Oberlandesgericht Köln Urteil, 22. Nov. 2018 - 3 U 138/17 BSchRh

ECLI:ECLI:DE:OLGK:2018:1122.3U138.17BSCHRH.00
bei uns veröffentlicht am22.11.2018

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.10.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort – Rheinschifffahrtsgericht, Az. 5 C 6/16 BSch, aufgehoben und der Rechtsstreit an das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort – Rheinschifffahrtsgericht – zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Zivilprozessordnung - ZPO | § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung


(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen. (2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn 1. das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295),
Oberlandesgericht Köln Urteil, 22. Nov. 2018 - 3 U 138/17 BSchRh zitiert 7 §§.

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Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel.

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Tatbestand 1 Die Kläger wenden sich gegen eine enteignungsrechtliche Vorabentscheidung des Beklagten. 2

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Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel.

2

Die Klägerin ist beihilfeberechtigte Beamtin des Bundes (Besoldungsgruppe A 14) und erhält als solche grundsätzlich für 50 Prozent ihrer krankheitsbedingten Aufwendungen Beihilfe. Im April 2013 erwarb sie das ihr ärztlich verordnete Nasen- und Rachenspray Locabiosol, für das sie insgesamt 12,95 € aufwandte. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Beihilfe unter Hinweis auf den in der Bundesbeihilfeverordnung geregelten grundsätzlichen Leistungsausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ab.

3

Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht der Klägerin die begehrte weitere Beihilfeleistung in Höhe von 3,97 € zugesprochen. Die Ausschlussregelung des § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV sei mangels einer hinreichenden Härtefallregelung unwirksam.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die in Bezug auf den Ausschluss der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wegen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn erforderliche Härtefallregelung sei in § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBhV enthalten. Obwohl diese Regelung keine einheitliche absolute Obergrenze bezüglich dieser Aufwendungen vorsehe, verbleibe den Beihilfeberechtigten insoweit keine unzumutbare Belastung. Der Verordnungsgeber habe in § 22 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bis c BBhV bereits wichtige Fallgruppen vom Leistungsausschluss ausgenommen. Zudem habe er die Mehrbelastung durch die in § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c BBhV für die Anerkennung der Aufwendungen als beihilfefähig vorausgesetzten, nach Besoldungsgruppen gestaffelten Beträge ausreichend begrenzt. Sollte es trotz dieser Regelungen ganz vereinzelt zu besonderen Härten kommen, könnten diese über die allgemeine Härtefallregelung des § 6 Abs. 7 BBhV 2012 gelöst werden.

5

Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Sie ist der Ansicht, der Leistungsausschluss verstoße gegen höherrangiges Recht und rügt insbesondere eine Verletzung des Fürsorgegrundsatzes, des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit.

6

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil steht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit der Verwaltungsgerichtshof entscheidungstragend angenommen hat, der Anspruch der Klägerin auf die erstrebte Beihilfeleistung sei nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen - Bundesbeihilfeverordnung - vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326), hier anwendbar in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Bundesbeihilfeverordnung vom 8. September 2012 (BGBl. I S. 1935) - BBhV - wirksam ausgeschlossen.

8

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 - Buchholz 270.1 § 25 BBhV Nr. 1 Rn. 9 und vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 8, jeweils m.w.N.). Da die streitgegenständlichen Aufwendungen mit dem Erwerb des Arzneimittels am 10. April 2013 entstanden sind, ist ihre Beihilfefähigkeit somit anhand der seinerzeit geltenden vorstehend bezeichneten Fassung der Bundesbeihilfeverordnung zu bewerten, deren maßgebliche Regelungen dem derzeit geltenden Recht inhaltlich entsprechen.

9

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Satz 1 und § 22 Abs. 1 Nr. 1 BBhV haben Beamte einen Rechtsanspruch auf Beihilfe unter anderem für ärztlich nach Art und Umfang schriftlich verordnete Arzneimittel nach § 2 des Arzneimittelgesetzes, die apothekenpflichtig sind, wenn die diesbezüglichen Aufwendungen dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht darüber, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind. Ihr Streit konzentriert sich vielmehr auf die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV ausgeschlossen ist. Nach dieser Bestimmung sind Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht beihilfefähig, es sei denn, sie sind für Minderjährige mit Entwicklungsstörungen und für Kinder unter zwölf Jahren bestimmt (Buchst. a), wurden für diagnostische Zwecke, Untersuchungen und ambulante Behandlungen benötigt und in der Rechnung als Auslagen abgerechnet (Buchst. b) oder gelten bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard und werden mit dieser Begründung ausnahmsweise verordnet, wobei sich die beihilfefähigen Ausnahmen aus Anlage 6 ergeben (Buchst. c). Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass es sich bei dem Nasen- und Rachenspray Locabiosol um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt und keiner der vorgenannten Ausnahmetatbestände erfüllt ist. Streit besteht allein über die Wirksamkeit der Ausschlussregelung des § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV als solche. Insoweit stimmen die Beteiligten - wie mit ihnen in der mündlichen Verhandlung erörtert - zu Recht darin überein, dass die Verordnungsregelung die erforderliche gesetzliche Ermächtigung (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 - Buchholz 270.1 § 25 BBhV Nr. 1 Rn. 11 und vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 21 m.w.N.) in § 80 Abs. 4 Bundesbeamtengesetz - BBG - vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) in der rückwirkend zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes vom 14. November 2011 (BGBl. I S. 2219) findet, die den Leistungsausschluss inhaltlich deckt. Es ist daher allein darüber zu entscheiden, ob der Beihilfeausschluss in materieller Hinsicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Das ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - der Fall.

10

1. Der Leistungsausschluss des § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV steht mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn in Einklang. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Bundesbeihilfeverordnung den Anforderungen der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht nur dann in vollem Umfang genügt, wenn sie normative Vorkehrungen zur Vermeidung unzumutbarer Härten im Einzelfall trifft (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 - Buchholz 270.1 § 25 BBhV Nr. 1 Rn. 18 und 20). Denn daran mangelt es hier nicht.

11

a) Die auf Bundesebene einfachgesetzlich in § 78 BBG normierte Fürsorgepflicht des Dienstherrn findet ihre verfassungsrechtliche Verankerung in den durch Art. 33 Abs. 5 GG verbürgten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 - BVerfGE 83, 89 <98>; vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 - 5 C 32.15 - BVerwGE 155, 129 Rn. 19). Sie ergänzt die ebenfalls in Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn und fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten bzw. Versorgungsempfänger und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt oder Tod sicherstellt. Ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 24 und vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 - Buchholz 270.1 § 25 BBhV Nr. 1 Rn. 19).

12

Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht hindert den Dienstherrn grundsätzlich nicht, die Aufwendungen für eine Gruppe von Arzneimitteln generell von der Beihilfefähigkeit auszuschließen. Sie verlangt weder, dass die aus Anlass von Krankheitsfällen entstandenen Aufwendungen der Beamten bzw. Versorgungsempfänger durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und einer ergänzenden Beihilfe vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <233>; BVerwG, Urteile vom 6. November 2009 - 2 C 60.08 - USK 2009, 162, juris Rn. 17; vom 5. Mai 2010 - 2 C 12.10 - ZBR 2011, 126 Rn. 13 und vom 24. Februar 2011 - 2 C 9.10 - USK 2011, 88 Rn. 13). Der Dienstherr muss aber, wenn er sich - wie nach dem gegenwärtig praktizierten System - entscheidet, seiner Fürsorgepflicht im Krankheitsfall durch die Zahlung einer Beihilfe nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutritt, bei einem solchen Leistungsausschluss normative Vorkehrungen treffen, damit den Beamten bzw. Versorgungsberechtigten infolgedessen im Einzelfall, z.B. bei einer chronischen Erkrankung, keine erheblichen Aufwendungen verbleiben, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 6. November 2009 - 2 C 60.08 - USK 2009, 162 Rn. 19 f. und vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 33 m.w.N.). Dies ist bei einer - wie hier - fehlenden Versicherbarkeit eines von der Beihilfe nicht gedeckten Risikos gewährleistet, wenn das nicht versicherbare finanzielle Risiko auf einen Betrag begrenzt ist, der die angemessene Lebensführung nicht beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <282>).

13

b) Die Bundesbeihilfeverordnung enthält ausreichende Vorkehrungen, um zu verhindern, dass die Belastung infolge des Ausschlusses der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Einzelfall die finanziellen Möglichkeiten des Beamten bzw. Versorgungsberechtigten erheblich übersteigt. Dabei kann hier offenbleiben, ob § 6 Abs. 7 BBhV - wofür vieles spricht (vgl. so für die allgemeine Härtefallregelung des § 7 Satz 2 der Landesbeihilfeverordnung Berlin angenommen BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 35 ff.) - bereits eine hinreichende Härtefallregelung enthält. Denn die Regelungen des § 22 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bis c, des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und des § 6 Abs. 7 BBhV stellen jedenfalls in der Gesamtschau sicher, dass die spezifischen Anforderungen der Fürsorgepflicht erfüllt werden.

14

aa) § 22 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bis c BBhV nimmt wichtige Fallgruppen von dem grundsätzlichen Leistungsausschluss aus.

15

Nach dieser Vorschrift sind - wie dargelegt - unter den näher bezeichneten Voraussetzungen die Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel beihilfefähig, die für Minderjährige mit Entwicklungsstörungen und Kinder unter zwölf Jahren bestimmt sind, die für diagnostische Zwecke, Untersuchungen und ambulante Behandlungen benötigt werden und die bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung als Therapiestandard gelten. Dementsprechend kann es in diesen Fallgruppen infolge des grundsätzlichen Beihilfeausschlusses für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht zu einer unzumutbaren Belastung kommen.

16

bb) Die Regelung des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBhV sieht mit Blick auf den Zusammenhang von Fürsorge und Alimentation eine weitere Rückausnahme von dem Beihilfeausschluss vor.

17

Danach sind Aufwendungen für ärztlich oder zahnärztlich verordnete nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in voller Höhe als beihilfefähig anzuerkennen, wenn die Belastungsgrenze nach Satz 5 überschritten ist und die Aufwendungen pro verordnetem Arzneimittel über den in Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c festgelegten, nach Besoldungsgruppen gestaffelten Beträgen liegen. Auch diese Regelung trägt dazu bei, Beamte bzw. Versorgungsempfänger von einer im Hinblick auf ihre Alimentation unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung freizuhalten.

18

Dem steht - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber für die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel keine absolute Obergrenze in Höhe der für Eigenbehalte geltenden Belastungsgrenze festgesetzt hat, sondern davon ausgegangen ist, eine unzumutbare Eigenbelastung durch derartige Aufwendungen könne in der Regel erst jenseits der Belastungsgrenze des § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV auftreten. Aus der Fürsorgepflicht folgt keine Pflicht des Dienstherrn zur numerischen Festsetzung der den Beihilfeberechtigten zumutbaren Eigenbelastung. Die von Beamten bzw. Versorgungsempfängern unter Fürsorgegesichtspunkten hinzunehmende Belastung stellt keine betragsmäßig exakt bestimmbare Größe dar. Insbesondere kennzeichnet die Belastungsgrenze des § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV - entgegen der Auffassung der Klägerin - bei den hier allein interessierenden nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht die äußerste Grenze der Fürsorgepflicht, von der ab den Beihilfeberechtigten mit Blick auf die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht die Auferlegung jeglicher krankheitsbedingter Kosten nicht mehr zumutbar ist, sondern diese vom Dienstherrn - zumindest anteilmäßig - zu erstatten sind. Diese Grenze wird vielmehr durch das Kriterium der finanziellen Unzumutbarkeit selbst markiert.

19

Die Fallgruppe des finanziellen Härtefalls wird in Bezug auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel durch die in § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBhV genannten, kumulativ zu verstehenden Voraussetzungen umschrieben. Mit dem weiteren Erfordernis, dass die Kosten für das verordnete Arzneimittel einen bestimmten, nach Besoldungsgruppen gestaffelten Mindestpreis übersteigen müssen, wird die Frage, ob den Beihilfeberechtigten im Einzelfall eine unzumutbare Belastung abverlangt wird und der Ausschluss der Beihilfe die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt, an die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beihilfeberechtigten geknüpft. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Differenzierung nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien steht mit dem beamtenrechtlichen Fürsorgegrundsatz in Einklang (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <284>). Sie berücksichtigt typisierend, dass Angehörige höherer Besoldungsgruppen im Allgemeinen aus ihrer laufenden Regelalimentation bzw. daraus gebildeten Rücklagen die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel besser kompensieren können als Beamte niedrigerer Besoldungsgruppen. Das wirkt sich auf das Maß der vom Beihilferecht erwarteten zumutbaren Eigenvorsorge aus. Für Angehörige höherer Besoldungsgruppen - zu denen auch die Klägerin gehört - darf also eine höhere Preisgrenze festgelegt werden als für Angehörige niedrigerer Besoldungsgruppen.

20

Es ist nicht erkennbar, dass die in § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c BBhV festgelegten Beträge von 8, 12 und 16 € so hoch sind, dass die Vorschrift nicht geeignet wäre, effektiv zur Vermeidung unzumutbarer finanzieller Härten beizutragen, die sich im Einzelfall ergeben können. Hierbei kann nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass sich der Verordnungsgeber bei der Festlegung der Beträge ersichtlich davon hat leiten lassen, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im unteren Preissegment angesiedelt sind und daraus wertend gefolgert hat, ihre Beschaffung verursache finanzielle Aufwendungen, die den Beamten bzw. Versorgungsempfängern im Regelfall ohne beihilferechtlichen Ausgleich zugemutet werden könnten (vgl. so zum früheren Beihilferecht des Bundes etwa BVerwG, Urteile vom 5. Mai 2010 - 2 C 12.10 - ZBR 2011, 126 Rn. 12 und vom 24. Februar 2011 - 2 C 9.10 - USK 2011, 88 Rn. 12 m.w.N.). Dies zugrunde gelegt, darf daher typisierend davon ausgegangen werden, dass die große Mehrzahl der Beihilfeberechtigten durch den Erwerb nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die weniger als 8, 12 oder 16 € kosten, auch bei Überschreiten der Belastungsgrenze des § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV nicht in einem Umfang belastet wird, der deren finanzielle Möglichkeiten erheblich übersteigt.

21

Hinzu kommt, dass sich Beihilfeberechtigte, die regelmäßig auf ein bestimmtes nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel angewiesen sind, größere Packungsgrößen verordnen lassen können, die in der Regel teurer sind. Das trägt zur Minimierung der Fälle bei, in denen die Beihilfeberechtigten zur vollumfänglichen Kostentragung verpflichtet bleiben. Vergleichbares gilt für die nach § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV festgelegte niedrigere Belastungsgrenze für chronisch Kranke. Denn diese haben bereits ab der Überschreitung von einem Prozent der jährlichen Einnahmen nach § 39 Abs. 3 BBhV einen Anspruch darauf, dass ihre Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Apothekenabgabenpreis über den in § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBhV festgelegten Beträgen liegt, nach den Kriterien der Notwendigkeit und Angemessenheit erstattet werden, was ebenfalls belastungsreduzierend wirkt.

22

cc) Der allgemeinen Härtefallregelung des § 6 Abs. 7 BBhV kommt schließlich die Funktion einer Auffangregelung zu.

23

Danach kann die oberste Dienstbehörde, sofern im Einzelfall die Ablehnung der Beihilfe eine besondere Härte darstellen würde, mit Zustimmung des Bundesministeriums des Innern eine Beihilfe zur Milderung der Härte gewähren. Anknüpfend an die Konkretisierung der Fürsorgepflicht in der verwaltungsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann und muss im Zusammenhang mit dem Ausschluss der Beihilfefähigkeit für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel auf diese Vorschrift zur Vermeidung von Schutzlücken zurückgegriffen werden, wenn weder die Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bis c BBhV noch die in Bezug auf den Beihilfeausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel spezielle Härtefallregelung des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBhV herangezogen werden kann oder die Beihilfeberechtigten selbst nach diesen beiden Regelungen im Einzelfall an einer amtsangemessenen Lebensführung gehindert sind, weil sie mit erheblichen finanziellen Kosten belastet bleiben, die sich für sie als unzumutbar darstellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 36 und vom 28. April 2016 - 5 C 32.15 - BVerwGE 155, 129 Rn. 19).

24

2. Überdies ist der grundsätzliche Leistungsausschluss des § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

25

Dieser gebietet, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, stellt es aber dem Normgeber frei, aufgrund autonomer Wertungen die Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen können (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 <100> und vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE 129, 49 <68> m.w.N.). Knüpft die Ungleichbehandlung nicht an ein personenbezogenes, d.h. von den Betroffenen gar nicht oder nur schwer beeinflussbares Merkmal, sondern an Lebenssachverhalte an oder hängt sie von freiwilligen Entscheidungen der Betroffenen ab, hat der Normgeber grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum. Ein Gleichheitsverstoß ist nur dann anzunehmen, wenn sich im Hinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereiches ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung schlechthin nicht finden lässt, die Regelung also willkürlich erscheint. Bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Normgeber dagegen regelmäßig engen rechtlichen Bindungen. Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvF 1/05 - BVerfGE 118, 79 <100> m.w.N.). Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz kann in diesen Fällen schon dann angenommen werden, wenn für die Differenzierung keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Für beide Fallgruppen gilt, dass die vom Normgeber für eine Differenzierung im Beihilferecht angeführten Gründe auch vor der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn Bestand haben müssen, in der die Beihilfe ihre Grundlage hat (vgl. zu Vorstehendem insgesamt BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 2012 - 5 C 3.12 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 43 Rn. 29 und vom 5. Mai 2010 - 2 C 12.10 - ZBR 2011, 126 Rn.10 f., jeweils m.w.N.). Zwar begründet die Durchbrechung einer vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit für sich genommen noch keine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie kann jedoch ein Indiz für eine objektiv willkürliche Regelung oder das Fehlen eines nach Art und Gewicht hinreichenden Rechtfertigungsgrundes darstellen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. September 2009 - 1 BvR 2275/07 - ZOV 2009, 291 <295> m.w.N.). Solange der Gesetzgeber am gegenwärtig praktizierten "Mischsystem" aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzender Beihilfe festhält, ist daher eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes indiziert, wenn eine bestimmte Regelung die im Beihilfesystem angelegte Sachgesetzlichkeit, dass notwendige und angemessene Aufwendungen beihilfefähig sind, ohne zureichenden Grund verlässt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 - Buchholz 270.1 BBhV Nr. 1 Rn. 14 und vom 17. April 2014 - 5 C 40.13 - BVerwGE 149, 279 Rn. 11). Das ist für den grundsätzlichen Ausschluss der Beihilfefähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu verneinen.

26

a) Die von § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV bewirkte Ungleichbehandlung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel gegenüber verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist nicht zu beanstanden.

27

Dem Normgeber steht bei der Entscheidung, ob und für welche ärztlich oder zahnärztlich nach Art und Umfang schriftlich verordneten apothekenpflichtigen Arzneimittel grundsätzlich eine Beihilfe nach den Kriterien der Notwendigkeit und Angemessenheit zu gewähren ist, ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 - Buchholz 270.1 BBhV Nr. 1 Rn. 15 m.w.N.), den der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV nicht überschreitet. Denn ihm liegt - wie vorstehend bereits ausgeführt - erkennbar die nicht zu beanstandende Wertung zugrunde, dass es sich bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln um solche aus dem unteren Preissegment handele, deren Kosten den Beamten bzw. Versorgungsempfängern in der Regel ohne beihilferechtlichen Ausgleich zugemutet werden könnten. Hinzu kommt, dass die Ausschlussregelung - wie aufgezeigt - nicht ausnahmslos gilt. Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Dienstherr nicht verpflichtet ist, den Beamten von allen Behandlungskosten im Krankheitsfall freizustellen, beruht der Ausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel somit an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen auf einem plausiblen und sachlich vertretbaren Gesichtspunkt (vgl. so bereits zum früheren Beihilferecht des Bundes etwa BVerwG, Urteile vom 5. Mai 2010 - 2 C 12.10 - ZBR 2011, 126 Rn. 12 und vom 24. Februar 2011 - 2 C 9.10 - USK 2011, 88 Rn. 12 m.w.N.).

28

b) Die durch § 50 Abs. 1 Satz 1 BBhV herbeigeführte Ungleichbehandlung, die darin besteht, dass Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel - wie dargelegt - nicht schon ab dem Überschreiten der Belastungsgrenze nach § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV in voller Höhe als beihilfefähig anzuerkennen sind, sondern erst ab dem Überschreiten besoldungsgruppenabhängiger Mindestpreise pro verordnetem Arzneimittel, während Eigenbehalte unterschiedslos für alle Beihilfeberechtigten ab dem Überschreiten der Belastungsgrenze nach § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV nicht mehr abgezogen werden dürfen, stellt ebenfalls keine gleichheitswidrige Benachteiligung dar. Auch sie ist durch hinreichende Differenzierungsgründe gerechtfertigt.

29

Die fehlende Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel einerseits und die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen, von denen die Eigenbehalte abzuziehen sind, andererseits, stellt einen auch mit Blick auf die Fürsorgepflicht nach Art und Gewicht hinreichenden Rechtfertigungsgrund dar, um von wesentlich ungleichen Sachverhalten auszugehen. Demzufolge ist es nicht geboten, die erstmalige Einbeziehung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in die Beihilfefähigkeit in gleicher Weise wie die Begrenzung des Abzugs von Eigenbehalten ausschließlich an das Überschreiten der Belastungsgrenze des § 50 Abs. 1 Satz 5 BBhV zu binden. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil der verschärfte Maßstab für die Anerkennung der Beihilfefähigkeit durch besoldungsgruppenabhängige Preisgrenzen abgemildert wird, die - wie vorstehend erörtert - die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betreffenden Beihilfeberechtigten widerspiegeln. Letztere stellt einen ausreichenden sachlichen Rechtfertigungsgrund für die nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c BBhV bewirkte höhere Belastung der Beihilfeberechtigten höherer Besoldungsgruppen gegenüber den Beihilfeberechtigten niedrigerer Besoldungsgruppen dar, die - wie dargetan - auch mit den Anforderungen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn im Einklang steht.

30

3. Die Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG.

31

Dabei kann hier offengelassen werden, ob das Auffanggrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG schon deshalb als Prüfungsmaßstab hinsichtlich der finanziellen Belastungen, die durch den Ausschluss der Beihilfefähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel entstehen können, ausscheidet, weil insoweit die verfassungsrechtliche Prüfung im Rahmen der Beurteilung am Maßstab der Sonderregelung für den öffentlichen Dienst in Art. 33 Abs. 5 GG genügt (vgl. zum vergleichbaren Verhältnis der Spezialität in Bezug auf Art. 14 GG BVerfG, Beschlüsse vom 10. April 1984 - 2 BvL 19/82 - BVerfGE 67, 1 <14> und vom 10. Dezember 1985 - 2 BvL 18/83 - BVerfGE 71, 255 <270 f.>). Denn der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit kann jedenfalls nicht weiter reichen als der Schutz des Art. 33 Abs. 5 GG, welcher - wie dargelegt - durch § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV nicht verletzt wird.

32

4. Der grundsätzliche Beihilfeausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht an dem beamtenrechtlichen Grundsatz der Formstrenge zu messen.

33

Dieser Grundsatz findet im Zusammenhang mit den statusrechtlichen Entscheidungen der Ernennung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. April 2007 - 2 B 25.07 - Buchholz 240 § 42 BBesG Nr. 26 Rn. 6), der Beförderung oder dem Aufstieg von Beamten sowie der Beendigung des Beamtenverhältnisses (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 1978 - 6 C 9.77 - BVerwG 55, 212 <217>) Anwendung. Der Ausschluss der Beihilfefähigkeit für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel stellt keine statusrechtliche Entscheidung dar, sodass der Grundsatz der Formstrenge durch ihn nicht berührt oder gar verletzt werden kann.

34

5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,

1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist,
2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist,
3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist,
4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist,
5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist,
6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder
7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Im Fall der Nummer 3 hat das Berufungsgericht sämtliche Rügen zu erledigen. Im Fall der Nummer 7 bedarf es eines Antrags nicht.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine enteignungsrechtliche Vorabentscheidung des Beklagten.

2

Die Kläger zu 1 und 2 sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung P. mit einer Größe von 6 873 qm. Der Kläger zu 3 ist Pächter des Grundstücks und Auflassungsvormerkungsberechtigter. Das Grundstück liegt teilweise im Geltungsbereich des isolierten Straßenbebauungsplans "Nord-Ost-Umfahrung" P. des Marktes P.. Der Plan verfolgt nach seiner Begründung das mit dem Beigeladenen zu 1 abgestimmte Ziel der Gemeinde, die Kreisstraße NU 3, die durch den dicht besiedelten Ortskern von P. verläuft, zu verlegen und um die Ortslage herumzuführen.

3

Auf Antrag des Beigeladenen zu 1 entzog der Beklagte das Eigentum der Kläger zu 1 und 2 an einer 1 835 qm großen Teilfläche des Grundstücks Fl.Nr. ... und dem Kläger zu 3 dessen Recht als Pächter und Vormerkungsberechtigter an der Grundstücksteilfläche. Gestützt ist der Bescheid auf Art. 40 Abs. 1 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG), wonach zur Erfüllung der Aufgaben aus der Straßenbaulast nach den Vorschriften des Bayerischen Gesetzes über die entschädigungspflichtige Enteignung (BayEG) enteignet werden kann. In der Enteignungsentscheidung heißt es, dass die Straßenbaulast auch die Pflicht beinhalte, neue Straßen zu bauen, wenn ein neues Verkehrsbedürfnis auftrete. Das sei hier der Fall, weil aufgrund des Ausbauzustands der innerörtlichen Kreuzung der Kreisstraße NU 3 mit der Staatsstraße 2020 zu Stoßzeiten unverträglich lange Wartezeiten für Linksabbieger zu verzeichnen seien. Art. 40 BayStrWG sei die richtige Rechtsgrundlage, obwohl die Straße in einem Bebauungsplan festgesetzt sei; denn eine Enteignung nach dem Baugesetzbuch sei nur für eine im engeren Sinne städtebauliche Planung zulässig.

4

Die Klage hatte im Berufungsrechtzug Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Enteignungsbescheid des Beklagten mit der Begründung aufgehoben, dass der Bescheid auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt worden sei. Grundstücke und andere Rechte für Straßenbauvorhaben, die nach dem landesrechtlichen Fachplanungsrecht (Planfeststellungsrecht) geplant würden, seien grundsätzlich nach Art. 40 Abs. 1 BayStrWG zu enteignen. Sei eine Verkehrsfläche hingegen in einem isolierten Straßenbebauungsplan festgesetzt worden, könne eine Enteignung nur nach den Vorschriften des städtebaulichen Enteignungsrechts der §§ 85 ff. BauGB durchgeführt werden. Denn der Griff zum Instrumentarium der Bauleitplanung, die in § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB die Festsetzung von Verkehrsflächen vorsehe, ersetze, sofern der in § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB normierte Erforderlichkeitsgrundsatz zu bejahen sei, die fachplanerisch-straßenrechtliche Abwägung der für und gegen das Straßenbauvorhaben streitenden öffentlichen Belange durch eine spezifisch städtebauliche Abwägung im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB. Diese Abwägung, die auch verkehrspolitische Belange einschließe, transformiere die Planungsentscheidung in das Städtebaurecht. Dann habe konsequenterweise auch die Planverwirklichung durch Enteignung nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zu erfolgen. Vorliegend habe sich der Markt P. zur Umsetzung der Planung, den Ortsbereich von P. durch Auslagerung des Durchgangsverkehrs zu entlasten, des Instrumentariums eines isolierten Straßenbebauungsplans bedient. Der planende Markt sei dabei vertretbar davon ausgegangen, dass die Herstellung der Ortsumgehung aus städtebaulichen Gründen erforderlich sei. Da er damit Verkehrspolitik zu Zwecken der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung betreibe (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB), habe eine Enteignung nicht nach Art. 40 Abs. 1 BayStrWG in Verbindung mit dem Bayerischen Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung erfolgen dürfen. Die Bestätigung des umstrittenen Bescheids als rechtmäßig durch Austausch der Rechtsgrundlage sei wegen des Grundsatzes der Gesetzesmäßigkeit der Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) ausgeschlossen.

5

Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen greifen der Beklagte und die Beigeladenen zu 1 und 2 die vorinstanzliche Entscheidung an. Die Revisionsführer machen im Kern übereinstimmend geltend, die vom Verwaltungsgerichtshof angenommene Exklusivität des § 85 Abs. 1 BauGB greife nur, wenn zu ausschließlich städtebaulichen Zwecken enteignet werden solle. Das sei hier nicht der Fall. Der Straßenbebauungsplan verfolge nicht allein städtebauliche Ziele des Marktes P., sondern diene auch den rein straßenbaulichen Interessen des zuständigen Trägers der Straßenbaulast.

Entscheidungsgründe

6

Die Revisionen, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, sind unbegründet. Die angefochtene Entscheidung steht mit Bundesrecht im Einklang.

7

1. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die in einem isolierten Straßenbebauungsplan als Verkehrsflächen festgesetzten Flächen nur auf der Grundlage des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB enteignet werden können, wenn enteignet werden soll, um diese Flächen als Verkehrsflächen zu nutzen.

8

Der Verwaltungsgerichtshof (BA Rn. 14 f.) hat mit bindender Wirkung für das Revisionsverfahren (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass die zu enteignenden Grundflächen durch einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 3 BauGB festgesetzt worden sind, der nur Festsetzungen über die Verkehrsflächen, den Straßenkörper, das Zubehör und eventuell über grünordnerische Flächen enthält, und dass die damit bezweckte Planung einer Ortsumgehungsstraße im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB aus städtebaulichen Gründen erforderlich sei. Aus dem Berufungsurteil ergibt sich ferner, dass die betreffenden Flächen für den Bau der geplanten Ortsumgehungsstraße in Anspruch genommen werden sollen. Unter diesen Voraussetzungen bietet § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, der die Enteignung zulässt, um ein Grundstück entsprechend den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten, eine geeignete Grundlage für die städtebauliche Enteignung. Eine Enteignung auf landesrechtlicher Rechtsgrundlage ist gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung bleiben zwar "die Vorschriften über die Enteignung zu anderen als den in Absatz 1 genannten Zwecken" unberührt. Mit der Enteignung zur Verwirklichung der durch Bebauungsplan festgesetzten Straßenverkehrsflächen wird aber kein anderer, sondern gerade der in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genannte Zweck verfolgt. Ein Wahlrecht zwischen städtebaulicher und sonstiger Enteignungsgrundlage räumt das Gesetz nicht ein.

9

a) Der Wortlaut des § 85 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BauGB bringt diese Rechtsfolge klar und unmissverständlich zum Ausdruck.

10

Hiernach ist für die Abgrenzung zu anderen als städtebaulichen Enteignungsvorschriften allein maßgeblich, ob der mit einem Vorhaben konkret verfolgte Enteignungszweck in § 85 Abs. 1 BauGB "genannt" ist. Ist das der Fall, kann nur auf städtebaulicher Grundlage enteignet werden. Andere als städtebauliche Enteignungsvorschriften bleiben in diesem Fall nicht "unberührt"; sie sind angesichts der in § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zum Ausdruck kommenden Exklusivität städtebaulicher Enteignungszwecke und vorbehaltlich der Regelung in § 85 Abs. 2 Nr. 2 BauGB als Rechtsgrundlage für die Enteignung grundsätzlich gesperrt (vgl. z.B. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 85 Rn. 9 m.w.N.). Ist demgegenüber der mit dem Vorhaben verfolgte Zweck in § 85 Abs. 1 BauGB nicht "genannt", ist der Weg der städtebaulichen Enteignung (ungeachtet der im Baugesetzbuch geregelten sonstigen Enteignungszwecke, vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Juni 2010, § 85 Rn. 3 ff.) versperrt; § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB steht einer Enteignung auf anderer als städtebaulicher Grundlage nicht entgegen.

11

"Genannt" ist in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB der Zweck, zu enteignen, um "entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten". Dieser Zweck der städtebaulichen Enteignung dient der Planverwirklichung (Halama, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand November 2012, § 85 Rn. 12). Der Bebauungsplan, dessen Aufgabe es ist, die bauliche oder sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde zu leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB), ist auf Umsetzung angelegt. Er bildet gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 BauGB die Grundlage für weitere, zum Vollzug des Baugesetzbuchs erforderliche Maßnahmen. Vollzugsinstrument ist unter anderem die städtebauliche Enteignung gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB (Philipp, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand November 2012, § 8 Rn. 7). Soll zur Verwirklichung der Festsetzungen eines Bebauungsplans enteignet werden, wird kein anderer, sondern gerade der in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genannte Zweck verfolgt. Infolgedessen greift auch die Sperrwirkung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Andere als städtebauliche Enteignungsvorschriften bleiben in diesem Fall nicht "unberührt" und werden als Enteignungsgrundlage verdrängt.

12

Das bedeutet nicht, dass andere als städtebauliche Enteignungsgrundlagen allein durch die Existenz eines Bebauungsplans stets und ausnahmslos verdrängt würden. § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt voraus, dass gerade zur Verwirklichung der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung enteignet werden soll. Soll zur Verwirklichung einer anderen als der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung enteignet werden, ist § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB tatbestandlich nicht einschlägig und steht deshalb als Rechtsgrundlage für die Enteignung nicht zur Verfügung. Folglich tritt auch die Sperrwirkung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht ein. Die Unzulässigkeit einer Enteignung auf anderer als städtebaulicher Grundlage kann sich in diesem Fall allerdings daraus ergeben, dass die mit der Enteignung verfolgte Nutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht und deshalb gemäß § 30 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig ist.

13

b) Diese auf den Wortlaut gestützte Auslegung wird durch Sinn und Zweck der Vorschriften über die städtebauliche Enteignung untermauert.

14

Die städtebauliche Enteignung zur Planverwirklichung ist streng planakzessorisch (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 - III ZR 141/81 - DVBl 1983, 627; Halama, a.a.O. § 85 Rn. 18 und § 87 Rn. 34). Durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans legt die planende Gemeinde verbindlich fest, zur Verwirklichung welcher konkreten Nutzungen auf der Grundlage des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB enteignet werden darf. Aufgrund der Besonderheiten des Bebauungsplans als Planungsinstrument wird die Gemeinwohlbindung der Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, § 87 Abs. 1 BauGB) dabei in spezifischer Weise sichergestellt. Eine spezifisch städtebauliche Begrenzung des Enteignungszwecks ergibt sich aus dem Numerus clausus bauleitplanerischer Festsetzungen (§ 9 Abs. 1 bis 3 BauGB), der es der planenden Gemeinde etwa verwehrt, im Rahmen der Konfliktbewältigung auf das Instrumentarium der Planfeststellung zurückzugreifen (vgl. z.B. Beschluss vom 17. Mai 1995 - BVerwG 4 NB 30.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 82; VGH München, Urteil vom 29. Juni 2006 - 25 N 99.3449 - BayVBl 2007, 429). Spezifischen Anforderungen unterliegt ferner die städtebauliche Abwägung (§ 1 Abs. 7 und § 2 Abs. 3 BauGB), an deren planerische Bewertungen die Enteignungsbehörde im Rahmen der städtebaulichen Enteignung gebunden ist (vgl. Halama, a.a.O. § 87 Rn. 34). Spezifisch sind schließlich die Rechtswirkungen der städtebaulichen Planung; eine enteignungsrechtliche Vorwirkung kommt ihr - im Unterschied zur Planfeststellung - nicht zu (stRspr, z.B. Urteil vom 27. August 2009 - BVerwG 4 CN 5.08 - BVerwGE 134, 355 Rn. 24 m.w.N.).

15

All diese Spezifika sprechen für eine Verzahnung von Enteignungsgrundlage und Planungsinstrument, wie sie etwa in § 19 Abs. 1 Satz 2 FStrG zum Ausdruck kommt. Andernfalls wären Brüche an den Schnittstellen zwischen Planung und Enteignung zu besorgen. Erst recht würde das städtebauliche Entscheidungssystem konterkariert, wenn ein durch Planung konkretisierter städtebaulicher Enteignungszweck durch die Wahl nicht plangebundener Enteignungsgrundlagen beiseite geschoben und durch administrative Zweckfestlegungen ersetzt werden könnte. All dies spricht dafür, dass die städtebauliche Enteignung im Fall des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht nur akzessorisch an die Festsetzungen der städtebaulichen Planung gebunden ist, sondern dass umgekehrt das städtebauliche Planungsinstrument auch die Wahl der städtebaulichen Enteignungsgrundlage determiniert mit der Folge, dass für eine durch Bebauungsplan geplante Straße auch nur im Wege der städtebaulichen Enteignung enteignet werden kann. Das bringt der Verwaltungsgerichtshof (BA Rn. 14) mit der Formulierung zum Ausdruck, dass städtebauliche Planungsentscheidungen die Enteignung in das Städtebaurecht "transformieren".

16

c) Ist für die Sperrwirkung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BauGB mithin allein maßgeblich, ob enteignet werden soll, um die im Bebauungsplan festgesetzte Nutzung zu verwirklichen, weil nur dieser Zweck in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB "genannt" ist, kommt es auf die Zwecke, die der Vorhabenträger mit der Verwirklichung der Festsetzungen verbindet, nicht an. Unerheblich ist deshalb, ob sich "andere Zwecke" in der konkreten Verfolgung eines Vorhabens mit "gleichgerichteten städtebaulichen Zwecken" treffen und welches Gewicht die städtebaulichen Zwecke im Vergleich zu den nicht städtebaulichen Zwecken jeweils haben, etwa, ob der Straßenbaulastträger mit der Verwirklichung der festgesetzten Straßenverkehrsfläche im Schwergewicht städtebauliche oder aber straßenrechtliche Zwecke verfolgt. Soweit der Senat hieran anknüpfend in einem Obiter dictum (Urteil vom 6. März 1987 - BVerwG 4 C 11.83 - BVerwGE 77, 86 <89>) die Auffassung vertreten hatte, nur wenn feststehe, dass ausschließlich zu einem städtebaulichen Zweck enteignet werde, oder wenn nach den Umständen des Einzelfalls von "anderen Zwecken" ernsthaft nicht die Rede sein könne, seien allein die §§ 85 ff. BauGB anzuwenden, ist daran nur mit der Maßgabe festzuhalten, dass diese Voraussetzungen im Falle des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ohne Weiteres erfüllt sind.

17

2. Die Möglichkeit einer Umdeutung des streitgegenständigen Verwaltungsaktes in solche nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB hat der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls im Einklang mit Bundesrecht abgelehnt. Ein Auswechseln der Rechtsgrundlage ist nicht zulässig, weil die Verwaltung wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) nur dasjenige Enteignungsgesetz anwenden darf, das der nach der Kompetenzordnung zuständige Gesetzgeber erlassen hat (BVerfG, Urteil vom 10. März 1981 - 1 BvR 92, 96/71 - BVerfGE 56, 249 <262>).

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 31.05.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort (Schifffahrtsgericht) – Az. 5 C 5/16 BSch – in der Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 12.07.2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

              Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

              Die weiteren Entscheidungen bleiben dem Schlussurteil vorbehalten.

              Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 16.09.2015 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 13.08.2015 (Az. 52 O 14634/11) samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Ingolstadt zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Ingolstadt vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall geltend, wobei er in der Hauptsache den Ausgleich von Personen- und Vermögensschäden in Höhe von insgesamt 77.458,27 €, sowie die Feststellung uneingeschränkter Ersatzpflicht für jegliche künftige Schäden verlangt.

I.

Zugrunde liegt ein unstreitiger Zusammenstoß am Sonntag, den 08.10.2006 gegen 08.45 Uhr, auf der Kreisstraße EI 34, auf welcher der Kläger mit seinem Pkw Audi Avant 1,8, amtliches Kennzeichen EI – …, von O. in südöstlicher Richtung gegen P. fuhr. Gleichzeitig fuhr Herr S. mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pferdetransporter DB 814, amtliches Kennzeichen DAH – …, auf der Ortsverbindungs Straße von O. in nördlicher Richtung in Richtung M. Aufgrund einer Vorfahrtsverletzung des Versicherungsnehmers der Beklagten steht deren grundsätzliche uneingeschränkte Haftung für jegliche Schäden des Klägers außer Streit. Gleiches gilt für etliche Erstverletzungen des Klägers und eine tatsächliche vorgerichtliche Zahlung der Beklagten von 13.000,- €.

a) Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 13.08.2015 (Bl. 456/466 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO). Das Erstgericht hatte in einem vorangegangenen Verfahren (Az. 5 O 2263/06) zunächst die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach lediglich zu 65 Prozent für begründet gehalten. Hierauf hat der Senat mit Urteil vom 27.02.2009 (Az.10 U 4871/08) die alleinige Haftung der Beklagten festgestellt.

b) Der Kläger hatte beantragt (EU 5 = Bl. 460 d. A.),

– die Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens jedoch 50.000,- €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen,

– die Beklagte zu einer Zahlung von 27.458,27 € zu verurteilen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, und

– festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 08.10.2006, 08.45 Uhr, auf der Kreisstraße EI 34 bei km 3.300 bei H. zu ersetzen.

Die Beklagte hatte beantragt (EU 5 = Bl. 460 d. A.),

die Klage abzuweisen

II.

Das Landgericht Ingolstadt hat nach Beweisaufnahme, insbesondere durch biomechanische und fachmedizinische Gutachten, die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 462/466 d. A.) des angefochtenen Urteils verwiesen. Bestimmend für die Entscheidung war zum ersten, dass der bezahlte Betrag angesichts der unstreitigen und als unfallbedingt nachgewiesenen Gesundheitsschäden ein angemessenes Schmerzensgeld darstelle, weil der Kläger weitere schwere Beeinträchtigungen und einen Dauerschaden nicht habe nachweisen können. Zum anderen seien ein relevanter Haushaltsführungsschaden nicht eingetreten und ein Verdienstentgang nicht schlüssig dargelegt worden.

III.

Gegen dieses ihm am 18.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit beim Oberlandesgericht München am 17.09.2015 eingegangenen Schriftsatz vom 16.09.2015 Berufung eingelegt (Bl. 495/496 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 18.11.2015, eingegangen am gleichen Tag, – nach Fristverlängerung gemäß Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 19.10.2015 (Bl. 502 d. A.) fristgerecht – begründet (Bl. 503/512 d. A.).

Der Kläger beantragt (BB 2 = Bl. 504 d. A.), unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen erster Instanz zu erkennen,

hilfsweise das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 11.08.2017, S. 2 = Bl. 541 d. A.).

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen (Bl. 500 d. A.; BE 1 = Bl. 518 d. A.).

IV.

Der Senat hat eine mündliche Verhandlung ohne Beweiserhebungen durchgeführt, insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.08.2017 (Bl. 540/542 d. A.) verwiesen. Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die Hinweisverfügung des Senatsvorsitzenden vom 18.05.2017 (Bl. 531/534 d. A.) Bezug genommen. Ein Vergleichsvorschlag des Senats ist vom Kläger angenommen (Bl. 538/539 d. A.), von der Beklagten jedoch abgelehnt worden (Bl. 537, 543 d. A.).

B.

Die statthafte (§§ 511 I, II Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte und somit zulässige Berufung des Klägers erzielt in der Sache einen uneingeschränkten, allerdings vorläufigen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat die Klage – nach eingeschränkter Beweisaufnahme – vollständig abgewiesen (EU 2, 7 = Bl. 457, 462 d. A.), weil jegliche begründete Ansprüche des Klägers, nämlich allein auf Schmerzensgeld, durch eine unstreitige Zahlung der Beklagten von 13.000,- € erloschen seien. Für jegliche weitere Forderungen sei der Kläger beweisfällig geblieben:

1. Neben unstreitig unfallbedingten Verletzungen (Rippenserienfraktur rechts, Thoraxprellung rechts, Hüftprellung rechts, Knieprellung rechts und links und einer Schürfwunde am rechten kleinen Finger) habe der Kläger lediglich einen Riss am linken Innenmeniskushinterhornlappen nachweisen können (EU 3/4 = Bl. 458/459; BB 2 = Bl. 504 d. A.).

2. Dagegen seien ständige Schmerzzustände am linken Knie seit dem Unfall nicht erwiesen (EU 4, 7 = Bl. 459, 462 d. A.). Gleiches gelte für eine schwere Schädelprellung, weil der Kläger keine Unterlagen oder Arztberichte vorgelegt habe (EU 8 = Bl. 463 d. A.). Eine „signifikante“, „massive“ Traumatisierung der Halswirbelsäule (BB 3/4 = Bl. 505/596 d. A.), scheide aus, weil ein MRT des Klägers im Januar 2007 unauffällig gewesen sei, somit im zeitlicher Nähe zum Unfall keine Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule festzustellen gewesen seien, und der Kläger trotz Aufforderung kein neueres MRT vorgelegt habe (EU 8 = Bl. 463 d. A.).

3. Aus einer Halswirbelsäulenverletzung folgende Kopfschmerzen bzw. Kopfbeschwerdensymptomatik (BB 4 = Bl. 506 d. A.) und motorische Bewegungsstörungen (BB 6 = Bl. 508 d. A.) könnten nicht als unfallursächlich angesehen werden (EU 7/8 = Bl. 462/463 d. A.).

4. Eine posttraumatische Belastungsstörung werde aufgrund des Gutachtens von Dr. H. abgelehnt, weil lediglich eine Schlafstörung vorliege, die jedoch auf die Dauer des Rechtsstreits zurückzuführen sei und der Beklagten nicht zugerechnet werden könne (EU 8 = Bl. 463 d. A.). Auch der vom Kläger erlittene Herzinfarkt dürfe unter Zurechnungsgesichtspunkten nicht als unfallursächlich gewertet werden (EU 8 = Bl. 463 d. A.).

5. Eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit seit dem Unfalltag wurde aufgrund der erholten Gutachten mangels Dauerschäden abgelehnt, vielmehr sei ein solcher Zeitraum mit vier Wochen ab dem Unfallzeitpunkt anzunehmen. Daraus folge, dass der Kläger erhebliche Einschränkungen der Haushaltsführungsfähigkeit nicht erlitten habe (EU 9 = Bl. 464 d. A.). Aus den gleichen Gründen müsse der Feststellungsanspruch entfallen (EU 10 = Bl. 465 d. A.).

Ein Verdienstausfallschaden könne mangels substantiierten Sachvortrags und mangels Vorlage angeordneter Unterlagen, nicht zuerkannt werden (EU 10 = Bl. 465 d. A.).

II.

Dieses Ergebnis der Tatsachen- und Beweiswürdigung entbehrt angesichts unvollständiger Beweiserhebung und unzulänglicher Beweiswürdigung einer überzeugenden Grundlage.

Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht „fehlerfreie und überzeugende“ und damit „richtige“ (BGH NJW 2016, 793) Tatsachenfeststellungen (s. Senat, Urt. v. 31.07.2015 – 10 U 4733/14 [BeckRS 2015, 13736]) nicht getroffen, deswegen ist der Senat nach § 529 I Nr. 1 ZPO nicht gebunden. Aufgrund konkreter Anhaltspunkte erweisen sich die Feststellungen als lückenhaft, widersprüchlich oder unzutreffend (BGH NJW 2005, 1583, 1585; r + s 2003, 522), insoweit hat der Kläger jedenfalls wesentliche, die Entscheidung beeinflussende Anhaltspunkte aufgezeigt, die erneute, erweiterte oder ergänzende Feststellungen gebieten könnten. Ebenso ergeben sich Mängel aufgrund der ergänzend von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfung (so BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797).

a) Das Ersturteil weist zu den vom Kläger geltend gemachten dauerhaften Kniebeschwerden (oben B I 2) weder ein Beweisergebnis, noch eine Begründung auf:

aa) Die Entscheidungsgründe erschöpfen sich in dem Satz „die weiteren vorgetragenen Primärverletzungen konnten nicht nachgewiesen werden“, und sind deswegen aus sich heraus weder prüfbar, noch verständlich. Zwar besteht grundsätzlich und auch im Streitfall keine Verpflichtung des Tatrichters, in den Entscheidungsgründen auf jede Tatsache ausdrücklich und in allen Einzelheiten einzugehen (etwa BGH NJW 2003, 1943; NJW 2011, 1442; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05). Ausreichend wäre eine Begründung, „die wenigstens in groben Zügen sichtbar macht, dass die beachtlichen Tatsachen berücksichtigt und vertretbar gewertet worden sind“ (BAGE 5, 221 [224]; NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 – 10 U 3590/06). Diesen Ansprüchen genügt das Ersturteil jedoch nicht, weil nicht zu erkennen ist, aufgrund welcher Umstände und Erwägungen das Landgericht zu seiner Überzeugung gefunden hat.

bb) Das Erstgericht lässt insoweit auch nicht erkennen, welches Beweismaß entscheidungserheblich sei. Grundsätzlich ist zwischen „Primärschäden“ (Primärverletzungen) und „Sekundär-“ oder „Folgeschäden“ (Sekundärverletzungen) zu unterscheiden (BGH NJW 1988, 2948), wobei erstere unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsschädigungen betreffen, und im Recht der unerlaubten Handlungen eine Rechtsgutsverletzung im Sinne der Haftungstatbestände (§§ 823 BGB, 11 StVG) begründen (BGH r+s 2013, 570 = NJW 2013, 3634). Letztere bilden erst durch den eingetretenen Gesundheitsschaden entstandene Schädigungen, im Verkehrsunfallrecht aufgrund der Erstverletzung. Für Erstverletzungen gilt das Beweismaß des § 286 I 1 ZPO, während sich ein Geschädigter (erst dann) auf § 287 ZPO stützen kann, wenn der haftungsbegründende Tatbestand feststeht. Nur soweit der Streit darum geht, ob (auch) der (Folge-)Schaden, dessen Ersatz der Kläger verlangt, auf diesen konkreten Haftungsgrund ursächlich zurückgeht, kommt ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu Hilfe (BGH NJW 1972, 1126; VersR 2011, 1384).

Die Entscheidungsgründe des Ersturteils sprechen wegen des Begriffs für eine Wertung als Primärverletzung, während die Überlegungen zu Magnetresonanztomografien im Zusammenhang mit Hals- und Lendenwirbelsäulenverletzungen eine gegenteilige Annahme rechtfertigen. Bei dieser Sachlage ist nicht zu erkennen, ob das Landgericht einen Vollbeweis gefordert hatte und auch unter dem verringerten Beweismaß einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einen Nachweis als nicht geführt angesehen hätte.

cc) Soweit das Landgericht von einer entsprechenden unfallchirurgischen (oder fachorthopädischen) Begutachtung abgesehen hat (EU 8 = Bl. 463 d. A.), ist dies nicht vertretbar. Zwar kann in Einzelfällen der Sachverständigenbeweis ein ungeeignetes Beweismittel darstellen, wenn er die gewünschte Aufklärung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt liefern kann (BGH NStZ 2009, 48, dagegen umgekehrt: BGH NStZ 1995, 97). Ein solcher Fall liegt jedoch ersichtlich nicht vor, denn das Erstgericht hätte unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles darlegen und begründen müssen, dass dem Sachverständigen keine oder keine zureichenden Anknüpfungstatsachen zur Verfügung stehen, und solche auch unter keinen Umständen zu beschaffen sein werden (BGH, a.a.O.). Diese Ausführungen fehlen jedoch ebenso wie eine Erläuterung, weshalb der Erstrichter über eigene Sachkunde verfüge (vgl. hierzu BGH VersR 2011, 1432; OLG München, Urteil v. 05.02.2014 – 3 U 4256/13 [juris, Rz. 26– 28, 33]), die sich auch auf die Verfügbarkeit und Wertigkeit von Anknüpfungstatsachen hätte erstrecken müssen.

Für die zunächst maßgebliche Frage, ob Schäden oder Beschwerden am Knie vorliegen oder objektiv feststellbar sind, kann weder ein biomechanisches, noch ein neurologisches Gutachten, erst recht kein psychiatrisch-psychologisches Gutachten als geeignet angesehen werden. In das erstgenannte Fachgebiet fällt lediglich die Frage, ob der untersuchte Verletzungsmechanismus zur Herbeiführung derartiger Beschwerden geeignet ist, was der Gutachter wohl bejaht hat (Bl. 149 d. A.). Das zweitgenannte Gutachten behandelt ausschließlich Nervenschädigungen und enthält keine ausdrückliche Untersuchung des linken Knies (Bl. 273/276 d. A.); die beklagten Beschwerden können jedoch ohne weiteres auch durch orthopädisch zu beurteilende Schäden verursacht werden. Auf psychiatrisch-psychologischem Fachgebiet liegen dagegen Erwägungen, inwieweit nicht objektivierbare Beschwerden dennoch zurechenbar sein können, weil sie aus dem Unfallerlebnis, der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen (BGH NJW 2012, 2094) oder einer psychische Reaktion als Folge einer körperlichen Verletzung aufgetreten sein sollen. Das Landgericht hat insoweit die Hinweise des BGH missachtet, dass Eignung und Sachkunde des Gutachters nicht nur auf die Beweisfragen zugeschnitten sein, sondern auch in den Entscheidungsgründen dargelegt werden müssen (zuletzt BGH VersR 2017, 1142). Von einer derartigen Begutachtung kann nicht allein deswegen abgesehen werden, weil der Kläger ein MRT aus dem Jahre 2009 nicht vorgelegt habe und ein MRT aus dem Jahre 2007 keine Auffälligkeiten zeige.

Weiterhin hat das Landgericht selbst die behaupteten Kontusionen beider Oberschenkel, der Lendenwirbelsäule und der Beckenkämme für klärungsbedürftig gehalten (Beweisbeschluss v. 09.02.2012, Bl. 60/62 d. A.), weshalb umso weniger nachvollziehbar ist, warum das Gutachten des Neurologen R. insoweit unvollständig geblieben ist und ein radiologische Zusatzgutachten nicht eingeholt wurde (BB 5 = Bl. 507 d. A.). Angesichts der Bekundungen des Gutachters Dr. B., dass sich Prellungen im LWS-, Becken- und Oberschenkelbereich „ideal“ mit dem Unfallgeschehen vereinbaren ließen (Gutachten v. 22.02.2013, S. 23, 27, 28, 33 = Bl. 137, 141, 142, 147 d. A.) lässt sich keine vertretbare Begründung für den erstinstanzlichen Verzicht auf geeignete Fach- und Sachkunde erkennen.

b) Die ursprünglich geltend gemachte schwere Schädelprellung, die zu Recht als nicht nachgewiesen abgelehnt wurde (EU 8 = Bl. 463 d. A.), will der Kläger nun offenbar durch eine „signifikante“, „massive Traumatisierung der Halswirbelsäule („bzw.“) ersetzt wissen (BB 3/4 = Bl. 505/596 d. A.). Das Landgericht nimmt jedoch lediglich in stark verallgemeinerter Form zu derartigen Unfallfolgen Stellung (EU 8 = Bl. 463 d. A., „entsprechende Verletzungen im HWS- und LWS-Bereich“) und übersieht, dass auch eine Nackenzerrung mit Cervicobrachialgie als geringerwertige Verletzung und eine Kontusion der Lendenwirbelsäule behauptet wurde.

aa) Auch insoweit ist die Begründung des Erstgerichts – unter Berücksichtigung der zu §§ 286 I, 313 III ZPO ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung – nicht ausreichend. Den Entscheidungsgründen lässt sich weder entnehmen, welche Verletzungen zuletzt als entscheidungserheblich behauptet wurden, noch warum diese nicht festzustellen seien. Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als zum ersten selbst der Gutachter für Neurologie eine leichte HWS-Distorsion als darstellbar eingeschätzt hat, auch ohne strukturelle Auffälligkeiten in der Bildgebung (Gutachten v. 29.07.2017, S. 27 = Bl. 275 d. A.), zum zweiten auch der Gutachter für Biomechanik eine Traumatisierung der Halswirbelsäule für möglich hält (Gutachten v. 22.02.2013, S. 34/35 = Bl. 148/149 d. A.), und zum dritten das Landgericht selbst einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat (Bl. 60/62 d. A.).

bb) Hinsichtlich des Beweismaßes kommen nach Auffassung des Senats allein Erstverletzungen und somit § 286 I 1 ZPO in Betracht, nachdem entscheidend (BGH r+s 2008, 214; Zoll, r+s-Beil. 2011, 133) der so gefasste Tatsachenvortrag und Beweisantritt des Klägers ist. Das Erstgericht hat jedoch die insoweit geltenden Regeln nicht ausreichend beachtet, nämlich nicht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung entschieden, ob tatsächliche Behauptungen für wahr oder nicht wahr zu erachten sind. Zwar erfordert die Überzeugung des Richters keine absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, st. Rspr., insbesondere NJW 1992, 39 [40] und zuletzt VersR 2007, 1429 [1431 unter II 2]; Senat NZV 2003, 474 [475]; NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [juris]); es ist jedoch unter keinen Umständen ausreichend, einen Beweis nur deswegen als nicht geführt anzusehen, weil Unterlagen nicht vorgelegt und ein MRT unauffällig gewesen seien. Der Senat bleibt bei seiner Rechtsauffassung (Hinweis v. 18.05.2017, S. 3 = Bl. 533 d. A.), dass Verfahrensfehler nicht dadurch zu begründen sind, dass das Erstgericht Unterlagen des Klägers nicht angefordert habe, und der Kläger als verantwortlich für die Beibringung wichtiger ärztlicher Befunde angesehen wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine Beweislosigkeit nicht auf das bloße Fehlen solcher Tatsachen gestützt werden kann.

cc) Hinsichtlich der auch insoweit unterbliebenen fachärztlichen Begutachtung auf unfallchirurgischem oder orthopädischen Gebiet ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen (B II a cc). Überdies hat der Gutachter R. immerhin eine leichte HWS-Distorsion (Grad I – II nach Erdmann) diagnostiziert (Gutachten v. 29.07.2014, S. 24 = Bl. 272 d. A.), und deswegen posttraumatische HWS-Beschwerden für einige Wochen, sowie Nackenschmerzen bis zu vier Wochen nach dem Unfall für plausibel gehalten (Gutachten v. 29.07.2014, S. 27 = Bl. 275 d. A.). Dagegen begründet auch dieses Gutachten kaum, warum die behaupteten Kopfschmerzen unfallunabhängig und Bewegungsstörungen psychosomatisch seien (Gutachten v. 29.07.2014, S. 28 = Bl. 276 d. A. „etliche andere Ursachen“). Zuletzt hat der Kläger insoweit ein Fachgutachten für erforderlich gehalten (Schriftsatz v. 30.07.2012, S. 2 = Bl. 104 d. A.), womit sich das Landgericht wiederum nicht auseinander gesetzt hat.

c) Auch zu den vom Kläger geltend gemachten Kopfschmerzen bzw. der Kopfbeschwerdensymptomatik und den motorischen Bewegungsstörungen (oben B I 3) enthält das Ersturteil lediglich einer Überprüfung entzogene Behauptungen, dass diese nicht als unfallursächlich angesehen werden könnten (EU 8/9 = Bl. 463/464 d. A.).

Insoweit ist auf die vorstehenden Ausführungen (B II a, b) zu verweisen, mit der Maßgabe, dass unstreitig Folgeverletzungen vorliegen, für welche das verringerte Beweismaß des § 287 I 1 ZPO gilt. Das Erstgericht hätte deswegen zusätzlich Erwägungen bieten müssen, dass und warum nicht wenigstens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass derartige Beschwerden auf den bei dem Unfall erlittenen Primärverletzungen beruhen können. Dies gilt umso mehr, als einerseits die Neurologin und Psychiaterin R. zeugenschaftlich schriftlich erklärt hat (Bl. 69 d. A.), dass Kopfschmerzen aufgrund des Unfalls möglich, aber nicht sicher, eher unwahrscheinlich seien. Andererseits hat der Zeuge Dr. St. ausgesagt (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 21.06.2012, S. 5 = Bl. 88 d. A.), dass die vom Kläger behaupteten Kopfschmerzen typisch für Halswirbelsäulenverletzungen seien.

Zudem hätte das Erstgericht in die Überprüfung und Bewertung einstellen müssen, dass Dr. St. als Zeuge bekundet hatte, dass der Kläger über Schmerzen in der Hüfte, sowie eine Taubheit des Daumens und Zeigefingers berichtet hatte, was für ein C6-Syndrom nicht untypisch sei, während ein unauffälliges MRT Störungen der Wirbelsäule nicht ausschlösse. Es gebe Hinweise, dass die im Jahre 2009 festgestellte Halswirbelproblematik auf den Unfall zurückzuführen sei (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 21.06.2012, S. 6 = Bl. 89 d. A.). Auch die Aussage des Hausarztes L., dass der Kläger ihn nach dem Unfall wegen Verspannungen der Lenden- und Halswirbelsäule etwa 50 Mal aufgesucht habe, und dass das vorliegende Schulter-Arm-Syndrom eine typische Spätfolge eines HWS-Syndroms darstelle (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 21.06.2012, S. 8/9 = Bl. 91/92 d. A.) hätte in die Beurteilung einbezogen werden müssen.

d) Soweit das Landgericht, gestützt auf das psychiatrische Gutachten der Sachverständigen Dr. H., eine posttraumatische Belastungsstörung des Klägers für nicht nachgewiesen erkannt hat (EU 8 = Bl. 463 d. A.), ist dies nicht zu beanstanden. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen (Terminshinweise v. 18.05.2017, S. 3 = Bl. 533 d. A.), dass angesichts der eindeutigen Gutachtensergebnisse auch weiterführende Begründungen im Ersturteil nicht geboten waren.

Dagegen übersieht das Erstgericht, dass die Gutachterin nicht nur eine Schlafstörung, sondern auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit intermittierenden depressiven Phasen für gegeben hält (Gutachten v. 16.04.2015, S. 122 = Bl. 421 d. A.). Dem Kläger ist insofern Recht zu geben (BB 7 = Bl. 509 d. A.), dass die zutreffende medizinische Diagnose nicht entscheidend ist, sondern das tatsächlich feststellbare Beschwerdebild. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beschwerden und Befindlichkeiten beider Diagnosen äußerst ähnlich sind (Gutachten v. 16.04.2015, S. 121 = Bl. 420 d. A.). Anders als das Landgericht meint, hält die Gutachterin das Unfallgeschehen durchaus für äquivalent kausal (Gutachten v. 16.04.2015, S. 125, 129 = Bl. 424, 428 d. A.), und sieht in den Regulierungsstreitigkeiten lediglich eine Aufrechterhaltung und Chronifizierung dieser Beschwerden, keineswegs die alleinige Ursache.

e) Soweit das Landgericht unfallbedingte Dauerschäden des Klägers, insbesondere eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit ausschließt, kann dies schon deswegen nicht überzeugen, weil jegliche Begründung fehlt (EU 9 = Bl. 464 d.A.). Zudem kann erst unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten (B II a-d) Beweiserhebung und –würdigung entschieden werden, ob und in welchem Umfang der Kläger unter unfallbedingten Dauerbeeinträchtigungen leidet. Ergänzend wird auf die Terminshinweise des Senats (v. 18.05.2017, Bl. 531/534 d. A.) Bezug genommen.

Deswegen ist die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht frei von Rechtsfehlern und kann keinen Bestand haben. Sie ist zwar denkgesetzlich möglich (BAG NJW 2015, 651; BGH NJW 2012, 3439; NJW-RR 2011, 270; WM 1967, 367 ff.), jedoch weder widerspruchsfrei (BGH Betrieb 1968, 2270), noch nachvollziehbar begründet (BGH NJOZ 2009, 1690). Insbesondere fehlt eine vollständige Ermittlung und stimmige Bewertung aller entscheidungserheblicher Umstände des Einzelfalls, sowie eine Beurteilung in einer Gesamtschau (Senat, Urt. v. 08.03.2013 – 10 U 3241/12 [juris]; Urt. v. 07.03.2008 – 10 U 5394/07 [juris]; OLG Hamm NZV 1993, 68; KG NZV 2006, 429).

III.

Ergänzend ist anzumerken, dass auch der sachlich-rechtliche Ansatz des Erstgerichts (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) in entscheidungserheblichen Einzelpunkten zu beanstanden ist. Insbesondere die Fragen des Feststellungsinteresses und der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes wurden nicht zutreffend und nicht frei von Rechtsfehlern beantwortet.

a) Ein Feststellungsantrag ist nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung bereits dann zulässig, wenn die bloße Möglichkeit künftiger Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Schäden besteht. Er ist jedenfalls begründet, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt solcher Spätfolgen besteht. Ergänzend wird auf die ausführliche Darlegung samt Rechtsprechungsfundstellen im Terminshinweis des Senats (v. 18.05.2017, S. 1/2 = Bl. 531/532 d. A.) Bezug genommen. Das Landgericht übersieht, dass danach im Streitfall die Ansprüche des Klägers nicht nur nicht als nicht nachgewiesen abgelehnt werden durften (EU 10 = Bl. 465 d. A.), sondern schon allein aufgrund der unstreitigen Verletzungen zulässig und offensichtlich begründet sind.

b) Ein Haushaltsführungsschaden kann nicht ohne Begründung als nicht eingetreten beurteilt werden. Ebenso hätte die überraschende und in keinerlei höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung zu findende Erheblichkeitsschwelle von vier Wochen (EU 9 = Bl. 464 d. A.) eines Nachweises oder einer Fundstelle bedurft. Ergänzend wird wiederum auf den Terminshinweis des Senats (v. 18.05.2017, S. 3/4 = Bl. 533/534 d. A.) verwiesen.

c) Ansprüche, im Streitfall auf Verdienstausfallschaden, können nicht als unsubstantiiert zurückgewiesen werden (EU 10 = Bl. 465 d. A.), ohne dass zuvor rechtliches Gehör gewährt worden wäre. Werden notwendige richterliche Hinweis gemäß § 139 I 2, II 1 ZPO (BGH ZfBR 2012, 24; NJW-RR 2011, 1556) nicht erteilt, stellt die getroffene Entscheidung eine unzulässige Überraschungsentscheidung (BGH NJW 2014, 2796; NJW-RR 2011, 1009; NJW-RR 2011, 487; NJW-RR 2010, 1363; BVerfG NJW 1991, 2823; NJW 1996, 3202) und eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör dar. Diese Hinweise müssen eindeutig, zielführend und unmissverständlich sein (BGH r + s 2013, 358), während dem Ersturteil nicht zu entnehmen ist, wann welche Unterlagen aus welchen Gründen für notwendig gehalten und angefordert wurden.

d) Die bisherige Schmerzensgeldbemessung (EU 9 = Bl. 464 d. A.) des Erstgerichts lässt besorgen, dass Grundlagen und Bemessungsgesichtspunkte des Schmerzensgeldes nicht vollständig und richtig erfasst und das Gewicht der Unfallfolgen für den Kläger greifbar fehlerhaft bewertet worden sind. Ergänzend wird auf den Terminshinweis des Senats (v. 18.05.2017, S. 3 = Bl. 533 d. A.) Bezug genommen. Jedenfalls bedarf auch die Frage zögerlichen und kleinlichen Regulierungsverhaltens der Beklagten einer eingehenden Prüfung und Erörterung.

e) Bezüglich des Herzinfarkts des Klägers (oben B I 4) ist der Senat nunmehr der Auffassung, dass das Ersturteil im Ergebnis zutreffend ist und ein Ersatz oder eine Entschädigung für solche „mittelbaren“ Schäden nicht verlangt werden können. Nach dem Klagevortrag wurde die Gesundheitsbeeinträchtigung unmittelbar durch die Rechtsstreitigkeiten, insbesondere Schriftsätze der Beklagten, verursacht, welche wiederum denkgesetzlich zwingend mittelbar auf dem Unfall und der Leistungsverweigerung beruhen.

Eine Zurechnung solcher Schäden kann nach dem Schutzzweck der §§ 7 I, 18 I StVG nicht erfolgen, denn diese Vorschriften dienen weder dem Zweck, noch haben sie die Aufgabe, Geschädigte vor Aufregung durch Gerichts- oder Ermittlungsverfahren, sowie der Schadensregulierung zu schützen (OLG Celle, Urt. v. 13.04.2011 – 14 U 137/09 [juris]: „Es wird demnach nicht vom Schutzzweck der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung umfasst, dass die Aufregung des Geschädigten durch das dem Unfall nachfolgende Verhalten des Schädigers derart gesteigert wurde, dass dann beim Geschädigten eine Gehirnblutung mit Schlaganfall ausgelöst wurde“).

Eine Abweichung von diesem Grundsatz aufgrund besonderer Umstände ist im Streitfall bisher nicht ersichtlich. In Betracht käme lediglich ein Verhalten der Beklagten, dass das Maß dessen überschritte, was jeder nach einem Unfall ohne Anspruch auf Schadensersatz hinzunehmen hat, also im Wesentlichen unsachliche, tatsachenwidrige, grob fehlerhafte und deswegen nicht mehr nachvollziehbare Rechtsverteidigung und Sachvortrag.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass unvertretbares prozessuales Verhalten, wenn es über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht (Senat, Urt. v. 30.06.1976 – 10 U 1571/76 [juris]) und von einem Geschädigten als herabwürdigend empfunden werden muss (Senat, Urt. v. 02.06.2006 – 10 U 1685/06 [juris]; Urt. v. 24.09.2010 – 10 U 2671/10 [juris]), bei der Schmerzensgeldbemessung als ein Bemessungsfaktor berücksichtigt werden kann. Auch dies erfordert jedoch eine einwandfreie Feststellung der zugehörigen Tatsachengrundlage, etwa ersichtlich unzutreffender Einwendungen (OLG Nürnberg VersR 1997, 1108; OLG Naumburg VersR 2004, 1423; OLG Köln OLGR 2003, 214).

IV.

Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen und einen Vergleichsversuch unternommen, sich aber – nach dem Scheitern des Vergleichs – aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

a) Eine mangelhafte Beweiserhebung und eine darauf beruhende und im Übrigen nicht sachgerechte Beweiswürdigung stellen einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat, Urt. v. 31.07.2015 – 10 U 4733/14 [juris]). Als schwerwiegender Verfahrensfehler erweist sich, dass grundlos eine umfassende und sachgerechte Klärung entscheidungserheblicher Fragen unterblieben und die Entscheidung ohne ausreichende Anknüpfungstatsachen mit bloßen Leerformeln begründet worden ist.

b) Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, ergänzend einzelne Beweiserhebungen durchzuführen. Vielmehr müsste die gesamte Beweisaufnahme und das gesamte Verfahren statt der ersten Instanz wiederholt und erweitert werden (§ 538 II 1 Nr. 4, 2. Alt. ZPO, Senat NJW 1972, 2048 [2049]), was mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbar wäre (Senat VersR 2011, 549 ff.).

c) Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

V.

Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).

VI.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat VersR 2011, 549; NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis. Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.

VII.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben.

Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26 –32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG a.a.O. Tz. 33) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG a.a.O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung weicht nicht von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung ab und betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen oder zu beschränken:

1.
wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist;
2.
wenn die Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die einstweilige Einstellung der Vollstreckung oder einer Vollstreckungsmaßregel angeordnet ist oder dass die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf;
3.
wenn eine öffentliche Urkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die zur Abwendung der Vollstreckung erforderliche Sicherheitsleistung oder Hinterlegung erfolgt ist;
4.
wenn eine öffentliche Urkunde oder eine von dem Gläubiger ausgestellte Privaturkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der Gläubiger nach Erlass des zu vollstreckenden Urteils befriedigt ist oder Stundung bewilligt hat;
5.
wenn der Einzahlungs- oder Überweisungsnachweis einer Bank oder Sparkasse vorgelegt wird, aus dem sich ergibt, dass der zur Befriedigung des Gläubigers erforderliche Betrag zur Auszahlung an den Gläubiger oder auf dessen Konto eingezahlt oder überwiesen worden ist.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 16.09.2015 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 13.08.2015 (Az. 52 O 14634/11) samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Ingolstadt zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Ingolstadt vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall geltend, wobei er in der Hauptsache den Ausgleich von Personen- und Vermögensschäden in Höhe von insgesamt 77.458,27 €, sowie die Feststellung uneingeschränkter Ersatzpflicht für jegliche künftige Schäden verlangt.

I.

Zugrunde liegt ein unstreitiger Zusammenstoß am Sonntag, den 08.10.2006 gegen 08.45 Uhr, auf der Kreisstraße EI 34, auf welcher der Kläger mit seinem Pkw Audi Avant 1,8, amtliches Kennzeichen EI – …, von O. in südöstlicher Richtung gegen P. fuhr. Gleichzeitig fuhr Herr S. mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pferdetransporter DB 814, amtliches Kennzeichen DAH – …, auf der Ortsverbindungs Straße von O. in nördlicher Richtung in Richtung M. Aufgrund einer Vorfahrtsverletzung des Versicherungsnehmers der Beklagten steht deren grundsätzliche uneingeschränkte Haftung für jegliche Schäden des Klägers außer Streit. Gleiches gilt für etliche Erstverletzungen des Klägers und eine tatsächliche vorgerichtliche Zahlung der Beklagten von 13.000,- €.

a) Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 13.08.2015 (Bl. 456/466 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO). Das Erstgericht hatte in einem vorangegangenen Verfahren (Az. 5 O 2263/06) zunächst die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach lediglich zu 65 Prozent für begründet gehalten. Hierauf hat der Senat mit Urteil vom 27.02.2009 (Az.10 U 4871/08) die alleinige Haftung der Beklagten festgestellt.

b) Der Kläger hatte beantragt (EU 5 = Bl. 460 d. A.),

– die Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens jedoch 50.000,- €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen,

– die Beklagte zu einer Zahlung von 27.458,27 € zu verurteilen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, und

– festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 08.10.2006, 08.45 Uhr, auf der Kreisstraße EI 34 bei km 3.300 bei H. zu ersetzen.

Die Beklagte hatte beantragt (EU 5 = Bl. 460 d. A.),

die Klage abzuweisen

II.

Das Landgericht Ingolstadt hat nach Beweisaufnahme, insbesondere durch biomechanische und fachmedizinische Gutachten, die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 462/466 d. A.) des angefochtenen Urteils verwiesen. Bestimmend für die Entscheidung war zum ersten, dass der bezahlte Betrag angesichts der unstreitigen und als unfallbedingt nachgewiesenen Gesundheitsschäden ein angemessenes Schmerzensgeld darstelle, weil der Kläger weitere schwere Beeinträchtigungen und einen Dauerschaden nicht habe nachweisen können. Zum anderen seien ein relevanter Haushaltsführungsschaden nicht eingetreten und ein Verdienstentgang nicht schlüssig dargelegt worden.

III.

Gegen dieses ihm am 18.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit beim Oberlandesgericht München am 17.09.2015 eingegangenen Schriftsatz vom 16.09.2015 Berufung eingelegt (Bl. 495/496 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 18.11.2015, eingegangen am gleichen Tag, – nach Fristverlängerung gemäß Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 19.10.2015 (Bl. 502 d. A.) fristgerecht – begründet (Bl. 503/512 d. A.).

Der Kläger beantragt (BB 2 = Bl. 504 d. A.), unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen erster Instanz zu erkennen,

hilfsweise das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 11.08.2017, S. 2 = Bl. 541 d. A.).

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen (Bl. 500 d. A.; BE 1 = Bl. 518 d. A.).

IV.

Der Senat hat eine mündliche Verhandlung ohne Beweiserhebungen durchgeführt, insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.08.2017 (Bl. 540/542 d. A.) verwiesen. Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die Hinweisverfügung des Senatsvorsitzenden vom 18.05.2017 (Bl. 531/534 d. A.) Bezug genommen. Ein Vergleichsvorschlag des Senats ist vom Kläger angenommen (Bl. 538/539 d. A.), von der Beklagten jedoch abgelehnt worden (Bl. 537, 543 d. A.).

B.

Die statthafte (§§ 511 I, II Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte und somit zulässige Berufung des Klägers erzielt in der Sache einen uneingeschränkten, allerdings vorläufigen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat die Klage – nach eingeschränkter Beweisaufnahme – vollständig abgewiesen (EU 2, 7 = Bl. 457, 462 d. A.), weil jegliche begründete Ansprüche des Klägers, nämlich allein auf Schmerzensgeld, durch eine unstreitige Zahlung der Beklagten von 13.000,- € erloschen seien. Für jegliche weitere Forderungen sei der Kläger beweisfällig geblieben:

1. Neben unstreitig unfallbedingten Verletzungen (Rippenserienfraktur rechts, Thoraxprellung rechts, Hüftprellung rechts, Knieprellung rechts und links und einer Schürfwunde am rechten kleinen Finger) habe der Kläger lediglich einen Riss am linken Innenmeniskushinterhornlappen nachweisen können (EU 3/4 = Bl. 458/459; BB 2 = Bl. 504 d. A.).

2. Dagegen seien ständige Schmerzzustände am linken Knie seit dem Unfall nicht erwiesen (EU 4, 7 = Bl. 459, 462 d. A.). Gleiches gelte für eine schwere Schädelprellung, weil der Kläger keine Unterlagen oder Arztberichte vorgelegt habe (EU 8 = Bl. 463 d. A.). Eine „signifikante“, „massive“ Traumatisierung der Halswirbelsäule (BB 3/4 = Bl. 505/596 d. A.), scheide aus, weil ein MRT des Klägers im Januar 2007 unauffällig gewesen sei, somit im zeitlicher Nähe zum Unfall keine Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule festzustellen gewesen seien, und der Kläger trotz Aufforderung kein neueres MRT vorgelegt habe (EU 8 = Bl. 463 d. A.).

3. Aus einer Halswirbelsäulenverletzung folgende Kopfschmerzen bzw. Kopfbeschwerdensymptomatik (BB 4 = Bl. 506 d. A.) und motorische Bewegungsstörungen (BB 6 = Bl. 508 d. A.) könnten nicht als unfallursächlich angesehen werden (EU 7/8 = Bl. 462/463 d. A.).

4. Eine posttraumatische Belastungsstörung werde aufgrund des Gutachtens von Dr. H. abgelehnt, weil lediglich eine Schlafstörung vorliege, die jedoch auf die Dauer des Rechtsstreits zurückzuführen sei und der Beklagten nicht zugerechnet werden könne (EU 8 = Bl. 463 d. A.). Auch der vom Kläger erlittene Herzinfarkt dürfe unter Zurechnungsgesichtspunkten nicht als unfallursächlich gewertet werden (EU 8 = Bl. 463 d. A.).

5. Eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit seit dem Unfalltag wurde aufgrund der erholten Gutachten mangels Dauerschäden abgelehnt, vielmehr sei ein solcher Zeitraum mit vier Wochen ab dem Unfallzeitpunkt anzunehmen. Daraus folge, dass der Kläger erhebliche Einschränkungen der Haushaltsführungsfähigkeit nicht erlitten habe (EU 9 = Bl. 464 d. A.). Aus den gleichen Gründen müsse der Feststellungsanspruch entfallen (EU 10 = Bl. 465 d. A.).

Ein Verdienstausfallschaden könne mangels substantiierten Sachvortrags und mangels Vorlage angeordneter Unterlagen, nicht zuerkannt werden (EU 10 = Bl. 465 d. A.).

II.

Dieses Ergebnis der Tatsachen- und Beweiswürdigung entbehrt angesichts unvollständiger Beweiserhebung und unzulänglicher Beweiswürdigung einer überzeugenden Grundlage.

Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht „fehlerfreie und überzeugende“ und damit „richtige“ (BGH NJW 2016, 793) Tatsachenfeststellungen (s. Senat, Urt. v. 31.07.2015 – 10 U 4733/14 [BeckRS 2015, 13736]) nicht getroffen, deswegen ist der Senat nach § 529 I Nr. 1 ZPO nicht gebunden. Aufgrund konkreter Anhaltspunkte erweisen sich die Feststellungen als lückenhaft, widersprüchlich oder unzutreffend (BGH NJW 2005, 1583, 1585; r + s 2003, 522), insoweit hat der Kläger jedenfalls wesentliche, die Entscheidung beeinflussende Anhaltspunkte aufgezeigt, die erneute, erweiterte oder ergänzende Feststellungen gebieten könnten. Ebenso ergeben sich Mängel aufgrund der ergänzend von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfung (so BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797).

a) Das Ersturteil weist zu den vom Kläger geltend gemachten dauerhaften Kniebeschwerden (oben B I 2) weder ein Beweisergebnis, noch eine Begründung auf:

aa) Die Entscheidungsgründe erschöpfen sich in dem Satz „die weiteren vorgetragenen Primärverletzungen konnten nicht nachgewiesen werden“, und sind deswegen aus sich heraus weder prüfbar, noch verständlich. Zwar besteht grundsätzlich und auch im Streitfall keine Verpflichtung des Tatrichters, in den Entscheidungsgründen auf jede Tatsache ausdrücklich und in allen Einzelheiten einzugehen (etwa BGH NJW 2003, 1943; NJW 2011, 1442; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05). Ausreichend wäre eine Begründung, „die wenigstens in groben Zügen sichtbar macht, dass die beachtlichen Tatsachen berücksichtigt und vertretbar gewertet worden sind“ (BAGE 5, 221 [224]; NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 – 10 U 3590/06). Diesen Ansprüchen genügt das Ersturteil jedoch nicht, weil nicht zu erkennen ist, aufgrund welcher Umstände und Erwägungen das Landgericht zu seiner Überzeugung gefunden hat.

bb) Das Erstgericht lässt insoweit auch nicht erkennen, welches Beweismaß entscheidungserheblich sei. Grundsätzlich ist zwischen „Primärschäden“ (Primärverletzungen) und „Sekundär-“ oder „Folgeschäden“ (Sekundärverletzungen) zu unterscheiden (BGH NJW 1988, 2948), wobei erstere unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsschädigungen betreffen, und im Recht der unerlaubten Handlungen eine Rechtsgutsverletzung im Sinne der Haftungstatbestände (§§ 823 BGB, 11 StVG) begründen (BGH r+s 2013, 570 = NJW 2013, 3634). Letztere bilden erst durch den eingetretenen Gesundheitsschaden entstandene Schädigungen, im Verkehrsunfallrecht aufgrund der Erstverletzung. Für Erstverletzungen gilt das Beweismaß des § 286 I 1 ZPO, während sich ein Geschädigter (erst dann) auf § 287 ZPO stützen kann, wenn der haftungsbegründende Tatbestand feststeht. Nur soweit der Streit darum geht, ob (auch) der (Folge-)Schaden, dessen Ersatz der Kläger verlangt, auf diesen konkreten Haftungsgrund ursächlich zurückgeht, kommt ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu Hilfe (BGH NJW 1972, 1126; VersR 2011, 1384).

Die Entscheidungsgründe des Ersturteils sprechen wegen des Begriffs für eine Wertung als Primärverletzung, während die Überlegungen zu Magnetresonanztomografien im Zusammenhang mit Hals- und Lendenwirbelsäulenverletzungen eine gegenteilige Annahme rechtfertigen. Bei dieser Sachlage ist nicht zu erkennen, ob das Landgericht einen Vollbeweis gefordert hatte und auch unter dem verringerten Beweismaß einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einen Nachweis als nicht geführt angesehen hätte.

cc) Soweit das Landgericht von einer entsprechenden unfallchirurgischen (oder fachorthopädischen) Begutachtung abgesehen hat (EU 8 = Bl. 463 d. A.), ist dies nicht vertretbar. Zwar kann in Einzelfällen der Sachverständigenbeweis ein ungeeignetes Beweismittel darstellen, wenn er die gewünschte Aufklärung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt liefern kann (BGH NStZ 2009, 48, dagegen umgekehrt: BGH NStZ 1995, 97). Ein solcher Fall liegt jedoch ersichtlich nicht vor, denn das Erstgericht hätte unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles darlegen und begründen müssen, dass dem Sachverständigen keine oder keine zureichenden Anknüpfungstatsachen zur Verfügung stehen, und solche auch unter keinen Umständen zu beschaffen sein werden (BGH, a.a.O.). Diese Ausführungen fehlen jedoch ebenso wie eine Erläuterung, weshalb der Erstrichter über eigene Sachkunde verfüge (vgl. hierzu BGH VersR 2011, 1432; OLG München, Urteil v. 05.02.2014 – 3 U 4256/13 [juris, Rz. 26– 28, 33]), die sich auch auf die Verfügbarkeit und Wertigkeit von Anknüpfungstatsachen hätte erstrecken müssen.

Für die zunächst maßgebliche Frage, ob Schäden oder Beschwerden am Knie vorliegen oder objektiv feststellbar sind, kann weder ein biomechanisches, noch ein neurologisches Gutachten, erst recht kein psychiatrisch-psychologisches Gutachten als geeignet angesehen werden. In das erstgenannte Fachgebiet fällt lediglich die Frage, ob der untersuchte Verletzungsmechanismus zur Herbeiführung derartiger Beschwerden geeignet ist, was der Gutachter wohl bejaht hat (Bl. 149 d. A.). Das zweitgenannte Gutachten behandelt ausschließlich Nervenschädigungen und enthält keine ausdrückliche Untersuchung des linken Knies (Bl. 273/276 d. A.); die beklagten Beschwerden können jedoch ohne weiteres auch durch orthopädisch zu beurteilende Schäden verursacht werden. Auf psychiatrisch-psychologischem Fachgebiet liegen dagegen Erwägungen, inwieweit nicht objektivierbare Beschwerden dennoch zurechenbar sein können, weil sie aus dem Unfallerlebnis, der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen (BGH NJW 2012, 2094) oder einer psychische Reaktion als Folge einer körperlichen Verletzung aufgetreten sein sollen. Das Landgericht hat insoweit die Hinweise des BGH missachtet, dass Eignung und Sachkunde des Gutachters nicht nur auf die Beweisfragen zugeschnitten sein, sondern auch in den Entscheidungsgründen dargelegt werden müssen (zuletzt BGH VersR 2017, 1142). Von einer derartigen Begutachtung kann nicht allein deswegen abgesehen werden, weil der Kläger ein MRT aus dem Jahre 2009 nicht vorgelegt habe und ein MRT aus dem Jahre 2007 keine Auffälligkeiten zeige.

Weiterhin hat das Landgericht selbst die behaupteten Kontusionen beider Oberschenkel, der Lendenwirbelsäule und der Beckenkämme für klärungsbedürftig gehalten (Beweisbeschluss v. 09.02.2012, Bl. 60/62 d. A.), weshalb umso weniger nachvollziehbar ist, warum das Gutachten des Neurologen R. insoweit unvollständig geblieben ist und ein radiologische Zusatzgutachten nicht eingeholt wurde (BB 5 = Bl. 507 d. A.). Angesichts der Bekundungen des Gutachters Dr. B., dass sich Prellungen im LWS-, Becken- und Oberschenkelbereich „ideal“ mit dem Unfallgeschehen vereinbaren ließen (Gutachten v. 22.02.2013, S. 23, 27, 28, 33 = Bl. 137, 141, 142, 147 d. A.) lässt sich keine vertretbare Begründung für den erstinstanzlichen Verzicht auf geeignete Fach- und Sachkunde erkennen.

b) Die ursprünglich geltend gemachte schwere Schädelprellung, die zu Recht als nicht nachgewiesen abgelehnt wurde (EU 8 = Bl. 463 d. A.), will der Kläger nun offenbar durch eine „signifikante“, „massive Traumatisierung der Halswirbelsäule („bzw.“) ersetzt wissen (BB 3/4 = Bl. 505/596 d. A.). Das Landgericht nimmt jedoch lediglich in stark verallgemeinerter Form zu derartigen Unfallfolgen Stellung (EU 8 = Bl. 463 d. A., „entsprechende Verletzungen im HWS- und LWS-Bereich“) und übersieht, dass auch eine Nackenzerrung mit Cervicobrachialgie als geringerwertige Verletzung und eine Kontusion der Lendenwirbelsäule behauptet wurde.

aa) Auch insoweit ist die Begründung des Erstgerichts – unter Berücksichtigung der zu §§ 286 I, 313 III ZPO ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung – nicht ausreichend. Den Entscheidungsgründen lässt sich weder entnehmen, welche Verletzungen zuletzt als entscheidungserheblich behauptet wurden, noch warum diese nicht festzustellen seien. Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als zum ersten selbst der Gutachter für Neurologie eine leichte HWS-Distorsion als darstellbar eingeschätzt hat, auch ohne strukturelle Auffälligkeiten in der Bildgebung (Gutachten v. 29.07.2017, S. 27 = Bl. 275 d. A.), zum zweiten auch der Gutachter für Biomechanik eine Traumatisierung der Halswirbelsäule für möglich hält (Gutachten v. 22.02.2013, S. 34/35 = Bl. 148/149 d. A.), und zum dritten das Landgericht selbst einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat (Bl. 60/62 d. A.).

bb) Hinsichtlich des Beweismaßes kommen nach Auffassung des Senats allein Erstverletzungen und somit § 286 I 1 ZPO in Betracht, nachdem entscheidend (BGH r+s 2008, 214; Zoll, r+s-Beil. 2011, 133) der so gefasste Tatsachenvortrag und Beweisantritt des Klägers ist. Das Erstgericht hat jedoch die insoweit geltenden Regeln nicht ausreichend beachtet, nämlich nicht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung entschieden, ob tatsächliche Behauptungen für wahr oder nicht wahr zu erachten sind. Zwar erfordert die Überzeugung des Richters keine absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, st. Rspr., insbesondere NJW 1992, 39 [40] und zuletzt VersR 2007, 1429 [1431 unter II 2]; Senat NZV 2003, 474 [475]; NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [juris]); es ist jedoch unter keinen Umständen ausreichend, einen Beweis nur deswegen als nicht geführt anzusehen, weil Unterlagen nicht vorgelegt und ein MRT unauffällig gewesen seien. Der Senat bleibt bei seiner Rechtsauffassung (Hinweis v. 18.05.2017, S. 3 = Bl. 533 d. A.), dass Verfahrensfehler nicht dadurch zu begründen sind, dass das Erstgericht Unterlagen des Klägers nicht angefordert habe, und der Kläger als verantwortlich für die Beibringung wichtiger ärztlicher Befunde angesehen wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine Beweislosigkeit nicht auf das bloße Fehlen solcher Tatsachen gestützt werden kann.

cc) Hinsichtlich der auch insoweit unterbliebenen fachärztlichen Begutachtung auf unfallchirurgischem oder orthopädischen Gebiet ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen (B II a cc). Überdies hat der Gutachter R. immerhin eine leichte HWS-Distorsion (Grad I – II nach Erdmann) diagnostiziert (Gutachten v. 29.07.2014, S. 24 = Bl. 272 d. A.), und deswegen posttraumatische HWS-Beschwerden für einige Wochen, sowie Nackenschmerzen bis zu vier Wochen nach dem Unfall für plausibel gehalten (Gutachten v. 29.07.2014, S. 27 = Bl. 275 d. A.). Dagegen begründet auch dieses Gutachten kaum, warum die behaupteten Kopfschmerzen unfallunabhängig und Bewegungsstörungen psychosomatisch seien (Gutachten v. 29.07.2014, S. 28 = Bl. 276 d. A. „etliche andere Ursachen“). Zuletzt hat der Kläger insoweit ein Fachgutachten für erforderlich gehalten (Schriftsatz v. 30.07.2012, S. 2 = Bl. 104 d. A.), womit sich das Landgericht wiederum nicht auseinander gesetzt hat.

c) Auch zu den vom Kläger geltend gemachten Kopfschmerzen bzw. der Kopfbeschwerdensymptomatik und den motorischen Bewegungsstörungen (oben B I 3) enthält das Ersturteil lediglich einer Überprüfung entzogene Behauptungen, dass diese nicht als unfallursächlich angesehen werden könnten (EU 8/9 = Bl. 463/464 d. A.).

Insoweit ist auf die vorstehenden Ausführungen (B II a, b) zu verweisen, mit der Maßgabe, dass unstreitig Folgeverletzungen vorliegen, für welche das verringerte Beweismaß des § 287 I 1 ZPO gilt. Das Erstgericht hätte deswegen zusätzlich Erwägungen bieten müssen, dass und warum nicht wenigstens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass derartige Beschwerden auf den bei dem Unfall erlittenen Primärverletzungen beruhen können. Dies gilt umso mehr, als einerseits die Neurologin und Psychiaterin R. zeugenschaftlich schriftlich erklärt hat (Bl. 69 d. A.), dass Kopfschmerzen aufgrund des Unfalls möglich, aber nicht sicher, eher unwahrscheinlich seien. Andererseits hat der Zeuge Dr. St. ausgesagt (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 21.06.2012, S. 5 = Bl. 88 d. A.), dass die vom Kläger behaupteten Kopfschmerzen typisch für Halswirbelsäulenverletzungen seien.

Zudem hätte das Erstgericht in die Überprüfung und Bewertung einstellen müssen, dass Dr. St. als Zeuge bekundet hatte, dass der Kläger über Schmerzen in der Hüfte, sowie eine Taubheit des Daumens und Zeigefingers berichtet hatte, was für ein C6-Syndrom nicht untypisch sei, während ein unauffälliges MRT Störungen der Wirbelsäule nicht ausschlösse. Es gebe Hinweise, dass die im Jahre 2009 festgestellte Halswirbelproblematik auf den Unfall zurückzuführen sei (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 21.06.2012, S. 6 = Bl. 89 d. A.). Auch die Aussage des Hausarztes L., dass der Kläger ihn nach dem Unfall wegen Verspannungen der Lenden- und Halswirbelsäule etwa 50 Mal aufgesucht habe, und dass das vorliegende Schulter-Arm-Syndrom eine typische Spätfolge eines HWS-Syndroms darstelle (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 21.06.2012, S. 8/9 = Bl. 91/92 d. A.) hätte in die Beurteilung einbezogen werden müssen.

d) Soweit das Landgericht, gestützt auf das psychiatrische Gutachten der Sachverständigen Dr. H., eine posttraumatische Belastungsstörung des Klägers für nicht nachgewiesen erkannt hat (EU 8 = Bl. 463 d. A.), ist dies nicht zu beanstanden. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen (Terminshinweise v. 18.05.2017, S. 3 = Bl. 533 d. A.), dass angesichts der eindeutigen Gutachtensergebnisse auch weiterführende Begründungen im Ersturteil nicht geboten waren.

Dagegen übersieht das Erstgericht, dass die Gutachterin nicht nur eine Schlafstörung, sondern auch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit intermittierenden depressiven Phasen für gegeben hält (Gutachten v. 16.04.2015, S. 122 = Bl. 421 d. A.). Dem Kläger ist insofern Recht zu geben (BB 7 = Bl. 509 d. A.), dass die zutreffende medizinische Diagnose nicht entscheidend ist, sondern das tatsächlich feststellbare Beschwerdebild. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beschwerden und Befindlichkeiten beider Diagnosen äußerst ähnlich sind (Gutachten v. 16.04.2015, S. 121 = Bl. 420 d. A.). Anders als das Landgericht meint, hält die Gutachterin das Unfallgeschehen durchaus für äquivalent kausal (Gutachten v. 16.04.2015, S. 125, 129 = Bl. 424, 428 d. A.), und sieht in den Regulierungsstreitigkeiten lediglich eine Aufrechterhaltung und Chronifizierung dieser Beschwerden, keineswegs die alleinige Ursache.

e) Soweit das Landgericht unfallbedingte Dauerschäden des Klägers, insbesondere eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit ausschließt, kann dies schon deswegen nicht überzeugen, weil jegliche Begründung fehlt (EU 9 = Bl. 464 d.A.). Zudem kann erst unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten (B II a-d) Beweiserhebung und –würdigung entschieden werden, ob und in welchem Umfang der Kläger unter unfallbedingten Dauerbeeinträchtigungen leidet. Ergänzend wird auf die Terminshinweise des Senats (v. 18.05.2017, Bl. 531/534 d. A.) Bezug genommen.

Deswegen ist die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht frei von Rechtsfehlern und kann keinen Bestand haben. Sie ist zwar denkgesetzlich möglich (BAG NJW 2015, 651; BGH NJW 2012, 3439; NJW-RR 2011, 270; WM 1967, 367 ff.), jedoch weder widerspruchsfrei (BGH Betrieb 1968, 2270), noch nachvollziehbar begründet (BGH NJOZ 2009, 1690). Insbesondere fehlt eine vollständige Ermittlung und stimmige Bewertung aller entscheidungserheblicher Umstände des Einzelfalls, sowie eine Beurteilung in einer Gesamtschau (Senat, Urt. v. 08.03.2013 – 10 U 3241/12 [juris]; Urt. v. 07.03.2008 – 10 U 5394/07 [juris]; OLG Hamm NZV 1993, 68; KG NZV 2006, 429).

III.

Ergänzend ist anzumerken, dass auch der sachlich-rechtliche Ansatz des Erstgerichts (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) in entscheidungserheblichen Einzelpunkten zu beanstanden ist. Insbesondere die Fragen des Feststellungsinteresses und der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes wurden nicht zutreffend und nicht frei von Rechtsfehlern beantwortet.

a) Ein Feststellungsantrag ist nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung bereits dann zulässig, wenn die bloße Möglichkeit künftiger Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Schäden besteht. Er ist jedenfalls begründet, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt solcher Spätfolgen besteht. Ergänzend wird auf die ausführliche Darlegung samt Rechtsprechungsfundstellen im Terminshinweis des Senats (v. 18.05.2017, S. 1/2 = Bl. 531/532 d. A.) Bezug genommen. Das Landgericht übersieht, dass danach im Streitfall die Ansprüche des Klägers nicht nur nicht als nicht nachgewiesen abgelehnt werden durften (EU 10 = Bl. 465 d. A.), sondern schon allein aufgrund der unstreitigen Verletzungen zulässig und offensichtlich begründet sind.

b) Ein Haushaltsführungsschaden kann nicht ohne Begründung als nicht eingetreten beurteilt werden. Ebenso hätte die überraschende und in keinerlei höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung zu findende Erheblichkeitsschwelle von vier Wochen (EU 9 = Bl. 464 d. A.) eines Nachweises oder einer Fundstelle bedurft. Ergänzend wird wiederum auf den Terminshinweis des Senats (v. 18.05.2017, S. 3/4 = Bl. 533/534 d. A.) verwiesen.

c) Ansprüche, im Streitfall auf Verdienstausfallschaden, können nicht als unsubstantiiert zurückgewiesen werden (EU 10 = Bl. 465 d. A.), ohne dass zuvor rechtliches Gehör gewährt worden wäre. Werden notwendige richterliche Hinweis gemäß § 139 I 2, II 1 ZPO (BGH ZfBR 2012, 24; NJW-RR 2011, 1556) nicht erteilt, stellt die getroffene Entscheidung eine unzulässige Überraschungsentscheidung (BGH NJW 2014, 2796; NJW-RR 2011, 1009; NJW-RR 2011, 487; NJW-RR 2010, 1363; BVerfG NJW 1991, 2823; NJW 1996, 3202) und eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör dar. Diese Hinweise müssen eindeutig, zielführend und unmissverständlich sein (BGH r + s 2013, 358), während dem Ersturteil nicht zu entnehmen ist, wann welche Unterlagen aus welchen Gründen für notwendig gehalten und angefordert wurden.

d) Die bisherige Schmerzensgeldbemessung (EU 9 = Bl. 464 d. A.) des Erstgerichts lässt besorgen, dass Grundlagen und Bemessungsgesichtspunkte des Schmerzensgeldes nicht vollständig und richtig erfasst und das Gewicht der Unfallfolgen für den Kläger greifbar fehlerhaft bewertet worden sind. Ergänzend wird auf den Terminshinweis des Senats (v. 18.05.2017, S. 3 = Bl. 533 d. A.) Bezug genommen. Jedenfalls bedarf auch die Frage zögerlichen und kleinlichen Regulierungsverhaltens der Beklagten einer eingehenden Prüfung und Erörterung.

e) Bezüglich des Herzinfarkts des Klägers (oben B I 4) ist der Senat nunmehr der Auffassung, dass das Ersturteil im Ergebnis zutreffend ist und ein Ersatz oder eine Entschädigung für solche „mittelbaren“ Schäden nicht verlangt werden können. Nach dem Klagevortrag wurde die Gesundheitsbeeinträchtigung unmittelbar durch die Rechtsstreitigkeiten, insbesondere Schriftsätze der Beklagten, verursacht, welche wiederum denkgesetzlich zwingend mittelbar auf dem Unfall und der Leistungsverweigerung beruhen.

Eine Zurechnung solcher Schäden kann nach dem Schutzzweck der §§ 7 I, 18 I StVG nicht erfolgen, denn diese Vorschriften dienen weder dem Zweck, noch haben sie die Aufgabe, Geschädigte vor Aufregung durch Gerichts- oder Ermittlungsverfahren, sowie der Schadensregulierung zu schützen (OLG Celle, Urt. v. 13.04.2011 – 14 U 137/09 [juris]: „Es wird demnach nicht vom Schutzzweck der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung umfasst, dass die Aufregung des Geschädigten durch das dem Unfall nachfolgende Verhalten des Schädigers derart gesteigert wurde, dass dann beim Geschädigten eine Gehirnblutung mit Schlaganfall ausgelöst wurde“).

Eine Abweichung von diesem Grundsatz aufgrund besonderer Umstände ist im Streitfall bisher nicht ersichtlich. In Betracht käme lediglich ein Verhalten der Beklagten, dass das Maß dessen überschritte, was jeder nach einem Unfall ohne Anspruch auf Schadensersatz hinzunehmen hat, also im Wesentlichen unsachliche, tatsachenwidrige, grob fehlerhafte und deswegen nicht mehr nachvollziehbare Rechtsverteidigung und Sachvortrag.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass unvertretbares prozessuales Verhalten, wenn es über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht (Senat, Urt. v. 30.06.1976 – 10 U 1571/76 [juris]) und von einem Geschädigten als herabwürdigend empfunden werden muss (Senat, Urt. v. 02.06.2006 – 10 U 1685/06 [juris]; Urt. v. 24.09.2010 – 10 U 2671/10 [juris]), bei der Schmerzensgeldbemessung als ein Bemessungsfaktor berücksichtigt werden kann. Auch dies erfordert jedoch eine einwandfreie Feststellung der zugehörigen Tatsachengrundlage, etwa ersichtlich unzutreffender Einwendungen (OLG Nürnberg VersR 1997, 1108; OLG Naumburg VersR 2004, 1423; OLG Köln OLGR 2003, 214).

IV.

Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen und einen Vergleichsversuch unternommen, sich aber – nach dem Scheitern des Vergleichs – aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

a) Eine mangelhafte Beweiserhebung und eine darauf beruhende und im Übrigen nicht sachgerechte Beweiswürdigung stellen einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat, Urt. v. 31.07.2015 – 10 U 4733/14 [juris]). Als schwerwiegender Verfahrensfehler erweist sich, dass grundlos eine umfassende und sachgerechte Klärung entscheidungserheblicher Fragen unterblieben und die Entscheidung ohne ausreichende Anknüpfungstatsachen mit bloßen Leerformeln begründet worden ist.

b) Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, ergänzend einzelne Beweiserhebungen durchzuführen. Vielmehr müsste die gesamte Beweisaufnahme und das gesamte Verfahren statt der ersten Instanz wiederholt und erweitert werden (§ 538 II 1 Nr. 4, 2. Alt. ZPO, Senat NJW 1972, 2048 [2049]), was mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbar wäre (Senat VersR 2011, 549 ff.).

c) Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

V.

Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).

VI.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat VersR 2011, 549; NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis. Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.

VII.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben.

Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26 –32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG a.a.O. Tz. 33) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG a.a.O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung weicht nicht von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung ab und betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.