mit Schreiben vom 23. August 2007 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz der OFD über „rechtsextremistische Aktivitäten“ des Klägers, die wie folgt beschrieben und als solche unstreitig sind:

        

„…    

        
        

•       

Am 7. August 2007 lädt er mit ‚Newsletter’ vom gleichen Tag zum ‚Sommerfest’ der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands’ (NPD) und deren Jugendorganisation, den ‚Jungen Nationaldemokraten’ (JN) für den 11. August 2007 ein; einem Bericht auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes K zufolge ‚führte L in seiner unnachahmlichen Art eines souveränen Versammlungsleiters unterhaltsam durch das weitere Programm’.

        

•       

Mit ‚Newsletter’ vom 30. Juli 2007 weist L auf den ‚Nationalen Stammtisch’ des NPD-Kreisverbands K hin.

        

•       

Zum 17. Juni 2007 lädt er mittels ‚Newsletter’ zu einer Schulungsveranstaltung des NPD-Kreisverbands K nach B ein.

        

•       

Einer Meldung des Polizeipräsidiums K zufolge gab er sich als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN am 9. Juni 2007 in B zu erkennen.

                 

Über einen ‚Newsletter’ verbreitete er die Einladung zu der Veranstaltung.

        

•       

Am 8. Mai 2007 nahm L an einer Mahnwache: ‚Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges’ in K teil. Hauptredner auf der Veranstaltung war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende D. Dieser thematisierte unter anderem den Prozess in M gegen den Revisionisten Z und lobte den Revisionismusgedanken, der zur Selbstfindung des deutschen Volkes unerlässlich sei. (…).

        

•       

Über die Jahreshauptversammlung des NPD-Regionalverbandes K am 25. März 2007 verschickte L per ‚Newsletter’ im Vorfeld einen Hinweis.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 erteilte das beklagte Land dem Kläger nach vorheriger Anhörung eine Abmahnung. Es hielt ihm vor, die Erklärung zur Verfassungstreue unterschrieben zu haben, ohne auf die Nichtverlängerung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis K und die dafür ursächlichen Aktivitäten hingewiesen zu haben. Durch diese „Fehlinformationen“ und sein öffentliches Auftreten für eine „als verfassungsfeindlich eingestufte Partei wie die NPD“ habe er grob gegen seine „tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue“ verstoßen. Für den Fall anhaltender Aktivitäten für verfassungsfeindliche Organisationen müsse er mit einer fristlosen Kündigung rechnen.

8

Am 18. November 2007, dem Volkstrauertag, nahm der Kläger an einer von der NPD abgehaltenen Gedenkveranstaltung am Ehrenmal „P“ auf dem Gebiet der Gemeinde R teil. Dabei handelt es sich um ein von der Gemeinde errichtetes Steinkreuz zur Erinnerung an die dort beigesetzten deutschen und französischen Soldaten, die im April 1945 vor Ort gefallen sind. Mit Schreiben vom 17. April 2008, bei der OFD eingegangen am 25. April 2008, berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz auch über diese Aktivität.

9

Nach Beteiligung des Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 8. Mai 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 23. September 2008 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, es fehle an Anfechtungs- und Kündigungsgründen. Er habe sich zu jeder Zeit und unmissverständlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Seine politischen Aktivitäten stünden auf dem Boden des Grundgesetzes, zumal weder die NPD noch ihre Jugendorganisation verboten seien. Sollten sich einzelne Parteimitglieder in verfassungsfeindlicher Weise geäußert haben, sei dies nicht der Partei als Ganzer zuzurechnen. Neonazistisches Gedankengut lehne er strikt ab.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen, das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 4. November 2004 geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei berechtigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung fristlos und allemal fristgemäß aufgelöst worden. Der Kläger habe es durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt. Er sei, wie sich erst nach der Kündigung vom 8. Mai 2008 herausgestellt habe, aufgrund eines mit dem Personalverantwortlichen des Landkreises K geführten Gesprächs über die Gründe der Nichtverlängerung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses genau informiert gewesen. Er habe somit bewusst eine unrichtige Erklärung zu seiner Verfassungstreue abgegeben. Jedenfalls habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, seine Aktivitäten für die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte NPD bzw. JN zu offenbaren. Die Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der Abmahnung erneut seine tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue verletzt und sich durch seine Aktivitäten für die NPD, deren Mitglied er sei, für die ihm übertragene Tätigkeit als ungeeignet erwiesen. Er habe sich die verfassungsfeindlichen Ziele der NPD zu eigen gemacht, diffamiere den Staat und seine Organe in aller Öffentlichkeit und bringe seinen Willen zum Ausdruck, ihn zu bekämpfen. Nach der Kündigung habe er seine verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgesetzt. Am 25. Juli 2008 habe er - unstreitig - anlässlich des Todes eines Rechtsextremisten einen Gedenkbrief versandt. Am Volkstrauertag 2008 sei er erneut bei der Veranstaltung der NPD am Ehrenmal „P“ aufgetreten, nunmehr als verantwortlicher Versammlungsleiter. Sein Verhalten beschädige das Ansehen der Finanzverwaltung und beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in deren rechtsstaatliches Handeln.

13

Das Arbeitsgericht hat die Anfechtung und die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Im Übrigen hat es sie abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stattgegeben. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

15

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Kündigungsschutzantrag. Mit dem erstinstanzlich - als unzulässig - abgewiesenen allgemeinen Feststellungsantrag hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst. Es hat die Berufung des Klägers, die sich mit der Abweisung dieses Antrags nicht auseinandersetzt, stillschweigend dahin ausgelegt, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde. Soweit es den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

16

B. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Seine Entscheidung, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung vom 23. September 2008 noch durch die Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

I. Der Gegenstand der Kündigungsschutzklage umfasst zugleich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der Anfechtung beendet worden ist.

18

1. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG(iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die fragliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Klage kann daher nur Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis noch bestand (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13; 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85). Dementsprechend ist Gegenstand der Kündigungsschutzklage auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. - im Fall der ordentlichen Kündigung - des Ablaufs der Kündigungsfrist bestand (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 16 f., BAGE 118, 95; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Ist dies nicht der Fall, kann ein der Klage stattgebendes Urteil nicht ergehen, vielmehr ist die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

19

2. Danach hängt hier der Erfolg der Kündigungsschutzklage (auch) von der Berechtigung der Anfechtung ab. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung erst mit Schriftsatz vom 23. September 2008 und damit nach Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung erklärt wurde. Zwar wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung grundsätzlich nur „ex nunc“ (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV der Gründe, BAGE 41, 54). Im Streitfall wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien aber bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung faktisch außer Funktion gesetzt. Unter solchen Umständen besteht kein Grund, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB, die der wirksamen Anfechtung grundsätzlich rückwirkende Kraft beilegt, einschränkend anzuwenden. Die Anfechtung wirkt vielmehr auf den Zeitpunkt der faktischen „Außerfunktionssetzung“ zurück, selbst wenn diese ihrerseits auf einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung beruhen sollte (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV 3 a der Gründe, aaO).

20

II. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung über die Wirksamkeit von Anfechtung und Kündigung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und einem auf diese bezogenen Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung zugrunde gelegt.

21

1. Danach kommt bei politischer Betätigung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation, insbesondere bei einem Eintreten für deren verfassungsfeindliche Ziele eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Das gilt unabhängig davon, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG festgestellt wurde. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu B II der Gründe, BVerfGE 39, 334; BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu IV der Gründe, BAGE 28, 62; zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vgl. BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - NJW 2005, 85).

22

2. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

23

3. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 63, 72; 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, aaO).

24

4. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind ua. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L(zuvor: § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT) festgelegt.

25

a) Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat der Kläger zudem im Zusammenhang mit seiner Einstellung abgegeben.

26

b) Allerdings können weder die auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT abgegebene Erklärung des Klägers vom 17. Juli 2003, noch die mit § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT wörtlich übereinstimmende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten des beklagten Landes ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt(grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

27

aa) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).

28

bb) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG)- unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).

29

cc) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.

30

Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10).

31

Aber auch für Beschäftigte, an deren Verfassungstreue wegen ihrer Tätigkeit - etwa als Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter - die gleichen oder zumindest ähnliche Anforderungen zu stellen sind wie an die von in vergleichbarer Stellung beschäftigten Beamten, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig noch nicht ausreichen. Anders als bei der Einstellung, für deren Unterbleiben es grundsätzlich genügt, dass allgemeine Zweifel an der Verfassungstreue begründet sind (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12), obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, derartige Zweifel durch bestimmte, auf den Arbeitnehmer und seinen Aufgabenbereich bezogene Umstände zu konkretisieren und so zu verstärken. Aufschlussreich kann insoweit das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers sein, wenn es über die Verfolgung verfassungskonformer Ziele der betreffenden Organisation hinausgeht. Von Bedeutung kann auch das persönliche Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers und das Fehlen der Bereitschaft sein, sich von verfassungsfeindlichen Zielen der Organisation, der er angehört oder für die er eintritt, zu distanzieren (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 63, 72).

32

5. Das Maß der politischen Treuepflicht hat zugleich Einfluss auf das Erkundigungs-/Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung.

33

a) Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass die falsche Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen kann(zur Frage nach früherer MfS-Tätigkeit BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341).

34

b) Auch wenn zu den Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG die Verfassungstreue zählt, sind darauf bezogene Fragen nur zulässig, soweit die vorgesehene Funktion dies erfordert und rechtfertigt(vgl. BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 b und 2 a der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - BAGE 28, 62; 1. Oktober 1986 - 7 AZR 383/85 - BAGE 53, 137; Conze Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers und Offenbarungspflicht des Bewerbers bei der Vertragsanbahnung ZTR 1991, 99, 106 mwN). Die Frage muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Er muss die Zulässigkeit der Frage beurteilen können (BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341). Wenn politische Einstellungen den Arbeitnehmer bei funktionsbezogener Betrachtung nicht - auch für ihn erkennbar - an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hindern, besteht keine Pflicht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Parteimitgliedschaften oder Organisationszugehörigkeiten ungefragt zu offenbaren.

35

6. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

36

a) Sie haben in der Literatur verbreitet Zustimmung erfahren (vgl. Sponer/Steinherr TV-L (2008) § 3 Rn. 55; Polzer/Powietzka NZA 2000, 970, 974 f.; jeweils mwN; mit Einschränkungen: Fleig DÖD 1999, 217) und stimmen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein (vgl. BVerwG 19. Januar 1989 - 7 C 89/87 - BVerwGE 81, 212; OVG Lüneburg 12. Dezember 2007 - 17 LP 4/06 - PersR 2008, 324).

37

b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anerkannt, dass ein demokratischer Staat das Recht hat, von seinen Bediensteten - jedenfalls in Abhängigkeit von ihrer Funktion - ein Bekenntnis zu zentralen Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen der Staat beruht. Es seien - so der Gerichtshof - auch die Erfahrungen Deutschlands während der Weimarer Zeit und der anschließenden Phase bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 sowie die Bestrebung zu berücksichtigen, die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer „wehrhaften Demokratie“ aufzubauen (EGMR 22. November 2001 - 39799/98 [Volkmer/Deutschland] - zu 1. der Gründe, NJW 2002, 3087; 26. September 1993 - 7/1994/454/535 [Vogt/Deutschland] - Rn. 51, 59 ff., NJW 1996, 375).

38

c) Die angeführten Grundsätze tragen den Diskriminierungsverboten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung (vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dabei kann unterstellt werden, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei oder das Eintreten für deren Ziele das in § 1 AGG genannte Diskriminierungsmerkmal der „Weltanschauung“ betrifft(dazu einerseits Annuß BB 2005, 1629, 1631; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172 f.; andererseits BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - zu 3 c ee der Gründe, NJW 2005, 85). Durch die funktionsbezogene Betrachtung ist hinreichend sichergestellt, dass ein Eignungsmangel des Bewerbers nur bejaht wird, wenn die von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geforderte Verfassungstreue eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstellt.

39

III. Ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen ist die Kündigungsschutzklage nicht deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung des beklagten Landes aufgelöst worden wäre. Ein Anfechtungsgrund liegt auch bei Verfassungsfeindlichkeit der NPD und/oder ihrer Jugendorganisation nicht vor.

40

1. Die Anfechtung war trotz vorangegangener Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe , AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5 ). Das beklagte Land hat sein Anfechtungsrecht nicht durch die fristlose Kündigung „verbraucht“. Es stützt Anfechtung und Kündigung im Übrigen auf unterschiedliche Sachverhalte. Ausschließlich zur Begründung der Anfechtung macht es geltend, der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Einstellung über Aktivitäten für die als verfassungsfeindlich eingestufte NPD arglistig getäuscht, wobei es von den die Arglist begründenden Tatsachen erst nach der Kündigung hinreichend Kenntnis erlangt habe.

41

2. Der in Rede stehende Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Subjektive Werturteile genügen nicht (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war.

42

a) Wird der (spätere) Arbeitnehmer zulässigerweise nach bestimmten Tatsachen befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht bestand. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder aus sonstigen Gründen für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 345/98 - zu B II 2 der Gründe; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe).

43

b) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Dienstherrn entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

44

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es jedenfalls an der erforderlichen Arglist des Klägers, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

45

a) Ist die - vorformulierte - Erklärung vom 17. Juli 2003 zugleich als Antwort auf Frage(n) zur Verfassungstreue des Bewerbers zu verstehen, bestehen Bedenken an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Die der Erklärung vorangestellte Belehrung nimmt auf die in den Landesgesetzen normierte Pflicht zur Verfassungstreue für Beamte (§ 70 Abs. 2 LBG) und Richter (§ 8 LRiG) Bezug und verweist darauf, dass sich „die gleichen politischen Treuepflichten“ für Angestellte aus § 8 BAT ergäben. Der Belehrung folgt ein umfassendes Bekenntnis des Stellenbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Erklärung seiner Bereitschaft, für deren Erhaltung einzutreten. Dem Bewerber wird dagegen nicht verdeutlicht, dass funktionsbezogen durchaus geringere Anforderungen an die Verfassungstreue bestehen können.

46

b) Zudem verlangt das beklagte Land mit der erbetenen Erklärung von dem Bewerber, eine eigene Beurteilung dessen, was unter „Bestrebungen … gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wann von einem „Unterstützen“ solcher Bestrebungen die Rede sein und wann angenommen werden kann, dass sich eine Organisation gegen diese Grundordnung richtet. Eine ordnungsgemäße Befragung zwecks Feststellung der Verfassungstreue setzt demgegenüber voraus, dass der Bewerber nach konkreten Umständen befragt wird, die gemäß den Anforderungen der ins Auge gefassten Tätigkeit einstellungsrelevant sind. Die allgemeine Frage, ob der Bewerber einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, ist unzulässig. Mit ihr würde vom Bewerber eine Wertung verlangt, die vorzunehmen Sache der einstellenden Behörde ist (BAG 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 b bb der Gründe).

47

c) Eine arglistige Täuschung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der Kläger gleichwohl der Unvereinbarkeit seiner politischen Aktivitäten mit der Pflicht zur Verfassungstreue bewusst gewesen wäre. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

48

aa) Das Fehlen einer Unterrichtung darüber, welche Parteien, Organisationen und Aktivitäten das beklagte Land als verfassungsfeindlich einstuft, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - Einfluss auf den subjektiven Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB haben. Ein Arbeitnehmer, der sich für eine zwar objektiv verfassungsfeindlich, aber nicht verbotene Partei oder Organisation engagiert und aktiv für deren Ziele eintritt, kann subjektiv der Auffassung sein, er bewege sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und setze sich nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein.

49

bb) Davon ist das Landesarbeitsgericht im Streitfall ausgegangen. Es hat angenommen, der Kläger habe aus seiner subjektiven Sicht in seinen Aktivitäten für die NPD/JN keinen Widerspruch zu dem Inhalt seiner Erklärung vom 17. Juli 2003 erblickt. Er berufe sich gerade darauf, dass er sich stets in vollem Umfang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe und weiterhin bekenne, auch nicht Mitglied oder Anhänger einer Partei sei, deren Ziele sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes richteten. Umstände, die den Schluss zuließen, dies habe nicht der wahren Überzeugung des Klägers entsprochen, lägen nicht vor.

50

cc) Diese tatrichterliche Würdigung unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände beachtet worden sind. Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie bringt lediglich vor, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend auf die Erfahrungen Bedacht genommen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtverlängerung seines vorhergehenden Arbeitsverhältnisses gesammelt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des beklagten Landes, der Kläger habe gewusst, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verlängert worden sei, berücksichtigt. Daraus ergab sich aber weder, dass sich der Kläger wahrheitswidriger Angaben zu seiner Verfassungstreue bewusst gewesen wäre, noch dass er bewusst einer sich aufdrängenden Offenbarungspflicht zuwider gehandelt hätte. Zum einen ist nicht dargetan, dass der Kläger selbst von der Verfassungsfeindlichkeit der NPD oder ihrer Jugendorganisation überzeugt gewesen wäre oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Zum anderen konnte er, selbst wenn er erkannt haben mag, dass zumindest das beklagte Land die NPD als verfassungsfeindlich einstuft, durchaus subjektiv der Auffassung sein, nicht selbst derartige Ziele zu unterstützen oder sonstwie auf ein aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auszugehen und damit jedenfalls (noch) das für die angestrebte Tätigkeit erforderliche Maß an Verfassungstreue aufzubringen.

51

IV. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es sind nach der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 keine zusätzlichen Umstände eingetreten oder dem beklagten Land erstmals bekannt geworden, die als Verstoß des Klägers gegen seine (einfache) Pflicht zur Verfassungstreue anzusehen wären.

52

1. Es kann dahinstehen, ob die mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz vom 23. August 2007 mitgeteilten Aktivitäten des Klägers einen Kündigungsgrund darstellen. Das beklagte Land hat sie zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht. Es hat sich damit eines etwaigen Kündigungsrechts wegen dieser Sachverhalte begeben, solange nicht neue Verstöße hinzutreten.

53

a) Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208; 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52).

54

b) Das beklagte Land hat dem Kläger mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 für den Fall „anhaltender Aktivitäten für die rechtsextremistische Szene“ eine Kündigung in Aussicht gestellt. Mit dieser Ankündigung hat es stillschweigend erklärt, eben dies aufgrund der aktuell bekannt gewordenen Ereignisse nicht tun zu wollen. Darin liegt ein bewusster Verzicht auf das Recht zur Kündigung.

55

c) Der mit einer Abmahnung verbundene Verzicht auf ein Kündigungsrecht erfasst auch das Recht, aus einem Grund in der Person des Arbeitnehmers zu kündigen, der sich aus dem betreffenden Sachverhalt ergeben mag. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auf steuerbarem Verhalten beruhenden, also behebbaren Eignungsmangel vorhält und ihn insoweit abgemahnt hat, ist es ihm wie nach der Abmahnung pflichtwidrigen Verhaltens verwehrt, zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung ausschließlich den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

56

d) Der Verzicht wird hinfällig, wenn weitere Gründe zu den abgemahnten hinzutreten oder zwar bei Ausspruch der Abmahnung objektiv schon vorlagen, aber erst danach bekannt wurden. Diese können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch unterstützend die bereits abgemahnten Gründe erfasst, sofern sich daraus ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 10. November 1998 - 2 AZR 215/88 - zu II 2 d bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18).

57

2. Danach ist die Kündigung nicht aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

58

a) Den Kläger trifft lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

59

aa) Eine Verpflichtung des Klägers, wie ein Beamter jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht schon aus der Aufgabenstellung der Finanzverwaltung. Auch wenn diese als Eingriffsverwaltung (vgl. bspw. BVerwG 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 - BVerwGE 60, 254) hohe Anforderungen an die Integrität und Loyalität der mit der Erhebung und Beitreibung von Steuern befassten Mitarbeiter stellen muss, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch in ihrem Bereich Funktionen gäbe, die den Einsatz von Beschäftigten mit einem geringeren Maß an Verfassungstreue zuließen.

60

bb) Dem Vorbringen des beklagten Landes lässt sich nicht entnehmen, dass für die Wahrnehmung der dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Der Kläger trägt für die im Druckzentrum erstellten Steuer- oder Beihilfebescheide inhaltlich keine Verantwortung. Seine Aufgabe besteht vornehmlich in der Planung, Steuerung und Überwachung des Druck- und Versandverfahrens. Im Vordergrund steht die Gewährleistung eines technisch reibungslosen Ablaufs der (körperlichen) Herstellung der Bescheide und deren ordnungsgemäße Versendung. Der Umstand, dass der Kläger dabei Zugang zu personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen hat, vermag ein Verlangen nach gesteigerter Loyalität nicht zu begründen. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revision vorgetragen hat, der Kläger habe „umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf höchst sensible Daten und zwar sowohl im Bereich der Großrechner als auch der Produktionsserver“ und habe zudem die Möglichkeit, „Daten und Dokumente bei der Druckaufbereitung selbständig zu bearbeiten“, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es in der Revision nicht mehr gehört werden kann. Auf die Schlüssigkeit des Vortrags kommt es nicht an.

61

b) Unterliegt der Kläger deshalb „nur“ einer sog. einfachen politischen Loyalitätspflicht, verlangt diese von ihm lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1). Ein Verstoß gegen diese „einfache“ Treuepflicht kann nicht schon aus der Mitgliedschaft des Klägers in der NPD und Übernahme bestimmter Funktionen in der Partei abgeleitet werden, die dem beklagten Land nach eigenem Vorbringen erst nach der Abmahnung bekannt geworden sind. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes erneut unterstellt werden, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

62

aa) Ein Arbeitnehmer, dem eine „einfache“ Treuepflicht obliegt, verletzt diese nicht schon dadurch, dass er verfassungsfeindliche Ziele einer Organisation für richtig hält und dies durch eine Mitgliedschaft oder andere Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele der Organisation aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; 12. März 1986 - 7 AZR 469/81 -). Dazu bedarf es der Darlegung konkreter, auf den Arbeitnehmer bezogener Umstände, die geeignet sind, ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei hinreichend zu individualisieren (vgl. BAG 15. Juli 1982 - 2 AZR 887/79 - zu C II 2 d aa der Gründe, BAGE 39, 180).

63

bb) Derartige Umstände hat das beklagte Land - unter Beachtung der sich aus der Abmahnung ergebenden Beschränkungen - nicht dargetan.

64

(1) Die Teilnahme des Klägers an der „Gedenkveranstaltung“ der NPD am 18. November 2007 lässt kein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei erkennen. Zwar sind derartige Gedenkveranstaltungen in der Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenkens“ zu sehen. Die schlichte Teilnahme lässt aber keinen weitergehenden Schluss zu als dass er sich in innerer Übereinstimmung damit befunden haben mag. Dies gilt auch für die Behauptung des beklagten Landes, auf der Versammlung sei die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden. Es hält sich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts, wenn es in einem solchen Verhalten keinen genügenden Anhaltspunkt dafür gesehen hat, der Kläger sei etwa nicht bereit, die deutschen Staatsgrenzen anzuerkennen, und sei bestrebt, diese Grenzen auf verfassungs- und völkerrechtswidrigem Wege zu beseitigen.

65

(2) Soweit sich das beklagte Land auf das Versenden eines „Newsletters“ vom 25. Juli 2008 und weitere, im Anschluss daran entfaltete Aktivitäten beruft, kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit in verfassungsfeindlicher Weise agiert hat. Es handelt sich um Vorgänge, die in die Zeit nach Ausspruch der Kündigung fallen und die zu deren Rechtfertigung nicht herangezogen werden können (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

66

(3) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien verfasste Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2001.

67

(a) Das Landesarbeitsgericht ist, was die Einführung dieses Schreibens in den Rechtsstreit betrifft, von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen ausgegangen. Der Sachverhalt unterliege einem Verwertungsverbot, weil das beklagte Land nicht aufgezeigt habe, dass der Personalrat hierzu erneut beteiligt worden sei. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt habe.

68

(b) Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine Berücksichtigung des Schreibens schon deshalb nicht möglich ist, weil Grundlage der Beurteilung bereits eingetretener oder noch zu erwartender Vertragsverletzungen in erster Linie das Verhalten des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sein muss (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a ee der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls deshalb zutreffend (§ 561 ZPO), weil sich aus dem nachträglich bekannt gewordenen Schreiben kein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender, eigenständiger Kündigungsgrund ergibt.

69

Das beklagte Land hat den Kläger ua. deshalb abgemahnt, weil er sich am 9. Juni 2007 als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN zu erkennen gegeben hat. Bereits in diesem Verhalten kam zum Ausdruck, dass der Kläger hinter den Zielen der JN steht und diese fördern will. Ein damit verbundener Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht erhält nicht deshalb ein größeres oder anderes Gewicht, weil der Kläger bereits vor der Kündigung mit seinem Sprachgebrauch eine Identifikation mit verfassungsfeindlichen Zielen der NPD/JN zum Ausdruck gebracht haben mag.

70

3. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers gerechtfertigt.

71

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine - sowohl von § 626 Abs. 1 BGB als auch § 1 Abs. 2 KSchG vorausgesetzte - konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nicht schon darin liegt, dass der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden durch das innerbetriebliche oder außerdienstliche politische Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt oder konkret gefährdet ist. Erforderlich ist, dass eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 62, 256; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

72

b) Konkrete Beeinträchtigungen hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

73

aa) Es behauptet nicht, der Kläger habe seine politische Einstellung innerhalb der Finanzverwaltung offen vertreten und dadurch die Arbeitsabläufe und/oder den Betriebsfrieden gestört.

74

bb) Ebenso wenig benennt es „greifbare“ Tatsachen, die erkennen ließen, das Verhalten des Klägers beeinträchtige unmittelbar berechtigte Sicherheitsinteressen. Soweit es vorbringt, der Kläger habe vor einem Sommerfest der JN, bei dem er „durch das Programm“ geführt habe, an einer von ihm - dem beklagten Land - angebotenen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen und daraus Nutzen gezogen, waren ihm - dem beklagten Land - die maßgebenden Umstände bereits bei Ausspruch der Abmahnung bekannt.

75

cc) Eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich schließlich nicht aus einem möglichen Ansehensverlust oder einem Verlust des Vertrauens „redlicher Bürger“ in eine rechtsstaatliche Steuerverwaltung. Das beklagte Land hat nicht dargetan, dass die Aktivitäten des Klägers und dessen Stellung als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung bekannt geworden wären und konkrete Wirkungen gezeitigt hätten.

76

V. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Baerbaum    

        

    Bartz    

                 

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 2. Juni 2009 - 14 Sa 101/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung ihres Arbeitsvertrags und über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1982 geborene Kläger war - nach seiner Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst - befristet bis zum 31. Juli 2002 beim Landkreis K beschäftigt. Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unterblieb, nachdem der Landkreis von Aktivitäten des Klägers für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Kenntnis erlangt hatte.

3

Seit August 2003 war der Kläger beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter in der Oberfinanzdirektion K (OFD) tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und anschließend der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) Anwendung.

4

Vor seiner Einstellung hatte das beklagte Land den Kläger schriftlich unter Bezugnahme auf § 8 BAT über seine Pflicht zur Verfassungstreue belehrt. Am 17. Juli 2003 unterzeichnete er eine sich an die Belehrung anschließende vorformulierte Erklärung mit folgendem Inhalt:

        

„Auf Grund dieser Belehrung erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die vorstehenden Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahe und dass ich bereit bin, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten.

        

Ich versichere ausdrücklich, dass ich Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eine ihrer obengenannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstütze und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation bin.

        

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich bei einem Verstoß gegen diese Dienst- und Treuepflichten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen muss.“

5

Seit 2004 war der Kläger im Druck- und Versandzentrum der OFD eingesetzt. Dort war er insbesondere für die Produktionsplanung, -steuerung und -überwachung zuständig. In dem Zentrum werden sämtliche im Zuständigkeitsbereich der OFD anfallenden Bescheide und Schreiben (etwa Steuerbescheide und Beihilfebescheide sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen) mittels elektronisch gesteuerter Druckabläufe erstellt.

6

Mit Schreiben vom 23. August 2007 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz der OFD über „rechtsextremistische Aktivitäten“ des Klägers, die wie folgt beschrieben und als solche unstreitig sind:

        

„…    

        
        

•       

Am 7. August 2007 lädt er mit ‚Newsletter’ vom gleichen Tag zum ‚Sommerfest’ der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands’ (NPD) und deren Jugendorganisation, den ‚Jungen Nationaldemokraten’ (JN) für den 11. August 2007 ein; einem Bericht auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes K zufolge ‚führte L in seiner unnachahmlichen Art eines souveränen Versammlungsleiters unterhaltsam durch das weitere Programm’.

        

•       

Mit ‚Newsletter’ vom 30. Juli 2007 weist L auf den ‚Nationalen Stammtisch’ des NPD-Kreisverbands K hin.

        

•       

Zum 17. Juni 2007 lädt er mittels ‚Newsletter’ zu einer Schulungsveranstaltung des NPD-Kreisverbands K nach B ein.

        

•       

Einer Meldung des Polizeipräsidiums K zufolge gab er sich als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN am 9. Juni 2007 in B zu erkennen.

                 

Über einen ‚Newsletter’ verbreitete er die Einladung zu der Veranstaltung.

        

•       

Am 8. Mai 2007 nahm L an einer Mahnwache: ‚Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges’ in K teil. Hauptredner auf der Veranstaltung war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende D. Dieser thematisierte unter anderem den Prozess in M gegen den Revisionisten Z und lobte den Revisionismusgedanken, der zur Selbstfindung des deutschen Volkes unerlässlich sei. (…).

        

•       

Über die Jahreshauptversammlung des NPD-Regionalverbandes K am 25. März 2007 verschickte L per ‚Newsletter’ im Vorfeld einen Hinweis.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 erteilte das beklagte Land dem Kläger nach vorheriger Anhörung eine Abmahnung. Es hielt ihm vor, die Erklärung zur Verfassungstreue unterschrieben zu haben, ohne auf die Nichtverlängerung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis K und die dafür ursächlichen Aktivitäten hingewiesen zu haben. Durch diese „Fehlinformationen“ und sein öffentliches Auftreten für eine „als verfassungsfeindlich eingestufte Partei wie die NPD“ habe er grob gegen seine „tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue“ verstoßen. Für den Fall anhaltender Aktivitäten für verfassungsfeindliche Organisationen müsse er mit einer fristlosen Kündigung rechnen.

8

Am 18. November 2007, dem Volkstrauertag, nahm der Kläger an einer von der NPD abgehaltenen Gedenkveranstaltung am Ehrenmal „P“ auf dem Gebiet der Gemeinde R teil. Dabei handelt es sich um ein von der Gemeinde errichtetes Steinkreuz zur Erinnerung an die dort beigesetzten deutschen und französischen Soldaten, die im April 1945 vor Ort gefallen sind. Mit Schreiben vom 17. April 2008, bei der OFD eingegangen am 25. April 2008, berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz auch über diese Aktivität.

9

Nach Beteiligung des Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 8. Mai 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 23. September 2008 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, es fehle an Anfechtungs- und Kündigungsgründen. Er habe sich zu jeder Zeit und unmissverständlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Seine politischen Aktivitäten stünden auf dem Boden des Grundgesetzes, zumal weder die NPD noch ihre Jugendorganisation verboten seien. Sollten sich einzelne Parteimitglieder in verfassungsfeindlicher Weise geäußert haben, sei dies nicht der Partei als Ganzer zuzurechnen. Neonazistisches Gedankengut lehne er strikt ab.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen, das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 4. November 2004 geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei berechtigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung fristlos und allemal fristgemäß aufgelöst worden. Der Kläger habe es durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt. Er sei, wie sich erst nach der Kündigung vom 8. Mai 2008 herausgestellt habe, aufgrund eines mit dem Personalverantwortlichen des Landkreises K geführten Gesprächs über die Gründe der Nichtverlängerung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses genau informiert gewesen. Er habe somit bewusst eine unrichtige Erklärung zu seiner Verfassungstreue abgegeben. Jedenfalls habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, seine Aktivitäten für die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte NPD bzw. JN zu offenbaren. Die Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der Abmahnung erneut seine tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue verletzt und sich durch seine Aktivitäten für die NPD, deren Mitglied er sei, für die ihm übertragene Tätigkeit als ungeeignet erwiesen. Er habe sich die verfassungsfeindlichen Ziele der NPD zu eigen gemacht, diffamiere den Staat und seine Organe in aller Öffentlichkeit und bringe seinen Willen zum Ausdruck, ihn zu bekämpfen. Nach der Kündigung habe er seine verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgesetzt. Am 25. Juli 2008 habe er - unstreitig - anlässlich des Todes eines Rechtsextremisten einen Gedenkbrief versandt. Am Volkstrauertag 2008 sei er erneut bei der Veranstaltung der NPD am Ehrenmal „P“ aufgetreten, nunmehr als verantwortlicher Versammlungsleiter. Sein Verhalten beschädige das Ansehen der Finanzverwaltung und beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in deren rechtsstaatliches Handeln.

13

Das Arbeitsgericht hat die Anfechtung und die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Im Übrigen hat es sie abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stattgegeben. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

15

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Kündigungsschutzantrag. Mit dem erstinstanzlich - als unzulässig - abgewiesenen allgemeinen Feststellungsantrag hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst. Es hat die Berufung des Klägers, die sich mit der Abweisung dieses Antrags nicht auseinandersetzt, stillschweigend dahin ausgelegt, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde. Soweit es den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

16

B. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Seine Entscheidung, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung vom 23. September 2008 noch durch die Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

I. Der Gegenstand der Kündigungsschutzklage umfasst zugleich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der Anfechtung beendet worden ist.

18

1. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG(iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die fragliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Klage kann daher nur Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis noch bestand (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13; 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85). Dementsprechend ist Gegenstand der Kündigungsschutzklage auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. - im Fall der ordentlichen Kündigung - des Ablaufs der Kündigungsfrist bestand (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 16 f., BAGE 118, 95; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Ist dies nicht der Fall, kann ein der Klage stattgebendes Urteil nicht ergehen, vielmehr ist die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

19

2. Danach hängt hier der Erfolg der Kündigungsschutzklage (auch) von der Berechtigung der Anfechtung ab. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung erst mit Schriftsatz vom 23. September 2008 und damit nach Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung erklärt wurde. Zwar wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung grundsätzlich nur „ex nunc“ (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV der Gründe, BAGE 41, 54). Im Streitfall wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien aber bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung faktisch außer Funktion gesetzt. Unter solchen Umständen besteht kein Grund, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB, die der wirksamen Anfechtung grundsätzlich rückwirkende Kraft beilegt, einschränkend anzuwenden. Die Anfechtung wirkt vielmehr auf den Zeitpunkt der faktischen „Außerfunktionssetzung“ zurück, selbst wenn diese ihrerseits auf einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung beruhen sollte (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV 3 a der Gründe, aaO).

20

II. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung über die Wirksamkeit von Anfechtung und Kündigung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und einem auf diese bezogenen Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung zugrunde gelegt.

21

1. Danach kommt bei politischer Betätigung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation, insbesondere bei einem Eintreten für deren verfassungsfeindliche Ziele eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Das gilt unabhängig davon, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG festgestellt wurde. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu B II der Gründe, BVerfGE 39, 334; BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu IV der Gründe, BAGE 28, 62; zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vgl. BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - NJW 2005, 85).

22

2. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

23

3. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 63, 72; 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, aaO).

24

4. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind ua. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L(zuvor: § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT) festgelegt.

25

a) Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat der Kläger zudem im Zusammenhang mit seiner Einstellung abgegeben.

26

b) Allerdings können weder die auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT abgegebene Erklärung des Klägers vom 17. Juli 2003, noch die mit § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT wörtlich übereinstimmende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten des beklagten Landes ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt(grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

27

aa) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).

28

bb) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG)- unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).

29

cc) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.

30

Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10).

31

Aber auch für Beschäftigte, an deren Verfassungstreue wegen ihrer Tätigkeit - etwa als Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter - die gleichen oder zumindest ähnliche Anforderungen zu stellen sind wie an die von in vergleichbarer Stellung beschäftigten Beamten, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig noch nicht ausreichen. Anders als bei der Einstellung, für deren Unterbleiben es grundsätzlich genügt, dass allgemeine Zweifel an der Verfassungstreue begründet sind (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12), obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, derartige Zweifel durch bestimmte, auf den Arbeitnehmer und seinen Aufgabenbereich bezogene Umstände zu konkretisieren und so zu verstärken. Aufschlussreich kann insoweit das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers sein, wenn es über die Verfolgung verfassungskonformer Ziele der betreffenden Organisation hinausgeht. Von Bedeutung kann auch das persönliche Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers und das Fehlen der Bereitschaft sein, sich von verfassungsfeindlichen Zielen der Organisation, der er angehört oder für die er eintritt, zu distanzieren (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 63, 72).

32

5. Das Maß der politischen Treuepflicht hat zugleich Einfluss auf das Erkundigungs-/Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung.

33

a) Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass die falsche Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen kann(zur Frage nach früherer MfS-Tätigkeit BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341).

34

b) Auch wenn zu den Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG die Verfassungstreue zählt, sind darauf bezogene Fragen nur zulässig, soweit die vorgesehene Funktion dies erfordert und rechtfertigt(vgl. BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 b und 2 a der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - BAGE 28, 62; 1. Oktober 1986 - 7 AZR 383/85 - BAGE 53, 137; Conze Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers und Offenbarungspflicht des Bewerbers bei der Vertragsanbahnung ZTR 1991, 99, 106 mwN). Die Frage muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Er muss die Zulässigkeit der Frage beurteilen können (BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341). Wenn politische Einstellungen den Arbeitnehmer bei funktionsbezogener Betrachtung nicht - auch für ihn erkennbar - an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hindern, besteht keine Pflicht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Parteimitgliedschaften oder Organisationszugehörigkeiten ungefragt zu offenbaren.

35

6. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

36

a) Sie haben in der Literatur verbreitet Zustimmung erfahren (vgl. Sponer/Steinherr TV-L (2008) § 3 Rn. 55; Polzer/Powietzka NZA 2000, 970, 974 f.; jeweils mwN; mit Einschränkungen: Fleig DÖD 1999, 217) und stimmen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein (vgl. BVerwG 19. Januar 1989 - 7 C 89/87 - BVerwGE 81, 212; OVG Lüneburg 12. Dezember 2007 - 17 LP 4/06 - PersR 2008, 324).

37

b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anerkannt, dass ein demokratischer Staat das Recht hat, von seinen Bediensteten - jedenfalls in Abhängigkeit von ihrer Funktion - ein Bekenntnis zu zentralen Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen der Staat beruht. Es seien - so der Gerichtshof - auch die Erfahrungen Deutschlands während der Weimarer Zeit und der anschließenden Phase bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 sowie die Bestrebung zu berücksichtigen, die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer „wehrhaften Demokratie“ aufzubauen (EGMR 22. November 2001 - 39799/98 [Volkmer/Deutschland] - zu 1. der Gründe, NJW 2002, 3087; 26. September 1993 - 7/1994/454/535 [Vogt/Deutschland] - Rn. 51, 59 ff., NJW 1996, 375).

38

c) Die angeführten Grundsätze tragen den Diskriminierungsverboten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung (vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dabei kann unterstellt werden, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei oder das Eintreten für deren Ziele das in § 1 AGG genannte Diskriminierungsmerkmal der „Weltanschauung“ betrifft(dazu einerseits Annuß BB 2005, 1629, 1631; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172 f.; andererseits BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - zu 3 c ee der Gründe, NJW 2005, 85). Durch die funktionsbezogene Betrachtung ist hinreichend sichergestellt, dass ein Eignungsmangel des Bewerbers nur bejaht wird, wenn die von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geforderte Verfassungstreue eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstellt.

39

III. Ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen ist die Kündigungsschutzklage nicht deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung des beklagten Landes aufgelöst worden wäre. Ein Anfechtungsgrund liegt auch bei Verfassungsfeindlichkeit der NPD und/oder ihrer Jugendorganisation nicht vor.

40

1. Die Anfechtung war trotz vorangegangener Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe , AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5 ). Das beklagte Land hat sein Anfechtungsrecht nicht durch die fristlose Kündigung „verbraucht“. Es stützt Anfechtung und Kündigung im Übrigen auf unterschiedliche Sachverhalte. Ausschließlich zur Begründung der Anfechtung macht es geltend, der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Einstellung über Aktivitäten für die als verfassungsfeindlich eingestufte NPD arglistig getäuscht, wobei es von den die Arglist begründenden Tatsachen erst nach der Kündigung hinreichend Kenntnis erlangt habe.

41

2. Der in Rede stehende Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Subjektive Werturteile genügen nicht (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war.

42

a) Wird der (spätere) Arbeitnehmer zulässigerweise nach bestimmten Tatsachen befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht bestand. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder aus sonstigen Gründen für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 345/98 - zu B II 2 der Gründe; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe).

43

b) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Dienstherrn entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

44

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es jedenfalls an der erforderlichen Arglist des Klägers, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

45

a) Ist die - vorformulierte - Erklärung vom 17. Juli 2003 zugleich als Antwort auf Frage(n) zur Verfassungstreue des Bewerbers zu verstehen, bestehen Bedenken an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Die der Erklärung vorangestellte Belehrung nimmt auf die in den Landesgesetzen normierte Pflicht zur Verfassungstreue für Beamte (§ 70 Abs. 2 LBG) und Richter (§ 8 LRiG) Bezug und verweist darauf, dass sich „die gleichen politischen Treuepflichten“ für Angestellte aus § 8 BAT ergäben. Der Belehrung folgt ein umfassendes Bekenntnis des Stellenbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Erklärung seiner Bereitschaft, für deren Erhaltung einzutreten. Dem Bewerber wird dagegen nicht verdeutlicht, dass funktionsbezogen durchaus geringere Anforderungen an die Verfassungstreue bestehen können.

46

b) Zudem verlangt das beklagte Land mit der erbetenen Erklärung von dem Bewerber, eine eigene Beurteilung dessen, was unter „Bestrebungen … gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wann von einem „Unterstützen“ solcher Bestrebungen die Rede sein und wann angenommen werden kann, dass sich eine Organisation gegen diese Grundordnung richtet. Eine ordnungsgemäße Befragung zwecks Feststellung der Verfassungstreue setzt demgegenüber voraus, dass der Bewerber nach konkreten Umständen befragt wird, die gemäß den Anforderungen der ins Auge gefassten Tätigkeit einstellungsrelevant sind. Die allgemeine Frage, ob der Bewerber einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, ist unzulässig. Mit ihr würde vom Bewerber eine Wertung verlangt, die vorzunehmen Sache der einstellenden Behörde ist (BAG 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 b bb der Gründe).

47

c) Eine arglistige Täuschung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der Kläger gleichwohl der Unvereinbarkeit seiner politischen Aktivitäten mit der Pflicht zur Verfassungstreue bewusst gewesen wäre. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

48

aa) Das Fehlen einer Unterrichtung darüber, welche Parteien, Organisationen und Aktivitäten das beklagte Land als verfassungsfeindlich einstuft, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - Einfluss auf den subjektiven Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB haben. Ein Arbeitnehmer, der sich für eine zwar objektiv verfassungsfeindlich, aber nicht verbotene Partei oder Organisation engagiert und aktiv für deren Ziele eintritt, kann subjektiv der Auffassung sein, er bewege sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und setze sich nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein.

49

bb) Davon ist das Landesarbeitsgericht im Streitfall ausgegangen. Es hat angenommen, der Kläger habe aus seiner subjektiven Sicht in seinen Aktivitäten für die NPD/JN keinen Widerspruch zu dem Inhalt seiner Erklärung vom 17. Juli 2003 erblickt. Er berufe sich gerade darauf, dass er sich stets in vollem Umfang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe und weiterhin bekenne, auch nicht Mitglied oder Anhänger einer Partei sei, deren Ziele sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes richteten. Umstände, die den Schluss zuließen, dies habe nicht der wahren Überzeugung des Klägers entsprochen, lägen nicht vor.

50

cc) Diese tatrichterliche Würdigung unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände beachtet worden sind. Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie bringt lediglich vor, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend auf die Erfahrungen Bedacht genommen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtverlängerung seines vorhergehenden Arbeitsverhältnisses gesammelt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des beklagten Landes, der Kläger habe gewusst, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verlängert worden sei, berücksichtigt. Daraus ergab sich aber weder, dass sich der Kläger wahrheitswidriger Angaben zu seiner Verfassungstreue bewusst gewesen wäre, noch dass er bewusst einer sich aufdrängenden Offenbarungspflicht zuwider gehandelt hätte. Zum einen ist nicht dargetan, dass der Kläger selbst von der Verfassungsfeindlichkeit der NPD oder ihrer Jugendorganisation überzeugt gewesen wäre oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Zum anderen konnte er, selbst wenn er erkannt haben mag, dass zumindest das beklagte Land die NPD als verfassungsfeindlich einstuft, durchaus subjektiv der Auffassung sein, nicht selbst derartige Ziele zu unterstützen oder sonstwie auf ein aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auszugehen und damit jedenfalls (noch) das für die angestrebte Tätigkeit erforderliche Maß an Verfassungstreue aufzubringen.

51

IV. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es sind nach der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 keine zusätzlichen Umstände eingetreten oder dem beklagten Land erstmals bekannt geworden, die als Verstoß des Klägers gegen seine (einfache) Pflicht zur Verfassungstreue anzusehen wären.

52

1. Es kann dahinstehen, ob die mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz vom 23. August 2007 mitgeteilten Aktivitäten des Klägers einen Kündigungsgrund darstellen. Das beklagte Land hat sie zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht. Es hat sich damit eines etwaigen Kündigungsrechts wegen dieser Sachverhalte begeben, solange nicht neue Verstöße hinzutreten.

53

a) Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208; 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52).

54

b) Das beklagte Land hat dem Kläger mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 für den Fall „anhaltender Aktivitäten für die rechtsextremistische Szene“ eine Kündigung in Aussicht gestellt. Mit dieser Ankündigung hat es stillschweigend erklärt, eben dies aufgrund der aktuell bekannt gewordenen Ereignisse nicht tun zu wollen. Darin liegt ein bewusster Verzicht auf das Recht zur Kündigung.

55

c) Der mit einer Abmahnung verbundene Verzicht auf ein Kündigungsrecht erfasst auch das Recht, aus einem Grund in der Person des Arbeitnehmers zu kündigen, der sich aus dem betreffenden Sachverhalt ergeben mag. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auf steuerbarem Verhalten beruhenden, also behebbaren Eignungsmangel vorhält und ihn insoweit abgemahnt hat, ist es ihm wie nach der Abmahnung pflichtwidrigen Verhaltens verwehrt, zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung ausschließlich den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

56

d) Der Verzicht wird hinfällig, wenn weitere Gründe zu den abgemahnten hinzutreten oder zwar bei Ausspruch der Abmahnung objektiv schon vorlagen, aber erst danach bekannt wurden. Diese können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch unterstützend die bereits abgemahnten Gründe erfasst, sofern sich daraus ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 10. November 1998 - 2 AZR 215/88 - zu II 2 d bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18).

57

2. Danach ist die Kündigung nicht aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

58

a) Den Kläger trifft lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

59

aa) Eine Verpflichtung des Klägers, wie ein Beamter jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht schon aus der Aufgabenstellung der Finanzverwaltung. Auch wenn diese als Eingriffsverwaltung (vgl. bspw. BVerwG 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 - BVerwGE 60, 254) hohe Anforderungen an die Integrität und Loyalität der mit der Erhebung und Beitreibung von Steuern befassten Mitarbeiter stellen muss, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch in ihrem Bereich Funktionen gäbe, die den Einsatz von Beschäftigten mit einem geringeren Maß an Verfassungstreue zuließen.

60

bb) Dem Vorbringen des beklagten Landes lässt sich nicht entnehmen, dass für die Wahrnehmung der dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Der Kläger trägt für die im Druckzentrum erstellten Steuer- oder Beihilfebescheide inhaltlich keine Verantwortung. Seine Aufgabe besteht vornehmlich in der Planung, Steuerung und Überwachung des Druck- und Versandverfahrens. Im Vordergrund steht die Gewährleistung eines technisch reibungslosen Ablaufs der (körperlichen) Herstellung der Bescheide und deren ordnungsgemäße Versendung. Der Umstand, dass der Kläger dabei Zugang zu personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen hat, vermag ein Verlangen nach gesteigerter Loyalität nicht zu begründen. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revision vorgetragen hat, der Kläger habe „umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf höchst sensible Daten und zwar sowohl im Bereich der Großrechner als auch der Produktionsserver“ und habe zudem die Möglichkeit, „Daten und Dokumente bei der Druckaufbereitung selbständig zu bearbeiten“, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es in der Revision nicht mehr gehört werden kann. Auf die Schlüssigkeit des Vortrags kommt es nicht an.

61

b) Unterliegt der Kläger deshalb „nur“ einer sog. einfachen politischen Loyalitätspflicht, verlangt diese von ihm lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1). Ein Verstoß gegen diese „einfache“ Treuepflicht kann nicht schon aus der Mitgliedschaft des Klägers in der NPD und Übernahme bestimmter Funktionen in der Partei abgeleitet werden, die dem beklagten Land nach eigenem Vorbringen erst nach der Abmahnung bekannt geworden sind. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes erneut unterstellt werden, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

62

aa) Ein Arbeitnehmer, dem eine „einfache“ Treuepflicht obliegt, verletzt diese nicht schon dadurch, dass er verfassungsfeindliche Ziele einer Organisation für richtig hält und dies durch eine Mitgliedschaft oder andere Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele der Organisation aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; 12. März 1986 - 7 AZR 469/81 -). Dazu bedarf es der Darlegung konkreter, auf den Arbeitnehmer bezogener Umstände, die geeignet sind, ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei hinreichend zu individualisieren (vgl. BAG 15. Juli 1982 - 2 AZR 887/79 - zu C II 2 d aa der Gründe, BAGE 39, 180).

63

bb) Derartige Umstände hat das beklagte Land - unter Beachtung der sich aus der Abmahnung ergebenden Beschränkungen - nicht dargetan.

64

(1) Die Teilnahme des Klägers an der „Gedenkveranstaltung“ der NPD am 18. November 2007 lässt kein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei erkennen. Zwar sind derartige Gedenkveranstaltungen in der Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenkens“ zu sehen. Die schlichte Teilnahme lässt aber keinen weitergehenden Schluss zu als dass er sich in innerer Übereinstimmung damit befunden haben mag. Dies gilt auch für die Behauptung des beklagten Landes, auf der Versammlung sei die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden. Es hält sich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts, wenn es in einem solchen Verhalten keinen genügenden Anhaltspunkt dafür gesehen hat, der Kläger sei etwa nicht bereit, die deutschen Staatsgrenzen anzuerkennen, und sei bestrebt, diese Grenzen auf verfassungs- und völkerrechtswidrigem Wege zu beseitigen.

65

(2) Soweit sich das beklagte Land auf das Versenden eines „Newsletters“ vom 25. Juli 2008 und weitere, im Anschluss daran entfaltete Aktivitäten beruft, kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit in verfassungsfeindlicher Weise agiert hat. Es handelt sich um Vorgänge, die in die Zeit nach Ausspruch der Kündigung fallen und die zu deren Rechtfertigung nicht herangezogen werden können (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

66

(3) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien verfasste Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2001.

67

(a) Das Landesarbeitsgericht ist, was die Einführung dieses Schreibens in den Rechtsstreit betrifft, von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen ausgegangen. Der Sachverhalt unterliege einem Verwertungsverbot, weil das beklagte Land nicht aufgezeigt habe, dass der Personalrat hierzu erneut beteiligt worden sei. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt habe.

68

(b) Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine Berücksichtigung des Schreibens schon deshalb nicht möglich ist, weil Grundlage der Beurteilung bereits eingetretener oder noch zu erwartender Vertragsverletzungen in erster Linie das Verhalten des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sein muss (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a ee der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls deshalb zutreffend (§ 561 ZPO), weil sich aus dem nachträglich bekannt gewordenen Schreiben kein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender, eigenständiger Kündigungsgrund ergibt.

69

Das beklagte Land hat den Kläger ua. deshalb abgemahnt, weil er sich am 9. Juni 2007 als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN zu erkennen gegeben hat. Bereits in diesem Verhalten kam zum Ausdruck, dass der Kläger hinter den Zielen der JN steht und diese fördern will. Ein damit verbundener Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht erhält nicht deshalb ein größeres oder anderes Gewicht, weil der Kläger bereits vor der Kündigung mit seinem Sprachgebrauch eine Identifikation mit verfassungsfeindlichen Zielen der NPD/JN zum Ausdruck gebracht haben mag.

70

3. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers gerechtfertigt.

71

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine - sowohl von § 626 Abs. 1 BGB als auch § 1 Abs. 2 KSchG vorausgesetzte - konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nicht schon darin liegt, dass der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden durch das innerbetriebliche oder außerdienstliche politische Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt oder konkret gefährdet ist. Erforderlich ist, dass eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 62, 256; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

72

b) Konkrete Beeinträchtigungen hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

73

aa) Es behauptet nicht, der Kläger habe seine politische Einstellung innerhalb der Finanzverwaltung offen vertreten und dadurch die Arbeitsabläufe und/oder den Betriebsfrieden gestört.

74

bb) Ebenso wenig benennt es „greifbare“ Tatsachen, die erkennen ließen, das Verhalten des Klägers beeinträchtige unmittelbar berechtigte Sicherheitsinteressen. Soweit es vorbringt, der Kläger habe vor einem Sommerfest der JN, bei dem er „durch das Programm“ geführt habe, an einer von ihm - dem beklagten Land - angebotenen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen und daraus Nutzen gezogen, waren ihm - dem beklagten Land - die maßgebenden Umstände bereits bei Ausspruch der Abmahnung bekannt.

75

cc) Eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich schließlich nicht aus einem möglichen Ansehensverlust oder einem Verlust des Vertrauens „redlicher Bürger“ in eine rechtsstaatliche Steuerverwaltung. Das beklagte Land hat nicht dargetan, dass die Aktivitäten des Klägers und dessen Stellung als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung bekannt geworden wären und konkrete Wirkungen gezeitigt hätten.

76

V. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Baerbaum    

        

    Bartz    

                 

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch

1.
die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
2.
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder
3.
ähnliche geschäftliche Kontakte.

(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 2. Juni 2009 - 14 Sa 101/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung ihres Arbeitsvertrags und über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1982 geborene Kläger war - nach seiner Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst - befristet bis zum 31. Juli 2002 beim Landkreis K beschäftigt. Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unterblieb, nachdem der Landkreis von Aktivitäten des Klägers für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Kenntnis erlangt hatte.

3

Seit August 2003 war der Kläger beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter in der Oberfinanzdirektion K (OFD) tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und anschließend der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) Anwendung.

4

Vor seiner Einstellung hatte das beklagte Land den Kläger schriftlich unter Bezugnahme auf § 8 BAT über seine Pflicht zur Verfassungstreue belehrt. Am 17. Juli 2003 unterzeichnete er eine sich an die Belehrung anschließende vorformulierte Erklärung mit folgendem Inhalt:

        

„Auf Grund dieser Belehrung erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die vorstehenden Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahe und dass ich bereit bin, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten.

        

Ich versichere ausdrücklich, dass ich Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eine ihrer obengenannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstütze und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation bin.

        

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich bei einem Verstoß gegen diese Dienst- und Treuepflichten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen muss.“

5

Seit 2004 war der Kläger im Druck- und Versandzentrum der OFD eingesetzt. Dort war er insbesondere für die Produktionsplanung, -steuerung und -überwachung zuständig. In dem Zentrum werden sämtliche im Zuständigkeitsbereich der OFD anfallenden Bescheide und Schreiben (etwa Steuerbescheide und Beihilfebescheide sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen) mittels elektronisch gesteuerter Druckabläufe erstellt.

6

Mit Schreiben vom 23. August 2007 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz der OFD über „rechtsextremistische Aktivitäten“ des Klägers, die wie folgt beschrieben und als solche unstreitig sind:

        

„…    

        
        

•       

Am 7. August 2007 lädt er mit ‚Newsletter’ vom gleichen Tag zum ‚Sommerfest’ der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands’ (NPD) und deren Jugendorganisation, den ‚Jungen Nationaldemokraten’ (JN) für den 11. August 2007 ein; einem Bericht auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes K zufolge ‚führte L in seiner unnachahmlichen Art eines souveränen Versammlungsleiters unterhaltsam durch das weitere Programm’.

        

•       

Mit ‚Newsletter’ vom 30. Juli 2007 weist L auf den ‚Nationalen Stammtisch’ des NPD-Kreisverbands K hin.

        

•       

Zum 17. Juni 2007 lädt er mittels ‚Newsletter’ zu einer Schulungsveranstaltung des NPD-Kreisverbands K nach B ein.

        

•       

Einer Meldung des Polizeipräsidiums K zufolge gab er sich als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN am 9. Juni 2007 in B zu erkennen.

                 

Über einen ‚Newsletter’ verbreitete er die Einladung zu der Veranstaltung.

        

•       

Am 8. Mai 2007 nahm L an einer Mahnwache: ‚Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges’ in K teil. Hauptredner auf der Veranstaltung war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende D. Dieser thematisierte unter anderem den Prozess in M gegen den Revisionisten Z und lobte den Revisionismusgedanken, der zur Selbstfindung des deutschen Volkes unerlässlich sei. (…).

        

•       

Über die Jahreshauptversammlung des NPD-Regionalverbandes K am 25. März 2007 verschickte L per ‚Newsletter’ im Vorfeld einen Hinweis.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 erteilte das beklagte Land dem Kläger nach vorheriger Anhörung eine Abmahnung. Es hielt ihm vor, die Erklärung zur Verfassungstreue unterschrieben zu haben, ohne auf die Nichtverlängerung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis K und die dafür ursächlichen Aktivitäten hingewiesen zu haben. Durch diese „Fehlinformationen“ und sein öffentliches Auftreten für eine „als verfassungsfeindlich eingestufte Partei wie die NPD“ habe er grob gegen seine „tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue“ verstoßen. Für den Fall anhaltender Aktivitäten für verfassungsfeindliche Organisationen müsse er mit einer fristlosen Kündigung rechnen.

8

Am 18. November 2007, dem Volkstrauertag, nahm der Kläger an einer von der NPD abgehaltenen Gedenkveranstaltung am Ehrenmal „P“ auf dem Gebiet der Gemeinde R teil. Dabei handelt es sich um ein von der Gemeinde errichtetes Steinkreuz zur Erinnerung an die dort beigesetzten deutschen und französischen Soldaten, die im April 1945 vor Ort gefallen sind. Mit Schreiben vom 17. April 2008, bei der OFD eingegangen am 25. April 2008, berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz auch über diese Aktivität.

9

Nach Beteiligung des Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 8. Mai 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 23. September 2008 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, es fehle an Anfechtungs- und Kündigungsgründen. Er habe sich zu jeder Zeit und unmissverständlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Seine politischen Aktivitäten stünden auf dem Boden des Grundgesetzes, zumal weder die NPD noch ihre Jugendorganisation verboten seien. Sollten sich einzelne Parteimitglieder in verfassungsfeindlicher Weise geäußert haben, sei dies nicht der Partei als Ganzer zuzurechnen. Neonazistisches Gedankengut lehne er strikt ab.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen, das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 4. November 2004 geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei berechtigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung fristlos und allemal fristgemäß aufgelöst worden. Der Kläger habe es durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt. Er sei, wie sich erst nach der Kündigung vom 8. Mai 2008 herausgestellt habe, aufgrund eines mit dem Personalverantwortlichen des Landkreises K geführten Gesprächs über die Gründe der Nichtverlängerung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses genau informiert gewesen. Er habe somit bewusst eine unrichtige Erklärung zu seiner Verfassungstreue abgegeben. Jedenfalls habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, seine Aktivitäten für die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte NPD bzw. JN zu offenbaren. Die Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der Abmahnung erneut seine tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue verletzt und sich durch seine Aktivitäten für die NPD, deren Mitglied er sei, für die ihm übertragene Tätigkeit als ungeeignet erwiesen. Er habe sich die verfassungsfeindlichen Ziele der NPD zu eigen gemacht, diffamiere den Staat und seine Organe in aller Öffentlichkeit und bringe seinen Willen zum Ausdruck, ihn zu bekämpfen. Nach der Kündigung habe er seine verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgesetzt. Am 25. Juli 2008 habe er - unstreitig - anlässlich des Todes eines Rechtsextremisten einen Gedenkbrief versandt. Am Volkstrauertag 2008 sei er erneut bei der Veranstaltung der NPD am Ehrenmal „P“ aufgetreten, nunmehr als verantwortlicher Versammlungsleiter. Sein Verhalten beschädige das Ansehen der Finanzverwaltung und beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in deren rechtsstaatliches Handeln.

13

Das Arbeitsgericht hat die Anfechtung und die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Im Übrigen hat es sie abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stattgegeben. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

15

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Kündigungsschutzantrag. Mit dem erstinstanzlich - als unzulässig - abgewiesenen allgemeinen Feststellungsantrag hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst. Es hat die Berufung des Klägers, die sich mit der Abweisung dieses Antrags nicht auseinandersetzt, stillschweigend dahin ausgelegt, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde. Soweit es den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

16

B. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Seine Entscheidung, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung vom 23. September 2008 noch durch die Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

I. Der Gegenstand der Kündigungsschutzklage umfasst zugleich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der Anfechtung beendet worden ist.

18

1. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG(iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die fragliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Klage kann daher nur Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis noch bestand (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13; 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85). Dementsprechend ist Gegenstand der Kündigungsschutzklage auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. - im Fall der ordentlichen Kündigung - des Ablaufs der Kündigungsfrist bestand (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 16 f., BAGE 118, 95; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Ist dies nicht der Fall, kann ein der Klage stattgebendes Urteil nicht ergehen, vielmehr ist die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

19

2. Danach hängt hier der Erfolg der Kündigungsschutzklage (auch) von der Berechtigung der Anfechtung ab. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung erst mit Schriftsatz vom 23. September 2008 und damit nach Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung erklärt wurde. Zwar wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung grundsätzlich nur „ex nunc“ (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV der Gründe, BAGE 41, 54). Im Streitfall wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien aber bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung faktisch außer Funktion gesetzt. Unter solchen Umständen besteht kein Grund, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB, die der wirksamen Anfechtung grundsätzlich rückwirkende Kraft beilegt, einschränkend anzuwenden. Die Anfechtung wirkt vielmehr auf den Zeitpunkt der faktischen „Außerfunktionssetzung“ zurück, selbst wenn diese ihrerseits auf einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung beruhen sollte (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV 3 a der Gründe, aaO).

20

II. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung über die Wirksamkeit von Anfechtung und Kündigung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und einem auf diese bezogenen Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung zugrunde gelegt.

21

1. Danach kommt bei politischer Betätigung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation, insbesondere bei einem Eintreten für deren verfassungsfeindliche Ziele eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Das gilt unabhängig davon, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG festgestellt wurde. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu B II der Gründe, BVerfGE 39, 334; BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu IV der Gründe, BAGE 28, 62; zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vgl. BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - NJW 2005, 85).

22

2. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

23

3. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 63, 72; 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, aaO).

24

4. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind ua. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L(zuvor: § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT) festgelegt.

25

a) Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat der Kläger zudem im Zusammenhang mit seiner Einstellung abgegeben.

26

b) Allerdings können weder die auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT abgegebene Erklärung des Klägers vom 17. Juli 2003, noch die mit § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT wörtlich übereinstimmende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten des beklagten Landes ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt(grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

27

aa) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).

28

bb) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG)- unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).

29

cc) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.

30

Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10).

31

Aber auch für Beschäftigte, an deren Verfassungstreue wegen ihrer Tätigkeit - etwa als Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter - die gleichen oder zumindest ähnliche Anforderungen zu stellen sind wie an die von in vergleichbarer Stellung beschäftigten Beamten, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig noch nicht ausreichen. Anders als bei der Einstellung, für deren Unterbleiben es grundsätzlich genügt, dass allgemeine Zweifel an der Verfassungstreue begründet sind (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12), obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, derartige Zweifel durch bestimmte, auf den Arbeitnehmer und seinen Aufgabenbereich bezogene Umstände zu konkretisieren und so zu verstärken. Aufschlussreich kann insoweit das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers sein, wenn es über die Verfolgung verfassungskonformer Ziele der betreffenden Organisation hinausgeht. Von Bedeutung kann auch das persönliche Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers und das Fehlen der Bereitschaft sein, sich von verfassungsfeindlichen Zielen der Organisation, der er angehört oder für die er eintritt, zu distanzieren (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 63, 72).

32

5. Das Maß der politischen Treuepflicht hat zugleich Einfluss auf das Erkundigungs-/Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung.

33

a) Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass die falsche Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen kann(zur Frage nach früherer MfS-Tätigkeit BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341).

34

b) Auch wenn zu den Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG die Verfassungstreue zählt, sind darauf bezogene Fragen nur zulässig, soweit die vorgesehene Funktion dies erfordert und rechtfertigt(vgl. BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 b und 2 a der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - BAGE 28, 62; 1. Oktober 1986 - 7 AZR 383/85 - BAGE 53, 137; Conze Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers und Offenbarungspflicht des Bewerbers bei der Vertragsanbahnung ZTR 1991, 99, 106 mwN). Die Frage muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Er muss die Zulässigkeit der Frage beurteilen können (BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341). Wenn politische Einstellungen den Arbeitnehmer bei funktionsbezogener Betrachtung nicht - auch für ihn erkennbar - an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hindern, besteht keine Pflicht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Parteimitgliedschaften oder Organisationszugehörigkeiten ungefragt zu offenbaren.

35

6. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

36

a) Sie haben in der Literatur verbreitet Zustimmung erfahren (vgl. Sponer/Steinherr TV-L (2008) § 3 Rn. 55; Polzer/Powietzka NZA 2000, 970, 974 f.; jeweils mwN; mit Einschränkungen: Fleig DÖD 1999, 217) und stimmen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein (vgl. BVerwG 19. Januar 1989 - 7 C 89/87 - BVerwGE 81, 212; OVG Lüneburg 12. Dezember 2007 - 17 LP 4/06 - PersR 2008, 324).

37

b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anerkannt, dass ein demokratischer Staat das Recht hat, von seinen Bediensteten - jedenfalls in Abhängigkeit von ihrer Funktion - ein Bekenntnis zu zentralen Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen der Staat beruht. Es seien - so der Gerichtshof - auch die Erfahrungen Deutschlands während der Weimarer Zeit und der anschließenden Phase bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 sowie die Bestrebung zu berücksichtigen, die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer „wehrhaften Demokratie“ aufzubauen (EGMR 22. November 2001 - 39799/98 [Volkmer/Deutschland] - zu 1. der Gründe, NJW 2002, 3087; 26. September 1993 - 7/1994/454/535 [Vogt/Deutschland] - Rn. 51, 59 ff., NJW 1996, 375).

38

c) Die angeführten Grundsätze tragen den Diskriminierungsverboten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung (vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dabei kann unterstellt werden, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei oder das Eintreten für deren Ziele das in § 1 AGG genannte Diskriminierungsmerkmal der „Weltanschauung“ betrifft(dazu einerseits Annuß BB 2005, 1629, 1631; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172 f.; andererseits BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - zu 3 c ee der Gründe, NJW 2005, 85). Durch die funktionsbezogene Betrachtung ist hinreichend sichergestellt, dass ein Eignungsmangel des Bewerbers nur bejaht wird, wenn die von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geforderte Verfassungstreue eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstellt.

39

III. Ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen ist die Kündigungsschutzklage nicht deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung des beklagten Landes aufgelöst worden wäre. Ein Anfechtungsgrund liegt auch bei Verfassungsfeindlichkeit der NPD und/oder ihrer Jugendorganisation nicht vor.

40

1. Die Anfechtung war trotz vorangegangener Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe , AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5 ). Das beklagte Land hat sein Anfechtungsrecht nicht durch die fristlose Kündigung „verbraucht“. Es stützt Anfechtung und Kündigung im Übrigen auf unterschiedliche Sachverhalte. Ausschließlich zur Begründung der Anfechtung macht es geltend, der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Einstellung über Aktivitäten für die als verfassungsfeindlich eingestufte NPD arglistig getäuscht, wobei es von den die Arglist begründenden Tatsachen erst nach der Kündigung hinreichend Kenntnis erlangt habe.

41

2. Der in Rede stehende Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Subjektive Werturteile genügen nicht (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war.

42

a) Wird der (spätere) Arbeitnehmer zulässigerweise nach bestimmten Tatsachen befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht bestand. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder aus sonstigen Gründen für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 345/98 - zu B II 2 der Gründe; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe).

43

b) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Dienstherrn entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

44

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es jedenfalls an der erforderlichen Arglist des Klägers, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

45

a) Ist die - vorformulierte - Erklärung vom 17. Juli 2003 zugleich als Antwort auf Frage(n) zur Verfassungstreue des Bewerbers zu verstehen, bestehen Bedenken an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Die der Erklärung vorangestellte Belehrung nimmt auf die in den Landesgesetzen normierte Pflicht zur Verfassungstreue für Beamte (§ 70 Abs. 2 LBG) und Richter (§ 8 LRiG) Bezug und verweist darauf, dass sich „die gleichen politischen Treuepflichten“ für Angestellte aus § 8 BAT ergäben. Der Belehrung folgt ein umfassendes Bekenntnis des Stellenbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Erklärung seiner Bereitschaft, für deren Erhaltung einzutreten. Dem Bewerber wird dagegen nicht verdeutlicht, dass funktionsbezogen durchaus geringere Anforderungen an die Verfassungstreue bestehen können.

46

b) Zudem verlangt das beklagte Land mit der erbetenen Erklärung von dem Bewerber, eine eigene Beurteilung dessen, was unter „Bestrebungen … gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wann von einem „Unterstützen“ solcher Bestrebungen die Rede sein und wann angenommen werden kann, dass sich eine Organisation gegen diese Grundordnung richtet. Eine ordnungsgemäße Befragung zwecks Feststellung der Verfassungstreue setzt demgegenüber voraus, dass der Bewerber nach konkreten Umständen befragt wird, die gemäß den Anforderungen der ins Auge gefassten Tätigkeit einstellungsrelevant sind. Die allgemeine Frage, ob der Bewerber einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, ist unzulässig. Mit ihr würde vom Bewerber eine Wertung verlangt, die vorzunehmen Sache der einstellenden Behörde ist (BAG 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 b bb der Gründe).

47

c) Eine arglistige Täuschung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der Kläger gleichwohl der Unvereinbarkeit seiner politischen Aktivitäten mit der Pflicht zur Verfassungstreue bewusst gewesen wäre. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

48

aa) Das Fehlen einer Unterrichtung darüber, welche Parteien, Organisationen und Aktivitäten das beklagte Land als verfassungsfeindlich einstuft, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - Einfluss auf den subjektiven Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB haben. Ein Arbeitnehmer, der sich für eine zwar objektiv verfassungsfeindlich, aber nicht verbotene Partei oder Organisation engagiert und aktiv für deren Ziele eintritt, kann subjektiv der Auffassung sein, er bewege sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und setze sich nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein.

49

bb) Davon ist das Landesarbeitsgericht im Streitfall ausgegangen. Es hat angenommen, der Kläger habe aus seiner subjektiven Sicht in seinen Aktivitäten für die NPD/JN keinen Widerspruch zu dem Inhalt seiner Erklärung vom 17. Juli 2003 erblickt. Er berufe sich gerade darauf, dass er sich stets in vollem Umfang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe und weiterhin bekenne, auch nicht Mitglied oder Anhänger einer Partei sei, deren Ziele sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes richteten. Umstände, die den Schluss zuließen, dies habe nicht der wahren Überzeugung des Klägers entsprochen, lägen nicht vor.

50

cc) Diese tatrichterliche Würdigung unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände beachtet worden sind. Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie bringt lediglich vor, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend auf die Erfahrungen Bedacht genommen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtverlängerung seines vorhergehenden Arbeitsverhältnisses gesammelt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des beklagten Landes, der Kläger habe gewusst, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verlängert worden sei, berücksichtigt. Daraus ergab sich aber weder, dass sich der Kläger wahrheitswidriger Angaben zu seiner Verfassungstreue bewusst gewesen wäre, noch dass er bewusst einer sich aufdrängenden Offenbarungspflicht zuwider gehandelt hätte. Zum einen ist nicht dargetan, dass der Kläger selbst von der Verfassungsfeindlichkeit der NPD oder ihrer Jugendorganisation überzeugt gewesen wäre oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Zum anderen konnte er, selbst wenn er erkannt haben mag, dass zumindest das beklagte Land die NPD als verfassungsfeindlich einstuft, durchaus subjektiv der Auffassung sein, nicht selbst derartige Ziele zu unterstützen oder sonstwie auf ein aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auszugehen und damit jedenfalls (noch) das für die angestrebte Tätigkeit erforderliche Maß an Verfassungstreue aufzubringen.

51

IV. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es sind nach der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 keine zusätzlichen Umstände eingetreten oder dem beklagten Land erstmals bekannt geworden, die als Verstoß des Klägers gegen seine (einfache) Pflicht zur Verfassungstreue anzusehen wären.

52

1. Es kann dahinstehen, ob die mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz vom 23. August 2007 mitgeteilten Aktivitäten des Klägers einen Kündigungsgrund darstellen. Das beklagte Land hat sie zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht. Es hat sich damit eines etwaigen Kündigungsrechts wegen dieser Sachverhalte begeben, solange nicht neue Verstöße hinzutreten.

53

a) Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208; 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52).

54

b) Das beklagte Land hat dem Kläger mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 für den Fall „anhaltender Aktivitäten für die rechtsextremistische Szene“ eine Kündigung in Aussicht gestellt. Mit dieser Ankündigung hat es stillschweigend erklärt, eben dies aufgrund der aktuell bekannt gewordenen Ereignisse nicht tun zu wollen. Darin liegt ein bewusster Verzicht auf das Recht zur Kündigung.

55

c) Der mit einer Abmahnung verbundene Verzicht auf ein Kündigungsrecht erfasst auch das Recht, aus einem Grund in der Person des Arbeitnehmers zu kündigen, der sich aus dem betreffenden Sachverhalt ergeben mag. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auf steuerbarem Verhalten beruhenden, also behebbaren Eignungsmangel vorhält und ihn insoweit abgemahnt hat, ist es ihm wie nach der Abmahnung pflichtwidrigen Verhaltens verwehrt, zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung ausschließlich den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

56

d) Der Verzicht wird hinfällig, wenn weitere Gründe zu den abgemahnten hinzutreten oder zwar bei Ausspruch der Abmahnung objektiv schon vorlagen, aber erst danach bekannt wurden. Diese können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch unterstützend die bereits abgemahnten Gründe erfasst, sofern sich daraus ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 10. November 1998 - 2 AZR 215/88 - zu II 2 d bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18).

57

2. Danach ist die Kündigung nicht aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

58

a) Den Kläger trifft lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

59

aa) Eine Verpflichtung des Klägers, wie ein Beamter jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht schon aus der Aufgabenstellung der Finanzverwaltung. Auch wenn diese als Eingriffsverwaltung (vgl. bspw. BVerwG 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 - BVerwGE 60, 254) hohe Anforderungen an die Integrität und Loyalität der mit der Erhebung und Beitreibung von Steuern befassten Mitarbeiter stellen muss, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch in ihrem Bereich Funktionen gäbe, die den Einsatz von Beschäftigten mit einem geringeren Maß an Verfassungstreue zuließen.

60

bb) Dem Vorbringen des beklagten Landes lässt sich nicht entnehmen, dass für die Wahrnehmung der dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Der Kläger trägt für die im Druckzentrum erstellten Steuer- oder Beihilfebescheide inhaltlich keine Verantwortung. Seine Aufgabe besteht vornehmlich in der Planung, Steuerung und Überwachung des Druck- und Versandverfahrens. Im Vordergrund steht die Gewährleistung eines technisch reibungslosen Ablaufs der (körperlichen) Herstellung der Bescheide und deren ordnungsgemäße Versendung. Der Umstand, dass der Kläger dabei Zugang zu personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen hat, vermag ein Verlangen nach gesteigerter Loyalität nicht zu begründen. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revision vorgetragen hat, der Kläger habe „umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf höchst sensible Daten und zwar sowohl im Bereich der Großrechner als auch der Produktionsserver“ und habe zudem die Möglichkeit, „Daten und Dokumente bei der Druckaufbereitung selbständig zu bearbeiten“, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es in der Revision nicht mehr gehört werden kann. Auf die Schlüssigkeit des Vortrags kommt es nicht an.

61

b) Unterliegt der Kläger deshalb „nur“ einer sog. einfachen politischen Loyalitätspflicht, verlangt diese von ihm lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1). Ein Verstoß gegen diese „einfache“ Treuepflicht kann nicht schon aus der Mitgliedschaft des Klägers in der NPD und Übernahme bestimmter Funktionen in der Partei abgeleitet werden, die dem beklagten Land nach eigenem Vorbringen erst nach der Abmahnung bekannt geworden sind. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes erneut unterstellt werden, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

62

aa) Ein Arbeitnehmer, dem eine „einfache“ Treuepflicht obliegt, verletzt diese nicht schon dadurch, dass er verfassungsfeindliche Ziele einer Organisation für richtig hält und dies durch eine Mitgliedschaft oder andere Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele der Organisation aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; 12. März 1986 - 7 AZR 469/81 -). Dazu bedarf es der Darlegung konkreter, auf den Arbeitnehmer bezogener Umstände, die geeignet sind, ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei hinreichend zu individualisieren (vgl. BAG 15. Juli 1982 - 2 AZR 887/79 - zu C II 2 d aa der Gründe, BAGE 39, 180).

63

bb) Derartige Umstände hat das beklagte Land - unter Beachtung der sich aus der Abmahnung ergebenden Beschränkungen - nicht dargetan.

64

(1) Die Teilnahme des Klägers an der „Gedenkveranstaltung“ der NPD am 18. November 2007 lässt kein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei erkennen. Zwar sind derartige Gedenkveranstaltungen in der Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenkens“ zu sehen. Die schlichte Teilnahme lässt aber keinen weitergehenden Schluss zu als dass er sich in innerer Übereinstimmung damit befunden haben mag. Dies gilt auch für die Behauptung des beklagten Landes, auf der Versammlung sei die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden. Es hält sich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts, wenn es in einem solchen Verhalten keinen genügenden Anhaltspunkt dafür gesehen hat, der Kläger sei etwa nicht bereit, die deutschen Staatsgrenzen anzuerkennen, und sei bestrebt, diese Grenzen auf verfassungs- und völkerrechtswidrigem Wege zu beseitigen.

65

(2) Soweit sich das beklagte Land auf das Versenden eines „Newsletters“ vom 25. Juli 2008 und weitere, im Anschluss daran entfaltete Aktivitäten beruft, kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit in verfassungsfeindlicher Weise agiert hat. Es handelt sich um Vorgänge, die in die Zeit nach Ausspruch der Kündigung fallen und die zu deren Rechtfertigung nicht herangezogen werden können (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

66

(3) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien verfasste Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2001.

67

(a) Das Landesarbeitsgericht ist, was die Einführung dieses Schreibens in den Rechtsstreit betrifft, von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen ausgegangen. Der Sachverhalt unterliege einem Verwertungsverbot, weil das beklagte Land nicht aufgezeigt habe, dass der Personalrat hierzu erneut beteiligt worden sei. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt habe.

68

(b) Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine Berücksichtigung des Schreibens schon deshalb nicht möglich ist, weil Grundlage der Beurteilung bereits eingetretener oder noch zu erwartender Vertragsverletzungen in erster Linie das Verhalten des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sein muss (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a ee der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls deshalb zutreffend (§ 561 ZPO), weil sich aus dem nachträglich bekannt gewordenen Schreiben kein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender, eigenständiger Kündigungsgrund ergibt.

69

Das beklagte Land hat den Kläger ua. deshalb abgemahnt, weil er sich am 9. Juni 2007 als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN zu erkennen gegeben hat. Bereits in diesem Verhalten kam zum Ausdruck, dass der Kläger hinter den Zielen der JN steht und diese fördern will. Ein damit verbundener Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht erhält nicht deshalb ein größeres oder anderes Gewicht, weil der Kläger bereits vor der Kündigung mit seinem Sprachgebrauch eine Identifikation mit verfassungsfeindlichen Zielen der NPD/JN zum Ausdruck gebracht haben mag.

70

3. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers gerechtfertigt.

71

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine - sowohl von § 626 Abs. 1 BGB als auch § 1 Abs. 2 KSchG vorausgesetzte - konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nicht schon darin liegt, dass der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden durch das innerbetriebliche oder außerdienstliche politische Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt oder konkret gefährdet ist. Erforderlich ist, dass eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 62, 256; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

72

b) Konkrete Beeinträchtigungen hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

73

aa) Es behauptet nicht, der Kläger habe seine politische Einstellung innerhalb der Finanzverwaltung offen vertreten und dadurch die Arbeitsabläufe und/oder den Betriebsfrieden gestört.

74

bb) Ebenso wenig benennt es „greifbare“ Tatsachen, die erkennen ließen, das Verhalten des Klägers beeinträchtige unmittelbar berechtigte Sicherheitsinteressen. Soweit es vorbringt, der Kläger habe vor einem Sommerfest der JN, bei dem er „durch das Programm“ geführt habe, an einer von ihm - dem beklagten Land - angebotenen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen und daraus Nutzen gezogen, waren ihm - dem beklagten Land - die maßgebenden Umstände bereits bei Ausspruch der Abmahnung bekannt.

75

cc) Eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich schließlich nicht aus einem möglichen Ansehensverlust oder einem Verlust des Vertrauens „redlicher Bürger“ in eine rechtsstaatliche Steuerverwaltung. Das beklagte Land hat nicht dargetan, dass die Aktivitäten des Klägers und dessen Stellung als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung bekannt geworden wären und konkrete Wirkungen gezeitigt hätten.

76

V. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Baerbaum    

        

    Bartz    

                 

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

Das Gericht kann über eine streitige Tatsache auch die beweispflichtige Partei vernehmen, wenn eine Partei es beantragt und die andere damit einverstanden ist.

Auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast kann das Gericht, wenn das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen, die Vernehmung einer Partei oder beider Parteien über die Tatsache anordnen.

Das Gericht kann über eine streitige Tatsache auch die beweispflichtige Partei vernehmen, wenn eine Partei es beantragt und die andere damit einverstanden ist.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 2. Juni 2009 - 14 Sa 101/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung ihres Arbeitsvertrags und über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1982 geborene Kläger war - nach seiner Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst - befristet bis zum 31. Juli 2002 beim Landkreis K beschäftigt. Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unterblieb, nachdem der Landkreis von Aktivitäten des Klägers für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Kenntnis erlangt hatte.

3

Seit August 2003 war der Kläger beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter in der Oberfinanzdirektion K (OFD) tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und anschließend der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) Anwendung.

4

Vor seiner Einstellung hatte das beklagte Land den Kläger schriftlich unter Bezugnahme auf § 8 BAT über seine Pflicht zur Verfassungstreue belehrt. Am 17. Juli 2003 unterzeichnete er eine sich an die Belehrung anschließende vorformulierte Erklärung mit folgendem Inhalt:

        

„Auf Grund dieser Belehrung erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die vorstehenden Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahe und dass ich bereit bin, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten.

        

Ich versichere ausdrücklich, dass ich Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eine ihrer obengenannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstütze und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation bin.

        

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich bei einem Verstoß gegen diese Dienst- und Treuepflichten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen muss.“

5

Seit 2004 war der Kläger im Druck- und Versandzentrum der OFD eingesetzt. Dort war er insbesondere für die Produktionsplanung, -steuerung und -überwachung zuständig. In dem Zentrum werden sämtliche im Zuständigkeitsbereich der OFD anfallenden Bescheide und Schreiben (etwa Steuerbescheide und Beihilfebescheide sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen) mittels elektronisch gesteuerter Druckabläufe erstellt.

6

Mit Schreiben vom 23. August 2007 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz der OFD über „rechtsextremistische Aktivitäten“ des Klägers, die wie folgt beschrieben und als solche unstreitig sind:

        

„…    

        
        

•       

Am 7. August 2007 lädt er mit ‚Newsletter’ vom gleichen Tag zum ‚Sommerfest’ der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands’ (NPD) und deren Jugendorganisation, den ‚Jungen Nationaldemokraten’ (JN) für den 11. August 2007 ein; einem Bericht auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes K zufolge ‚führte L in seiner unnachahmlichen Art eines souveränen Versammlungsleiters unterhaltsam durch das weitere Programm’.

        

•       

Mit ‚Newsletter’ vom 30. Juli 2007 weist L auf den ‚Nationalen Stammtisch’ des NPD-Kreisverbands K hin.

        

•       

Zum 17. Juni 2007 lädt er mittels ‚Newsletter’ zu einer Schulungsveranstaltung des NPD-Kreisverbands K nach B ein.

        

•       

Einer Meldung des Polizeipräsidiums K zufolge gab er sich als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN am 9. Juni 2007 in B zu erkennen.

                 

Über einen ‚Newsletter’ verbreitete er die Einladung zu der Veranstaltung.

        

•       

Am 8. Mai 2007 nahm L an einer Mahnwache: ‚Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges’ in K teil. Hauptredner auf der Veranstaltung war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende D. Dieser thematisierte unter anderem den Prozess in M gegen den Revisionisten Z und lobte den Revisionismusgedanken, der zur Selbstfindung des deutschen Volkes unerlässlich sei. (…).

        

•       

Über die Jahreshauptversammlung des NPD-Regionalverbandes K am 25. März 2007 verschickte L per ‚Newsletter’ im Vorfeld einen Hinweis.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 erteilte das beklagte Land dem Kläger nach vorheriger Anhörung eine Abmahnung. Es hielt ihm vor, die Erklärung zur Verfassungstreue unterschrieben zu haben, ohne auf die Nichtverlängerung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis K und die dafür ursächlichen Aktivitäten hingewiesen zu haben. Durch diese „Fehlinformationen“ und sein öffentliches Auftreten für eine „als verfassungsfeindlich eingestufte Partei wie die NPD“ habe er grob gegen seine „tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue“ verstoßen. Für den Fall anhaltender Aktivitäten für verfassungsfeindliche Organisationen müsse er mit einer fristlosen Kündigung rechnen.

8

Am 18. November 2007, dem Volkstrauertag, nahm der Kläger an einer von der NPD abgehaltenen Gedenkveranstaltung am Ehrenmal „P“ auf dem Gebiet der Gemeinde R teil. Dabei handelt es sich um ein von der Gemeinde errichtetes Steinkreuz zur Erinnerung an die dort beigesetzten deutschen und französischen Soldaten, die im April 1945 vor Ort gefallen sind. Mit Schreiben vom 17. April 2008, bei der OFD eingegangen am 25. April 2008, berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz auch über diese Aktivität.

9

Nach Beteiligung des Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 8. Mai 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 23. September 2008 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, es fehle an Anfechtungs- und Kündigungsgründen. Er habe sich zu jeder Zeit und unmissverständlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Seine politischen Aktivitäten stünden auf dem Boden des Grundgesetzes, zumal weder die NPD noch ihre Jugendorganisation verboten seien. Sollten sich einzelne Parteimitglieder in verfassungsfeindlicher Weise geäußert haben, sei dies nicht der Partei als Ganzer zuzurechnen. Neonazistisches Gedankengut lehne er strikt ab.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen, das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 4. November 2004 geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei berechtigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung fristlos und allemal fristgemäß aufgelöst worden. Der Kläger habe es durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt. Er sei, wie sich erst nach der Kündigung vom 8. Mai 2008 herausgestellt habe, aufgrund eines mit dem Personalverantwortlichen des Landkreises K geführten Gesprächs über die Gründe der Nichtverlängerung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses genau informiert gewesen. Er habe somit bewusst eine unrichtige Erklärung zu seiner Verfassungstreue abgegeben. Jedenfalls habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, seine Aktivitäten für die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte NPD bzw. JN zu offenbaren. Die Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der Abmahnung erneut seine tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue verletzt und sich durch seine Aktivitäten für die NPD, deren Mitglied er sei, für die ihm übertragene Tätigkeit als ungeeignet erwiesen. Er habe sich die verfassungsfeindlichen Ziele der NPD zu eigen gemacht, diffamiere den Staat und seine Organe in aller Öffentlichkeit und bringe seinen Willen zum Ausdruck, ihn zu bekämpfen. Nach der Kündigung habe er seine verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgesetzt. Am 25. Juli 2008 habe er - unstreitig - anlässlich des Todes eines Rechtsextremisten einen Gedenkbrief versandt. Am Volkstrauertag 2008 sei er erneut bei der Veranstaltung der NPD am Ehrenmal „P“ aufgetreten, nunmehr als verantwortlicher Versammlungsleiter. Sein Verhalten beschädige das Ansehen der Finanzverwaltung und beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in deren rechtsstaatliches Handeln.

13

Das Arbeitsgericht hat die Anfechtung und die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Im Übrigen hat es sie abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stattgegeben. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

15

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Kündigungsschutzantrag. Mit dem erstinstanzlich - als unzulässig - abgewiesenen allgemeinen Feststellungsantrag hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst. Es hat die Berufung des Klägers, die sich mit der Abweisung dieses Antrags nicht auseinandersetzt, stillschweigend dahin ausgelegt, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde. Soweit es den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

16

B. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Seine Entscheidung, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung vom 23. September 2008 noch durch die Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

I. Der Gegenstand der Kündigungsschutzklage umfasst zugleich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der Anfechtung beendet worden ist.

18

1. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG(iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die fragliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Klage kann daher nur Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis noch bestand (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13; 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85). Dementsprechend ist Gegenstand der Kündigungsschutzklage auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. - im Fall der ordentlichen Kündigung - des Ablaufs der Kündigungsfrist bestand (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 16 f., BAGE 118, 95; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Ist dies nicht der Fall, kann ein der Klage stattgebendes Urteil nicht ergehen, vielmehr ist die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

19

2. Danach hängt hier der Erfolg der Kündigungsschutzklage (auch) von der Berechtigung der Anfechtung ab. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung erst mit Schriftsatz vom 23. September 2008 und damit nach Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung erklärt wurde. Zwar wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung grundsätzlich nur „ex nunc“ (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV der Gründe, BAGE 41, 54). Im Streitfall wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien aber bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung faktisch außer Funktion gesetzt. Unter solchen Umständen besteht kein Grund, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB, die der wirksamen Anfechtung grundsätzlich rückwirkende Kraft beilegt, einschränkend anzuwenden. Die Anfechtung wirkt vielmehr auf den Zeitpunkt der faktischen „Außerfunktionssetzung“ zurück, selbst wenn diese ihrerseits auf einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung beruhen sollte (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV 3 a der Gründe, aaO).

20

II. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung über die Wirksamkeit von Anfechtung und Kündigung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und einem auf diese bezogenen Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung zugrunde gelegt.

21

1. Danach kommt bei politischer Betätigung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation, insbesondere bei einem Eintreten für deren verfassungsfeindliche Ziele eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Das gilt unabhängig davon, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG festgestellt wurde. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu B II der Gründe, BVerfGE 39, 334; BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu IV der Gründe, BAGE 28, 62; zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vgl. BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - NJW 2005, 85).

22

2. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

23

3. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 63, 72; 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, aaO).

24

4. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind ua. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L(zuvor: § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT) festgelegt.

25

a) Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat der Kläger zudem im Zusammenhang mit seiner Einstellung abgegeben.

26

b) Allerdings können weder die auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT abgegebene Erklärung des Klägers vom 17. Juli 2003, noch die mit § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT wörtlich übereinstimmende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten des beklagten Landes ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt(grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

27

aa) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).

28

bb) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG)- unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).

29

cc) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.

30

Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10).

31

Aber auch für Beschäftigte, an deren Verfassungstreue wegen ihrer Tätigkeit - etwa als Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter - die gleichen oder zumindest ähnliche Anforderungen zu stellen sind wie an die von in vergleichbarer Stellung beschäftigten Beamten, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig noch nicht ausreichen. Anders als bei der Einstellung, für deren Unterbleiben es grundsätzlich genügt, dass allgemeine Zweifel an der Verfassungstreue begründet sind (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12), obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, derartige Zweifel durch bestimmte, auf den Arbeitnehmer und seinen Aufgabenbereich bezogene Umstände zu konkretisieren und so zu verstärken. Aufschlussreich kann insoweit das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers sein, wenn es über die Verfolgung verfassungskonformer Ziele der betreffenden Organisation hinausgeht. Von Bedeutung kann auch das persönliche Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers und das Fehlen der Bereitschaft sein, sich von verfassungsfeindlichen Zielen der Organisation, der er angehört oder für die er eintritt, zu distanzieren (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 63, 72).

32

5. Das Maß der politischen Treuepflicht hat zugleich Einfluss auf das Erkundigungs-/Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung.

33

a) Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass die falsche Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen kann(zur Frage nach früherer MfS-Tätigkeit BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341).

34

b) Auch wenn zu den Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG die Verfassungstreue zählt, sind darauf bezogene Fragen nur zulässig, soweit die vorgesehene Funktion dies erfordert und rechtfertigt(vgl. BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 b und 2 a der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - BAGE 28, 62; 1. Oktober 1986 - 7 AZR 383/85 - BAGE 53, 137; Conze Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers und Offenbarungspflicht des Bewerbers bei der Vertragsanbahnung ZTR 1991, 99, 106 mwN). Die Frage muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Er muss die Zulässigkeit der Frage beurteilen können (BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341). Wenn politische Einstellungen den Arbeitnehmer bei funktionsbezogener Betrachtung nicht - auch für ihn erkennbar - an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hindern, besteht keine Pflicht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Parteimitgliedschaften oder Organisationszugehörigkeiten ungefragt zu offenbaren.

35

6. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

36

a) Sie haben in der Literatur verbreitet Zustimmung erfahren (vgl. Sponer/Steinherr TV-L (2008) § 3 Rn. 55; Polzer/Powietzka NZA 2000, 970, 974 f.; jeweils mwN; mit Einschränkungen: Fleig DÖD 1999, 217) und stimmen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein (vgl. BVerwG 19. Januar 1989 - 7 C 89/87 - BVerwGE 81, 212; OVG Lüneburg 12. Dezember 2007 - 17 LP 4/06 - PersR 2008, 324).

37

b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anerkannt, dass ein demokratischer Staat das Recht hat, von seinen Bediensteten - jedenfalls in Abhängigkeit von ihrer Funktion - ein Bekenntnis zu zentralen Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen der Staat beruht. Es seien - so der Gerichtshof - auch die Erfahrungen Deutschlands während der Weimarer Zeit und der anschließenden Phase bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 sowie die Bestrebung zu berücksichtigen, die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer „wehrhaften Demokratie“ aufzubauen (EGMR 22. November 2001 - 39799/98 [Volkmer/Deutschland] - zu 1. der Gründe, NJW 2002, 3087; 26. September 1993 - 7/1994/454/535 [Vogt/Deutschland] - Rn. 51, 59 ff., NJW 1996, 375).

38

c) Die angeführten Grundsätze tragen den Diskriminierungsverboten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung (vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dabei kann unterstellt werden, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei oder das Eintreten für deren Ziele das in § 1 AGG genannte Diskriminierungsmerkmal der „Weltanschauung“ betrifft(dazu einerseits Annuß BB 2005, 1629, 1631; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172 f.; andererseits BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - zu 3 c ee der Gründe, NJW 2005, 85). Durch die funktionsbezogene Betrachtung ist hinreichend sichergestellt, dass ein Eignungsmangel des Bewerbers nur bejaht wird, wenn die von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geforderte Verfassungstreue eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstellt.

39

III. Ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen ist die Kündigungsschutzklage nicht deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung des beklagten Landes aufgelöst worden wäre. Ein Anfechtungsgrund liegt auch bei Verfassungsfeindlichkeit der NPD und/oder ihrer Jugendorganisation nicht vor.

40

1. Die Anfechtung war trotz vorangegangener Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe , AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5 ). Das beklagte Land hat sein Anfechtungsrecht nicht durch die fristlose Kündigung „verbraucht“. Es stützt Anfechtung und Kündigung im Übrigen auf unterschiedliche Sachverhalte. Ausschließlich zur Begründung der Anfechtung macht es geltend, der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Einstellung über Aktivitäten für die als verfassungsfeindlich eingestufte NPD arglistig getäuscht, wobei es von den die Arglist begründenden Tatsachen erst nach der Kündigung hinreichend Kenntnis erlangt habe.

41

2. Der in Rede stehende Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Subjektive Werturteile genügen nicht (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war.

42

a) Wird der (spätere) Arbeitnehmer zulässigerweise nach bestimmten Tatsachen befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht bestand. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder aus sonstigen Gründen für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 345/98 - zu B II 2 der Gründe; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe).

43

b) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Dienstherrn entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

44

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es jedenfalls an der erforderlichen Arglist des Klägers, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

45

a) Ist die - vorformulierte - Erklärung vom 17. Juli 2003 zugleich als Antwort auf Frage(n) zur Verfassungstreue des Bewerbers zu verstehen, bestehen Bedenken an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Die der Erklärung vorangestellte Belehrung nimmt auf die in den Landesgesetzen normierte Pflicht zur Verfassungstreue für Beamte (§ 70 Abs. 2 LBG) und Richter (§ 8 LRiG) Bezug und verweist darauf, dass sich „die gleichen politischen Treuepflichten“ für Angestellte aus § 8 BAT ergäben. Der Belehrung folgt ein umfassendes Bekenntnis des Stellenbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Erklärung seiner Bereitschaft, für deren Erhaltung einzutreten. Dem Bewerber wird dagegen nicht verdeutlicht, dass funktionsbezogen durchaus geringere Anforderungen an die Verfassungstreue bestehen können.

46

b) Zudem verlangt das beklagte Land mit der erbetenen Erklärung von dem Bewerber, eine eigene Beurteilung dessen, was unter „Bestrebungen … gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wann von einem „Unterstützen“ solcher Bestrebungen die Rede sein und wann angenommen werden kann, dass sich eine Organisation gegen diese Grundordnung richtet. Eine ordnungsgemäße Befragung zwecks Feststellung der Verfassungstreue setzt demgegenüber voraus, dass der Bewerber nach konkreten Umständen befragt wird, die gemäß den Anforderungen der ins Auge gefassten Tätigkeit einstellungsrelevant sind. Die allgemeine Frage, ob der Bewerber einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, ist unzulässig. Mit ihr würde vom Bewerber eine Wertung verlangt, die vorzunehmen Sache der einstellenden Behörde ist (BAG 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 b bb der Gründe).

47

c) Eine arglistige Täuschung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der Kläger gleichwohl der Unvereinbarkeit seiner politischen Aktivitäten mit der Pflicht zur Verfassungstreue bewusst gewesen wäre. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

48

aa) Das Fehlen einer Unterrichtung darüber, welche Parteien, Organisationen und Aktivitäten das beklagte Land als verfassungsfeindlich einstuft, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - Einfluss auf den subjektiven Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB haben. Ein Arbeitnehmer, der sich für eine zwar objektiv verfassungsfeindlich, aber nicht verbotene Partei oder Organisation engagiert und aktiv für deren Ziele eintritt, kann subjektiv der Auffassung sein, er bewege sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und setze sich nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein.

49

bb) Davon ist das Landesarbeitsgericht im Streitfall ausgegangen. Es hat angenommen, der Kläger habe aus seiner subjektiven Sicht in seinen Aktivitäten für die NPD/JN keinen Widerspruch zu dem Inhalt seiner Erklärung vom 17. Juli 2003 erblickt. Er berufe sich gerade darauf, dass er sich stets in vollem Umfang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe und weiterhin bekenne, auch nicht Mitglied oder Anhänger einer Partei sei, deren Ziele sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes richteten. Umstände, die den Schluss zuließen, dies habe nicht der wahren Überzeugung des Klägers entsprochen, lägen nicht vor.

50

cc) Diese tatrichterliche Würdigung unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände beachtet worden sind. Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie bringt lediglich vor, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend auf die Erfahrungen Bedacht genommen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtverlängerung seines vorhergehenden Arbeitsverhältnisses gesammelt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des beklagten Landes, der Kläger habe gewusst, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verlängert worden sei, berücksichtigt. Daraus ergab sich aber weder, dass sich der Kläger wahrheitswidriger Angaben zu seiner Verfassungstreue bewusst gewesen wäre, noch dass er bewusst einer sich aufdrängenden Offenbarungspflicht zuwider gehandelt hätte. Zum einen ist nicht dargetan, dass der Kläger selbst von der Verfassungsfeindlichkeit der NPD oder ihrer Jugendorganisation überzeugt gewesen wäre oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Zum anderen konnte er, selbst wenn er erkannt haben mag, dass zumindest das beklagte Land die NPD als verfassungsfeindlich einstuft, durchaus subjektiv der Auffassung sein, nicht selbst derartige Ziele zu unterstützen oder sonstwie auf ein aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auszugehen und damit jedenfalls (noch) das für die angestrebte Tätigkeit erforderliche Maß an Verfassungstreue aufzubringen.

51

IV. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es sind nach der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 keine zusätzlichen Umstände eingetreten oder dem beklagten Land erstmals bekannt geworden, die als Verstoß des Klägers gegen seine (einfache) Pflicht zur Verfassungstreue anzusehen wären.

52

1. Es kann dahinstehen, ob die mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz vom 23. August 2007 mitgeteilten Aktivitäten des Klägers einen Kündigungsgrund darstellen. Das beklagte Land hat sie zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht. Es hat sich damit eines etwaigen Kündigungsrechts wegen dieser Sachverhalte begeben, solange nicht neue Verstöße hinzutreten.

53

a) Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208; 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52).

54

b) Das beklagte Land hat dem Kläger mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 für den Fall „anhaltender Aktivitäten für die rechtsextremistische Szene“ eine Kündigung in Aussicht gestellt. Mit dieser Ankündigung hat es stillschweigend erklärt, eben dies aufgrund der aktuell bekannt gewordenen Ereignisse nicht tun zu wollen. Darin liegt ein bewusster Verzicht auf das Recht zur Kündigung.

55

c) Der mit einer Abmahnung verbundene Verzicht auf ein Kündigungsrecht erfasst auch das Recht, aus einem Grund in der Person des Arbeitnehmers zu kündigen, der sich aus dem betreffenden Sachverhalt ergeben mag. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auf steuerbarem Verhalten beruhenden, also behebbaren Eignungsmangel vorhält und ihn insoweit abgemahnt hat, ist es ihm wie nach der Abmahnung pflichtwidrigen Verhaltens verwehrt, zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung ausschließlich den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

56

d) Der Verzicht wird hinfällig, wenn weitere Gründe zu den abgemahnten hinzutreten oder zwar bei Ausspruch der Abmahnung objektiv schon vorlagen, aber erst danach bekannt wurden. Diese können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch unterstützend die bereits abgemahnten Gründe erfasst, sofern sich daraus ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 10. November 1998 - 2 AZR 215/88 - zu II 2 d bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18).

57

2. Danach ist die Kündigung nicht aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

58

a) Den Kläger trifft lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

59

aa) Eine Verpflichtung des Klägers, wie ein Beamter jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht schon aus der Aufgabenstellung der Finanzverwaltung. Auch wenn diese als Eingriffsverwaltung (vgl. bspw. BVerwG 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 - BVerwGE 60, 254) hohe Anforderungen an die Integrität und Loyalität der mit der Erhebung und Beitreibung von Steuern befassten Mitarbeiter stellen muss, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch in ihrem Bereich Funktionen gäbe, die den Einsatz von Beschäftigten mit einem geringeren Maß an Verfassungstreue zuließen.

60

bb) Dem Vorbringen des beklagten Landes lässt sich nicht entnehmen, dass für die Wahrnehmung der dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Der Kläger trägt für die im Druckzentrum erstellten Steuer- oder Beihilfebescheide inhaltlich keine Verantwortung. Seine Aufgabe besteht vornehmlich in der Planung, Steuerung und Überwachung des Druck- und Versandverfahrens. Im Vordergrund steht die Gewährleistung eines technisch reibungslosen Ablaufs der (körperlichen) Herstellung der Bescheide und deren ordnungsgemäße Versendung. Der Umstand, dass der Kläger dabei Zugang zu personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen hat, vermag ein Verlangen nach gesteigerter Loyalität nicht zu begründen. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revision vorgetragen hat, der Kläger habe „umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf höchst sensible Daten und zwar sowohl im Bereich der Großrechner als auch der Produktionsserver“ und habe zudem die Möglichkeit, „Daten und Dokumente bei der Druckaufbereitung selbständig zu bearbeiten“, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es in der Revision nicht mehr gehört werden kann. Auf die Schlüssigkeit des Vortrags kommt es nicht an.

61

b) Unterliegt der Kläger deshalb „nur“ einer sog. einfachen politischen Loyalitätspflicht, verlangt diese von ihm lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1). Ein Verstoß gegen diese „einfache“ Treuepflicht kann nicht schon aus der Mitgliedschaft des Klägers in der NPD und Übernahme bestimmter Funktionen in der Partei abgeleitet werden, die dem beklagten Land nach eigenem Vorbringen erst nach der Abmahnung bekannt geworden sind. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes erneut unterstellt werden, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

62

aa) Ein Arbeitnehmer, dem eine „einfache“ Treuepflicht obliegt, verletzt diese nicht schon dadurch, dass er verfassungsfeindliche Ziele einer Organisation für richtig hält und dies durch eine Mitgliedschaft oder andere Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele der Organisation aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; 12. März 1986 - 7 AZR 469/81 -). Dazu bedarf es der Darlegung konkreter, auf den Arbeitnehmer bezogener Umstände, die geeignet sind, ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei hinreichend zu individualisieren (vgl. BAG 15. Juli 1982 - 2 AZR 887/79 - zu C II 2 d aa der Gründe, BAGE 39, 180).

63

bb) Derartige Umstände hat das beklagte Land - unter Beachtung der sich aus der Abmahnung ergebenden Beschränkungen - nicht dargetan.

64

(1) Die Teilnahme des Klägers an der „Gedenkveranstaltung“ der NPD am 18. November 2007 lässt kein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei erkennen. Zwar sind derartige Gedenkveranstaltungen in der Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenkens“ zu sehen. Die schlichte Teilnahme lässt aber keinen weitergehenden Schluss zu als dass er sich in innerer Übereinstimmung damit befunden haben mag. Dies gilt auch für die Behauptung des beklagten Landes, auf der Versammlung sei die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden. Es hält sich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts, wenn es in einem solchen Verhalten keinen genügenden Anhaltspunkt dafür gesehen hat, der Kläger sei etwa nicht bereit, die deutschen Staatsgrenzen anzuerkennen, und sei bestrebt, diese Grenzen auf verfassungs- und völkerrechtswidrigem Wege zu beseitigen.

65

(2) Soweit sich das beklagte Land auf das Versenden eines „Newsletters“ vom 25. Juli 2008 und weitere, im Anschluss daran entfaltete Aktivitäten beruft, kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit in verfassungsfeindlicher Weise agiert hat. Es handelt sich um Vorgänge, die in die Zeit nach Ausspruch der Kündigung fallen und die zu deren Rechtfertigung nicht herangezogen werden können (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

66

(3) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien verfasste Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2001.

67

(a) Das Landesarbeitsgericht ist, was die Einführung dieses Schreibens in den Rechtsstreit betrifft, von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen ausgegangen. Der Sachverhalt unterliege einem Verwertungsverbot, weil das beklagte Land nicht aufgezeigt habe, dass der Personalrat hierzu erneut beteiligt worden sei. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt habe.

68

(b) Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine Berücksichtigung des Schreibens schon deshalb nicht möglich ist, weil Grundlage der Beurteilung bereits eingetretener oder noch zu erwartender Vertragsverletzungen in erster Linie das Verhalten des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sein muss (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a ee der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls deshalb zutreffend (§ 561 ZPO), weil sich aus dem nachträglich bekannt gewordenen Schreiben kein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender, eigenständiger Kündigungsgrund ergibt.

69

Das beklagte Land hat den Kläger ua. deshalb abgemahnt, weil er sich am 9. Juni 2007 als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN zu erkennen gegeben hat. Bereits in diesem Verhalten kam zum Ausdruck, dass der Kläger hinter den Zielen der JN steht und diese fördern will. Ein damit verbundener Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht erhält nicht deshalb ein größeres oder anderes Gewicht, weil der Kläger bereits vor der Kündigung mit seinem Sprachgebrauch eine Identifikation mit verfassungsfeindlichen Zielen der NPD/JN zum Ausdruck gebracht haben mag.

70

3. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers gerechtfertigt.

71

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine - sowohl von § 626 Abs. 1 BGB als auch § 1 Abs. 2 KSchG vorausgesetzte - konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nicht schon darin liegt, dass der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden durch das innerbetriebliche oder außerdienstliche politische Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt oder konkret gefährdet ist. Erforderlich ist, dass eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 62, 256; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

72

b) Konkrete Beeinträchtigungen hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

73

aa) Es behauptet nicht, der Kläger habe seine politische Einstellung innerhalb der Finanzverwaltung offen vertreten und dadurch die Arbeitsabläufe und/oder den Betriebsfrieden gestört.

74

bb) Ebenso wenig benennt es „greifbare“ Tatsachen, die erkennen ließen, das Verhalten des Klägers beeinträchtige unmittelbar berechtigte Sicherheitsinteressen. Soweit es vorbringt, der Kläger habe vor einem Sommerfest der JN, bei dem er „durch das Programm“ geführt habe, an einer von ihm - dem beklagten Land - angebotenen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen und daraus Nutzen gezogen, waren ihm - dem beklagten Land - die maßgebenden Umstände bereits bei Ausspruch der Abmahnung bekannt.

75

cc) Eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich schließlich nicht aus einem möglichen Ansehensverlust oder einem Verlust des Vertrauens „redlicher Bürger“ in eine rechtsstaatliche Steuerverwaltung. Das beklagte Land hat nicht dargetan, dass die Aktivitäten des Klägers und dessen Stellung als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung bekannt geworden wären und konkrete Wirkungen gezeitigt hätten.

76

V. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Baerbaum    

        

    Bartz    

                 

Auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast kann das Gericht, wenn das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen, die Vernehmung einer Partei oder beider Parteien über die Tatsache anordnen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 4. November 2011 - 3 Sa 541/11 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seiner Klageanträge zu VI und VII zurückgewiesen hat.

Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren nur noch darüber, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Entschädigungs-, ein Schmerzensgeld- und ein Schadensersatzanspruch zusteht. Der Kläger war seit 16. Oktober 2000 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als „System Support Programmer/Analyst“. Ab 15. Oktober 2010 wurde der Kläger von der Arbeit freigestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde nachfolgend durch die Beklagte außerordentlich und ordentlich gekündigt. Über die Wirksamkeit dieser Kündigungen war vor dem Arbeitsgericht München ein Kündigungsrechtsstreit anhängig.

2

Neben anderen Ansprüchen hat der Kläger auch geltend gemacht, er sei schikanösem und diskriminierendem Verhalten seines Vorgesetzten S ausgesetzt gewesen. So habe dieser ihn am 28. Mai 2008 aufgefordert, er solle nicht „krank feiern“. Am 3. Juli 2008 habe der Vorgesetzte ihm erklärt, er passe möglicherweise nicht ins Team und einen Tag später, der Kläger werde niemals eine Beförderung erhalten, solange er sein Vorgesetzter sei. Weiter habe der Vorgesetzte geäußert, der Kläger solle von zu Hause aus arbeiten, wenn er sich krank fühle (am 24. September 2008), der Kläger habe mit schmerzlichen Folgen zu rechnen, falls er Elternzeit nehme (am 8. Mai 2009), er (der Vorgesetzte) werde das Arbeitsleben des Klägers „horrible“ machen, wenn er nicht mache, was der Vorgesetzte wolle (am 7. Dezember 2009) und der Kläger arbeite nicht hart, weil er nicht gestresst aussehe (am 2. März 2010). Für die Richtigkeit dieser von der Beklagten bestrittenen Äußerungen des Vorgesetzten S hat der Kläger als Beweis „klägerische Parteieinvernahme“ angeboten.

3

Der Kläger trägt vor, wegen dieser und anderer Mobbinghandlungen sei er ab 25. September 2008 wegen eines depressiven Syndroms mit vordergründiger Störung der Vitalfunktionen und ausgeprägter Schlafstörungen sowie Angststörungen und somatoformer autonomer Funktionsstörungen in nervenärztlicher Behandlung. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, an ihn Entschädigung in Geld und Schmerzensgeld zu zahlen sowie ihm auch alle noch künftig erwachsenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen. Für die Richtigkeit der von ihm behaupteten, von der Beklagten allerdings bestrittenen Mobbinghandlungen seines Vorgesetzten hätte ihn das Landesarbeitsgericht - wie von ihm beantragt - als Partei vernehmen müssen.

4

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung in Geld und Schmerzensgeld, jeweils in durch das Gericht festzusetzender Höhe, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

sowie

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche aufgrund der Verletzung der Gesundheit und des Persönlichkeitsrechts durch die Beklagte und ihre Verrichtungs-/Erfüllungsgehilfen im Zeitraum zwischen Juni 2008 und Mai 2010 dem Kläger erwachsenen oder noch erwachsenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

5

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

6

Sie bestreitet die vom Kläger behaupteten Mobbinghandlungen.

7

Das Arbeitsgericht hat die ursprünglich wesentlich umfangreichere Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung eines Bonus iHv. 1.033,29 Euro verurteilt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Die Revision hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen. Auf die Beschwerde des Klägers hat der Senat die Revision im jetzt noch streitgegenständlichen Umfange zugelassen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hätte mit der gegebenen Begründung die Klage nicht abweisen dürfen.

9

I. Das Berufungsgericht hat bezüglich der noch streitgegenständlichen Ansprüche seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Zwar habe der Kläger Vorfälle hinreichend konkret dargelegt, die, wenn sie sich wie geschildert zugetragen haben sollten, „einen systematischen Zusammenhang in Richtung einer zielgerichteten Verletzung der Würde des Arbeitnehmers und der Schaffung eines Umfeldes der Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung, Entwürdigung oder Beleidigung“ und damit einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung in Geld und Schmerzensgeld begründen könnten. Dies gelte für die Vorfälle vom 28. Mai 2008, 3. Juli 2008, 4. Juli 2008, 24. September 2008, 8. Mai 2009, 7. Dezember 2009 und 2. März 2010. Die Beklagte habe den diesbezüglichen Sachvortrag des Klägers jedoch bestritten. Dieser habe lediglich als Beweis für die Richtigkeit seiner diesbezüglichen Behauptungen seine eigene Parteieinvernahme angeboten. Zu einer solchen habe die Beklagte ihr nach § 447 ZPO erforderliches Einverständnis nicht erteilt. Eine Vernehmung des Klägers von Amts wegen nach § 448 ZPO sei nicht in Betracht gekommen, weil es an einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptungen fehle. Es liege kein sogenannter Anfangs- oder Anbeweis für die behaupteten Tatsachen vor. Von dem Erfordernis eines solchen könne auch nicht allein aufgrund des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit (Art. 6 Abs. 1 EMRK) abgewichen werden. Im Übrigen sei der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2011 persönlich anwesend gewesen und habe Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Demnach müssten die gesamten Vorfälle, welche möglicherweise einen Mobbing-Zusammenhang begründen könnten, außer Betracht bleiben. Weitere vom Kläger geschilderten Einzelvorfälle seien - auch mangels Substanziierung - nicht geeignet, einen Bezug zu einem mobbingartigen Verhalten herzustellen. Übrig blieben Vorgänge, welche nur „normale“ Arbeitskonflikte beträfen. Aus diesen Gründen sei auch nicht festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm aufgrund der Verletzung seiner Gesundheit und seines Persönlichkeitsrechts möglicherweise erwachsene und noch erwachsende materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen.

10

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

11

1. Dass die vom Kläger behaupteten Äußerungen seines Vorgesetzten tatsächlich getätigt worden sind, muss der Kläger beweisen, weil er für das Vorliegen von Mobbinghandlungen, aus denen er seinen Entschädigungs-, Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruch herleitet, darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 41).

12

2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, dass der Kläger die Vorfälle, die seine Mobbingvorwürfe begründen könnten, und deren Vorliegen die Beklagte bestritten hat, zwar durch seine eigene Parteieinvernahme unter Beweis gestellt hat, eine solche aber nach § 447 ZPO aufgrund des fehlenden Einverständnisses der Beklagten grundsätzlich ausscheidet.

13

3. Andere Beweismittel als seine Vernehmung als Partei hat der Kläger nicht angeboten.

14

Ob das Landesarbeitsgericht zu einer Vernehmung des beweispflichtigen Klägers nach § 448 ZPO verpflichtet war, kann der Senat aufgrund der Ausführungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entscheiden.

15

a) Grundsätzlich gehen einer Parteivernehmung andere Beweismittel, insbesondere der Zeugenbeweis nach §§ 373 ff. ZPO vor. Nach allgemeiner Meinung ist die Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO ein subsidiäres Beweismittel (vgl. Thomas/Putzo/Reichold ZPO 34. Aufl. Vorbem. § 445 Rn. 1; Zöller/Geimer/Greger ZPO 29. Aufl. Vorbem. § 445 Rn. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 71. Aufl. Übersicht § 445 Rn. 7).

16

b) Dem Kläger hätte ein anderes Beweismittel als die eigene Parteieinvernahme zur Verfügung gestanden. Er hätte für die Richtigkeit seiner Behauptungen seinen Vorgesetzten S als Zeugen benennen können. Dass dieser die „Mobbing-Äußerungen“ selbst getätigt haben soll, steht dem nicht entgegen. Allein die Tatsache, dass die Beklagte, also nicht der Zeuge selbst, die vom Kläger behaupteten Äußerungen des Zeugen bestritten hatte, führt nicht dazu, dass für den Kläger ein solches Beweisangebot aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausscheidet. Auch wenn eine Aussage des Zeugen, welche die Behauptungen des Klägers bestätigen würde, für den Zeugen selbst und die Beklagte, als deren Repräsentant der Zeuge aufgetreten war, ungünstige Folgen hätte, musste der Kläger nicht zwingend davon ausgehen, der Zeuge werde die klägerischen Behauptungen nicht bestätigen. Dieser wäre zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet gewesen. Sowohl bei einer uneidlichen als auch bei einer eidlichen Falschaussage hätten ihm strafrechtliche Konsequenzen gedroht (§§ 153, 154 StGB). Allein deshalb durfte der Kläger - gleichsam im Wege einer „vorweggenommenen Beweiswürdigung“ - nicht davon ausgehen, der Zeuge werde wahrheitswidrig unter Inkaufnahme strafrechtlicher Folgen die angeblich von ihm getätigten Äußerungen leugnen, und deshalb auf das Beweisangebot „Zeugenvernehmung“ verzichten. Hinzu kommt, dass der Zeuge, um eine Zwangslage zwischen Falschaussage und einer wahrheitsgemäßen Aussage mit negativen Folgen für sich zu vermeiden, die Möglichkeit der Zeugnisverweigerung nach § 384 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO gehabt hätte.

17

c) Nachdem der Kläger den ihm möglichen Zeugenbeweis nicht angetreten hatte, musste das Landesarbeitsgericht darüber entscheiden, ob es den Kläger für die Richtigkeit seiner streitigen Behauptungen nach § 448 ZPO als Partei vernehmen sollte. Allein die Tatsache, dass der Kläger für seine bestrittenen Behauptungen keinen ihm möglichen Zeugenbeweis angeboten hat, entbindet das Landesarbeitsgericht nicht von dieser Verpflichtung. Nach ständiger Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine Parteivernehmung der beweispflichtigen Partei gemäß § 448 ZPO, dass für die zu beweisende Tatsache aufgrund einer vorausgegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht(vgl. BGH 9. März 1990 - V ZR 244/88 - Rn. 14, BGHZ 110, 363; 16. Juli 1998 - I ZR 32/96 - Rn. 20 mwN; BAG 16. September 1999 - 2 AZR 712/98 - zu II 2 f dd der Gründe; 6. Dezember 2001 - 2 AZR 396/00 - zu B III 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 52).

18

d) Von diesem Grundsatz ist im konkreten Streitfalle auch unter der Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Beweisführung bei sogenannten „Vier-Augen-Gesprächen“ auszugehen.

19

Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG sichern den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, welches sachangemessen ist, um den in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernissen eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. Insbesondere müssen die Beteiligten einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00 - Rn. 10). Auch gehört es zu den für einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unerlässlichen Verfahrensregeln, dass das Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage. Um sie zu gewährleisten, bedarf es eines Mindestmaßes an rechtlichem Gehör (BVerfG 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00 - aaO).

20

In dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall hatte ein streitentscheidendes Vier-Augen-Gespräch zwischen der Klägerin und einem Angestellten der Beklagten, einer GmbH, stattgefunden. Das Amtsgericht hatte den Angestellten als Zeugen vernommen sowie die Klägerin gemäß § 141 ZPO angehört und daraufhin der Klage stattgegeben. Es hatte die Angaben der Klägerin zum Inhalt des Gesprächs als bewiesen angesehen. Das Landgericht als Berufungsgericht hatte eine Vernehmung der Klägerin als Partei nach § 448 ZPO im Rahmen des Gegenbeweises abgelehnt und die Klage abgewiesen, weil es aufgrund der Aussage des vom Amtsgericht vernommenen und vom Landgericht erneut vernommenen Zeugen die Behauptungen der Klägerin über den Gesprächsinhalt als nicht erwiesen angesehen hatte. In Anwendung der oben dargestellten Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser Vorgehensweise des Landgerichts ausgeführt:

„In der hier gegebenen Konstellation des Vier-Augen-Gesprächs konnte die Beschwerdeführerin [dh. die Klägerin] den Gegenbeweis auch nur im Wege der Parteianhörung bzw. -vernehmung durch Bekundungen führen, die geeignet waren, die Aussage des Zeugen der Beklagten des Ausgangsverfahrens zu erschüttern. Die Verfahrensweise des Landgerichts begünstigte daher einseitig die Beklagte, die mit ihrem Angestellten über einen Zeugen verfügte. Um dies zu vermeiden, hätte das Landgericht, nachdem es den Angestellten der beklagten GmbH zum umstrittenen Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs erneut als Zeugen vernommen hatte, auch der Beschwerdeführerin die Möglichkeit einräumen müssen, den Gegenbeweis zu führen. Insbesondere hätte ihr die Gelegenheit gegeben werden müssen, auf die Aussagen des Zeugen in dessen neuerlicher Vernehmung (§ 398 Abs. 1 ZPO) reagieren zu können, da das Landgericht von der Beweiswürdigung der Vorinstanz abweichen wollte, die sich auf die protokollierte Anhörung der Beschwerdeführerin stützte.“

21

Diese Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts sind auf den Streitfall bereits deshalb nicht anzuwenden, weil zum Inhalt der Gespräche zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten Zeugenbeweis weder vom Kläger noch von der Beklagten angeboten worden war und deshalb auch - im Gegensatz zum Sachverhalt, welcher der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegen hatte - kein Zeugenbeweis erhoben worden war.

22

Aus demselben Grunde ist auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27. Oktober 1993 (- 37/1992/382/460 -) nicht einschlägig. Auch in diesem Falle hatte das Gericht nicht den Gesellschafter einer Partei, wohl aber den Vertreter der Gegenpartei als Zeugen für den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs angehört.

23

Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG 22. Mai 2007 - 3 AZN 1155/06 - Rn. 17, BAGE 122, 347) hat eine Verpflichtung zur Vernehmung einer beweispflichtigen Partei nach § 448 ZPO oder zur Anhörung derselben nach § 141 ZPO ebenfalls nur für den Fall gesehen, dass „ein Gespräch allein zwischen den Parteien stattgefunden hat und deshalb kein Zeuge, auch kein ‚gegnerischer‘ Zeuge zugegen ist“. Im vorliegenden Streitfalle ist diese Fallkonstellation ebenfalls nicht gegeben, weil die vom Kläger geschilderten Vier-Augen-Gespräche nicht mit der Beklagten, dh. derem Geschäftsführer als Beklagtenvertreter, geführt worden waren, sondern mit seinem Vorgesetzten, der als Zeuge - wenn auch als „gegnerischer“ Zeuge - gemäß §§ 373 ff. ZPO hätte vernommen werden können. Im Übrigen stellt der Dritte Senat in der zitierten Entscheidung auch darauf ab, dass eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO nur in Frage kommt, „soweit dessen Voraussetzungen vorliegen“(BAG 22. Mai 2007 - 3 AZN 1155/06 - Rn. 16, aaO). Dies kann nur heißen, dass auch der Dritte Senat davon ausgeht, eine Parteieinvernahme der beweispflichtigen Partei komme grundsätzlich nur dann in Frage, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht.

24

Auch in den zwei weiteren vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen, in denen eine Pflicht zur Parteivernehmung nach § 448 ZPO bejaht bzw. eine solche nicht beanstandet worden war, stand einer Partei ein Zeuge für ein Vier-Augen-Gespräch zur Verfügung, welcher vernommen worden war (vgl. BAG 6. Dezember 2001 - 2 AZR 396/00 - BAGE 100, 52 und 19. November 2008 - 10 AZR 671/07 -; so auch: BGH 9. Oktober 1997 - IX ZR 269/96 -; 16. Juli 1998 - I ZR 32/96).

25

e) Damit war das Landesarbeitsgericht nicht - gleichsam von Amts wegen - verpflichtet, den Kläger gemäß § 448 ZPO als Partei zu vernehmen. Vielmehr musste es prüfen, ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprach, dass die vom Kläger geschilderten Äußerungen seines Vorgesetzten in den Vier-Augen-Gesprächen tatsächlich gefallen waren. Dafür hätte das Landesarbeitsgericht in nachprüfbarer Weise darlegen müssen, weshalb es von der Parteivernehmung des Klägers abgesehen hat. Andernfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass es von seinem ihm nach § 448 ZPO eingeräumten Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat. Verneint das Landesarbeitsgericht die gewisse Wahrscheinlichkeit der Beweistatsache und lehnt es deshalb eine Parteivernehmung ab, so müssen seine Feststellungen in einer § 286 ZPO genügenden Weise getroffen sein(BGH 9. März 1990 - V ZR 244/88 - zu I 1 b der Gründe, BGHZ 110, 363). Daran fehlt es vorliegend. Das Landesarbeitsgericht hat ohne nähere Angabe von Gründen lediglich festgestellt, dass „ein sog. Anfangs- oder Anbeweis für die behaupteten Tatsachen“ fehlt. Aus welchen Gründen es zu dieser Feststellung gelangt ist, hat das Berufungsgericht nicht ausgeführt. Allein der Hinweis darauf, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 4. November 2011 persönlich anwesend war und Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ist in diesem Zusammenhang unbehelflich, weil daraus nicht ersichtlich wird, ob das Gericht dem Kläger Fragen gestellt hat oder ob er und gegebenenfalls welche Erklärungen er in der mündlichen Verhandlung abgegeben hat. Diesbezüglich enthält auch die Sitzungsniederschrift keine Feststellungen.

26

4. An diesem Verfahrensfehler leidet das angefochtene Berufungsurteil in entscheidungserheblicher Weise. Dieses war deshalb aufzuheben und die Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, damit dieses den beanstandeten Mangel nach erneuter Verhandlung der Streitsache behebt.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Lüken    

        

    Soost    

                 

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 2. Juni 2009 - 14 Sa 101/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung ihres Arbeitsvertrags und über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1982 geborene Kläger war - nach seiner Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst - befristet bis zum 31. Juli 2002 beim Landkreis K beschäftigt. Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unterblieb, nachdem der Landkreis von Aktivitäten des Klägers für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Kenntnis erlangt hatte.

3

Seit August 2003 war der Kläger beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter in der Oberfinanzdirektion K (OFD) tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und anschließend der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) Anwendung.

4

Vor seiner Einstellung hatte das beklagte Land den Kläger schriftlich unter Bezugnahme auf § 8 BAT über seine Pflicht zur Verfassungstreue belehrt. Am 17. Juli 2003 unterzeichnete er eine sich an die Belehrung anschließende vorformulierte Erklärung mit folgendem Inhalt:

        

„Auf Grund dieser Belehrung erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die vorstehenden Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahe und dass ich bereit bin, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten.

        

Ich versichere ausdrücklich, dass ich Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eine ihrer obengenannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstütze und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation bin.

        

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich bei einem Verstoß gegen diese Dienst- und Treuepflichten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen muss.“

5

Seit 2004 war der Kläger im Druck- und Versandzentrum der OFD eingesetzt. Dort war er insbesondere für die Produktionsplanung, -steuerung und -überwachung zuständig. In dem Zentrum werden sämtliche im Zuständigkeitsbereich der OFD anfallenden Bescheide und Schreiben (etwa Steuerbescheide und Beihilfebescheide sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen) mittels elektronisch gesteuerter Druckabläufe erstellt.

6

Mit Schreiben vom 23. August 2007 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz der OFD über „rechtsextremistische Aktivitäten“ des Klägers, die wie folgt beschrieben und als solche unstreitig sind:

        

„…    

        
        

•       

Am 7. August 2007 lädt er mit ‚Newsletter’ vom gleichen Tag zum ‚Sommerfest’ der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands’ (NPD) und deren Jugendorganisation, den ‚Jungen Nationaldemokraten’ (JN) für den 11. August 2007 ein; einem Bericht auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes K zufolge ‚führte L in seiner unnachahmlichen Art eines souveränen Versammlungsleiters unterhaltsam durch das weitere Programm’.

        

•       

Mit ‚Newsletter’ vom 30. Juli 2007 weist L auf den ‚Nationalen Stammtisch’ des NPD-Kreisverbands K hin.

        

•       

Zum 17. Juni 2007 lädt er mittels ‚Newsletter’ zu einer Schulungsveranstaltung des NPD-Kreisverbands K nach B ein.

        

•       

Einer Meldung des Polizeipräsidiums K zufolge gab er sich als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN am 9. Juni 2007 in B zu erkennen.

                 

Über einen ‚Newsletter’ verbreitete er die Einladung zu der Veranstaltung.

        

•       

Am 8. Mai 2007 nahm L an einer Mahnwache: ‚Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges’ in K teil. Hauptredner auf der Veranstaltung war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende D. Dieser thematisierte unter anderem den Prozess in M gegen den Revisionisten Z und lobte den Revisionismusgedanken, der zur Selbstfindung des deutschen Volkes unerlässlich sei. (…).

        

•       

Über die Jahreshauptversammlung des NPD-Regionalverbandes K am 25. März 2007 verschickte L per ‚Newsletter’ im Vorfeld einen Hinweis.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 erteilte das beklagte Land dem Kläger nach vorheriger Anhörung eine Abmahnung. Es hielt ihm vor, die Erklärung zur Verfassungstreue unterschrieben zu haben, ohne auf die Nichtverlängerung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis K und die dafür ursächlichen Aktivitäten hingewiesen zu haben. Durch diese „Fehlinformationen“ und sein öffentliches Auftreten für eine „als verfassungsfeindlich eingestufte Partei wie die NPD“ habe er grob gegen seine „tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue“ verstoßen. Für den Fall anhaltender Aktivitäten für verfassungsfeindliche Organisationen müsse er mit einer fristlosen Kündigung rechnen.

8

Am 18. November 2007, dem Volkstrauertag, nahm der Kläger an einer von der NPD abgehaltenen Gedenkveranstaltung am Ehrenmal „P“ auf dem Gebiet der Gemeinde R teil. Dabei handelt es sich um ein von der Gemeinde errichtetes Steinkreuz zur Erinnerung an die dort beigesetzten deutschen und französischen Soldaten, die im April 1945 vor Ort gefallen sind. Mit Schreiben vom 17. April 2008, bei der OFD eingegangen am 25. April 2008, berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz auch über diese Aktivität.

9

Nach Beteiligung des Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 8. Mai 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 23. September 2008 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, es fehle an Anfechtungs- und Kündigungsgründen. Er habe sich zu jeder Zeit und unmissverständlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Seine politischen Aktivitäten stünden auf dem Boden des Grundgesetzes, zumal weder die NPD noch ihre Jugendorganisation verboten seien. Sollten sich einzelne Parteimitglieder in verfassungsfeindlicher Weise geäußert haben, sei dies nicht der Partei als Ganzer zuzurechnen. Neonazistisches Gedankengut lehne er strikt ab.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen, das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 4. November 2004 geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei berechtigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung fristlos und allemal fristgemäß aufgelöst worden. Der Kläger habe es durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt. Er sei, wie sich erst nach der Kündigung vom 8. Mai 2008 herausgestellt habe, aufgrund eines mit dem Personalverantwortlichen des Landkreises K geführten Gesprächs über die Gründe der Nichtverlängerung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses genau informiert gewesen. Er habe somit bewusst eine unrichtige Erklärung zu seiner Verfassungstreue abgegeben. Jedenfalls habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, seine Aktivitäten für die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte NPD bzw. JN zu offenbaren. Die Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der Abmahnung erneut seine tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue verletzt und sich durch seine Aktivitäten für die NPD, deren Mitglied er sei, für die ihm übertragene Tätigkeit als ungeeignet erwiesen. Er habe sich die verfassungsfeindlichen Ziele der NPD zu eigen gemacht, diffamiere den Staat und seine Organe in aller Öffentlichkeit und bringe seinen Willen zum Ausdruck, ihn zu bekämpfen. Nach der Kündigung habe er seine verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgesetzt. Am 25. Juli 2008 habe er - unstreitig - anlässlich des Todes eines Rechtsextremisten einen Gedenkbrief versandt. Am Volkstrauertag 2008 sei er erneut bei der Veranstaltung der NPD am Ehrenmal „P“ aufgetreten, nunmehr als verantwortlicher Versammlungsleiter. Sein Verhalten beschädige das Ansehen der Finanzverwaltung und beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in deren rechtsstaatliches Handeln.

13

Das Arbeitsgericht hat die Anfechtung und die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Im Übrigen hat es sie abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stattgegeben. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

15

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Kündigungsschutzantrag. Mit dem erstinstanzlich - als unzulässig - abgewiesenen allgemeinen Feststellungsantrag hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst. Es hat die Berufung des Klägers, die sich mit der Abweisung dieses Antrags nicht auseinandersetzt, stillschweigend dahin ausgelegt, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde. Soweit es den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

16

B. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Seine Entscheidung, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung vom 23. September 2008 noch durch die Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

I. Der Gegenstand der Kündigungsschutzklage umfasst zugleich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der Anfechtung beendet worden ist.

18

1. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG(iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die fragliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Klage kann daher nur Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis noch bestand (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13; 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85). Dementsprechend ist Gegenstand der Kündigungsschutzklage auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. - im Fall der ordentlichen Kündigung - des Ablaufs der Kündigungsfrist bestand (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 16 f., BAGE 118, 95; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Ist dies nicht der Fall, kann ein der Klage stattgebendes Urteil nicht ergehen, vielmehr ist die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

19

2. Danach hängt hier der Erfolg der Kündigungsschutzklage (auch) von der Berechtigung der Anfechtung ab. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung erst mit Schriftsatz vom 23. September 2008 und damit nach Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung erklärt wurde. Zwar wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung grundsätzlich nur „ex nunc“ (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV der Gründe, BAGE 41, 54). Im Streitfall wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien aber bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung faktisch außer Funktion gesetzt. Unter solchen Umständen besteht kein Grund, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB, die der wirksamen Anfechtung grundsätzlich rückwirkende Kraft beilegt, einschränkend anzuwenden. Die Anfechtung wirkt vielmehr auf den Zeitpunkt der faktischen „Außerfunktionssetzung“ zurück, selbst wenn diese ihrerseits auf einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung beruhen sollte (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV 3 a der Gründe, aaO).

20

II. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung über die Wirksamkeit von Anfechtung und Kündigung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und einem auf diese bezogenen Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung zugrunde gelegt.

21

1. Danach kommt bei politischer Betätigung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation, insbesondere bei einem Eintreten für deren verfassungsfeindliche Ziele eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Das gilt unabhängig davon, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG festgestellt wurde. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu B II der Gründe, BVerfGE 39, 334; BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu IV der Gründe, BAGE 28, 62; zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vgl. BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - NJW 2005, 85).

22

2. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

23

3. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 63, 72; 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, aaO).

24

4. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind ua. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L(zuvor: § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT) festgelegt.

25

a) Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat der Kläger zudem im Zusammenhang mit seiner Einstellung abgegeben.

26

b) Allerdings können weder die auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT abgegebene Erklärung des Klägers vom 17. Juli 2003, noch die mit § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT wörtlich übereinstimmende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten des beklagten Landes ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt(grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

27

aa) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).

28

bb) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG)- unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).

29

cc) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.

30

Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10).

31

Aber auch für Beschäftigte, an deren Verfassungstreue wegen ihrer Tätigkeit - etwa als Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter - die gleichen oder zumindest ähnliche Anforderungen zu stellen sind wie an die von in vergleichbarer Stellung beschäftigten Beamten, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig noch nicht ausreichen. Anders als bei der Einstellung, für deren Unterbleiben es grundsätzlich genügt, dass allgemeine Zweifel an der Verfassungstreue begründet sind (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12), obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, derartige Zweifel durch bestimmte, auf den Arbeitnehmer und seinen Aufgabenbereich bezogene Umstände zu konkretisieren und so zu verstärken. Aufschlussreich kann insoweit das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers sein, wenn es über die Verfolgung verfassungskonformer Ziele der betreffenden Organisation hinausgeht. Von Bedeutung kann auch das persönliche Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers und das Fehlen der Bereitschaft sein, sich von verfassungsfeindlichen Zielen der Organisation, der er angehört oder für die er eintritt, zu distanzieren (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 63, 72).

32

5. Das Maß der politischen Treuepflicht hat zugleich Einfluss auf das Erkundigungs-/Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung.

33

a) Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass die falsche Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen kann(zur Frage nach früherer MfS-Tätigkeit BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341).

34

b) Auch wenn zu den Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG die Verfassungstreue zählt, sind darauf bezogene Fragen nur zulässig, soweit die vorgesehene Funktion dies erfordert und rechtfertigt(vgl. BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 b und 2 a der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - BAGE 28, 62; 1. Oktober 1986 - 7 AZR 383/85 - BAGE 53, 137; Conze Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers und Offenbarungspflicht des Bewerbers bei der Vertragsanbahnung ZTR 1991, 99, 106 mwN). Die Frage muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Er muss die Zulässigkeit der Frage beurteilen können (BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341). Wenn politische Einstellungen den Arbeitnehmer bei funktionsbezogener Betrachtung nicht - auch für ihn erkennbar - an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hindern, besteht keine Pflicht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Parteimitgliedschaften oder Organisationszugehörigkeiten ungefragt zu offenbaren.

35

6. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

36

a) Sie haben in der Literatur verbreitet Zustimmung erfahren (vgl. Sponer/Steinherr TV-L (2008) § 3 Rn. 55; Polzer/Powietzka NZA 2000, 970, 974 f.; jeweils mwN; mit Einschränkungen: Fleig DÖD 1999, 217) und stimmen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein (vgl. BVerwG 19. Januar 1989 - 7 C 89/87 - BVerwGE 81, 212; OVG Lüneburg 12. Dezember 2007 - 17 LP 4/06 - PersR 2008, 324).

37

b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anerkannt, dass ein demokratischer Staat das Recht hat, von seinen Bediensteten - jedenfalls in Abhängigkeit von ihrer Funktion - ein Bekenntnis zu zentralen Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen der Staat beruht. Es seien - so der Gerichtshof - auch die Erfahrungen Deutschlands während der Weimarer Zeit und der anschließenden Phase bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 sowie die Bestrebung zu berücksichtigen, die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer „wehrhaften Demokratie“ aufzubauen (EGMR 22. November 2001 - 39799/98 [Volkmer/Deutschland] - zu 1. der Gründe, NJW 2002, 3087; 26. September 1993 - 7/1994/454/535 [Vogt/Deutschland] - Rn. 51, 59 ff., NJW 1996, 375).

38

c) Die angeführten Grundsätze tragen den Diskriminierungsverboten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung (vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dabei kann unterstellt werden, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei oder das Eintreten für deren Ziele das in § 1 AGG genannte Diskriminierungsmerkmal der „Weltanschauung“ betrifft(dazu einerseits Annuß BB 2005, 1629, 1631; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172 f.; andererseits BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - zu 3 c ee der Gründe, NJW 2005, 85). Durch die funktionsbezogene Betrachtung ist hinreichend sichergestellt, dass ein Eignungsmangel des Bewerbers nur bejaht wird, wenn die von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geforderte Verfassungstreue eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstellt.

39

III. Ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen ist die Kündigungsschutzklage nicht deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung des beklagten Landes aufgelöst worden wäre. Ein Anfechtungsgrund liegt auch bei Verfassungsfeindlichkeit der NPD und/oder ihrer Jugendorganisation nicht vor.

40

1. Die Anfechtung war trotz vorangegangener Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe , AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5 ). Das beklagte Land hat sein Anfechtungsrecht nicht durch die fristlose Kündigung „verbraucht“. Es stützt Anfechtung und Kündigung im Übrigen auf unterschiedliche Sachverhalte. Ausschließlich zur Begründung der Anfechtung macht es geltend, der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Einstellung über Aktivitäten für die als verfassungsfeindlich eingestufte NPD arglistig getäuscht, wobei es von den die Arglist begründenden Tatsachen erst nach der Kündigung hinreichend Kenntnis erlangt habe.

41

2. Der in Rede stehende Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Subjektive Werturteile genügen nicht (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war.

42

a) Wird der (spätere) Arbeitnehmer zulässigerweise nach bestimmten Tatsachen befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht bestand. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder aus sonstigen Gründen für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 345/98 - zu B II 2 der Gründe; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe).

43

b) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Dienstherrn entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

44

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es jedenfalls an der erforderlichen Arglist des Klägers, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

45

a) Ist die - vorformulierte - Erklärung vom 17. Juli 2003 zugleich als Antwort auf Frage(n) zur Verfassungstreue des Bewerbers zu verstehen, bestehen Bedenken an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Die der Erklärung vorangestellte Belehrung nimmt auf die in den Landesgesetzen normierte Pflicht zur Verfassungstreue für Beamte (§ 70 Abs. 2 LBG) und Richter (§ 8 LRiG) Bezug und verweist darauf, dass sich „die gleichen politischen Treuepflichten“ für Angestellte aus § 8 BAT ergäben. Der Belehrung folgt ein umfassendes Bekenntnis des Stellenbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Erklärung seiner Bereitschaft, für deren Erhaltung einzutreten. Dem Bewerber wird dagegen nicht verdeutlicht, dass funktionsbezogen durchaus geringere Anforderungen an die Verfassungstreue bestehen können.

46

b) Zudem verlangt das beklagte Land mit der erbetenen Erklärung von dem Bewerber, eine eigene Beurteilung dessen, was unter „Bestrebungen … gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wann von einem „Unterstützen“ solcher Bestrebungen die Rede sein und wann angenommen werden kann, dass sich eine Organisation gegen diese Grundordnung richtet. Eine ordnungsgemäße Befragung zwecks Feststellung der Verfassungstreue setzt demgegenüber voraus, dass der Bewerber nach konkreten Umständen befragt wird, die gemäß den Anforderungen der ins Auge gefassten Tätigkeit einstellungsrelevant sind. Die allgemeine Frage, ob der Bewerber einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, ist unzulässig. Mit ihr würde vom Bewerber eine Wertung verlangt, die vorzunehmen Sache der einstellenden Behörde ist (BAG 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 b bb der Gründe).

47

c) Eine arglistige Täuschung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der Kläger gleichwohl der Unvereinbarkeit seiner politischen Aktivitäten mit der Pflicht zur Verfassungstreue bewusst gewesen wäre. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

48

aa) Das Fehlen einer Unterrichtung darüber, welche Parteien, Organisationen und Aktivitäten das beklagte Land als verfassungsfeindlich einstuft, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - Einfluss auf den subjektiven Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB haben. Ein Arbeitnehmer, der sich für eine zwar objektiv verfassungsfeindlich, aber nicht verbotene Partei oder Organisation engagiert und aktiv für deren Ziele eintritt, kann subjektiv der Auffassung sein, er bewege sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und setze sich nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein.

49

bb) Davon ist das Landesarbeitsgericht im Streitfall ausgegangen. Es hat angenommen, der Kläger habe aus seiner subjektiven Sicht in seinen Aktivitäten für die NPD/JN keinen Widerspruch zu dem Inhalt seiner Erklärung vom 17. Juli 2003 erblickt. Er berufe sich gerade darauf, dass er sich stets in vollem Umfang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe und weiterhin bekenne, auch nicht Mitglied oder Anhänger einer Partei sei, deren Ziele sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes richteten. Umstände, die den Schluss zuließen, dies habe nicht der wahren Überzeugung des Klägers entsprochen, lägen nicht vor.

50

cc) Diese tatrichterliche Würdigung unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände beachtet worden sind. Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie bringt lediglich vor, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend auf die Erfahrungen Bedacht genommen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtverlängerung seines vorhergehenden Arbeitsverhältnisses gesammelt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des beklagten Landes, der Kläger habe gewusst, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verlängert worden sei, berücksichtigt. Daraus ergab sich aber weder, dass sich der Kläger wahrheitswidriger Angaben zu seiner Verfassungstreue bewusst gewesen wäre, noch dass er bewusst einer sich aufdrängenden Offenbarungspflicht zuwider gehandelt hätte. Zum einen ist nicht dargetan, dass der Kläger selbst von der Verfassungsfeindlichkeit der NPD oder ihrer Jugendorganisation überzeugt gewesen wäre oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Zum anderen konnte er, selbst wenn er erkannt haben mag, dass zumindest das beklagte Land die NPD als verfassungsfeindlich einstuft, durchaus subjektiv der Auffassung sein, nicht selbst derartige Ziele zu unterstützen oder sonstwie auf ein aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auszugehen und damit jedenfalls (noch) das für die angestrebte Tätigkeit erforderliche Maß an Verfassungstreue aufzubringen.

51

IV. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es sind nach der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 keine zusätzlichen Umstände eingetreten oder dem beklagten Land erstmals bekannt geworden, die als Verstoß des Klägers gegen seine (einfache) Pflicht zur Verfassungstreue anzusehen wären.

52

1. Es kann dahinstehen, ob die mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz vom 23. August 2007 mitgeteilten Aktivitäten des Klägers einen Kündigungsgrund darstellen. Das beklagte Land hat sie zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht. Es hat sich damit eines etwaigen Kündigungsrechts wegen dieser Sachverhalte begeben, solange nicht neue Verstöße hinzutreten.

53

a) Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208; 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52).

54

b) Das beklagte Land hat dem Kläger mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 für den Fall „anhaltender Aktivitäten für die rechtsextremistische Szene“ eine Kündigung in Aussicht gestellt. Mit dieser Ankündigung hat es stillschweigend erklärt, eben dies aufgrund der aktuell bekannt gewordenen Ereignisse nicht tun zu wollen. Darin liegt ein bewusster Verzicht auf das Recht zur Kündigung.

55

c) Der mit einer Abmahnung verbundene Verzicht auf ein Kündigungsrecht erfasst auch das Recht, aus einem Grund in der Person des Arbeitnehmers zu kündigen, der sich aus dem betreffenden Sachverhalt ergeben mag. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auf steuerbarem Verhalten beruhenden, also behebbaren Eignungsmangel vorhält und ihn insoweit abgemahnt hat, ist es ihm wie nach der Abmahnung pflichtwidrigen Verhaltens verwehrt, zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung ausschließlich den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

56

d) Der Verzicht wird hinfällig, wenn weitere Gründe zu den abgemahnten hinzutreten oder zwar bei Ausspruch der Abmahnung objektiv schon vorlagen, aber erst danach bekannt wurden. Diese können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch unterstützend die bereits abgemahnten Gründe erfasst, sofern sich daraus ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 10. November 1998 - 2 AZR 215/88 - zu II 2 d bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18).

57

2. Danach ist die Kündigung nicht aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

58

a) Den Kläger trifft lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

59

aa) Eine Verpflichtung des Klägers, wie ein Beamter jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht schon aus der Aufgabenstellung der Finanzverwaltung. Auch wenn diese als Eingriffsverwaltung (vgl. bspw. BVerwG 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 - BVerwGE 60, 254) hohe Anforderungen an die Integrität und Loyalität der mit der Erhebung und Beitreibung von Steuern befassten Mitarbeiter stellen muss, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch in ihrem Bereich Funktionen gäbe, die den Einsatz von Beschäftigten mit einem geringeren Maß an Verfassungstreue zuließen.

60

bb) Dem Vorbringen des beklagten Landes lässt sich nicht entnehmen, dass für die Wahrnehmung der dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Der Kläger trägt für die im Druckzentrum erstellten Steuer- oder Beihilfebescheide inhaltlich keine Verantwortung. Seine Aufgabe besteht vornehmlich in der Planung, Steuerung und Überwachung des Druck- und Versandverfahrens. Im Vordergrund steht die Gewährleistung eines technisch reibungslosen Ablaufs der (körperlichen) Herstellung der Bescheide und deren ordnungsgemäße Versendung. Der Umstand, dass der Kläger dabei Zugang zu personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen hat, vermag ein Verlangen nach gesteigerter Loyalität nicht zu begründen. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revision vorgetragen hat, der Kläger habe „umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf höchst sensible Daten und zwar sowohl im Bereich der Großrechner als auch der Produktionsserver“ und habe zudem die Möglichkeit, „Daten und Dokumente bei der Druckaufbereitung selbständig zu bearbeiten“, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es in der Revision nicht mehr gehört werden kann. Auf die Schlüssigkeit des Vortrags kommt es nicht an.

61

b) Unterliegt der Kläger deshalb „nur“ einer sog. einfachen politischen Loyalitätspflicht, verlangt diese von ihm lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1). Ein Verstoß gegen diese „einfache“ Treuepflicht kann nicht schon aus der Mitgliedschaft des Klägers in der NPD und Übernahme bestimmter Funktionen in der Partei abgeleitet werden, die dem beklagten Land nach eigenem Vorbringen erst nach der Abmahnung bekannt geworden sind. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes erneut unterstellt werden, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

62

aa) Ein Arbeitnehmer, dem eine „einfache“ Treuepflicht obliegt, verletzt diese nicht schon dadurch, dass er verfassungsfeindliche Ziele einer Organisation für richtig hält und dies durch eine Mitgliedschaft oder andere Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele der Organisation aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; 12. März 1986 - 7 AZR 469/81 -). Dazu bedarf es der Darlegung konkreter, auf den Arbeitnehmer bezogener Umstände, die geeignet sind, ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei hinreichend zu individualisieren (vgl. BAG 15. Juli 1982 - 2 AZR 887/79 - zu C II 2 d aa der Gründe, BAGE 39, 180).

63

bb) Derartige Umstände hat das beklagte Land - unter Beachtung der sich aus der Abmahnung ergebenden Beschränkungen - nicht dargetan.

64

(1) Die Teilnahme des Klägers an der „Gedenkveranstaltung“ der NPD am 18. November 2007 lässt kein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei erkennen. Zwar sind derartige Gedenkveranstaltungen in der Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenkens“ zu sehen. Die schlichte Teilnahme lässt aber keinen weitergehenden Schluss zu als dass er sich in innerer Übereinstimmung damit befunden haben mag. Dies gilt auch für die Behauptung des beklagten Landes, auf der Versammlung sei die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden. Es hält sich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts, wenn es in einem solchen Verhalten keinen genügenden Anhaltspunkt dafür gesehen hat, der Kläger sei etwa nicht bereit, die deutschen Staatsgrenzen anzuerkennen, und sei bestrebt, diese Grenzen auf verfassungs- und völkerrechtswidrigem Wege zu beseitigen.

65

(2) Soweit sich das beklagte Land auf das Versenden eines „Newsletters“ vom 25. Juli 2008 und weitere, im Anschluss daran entfaltete Aktivitäten beruft, kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit in verfassungsfeindlicher Weise agiert hat. Es handelt sich um Vorgänge, die in die Zeit nach Ausspruch der Kündigung fallen und die zu deren Rechtfertigung nicht herangezogen werden können (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

66

(3) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien verfasste Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2001.

67

(a) Das Landesarbeitsgericht ist, was die Einführung dieses Schreibens in den Rechtsstreit betrifft, von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen ausgegangen. Der Sachverhalt unterliege einem Verwertungsverbot, weil das beklagte Land nicht aufgezeigt habe, dass der Personalrat hierzu erneut beteiligt worden sei. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt habe.

68

(b) Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine Berücksichtigung des Schreibens schon deshalb nicht möglich ist, weil Grundlage der Beurteilung bereits eingetretener oder noch zu erwartender Vertragsverletzungen in erster Linie das Verhalten des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sein muss (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a ee der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls deshalb zutreffend (§ 561 ZPO), weil sich aus dem nachträglich bekannt gewordenen Schreiben kein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender, eigenständiger Kündigungsgrund ergibt.

69

Das beklagte Land hat den Kläger ua. deshalb abgemahnt, weil er sich am 9. Juni 2007 als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN zu erkennen gegeben hat. Bereits in diesem Verhalten kam zum Ausdruck, dass der Kläger hinter den Zielen der JN steht und diese fördern will. Ein damit verbundener Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht erhält nicht deshalb ein größeres oder anderes Gewicht, weil der Kläger bereits vor der Kündigung mit seinem Sprachgebrauch eine Identifikation mit verfassungsfeindlichen Zielen der NPD/JN zum Ausdruck gebracht haben mag.

70

3. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers gerechtfertigt.

71

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine - sowohl von § 626 Abs. 1 BGB als auch § 1 Abs. 2 KSchG vorausgesetzte - konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nicht schon darin liegt, dass der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden durch das innerbetriebliche oder außerdienstliche politische Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt oder konkret gefährdet ist. Erforderlich ist, dass eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 62, 256; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

72

b) Konkrete Beeinträchtigungen hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

73

aa) Es behauptet nicht, der Kläger habe seine politische Einstellung innerhalb der Finanzverwaltung offen vertreten und dadurch die Arbeitsabläufe und/oder den Betriebsfrieden gestört.

74

bb) Ebenso wenig benennt es „greifbare“ Tatsachen, die erkennen ließen, das Verhalten des Klägers beeinträchtige unmittelbar berechtigte Sicherheitsinteressen. Soweit es vorbringt, der Kläger habe vor einem Sommerfest der JN, bei dem er „durch das Programm“ geführt habe, an einer von ihm - dem beklagten Land - angebotenen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen und daraus Nutzen gezogen, waren ihm - dem beklagten Land - die maßgebenden Umstände bereits bei Ausspruch der Abmahnung bekannt.

75

cc) Eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich schließlich nicht aus einem möglichen Ansehensverlust oder einem Verlust des Vertrauens „redlicher Bürger“ in eine rechtsstaatliche Steuerverwaltung. Das beklagte Land hat nicht dargetan, dass die Aktivitäten des Klägers und dessen Stellung als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung bekannt geworden wären und konkrete Wirkungen gezeitigt hätten.

76

V. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Baerbaum    

        

    Bartz    

                 

(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen.

(2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.

(3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen.

(2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.

(3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. Juli 2012 - 6 Sa 251/12 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe der Werkspension der Klägerin.

2

Die am 4. Mai 1949 geborene Klägerin war ab dem 1. Mai 1963 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Diese gewährte ihren Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die über die „D Pensionskasse GmbH“, eine Unterstützungskasse (im Folgenden: D Unterstützungskasse), durchgeführt wurden. Trägerunternehmen der D Unterstützungskasse war ua. die Rechtsvorgängerin der Beklagten. Der Klägerin wurden die „Richtlinien der D-Pensionskasse Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ vom 20. Juli 1976 (im Folgenden: Richtlinien 1976) überlassen. Die Richtlinien 1976 lauteten auszugsweise:

        

„1. Leistungsempfänger sind Betriebsangehörige und ehemalige Betriebsangehörige der Firmen …, nachfolgend Trägergesellschaften genannt, oder deren Angehörige (Witwen und Waisen). Die Werkspension sowie die Unterstützung in besonderen Notfällen werden in Höhe der nachfolgenden Leistungspläne neben einer etwaigen gesetzlichen Sozialversicherungsrente gewährt.

        

2. Die Werkspension und die Unterstützung in besonderen Notfällen stellen freiwillige Leistungen dar, auf die weder dem Grunde noch der Höhe nach ein Rechtsanspruch erworben werden kann. ...

        

3. Die Werkspension wird gewährt:

        

a)    

an Betriebsangehörige, die nach Vollendung des 65. Lebensjahres in den Diensten der Trägergesellschaften nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten.

        

b)    

an weibliche Betriebsangehörige, die nach Vollendung des 60. Lebensjahres in den Diensten der Trägergesellschaften nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten.

        

c)    

an Betriebsangehörige, die nach Vollendung des 63. Lebensjahres, bei Schwerbeschädigten des 62. Lebensjahres, in den Diensten der Trägergesellschaften nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten.

        

…       

        
        

4. a) 

Die Werkspension beträgt nach fünf nach Abschluß des 18. Lebensjahres zurückgelegten Dienstjahren 10 % des Brutto-Monatseinkommens des Betriebsangehörigen und steigt wie folgt:

                 

nach  

6     

Dienstjahren

10,5 %

des    

Monatseinkommens

                 

…       

                                   
                 

„       

35    

„ u. mehr Dienstj.

30 %   

„       

„       

                 

Es werden höchstens 35 Dienstjahre angerechnet.

        

b)    

Im Falle der Ziffer 3 c) wird für jedes volle vorgezogene Pensionsjahr ein Abschlag von 4 % des sich ergebenden Pensionsbetrages vorgenommen. Angebrochene Jahre werden zeitanteilig mit 1/12 je vollem Monat in den Zeitabschlag einbezogen.

        

…       

        
        

5.    

Monatseinkommen ist:

        

a)    

Bei gewerblichen Betriebsangehörigen, …, der monatliche Durchschnittslohn der letzten drei Monate vor Pensionsbeginn …

        

…       

        
        

d)    

Bei der Errechnung des Pensionsbetrages ist das Brutto-Monatseinkommen gemäß Ziffer 5 a) bis 5 c) nur bis zum Höchstbetrag von DM 2.000,- zu berücksichtigen.“

3

Die Richtlinien 1976 wurden zum 1. Januar 1980 durch die „Richtlinien der D-Pensionskasse Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ vom 12. Dezember 1979 (im Folgenden: Richtlinien 1979) abgeändert. Diese waren - ebenso wie die Richtlinien 1976 - von den Betriebsräten der Trägergesellschaften und der D Unterstützungskasse unterzeichnet. In den Richtlinien 1979 heißt es ua.:

        

„3. Die Werkspension wird gewährt an Betriebsangehörige nach Ziffer 1,

        

a)      

die nach Vollendung des 65. Lebensjahres in den Diensten der Trägergesellschaften nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten;

        

b)    

die vor Vollendung des 65. Lebensjahres in den Diensten der Trägergesellschaften nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten und durch Vorlage des Rentenbescheides eines Sozialversicherungsträgers nachweisen, daß sie ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben;

        

…       

        
        

4. a) 

die Werkspension beträgt nach fünf nach Abschluß des 18. Lebensjahres zurückgelegten Dienstjahren 10 % des Brutto-Monatseinkommens des Betriebsangehörigen und steigt auf folgende Prozentsätze:

                 

nach   

6       

Dienstjahren

10,5 %

des     

Monatseinkommens

        
                 

…       

                                                     
                 

„       

35    

„ und mehr Dienstj.

30 %   

„       

„       

        
        

b)    

Im Falle der Ziffer 3b) werden für die Zeiten, die bei der Pensionierung an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlen, Abschläge von dem sich nach Ziffer 4a) ergebenden Pensionsbetrag vorgenommen.

                 

Die Abschläge sind für die gesamte Laufzeit der Werkspensionszahlungen maßgebend.

                 

Die Abschläge betragen

                 

für das 1. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 6 %

                 

für das 2. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 5,5 %,

                 

für das 3. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 5 %,

                 

für das 4. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 4 %,

                 

für das 5. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 3 %.

                 

Bei einem angebrochenen Jahr beträgt der zeitanteilige Abschlag für jeden fehlenden vollen Monat 1/12 des betreffenden Jahresabschlags.

        

c)    

Ist ein Betriebsangehöriger vor der Pensionierung mit einem Gleichstellungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 4 BetrAVG aus den Diensten der Trägergesellschaften ausgeschieden und weist er durch Vorlage des Rentenbescheides eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers nach, daß er vor Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat, so sind die in Ziffer 4b) bezeichneten Abschläge auch von seiner Werkspension vorzunehmen.

        

…       

        
        

11.     

Diese Richtlinien werden wirksam ab 1. 1. 1980, d. h. sie gelten für alle nach dem 31.12.1979 eintretenden Pensionierungsfälle. Die Richtlinien vom 20.7.76 verlieren damit ihre Wirksamkeit.“

4

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging im Wege des Betriebsübergangs zum 1. Januar 1985 auf die SP GmbH über, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Die SP GmbH teilte der Klägerin mit Schreiben vom 18. Oktober 1985 mit:

        

„...   

        

Der am 1. Januar 1985 erfolgte Betriebsübergang hat dazu geführt, daß alle Arbeitnehmer, die von der D-Pensionskasse GmbH vor dem 1. Januar 1980 eine Zusage auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhalten hatten, nicht mehr von dieser Pensionskasse versorgt werden können. SP hat sich deshalb entschlossen, diesen Mitarbeitern unmittelbare Versorgungszusagen zu erteilen und ihnen einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen einzuräumen. Diese Versorgungszusage richtet sich inhaltlich nach den bisherigen Versorgungsregeln der D-Unterstützungskasse. Der zuletzt maßgebliche Leistungsplan vom 12. Dezember 1979 kann bei der Personalabteilung eingesehen werden.

        

...“   

5

Die SP GmbH schloss am 12. Dezember 1989 mit ihrem Gesamtbetriebsrat die Betriebsvereinbarung „Pensionsrichtlinien der SP GmbH“ (im Folgenden: BV 1989). Die BV 1989 lautet auszugsweise:

        

„1.     

Leistungsempfänger sind Betriebsangehörige und ehemalige Betriebsangehörige der SP GmbH (nachfolgend - Trägergesellschaft -), die bei deren Rechtsvorgängerin, der D AG vor dem 1. Januar 1980 eingetreten sind, sowie deren Angehörige (Witwen, Witwer und Waisen). Die Werkspension wird in Höhe des nachfolgenden Leistungsplanes gewährt.

        

…       

        
        

3.    

Die Werkspension wird gewährt an Betriebsangehörigen nach Ziffer 1,

                 

a)    

die nach Vollendung des 65. Lebensjahres in den Diensten der Trägergesellschaft nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten;

                 

b)    

die vor Vollendung des 65. Lebensjahres in den Diensten der Trägergesellschaft nach mindestens fünf Dienstjahren in den Ruhestand treten und durch Vorlage des Rentenbescheides eines deutschen Sozialversicherungsträgers nachweisen, daß sie ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben. …

                 

…       

        

4. a) 

Die Werkspension beträgt nach fünf nach Abschluß des 18. Lebensjahres zurückgelegten Dienstjahren 10 % des Brutto-Monatseinkommens des Betriebsangehörigen und steigt auf folgende Prozentsätze:

                 

nach   

6       

Dienstjahren

10,5 %

des     

Monatseinkommens

        
                 

…       

                                                     
                 

„       

35    

„ und mehr Dienstj.

30 %   

„       

„       

        
                 

Es werden höchstens 35 Dienstjahre angerechnet.

        

b)    

im Falle der Ziffer 3b) werden für die Zeiten, die bei der Pensionierung an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlen, Abschläge von dem sich nach Ziffer 4a) ergebenden Pensionierungsbetrag vorgenommen.

                 

Die Abschläge sind für die gesamte Laufzeit der Werkspensionszahlungen maßgebend.

                 

Die Abschläge betragen

                 

für das 1. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 6,0 %

                 

für das 2. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 5,5 %

                 

für das 3. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 5,0 %

                 

für das 4. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 4,0 %

                 

für das 5. an der Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr 3 %.

                 

Bei einem angebrochenen Jahr beträgt der zeitanteilige Abschlag für jeden fehlenden vollen Monat 1/12 des betreffenden Jahresabschlags.

        

c)    

Ist ein Betriebsangehöriger vor der Pensionierung mit einem Gleichstellungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 4 BetrAVG aus den Diensten der Trägergesellschaft ausgeschieden und weist er durch Vorlage des Rentenbescheides eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers nach, daß er vor Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat, so sind die in Ziffer 4b) bezeichneten Abschläge auch von seiner Werkspension vorzunehmen.

        

…       

        
        

11.     

Diese Richtlinien sind wirksam ab 1. Januar 1990 und lösen die Richtlinien der D-Pensionskasse GmbH ab.

        

…“    

        
6

Die Klägerin schied zum 31. Januar 2001 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Seit dem 1. Januar 2011 bezieht sie eine gesetzliche Altersrente und von der Beklagten eine Werkspension iHv. 185,79 Euro brutto monatlich. Aus der der Klägerin übersandten Berechnung der Beklagten vom 16. Dezember 2010 ergibt sich, dass die Beklagte bei der Ermittlung der Werkspension die BV 1989 zugrunde gelegt hat, von einem pensionsfähigen Monatseinkommen iHv. 1.022,58 Euro ausgegangen ist, dass sie die fiktive, bei einer Beschäftigungszeit bis zum 65. Lebensjahr erreichbare Werkspension im Verhältnis der tatsächlich zurückgelegten Dienstjahre zu den bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres möglichen Dienstjahren gekürzt und von dem sich ergebenden Betrag wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme der Werkspension einen Abschlag iHv. 18,17 % vorgenommen hat.

7

Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung einer Werkspension iHv. 306,77 Euro brutto monatlich begehrt. Sie hat geltend gemacht, ihre Werkspension berechne sich weder nach den Richtlinien 1979 noch nach der BV 1989. Zum Zeitpunkt ihrer Einstellung hätten bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten lediglich Pensionsrichtlinien in Form von Gesamtzusagen bestanden. Sie habe daher einen Anspruch auf eine Werkspension nach den Richtlinien von 1963 (im Folgenden: Richtlinien 1963). Zumindest stehe ihr eine Werkspension auf der Grundlage der Richtlinien 1976 zu. Diese seien weder durch die Richtlinien 1979 noch durch die BV 1989 wirksam abgelöst worden. Für sie verbleibe es deshalb bei der festen Altersgrenze von 60 Jahren. Darüber hinaus sei die Beklagte nicht berechtigt, die Werkspension wegen ihres vorzeitigen Ausscheidens entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG zu kürzen, da sie zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens die maximal mögliche Betriebszugehörigkeit von 35 Jahren bereits erreicht habe. Die Quotierung der Werkspension bewirke zudem eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters. Jedenfalls habe die Beklagte in der Vergangenheit bei der Berechnung der Werkspension vorzeitig ausgeschiedener Arbeitnehmer keine Quotierung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG vorgenommen.

8

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an sie 846,86 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2011 zu zahlen und

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an sie ab August 2011, zahlbar jeweils zum Ultimo eines Monats, eine monatliche Betriebsrente über freiwillig gezahlte 185,79 Euro hinaus von weiteren 120,98 Euro, insgesamt mithin von 306,77 Euro zu zahlen.

9

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.

12

A. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Klageantrag zu 2.

13

Der Antrag zu 2. ist auf die Zahlung wiederkehrender Leistungen iSd. § 258 ZPO gerichtet. Bei wiederkehrenden Leistungen, die - wie Betriebsrentenansprüche - von keiner Gegenleistung abhängen, können gemäß § 258 ZPO grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen(vgl. etwa BAG 17. Juni 2014 - 3 AZR 529/12 - Rn. 21 mwN).

14

B. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer 185,79 Euro übersteigenden monatlichen Werkspension. Daher schuldet die Beklagte der Klägerin auch nicht die Zahlung rückständiger Werkspension für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Juli 2011 iHv. 846,86 Euro brutto. Die Versorgungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte richten sich nach der BV 1989. Die Beklagte hat die Werkspension der Klägerin nach der BV 1989 zutreffend berechnet.

15

I. Die Versorgungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte bestimmen sich nach der BV 1989. Die für den Anspruch der Klägerin auf Werkspension zunächst maßgeblichen Richtlinien 1976 wurden zum 1. Januar 1980 wirksam durch die Richtlinien 1979 abgelöst. Diese wurden ihrerseits zum 1. Januar 1990 wirksam durch die BV 1989 abgelöst.

16

1. Für den Versorgungsanspruch der Klägerin waren entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin zunächst nicht die Richtlinien 1963, sondern die Richtlinien 1976 maßgeblich. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Klägerin nicht Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Richtlinien aus dem Jahr 1963 zugesagt hatte.

17

a) Die Klägerin hat behauptet, zum Zeitpunkt ihrer Einstellung sei die betriebliche Altersversorgung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten durch die Richtlinien 1963 geregelt gewesen, bei denen es sich um eine Gesamtzusage gehandelt habe. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Vorbringen als nicht hinreichend substantiiert erachtet.

18

b) Die Revision hat hiergegen keine durchgreifenden Rügen vorgebracht. Es kann dahinstehen, ob die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht hätte ihr rechtzeitig einen Hinweis erteilen müssen, dass es ihren Vortrag zu den Richtlinien 1963 für unsubstantiiert halte, bereits unzulässig ist. Jedenfalls ist die Rüge unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat nicht gegen seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verstoßen. Es war nicht verpflichtet, auf die Erforderlichkeit weiteren Sachvortrags hinzuweisen. Die Beklagte hatte bereits in der Berufungserwiderung geltend gemacht, dass der Vortrag der Klägerin zu einer etwaigen Gesamtzusage nicht hinreichend substantiiert sei. Eines weiteren Hinweises durch das Landesarbeitsgericht bedurfte es nicht. Das Berufungsgericht ist nicht zur Aufklärung verpflichtet, wenn eine Partei bereits darauf hingewiesen hat, dass nötiges Vorbringen fehlt (vgl. BAG 19. Januar 2010 - 9 AZR 426/09 - Rn. 47 mwN).

19

2. Entgegen der Ansicht der Klägerin wurden die Richtlinien 1976 durch die Richtlinien 1979 zum 1. Januar 1980 wirksam abgelöst.

20

a) Der Klägerin waren von der Rechtsvorgängerin der Beklagten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Maßgabe der jeweils gültigen Richtlinien der D Unterstützungskasse zugesagt worden.

21

Zwar hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Anspruch der Klägerin auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den Richtlinien der D Unterstützungskasse auf einer Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einer arbeitsvertraglichen Einheitsregelung oder einer betrieblichen Übung beruht. Dies kann jedoch dahinstehen. Unabhängig davon, in welcher Art und Weise das individualvertragliche Versorgungsversprechen gegenüber der Klägerin begründet wurde, hat sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten seine Abänderung vorbehalten. Wird - wie hier - die betriebliche Altersversorgung über eine Unterstützungskasse durchgeführt und werden damit - zumindest konkludent - die Richtlinien der Unterstützungskasse in Bezug genommen, müssen die Arbeitnehmer schon aufgrund des Ausschlusses des Rechtsanspruchs stets mit einer Abänderung der Versorgungsordnung durch eine neue Versorgungsordnung rechnen. Es ist in der Rechtsprechung des Senats seit langem anerkannt, dass der Ausschluss des Rechtsanspruchs in Satzungen und Versorgungsplänen einer Unterstützungskasse nur ein Widerrufsrecht begründet, das an sachliche Gründe gebunden ist. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach gebilligt (vgl. BAG 16. Februar 2010 - 3 AZR 181/08 - Rn. 37, BAGE 133, 181; 31. Juli 2007 - 3 AZR 373/06 - Rn. 24, BAGE 123, 307; 10. September 2002 - 3 AZR 635/01 - zu I 1 a der Gründe mwN). Dementsprechend bestimmten sich die der Klägerin von der Rechtsvorgängerin der Beklagten zugesagten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach den jeweils geltenden Richtlinien der D Unterstützungskasse.

22

b) Die Richtlinien 1976 wurden durch die Richtlinien 1979 wirksam abgelöst. Die in den Richtlinien 1979 getroffene Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung hält einer Überprüfung am Maßstab der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit stand.

23

aa) Der Abänderbarkeit von Versorgungsrichtlinien einer Unterstützungskasse sind durch das Betriebsrentengesetz und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Senats dieselben Grenzen gesetzt, wie sie für die Ablösung von bzw. durch Betriebsvereinbarungen gelten. Eine Versorgungszusage, nach der ein Arbeitnehmer Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Maßgabe der jeweiligen Richtlinie einer Unterstützungskasse erhalten soll, ist in der Anwartschaftsphase der Gefahr ausgesetzt, dass die in Bezug genommene Versorgungsrichtlinie durch diejenigen verschlechtert wird, die über deren Inhalt satzungsgemäß zu entscheiden haben. Zulasten eines von einer solchen Versorgungszusage begünstigten Arbeitnehmers gilt aufgrund der Jeweiligkeitsklausel zwar im Grundsatz die von vornherein erkennbare Regel, dass die ohne sein Zutun geschaffene Versorgungsordnung durch eine andere verdrängt werden kann. Der Arbeitnehmer kann allerdings grundsätzlich erwarten, dass er für die von ihm erbrachten Vorleistungen durch Betriebstreue, die er nur einmal erbringen kann, auch die ihm in Aussicht gestellte Gegenleistung erhält, soweit dem nicht Gründe auf Seiten des Arbeitgebers entgegenstehen, die seine schützenswerten Interessen überwiegen. Versorgungsrichtlinien einer Unterstützungskasse können daher durch neue Versorgungsrichtlinien nur in den Grenzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit geändert werden (ausführlich dazu BAG 16. Februar 2010 - 3 AZR 181/08 - Rn. 51 f., BAGE 133, 181).

24

bb) Die bei Einschnitten in Versorgungsrechte zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesarbeitsgericht für Versorgungsanwartschaften durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert (st. Rspr. seit BAG 17. April 1985 - 3 AZR 72/83 - zu B II 3 c der Gründe, BAGE 49, 57). Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer sind entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen (vgl. etwa BAG 15. Januar 2013 - 3 AZR 169/10 - Rn. 51 mwN, BAGE 144, 160). Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und in dem Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag kann hiernach nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Das setzt zwingende Gründe voraus. Zuwächse, die sich - wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen - dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe (vgl. etwa BAG 15. Januar 2013 - 3 AZR 169/10 - aaO).

25

cc) Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ist das dreistufige Prüfungsschema grundsätzlich auch für die Beurteilung der Wirksamkeit der Ablösung der Richtlinien 1976 durch die Richtlinien 1979 maßgeblich.

26

Zwar hat der Senat die bei Eingriffen in Versorgungsrechte zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit für Betriebsrentenanwartschaften erstmals in seinem Urteil vom 17. April 1985 (- 3 AZR 72/83 - zu B II 3 c der Gründe, BAGE 49, 57), mithin zeitlich nach der hier zu beurteilenden Ablösung, durch das dreistufige Prüfungsschema präzisiert. Dies steht einer Überprüfung der Richtlinien 1979 nach Maßgabe dieses Prüfungsschemas jedoch nicht entgegen. Die Prüfungsmaßstäbe haben sich durch die Rechtsprechung in dem Urteil des Senats vom 17. April 1985 nicht verändert, sie wurden nur konkretisiert. Auch für Eingriffe in Versorgungsrechte in den Jahren 1979/1980 ist das vom Senat entwickelte dreistufige Prüfungsschema daher anzuwenden (vgl. etwa BAG 15. Januar 2013 - 3 AZR 169/10 - Rn. 54 mwN, BAGE 144, 160).

27

dd) Das die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit konkretisierende dreistufige Prüfungsschema gilt nur für Eingriffe in die Höhe der Versorgungsanwartschaften. Auf andere Eingriffe in Versorgungsrechte oder sonstige Änderungen von zugesagten Versorgungsleistungen lässt es sich nicht ohne Weiteres übertragen. Derartige Verschlechterungen von Versorgungsrechten sind deshalb an den dem Drei-Stufen-Modell zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu messen (vgl. etwa für Eingriffe in laufende Leistungen und die Änderung von Anpassungsregelungen: BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 282/09 - Rn. 38 ff., BAGE 138, 197; für die Einführung von Ausschlusstatbeständen bei einer Hinterbliebenenversorgung: 21. November 2000 - 3 AZR 91/00 - zu II 3 der Gründe; für die Umstellung von Rentenleistungen auf eine Kapitalleistung: 15. Mai 2012 - 3 AZR 11/10 - Rn. 75, BAGE 141, 259).

28

ee) Danach halten die Richtlinien 1979 einer Überprüfung am Maßstab der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit stand.

29

(1) Durch die Anhebung der festen Altersgrenze für Frauen auf das 65. Lebensjahr in Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1979 wurde zwar in die Höhe der Versorgungsanwartschaften der Klägerin nach den Richtlinien 1976 eingegriffen. Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt allerdings weder ein Eingriff in den erdienten Teilbetrag noch in die erdiente Dynamik vor. Vielmehr greift die Bestimmung in Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1979 lediglich in künftige und damit noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse der Klägerin ein. Dieser Eingriff ist durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt.

30

(a) Die Richtlinien 1979 greifen weder in den erdienten Teilbetrag noch in die erdiente Dynamik der Klägerin ein.

31

(aa) Der erdiente Teilbetrag ist nach den Grundsätzen des § 2 BetrAVG zeitanteilig zu berechnen(st. Rspr. seit BAG 17. April 1985 - 3 AZR 72/83 - zu B II 3 c (1) der Gründe, BAGE 49, 57). Durch den Schutz des erdienten Besitzstandes soll den anwartschaftsberechtigten Arbeitnehmern der Teilbetrag verbleiben, der ihnen selbst dann nicht mehr entzogen werden könnte, wenn im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung das Arbeitsverhältnis beendet werden würde. Er verändert sich nach dem Berechnungsstichtag (Ablösungsstichtag) nicht mehr, weil spätere Veränderungen der Berechnungsgrundlagen nach § 2 Abs. 5 BetrAVG außer Betracht bleiben(vgl. nur BAG 24. Januar 2006 - 3 AZR 483/04 - Rn. 49). Zur Berechnung des erdienten Teilbetrags ist in einem ersten Rechenschritt die fiktive Vollrente zu ermitteln, die dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Veränderungssperre nach § 2 Abs. 5 BetrAVG zugestanden hätte, wenn sein Arbeitsverhältnis bis zur festen Altersgrenze fortbestanden und die bisherigen Versorgungsregelungen bis dahin weiter gegolten hätten. In einem zweiten Rechenschritt erfolgt eine zeitanteilige Kürzung im Verhältnis der im maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich erreichten zu der bis zur festen Altersgrenze erreichbaren Betriebszugehörigkeit.

32

Bei der erdienten Dynamik, die auf dem erdienten Teilbetrag aufbaut, folgt der Wertzuwachs der Anwartschaft allein der künftigen Entwicklung variabler Berechnungsfaktoren. Der Zweck einer solchen dienstzeitunabhängigen Steigerung (Dynamik) besteht nicht darin, fortdauernde Betriebszugehörigkeit des Versorgungsanwärters proportional zu vergüten und zum Maßstab der Rentenberechnung zu machen. Vielmehr geht es darum, einen sich wandelnden Versorgungsbedarf flexibel zu erfassen. Eine solche Dynamik ist im Zeitpunkt der Veränderung einer Versorgungszusage bereits im Umfang der bis dahin geleisteten Betriebszugehörigkeit anteilig erdient, denn insoweit hat der Arbeitnehmer die von ihm geforderte Gegenleistung bereits erbracht (BAG 12. Februar 2013 - 3 AZR 636/10 - Rn. 64 mwN). Die vom Arbeitnehmer erdiente Dynamik berechnet sich in diesem Fall entsprechend den für den erdienten Teilbetrag geltenden Grundsätzen nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitanteilig, wobei allerdings im Hinblick auf den variablen Berechnungsfaktor der Festschreibeeffekt nach § 2 Abs. 5 BetrAVG nicht eingreift.

33

(bb) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lässt sich zwar die Höhe des von der Klägerin nach den Richtlinien 1976 erdienten Teilbetrags nicht berechnen. Die Parteien haben keinen Vortrag zur Höhe des nach Nr. 5 Buchst. a oder Buchst. b der Richtlinien 1976 pensionsfähigen Monatseinkommens der Klägerin am 31. Dezember 1979 gehalten. Dies ist allerdings unschädlich. Nach Nr. 5 Buchst. d der Richtlinien 1976 wäre höchstens ein Monatseinkommen iHv. 2.000,00 DM (= 1.022,58 Euro) pensionsfähig. Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt werden würde, dass sie bereits am 31. Dezember 1979 - und nicht erst zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten am 31. Januar 2001 - ein diesen Höchstbetrag überschreitendes Monatseinkommen erzielt hätte, könnte sich der erdiente Teilbetrag nach den Richtlinien 1976 bei einer möglichen Beschäftigungszeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres von mehr als 35 Dienstjahren (vom 1. Mai 1963 bis zum 4. Mai 2009) und einer sich danach ergebenden fiktiven Vollrente iHv. 306,77 Euro (= 30 % von 1.022,58 Euro) infolge der zeitanteiligen Kürzung im Verhältnis der am 31. Januar 1979 tatsächlich erreichten Betriebszugehörigkeit der Klägerin zu der bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres erreichbaren Beschäftigungszeit allenfalls auf 111,13 Euro belaufen. Dieser Betrag entspräche auch der auf der Grundlage der Richtlinien 1976 bereits erdienten Dynamik der Klägerin.

34

(cc) Die Richtlinien 1979 führen weder zu einem Eingriff in den erdienten Teilbetrag noch in die erdiente Dynamik der Klägerin. Eine der Klägerin ab dem 1. Januar 2011 nach den Richtlinien 1979 gewährte Werkspension hätte sich - wie von der Beklagten auch auf der Grundlage der BV 1989 errechnet - auf 185,79 Euro belaufen.

35

(aaa) Die zum 31. Januar 2001 vorzeitig, dh. vor dem Eintritt eines Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschiedene Klägerin hat die Werkspension ab dem 1. Januar 2011 nach § 6 BetrAVG vorgezogen und damit vor der in Nr. 3 Buchst. a der Richtlinien 1979 bestimmten festen Altersgrenze von 65 Jahren in Anspruch genommen.

36

(bbb) Die Richtlinien 1979 enthalten keine Regelungen für die Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Altersrente eines vorzeitig vor dem Eintritt des Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers. Die Bestimmung in Nr. 4 Buchst. a der Richtlinien 1979 erfasst diesen Fall nicht. Sie bezieht sich ersichtlich nur auf die Berechnung der in Nr. 3 Buchst. a und b der Richtlinien 1979 vorgesehenen Werkspension. Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1979 regelt - wie sich aus der Formulierung „in den Diensten der Trägergesellschaft“ ergibt - allerdings nur die nach § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch genommene Werkspension eines bis dahin betriebstreuen Arbeitnehmers. Aus Nr. 4 Buchst. c der Richtlinien 1979 ergibt sich nichts anderes. Die Bestimmung ordnet lediglich an, dass auch bei einer vorgezogenen Inanspruchnahme eines vorzeitig mit einer unverfallbaren Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmers ein versicherungsmathematischer Abschlag nach Nr. 4 Buchst. b der Richtlinien 1979 vorzunehmen ist.

37

(ccc) Damit hätte sich die Berechnung der Werkspension der Klägerin nach den Richtlinien 1979 nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts gerichtet.

38

Danach ist zur Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente eines vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers zunächst in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 1 BetrAVG die fiktive Vollrente unter Berücksichtigung von Veränderungssperre und Festschreibeeffekt(§ 2 Abs. 5 BetrAVG) zu ermitteln. Dies ist nicht die im Zeitpunkt der vorgezogenen Inanspruchnahme tatsächlich erreichte oder erreichbare Altersversorgung, sondern die fiktive, auf die feste Altersgrenze hochgerechnete Versorgungsleistung. Die so ermittelte fiktive Vollrente ist sodann zeitratierlich entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG im Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zu der möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze zu kürzen. Der so errechnete Betrag ist die Versorgungsleistung, die dem vor Eintritt des Versorgungsfalls ausgeschiedenen Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme der Leistung ab der festen Altersgrenze zustünde. Wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme der Versorgungsleistung ist von diesem Betrag ein versicherungsmathematischer Abschlag vorzunehmen, wenn die Versorgungsordnung dies vorsieht (vgl. etwa BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR 219/11 - Rn. 27, BAGE 145, 314; 19. Juni 2012 - 3 AZR 289/10 - Rn. 26; 15. November 2011 - 3 AZR 778/09 - Rn. 33 ff.).

39

(ddd) Danach errechnet sich nach den Richtlinien 1979 eine Werkspension der Klägerin iHv. 185,79 Euro.

40

Die fiktive Vollrente der am 4. Mai 1949 geborenen Klägerin hätte sich bei einer möglichen Beschäftigungszeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres von mehr als 35 Dienstjahren (vom 1. Mai 1963 bis zum 4. Mai 2014) nach Nr. 4 Buchst. a der Richtlinien 1979 auf 306,77 Euro belaufen (= 30 % von 1.022,58 Euro). Die fiktive Vollrente wäre in einem weiteren Schritt anteilig im Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit der Klägerin vom 1. Mai 1963 bis zum 31. Januar 2001 zu der bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres am 4. Mai 2014 möglichen Betriebszugehörigkeit zu kürzen. Dies ergäbe einen Betrag iHv. 227,04 Euro. Abzüglich des nach Nr. 4 Buchst. b und c der Richtlinien 1979 vorzunehmenden versicherungsmathematischen Abschlags iHv. 18,17 % errechnet sich eine monatliche Werkspension der Klägerin ab dem 1. Januar 2011 iHv. 185,79 Euro.

41

(b) Die Anhebung der festen Altersgrenze für Frauen auf das 65. Lebensjahr in Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1979 greift allerdings in künftige, dienstzeitabhängige Zuwächse der Klägerin ein.

42

(aa) Der Klägerin hätte nach Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1976 iVm. § 2 Abs. 1 und Abs. 5 BetrAVG ab dem 1. Januar 2011 eine Werkspension iHv. 251,71 Euro zugestanden. Die fiktive, bei Vollendung des 60. Lebensjahres erreichbare Vollrente der Klägerin nach Nr. 4 Buchst. a der Richtlinien 1976 iHv. 306,77 Euro (30 % von 1.022,58 Euro) wäre zeitratierlich nach § 2 Abs. 1 BetrAVG im Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit der Klägerin zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze von 60 Lebensjahren am 4. Mai 2009 zu kürzen gewesen. Dies hätte einen Betrag iHv. 251,71 Euro ergeben.

43

(bb) Da die Klägerin nach den Richtlinien 1979 nur eine Werkspension iHv. 185,79 Euro erhalten hätte, führt die Anhebung der festen Altersgrenze für Frauen auf das 65. Lebensjahr in Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1979 zu einem Eingriff in die künftigen, dienstzeitabhängigen Zuwächse. Dieser Eingriff ist jedoch durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt.

44

(aaa) Durch die Regelung in Nr. 3 Buchst. b der Richtlinien 1979 verlängerte sich zwar die Dauer der Beschäftigungszeit, die von den versorgungsberechtigten Arbeitnehmerinnen zu erbringen war, um die zugesagte Werkspension in voller Höhe zu erhalten. Mit der Bestimmung wurden jedoch die bislang in Nr. 3 Buchst. a und b der Richtlinien 1976 vorgesehenen unterschiedlichen festen Altersgrenzen für Männer und Frauen zum 1. Januar 1980 vereinheitlicht. Dies war aus rechtlichen Gründen sachlich gerechtfertigt. Durch die Vereinheitlichung der Altersgrenzen wurde die Entgeltgleichheit von Mann und Frau nach Art. 119 EWG-Vertrag verwirklicht. Art. 119 EWG-Vertrag untersagte jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergab. Demnach verstieß auch die Festsetzung eines je nach dem Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters als Voraussetzung für die Eröffnung eines Rentenanspruchs im Rahmen eines betrieblichen Systems gegen Art. 119 EWG-Vertrag, selbst wenn dieser Unterschied im Rentenalter von Männern und Frauen der insoweit für das nationale gesetzliche System geltenden Regelung entsprach(vgl. EuGH 17. Mai 1990 - C-262/88 - Slg. 1990, I-1889; BAG 29. September 2010 - 3 AZR 564/09 - Rn. 24; 29. April 2008 - 3 AZR 266/06 - Rn. 34 mwN). Dieser Verstoß gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen durfte durch eine Anhebung der festen Altersgrenze auch für Frauen auf das 65. Lebensjahr beseitigt werden. Entgegen der Ansicht der Revision bestand keine Verpflichtung, die Ungleichbehandlung durch ein Absenken der festen Altersgrenze für Männer auf das 60. Lebensjahr zu beenden.

45

(bbb) Aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren „Barber“ (17. Mai 1990 - C-262/88 - Slg. 1990, I-1889) ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der EuGH in dem Verfahren „Barber“ die unmittelbare Wirkung des Art. 119 EWG-Vertrag auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung auf Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 beschränkt. Damit wurde indes nur das Vertrauen der Arbeitgeber auf die Wirksamkeit der geschlechtsspezifischen Altersgrenzen geschützt. Die gleichheitswidrig begünstigten Frauen konnten hingegen nicht auf deren Fortbestand vertrauen.

46

(ccc) Entgegen der Ansicht der Klägerin mussten die Richtlinien 1979 auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Berechnung der Werkspension für Frauen nach Rentenstämmen in der Weise vorsehen, dass für die Zeit bis zur Ablösung der Richtlinien 1976 durch die Richtlinien 1979 am 1. Januar 1980 die feste Altersgrenze auf das 60. Lebensjahr und für die Zeit danach auf das 65. Lebensjahr bestimmt wurde. Eine solche Berechnung hätte als Bestandsschutz- und Übergangsregelung allenfalls für rentennahe Jahrgänge geboten sein können, die auf die Anhebung der Altersgrenze und eine dadurch entstehende Versorgungslücke nicht mehr reagieren konnten. Hierzu gehörte die Klägerin nicht. Die Klägerin hatte ausreichend Zeit, sich auf die Änderung der Richtlinien einzustellen und entsprechende Vorsorge zu treffen. Zudem musste sie mit Änderungen rechnen, die der Beseitigung von sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen dienen.

47

(2) Soweit die Regelungen über den versicherungsmathematischen Abschlag in Nr. 4 Buchst. b und c der Richtlinien 1979 zu einer weiteren Verschlechterung der Versorgungsrechte der Klägerin führen, ist dies ebenfalls gerechtfertigt. Zwar handelt es sich hierbei nicht um einen Eingriff in die Höhe der Versorgungsanwartschaften, sodass das vom Senat entwickelte Drei-Stufen-Modell keine Anwendung findet. Der mit der Einführung versicherungsmathematischer Abschläge auch für Frauen nach Nr. 4 Buchst. b und c der Richtlinien 1979 verbundene Eingriff in die Versorgungsrechte der Klägerin ist jedoch an den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu messen. Danach sind die Bestimmungen in Nr. 4 Buchst. b und c der Richtlinien 1979 nicht zu beanstanden.

48

Durch die Anhebung der festen Altersgrenze für Frauen auf das 65. Lebensjahr ergab sich erstmals auch für diese die Möglichkeit, die Werkspension nach § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch zu nehmen. Die vorgezogene Inanspruchnahme der Betriebsrente führt allerdings zu einer Verschiebung des in der Versorgungszusage festgelegten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Die Betriebsrente wird mit höherer Wahrscheinlichkeit, früher und länger als mit der Versorgungszusage versprochen, in Anspruch genommen (vgl. BAG 19. Juni 2012 - 3 AZR 289/10 - Rn. 24 mwN). Auf diese Störung im Äquivalenzverhältnis durften die Richtlinien 1979 mit der Einführung eines versicherungsmathematischen Abschlags auch für Frauen reagieren. Dabei musste für den Fall der vorgezogen in Anspruch genommenen Werkspension einer Arbeitnehmerin weder auf einen versicherungsmathematischen Abschlag verzichtet noch ein geringerer Abschlag als für die Männer vorgesehen werden. Andernfalls wäre es zu einem erneuten Verstoß gegen das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gekommen(vgl. BAG 19. August 2008 - 3 AZR 530/06 - Rn. 20). Die Regeln für die Berechnung der nach § 6 BetrAVG von Frauen vorgezogen in Anspruch genommenen Werkspension konnten in den Richtlinien 1979 vielmehr in den Grenzen der Billigkeit neu gestaltet werden(vgl. BAG 28. Mai 2002 - 3 AZR 358/01 - Leitsatz und unter II 1 der Gründe, BAGE 101, 163). Diese Grenzen wurden vorliegend eingehalten. Nach Nr. 4 Buchst. b Satz 1 der Richtlinien 1979 beläuft sich der versicherungsmathematische Abschlag für das erste bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres fehlende Jahr auf 6 %. Für die weiteren, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres fehlenden Jahre reduziert er sich sukzessive auf 3 %. Da ein versicherungsmathematischer Abschlag von 0,5 % pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme der Altersrente nach der Rechtsprechung des Senats noch zulässig ist (vgl. etwa BAG 29. April 2008 - 3 AZR 266/06 - Rn. 38; 23. März 2004 - 3 AZR 279/03 - zu VI der Gründe), begegnen die Bestimmungen in Nr. 4 Buchst. b und c der Richtlinien 1979 insoweit keinen Bedenken.

49

3. Die Richtlinien 1979 wurden zum 1. Januar 1990 durch die BV 1989 wirksam abgelöst.

50

a) Die Richtlinien 1979 waren grundsätzlich durch eine Betriebsvereinbarung ablösbar. Die Richtlinien 1979 waren betriebsvereinbarungsoffen.

51

aa) Vertraglich begründete Ansprüche von Arbeitnehmern auf Sozialleistungen, die auf eine Gesamtzusage, eine arbeitsvertragliche Einheitsregelung oder eine betriebliche Übung zurückgehen, können durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn der Arbeitgeber sich bei der Zusage eine Abänderung durch Betriebsvereinbarung vorbehalten hat (vgl. schon BAG Großer Senat 16. September 1986 - GS 1/82 - zu C II 1 c der Gründe, BAGE 53, 42). Ein derartiger Änderungsvorbehalt kann sich - auch ohne ausdrückliche Formulierung - aus den Gesamtumständen, zB aus dem Hinweis ergeben, dass die Leistungen auf mit dem Betriebsrat abgestimmten Richtlinien beruhen. Dies legt bei dem Erklärungsempfänger die Folgerung nahe, dass die vom Arbeitgeber zu erbringenden Leistungen in Abstimmung mit dem Betriebsrat umgestaltet werden können (vgl. etwa BAG 15. Februar 2011 - 3 AZR 35/09 - Rn. 47 mwN; 15. Februar 2011 - 3 AZR 248/09 - Rn. 34 mwN).

52

bb) Danach waren die Richtlinien 1979 betriebsvereinbarungsoffen. Sie galten einheitlich für alle versorgungsberechtigten Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten und waren in Abstimmung mit den Betriebsräten der Trägerunternehmen der D Unterstützungskasse erlassen worden. Die Richtlinien 1979 waren nicht nur von der D Unterstützungskasse, sondern auch von den Betriebsräten der Trägergesellschaften unterzeichnet. Aufgrund dessen war für die von den Richtlinien 1979 erfassten Arbeitnehmer erkennbar, dass diese durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden konnten.

53

b) Durch den Betriebsübergang auf die SP GmbH zum 1. Januar 1985 hat sich daran nichts geändert.

54

Die Verpflichtung der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Klägerin bei Eintritt eines Versorgungsfalls eine betriebliche Altersversorgung nach den Richtlinien der Unterstützungskasse zu gewähren, ist durch den Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die SP GmbH übergegangen. Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt bei einem Betriebsübergang der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Wird - wie im Streiffall - bei einem Betriebsübergang die Unterstützungskasse vom Betriebsveräußerer nicht auf den Betriebserwerber übertragen, ist es dem Betriebsnachfolger in der Regel nicht möglich, die Leistungen über die Unterstützungskasse zu erbringen. Er haftet daher auf Erfüllung der Versorgungszusage mit seinem eigenen Vermögen (vgl. BAG 8. November 1988 - 3 AZR 85/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 60, 118; 15. März 1979 - 3 AZR 859/77 - zu 2 c der Gründe). Dementsprechend hat die SP GmbH die bereits bestehende Versorgungszusage der Klägerin hinsichtlich des vor dem Betriebsübergang bereits bestehenden Durchführungswegs geändert. Da die SP GmbH kein Trägerunternehmen der D Unterstützungskasse war, sollte die betriebliche Altersversorgung nunmehr unmittelbar über sie durchgeführt werden. Im Übrigen sollte sich der Inhalt der Versorgungszusage jedoch weiterhin nach den - betriebsvereinbarungsoffenen - Richtlinien 1979 der Unterstützungskasse bestimmen.

55

c) Die Ablösung der Richtlinien 1979 durch die BV 1989 verstößt nicht gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit.

56

aa) Ist eine arbeitsvertragliche Regelung - wie hier - betriebsvereinbarungsoffen, so bedeutet dies nur, dass eine ablösende Betriebsvereinbarung ein geeignetes Regelungsmittel ist. Ist dies der Fall, ergibt sich daraus noch nicht, dass die Regelung wirksam ist. Die Betriebsvereinbarungsoffenheit ermöglicht den Betriebsparteien nicht, schrankenlos in durch Vertrag begründete Besitzstände der Arbeitnehmer einzugreifen. Die Ablösung ist vielmehr so zu behandeln wie die Ablösung einer Betriebsvereinbarung und unterliegt daher derselben Inhaltskontrolle. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit dürfen nicht verletzt werden (vgl. etwa BAG 21. April 2009 - 3 AZR 674/07 - Rn. 24).

57

bb) Im Streitfall werden die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt.

58

Die für die Berechnung der Werkspension der Klägerin maßgeblichen Bestimmungen der BV 1989 sind mit den Regelungen in den Richtlinien 1979 identisch. Daher scheidet ein Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit durch die BV 1989 aus. Die ursprünglich individualvertraglich begründeten Versorgungsansprüche der Klägerin wurden durch die BV 1989 nur auf eine kollektiv-rechtliche Grundlage gestellt. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. in diesem Sinne bereits BAG 17. April 2012 - 3 AZR 400/10 - Rn. 38 f.).

59

II. Die Beklagte hat die Werkspension der Klägerin nach der BV 1989 entgegen der Ansicht der Klägerin zutreffend ermittelt. Die Berechnung der Werkspension der vor dem Eintritt des Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen, die Altersrente nach § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch nehmenden Klägerin richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts. Danach steht der Klägerin nach der BV 1989 eine Werkspension iHv. 185,79 Euro monatlich zu.

60

1. Die BV 1989 enthält - ebenso wie die insoweit inhaltsgleichen Richtlinien 1979 - für die Ermittlung der vorgezogen vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen Altersrente nach vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis keine Regelungen. Daher richtet sich die Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Werkspension der vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschiedenen Klägerin nach den vom Senat entwickelten allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts. Dass die Klägerin aufgrund ihrer Beschäftigungszeit zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens bei der Beklagten bereits den Höchstsatz der monatlichen Werkspension von 30 % des Höchstbetrags nach Nr. 4 Buchst. a BV 1989 erreicht hatte, steht dem nicht entgegen. Diese Bestimmung regelt lediglich, wie hoch die Werkspension desjenigen Arbeitnehmers höchstens ist, der mit Eintritt eines in der BV 1989 geregelten Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausscheidet und legt damit nicht fest, ab welcher Betriebszugehörigkeit ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Ausscheidens die Höchstrente erreicht wird. Aus dieser Bestimmung ergibt sich daher nicht, dass die Höchstrente unabhängig vom Zeitpunkt des Ausscheidens zu zahlen ist (vgl. BAG 15. November 2011 - 3 AZR 778/09 - Rn. 44; 17. September 2008 - 3 AZR 1061/06 - Rn. 26). Demnach beläuft sich die Werkspension der Klägerin nach der BV 1989 - ebenso wie nach den insoweit inhaltsgleichen Richtlinien 1979 - auf 185,79 Euro monatlich.

61

2. Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin sich nicht auf eine entgegenstehende betriebliche Übung der Beklagten berufen kann, wonach bei einem vorzeitigen Ausscheiden der Arbeitnehmer keine Kürzung der fiktiven Vollrente entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG erfolgte, sondern die Werkspension auf der Grundlage der bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens erreichten Dienstjahre nach Nr. 4 Buchst. a BV 1989 ermittelt wurde.

62

a) Ein Anspruch aus betrieblicher Übung kann nur entstehen, wenn keine andere kollektiv- oder individualrechtliche Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Vergünstigung besteht (vgl. etwa BAG 15. April 2014 - 3 AZR 51/12 - Rn. 70 mwN). Eine betriebliche Übung entsteht demnach nicht, wenn der Arbeitgeber zu den zu ihrer Begründung angeführten Verhaltensweisen durch andere Rechtsgrundlagen verpflichtet war (BAG 18. April 2007 - 4 AZR 653/05 - Rn. 43 mwN). Sie entsteht auch nicht, wenn sich der Arbeitgeber irrtümlich zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte. Wenn der Arbeitgeber die Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen und sei es auch tatsächlich nicht bestehenden Rechtspflicht hat erbringen wollen, kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, ihm solle eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden (BAG 10. Dezember 2013 - 3 AZR 832/11 - Rn. 62; 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 37, BAGE 118, 211). Die Darlegungslast dafür, dass der Arbeitgeber aus Sicht des Empfängers Leistungen oder Vergünstigungen gewähren wollte, zu denen er nicht aus einem anderem Rechtsgrund verpflichtet war oder sich verpflichtet glaubte, trägt die klagende Partei als Anspruchsstellerin (vgl. BAG 15. April 2014 - 3 AZR 51/12 - Rn. 70 mwN).

63

b) Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich nicht, dass bei der Beklagten eine betriebliche Übung dahin entstanden ist, die Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Altersrente nach vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts und der BV 1989 vorzunehmen.

64

Der Vortrag der Klägerin lässt bereits nicht erkennen, ob die von ihr behauptete Berechnungsweise der Beklagten auch in den Fällen vorgenommen wurde, in denen vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmer die Werkspension vorgezogen in Anspruch nahmen. Selbst wenn die Beklagte - was sie bestreitet - auch die vorgezogen in Anspruch genommene Werkspension der vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmer nicht entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG, sondern auf der Grundlage der bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens erreichten Dienstjahre nach Nr. 4 Buchst. a BV 1989 ermittelt haben sollte, ergibt sich hieraus noch nicht, dass die Beklagte dadurch bewusst von den Bestimmungen der BV 1989 und den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts abweichen und damit überobligatorische Leistungen erbringen wollte.

65

c) Auf die von der Revision erhobene Aufklärungsrüge kam es nach alledem nicht mehr an.

66

3. § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG bewirkt entgegen der Ansicht der Revision keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters.

67

a) Die Klägerin kann sich, soweit sie einen Verstoß von § 2 Abs. 1 BetrAVG gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters rügt, nicht auf das AGG berufen. Soweit das Betriebsrentengesetz Regelungen enthält, die einen Bezug zu den in § 1 AGG genannten Merkmalen haben können, sind diese nicht an den Bestimmungen des AGG zu messen. Dies gilt auch für die Vorschrift des § 2 Abs. 1 BetrAVG(BAG 19. Juli 2011 - 3 AZR 434/09 - Rn. 20, BAGE 138, 346).

68

b) Auch aus dem Unionsrecht kann die Klägerin nichts zu ihren Gunsten herleiten. § 2 Abs. 1 BetrAVG verstößt nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, wie es nunmehr in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt und in den Regelungen nach Art. 1, Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16; im Folgenden: Rahmenrichtlinie) konkretisiert ist. Die für die Berechnung der gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft maßgebliche gesetzliche Regelung kann zwar dazu führen, dass Personen, die ihre Betriebszugehörigkeit in einem jüngeren Lebensalter zurückgelegt haben, gegenüber Personen benachteiligt werden, die die gleiche Betriebszugehörigkeit in höherem Lebensalter erbracht haben. Die darin liegende Ungleichbehandlung bewirkt jedoch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Denn § 2 Abs. 1 BetrAVG liegt ein legitimes, im Allgemeininteresse bestehendes Ziel zugrunde und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich(Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie). Dies hat der Senat sowohl in den Entscheidungen vom 19. Juli 2011 (- 3 AZR 571/09 - Rn. 21 ff. und - 3 AZR 434/09 - Rn. 20 ff., BAGE 138, 346) als auch in der Entscheidung vom 11. Dezember 2012 (- 3 AZR 634/10 - Rn. 25 ff.) ausführlich begründet. Hieran hält der Senat weiterhin fest und sieht, da die Revision hierzu keine neuen Gesichtspunkte vorbringt, von einer erneuten Darlegung der hierfür entscheidenden Erwägungen ab.

69

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Schlewing    

        

    Spinner    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    Heuser    

        

    Möller    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 14. Januar 2009 - 10 Sa 446/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, wie die tariflichen Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu berechnen sind.

2

Der 1974 geborene Kläger war für die Beklagte seit November 1999 als gewerbliche Sicherheitsfachkraft in der Münchner U-Bahn-Bewachung gegen einen Stundenlohn von zuletzt 14,06 Euro tätig. Seine Arbeitszeit betrug idR 176 Stunden im Monat. Er arbeitete im Dreischichtbetrieb bei einem regelmäßigen Schichtrhythmus von vier Arbeitstagen und zwei anschließenden freien Tagen. In einigen Monaten war der Kläger auch fünf Tage mit zwei anschließenden Freischichttagen tätig.

3

Auf das Arbeitsverhältnis war kraft Allgemeinverbindlichkeit und vertraglicher Verweisung der am 1. August 2006 in Kraft getretene Manteltarifvertrag Nr. 10 für die gewerblichen Arbeitnehmer des Wach- und Sicherheitsgewerbes in Bayern vom 1. August 2006 anzuwenden (MTV Nr. 10). Er lautet auszugsweise:

          

„§ 7    

        

URLAUB

        

I.        

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

        

1.   

Jeder Arbeitnehmer hat im Kalenderjahr Anspruch auf Urlaub unter Fortzahlung seiner Bezüge. Der Urlaub wird auf der Basis von vollen Kalendertagen (00:00 Uhr - 24:00 Uhr) gewährt. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

        

2.   

Der Anspruch auf Jahresurlaub entsteht erstmalig nach sechsmonatiger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit. …

                 

Ist die Wartezeit von sechs Monaten im Urlaubsjahr noch nicht erfüllt, so wird der Urlaub für das laufende Urlaubsjahr anteilmäßig gewährt. Als voller Kalendermonat gilt auch der Kalendermonat, in dem das Beschäftigungsverhältnis vor dem 16. beginnt oder nach dem 15. endet. Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle Urlaubstage aufzurunden.

        

…       

        
        

4.   

Ein Urlaubsteil muss mindestens 14 aufeinander folgende Kalendertage umfassen.

                 

…       

        

II.      

Höhe des Urlaubs

        

1.   

Der Erholungsurlaub für Arbeitnehmer ab vollendetem 18. Lebensjahr beträgt 32 Kalendertage.

        

2.   

Darüber hinaus erhalten die Arbeitnehmer folgenden Zusatzurlaub:

                 

Nach

3-jähriger Betriebszugehörigkeit

4 Kalendertage

                 

Nach

5-jähriger Betriebszugehörigkeit

6 Kalendertage

                 

Nach

7-jähriger Betriebszugehörigkeit

8 Kalendertage

                 

Nach

9-jähriger Betriebszugehörigkeit

10 Kalendertage

                 

bis zu einer Höchstdauer von 42 Kalendertagen.

        

3.   

Bei der Berechnung des Anspruches auf Urlaub werden die in die Urlaubszeit fallenden Sonn- und Feiertage mitgerechnet.

        

4.   

Maßgebend bei der Urlaubsgewährung nach Betriebszugehörigkeit ist die Vollendung des betreffenden Beschäftigungsjahres während des Urlaubsjahres.

        

…       

        
        

IV.      

Urlaubsentgelt

        

1.   

Das Urlaubsentgelt errechnet sich nach dem Bruttoverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 12 Abrechnungsmonaten vor Beginn des Urlaubs erhalten hat. Einmalzahlungen, wie z. B. Jahressonderzahlung, Fahrtkostenzuschüsse, Spesen und Jubiläumszahlungen werden dem Bruttoarbeitsverdienst nicht zugerechnet. Das kalendertägliche Urlaubsentgelt errechnet sich aus 1/364, bei Arbeitnehmern in der Lohngruppe 7 c) und Lohngruppe 9 aus 1/338.

                 

…       

                 

War der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum vom Betrieb abwesend, ohne dass dafür ein Lohnanspruch bestand, z. B. unbezahlter Urlaub, Teilnahme an Lehrgängen usw., verkürzt sich der Divisor um die Zahl der Tage, an denen kein Lohnanspruch bestand.

                 

…       

        

§ 8      

        

ENTGELTFORTZAHLUNG IM KRANKHEITSFALL

        

…       

        
        

2.   

Bis zur Dauer von sechs Wochen wird das Arbeitsentgelt bezahlt. Das Arbeitsentgelt errechnet sich nach dem Bruttoverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 12 Abrechnungsmonaten vor Beginn der Krankheit erhalten hat. Einmalzahlungen, wie z. B. Jahressonderzahlung, Fahrtkostenzuschüsse, Spesen und Jubiläumszuwendungen werden dem Bruttoarbeitsverdienst nicht hinzugerechnet. Das kalendertägliche Krankengeld errechnet sich aus 1/364, bei Arbeitnehmern in der Lohngruppe 7 c) und Lohngruppe 9 aus 1/338.

                 

…       

                 

War der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum vom Betrieb abwesend, ohne dass dafür ein Lohnanspruch bestand, z. B. unbezahlter Urlaub, Teilnahme an Lehrgängen usw., verkürzt sich der Divisor um die Zahl der Tage, an denen kein Lohnanspruch bestand.

        

…       

        
        

6.   

Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen.“

4

Die Beklagte gewährte dem Kläger im Jahr 2007 15 Tage Urlaub. Für zwei Tage Urlaub im Mai 2007 leistete sie ein Urlaubsentgelt von je 87,93 Euro brutto, für einen Urlaubstag im August 2007 89,54 Euro brutto, für sieben Urlaubstage im September 2007 je 90,75 Euro brutto und für fünf Urlaubstage im Oktober 2007 je 91,10 Euro brutto. Sie ermittelte das Urlaubsentgelt, indem sie den Bruttoverdienst der dem Urlaubsteil vorangehenden zwölf Abrechnungsmonate durch 364 teilte.

5

Der Kläger war 2007 an neun Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Für die drei Tage vom 13. bis 15. Februar 2007 leistete die Beklagte je 85,36 Euro brutto Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, für drei Tage im Juni 2007 je 88,54 Euro brutto und für drei Tage im August 2007 je 89,54 Euro brutto.

6

Der Kläger hat behauptet, er habe in den zwölf Abrechnungsmonaten vor Beginn der jeweiligen Urlaubs- und Krankheitszeiten im Jahr 2007 100 Freischichttage gehabt. Sein Jahresbruttoverdienst habe in den Abrechnungsmonaten vor Beginn der Urlaubs- und Krankheitsperioden stets 29.694,72 Euro betragen. Der Kläger meint, die Beklagte habe seine Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall falsch berechnet. Sie habe seinen Bruttoverdienst vor Beginn der Urlaubs- und Krankheitszeiten zwar richtig ermittelt. Die jährlichen 100 Freischichttage seien jedoch von dem tariflichen Divisor abzuziehen. Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall errechneten sich deshalb nicht mit einem Teiler von 364, sondern mit einem Divisor von 264.

7

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 818,46 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

        

-       

aus 96,99 Euro brutto seit 1. Juni 2007,

        

-       

aus 167,21 Euro brutto seit Klageerhebung,

        

-       

aus 135,64 Euro brutto seit 1. September 2007,

        

-       

aus 240,52 Euro brutto seit 1. Oktober 2007 und

        

-       

aus 178,10 Euro brutto seit 1. November 2007

        

zu zahlen.

8

Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger in den jeweiligen zwölf Abrechnungsmonaten vor Beginn der Urlaubs- und Krankheitszeiten 100 Freischichten gehabt habe. Die Freischichten variierten im Schichtbetrieb. Sie wirkten sich jedenfalls nicht auf den Divisor aus. Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall seien nach Wortlaut, Zusammenhang und Zweck des Tarifvertrags mit 1/364 pro Tag zu berechnen. Der vom Kläger behauptete Bruttojahresverdienst vor Beginn der Urlaubs- und Krankheitsperioden treffe nicht zu.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist erfolglos. Die Klage ist unbegründet.

11

A. Die erhobenen Ansprüche auf Urlaubsentgelt haben keine tarifliche Grundlage. Der Senat kann offenlassen, ob die Tarifvertragsparteien eine Umrechnung in Arbeitstage ausgeschlossen haben, indem sie in § 7 MTV Nr. 10 auf Kalendertage abgestellt haben. Die auf Urlaubsentgelt gerichtete Klage ist auch in diesem Fall erfolglos. Das trifft in gleicher Weise bei einer Umrechnung der Kalendertage in Arbeitstage zu.

12

I. Der normative Teil eines Tarifvertrags ist grundsätzlich nach den für Gesetze geltenden Regeln auszulegen. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Auf dieser Grundlage ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu ermitteln, soweit er sich in den tariflichen Regelungen niedergeschlagen hat. Der tarifliche Zusammenhang kann Aufschluss über den von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck geben. Auch auf die Entstehungsgeschichte und die Tarifpraxis kann zurückgegriffen werden. Praktikabilität und Sinn des Auslegungsergebnisses sind im Auge zu behalten. Im Zweifel ist die Auslegung vorzugswürdig, die der tariflichen Regelung Geltung verschafft (für die st. Rspr. Senat 15. Dezember 2009 - 9 AZR 795/08 - Rn. 34).

13

II. Die Tarifvertragsparteien haben einen weiten Spielraum bei der Gestaltung von Urlaubsfragen (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Sofern der Mindesturlaub der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG unberührt bleibt, können sie für Arbeitnehmer in einer Schichtplanung, die alle Wochentage umfasst, ein „gemischtes“ System von Urlaubs- und Freischichttagen schaffen. Dabei kann als Zeiteinheit der Kalendertag herangezogen werden, um die Berechnung zu vereinfachen.

14

1. Knüpft ein Tarifvertrag - wie hier - nach gebotener Auslegung an Kalendertage an, verbindet er inzident Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Freizeitausgleich (vgl. zB Senat 15. Dezember 2009 - 9 AZR 795/08 - Rn. 47). Diese Ansprüche unterscheiden sich inhaltlich in mehrerer Hinsicht.

15

a) Die Erfüllung eines Anspruchs auf Erholungsurlaub setzt voraus, dass der Arbeitnehmer durch sog. Freistellungserklärung des Arbeitgebers zu Erholungszwecken von seiner sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit wird (vgl. nur Senat 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 24, AP BUrlG § 7 Nr. 39 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 15). Legt der Arbeitgeber „Freischichttage“ fest, erfüllt er - hier durch Tarifvertrag begründete - Ansprüche auf Zeitausgleich. Der Arbeitgeber ist aufgrund der Ausgleichsansprüche unabhängig vom Erholungszweck verpflichtet, den Arbeitnehmer zu bestimmten Zeiten von seiner Arbeitspflicht freizustellen (vgl. BAG 11. Februar 2009 - 5 AZR 341/08 - Rn. 13, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 44 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 17).

16

b) Der Arbeitgeber kann nicht verlangen, dass der Arbeitnehmer gewährten Erholungsurlaub abbricht oder unterbricht (vgl. für den gesetzlichen Mindesturlaub Senat 20. Juni 2000 - 9 AZR 405/99 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 95, 104). Er kann Ansprüche auf Freizeitausgleich demgegenüber auch durch eine Freistellung erfüllen, die regelmäßig widerruflich ist. Gewährt der Arbeitgeber Zeitausgleich, um ein Arbeitszeitguthaben des Arbeitnehmers abzubauen, handelt es sich idR nur um eine Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit iSv. § 106 Satz 1 GewO. Eine widerrufliche Freistellung von der Arbeitspflicht zum Abbau eines Zeitguthabens ist deshalb geeignet zu bewirken, dass der Anspruch auf Freizeitausgleich nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt(vgl. Senat 19. Mai 2009 - 9 AZR 433/08 - Rn. 27, AP BUrlG § 7 Nr. 41 = EzA BUrlG § 7 Nr. 121; 19. März 2002 - 9 AZR 16/01 - zu II 2 b bb (3) der Gründe, EzA BGB § 615 Nr. 108). Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer widerruflich von der Arbeitspflicht frei, um einen Anspruch auf Zeitausgleich zu erfüllen, behält er sich vor, den Arbeitnehmer jederzeit wieder zur Arbeit heranzuziehen. Dieses Widerrufsrecht kann auf kollektiv- oder einzelvertraglicher Grundlage ausgeschlossen werden.

17

c) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann der Arbeitgeber die zeitliche Festlegung eines Urlaubswunschs lediglich aus den im Gesetz genannten Gründen ablehnen. Bei der Festlegung eines Ausgleichszeitraums hat er dagegen nur billiges Ermessen nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB zu üben, soweit sein Ermessen nicht durch Gesetz, Kollektivrecht oder Vertrag beschränkt ist.

18

d) Der gesetzliche Mindestanspruch auf Erholungsurlaub kann nach § 7 Abs. 4 BUrlG nur unter der Voraussetzung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden. Die Abgeltung von Ansprüchen auf Zeitausgleich unterliegt keiner derartigen Beschränkung.

19

2. Verbindet ein Tarifvertrag Ansprüche auf Erholungsurlaub und Zeitausgleich, indem er auf Kalendertage abstellt, ist keine Umrechnung in Werk- oder Arbeitstage erforderlich, wenn die Arbeit - wie im Streitfall - nicht in der Sechs- oder in der Fünftagewoche geleistet wird.

20

a) Eine solche Verbindung von Urlaub und Freizeitausgleich enthält zB § 11 des Manteltarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 3. Februar 2003 (WachSichHEMantelTV). § 11 Abschn. I Nr. 4 Abs. 1 WachSichHEMantelTV sieht vor, dass der Urlaubsanspruch mindestens 28 Kalendertage beträgt, wenn Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. § 11 Abschn. II Nr. 1 und 2 WachSichHEMantelTV erhöht den Grundurlaubsanspruch ab 2005 auf 35 Kalendertage und weist nach Betriebszugehörigkeit gestaffelten Zusatzurlaub in Kalendertagen aus. § 11 Abschn. II Nr. 3 Buchst. a WachSichHEMantelTV bestimmt, dass die innerhalb des Urlaubszeitraums liegenden Samstage, Sonntage, Feiertage und Freischichttage bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs mitgerechnet werden. Liegen vor und nach einem zusammenhängenden Urlaubszeitraum von mehr als fünf Tagen Freischichttage, wird nach § 11 Abschn. II Nr. 3 Buchst. b WachSichHEMantelTV nur ein Freischichtzeitraum auf den Urlaubsanspruch angerechnet. Bei einzelnen Kurzurlauben von einem Tag bis zu fünf Tagen sieht § 11 Abschn. II Nr. 3 Buchst. c WachSichHEMantelTV vor, dass bei Erreichen von jeweils fünf Urlaubstagen zusätzlich zwei Urlaubstage auf den bestehenden Urlaubsanspruch angerechnet und vergütet werden, bis der Gesamturlaubsanspruch des laufenden Kalenderjahres verbraucht ist.

21

b) Der hier anzuwendende § 7 Abschn. II Nr. 3 MTV Nr. 10 enthält keine so eindeutige Regelung. Nach dieser Tarifnorm werden bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs ausdrücklich nur die in die Urlaubszeit fallenden Sonn- und Feiertage mitgerechnet. Freischichttage sind nicht erwähnt. Wird unterstellt, dass die Tarifvertragsparteien mit dem Bezug auf Kalendertage nicht verdeckt eine nötige Umrechnung in Werk- oder Arbeitstage ausdrücken wollten, kommt nach Wortlaut, Zusammenhang und Zweck des § 7 MTV Nr. 10 jedoch nur ein gemischtes System von Urlaubs- und Zeitausgleichstagen in Betracht. Die Zusammenfassung von Urlaub und Zeitausgleich kommt vor allem in den langen sog. Urlaubszeiten von mindestens 32 und höchstens 42 Kalendertagen zum Ausdruck (vgl. § 7 Abschn. II Nr. 1 und 2 MTV Nr. 10). Auf eine von den Tarifvertragsparteien gewollte Anrechnung von Freischichttagen deutet ferner die Berechnung des Urlaubsentgelts mithilfe eines kalendertäglichen Divisors von 364 hin (vgl. § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 1. Alt. MTV Nr. 10). Der Kläger muss sich deswegen auch dann die gewährten Freischichttage auf seine sog. Urlaubszeiten anrechnen lassen, wenn auf Kalendertage abgestellt wird. Die Klage ist auf dieser Berechnungsgrundlage unbegründet.

22

III. Im Ergebnis kann dahinstehen, ob die Tarifvertragsparteien in § 7 MTV Nr. 10 eine feste Zahl von Urlaubstagen - bemessen nach Kalendertagen - festlegen wollten oder ob die Kalendertage für die Arbeitnehmer, die nicht an allen Wochentagen arbeiten, in die entsprechende Zahl von Arbeitstagen umgerechnet werden müssen. Die Klage bleibt auch dann in der Sache erfolglos, wenn die in § 7 MTV Nr. 10 genannte Zahl der Kalendertage in Arbeitstage umgerechnet wird. Die Ansprüche des Klägers auf Urlaub und Urlaubsentgelt errechnen sich in diesem Fall nach der Formel

     

tarifvertraglicher Gesamturlaubsanspruch in Kalendertagen/Jahr x reale Arbeitstage

= Urlaubstage

364 Kalendertage

     

x    

Bruttoverdienst der zwölf Abrechnungsmonate vor Beginn des Urlaubs(-teils) x tariflicher Gesamturlaubsanspruch

= Urlaubsentgelt.

     

: 364 Kalendertage

23

Die Freischichten des Klägers sind unter dieser Prämisse bei der Berechnung seines Urlaubsanspruchs zu berücksichtigen. Sie gehen über die Umrechnungsformel für die Urlaubsansprüche in die Berechnung des Urlaubsentgelts ein.

24

Der Senat kann den Urlaubsanspruch des Klägers, an den sein Anspruch auf Urlaubsentgelt anknüpft, im Fall der nötigen Umrechnung nicht berechnen. Der Kläger hat seine realen Arbeitstage in den Tatsacheninstanzen nicht vorgebracht. Dem Kläger standen für das Jahr 2007 jedenfalls nicht die von § 7 Abschn. II Nr. 1 und Nr. 2 3. Var. MTV Nr. 10 vorgesehenen 40 Kalendertage als Urlaubstage iSd. Urlaubsrechts zu. Das ergibt die Auslegung von § 7 MTV Nr. 10.

25

1. Der Kläger hatte für das Jahr 2007 nach § 7 Abschn. I Nr. 1 und 2, Abschn. II Nr. 1, Nr. 2 3. Var. MTV Nr. 10 keinen Jahresurlaubsanspruch von 40 Tagen, wenn unterstellt wird, dass die Tarifvertragsparteien mit in Kalendertagen bemessenem „Urlaub“ allein die Freistellung von der Arbeitspflicht für Erholungsurlaub und nicht auch Zeitausgleich meinten. Der Anspruch des Klägers, der sich auf 40 Kalendertage beläuft, ist in Urlaubstage umzurechnen.

26

2. Im Unterschied zu anderen Fällen im Bereich des Urlaubs bei vollkontinuierlicher Wechselschicht ohne regelmäßigen Wochenbezug, über die der Senat bereits entschieden hat, knüpft § 7 MTV Nr. 10 an Kalendertage, nicht an Arbeits- oder Werktage an. Die hier anzuwendende Tarifvorschrift trifft auch keine ausdrückliche Umrechnungsbestimmung für Arbeit in Wechselschicht (vgl. dagegen die tariflichen Umrechnungsregelungen, die zB den Entscheidungen des Senats vom 9. September 2003 [- 9 AZR 468/02 - zu II 2 und 3 der Gründe, EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 6] und 5. November 2002 [- 9 AZR 470/01 - zu B I 1 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 15 = EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 4] zugrunde lagen).

27

3. Die von § 7 Abschn. II Nr. 1, Nr. 2 3. Var. MTV Nr. 10 vorgesehenen 40 Kalendertage sind schon deshalb umzurechnen, weil der Kläger in Wechselschicht tätig war.

28

a) Der Kläger arbeitete regelmäßig an vier Tagen, an die sich zwei Freischichttage anschlossen. Er war damit in manchen Wochen an vier Tagen tätig (zB mittwochs bis samstags), in anderen Wochen an fünf Tagen (bspw. montags bis donnerstags und sonntags). Hinzu kommt, dass der Kläger in einigen Monaten auch fünf Tage mit zwei anschließenden Freischichttagen arbeitete. Die Freischichten variierten demnach.

29

b) Aus dieser Wechselschichttätigkeit ergibt sich ein Umrechnungserfordernis, wenn angenommen wird, die Tarifvertragsparteien hätten kein gemischtes System aus Urlaub und Zeitausgleich gewählt. Urlaub kann nur für solche Tage erteilt werden, an denen der Arbeitnehmer aufgrund der Verteilung seiner Arbeitszeit eigentlich hätte arbeiten müssen (für die st. Rspr. Senat 30. Oktober 2001 - 9 AZR 315/00 - zu II 1 der Gründe). Urlaubsgewährung ist die Befreiung von der Arbeitspflicht für einen bestimmten künftigen Zeitraum (Senat 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 33, AP BUrlG § 7 Nr. 39 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 15).

30

aa) Freischichttage sind keine Arbeitstage, sondern Wochentage, an denen der Arbeitnehmer wegen der Verteilung der Arbeitszeit auf Arbeitsschichten nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Sie verringern rechnerisch die Anzahl der in einem Jahr möglichen Tage mit Arbeitspflicht (Senat 9. September 2003 - 9 AZR 468/02 - zu II 3 b der Gründe, EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 6).

31

bb) Ist die Arbeitszeit innerhalb der Woche nicht gleichmäßig auf Arbeitstage verteilt, muss die Anzahl der Urlaubstage durch Umrechnung ermittelt werden (Senat 20. August 2002 - 9 AZR 261/01 - zu I 2 a bb der Gründe, BAGE 102, 251). Die Umrechnungsnotwendigkeit ergibt sich aus dem in § 125 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. SGB IX ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedanken und § 3 Abs. 1 BUrlG. Ist die Arbeitszeit eines schwerbehinderten Menschen auf weniger oder mehr als fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, vermindert oder erhöht sich der Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. SGB IX entsprechend. Dieser Grundsatz beruht auf einem allgemeinen Rechtsgedanken, der auf das gesamte Urlaubsrecht anwendbar ist (Senat 20. August 2002 - 9 AZR 261/01 - zu I 2 a aa der Gründe, aaO; 30. Oktober 2001 - 9 AZR 315/00 - zu II 2 der Gründe).

32

4. § 7 MTV Nr. 10 steht einer Umrechnung nicht entgegen. Die Tarifnorm knüpft einheitlich an Kalendertage an (vgl. § 7 Abschn. I Nr. 1 Satz 2, Nr. 4 Abs. 1, Abschn. II Nr. 1 und 2, Abschn. III, Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 und 2 MTV Nr. 10). Der in Wortlaut und Zusammenhang zum Ausdruck gebrachte Wille der Tarifvertragsparteien verlangt eine Umrechnung, wenn angenommen wird, die Tarifvertragsparteien seien von keinem gemischten System aus Urlaub und Zeitausgleich ausgegangen.

33

a) Schon der vorrangig zu berücksichtigende Wortlaut von § 7 Abschn. I Nr. 1 Satz 1 und 2, Abschn. II Nr. 1 und Nr. 2 3. Var. MTV Nr. 10 macht den Zweck deutlich, für alle unterschiedlichen Arbeitszeitverteilungsmodelle eine gleichwertige, durch Urlaub ausfallende Arbeitszeit sicherzustellen (vgl. zu der Frage der Gleichwertigkeit zB Senat 9. September 2003 - 9 AZR 468/02 - zu II 3 a der Gründe, EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 6; 20. August 2002 - 9 AZR 261/01 - zu I 2 a aa der Gründe, BAGE 102, 251). Dafür spricht die ungewöhnliche Anknüpfung an Kalendertage anstelle von Arbeits- oder Werktagen. Dieser Bezug auf Kalendertage ist bei einem reinen Urlaubssystem nur sinnvoll, wenn unterschiedliche Arbeitszeitverteilungsmodelle einheitlich im Sinne einer Rechengröße geregelt werden sollen. Die Tarifvertragsparteien können aus arbeitszeitrechtlichen Gründen nicht angenommen haben, dass an allen Kalendertagen Arbeit geleistet werden darf (vgl. § 3 Satz 1, § 6 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2, § 12 Satz 1 ArbZG). Im Zweifel ist eine Auslegung vorzunehmen, die der tariflichen Regelung gesetzeskonforme Geltung verschafft. Die vereinheitlichende Anknüpfung an Kalendertage erklärt zudem, weshalb die Tarifvertragsparteien in einem Gewerbe, das von Wechselschicht geprägt ist, dem Wach- und Sicherheitsgewerbe, keine ausdrückliche Umrechnungsregelung getroffen haben (vgl. im Unterschied dazu bspw. die tarifliche Umrechnungsregelung, die der Entscheidung des Senats vom 5. November 2002 [- 9 AZR 470/01 - zu B I 1 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 15 = EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 4] zugrunde lag).

34

b) Der Zusammenhang der den Urlaubsanspruch begründenden Tarifvorschriften mit § 7 Abschn. I Nr. 4 Abs. 1 MTV Nr. 10 stützt dieses Auslegungsergebnis. Danach muss ein Urlaubsteil mindestens 14 aufeinanderfolgende Kalendertage umfassen. Die Bestimmung zeigt das Bestreben der Tarifvertragsparteien, eine Umrechnung in Wochen zu ermöglichen (vgl. zum Wochenbezug etwa Senat 9. September 2003 - 9 AZR 468/02 - zu II 3 e der Gründe, EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 6; 30. Oktober 2001 - 9 AZR 315/00 - zu II 3 c aa der Gründe). Die 14 Kalendertage entsprechen den von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG in der Sechstagewoche vorgesehenen zwölf Werktagen. Der Arbeitnehmer soll Anspruch auf einen zusammenhängenden Urlaubsteil von zwei Wochen haben.

35

5. Die Zahl der 40 Kalendertage, die sich für das Jahr 2007 aus § 7 Abschn. I Nr. 1 Satz 1 und 2, Abschn. II Nr. 1 und Nr. 2 3. Var. MTV Nr. 10 ergibt, ist nicht „fix“, sondern im Verhältnis zu den Tagen mit Arbeitspflicht in Urlaubstage umzurechnen.

36

a) Für die nötige Umrechnung ist grundsätzlich auf Arbeitstage abzustellen. Die Anzahl der Arbeitstage mit Arbeitspflicht ist mit der Anzahl der Urlaubstage ins Verhältnis zu setzen.

37

b) Für diese Berechnung ist der Zeitabschnitt heranzuziehen, in dem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt erreicht wird (vgl. Senat 5. November 2002 - 9 AZR 470/01 - zu B I 3 b bb (1) der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 15 = EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 4). Das ist hier nach § 7 Abschn. I Nr. 1 Satz 1 und 3 MTV Nr. 10 ein Kalenderjahr. Das Kalenderjahr ist abweichend von § 191 2. Alt. BGB nicht mit 365 Tagen zu berechnen, sondern mit 364 Tagen (vgl. zu § 191 BGB Senat 9. September 2003 - 9 AZR 468/02 - zu II 3 a der Gründe, EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 6; 5. November 2002 - 9 AZR 470/01 - zu B I 3 b bb (1) der Gründe, aaO). Darauf deutet die Regelung in § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 1. Alt. MTV Nr. 10 hin. Danach errechnet sich das kalendertägliche Urlaubsentgelt aus 1/364 des Bruttoverdienstes. Das tarifliche Urlaubsentgelt knüpft zwar an den Bruttoverdienst der letzten zwölf Abrechnungsmonate vor Beginn des Urlaubs an (§ 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 10) und nicht an das vorausgehende Kalenderjahr. Die für das Urlaubsentgelt getroffene Regelung macht jedoch die von den Tarifvertragsparteien gewollte Berechnungsmethode für Jahreszeiträume deutlich.

38

c) Die anzuwendende Umrechnungsformel für die Urlaubsansprüche des Klägers lautet also:

        

        

tarifliche Urlaubstage in Kalendertagen/Jahr x tatsächliche Arbeitstage/Jahr

= Urlaubstage

364 Kalendertage

39

Da die tarifliche Urlaubsregelung bei einem unterstellten reinen Urlaubssystem an Kalendertage und nicht an Arbeits- oder Werktage anknüpft, ist auf einen Divisor von 364 Kalendertagen und nicht auf einen Teiler von möglichen Arbeitstagen im Jahr abzustellen (vgl. zu einer tariflichen Regelung, die sich auf Arbeitstage bezog, dagegen Senat 5. November 2002 - 9 AZR 470/01 - zu B I 3 b bb (1) der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 15 = EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 4). Die Senatsrechtsprechung, die einen Divisor von 312 Tagen zugrunde legt, bezieht sich auf Tarifbestimmungen, die die Urlaubsdauer anhand von Werktagen und nicht mithilfe von Kalendertagen berechnen (vgl. 20. August 2002 - 9 AZR 261/01 - zu I 2 a bb der Gründe, BAGE 102, 251).

40

d) Der tarifliche Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2007 errechnet sich aus folgenden Werten:

        

40 Urlaubstage in Kalendertagen/Jahr x reale Arbeitstage/Jahr

= Urlaubstage

364 Kalendertage

41

Der Senat kann schon die Urlaubsformel nicht ausfüllen und das von ihr abhängige Urlaubsentgelt nicht errechnen, weil der Kläger seine realen Arbeitstage in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen hat. Die Sache ist dennoch entscheidungsreif und nicht nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

42

6. Die Aufklärungsrüge, mit der die Revision den unterbliebenen Hinweis des Landesarbeitsgerichts (§ 139 ZPO) auf erforderlichen weiteren Sachvortrag beanstandet, ist erfolglos.

43

a) Sie ist bereits unzulässig.

44

aa) Wird eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das Landesarbeitsgericht gerügt, reicht es nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO nicht aus, wenn die Partei, die die Rüge erhebt, pauschal auf die Verletzung der Aufklärungspflicht hinweist. Sie muss vielmehr im Einzelnen vortragen, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen sie auf den vermissten Hinweis hin vorgebracht hätte. Nur so kann das Revisionsgericht feststellen, ob die gerügte Verletzung für das angefochtene Urteil möglicherweise kausal war (vgl. Senat 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 e aa der Gründe, BAGE 109, 145; siehe auch BAG 25. September 2008 - 8 AZR 607/07 - Rn. 58, AP BGB § 613a Nr. 355 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 98).

45

bb) Diesem Erfordernis wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Der Kläger hat zur Begründung der Verfahrensrüge weder die in den Referenzzeiträumen angefallenen Arbeitstage noch die Freischichttage dargelegt.

46

b) Die von der Revision erhobene Aufklärungsrüge dringt zudem inhaltlich nicht durch. Der Senat darf das mit der Rüge gehaltene neue Vorbringen deswegen nicht berücksichtigen (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

47

aa) Das Berufungsgericht ist nicht zur Aufklärung verpflichtet, wenn eine Partei oder das Gericht erster Instanz darauf hingewiesen hat, dass nötiges Vorbringen fehlt (vgl. zum Hinweis der anderen Partei zB Senat 14. Oktober 2003 - 9 AZR 636/02 - zu B II 3 c bb (3) (3.2) der Gründe, BAGE 108, 103).

48

bb) Das Arbeitsgericht hat die Klage selbst dann für unschlüssig gehalten, wenn der Rechtsansicht des Klägers zu folgen sei, dass die Divisoren des § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 MTV Nr. 10 und des § 8 Nr. 2 Abs. 1 Satz 4 MTV Nr. 10 von 364 um die Freischichttage zu verringern seien. Der Kläger habe die Freischichttage nicht vorgetragen, sondern sei pauschal von 100 Freischichttagen im Referenzzeitraum ausgegangen. Der Kläger hätte die Freischichttage, die in den zwölf Monaten vor dem jeweiligen Urlaubs- oder Krankheitszeitraum anfielen, mit Blick auf die Erwägungen des Arbeitsgerichts spätestens in der Berufungsbegründung nennen müssen. Nur auf diese Weise hätten die angefallenen Arbeitstage errechnet werden können.

49

7. Die Auffassung des Klägers, die in den Tatsacheninstanzen nicht im Einzelnen vorgetragenen Freischichttage seien für das Urlaubsentgelt divisormindernd zu berücksichtigen, entspricht unter der Voraussetzung eines reinen Urlaubssystems nicht § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 und 3 MTV Nr. 10. Dagegen sprechen Wortlaut, Zusammenhang und Zweck der Tarifbestimmungen. Das haben die Vorinstanzen zu Recht erkannt. Auf die umstrittene Höhe des Bruttoverdienstes des Klägers im zwölfmonatigen Referenzzeitraum kommt es daher nicht an.

50

a) Der Wortlaut des § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 1. Alt. MTV Nr. 10 nennt einen Divisor von 364 Tagen und erwähnt die im Bewachungsgewerbe regelmäßig anfallenden Freischichttage nicht einschränkend. Das ist auch nicht erforderlich. Die Freischichttage gehen über die für die Berechnung des Urlaubsanspruchs nötige Umrechnung der von § 7 Abschn. II Nr. 1 und 2 MTV Nr. 10 vorgesehenen Kalendertage in Urlaubstage ohnehin in die Berechnung des Urlaubsentgelts ein. Das Entgelt für den einzelnen Urlaubstag kann mithilfe des Divisors von 364 gelöst von der Urlaubsformel errechnet werden, nicht aber die Gesamthöhe des Entgelts für den Jahresurlaub.

51

b) Freischichttage fallen entgegen der Ansicht der Revision nicht unter die divisormindernde Regelung in § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 3 MTV Nr. 10. Danach verkürzt sich der Divisor um die Zahl der Tage, an denen kein Lohnanspruch bestand, wenn der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum vom Betrieb abwesend war, ohne dass dafür ein Lohnanspruch bestand, zB bei unbezahltem Urlaub, der Teilnahme an Lehrgängen usw. Die Tarifvorschrift nennt mit unbezahltem Urlaub und Lehrgangsteilnahmen beispielhaft verhältnismäßig seltene Fälle der Abwesenheit vom Betrieb ohne Lohnanspruch. Hätten die Tarifvertragsparteien den sehr viel häufiger auftretenden und für das Wach- und Sicherheitsgewerbe typischen Sachverhalt der Freischichttage regeln wollen, hätte es nahegelegen, ihn ausdrücklich in die beispielhafte Aufzählung einzubeziehen. Fielen die Freischichttage unter § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 3 MTV Nr. 10, würde zudem der Sinn des Bezugs auf Kalendertage, der § 7 MTV Nr. 10 durchgängig prägt, vereitelt. Die ungewöhnliche Anknüpfung des Urlaubsanspruchs an Kalendertage dient unter der Prämisse eines reinen Urlaubssystems dazu, unterschiedliche Arbeitszeitverteilungsmodelle einheitlich im Sinne einer Rechengröße zu regeln.

52

8. Die Tarifregelung in § 7 Abschn. IV Nr. 1 MTV Nr. 10, die von der besonderen Ausgestaltung des Referenzprinzips in § 11 Abs. 1 BUrlG abweicht, ist von der Tariföffnung des § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG gedeckt. Tarifvertragsparteien können das Referenzprinzip bei der Berechnung des Geldfaktors zugunsten des Lohnausfallprinzips verlassen (vgl. Senat 15. Dezember 2009 - 9 AZR 887/08 - Rn. 15; 3. Dezember 2002 - 9 AZR 535/01 - zu I 1 der Gründe, BAGE 104, 65). Behalten sie das Referenzprinzip bei, dürfen sie den Referenzzeitraum, wie hier, verlängern. Ein Referenzzeitraum von zwölf Monaten ist auch dann unbedenklich, wenn das für den gesetzlichen Mindesturlaub zu zahlende Entgelt betroffen ist (Senat 15. Dezember 2009 - 9 AZR 887/08 - Rn. 15; 3. Dezember 2002 - 9 AZR 535/01 - zu I 2 c aa der Gründe, aaO). Das unabdingbare Grundniveau des § 1 BUrlG wird durch solche Gestaltungen nicht unterschritten. Die Tarifvertragsparteien können den Referenzzeitraum auch verkürzen oder, wie im Streitfall, auf die abgerechneten Monate zurückgreifen (vgl. Senat 3. Dezember 2002 - 9 AZR 535/01 - zu I 2 c bb der Gründe, aaO).

53

B. Auch die auf höhere Entgeltfortzahlungsbeträge im Krankheitsfall gerichtete Klage ist unbegründet.

54

I. Im Rahmen der Auslegung von § 8 Nr. 2 Abs. 1 und 3 MTV Nr. 10 gelten die zum Urlaubsentgelt angestellten Überlegungen mit Ausnahme des Umrechnungserfordernisses entsprechend. § 8 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 bis 4 und Abs. 3 MTV Nr. 10 ist hinsichtlich der Berechnungsmethodik inhaltsgleich mit § 7 Abschn. IV Nr. 1 Abs. 1 und 3 MTV Nr. 10.

55

II. § 8 Nr. 2 Abs. 1 und 3 MTV Nr. 10 verstößt - jedenfalls soweit hier entscheidungserheblich - nicht gegen höherrangiges Recht.

56

1. Nach § 4 Abs. 1 iVm. § 3 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen „das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen“. Durch Tarifvertrag kann eine hiervon abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden (§ 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG). Bemessungsgrundlage iSv. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG ist die Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Entgeltfortzahlung. Dazu gehören Berechnungsmethode und Berechnungsgrundlage der Entgeltfortzahlung. Die Berechnungsmethode meint das Ausfall- oder das Referenzprinzip. Die Berechnungsgrundlage setzt sich aus Geld- und Zeitfaktor zusammen. Sie betrifft Umfang und Bestandteile des zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts sowie die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (vgl. BAG 18. November 2009 - 5 AZR 975/08 - Rn. 16; 24. März 2004 - 5 AZR 346/03 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 110, 90; 13. März 2002 - 5 AZR 648/00 - zu III 2 b der Gründe, AP EntgeltFG § 4 Nr. 58 = EzA EntgeltfortzG § 4 Nr. 6). § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG öffnet damit nicht nur den Geldfaktor, die Fortzahlung des dem Arbeitnehmer zustehenden Arbeitsentgelts, für Tarifverträge. Auch der Zeitfaktor, die ausgefallene Arbeitszeit, darf modifiziert werden, wenn der Grundsatz der vollen sechswöchigen Entgeltfortzahlung für den gesamten Zeitraum der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nach § 3 EFZG gewahrt bleibt(§ 12 EFZG).

57

2. Das auf zwölf Abrechnungsmonate ausgerichtete Referenzprinzip in § 8 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 MTV Nr. 10 und die Anknüpfung an Kalendertage in § 8 Nr. 2 Abs. 1 Satz 4 MTV Nr. 10 ist nach diesen Grundsätzen von der Tariföffnung des § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG gedeckt. Der Tarifvertrag muss nicht auf die für den Arbeitnehmer maßgebende individuelle Arbeitszeit abstellen, sondern kann Werktage oder Kalendertage zur Grundlage des Entgeltfortzahlungsanspruchs machen und sich damit vom konkreten Lohnausfallprinzip lösen (vgl. BAG 18. November 2009 - 5 AZR 975/08 - Rn. 16; 24. März 2004 - 5 AZR 346/03 - zu II 3 a bb der Gründe, BAGE 110, 90; 9. Oktober 2002 - 5 AZR 356/01 - zu I 1 e aa und bb der Gründe, BAGE 103, 60).

58

C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Düwell    

        

    Krasshöfer    

        

    Gallner    

        

        

        

    Heilmann    

        

    Brossardt    

                 

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. November 2011 - 5 Sa 467/11 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 2. Februar 2011 - 2 Ca 1411/10 - hinsichtlich der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 6. Oktober 2010 zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte bietet Dienstleistungen auf dem Gebiet der Versicherungswirtschaft an. Die 1965 geborene Klägerin war bei ihr seit März 2001 als Firmenkundenberaterin tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ein zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossener Haustarifvertrag Anwendung.

3

Der Ehemann der Klägerin war seit Anfang 1999 bei der Beklagten in unterschiedlichen Führungspositionen beschäftigt. Seine Arbeitszeit richtete sich laut Arbeitsvertrag „nach den Erfordernissen, der Funktion und den übertragenen Aufgaben“. Im Jahr 2009 entband die Beklagte ihn von seinen Leitungsaufgaben. In einem Personalgespräch äußerte sie die Erwartung, dass er künftig „sein geringes Engagement durch Einsatz und Leistungsbereitschaft vergessen“ mache. Er habe seine neue Aufgabe als „Fulltime-Job“ zu begreifen; seine Arbeitszeit beginne fortan „grundsätzlich um 8.00 Uhr“ an ihrem Hauptsitz. Sie erwarte, dass er sich seinen Aufgaben mindestens acht Stunden am Tag widme. Einen hierüber gefertigten Vermerk zeichnete der Ehemann der Klägerin ab. Anfang Dezember führte die Beklagte ein Zeiterfassungssystem ein. Sie wies beide Eheleute an, ihre Arbeitszeit durch dessen Benutzung zu dokumentieren.

4

In der Woche vom 20. bis zum 24. September 2010 erschien die Klägerin jeweils kurz vor 8.00 Uhr im Betrieb am Hauptsitz der Beklagten. Sie bediente jedes Mal das Zeiterfassungsterminal für sich selbst und - mit dessen Stempelkarte - auch für ihren Ehemann. Daraufhin betrat sie das Büro ihres Mannes und schaltete Licht und Computer an. Anschließend begab sie sich an ihren eigenen Arbeitsplatz. Ihr Ehemann erschien jeweils zwischen 18 und 20 Minuten später im Betrieb. In das Dienstgebäude gelangte er an einzelnen Tagen durch einen Nebeneingang. Ein Zeiterfassungsgerät war dort nicht angebracht.

5

Mit Schreiben vom 27. September 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien - nach Anhörung des Betriebsrats - fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2011. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe am 20., 21. und 22. September 2010 unter Verwendung der Stempelkarte ihres Ehemannes einen „Arbeitszeitbetrug“ zu dessen Gunsten begangen. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - erneut fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2011. Darin wiederholte sie den Vorwurf, die Klägerin habe sie gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann - dem gegenüber sie gleichfalls gekündigt hatte - mehrfach über dessen Arbeitszeit getäuscht. Sie verwies darauf, die Klägerin habe die Stempelkarte ihres Ehemannes auch am 23. und 24. September 2010 benutzt.

6

Die Klägerin hat mit ihrer am 15. Oktober 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klageschrift den Antrag (Nr. 1) angekündigt „festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung der Beklagten vom 27.09.2010 seine Beendigung findet, sondern unverändert fortbesteht“. Daneben hat sie für den Fall des Obsiegens mit diesem Begehren einen Antrag (Nr. 2) auf vorläufige Weiterbeschäftigung angebracht. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der letzte Halbsatz des Feststellungsbegehrens enthalte eine allgemeine Feststellungsklage. Sie könne nicht ausschließen, dass sich die Beklagte für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf weitere Beendigungstatbestände als die Kündigung vom 27. September 2010 berufe.

7

In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 2. Februar 2011 hat die Beklagte das Kündigungsschreiben vom 6. Oktober 2010 zur Gerichtsakte gereicht. Die Klägerin hat sodann einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG gegen die darin erklärte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung gestellt. Anschließend haben die Parteien den Rechtsstreit wegen des Weiterbeschäftigungsantrags übereinstimmend für erledigt erklärt. Grund hierfür war, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 erneut gekündigt hatte. Dagegen hat die Klägerin in einem getrennten Verfahren Kündigungsschutzklage erhoben.

8

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigungen vom 27. September 2010 und 6. Oktober 2010, die sie mit ihrer vorliegenden Klage rechtzeitig angegriffen habe, seien unwirksam. Kündigungsgründe lägen nicht vor. Der Vorwurf, sie habe sich an einem „Arbeitszeitbetrug“ ihres Ehemannes beteiligt, treffe schon deshalb nicht zu, weil dieser gegenüber der Beklagten an feste Arbeitszeiten nicht gebunden gewesen sei. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten. Auch habe die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört.

9

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. September 2010, noch durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 6. Oktober 2010 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien wirksam. Die Klägerin habe an verschiedenen Tagen in kollusivem Zusammenwirken mit ihrem Ehemann bewusst Arbeitszeiten vorgespiegelt, die dieser tatsächlich nicht geleistet habe. Unabhängig davon werde die Wirksamkeit der Kündigung vom 6. Oktober 2010 nach § 7 KSchG fingiert. Das betreffende Schreiben sei noch an diesem Tag in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen worden. Der in der Klageschrift angekündigte allgemeine Feststellungsantrag habe die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt.

11

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht lediglich hinsichtlich des Streits über die Wirksamkeit der Kündigung vom 6. Oktober 2010 zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, die Klage insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Beklagten ist zulässig (A.) und begründet (B.). Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist nicht über den Umfang ihrer Zulassung hinaus eingelegt worden. Die Beklagte hat sie ordnungsgemäß begründet.

14

I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Wirksamkeit der fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 6. Oktober 2010. Die Revision ist nur insoweit zugelassen und eingelegt worden. Soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 27. September 2010 für unwirksam erachtet hat, ist sein Urteil rechtskräftig.

15

1. Das Bundesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde der Beklagten die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts „hinsichtlich der Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 6. Oktober 2010“ zugelassen. „Im Übrigen“ hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Die Zulassung erfasst folglich - nach Tenor und Begründung des Beschlusses - nicht die Entscheidung über die Kündigung(en) vom 27. September 2010.

16

2. Die Revision wendet sich dementsprechend nur gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Wirksamkeit der Kündigung(en) vom 6. Oktober 2010. Zwar hatte die Beklagte ursprünglich einen unbeschränkten Revisionsantrag angekündigt. Schon die Revisionsbegründung setzt sich aber nur mit der Entscheidung zu diesen Kündigung(en) auseinander. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte überdies erklärt, die Revision werde „nicht über den Umfang ihrer Zulassung hinaus“ erhoben.

17

3. Die damit einhergehende Rechtskraft des Berufungsurteils hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 27. September 2010 steht dieser Würdigung nicht entgegen. Mit ihr ist nicht bindend festgestellt, dass im Zeitpunkt des Ablaufs der für diese Kündigung maßgebenden Frist - am 31. März 2011 - ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat und deshalb die Revision der Beklagten, mit der diese eine frühere Beendigung erreichen möchte, von vorneherein ohne Erfolg bleiben müsste. Dabei kommt es nicht darauf an, wie weit die Rechtskraft einer stattgebenden Entscheidung über einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG generell reicht. Die Frage, ob und ggf. wann das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Kündigung vom 6. Oktober 2010 aufgelöst worden ist, war nicht Streitgegenstand der gegen die Kündigung vom 27. September 2010 erhobenen Klage.

18

a) Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach dem Streitgegenstand. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb regelmäßig fest, dass jedenfalls bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, das nicht schon zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst worden ist (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 13 mwN; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111).

19

b) Ob die einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG stattgebende Entscheidung zugleich die Feststellung enthält, dass das Arbeitsverhältnis auch zum vorgesehenen Auflösungstermin noch bestanden hat und nicht durch ein zeitlich früher wirkendes Ereignis aufgelöst worden ist(in diesem Sinne BAG 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111; die Frage für mehrere zum gleichen Termin wirkende Kündigungen offenlassend: BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 46, BAGE 131, 155), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Zwar schließt im Verhältnis der Parteien zueinander die Rechtskraft einer Entscheidung gemäß § 322 ZPO eine von ihr abweichende gerichtliche Feststellung in einem späteren Verfahren grundsätzlich aus(BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 13; 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 19). Eine solche Kollision tritt aber nicht ein, wenn der Gegenstand der Kündigungsschutzklage auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt worden ist und damit die Frage, ob auch noch im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, gerade nicht Streitgegenstand der betreffenden Klage war (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 14 mwN; 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BAGE 130, 166). Von einer solchen Beschränkung des Gegenstands der Klage gegen die ordentliche Kündigung vom 27. September 2010 ist auszugehen.

20

aa) Die Klägerin hat gegen sämtliche Kündigungen in den Schreiben der Beklagten vom 27. September 2010 und 6. Oktober 2010 Klage erhoben. Im Termin der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat sie ihre Anträge nebeneinander zur Entscheidung gestellt. Die Beklagte hat jeweils Klageabweisung beantragt. Das spricht dafür, dass schon die Klägerin die Kündigungen unabhängig voneinander auf ihre Wirksamkeit überprüft wissen wollte. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Antragsverständnis seiner Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt, weil es trotz der Möglichkeit der Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde und deren nach Anträgen unterschiedlichen Erfolgs über sämtliche Kündigungen gleichzeitig entschieden hat.

21

bb) Jedenfalls ist das Bundesarbeitsgericht im Rahmen seines Zulassungsbeschlusses ersichtlich von diesem Antragsverständnis und der entsprechenden Eingrenzung des Gegenstands der Klage gegen „die Kündigung vom 27. September 2010“ ausgegangen. Die Zulassung der Revision nur für den Streit der Parteien über die Wirksamkeit der Kündigung(en) vom 6. Oktober 2010 wäre unverständlich, wenn aus seiner Sicht dieser Streit nicht aus dem Gegenstand der Klage gegen die ordentliche Kündigung vom 27. September 2010 „ausgeklammert“ worden wäre. Dieses Antragsverständnis ist deshalb auch dem vorliegenden Revisionsverfahren zugrunde zu legen.

22

II. Die im eingelegten Umfang statthafte Revision ist auch ansonsten zulässig. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel ordnungsgemäß begründet. Unschädlich ist, dass sich die Revisionsbegründung nicht mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum Fehlen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vom 6. Oktober 2010 und dem Fehlen der sozialen Rechtfertigung der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung auseinandersetzt. Die Beklagte rügt, das Landesarbeitsgericht habe die gegen „die Kündigung vom 6. Oktober 2010“ gerichtete Klage nicht iSv. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG als rechtzeitig erhoben ansehen dürfen. Es habe deshalb bereits die fristlose Kündigung wegen § 7 KSchG als von Anfang an wirksam erachten müssen. Die Rüge ist - ihre Berechtigung unterstellt - geeignet, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Umfang der Anfechtung insgesamt zu Fall zu bringen. Das ist ausreichend.

23

B. Die Revision ist begründet.

24

I. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage gegen die fristlose Kündigung vom 6. Oktober 2010 mit der von ihm gegebenen Begründung nicht stattgeben. Zwar gilt die Kündigung nicht gemäß § 7 KSchG als wirksam. Die Klägerin hat die dreiwöchige Frist zur Klageerhebung (§ 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 4 Satz 1 KSchG) nicht versäumt (1.). Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen aber nicht das von ihm gefundene Ergebnis, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor(2.).

25

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der Fiktion des § 7 KSchG mit Zugang der fristlosen Kündigung vom 6. Oktober 2010 geendet. Die Klägerin hat die Frist des § 4 Satz 1 KSchG durch den mit der Klageschrift angekündigten allgemeinen Feststellungsantrag und ihre im Termin vom 2. Februar 2011 abgegebenen Prozesserklärungen gewahrt.

26

a) Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus „anderen Gründen“ rechtsunwirksam, muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigungserklärung beim Arbeitsgericht Klage auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die betreffende Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Aufgrund der Verweisung in § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG gilt diese Frist auch für die Klage gegen eine außerordentliche Kündigung(BAG 26. März 2009 - 2 AZR 403/07 - Rn. 17). Wird die Unwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt diese gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage muss deshalb als unbegründet abgewiesen werden (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 403/07 - aaO mwN).

27

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe die Kündigung vom 6. Oktober 2010 - hinsichtlich beider darin enthaltener Kündigungserklärungen - mit einer Klage nach § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG gesondert angreifen müssen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 6. Oktober 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut und eigenständig gekündigt und nicht etwa die vorangegangene Kündigung vom 27. September 2010 lediglich ein weiteres Mal verlautbart (zur Abgrenzung vgl. BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 38; 6. September 2007 - 2 AZR 264/06 - Rn. 38). Gegen ein Verständnis der Erklärungen als eine einzige fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung spricht schon, dass sich die Beklagte in den betreffenden Kündigungsschreiben auf zwar gleichartige, aber an unterschiedlichen Tagen begangene Pflichtverletzungen der Klägerin und damit auf unterschiedliche Kündigungssachverhalte beruft.

28

c) Einen dem Wortlaut von § 4 Satz 1 KSchG entsprechenden Antrag hat die Klägerin bezogen auf die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 6. Oktober 2010 erstmals im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 2. Februar 2011 gestellt. Zuvor war die Kündigung überdies von keiner der Parteien konkret angesprochen worden. Das Landesarbeitsgericht hat ferner angenommen, am 2. Februar 2011 seien bereits mehr als drei Wochen seit Zugang der Kündigung verstrichen gewesen - ohne allerdings den Zeitpunkt des Zugangs exakt festzustellen. Auch unter diesen Umständen ist die Frist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt.

29

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats zum erweiterten Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage (etwa BAG 12. Mai 2005 - 2 AZR 426/04 - zu B I 2 der Gründe; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 30 mwN) enthält - wie erwähnt - die der Kündigungsschutzklage stattgebende Entscheidung in der Regel zugleich die Feststellung, dass im maßgebenden Auflösungstermin zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Der Arbeitgeber kann sich dann in einem späteren Prozess nicht darauf berufen, das Arbeitsverhältnis sei bereits zuvor aufgrund anderer Beendigungstatbestände aufgelöst worden. Er ist, wenn er diese Rechtsfolge vermeiden will, gehalten, den anderen - etwa in den Lauf der Kündigungsfrist fallenden - Beendigungstatbestand von sich aus in den Kündigungsrechtsstreit einzuführen. Dem würde es entsprechen, umgekehrt in der Klage gegen eine erste Kündigung zugleich den - fristwahrenden - Angriff gegen solche späteren Kündigungen zu erblicken, die dem Arbeitnehmer noch während des Laufs der von der ersten Kündigung ausgelösten Frist zugehen und innerhalb dieser Frist Wirkung entfalten sollen.

30

bb) Im Streitfall kommt es hierauf nicht an. Die Klägerin hat mit ihrer am 15. Oktober 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage neben dem gegen die Kündigung vom 27. September 2010 gerichteten - punktuellen - Antrag zugleich einen allgemeinen Feststellungsantrag iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gestellt. Zumindest dieser Antrag reichte - in Verbindung mit dem im Termin vom 2. Februar 2011 gestellten Antrag - aus, um hinsichtlich der Kündigung(en) vom 6. Oktober 2010 den Eintritt der Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu verhindern.

31

(1) Ein Arbeitnehmer kann neben der gegen eine bestimmte Kündigung gerichteten Klage nach § 4 Satz 1 KSchG eine Klage nach § 256 ZPO gerichtet auf die Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen über den Kündigungsendtermin hinaus fortbestehe. Er macht auf diese Weise zwei selbständige prozessuale Ansprüche geltend. Diese kann er gemäß § 260 ZPO in einer Klage verbinden(BAG 12. Mai 2005 - 2 AZR 426/04 - zu B I 2 der Gründe; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 622/01 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 103, 84). Gegenstand der Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die konkrete, mit dieser Klage angegriffene Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin(sog. punktueller Streitgegenstand, vgl. BAG 12. Mai 2005 - 2 AZR 426/04 - aaO; 27. Januar 1994 - 2 AZR 484/93 - zu B II 2 b (1) der Gründe). Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über diesen Termin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Erfasst von ihr sind deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe. Die Rechtskraft eines positiven Feststellungsurteils schließt eine auf ihnen beruhende Beendigung aus (BAG 12. Mai 2005 - 2 AZR 426/04 - aaO mwN).

32

(2) Die Feststellungsklage nach § 256 ZPO setzt ein besonderes Feststellungsinteresse voraus. Es besteht nicht schon deshalb, weil eine bestimmte Kündigung ausgesprochen worden und ihretwegen ein Rechtsstreit anhängig ist. Der klagende Arbeitnehmer muss vielmehr weitere streitige Beendigungstatbestände oder wenigstens deren Möglichkeit in den Prozess einführen und damit dartun, dass er an dem die Klage nach § 4 KSchG erweiternden Antrag ein rechtliches Interesse hat(BAG 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 85, 262).

33

(3) Hat der Arbeitnehmer neben der Klage gegen eine konkret bezeichnete Kündigung iSv. § 4 Satz 1 KSchG binnen Dreiwochenfrist eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO erhoben, die sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gegen jeglichen Auflösungstatbestand richtet, dessen sich der Arbeitgeber berühmen sollte, ersieht dieser daraus - entsprechend dem Sinn und Zweck des § 4 KSchG - dass der Arbeitnehmer sich auch gegen weitere(evtl. vorsorgliche) Kündigungen wenden will. Der Arbeitnehmer kann deshalb im Rahmen eines solchen allgemeinen Feststellungsantrags sonstige Kündigungen noch nach Ablauf der Dreiwochenfrist in den Prozess einführen und sich auf deren Unwirksamkeit berufen (vgl. BAG 12. Mai 2005 - 2 AZR 426/04 - zu B II 1 b der Gründe; 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - zu II 1 der Gründe, BAGE 85, 262; 21. Januar 1988 - 2 AZR 581/86 - zu B II 2 ff. der Gründe, BAGE 57, 231). Das folgt aus dem Rechtsgedanken des § 6 KSchG. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Arbeitnehmer dabei nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung gehalten, diese nunmehr eigens in den Prozess einzuführen und unter entsprechender Einschränkung des allgemeinen Feststellungsantrags iSv. § 264 Nr. 2 ZPO einen dem Wortlaut des § 4 KSchG angepassten Antrag zu stellen. Diese Modifikation kann er aufgrund der durch den allgemeinen Feststellungsantrag offengehaltenen Möglichkeit eines Angriffs noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vornehmen (BAG 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - zu II 1 b und c der Gründe aaO). Voraussetzung ist, dass der allgemeine Feststellungsantrag in die Berufungsinstanz gelangt.

34

(4) Im Streitfall braucht nicht entschieden zu werden, ob an dieser Rechtsprechung nach der Novellierung des Kündigungsschutzgesetzes durch das Arbeitsmarktreformgesetz vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) insoweit festgehalten werden kann, als sie die Möglichkeit eröffnet, auch Kündigungen, die schon bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochen worden sind, erstmals im zweiten Rechtszug in den Prozess einzuführen (befürwortend HaKo-Gallner KSchR 4. Aufl. § 4 Rn. 52; Spinner in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 4 Rn. 105 ff., § 6 Rn. 14; Lingemann/Groneberg NJW 2013, 2809 f.; ablehnend v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 15. Aufl. § 4 Rn. 127 ff.; Bayreuther ZfA 2005, 391; zur Wahrung der Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG durch einen allgemeinen Feststellungsantrag vgl. BAG 15. Mai 2012 - 7 AZR 6/11 - Rn. 26). Ein innerhalb von drei Wochen nach Zugang der (weiteren) Kündigung erhobener Antrag iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, mit dem der Arbeitnehmer die Wirksamkeit jeglichen Auflösungstatbestands negiert, wahrt auch nach neuer Rechtslage in entsprechender Anwendung von § 6 KSchG jedenfalls dann die Frist des § 4 Satz 1 KSchG für eine erst nach deren Ablauf in den Prozess eingeführte Kündigung, wenn sich der Arbeitnehmer - wie hier - auf die Unwirksamkeit der weiteren Kündigung noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz berufen und einen auf sie bezogenen, dem Wortlaut des § 4 Satz 1 KSchG angepassten Antrag gestellt hat. Auch die weitere Frage, ob es der Anpassung zwingend bedurfte, kann damit im Streitfall dahinstehen.

35

(a) § 6 KSchG zielt auch in seiner neuen Fassung darauf ab, den Arbeitnehmer davor zu bewahren, seinen Kündigungsschutz aus formalen Gründen zu verlieren. Die Frist des § 4 Satz 1 KSchG soll nicht nur durch eine punktuelle Feststellungsklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung, sondern auch dadurch eingehalten werden können, dass der Arbeitnehmer innerhalb der Frist auf anderem Wege geltend macht, eine wirksame Kündigung liege nicht vor. Trotz seiner (zu) engen Formulierung ist § 6 KSchG weiterhin nicht nur auf bestimmte Unwirksamkeitsgründe anzuwenden. Die Neufassung des § 6 KSchG sollte der bisherigen Regelung entsprechen und lediglich auf die Änderung des § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG Bedacht nehmen(BT-Drucks. 15/1509, 15/1204 S. 13; BAG 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - Rn. 24 mwN). Eine entsprechende Anwendung von § 6 KSchG kommt deshalb - wie schon vor der Gesetzesnovelle - in Betracht, wenn etwa der Arbeitnehmer mit einer Leistungsklage Lohnansprüche oder Weiterbeschäftigung für die Zeit nach Zugang der Kündigung bzw. Ablauf der Kündigungsfrist innerhalb von drei Wochen gerichtlich geltend gemacht hat (BAG 15. Mai 2012 - 7 AZR 6/11 - Rn. 23; 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - Rn. 23).

36

(b) Ist damit der Regelungszweck des § 6 Satz 1 KSchG unverändert geblieben, ist die Bestimmung auf eine allgemeine Feststellungsklage, mit der sich der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gegen solche Beendigungstatbestände wendet, die von einem bereits gestellten punktuellen Antrag nicht erfasst sind, weiterhin entsprechend anzuwenden. Das durch § 4 Satz 1, § 7 KSchG geschützte Interesse des Arbeitgebers an einer schnellen Klärung der Rechtslage und sein Vertrauen in den Bestand der ausgesprochenen Kündigung wird in diesen Fällen durch die „Verlängerung“ der Anrufungsfrist nicht stärker berührt als im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 6 Satz 1 KSchG.

37

(5) Diese Erwägungen gelten - entgegen der Auffassung der Revision - gleichermaßen für Kündigungen, die dem Arbeitnehmer schon vor Klageerhebung zugegangen sind. Ein sachlicher Grund, bezüglich ihrer an die Klageanträge des Arbeitnehmers andere Anforderungen zu stellen als bezüglich solcher Kündigungen, die erst während des Rechtsstreits erklärt wurden, ist nicht erkennbar. Die Frage, ob über den Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt wird, ist auch in diesem Fall danach zu beantworten, ob er innerhalb der Frist gestellt worden ist.

38

(6) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin die Frist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt.

39

(a) Das Landesarbeitsgericht hat den in der Klageschrift vom 14. Oktober 2010 enthaltenen Antrag zu 1. hinsichtlich seines letzten Halbsatzes zutreffend als einen selbständigen Antrag iSv. § 256 Abs. 1 ZPO verstanden, mit dem die Klägerin sich gegen jegliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gewehrt hat. Zwar hat diese ihr betreffendes Begehren weder vollständig ausformuliert noch als gesonderten Antrag vom Kündigungsschutzantrag abgesetzt. Gleichwohl stellte - für die Beklagte erkennbar - der fragliche Halbsatz „… sondern unverändert fortbesteht“ nicht nur einen floskelhaften, unselbständigen Annex zum Kündigungsschutzantrag dar (zur Abgrenzung BAG 15. März 2001 - 2 AZR 141/00 - zu B II 2 der Gründe; 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - zu II 4 der Gründe, BAGE 85, 262). Das ergibt sich unzweifelhaft aus der Klagebegründung, die zur Auslegung der Anträge ergänzend heranzuziehen ist. Dort hat die Klägerin ausgeführt, mit dem letzten Halbsatz ihres Antrags zu 1. eine „allgemeine Feststellungsklage“ erheben zu wollen. Sie könne nicht ausschließen, dass die Beklagte sich auf weitere Beendigungstatbestände berufen werde. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich ihr Begehren nur auf Beendigungstatbestände beziehen sollte, die nach Anhängigkeit der Kündigungsschutzklage entstanden wären.

40

(b) Unerheblich ist, ob die Ausführungen in der Klageschrift zur Darlegung eines besonderen Feststellungsinteresses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ausreichten. Selbst wenn der Antrag anfänglich unzulässig gewesen sein sollte, hat er der Beklagten vor Augen geführt, dass die Klägerin sich gegen jeglichen Grund für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses wenden will. Insbesondere musste die Beklagte erkennen, dass die Klägerin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 6. Oktober 2010 nicht hinnehmen wollte, zumal andernfalls ihr gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. März 2011 gerichteter Antrag keinen Sinn ergäbe.

41

(c) Ob die Klagefrist gemäß § 4 Satz 1 iVm. § 6 KSchG nicht auch durch den anfänglich erhobenen Weiterbeschäftigungsantrag gewahrt ist, kann offenbleiben.

42

2. Das Landesarbeitsgericht durfte auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, die fristlose Kündigung vom 6. Oktober 2010 sei mangels wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB rechtsunwirksam.

43

a) Der Senat ist nicht gehindert, das Berufungsurteil auf mögliche Rechtsfehler im Rahmen der Ausführungen zu § 626 BGB zu überprüfen, obwohl die Beklagte diesbezüglich keine Rüge erhoben hat. Das Revisionsgericht ist an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden (§ 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

44

b) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 13; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13).

45

c) Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., BAG 24. März 2011 - 2 AZR 282/10 - Rn. 16; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

46

d) Die angegriffene Entscheidung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

47

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege deshalb nicht vor, weil sich die Beklagte zu deren Rechtfertigung auf eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung der Klägerin berufen habe, die tatbestandlichen Voraussetzungen des einschlägigen § 263 StGB aber nicht erfüllt seien. Dies hat es damit begründet, dass der Ehemann der Klägerin an keine festen Arbeitszeiten gebunden gewesen sei und er deshalb durch das Vortäuschen von Anwesenheitszeiten keinen Vermögensvorteil auf Kosten der Beklagten habe erlangen können.

48

bb) Damit hat das Landesarbeitsgericht übersehen, dass es für die materiell-rechtliche Bewertung, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, nicht auf den subjektiven Standpunkt des Kündigenden und dessen Ansicht über eine mögliche Strafbarkeit des missbilligten Verhaltens ankommt(vgl. BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 2 b der Gründe; 2. Juni 1960 - 2 AZR 91/58 - BAGE 9, 263; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 109; Stahlhacke/Preis 10. Aufl. 2010 Rn. 550). Entscheidend ist der objektive Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und das Gewicht eines mit ihm verbundenen Vertrauensbruchs (st. Rspr., BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 15; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18). Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG dem Betriebsrat gegenüber eine bestimmte strafrechtliche Bewertung des Verhaltens vorgenommen hat. Entscheidend ist auch dann der der Kündigung zugrunde liegende Lebenssachverhalt. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hinreichend unterrichtet, kommt es auf seine rechtliche Einordnung des Verhaltens nicht an (BAG 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 44, BAGE 137, 164; BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 36).

49

(1) Zwar kann es Fälle geben, in denen der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss untrennbar mit einem Werturteil verknüpft, das etwa mit einer strafgerichtlichen Verurteilung des Arbeitnehmers verbunden ist (vgl. BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 25; 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - zu II 1 c cc der Gründe). Macht er seinen Kündigungsentschluss auf diese Weise unmittelbar vom Nachweis einer Straftat abhängig, sind die Gerichte hieran gebunden. Für eine solche Abhängigkeit bedarf es aber besonderer Anhaltspunkte.

50

(2) Daran fehlt es hier. Die Beklagte mag der Auffassung gewesen sein, die Klägerin habe sich an einem (versuchten) „Arbeitszeitbetrug“ ihres Ehemanns beteiligt und insoweit strafbar gemacht. Sie hat darauf durchgängig - im Kündigungsschreiben, bei der Anhörung des Betriebsrats und im Prozess - abgestellt. Das rechtfertigt dennoch nicht den Schluss, sie habe die mit der Kündigung angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen wollen, dass sich ein Betrugsvorwurf im strafrechtlichen Sinne bestätige. Näher liegt die Annahme, sie habe mit der Betonung der Strafbarkeit das Gewicht der Pflichtverletzung verdeutlichen wollen. Dem entspräche es, dass das Berufungsurteil Feststellungen dazu, ob die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung eine Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden oder Strafgerichte abgewartet hat, nicht enthält. Auch Feststellungen dazu, ob die Beklagte gegen die Klägerin und ihren Ehemann zumindest Strafanzeige erstattete, hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.

51

cc) Das Landesarbeitsgericht hat auch weitere relevante Aspekte nicht widerspruchsfrei berücksichtigt. Es hat seine Auffassung, der Ehemann der Klägerin habe sich durch sein Verhalten keinen Vermögensvorteil verschaffen können, damit begründet, dass er an feste Arbeitszeiten nicht gebunden gewesen sei. Daraus kann nicht gefolgert werden, der Ehemann der Klägerin habe Arbeitszeiten vorspiegeln dürfen, die er in Wirklichkeit nicht geleistet hat. Im Übrigen ist weder festgestellt, dass er tatsächlich jeglicher Bindung an Arbeitszeiten enthoben gewesen wäre und seine Vergütung unabhängig vom Umfang seiner tatsächlichen Arbeitsleistungen erhalten hätte, noch steht fest, welche Arbeitsleistungen er im fraglichen Zeitraum erbracht hat. Ohne solche Feststellungen wiederum fehlt es für die Annahme des Landesarbeitsgerichts an einer tragfähigen Grundlage. Im Übrigen kann ein wirtschaftlicher Vorteil auch in der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses als solcher liegen. Die Klägerin selbst geht davon aus, dass die Beklagte durch die falsche Dokumentation der Anwesenheitszeiten davon abgehalten werden sollte, arbeitsrechtliche Konsequenzen zum Nachteil ihres Ehemanns zu ziehen.

52

II. Das anzufechtende Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dass die Kündigung wegen Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB oder mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam wäre, kann derzeit nicht angenommen werden. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann das Kündigungsschreiben vom 6. Oktober 2010 der Klägerin zugegangen ist. Das gleiche gilt mit Blick auf die Anforderungen des § 102 Abs. 1 BetrVG.

53

III. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird Feststellungen zur Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB und zur Korrektheit der Betriebsratsanhörung nachzuholen haben. Falls es darauf ankommt, wird es die materielle Rechtfertigung der fristlosen Kündigung nach Maßgabe von § 626 Abs. 1 BGB erneut prüfen müssen. Dafür gibt der Senat folgende Hinweise:

54

1. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, kommt als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Frage. Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer „Stempeluhr“ ebenso wie für das vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter vertrauen können. Dies gilt erst recht, wenn diese nicht an feste Arbeitszeiten gebunden sind. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer entsprechende Formulare vorsätzlich falsch aus, liegt darin in aller Regel ein schwerer Vertrauensmissbrauch. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 14). Darauf, ob dem Arbeitgeber durch das Verhalten ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist oder das Verhalten des Arbeitnehmers auf andere - nicht wirtschaftliche - Vorteile ausgerichtet war, kommt es grundsätzlich nicht an.

55

2. Ein die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigender Grund kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer für einen Kollegen Kontrolleinrichtungen betätigt und dadurch den Arbeitgeber über dessen Anwesenheit am Arbeitsplatz täuscht (23. Januar 1963 - 2 AZR 278/62 - BAGE 14, 42).

56

3. Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin ihre Arbeitspflichten erheblich verletzt. Sie hat bewusst und willentlich über die tatsächliche Arbeitszeit ihres Ehemanns getäuscht und zu diesem Zweck falsche Anwesenheitszeiten dokumentiert.

57

4. Das Landesarbeitsgericht, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt, wird auf dieser Grundlage zu prüfen und zu bewerten haben, ob in dem Verhalten der Klägerin auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der beiderseitigen Interessen ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gesehen werden kann. Die dafür relevanten Umstände sind noch nicht festgestellt. Insbesondere ist nicht erkennbar, was es mit der vom Landesarbeitsgericht angenommenen besonderen Belastungssituation des - seinerzeit gesundheitlich möglicherweise angeschlagenen - Ehemanns der Klägerin im Einzelnen auf sich hat und inwieweit diese Situation zu deren Fehlverhalten beigetragen hat.

58

IV. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt das Berufungsurteil auch insoweit, wie das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 6. Oktober 2010 zurückgewiesen hat. Die Entscheidung über den betreffenden Kündigungsschutzantrag der Klägerin hängt davon ab, ob sich die fristlose Kündigung im Rahmen der erneuten Sachprüfung als unwirksam erweist. Sollte das Landesarbeitsgericht zu diesem Ergebnis gelangen, wird es berücksichtigen müssen, dass seine Begründung das bisherige Ergebnis nicht trägt. Es durfte seine Annahme, die ordentliche Kündigung vom 6. Oktober 2010 sei sozial ungerechtfertigt, nicht darauf stützen, das Verhalten des Ehemanns der Klägerin sei nicht gemäß § 263 StGB strafbar gewesen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 253/08 Verkündet am:
30. Oktober 2009
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Hat der Kläger die Aufhebung oder Beschränkung eines gegen ihn verhängten
Stadionverbots beantragt, ist unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes
der Übergang von der Leistungsklage zu der auf die Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Verbots gerichteten Klage zulässig, wenn es im Laufe des
Rechtsstreits infolge Zeitablaufs erloschen ist und Umstände vorliegen, die auch
nach dem Ablauf des Verbots geeignet sind, die Ehre des Klägers zu beeinträchtigen.

b) Der Ausspruch eines bundesweiten Stadionverbots ist von dem Hausrecht des
Veranstalters gedeckt, wenn ein sachlicher Grund besteht; ein sachlicher Grund
besteht dann, wenn aufgrund von objektiven Tatsachen, nicht aufgrund subjektiver
Befürchtungen, die Gefahr besteht, dass künftige Störungen durch die betreffenden
Personen zu besorgen sind.
BGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 - V ZR 253/08 - LG Duisburg
AG Duisburg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den
Richter Dr. Czub

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 20. November 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Am 25. März 2006 fand in der Sportstätte der Beklagten (M. -Arena) ein Spiel der ersten Fußballbundesliga zwischen der von der Beklagten unter der Bezeichnung "M. D. " unterhaltenen Lizenzspielermannschaft und der Mannschaft des FC B. M. statt. Der Kläger, der seinerzeit Vereinsmitglied und Inhaber von Heim- und Auswärtsdauerkarten des FC B. M. war, nahm an dem Spiel als Zuschauer teil. Nach Spielschluss kam es zwischen einer Gruppe von ca. 100 Anhängern des FC B. M. , zu der ausweislich des Polizeiberichts auch der Kläger gehörte, und Anhängern des M. D. zu Auseinandersetzungen, bei denen mindestens eine Person verletzt und ein Auto beschädigt wurde. Im Rahmen des Polizeieinsatzes wurde u.a. der Kläger in Gewahrsam genommen.
2
Mit Schreiben vom 18. April 2006 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger ein bis zum 30. Juni 2008 befristetes Betretungsverbot für die M. - Arena und sämtliche Fußballveranstaltungsstätten in Deutschland (bundesweites Stadionverbot) für nationale und internationale Fußballveranstaltungen von Vereinen bzw. Tochtergesellschaften der Fußballbundesligen und der Fußballregionalligen sowie des Deutschen Fußballbundes (DFB) aus. Sie stützte sich dabei auf die von ihr im Lizenzierungsverfahren anerkannten "Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten" des DFB (DFB-Richtlinien). Danach soll ein solches Verbot bei eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren u.a. wegen Landfriedensbruchs verhängt werden. Es ist aufzuheben , wenn das Ermittlungsverfahren keinen Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gegeben hat und nach § 170 Abs. 2 St PO eingestellt worden ist. Bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO soll das Verbot auf Antrag des Betroffenen im Hinblick auf seinen Bestand und seine Dauer überprüft werden.
3
Ein gegen den Kläger eingeleitetes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs wurde am 27. Oktober 2006 nach § 153 StPO eingestellt. Auf Antrag des Klägers, das Stadionverbot zu überprüfen, nahm die Beklagte im Dezember 2006 Einsicht in die Ermittlungsakten und kam zu dem Schluss, das Verbot aufrecht zu erhalten.
4
Der Kläger behauptet, an den - im Übrigen nur kleineren - Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fangruppen nicht beteiligt gewesen zu sein, sondern diese nur aus der Distanz wahrgenommen zu haben. Seine auf die Aufhebung des Stadionverbots, hilfsweise auf die Beschränkung des Verbots auf die M. -Arena gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. In dem Berufungsverfahren hat der Kläger, weil das Verbot wegen Zeitablaufs nicht mehr bestand, mit mehreren inhaltlich abgestuften Anträgen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Stadionverbots beantragt. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
5
Mit der in dem Berufungsurteil zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

6
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in SpuRt 2009, 78 f. veröffentlicht ist, hat die Änderung der Leistungsklage in eine Feststellungsklage wegen Sachdienlichkeit für zulässig gehalten; als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung hat es das besondere Feststellungsinteresse des Klägers bejaht, weil es der Klärung der Rechtmäßigkeit des Stadionverbots bedürfe, damit der Kläger seine Mitgliedschaft bei dem FC B. M. und seine Dauerkarten zurückerlangen könne. In der Sache hält das Berufungsgericht die Klage jedoch für unbegründet. Vertragliche Ansprüche des Klägers kämen nur gegen den FC B. M. , nicht aber gegen die Beklagte in Betracht. Auch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG könne der Kläger weder die Aufhebung des Stadionverbots noch die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit verlangen. Das Verbot sei von dem Hausrecht der Beklagten gedeckt, das in den Grenzen der allgemeinen Gesetze, insbesondere der §§ 242, 826 BGB und des Art. 2 Abs. 1 GG, frei ausgeübt werden könne. Diese Grenzen habe die Beklagte beachtet. Sie habe sich nicht auf unsachliche, willkürliche Begründungen gestützt, sondern die DFB-Richtlinien zugrunde gelegt. Trotz der Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens habe das Verbot aufrechterhalten bleiben können; es genüge nämlich, dass gegen den Kläger der Verdacht bestanden habe, Störer gewesen zu sein, der Nachweis einer Straftat sei nicht erforderlich.
7
Das hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

II.

8
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit der in zweiter Instanz von dem Kläger erhobenen Feststellungsklage bejaht. Zwar kennt das Zivilprozessrecht - anders als das verwaltungsgerichtliche Verfahren (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) - keine Fortsetzungsfeststellungsklage, mit der die Rechtswidrigkeit einer durch Zeitablauf erledigten Maßnahme festgestellt werden kann. Aber das Interesse des Klägers an seiner Rehabilitierung und sein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz begründen das für die Feststellungsklage notwendige rechtliche Interesse (§ 256 Abs. 1 ZPO).
9
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 4. Oktober 1984, III ZR 50/83, VersR 1985, 39) kann auch die Schädigung anderer Rechtsgüter als die des Vermögens, z.B. die Ehre, ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 ZPO begründen. So liegt es hier. Die gesellschaftliche Stellung des Klägers ist durch das Stadionverbot fühlbar beeinträchtigt worden. Ihm war es mehr als zwei Jahre lang verwehrt, in Deutschland an Spielen der Fußballnationalmannschaft , der Fußballbundesligen und der Fußballregionalligen als Zuschauer teilzunehmen. Auch hat er seine Mitgliedschaft bei dem Verein FC B. M. verloren. Schließlich ist er in die Liste über die bundesweit geltenden Stadionverbote eingetragen worden, die vom DFB verwaltet und regelmäßig den Fußballvereinen zur Weiterleitung an die örtlich zuständige Polizei, der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze und der Bundespolizeidirektion übermittelt wird.
10
b) Diese von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als Brandmarkung bezeichneten Umstände sind auch nach dem Ablauf des Stadionverbots geeignet, die Ehre des Klägers zu schädigen. Sein deshalb weiterhin rechtlich anzuerkennendes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Stadionverbots (vgl. BGHZ 27, 190, 196) darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass das Ziel der ursprünglich auf die Aufhebung des Verbots gerichteten Leistungsklage nicht mehr erreicht werden kann. Der Ablauf des Stadionverbots während des Rechtsstreits ist angesichts der gewöhnlichen Dauer eines Zivilprozesses geradezu vorprogrammiert , wenn - wie hier - nicht die Höchstdauer des Verbots verhängt worden ist. Dem hat die Rechtsordnung dadurch Rechnung zu tragen, dass sie den Übergang von der Leistungsklage zur Feststellungsklage zulässt (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456 f.; BGHZ 158, 212, 216 f.). Anderenfalls müsste sich der Kläger damit zufrieden geben, dass das Stadionverbot zwar tatsächlich nicht mehr besteht , dessen vorherige Rechtswidrigkeit aber nicht mehr festgestellt werden kann. Dieses Ergebnis ist unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes nicht hinzunehmen.
11
2. Zutreffend - und von der Revision nicht angegriffen - ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Befugnis der Beklagten zum Ausspruch des bundesweiten Stadionverbots aus ihrem Hausrecht und aus dem Hausrecht der übrigen Vereine bzw. Tochtergesellschaften der Fußballbundesligen und der Fußballregionalligen folgt, die sich in den DFB-Richtlinien gegenseitig zum Ausspruch des Verbots bevollmächtigt haben. Es beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt (Senat, Urt. v. 20. Januar 2006, V ZR 134/05, NJW 2006, 1054 m.w.N.; zu Stadionverboten: LG Duisburg, Urt. v. 22. Juli 2005, 7 S 63/05, juris, Rdn. 50). Das gilt auch, wenn - wie bei dem Besuch eines Fußballspiels - der Zutritt aufgrund eines Vertragsverhältnisses mit dem Hausrechtsinhaber gewährt wird.
12
3. Das von der Beklagten ausgesprochene Hausverbot war rechtmäßig.
13
a) Es unterliegt allerdings Einschränkungen. Bei Fußballspielen gewährt der Veranstalter in Ausübung der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Vertragsfreiheit grundsätzlich jedermann - gegen Bezahlung - den Zutritt zu dem Stadion.
Will er bestimmte Personen davon ausschließen, muss er deren mittelbar in das Zivilrecht einwirkende Grundrechte beachten; ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Gleichbehandlung lassen es nicht zu, einen einzelnen Zuschauer willkürlich auszuschließen (Breucker, JR 2005, 133, 136). Vielmehr muss dafür ein sachlicher Grund bestehen.
14
Dabei ist es entgegen der Auffassung der Revision ohne Bedeutung, ob der von dem Ausschluss Betroffene in vertraglichen Beziehungen zu dem Hausrechtsinhaber steht oder nicht. Der von der Revision hervorgehobene Gedanke , die Beklagte habe gegenüber dem Klägervertragliche Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) zu beachten gehabt, die einem Stadionverbot entgegen gestanden hätten, führt nicht weiter. Schutzpflichten obliegen der Beklagten gegenüber allen Stadionbesuchern. Gerade daraus können sich - wie noch zu zeigen sein wird - Sachgründe ergeben, einzelne mit einem Zugangsverbot zu belegen, mögen sie selbst in Vertragsbeziehungen stehen oder nicht. Soweit es darum geht, auch ihre Interessen bei der Entscheidung über die Verhängung eines Hausverbots zu berücksichtigen, ist es ebenfalls ohne Belang, ob vertragliche Beziehungen bestehen oder nicht.
15
b) Für die Verhängung des Stadionverbots gab es Sachgründe.
16
aa) Da die Verhängung eines Hausverbots seine Grundlage in einem Unterlassungsanspruch nach §§ 862 Abs. 1 Satz 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, hat, setzt es voraus, dass eine künftige Störung zu besorgen ist. Konkret geht es darum, potentielle Störer auszuschließen, die die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf von Großveranstaltungen wie einem Liga-Fußballspiel gefährden können. Daran hat der Veranstalter ein schützenswertes Interesse, weil ihn gegenüber allen Besuchern Schutzpflichten treffen, sie vor Übergriffen randalierender und gewaltbereiter „Fans“ zu bewahren. Solche Schutzpflichten beste- hen entweder aufgrund Vertrages mit den Besuchern der Veranstaltung oder unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Verkehrssicherungspflichten.
17
bb) Ein sachlicher Grund für ein Stadionverbot besteht daher, wenn aufgrund von objektiven Tatsachen, nicht aufgrund bloßer subjektiver Befürchtungen , die Gefahr besteht, dass künftige Störungen durch die betreffenden Personen zu besorgen sind. Eine derartige Gefahr wird regelmäßig bei vorangegangenen rechtswidrigen Beeinträchtigungen vermutet, kann aber auch bei einer erstmals drohenden Beeinträchtigung gegeben sein (Senat, BGHZ 160, 232, 236; Urt. v. 12. Dezember 2003, V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036). Bei der Verhängung von Stadionverboten sind an die Annahme der Gefahr von Störungen keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Das ergibt sich aus den Besonderheiten sportlicher Großveranstaltungen, insbesondere von Fußballgroßereignissen. Diese werden häufig zum Anlass für Ausschreitungen genommen. Angesichts der Vielzahl der Besucher und der häufig emotional aufgeheizten Stimmung zwischen rivalisierenden Gruppen ist daher die Bemühung der Vereine sachgerecht, neben Sicherungsmaßnahmen während des Spiels etwa durch Ordnungskräfte und bauliche sowie organisatorische Vorkehrungen auch im Vorfeld tätig zu werden und potentiellen Störern bereits den Zutritt zu dem Stadion zu versagen (Breucker, JR 2005, 133 m.w.N.; ders., NJW 2006, 1233).
18
cc) Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts war die Annahme, dass von dem Kläger die Gefahr künftiger Störungen ausging, gerechtfertigt.
19
(1) Bei der Festsetzung von Stadionverboten sind andere Maßstäbe anzuwenden als bei der strafrechtlichen Sanktionierung von Störungen bei früheren Spielen. Während insoweit nach dem Grundsatz in dubio pro reo eine Bestrafung unterbleibt, wenn keine Tat bewiesen ist, können Stadionverbote eine nennenswerte präventive Wirkung nur dann erzielen, wenn sie auch gegen sol- che Besucher ausgesprochen werden, die zwar nicht wegen einer Straftat verurteilt sind, deren bisheriges Verhalten aber besorgen lässt, dass sie bei künftigen Spielen sicherheitsrelevante Störungen verursachen werden (AG Freiburg SpuRt 2005, 257).
20
(2) Eine solche Besorgnis ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision zunächst aus den der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen eines im Zusammenhang mit einem Stadionbesuch begangenen Landfriedensbruchs zugrunde liegenden Tatsachen.
21
Die Staatsanwaltschaft ist nach § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens setzt einen auf Tatsachen beruhenden Anfangsverdacht voraus (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 152 Rdn. 4 m.w.N.). Es begegnet deshalb keinen Bedenken, wenn der Hausrechtsinhaber die in der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zum Ausdruck kommende Bejahung eines solchen Verdachts durch die Ermittlungsbehörden zum Anlass für den Ausspruch eines Stadionverbots nimmt. Dem Hausrechtsinhaber stehen nämlich regelmäßig keine besseren Erkenntnisse über den Tatablauf und die Beteiligung des Betroffenen zur Verfügung als der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Etwas anderes gilt dann, wenn das Verfahren offensichtlich willkürlich oder aufgrund falscher Tatsachenannahmen eingeleitet wurde (AG Freiburg SpuRt 2005, 257; Breucker, SpuRt 2005, 154; ders., NJW 2006, 1233, 1235). Dafür, dass dies hier der Fall war, gibt es keine Anhaltspunkte.
22
(3) Die Besorgnis ist auch nicht später entfallen. Allerdings ist das Ermittlungsverfahren später wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO eingestellt worden. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Straftatbestand des Landfriedensbruchs verwirklicht hat. Der Verfah- renseinstellung kann nur entnommen werden, dass seine Schuld, falls er sich strafbar gemacht haben sollte, gering wäre.
23
Auf die Strafbarkeit seines Verhaltens kommt es aber nicht an. Anknüpfungspunkt für das Stadionverbot ist nicht die Verwirklichung eines Straftatbestandes , sondern das Verhalten des Klägers, das Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegeben hat. Die Umstände, die dazu geführt haben, haben auch nach Einstellung des Verfahrens weiterhin Bedeutung (vgl. auch BVerwG NZWehrr 2006, 153, 154). Der Kläger ist nicht zufällig in die Gruppe, aus der heraus Gewalttaten verübt worden sind, geraten, sondern war Teil dieser Gruppe. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußballveranstaltungen in einem zu Gewalttätigkeiten neigenden Umfeld bewegt und von ihm deshalb künftige, Dritte gefährdende Störungen zu besorgen sind; auf den Nachweis, er habe sich an den aus der Gruppe heraus begangenen Gewalttätigkeiten beteiligt, kommt es - entgegen der Auffassung der Revision - nicht an.
24
Der Kläger hat diese Besorgnis weder im vorliegenden Zivilrechtsstreit noch anlässlich der Überprüfung des Stadionverbots durch die Beklagte, bei der ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, ausgeräumt. Er hat in dem als übergangen gerügten Vorbringen die Zugehörigkeit zu der Gruppe zugestanden und lediglich eine aktive Teilnahme an den Ausschreitungen in Abrede gestellt. Darauf ist das Stadionverbot - wie dargelegt - indes nicht gestützt. Die Verfahrensrüge geht daher ins Leere.
25
c) Soweit die Revision zu dem Vorgehen der Beklagten bei der Verhängung des Stadionverbots Einwendungen erhebt, bleibt dies ohne Erfolg.
26
aa) Die Rüge, dem Kläger sei vor Verhängung des Verbots rechtliches Gehör verwehrt worden, greift schon deswegen nicht, weil die Beklagte kein gerichtsförmiges oder verwaltungsähnliches Verfahren zu beachten hatte, sondern einen ihr zustehenden zivilrechtlichen Anspruch geltend gemacht hat. Dabei musste sie den Kläger nicht vorher anhören. Es war vielmehr seine Sache, den bei Fehlen eines sachlichen Grundes bestehenden Anspruch auf Aufhebung des Verbots gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Im Übrigen hat sie es auch auf Bitten des Klägers überprüft.
27
bb) Richtig ist der Hinweis der Revision, dass die Richtlinien des Deutschen Fußballbundes zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten im Verhältnis der Parteien zueinander keine unmittelbare Geltung haben. Das hindert die Beklagte indes nicht, sich bei der Prüfung, ob ein Stadionverbot auszusprechen ist, an diesen Richtlinien zu orientieren. Sie enthalten einheitliche Maßstäbe für Stadionverbote, insbesondere für deren Voraussetzungen, Umfang , vorzeitige Aufhebung und das dabei einzuhaltende Verfahren. Sie stellen ein insgesamt um Ausgewogenheit bemühtes Regelwerk dar, welches die Vereine der verschiedenen Fußball-Ligen anerkannt haben (dazu Breucker, JR 2005, 133, 134 f., 137). Damit bilden sie eine geeignete Grundlage für die Vereine , ein Stadionverbot auszusprechen. Im Regelfall wird daher ein den Richtlinien gemäß verhängtes Verbot nicht willkürlich sein. Das enthebt die Vereine andererseits nicht der Notwendigkeit, die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Beachtung der Richtlinien schließt es daher nicht generell aus, dass ein ausgesprochenes Verbot gleichwohl rechtswidrig ist. Entscheidend sind nicht die Richtlinien, sondern die konkreten Umstände.
28
d) Schließlich sind weder das zeitliche Ausmaß noch der inhaltliche Umfang (bundesweit) des Verbots rechtlich zu beanstanden. Die Sanktion blieb unter dem zeitlichen Rahmen, der in den DFB-Richtlinien in solchen Fällen vorgesehen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Anlass für den Ausspruch des Verbots nicht angemessen berücksichtigt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt hätte. Der Umstand, dass der Kläger Inhaber von Heim- und Auswärtsdauerkarten für die Spiele des FC B. M. gewesen sein mag, spielt hierbei keine Rolle. Die Verhängung eines Stadionverbots hat stets zur Folge, dass Dauerkartenberechtigungen ganz oder teilweise ins Leere laufen. Das kann keine Auswirkungen auf die Frage des Ob und des Wie eines Stadionverbots haben. Insoweit muss sich der Kläger vielmehr mit seinem Vertragspartner, von dem er die Dauerkarte bezogen hat, auseinandersetzen. In Betracht kommt zudem, dass in dem Ausspruch des Stadionverbots zugleich die Kündigung des zwischen dem Inhaber der Dauerkarte und dem Veranstalter bestehenden Dauerschuldverhältnisses liegt (Breucker, JR 2005, 133, 137). Diese wäre, wenn das Stadionverbot - wie hier - zu Recht ausgesprochen wurde , aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulässig (§ 314 Abs. 1 BGB).

III.

29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Duisburg, Entscheidung vom 13.03.2008 - 73 C 1565/07 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 20.11.2008 - 12 S 42/08 -

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 253/08 Verkündet am:
30. Oktober 2009
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Hat der Kläger die Aufhebung oder Beschränkung eines gegen ihn verhängten
Stadionverbots beantragt, ist unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes
der Übergang von der Leistungsklage zu der auf die Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Verbots gerichteten Klage zulässig, wenn es im Laufe des
Rechtsstreits infolge Zeitablaufs erloschen ist und Umstände vorliegen, die auch
nach dem Ablauf des Verbots geeignet sind, die Ehre des Klägers zu beeinträchtigen.

b) Der Ausspruch eines bundesweiten Stadionverbots ist von dem Hausrecht des
Veranstalters gedeckt, wenn ein sachlicher Grund besteht; ein sachlicher Grund
besteht dann, wenn aufgrund von objektiven Tatsachen, nicht aufgrund subjektiver
Befürchtungen, die Gefahr besteht, dass künftige Störungen durch die betreffenden
Personen zu besorgen sind.
BGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 - V ZR 253/08 - LG Duisburg
AG Duisburg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den
Richter Dr. Czub

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 20. November 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Am 25. März 2006 fand in der Sportstätte der Beklagten (M. -Arena) ein Spiel der ersten Fußballbundesliga zwischen der von der Beklagten unter der Bezeichnung "M. D. " unterhaltenen Lizenzspielermannschaft und der Mannschaft des FC B. M. statt. Der Kläger, der seinerzeit Vereinsmitglied und Inhaber von Heim- und Auswärtsdauerkarten des FC B. M. war, nahm an dem Spiel als Zuschauer teil. Nach Spielschluss kam es zwischen einer Gruppe von ca. 100 Anhängern des FC B. M. , zu der ausweislich des Polizeiberichts auch der Kläger gehörte, und Anhängern des M. D. zu Auseinandersetzungen, bei denen mindestens eine Person verletzt und ein Auto beschädigt wurde. Im Rahmen des Polizeieinsatzes wurde u.a. der Kläger in Gewahrsam genommen.
2
Mit Schreiben vom 18. April 2006 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger ein bis zum 30. Juni 2008 befristetes Betretungsverbot für die M. - Arena und sämtliche Fußballveranstaltungsstätten in Deutschland (bundesweites Stadionverbot) für nationale und internationale Fußballveranstaltungen von Vereinen bzw. Tochtergesellschaften der Fußballbundesligen und der Fußballregionalligen sowie des Deutschen Fußballbundes (DFB) aus. Sie stützte sich dabei auf die von ihr im Lizenzierungsverfahren anerkannten "Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten" des DFB (DFB-Richtlinien). Danach soll ein solches Verbot bei eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren u.a. wegen Landfriedensbruchs verhängt werden. Es ist aufzuheben , wenn das Ermittlungsverfahren keinen Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gegeben hat und nach § 170 Abs. 2 St PO eingestellt worden ist. Bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO soll das Verbot auf Antrag des Betroffenen im Hinblick auf seinen Bestand und seine Dauer überprüft werden.
3
Ein gegen den Kläger eingeleitetes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs wurde am 27. Oktober 2006 nach § 153 StPO eingestellt. Auf Antrag des Klägers, das Stadionverbot zu überprüfen, nahm die Beklagte im Dezember 2006 Einsicht in die Ermittlungsakten und kam zu dem Schluss, das Verbot aufrecht zu erhalten.
4
Der Kläger behauptet, an den - im Übrigen nur kleineren - Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fangruppen nicht beteiligt gewesen zu sein, sondern diese nur aus der Distanz wahrgenommen zu haben. Seine auf die Aufhebung des Stadionverbots, hilfsweise auf die Beschränkung des Verbots auf die M. -Arena gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. In dem Berufungsverfahren hat der Kläger, weil das Verbot wegen Zeitablaufs nicht mehr bestand, mit mehreren inhaltlich abgestuften Anträgen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Stadionverbots beantragt. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
5
Mit der in dem Berufungsurteil zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

6
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in SpuRt 2009, 78 f. veröffentlicht ist, hat die Änderung der Leistungsklage in eine Feststellungsklage wegen Sachdienlichkeit für zulässig gehalten; als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung hat es das besondere Feststellungsinteresse des Klägers bejaht, weil es der Klärung der Rechtmäßigkeit des Stadionverbots bedürfe, damit der Kläger seine Mitgliedschaft bei dem FC B. M. und seine Dauerkarten zurückerlangen könne. In der Sache hält das Berufungsgericht die Klage jedoch für unbegründet. Vertragliche Ansprüche des Klägers kämen nur gegen den FC B. M. , nicht aber gegen die Beklagte in Betracht. Auch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG könne der Kläger weder die Aufhebung des Stadionverbots noch die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit verlangen. Das Verbot sei von dem Hausrecht der Beklagten gedeckt, das in den Grenzen der allgemeinen Gesetze, insbesondere der §§ 242, 826 BGB und des Art. 2 Abs. 1 GG, frei ausgeübt werden könne. Diese Grenzen habe die Beklagte beachtet. Sie habe sich nicht auf unsachliche, willkürliche Begründungen gestützt, sondern die DFB-Richtlinien zugrunde gelegt. Trotz der Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens habe das Verbot aufrechterhalten bleiben können; es genüge nämlich, dass gegen den Kläger der Verdacht bestanden habe, Störer gewesen zu sein, der Nachweis einer Straftat sei nicht erforderlich.
7
Das hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

II.

8
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit der in zweiter Instanz von dem Kläger erhobenen Feststellungsklage bejaht. Zwar kennt das Zivilprozessrecht - anders als das verwaltungsgerichtliche Verfahren (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) - keine Fortsetzungsfeststellungsklage, mit der die Rechtswidrigkeit einer durch Zeitablauf erledigten Maßnahme festgestellt werden kann. Aber das Interesse des Klägers an seiner Rehabilitierung und sein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz begründen das für die Feststellungsklage notwendige rechtliche Interesse (§ 256 Abs. 1 ZPO).
9
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 4. Oktober 1984, III ZR 50/83, VersR 1985, 39) kann auch die Schädigung anderer Rechtsgüter als die des Vermögens, z.B. die Ehre, ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 ZPO begründen. So liegt es hier. Die gesellschaftliche Stellung des Klägers ist durch das Stadionverbot fühlbar beeinträchtigt worden. Ihm war es mehr als zwei Jahre lang verwehrt, in Deutschland an Spielen der Fußballnationalmannschaft , der Fußballbundesligen und der Fußballregionalligen als Zuschauer teilzunehmen. Auch hat er seine Mitgliedschaft bei dem Verein FC B. M. verloren. Schließlich ist er in die Liste über die bundesweit geltenden Stadionverbote eingetragen worden, die vom DFB verwaltet und regelmäßig den Fußballvereinen zur Weiterleitung an die örtlich zuständige Polizei, der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze und der Bundespolizeidirektion übermittelt wird.
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b) Diese von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als Brandmarkung bezeichneten Umstände sind auch nach dem Ablauf des Stadionverbots geeignet, die Ehre des Klägers zu schädigen. Sein deshalb weiterhin rechtlich anzuerkennendes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Stadionverbots (vgl. BGHZ 27, 190, 196) darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass das Ziel der ursprünglich auf die Aufhebung des Verbots gerichteten Leistungsklage nicht mehr erreicht werden kann. Der Ablauf des Stadionverbots während des Rechtsstreits ist angesichts der gewöhnlichen Dauer eines Zivilprozesses geradezu vorprogrammiert , wenn - wie hier - nicht die Höchstdauer des Verbots verhängt worden ist. Dem hat die Rechtsordnung dadurch Rechnung zu tragen, dass sie den Übergang von der Leistungsklage zur Feststellungsklage zulässt (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456 f.; BGHZ 158, 212, 216 f.). Anderenfalls müsste sich der Kläger damit zufrieden geben, dass das Stadionverbot zwar tatsächlich nicht mehr besteht , dessen vorherige Rechtswidrigkeit aber nicht mehr festgestellt werden kann. Dieses Ergebnis ist unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes nicht hinzunehmen.
11
2. Zutreffend - und von der Revision nicht angegriffen - ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Befugnis der Beklagten zum Ausspruch des bundesweiten Stadionverbots aus ihrem Hausrecht und aus dem Hausrecht der übrigen Vereine bzw. Tochtergesellschaften der Fußballbundesligen und der Fußballregionalligen folgt, die sich in den DFB-Richtlinien gegenseitig zum Ausspruch des Verbots bevollmächtigt haben. Es beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt (Senat, Urt. v. 20. Januar 2006, V ZR 134/05, NJW 2006, 1054 m.w.N.; zu Stadionverboten: LG Duisburg, Urt. v. 22. Juli 2005, 7 S 63/05, juris, Rdn. 50). Das gilt auch, wenn - wie bei dem Besuch eines Fußballspiels - der Zutritt aufgrund eines Vertragsverhältnisses mit dem Hausrechtsinhaber gewährt wird.
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3. Das von der Beklagten ausgesprochene Hausverbot war rechtmäßig.
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a) Es unterliegt allerdings Einschränkungen. Bei Fußballspielen gewährt der Veranstalter in Ausübung der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Vertragsfreiheit grundsätzlich jedermann - gegen Bezahlung - den Zutritt zu dem Stadion.
Will er bestimmte Personen davon ausschließen, muss er deren mittelbar in das Zivilrecht einwirkende Grundrechte beachten; ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Gleichbehandlung lassen es nicht zu, einen einzelnen Zuschauer willkürlich auszuschließen (Breucker, JR 2005, 133, 136). Vielmehr muss dafür ein sachlicher Grund bestehen.
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Dabei ist es entgegen der Auffassung der Revision ohne Bedeutung, ob der von dem Ausschluss Betroffene in vertraglichen Beziehungen zu dem Hausrechtsinhaber steht oder nicht. Der von der Revision hervorgehobene Gedanke , die Beklagte habe gegenüber dem Klägervertragliche Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) zu beachten gehabt, die einem Stadionverbot entgegen gestanden hätten, führt nicht weiter. Schutzpflichten obliegen der Beklagten gegenüber allen Stadionbesuchern. Gerade daraus können sich - wie noch zu zeigen sein wird - Sachgründe ergeben, einzelne mit einem Zugangsverbot zu belegen, mögen sie selbst in Vertragsbeziehungen stehen oder nicht. Soweit es darum geht, auch ihre Interessen bei der Entscheidung über die Verhängung eines Hausverbots zu berücksichtigen, ist es ebenfalls ohne Belang, ob vertragliche Beziehungen bestehen oder nicht.
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b) Für die Verhängung des Stadionverbots gab es Sachgründe.
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aa) Da die Verhängung eines Hausverbots seine Grundlage in einem Unterlassungsanspruch nach §§ 862 Abs. 1 Satz 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, hat, setzt es voraus, dass eine künftige Störung zu besorgen ist. Konkret geht es darum, potentielle Störer auszuschließen, die die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf von Großveranstaltungen wie einem Liga-Fußballspiel gefährden können. Daran hat der Veranstalter ein schützenswertes Interesse, weil ihn gegenüber allen Besuchern Schutzpflichten treffen, sie vor Übergriffen randalierender und gewaltbereiter „Fans“ zu bewahren. Solche Schutzpflichten beste- hen entweder aufgrund Vertrages mit den Besuchern der Veranstaltung oder unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Verkehrssicherungspflichten.
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bb) Ein sachlicher Grund für ein Stadionverbot besteht daher, wenn aufgrund von objektiven Tatsachen, nicht aufgrund bloßer subjektiver Befürchtungen , die Gefahr besteht, dass künftige Störungen durch die betreffenden Personen zu besorgen sind. Eine derartige Gefahr wird regelmäßig bei vorangegangenen rechtswidrigen Beeinträchtigungen vermutet, kann aber auch bei einer erstmals drohenden Beeinträchtigung gegeben sein (Senat, BGHZ 160, 232, 236; Urt. v. 12. Dezember 2003, V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036). Bei der Verhängung von Stadionverboten sind an die Annahme der Gefahr von Störungen keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Das ergibt sich aus den Besonderheiten sportlicher Großveranstaltungen, insbesondere von Fußballgroßereignissen. Diese werden häufig zum Anlass für Ausschreitungen genommen. Angesichts der Vielzahl der Besucher und der häufig emotional aufgeheizten Stimmung zwischen rivalisierenden Gruppen ist daher die Bemühung der Vereine sachgerecht, neben Sicherungsmaßnahmen während des Spiels etwa durch Ordnungskräfte und bauliche sowie organisatorische Vorkehrungen auch im Vorfeld tätig zu werden und potentiellen Störern bereits den Zutritt zu dem Stadion zu versagen (Breucker, JR 2005, 133 m.w.N.; ders., NJW 2006, 1233).
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cc) Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts war die Annahme, dass von dem Kläger die Gefahr künftiger Störungen ausging, gerechtfertigt.
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(1) Bei der Festsetzung von Stadionverboten sind andere Maßstäbe anzuwenden als bei der strafrechtlichen Sanktionierung von Störungen bei früheren Spielen. Während insoweit nach dem Grundsatz in dubio pro reo eine Bestrafung unterbleibt, wenn keine Tat bewiesen ist, können Stadionverbote eine nennenswerte präventive Wirkung nur dann erzielen, wenn sie auch gegen sol- che Besucher ausgesprochen werden, die zwar nicht wegen einer Straftat verurteilt sind, deren bisheriges Verhalten aber besorgen lässt, dass sie bei künftigen Spielen sicherheitsrelevante Störungen verursachen werden (AG Freiburg SpuRt 2005, 257).
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(2) Eine solche Besorgnis ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision zunächst aus den der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen eines im Zusammenhang mit einem Stadionbesuch begangenen Landfriedensbruchs zugrunde liegenden Tatsachen.
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Die Staatsanwaltschaft ist nach § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens setzt einen auf Tatsachen beruhenden Anfangsverdacht voraus (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 152 Rdn. 4 m.w.N.). Es begegnet deshalb keinen Bedenken, wenn der Hausrechtsinhaber die in der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zum Ausdruck kommende Bejahung eines solchen Verdachts durch die Ermittlungsbehörden zum Anlass für den Ausspruch eines Stadionverbots nimmt. Dem Hausrechtsinhaber stehen nämlich regelmäßig keine besseren Erkenntnisse über den Tatablauf und die Beteiligung des Betroffenen zur Verfügung als der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Etwas anderes gilt dann, wenn das Verfahren offensichtlich willkürlich oder aufgrund falscher Tatsachenannahmen eingeleitet wurde (AG Freiburg SpuRt 2005, 257; Breucker, SpuRt 2005, 154; ders., NJW 2006, 1233, 1235). Dafür, dass dies hier der Fall war, gibt es keine Anhaltspunkte.
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(3) Die Besorgnis ist auch nicht später entfallen. Allerdings ist das Ermittlungsverfahren später wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO eingestellt worden. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Straftatbestand des Landfriedensbruchs verwirklicht hat. Der Verfah- renseinstellung kann nur entnommen werden, dass seine Schuld, falls er sich strafbar gemacht haben sollte, gering wäre.
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Auf die Strafbarkeit seines Verhaltens kommt es aber nicht an. Anknüpfungspunkt für das Stadionverbot ist nicht die Verwirklichung eines Straftatbestandes , sondern das Verhalten des Klägers, das Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegeben hat. Die Umstände, die dazu geführt haben, haben auch nach Einstellung des Verfahrens weiterhin Bedeutung (vgl. auch BVerwG NZWehrr 2006, 153, 154). Der Kläger ist nicht zufällig in die Gruppe, aus der heraus Gewalttaten verübt worden sind, geraten, sondern war Teil dieser Gruppe. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußballveranstaltungen in einem zu Gewalttätigkeiten neigenden Umfeld bewegt und von ihm deshalb künftige, Dritte gefährdende Störungen zu besorgen sind; auf den Nachweis, er habe sich an den aus der Gruppe heraus begangenen Gewalttätigkeiten beteiligt, kommt es - entgegen der Auffassung der Revision - nicht an.
24
Der Kläger hat diese Besorgnis weder im vorliegenden Zivilrechtsstreit noch anlässlich der Überprüfung des Stadionverbots durch die Beklagte, bei der ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, ausgeräumt. Er hat in dem als übergangen gerügten Vorbringen die Zugehörigkeit zu der Gruppe zugestanden und lediglich eine aktive Teilnahme an den Ausschreitungen in Abrede gestellt. Darauf ist das Stadionverbot - wie dargelegt - indes nicht gestützt. Die Verfahrensrüge geht daher ins Leere.
25
c) Soweit die Revision zu dem Vorgehen der Beklagten bei der Verhängung des Stadionverbots Einwendungen erhebt, bleibt dies ohne Erfolg.
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aa) Die Rüge, dem Kläger sei vor Verhängung des Verbots rechtliches Gehör verwehrt worden, greift schon deswegen nicht, weil die Beklagte kein gerichtsförmiges oder verwaltungsähnliches Verfahren zu beachten hatte, sondern einen ihr zustehenden zivilrechtlichen Anspruch geltend gemacht hat. Dabei musste sie den Kläger nicht vorher anhören. Es war vielmehr seine Sache, den bei Fehlen eines sachlichen Grundes bestehenden Anspruch auf Aufhebung des Verbots gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Im Übrigen hat sie es auch auf Bitten des Klägers überprüft.
27
bb) Richtig ist der Hinweis der Revision, dass die Richtlinien des Deutschen Fußballbundes zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten im Verhältnis der Parteien zueinander keine unmittelbare Geltung haben. Das hindert die Beklagte indes nicht, sich bei der Prüfung, ob ein Stadionverbot auszusprechen ist, an diesen Richtlinien zu orientieren. Sie enthalten einheitliche Maßstäbe für Stadionverbote, insbesondere für deren Voraussetzungen, Umfang , vorzeitige Aufhebung und das dabei einzuhaltende Verfahren. Sie stellen ein insgesamt um Ausgewogenheit bemühtes Regelwerk dar, welches die Vereine der verschiedenen Fußball-Ligen anerkannt haben (dazu Breucker, JR 2005, 133, 134 f., 137). Damit bilden sie eine geeignete Grundlage für die Vereine , ein Stadionverbot auszusprechen. Im Regelfall wird daher ein den Richtlinien gemäß verhängtes Verbot nicht willkürlich sein. Das enthebt die Vereine andererseits nicht der Notwendigkeit, die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Beachtung der Richtlinien schließt es daher nicht generell aus, dass ein ausgesprochenes Verbot gleichwohl rechtswidrig ist. Entscheidend sind nicht die Richtlinien, sondern die konkreten Umstände.
28
d) Schließlich sind weder das zeitliche Ausmaß noch der inhaltliche Umfang (bundesweit) des Verbots rechtlich zu beanstanden. Die Sanktion blieb unter dem zeitlichen Rahmen, der in den DFB-Richtlinien in solchen Fällen vorgesehen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Anlass für den Ausspruch des Verbots nicht angemessen berücksichtigt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt hätte. Der Umstand, dass der Kläger Inhaber von Heim- und Auswärtsdauerkarten für die Spiele des FC B. M. gewesen sein mag, spielt hierbei keine Rolle. Die Verhängung eines Stadionverbots hat stets zur Folge, dass Dauerkartenberechtigungen ganz oder teilweise ins Leere laufen. Das kann keine Auswirkungen auf die Frage des Ob und des Wie eines Stadionverbots haben. Insoweit muss sich der Kläger vielmehr mit seinem Vertragspartner, von dem er die Dauerkarte bezogen hat, auseinandersetzen. In Betracht kommt zudem, dass in dem Ausspruch des Stadionverbots zugleich die Kündigung des zwischen dem Inhaber der Dauerkarte und dem Veranstalter bestehenden Dauerschuldverhältnisses liegt (Breucker, JR 2005, 133, 137). Diese wäre, wenn das Stadionverbot - wie hier - zu Recht ausgesprochen wurde , aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulässig (§ 314 Abs. 1 BGB).

III.

29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Duisburg, Entscheidung vom 13.03.2008 - 73 C 1565/07 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 20.11.2008 - 12 S 42/08 -

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.