Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil, 08. Juli 2009 - 6 U 61/09

bei uns veröffentlicht am08.07.2009

Tenor

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 27. Februar 2009 – 7 O 29/09 – wird zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

 
Die Verfügungsklägerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Patentverletzung.
Die Verfügungsklägerin ist weltweit im Bereich der Unterhaltungselektronik tätig. Sie ist Inhaberin des Europäischen Patents ... (im Folgenden: Klagepatent). Zu den benannten Vertragsstaaten gehört Deutschland. Das Schutzrecht ist in Kraft. Die Verfügungsbeklagte hat am 15.06.2009 gegen das Klagepatent Einspruch eingelegt.
Das Klagepatent betrifft eine Anzeigevorrichtung mit vertikal ausgerichtetem Flüssigkristall. Die Ansprüche 1 und 3 lauten wie folgt:
1. Eine Flüssigkristallanzeigevorrichtung des vertikalen Ausrichtungs-(VA)-Modus mit einer Vielzahl von Pixel, die Vorrichtung umfassend:
erste und zweite Substrate (16, 17); und eine Flüssigkristallschicht, die zwischen den ersten und den zweiten Substraten (16, 17) platziert ist; wobei das erste Substrat (16) zumindest eine erste Struktur (20A-1) und eine zweite Struktur (20A-2) aufweist, um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren; und das zweite Substrat (17) weist zumindest eine dritte Struktur (20B-3) und eine vierte Struktur (20B-4) auf, um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren; dadurch gekennzeichnet, dass
(a) sich in einem Pixel die erste Struktur (20A-1) und die zweite Struktur (20A-2) linear in unterschiedliche Richtungen zueinander erstrecken;
(b) sich in dem Pixel die dritte Struktur (20B-3) im Wesentlichen parallel zu der ersten Struktur (20A-1) erstreckt und sich in dem Pixel die vierte Struktur (20B-4) im Wesentlichen parallel zu der zweiten Struktur (20A-2) erstreckt;
(c) sich die erste Struktur (20A-1), die zweite Struktur (20A-2), die dritte Struktur (20B-3) und die vierte Struktur (20B-4) in Richtungen erstrecken, die von der Richtung verschieden sind, in der sich ein Rand des Pixels erstreckt; und
(d) das erste Substrat (16) ferner mindestens eine Struktur (52) für die Kontrolle der Ausrichtung von Flüssigkristallen aufweist, die im Wesentlichen parallel zu dem Rand des Pixels verläuft.
10 
2. …
11 
3. Die Flüssigkristallanzeigevorrichtung des vertikalen Ausrichtungs-(VA)-Modus nach Anspruch 1 oder 2, worin die Struktur (52), die im Wesentlichen parallel zu dem Rand des Pixels verläuft, in der Nähe des Randes einer Zellelektrode ausgebildet ist.
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Wegen des weiteren Inhalts der Patentschrift wird auf die deutsche Übersetzung in Anlage ASt 1a und die englische Originalfassung in Anlage ASt 1 Bezug genommen.
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Die Verfügungsbeklagte importiert und vertreibt in Deutschland unter anderem folgende Typen von LCD-Fernsehern:
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1. bereits in erster Instanz angegriffene Ausführungsformen:
a)...
b) ...
2. in zweiter Instanz zusätzlich angegriffene Ausführungsform:
...
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Die Ausführungsform 1a wird seit Mitte März 2009, die Ausführungsform 1b seit Ende Januar 2009 nicht mehr von der Verfügungsbeklagten ausgeliefert. Beide Ausführungsformen sind noch als Auslaufmodell im Handel erhältlich. Die Ausführungsform 2 wird von der Verfügungsbeklagten seit Ende März 2009 vertrieben.
16 
Die Parteien sowie die Muttergesellschaft der Verfügungsbeklagten führen in mehreren Staaten patentrechtliche Auseinandersetzungen um die Verletzung von mehreren Patenten für Flüssigkristallanzeigen. Unter anderem ist eine Klage beim Landgericht Mannheim anhängig, mit der sich die Verfügungsklägerin unter anderem auf der Grundlage des Klagepatents gegen die Ausführungsformen 1a und 1b wendet. Vorgerichtlich und parallel zu den Verfahren wurden und werden Verhandlungen über eine Kreuzlizenzvereinbarung geführt.
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Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Inhalt wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Verfügungsklägerin, mit der sie ihr Begehren auf die Kombination der Ansprüche 1 und 3 stützt und ergänzend die Ausführungsform 2 angreift.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht das Vorliegen eines Verfügungsgrundes verneint. Aus diesem Grund ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch insoweit zurückzuweisen, als sich die Verfügungsklägerin gegen die Ausführungsform 2 wendet.
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1. Die Einbeziehung der Ausführungsform 2 in das bereits anhängige Verfahren ist sachdienlich und auch im Übrigen gemäß § 533 ZPO zulässig. Die Ausführungsform 2 unterscheidet sich, soweit es um die Form der Schlitzstrukturen geht, zwar in Details von den Ausführungsformen 1a und 1b. Aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten lässt sich aber nicht entnehmen, dass diese Unterschiede für die patentgemäße Wirkung der Strukturen von Bedeutung sind. Die Verletzungsfrage lässt sich für die Ausführungsform 2 deshalb anhand des Sach- und Streitstandes beurteilen, den der Senat für die Prüfung der Ausführungsformen 1a und 1b ohnehin zu berücksichtigen hat. Der mit der Zulassung der Antragserweiterung verbundene Verlust einer Instanz erscheint vor diesem Hintergrund für die Verfügungsbeklagte zumutbar.
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2. Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Verfügungsgrund vorliegt. Der Begriff „Verfügungsgrund“ bezeichnet das besondere Rechtschutzbedürfnis der klagenden Partei an der Erlangung eines Vollstreckungstitels im summarischen Verfahren der einstweiligen Verfügung. Das Bestehen eines Verfügungsgrundes wird im Patentverletzungsprozess nicht vermutet; § 12 Abs. 2 UWG ist nicht anwendbar. Die besonderen Umstände, die eine Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung rechtfertigen, sind deshalb im Einzelfall festzustellen. Aus der Durchsetzungsrichtlinie ergibt sich nichts anderes. Diese verlangt zwar, dass grundsätzlich die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes durch einstweilige Maßnahmen bestehen muss. Das ändert aber nichts daran, dass im Einzelfall eine Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung nur unter den Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO ergehen darf. Entscheidend ist dabei, ob sich bei Berücksichtigung aller Umstände und der Interessen der Parteien ergibt, dass der klagenden Partei die mit der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens bis zum erstinstanzlichen Urteil immer verbundene Verzögerung nicht zugemutet werden kann.
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Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Patentverletzungsverfahren ist danach, wie das Landgericht im Einzelnen näher ausgeführt hat, dass die Beurteilung der Verletzungsfrage im Einzelfall keine Schwierigkeiten macht und dass sich keine durchgreifenden Zweifel an der Schutzfähigkeit des Klageschutzrechts aufdrängen (Senat GRUR 1988, 900 – Dutralene und GRUR-RR 2002, 278, 279 – DVD-Player). Mit Schwierigkeiten ist die Beurteilung der Verletzungsfrage nicht erst dann verbunden, wenn sie im Hauptsacheverfahren nicht ohne Heranziehung eines Sachverständigen beantwortet werden könnte. Ergänzend ist eine Bewertung und Abwägung der Interessen der Parteien vorzunehmen. Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im vorliegenden Fall nicht vor. Der Antrag der Verfügungsklägerin erweist sich als unzulässig und ist vom Landgericht zu Recht zurückgewiesen worden.
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a) Die Beurteilung der Verletzungsfragen ist als schwierig zu bezeichnen.
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Allerdings spricht auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes im Verfügungsverfahren nach Auffassung des Senats viel für die Annahme, dass die angegriffenen Ausführungsformen die Merkmale der Ansprüche 1 und 3 des Klagepatents wortsinngemäß verwirklichen.
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aa) Das Klagepatent betrifft eine Flüssigkeitskristallanzeige (LCD) des vertikalen Ausrichtungsmodus (VA). In der Beschreibung wird dargelegt, dass im Stand der Technik zahlreiche Typen von Flüssigkristallanzeigen bekannt waren. Als besonders geeignet werden Anzeigen mit Dünnschichttransistoren (TFT) hervorgehoben. Als am weitesten verbreiteter Typ von TFT-LCD werden Geräte nach dem TN-Modus (Twisted Nematic) bezeichnet. Diese zeichnen sich durch hohen Kontrast und hohe Farbreproduzierbarkeit aus, weisen aber den Nachteil auf, dass die Qualität der Darstellung stark vom Betrachtungswinkel abhängt. Als Alternative wurden Geräte nach dem IPS-Modus (In Plane Switching) vorgeschlagen. Diese haben eine bessere Betrachtungswinkelcharakteristik, aber längere Schaltzeiten, was vor allem bei der Anzeige von schnellen Bewegungen nachteilig ist.
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Das Klagepatent befasst sich vor diesem Hintergrund mit LCD nach dem VA-Modus (Vertically Aligned). VA-LCD unterscheiden sich von TN-LCD unter anderem durch die Anordnung der Flüssigkristallmoleküle zwischen den zur Ansteuerung dienenden Elektroden. Beim TN-Modus sind die Flüssigkristalle im spannungsfreien Zustand im Wesentlichen parallel zur Anzeigeebene angeordnet. Dies entspricht dem Anzeigezustand „hell“. Beim Anlegen einer Spannung ordnen sich die Flüssigkristallmoleküle im Wesentlichen senkrecht zur Anzeigeebene an. Dies entspricht dem Anzeigezustand „dunkel“. Durch Variation der Spannung können Zwischenzustände erreicht werden. Beim VA-Modus sind die Flüssigkristallmoleküle in spannungsfreiem Zustand im Wesentlichen senkrecht zur Anzeigeebene angeordnet, was auch hier dem Anzeigezustand „dunkel“ entspricht. Bei Anlegen einer Spannung richten sich die Flüssigkristallmoleküle im Wesentlichen parallel zur Anzeigeebene aus, was dem Anzeigezustand „hell“ entspricht. Der VA-Modus bietet nach den Angaben in der Klagepatentschrift einen höheren Kontrast und eine bessere Betrachtungswinkelcharakteristik als der TN-Modus, ist dem IPS-Modus jedoch hinsichtlich der Betrachtungswinkelcharakteristik unterlegen.
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Zur Verbesserung dieser Eigenschaft waren im Stand der Technik Vorschläge bekannt, die Orientierungsrichtung der Flüssigkristallmoleküle innerhalb eines Pixels auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Richtungen einzustellen. Beim TN-Modus führt dies nach den Angaben in der Klagepatentschrift jedoch dazu, dass die Oberfläche des Ausrichtungsfilms beim Herstellungsvorgang beschädigt wird. Entsprechende Lösungsvorschläge waren auch für den VA-Modus bekannt. Die unterschiedliche Ausrichtung der Flüssigkristallmoleküle wurde hierbei durch Öffnungen in einer der Elektroden oder durch Ausbildung von geneigten Flächen auf denselben erreicht. Die zuerst genannte Lösung bietet nach den Darlegungen in der Klagepatentschrift keine ausreichende Schaltgeschwindigkeit, die zweite führt zum gleichen Problem wie der Vorschlag für den TN-Modus.
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Vor diesem Hintergrund betrifft das Klagepatent das technische Problem, eine VA-Flüssigkristallanzeige zu realisieren, die eine mindestens ebenso gute Betrachtungswinkelcharakteristik aufweist wie eine Anzeige nach dem IPS-Modus und denselben Kontrast und dieselbe Operationsgeschwindigkeit zulässt wie eine Anzeige nach dem TN-Modus. Zur Lösung dieses Problems wird in den Ansprüchen 1 und 3 eine Vorrichtung vorgeschlagen, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
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1. Eine Flüssigkristallanzeigevorrichtung des vertikalen Ausrichtungs-(VA)-Modus mit einer Vielzahl von Pixel, die Vorrichtung umfassend:
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1.1. ein erstes Substrat (16)
30 
1.1.1 mit zumindest einer ersten Struktur (20A-1) und einer zweiten Struktur (20A-2), um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren;
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1.1.2 die erste Struktur (20A-1) und die zweite Struktur (20A-2) erstrecken sich in einem Pixel linear in unterschiedliche Richtungen zueinander;
32 
1.1.3 mit mindestens einer Struktur (52) für die Kontrolle der Ausrichtung von Flüssigkristallen, die im Wesentlichen parallel zu dem Rand des Pixels verläuft
33 
1.1.4. und in der Nähe des Randes einer Zellelektrode ausgebildet ist
34 
1.2. ein zweites Substrat (17)
35 
1.2.1 mit zumindest einer dritten Struktur (20B-3) und einer vierten Struktur (20B-4), um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren;
36 
1.2.2 die dritte Struktur (20B-3) erstreckt sich in dem Pixel im Wesentlichen parallel zu der ersten Struktur (20A-1);
37 
1.2.3. die vierte Struktur (20B-4) erstreckt sich in dem Pixel im Wesentlichen parallel zu der zweiten Struktur (20A-2);
38 
1.3. die vier Strukturen (20A-1, 20A-2, 20B-3 und 20B-4) erstrecken sich in Richtungen, die von der Richtung verschieden sind, in der sich ein Rand des Pixels erstreckt.
39 
1.4. zwischen den ersten und den zweiten Substraten (16, 17) ist eine Flüssigkristallschicht platziert.
40 
Diese Gliederung weicht von der seitens der Verfügungsklägerin erstellten Gliederung nur insoweit ab, als das zusätzliche Merkmal nach Anspruch 3 des Klagepatents, das die Verfügungsklägerin in zweiter Instanz in den Gliederungspunkt 1.1.3 mit aufgenommen hat, der besseren Übersicht halber in einen eigenen Gliederungspunkt 1.1.4 ausgelagert wurde. Sachliche Änderungen sind damit nicht verbunden.
41 
Ein Ausführungsbeispiel für ein Pixel, das die Merkmale des Anspruchs 1 aufweist, ist in Figur 43 der Klagepatentschrift wie folgt dargestellt:
42 
In der Beschreibung wird die zusätzliche Struktur (52) als Erhebung bezeichnet, die in der Nähe des Bereichs gebildet ist, in dem eine Schlierenstruktur („schlieren structure“) beobachtet wird. Die Erhebung ist mit einer Erhebung 20A verbunden und einstückig ausgebildet (Anlage ASt 1 und ASt 1a, Abs. 107). Als Ursache für die ohne die Erhebung (52) beobachtete Schlierenstruktur wird ein als „Reverse Tilt“ bezeichnetes Phänomen genannt, das entsteht, weil das elektrische Feld am Rand eine schräge Ausrichtung aufweist, was dazu führt, dass die Flüssigkristallmoleküle in diesem Bereich nicht die gewünschte Richtung einnehmen (Anlage ASt 1 und ASt 1a, Abs. 99 und 100).
43 
Die Anordnung der Erhebung (52) ist nochmals in Figur 44 dargestellt:
44 
In Figur 62 ist eine modifizierte Anordnung dargestellt, bei der die Erhebung (52) so angeordnet ist, dass sie dem Rand der Pixelelektrode (13) zugewandt ist (Anlage ASt 1 und ASt 1a, Abs. 108):
45 
bb) Vor diesem Hintergrund dürften die angegriffenen Ausführungsformen 1a und 1b nach derzeitiger Einschätzung des Senats, die auf dem Sach- und Streitstand des vorliegenden Verfügungsverfahrens beruht, von allen Merkmalen der Ansprüche 1 und 3 wortsinngemäß Gebrauch machen.
46 
(1) Die genannten Ausführungsformen stellen unstreitig Flüssigkristallanzeigevorrichtungen des vertikalen Ausrichtungs-(VA)-Modus mit einer Vielzahl von Pixeln dar und verwirklichen damit Merkmal 1.
47 
(2) Die Pixel weisen folgende Struktur auf:
48 
Ausführungsform 1a:
49 
Ausführungsform 1b:
50 
Aus den Abbildungen geht hervor, dass die Vorrichtungen ein erstes Substrat (Gegen-Substrat, linke Seite) und ein zweites Substrat (TFT-Substrat, rechte Seite) aufweisen, wie dies die Merkmale 1.1 und 1.2 vorsehen. Zwischen den Substraten ist unstreitig die in Merkmal 1.4 vorgesehene Flüssigkristallschicht platziert. Die Substrate weisen auch schräg verlaufende Strukturen – Schlitze – auf und verwirklichen damit die Merkmale 1.1.1 und 1.2.1. Diese Strukturen verlaufen ferner in einer Richtung, die verschieden ist von der Richtung, in der sich ein Rand des Pixels erstreckt, so dass auch Merkmal 1.3 verwirklicht ist.
51 
(3) Auf der Grundlage des Sach- und Streitstands im Verfügungsverfahren spricht nach Auffassung des Senats auch viel für die Verwirklichung der Merkmale 1.1.2, 1.2.2 und 1.2.3.
52 
Aus den oben wiedergegebenen Abbildungen geht hervor, dass die Strukturen im oberen Bereich jeweils von rechts oben nach links unten und im unteren Bereich jeweils von links oben nach rechts unten verlaufen, mithin zwei unterschiedliche Richtungen aufweisen, wie dies die genannten Merkmale vorsehen. Die Strukturen verlaufen auch zumindest über bestimmte Teilstrecken linear. Hierbei kann offen bleiben, ob der Verlauf der Strukturen jeweils vom linken bis zum rechten Rand als linear im Sinne des Klagepatents angesehen werden kann. Selbst wenn dies aufgrund der vorhandenen Einkerbungen zu verneinen wäre, wiesen die Strukturen jedenfalls zwischen zwei Einkerbungen jeweils einen linearen Verlauf auf.
53 
Die Lehre des Klagepatents legt sich weder auf die Anzahl noch auf die Länge der Strukturen fest. Schon der Anspruchswortlaut, der von „zumindest“ einer ersten und einer dritten Struktur die Rede ist, lässt ausdrücklich die Möglichkeit offen, dass die Substrate weitere Strukturen aufweisen. Darauf wird auch in der Beschreibung des Klagepatents ausdrücklich hingewiesen (Anlage ASt 1 Seite 6 Zeile 20 f.; Anlage ASt 1a Seite 10 Zeile 46 bis 48). Dort wird auch klargestellt, dass jede Struktur ein oder mehrere Schlitze, Erhebungen, Vertiefungen oder Rillen umfassen und ein unterbrochenes Muster ausbilden kann (Anlage ASt 1 Seite 5 Zeile 17 und 39; Anlage ASt 1a Seite 8 Zeile 36 f. und Seite 9 Zeile 23 f.). Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass es ausreicht, wenn sich die linearen Strukturen zumindest über einen Teil der Pixelfläche erstrecken, ohne dass sie vom einen Rand bis zum anderen reichen.
54 
(4) Aus den oben wiedergegebenen Abbildungen und noch deutlicher aus den farbigen Abbildungen in Anlage ASt 5 geht auch hervor, dass das Gegensubstrat am rechten Rand jeweils Strukturen aufweist, die im Wesentlichen parallel zum Rand des Pixels verlaufen, wie dies in Merkmal 1.1.3 vorgesehen ist, und entsprechend Merkmal 1.1.4 auch in der Nähe des Randes einer Zellelektrode ausgebildet sind.
55 
Dass diese Strukturen eine leichte Keilform aufweisen, schließt die Verwirklichung dieses Merkmals nach derzeitiger Einschätzung des Senats nicht aus. Durch die in Anspruch 1 verwendete Formulierung „im Wesentlichen parallel“ kommt zum Ausdruck, dass leichte Abweichungen von einem parallelen Verlauf unschädlich sind. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass ein leicht keilförmiger Verlauf nicht mehr von der Lehre des Klagepatents umfasst ist, ergeben sich weder aus dem Anspruch noch aus dem sonstigen zur Auslegung heranzuziehenden Inhalt der Klagepatentschrift.
56 
Auf der Grundlage des vorliegenden Sach- und Streitstandes hat der Senat Zweifel daran, dass die durch das Patent unter Schutz gestellte Lösung auf den Fall beschränkt ist, dass jede der Strukturen 52 sowie 20A-1 bis 20B-4 während des Betriebs der Vorrichtung in der Weise wirksam sein muss, dass die Flüssigkristallmoleküle ohne ihr Vorhandensein eine andere Ausrichtung aufweisen würden. Dass die genannten Strukturen ausweislich des Patentanspruchs der Kontrolle der Ausrichtung der (bzw. von) Flüssigkristallen dienen, ist eine Zweckangabe, die der mittelbaren Umschreibung der räumlich-körperlichen Merkmale der Strukturen dient. Sowohl aus dem Anspruchswortlaut als auch aus der Beschreibung ergibt sich somit, dass die Strukturen aufgrund ihrer Bauart und ihrer Anordnung geeignet sein müssen, die Ausrichtung der Flüssigkristallmoleküle zu beeinflussen. Der Senat hält aber für zweifelhaft, ob sich hieraus entnehmen lässt, dass von jeder einzelnen Struktur während des Betriebs der Vorrichtung eine bestimmte Wirkung ausgehen muss. Vielmehr kommt durchaus in Betracht, dass es ausreicht, wenn die Strukturen die erwähnte Eignung zur Ausrichtung der Flüssigkristallmoleküle aufweisen und in ihrer Gesamtheit zu der gewünschten Ausrichtung führen. Der Wortlaut des Anspruchs stellt nicht darauf ab, welche Struktur während des Betriebs hierzu welchen Beitrag leistet. Dass der Erhebung (52) in der Beschreibung des in den Figuren 43 und 44 abgebildeten Ausführungsbeispiels bestimmte Wirkungen beigemessen werden, führt nach derzeitiger Einschätzung des Senats zu keiner anderen Bewertung. Die Erzielung dieser Wirkungen hat in den Ansprüchen 1 und 3 keinen Niederschlag gefunden. Angesichts dessen kann nicht angenommen werden, dass die beanspruchte Lehre über den Wortlaut des Anspruchs hinaus weitere, nur im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel erwähnte Merkmale umfassen soll.
57 
Auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien im Verfügungsverfahren geht der Senat davon aus, dass die bei den angegriffenen Ausführungsformen 1a und 1b im Wesentlichen parallel zum Rand des Pixels verlaufenden, leicht keilförmig ausgebildeten Strukturen ihrer Beschaffenheit nach geeignet sind, die Ausrichtung der Flüssigkeitskristalle zu beeinflussen. Dies reicht für die Verwirklichung der Merkmale 1.1.3 und 1.1.4 aus. Ob die von diesen Strukturen ausgehenden Kräfte beim Betrieb der Fernsehgeräte wirksam werden oder ob sie von anderen Kräften überlagert und deshalb ohne sichtbaren Effekt bleiben, dürfte aus den genannten Gründen unerheblich sein.
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Unerheblich ist ferner, dass die Struktur (52) bei dem in der Klagepatentschrift beschriebenen Ausführungsbeispiel als Erhebung, bei den angegriffenen Ausführungsformen hingegen als Schlitz ausgebildet ist. In der Beschreibung der Klagepatentschrift wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach der beanspruchten Lehre jede Struktur auch als Schlitz ausgebildet sein kann (Anlage ASt 1 Seite 7 Zeile 13; Anlage ASt 1a Seite 12 Zeile 26).
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cc) Für die angegriffene Ausführungsform 2 gilt nach derzeitiger Einschätzung des Senats im Ergebnis nichts anderes.
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(1) Auch diese Ausführungsform betrifft unstreitig eine Flüssigkristallanzeigevorrichtung des vertikalen Ausrichtungs-(VA)-Modus mit einer Vielzahl von Pixeln im Sinne von Merkmal 1.
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(2) Die Pixel sind wie folgt ausgebildet:
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Auch bei dieser Ausführungsform ist ein erstes Substrat (Gegen-Substrat, linke Seite) und ein zweites Substrat (TFT-Substrat, rechte Seite) vorhanden, zwischen denen eine Flüssigkristallschicht platziert ist. Die Substrate weisen schräg verlaufende Schlitze auf, die in einer Richtung verlaufen, die sich von der Richtung unterscheidet, in der sich ein Rand des Pixels erstreckt. Damit sind die Merkmale 1.1, 1.1.1, 1.2, 1.2.1, 1.3 und 1.4 erfüllt.
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(3) Auch bei dieser Ausführungsform weisen die schräg verlaufenden Schlitze zwei unterschiedliche Richtungen auf, die über bestimmte Teilstrecken linear verlaufen. Zwar wird der lineare Verlauf wiederholt unterbrochen, weil einzelne Teilstücke der Schlitze immer wieder um ein gewisses Maß nach links oder rechts versetzt sind, so dass insgesamt ein leicht mäanderförmiger Verlauf entsteht. Wie bereits im Zusammenhang mit den Ausführungsformen 1a und 1b im Einzelnen dargelegt wurde, reicht es für die Verwirklichung der Merkmale 1.1.2, 1.2.2 und 1.2.3 jedoch aus, wenn die Schlitze zumindest über eine Teilstrecke linear verlaufen. Letzteres ist auch bei der angegriffenen Ausführungsform 2 der Fall.
64 
(4) Auch bei der Ausführungsform 2 weist das Gegensubstrat am rechten Rand Strukturen auf, die im Wesentlichen parallel zum Rand des Pixels verlaufen und in der Nähe des Randes einer Zellelektrode ausgebildet sind. Diese Strukturen sind im Wesentlichen gleich ausgestaltet wie die entsprechenden Strukturen bei den Ausführungsformen 1a und 1b. Die Merkmale 1.1.3 und 1.1.4 sind deshalb auch bei dieser Ausführungsform verwirklicht.
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Aus den wiedergegebenen Überlegungen geht nach Auffassung des Senats hervor, dass die Beurteilung der Verletzungsfrage sowohl in technischer als auch in patentrechtlicher Hinsicht erhebliche Probleme aufwirft. Es kann keine Rede davon sein, dass sich das Vorliegen einer Patentverletzung ohne weiteres und mit deutlich geringeren Schwierigkeiten feststellen lässt, als in anderen Fällen behaupteter Patentverletzung. Eine abschließende Beurteilung aller angesprochenen Fragen ist im Rahmen eines Verfügungsverfahrens, das auf eine besonders schnelle Entscheidung zur Schaffung einer vorläufigen Regelung ausgerichtet ist, zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, aber allenfalls unter erheblichen Schwierigkeiten möglich. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass die Klagepatentschrift in der englischen Originalfassung 92 Seiten umfasst, von denen 23 auf die Beschreibung entfallen. In der Beschreibung wird eine Vielzahl von Ausführungsbeispielen erläutert, von denen nicht ohne weiteres zu erkennen ist, welche davon alle Merkmale der beanspruchten Lehre aufweisen und welche nur Zwischenstufen auf dem Weg zur patentgemäßen Lösung darstellen. Ob und ggfs. mit welchem Ergebnis dies Auswirkungen auf die Auslegung des Klagepatents hat, ist im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens nicht abschließend zu klären.
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b) Zutreffend hat das Landgericht seine Entscheidung, dass kein Verfügungsgrund vorliegt, auch auf den Umstand gestützt, dass die vorliegende Streitigkeit Teil einer umfassenden Auseinandersetzung ist, in deren Rahmen die Parteien Verhandlungen über den Abschluss eines Lizenzvertrages geführt haben. Ob auch das Klagepatent (vor seiner Erteilung) ausdrücklich Gegenstand der Verhandlungen war, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung. Aus dem Umstand, dass die Verfügungsklägerin Verhandlungen über den Abschluss einer Lizenzvereinbarung geführt hat, kann zwar für sich genommen nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass ihr die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs unwichtig ist. Der bisherige Verlauf der Auseinandersetzung zeigt aber, dass eine sofortige Unterbindung von Vertriebshandlungen der Verfügungsbeklagten auch aus Sicht der Verfügungsklägerin nicht dringend geboten war. Diese Ausgangslage ist nach Auffassung des Senats durch die Erteilung des Klagepatents nicht wesentlich verändert worden. Das Klagepatent ist nur eines unter mehreren Rechten, auf die die Parteien ihre gegenseitigen Ansprüche stützen. Auch der Umstand, dass die Verfügungsbeklagte nach der Darstellung der Verfügungsklägerin ihre Produkte schnell ändert, lässt sich eine besondere Dringlichkeit nach Auffassung des Senats nicht herleiten. Es ist schon unklar, ob sich solche Änderungen auf Teile beziehen, die für das Vorliegen einer Verletzung des Klagepatents von Bedeutung sein können. Zudem würden durch derartige Änderungen Ansprüche der Klägerin wegen Verletzung des Klagepatents nicht vereitelt. Es ist auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich die von der Klägerin behaupteten Markteinbußen auf die (geltend gemachte) Verletzung des Klagepatents zurückführen lassen. Von erheblicher Bedeutung ist bei der Abwägung schließlich der Umstand, dass das vorliegende Verfügungsverfahren und das Hauptsacheverfahren parallel betrieben werden. Angesichts des bereits angesetzten Termins zur mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren bleibt die Verfügungsklägerin, sofern sich ihr Begehren als begründet erweist, nur wenige Wochen ohne Vollstreckungsmöglichkeit. Angesichts der zeitlichen Dauer der Gesamtauseinandersetzung und auch angesichts der Dauer des Verfahrens von der ursprünglichen Anmeldung bis zur Erteilung des Klagepatents erscheint es vor dem aufgezeigten Hintergrund zumutbar, die Verfügungsklägerin auf diesen Weg zu verweisen. Hierdurch wird sie aus den genannten Gründen nicht rechtlos gestellt.
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3. Im Ergebnis erscheint das Bedürfnis der Verfügungsklägerin an einer vorläufigen Durchsetzung ihrer Rechte gerade aus diesem Patent nicht derart stark, dass dies die mit dem Erlass einer einstweiligen Verfügung verbundenen Nachteile für die Verfügungsbeklagte rechtfertigen würde. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die Gründe, auf die die Verfügungsbeklagte ihren Einspruch gegen das Klagepatent stützt, konkrete Zweifel an dessen Schutzfähigkeit zu begründen vermögen.
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4. Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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bei uns veröffentlicht am 27.02.2009

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2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil, 08. Juli 2009 - 6 U 61/09.

Landgericht Köln Urteil, 04. Dez. 2013 - 28 O 347/13

bei uns veröffentlicht am 04.12.2013

Tenor Die einstweilige Verfügung vom 09.08.2013 – 28 O 347/13 – wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller

Landgericht Mannheim Urteil, 29. Okt. 2010 - 7 O 214/10

bei uns veröffentlicht am 29.10.2010

Tenor 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung durch Si

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Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

 
Die Parteien streiten über die Frage einer unmittelbaren wortsinngemäßen Patentverletzung und hieraus abgeleiteten Unterlassungspflichten.
Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) ist ein weltweit tätiges Unternehmen im Bereich Unterhaltungselektronik; sie ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 870 787 betreffend eine Anzeigevorrichtung mit vertikal ausgerichtetem Flüssigkristall (nachfolgend: Klagepatent), dessen Hinweis auf Erteilung am 31.12.2008 veröffentlicht wurde (AST 1 / 1a). Das Klagepatent ist in Deutschland in Kraft.
Anspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut (ohne Bezugsziffer):
Eine Flüssigkristallanzeigevorrichtung des vertikalen Ausrichtungs(VA)-Modus mit einer Vielzahl von Pixeln, die Vorrichtung umfassend: erste und zweite Substrate; und eine Flüssigkristallschicht, die zwischen den ersten und den zweiten Substraten platziert ist; wobei das erste Substrat zumindest eine erste Struktur und eine zweite Struktur aufweist, um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren; und das zweite Substrat weist zumindest eine dritte Struktur und eine vierte Struktur auf, um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren; dadurch gekennzeichnet, dass
sich in einem Pixel die erste Struktur und die zweite Struktur linear in unterschiedliche Richtungen zueinander erstrecken;
sich in dem Pixel die dritte Struktur im Wesentlichen parallel zu der ersten Struktur erstreckt und sich in dem Pixel die vierte Struktur im Wesentlichen parallel zu der zweiten Struktur erstreckt;
sich die erste Struktur, die zweite Struktur, die dritte Struktur und die vierte Struktur in Richtungen erstrecken, die von der Richtung verschieden sind, in der sich ein Rand des Pixels erstreckt; und
das erste Substrat ferner mindestens eine Struktur für die Kontrolle der Ausrichtung von Flüssigkristallen aufweist, die im wesentlichen parallel zu dem Rand des Pixels verläuft.
Hinsichtlich des weiteren Inhalts, insbesondere der Beschreibung und Figuren, wird auf die Anlagen ASt 1/1a Bezug genommen.
10 
Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagte) ist ein zum koreanischen …-Konzern gehörendes Unternehmen, das ebenfalls im Bereich Unterhaltungselektronik tätig ist.
11 
Die Beklagte importiert und vertreibt in Deutschland die angegriffenen Ausführungsformen, nämlich den LCD-Fernseher mit der Seriennummer …, der das Flüssigkristallmodul mit der Seriennummer … enthält, sowie den LCD-Fernseher mit der Seriennummer …, der das Flüssigkristallmodul mit der Seriennummer … enthält. Die Anlage ASt 5 und ASt 9 zeigen Ausschnittsvergrößerungen der LCD-Panels der angegriffenen Ausführungsformen.
12 
Zwischen den Parteien werden mit wechselnden Parteistellungen weltweit eine Vielzahl von Patentverletzungsverfahren geführt. Gleichzeitig finden – wie auch vor Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzung – Verhandlungen zwischen den Parteien zum Zwecke einer Kreuzlizenzvereinbarung statt.
13 
Die Klägerin trägt vor, die angegriffene Ausführungsform mache von sämtlichen Merkmalen des Verfügungspatents Gebrauch. Dies ergebe sich aus der in Anlage ASt 5 vorgelegten Vergrößerung, die in die Schemazeichnung in Abb. 8 übertragen worden sei.
14 
Insbesondere habe die Klägerin durch eine Simulation bestätigt, dass die in den angegriffenen Ausführungsformen als Struktur (52) identifizierten Schlitze das Auftreten der Schliere (51) verhinderten (Merkmal 1.1.3). Sie verweist hierzu auf Anlage ASt 13.
15 
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung seien erfüllt. Es handele sich um einen einfach gelagerten Verletzungstatbestand, da die Anordnung der Strukturen zur Ausrichtung der Flüssigkristall-Domänen ohne Probleme auf den vorgelegten Fotografien identifiziert werden könnten. Die Schutzrechtslage sei gesichert, da der relevante Stand der Technik umfassend während des Anmeldeverfahrens gewürdigt worden sei und der Verfügungsklägerin kein weiterer Stand der Technik bekannt sei, der die Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents in Zweifel ziehen könnte. Der Umstand, dass das Verfügungspatent erst kürzlich erteilt worden sei, könne nicht dazu führen, erhöhte Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Einschätzung der Schutzfähigkeit zu stellen. Es könne höchstens ausnahmsweise von der Notwendigkeit eines bereits anhängigen Angriffs auf das Schutzrecht abgesehen werden, wenn von der Beklagten zur Schutzunfähigkeit vorgetragen werde und die ernsthafte Ankündigung vorliege, demnächst das Verfügungspatent anzugreifen. Im übrigen sei die Wertung der Europäischen Durchsetzungsrichtlinie zu beachten, die einen effektiven Rechtsschutz auch durch einstweilige Maßnahmen verlange.
16 
Weiterhin sei trotz der relativen Komplexität der in Rede stehenden Materie sowohl die Verletzungsfrage als auch die Rechtsbeständigkeit insbesondere deshalb einer summarischen Prüfung zugänglich, da im Verfahren … – in dem die Hauptsache zwischenzeitlich durch eine Klageerweiterung anhängig gemachten worden ist – der grundsätzliche Aufbau der angegriffenen Ausführungsform unstreitig geblieben sei.
17 
Die einstweilige Verfügung sei schließlich zur Abwendung erheblicher Nachteile erforderlich, da die Parteien Wettbewerber seien und sich jede Patentverletzung der Beklagten unmittelbar zu Lasten der Klägerin auswirke. Eine Lizenznahme seitens der Beklagten sei nicht absehbar. Die Klägerin sei im übrigen gegenüber ihren Lizenznehmern verpflichtet, gegen Mitbewerber vorzugehen, die zu einer Lizenznahme nicht bereit seien.
18 
Die Klägerin beantragt – nachdem sie den ursprünglich zusätzlich gestellten Auskunftsantrag zurückgenommen hat – nunmehr,
19 
der Verfügungsbeklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Verfügungsbeklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf,
20 
zu untersagen
21 
in der Bundesrepublik Deutschland Flüssigkristallvorrichtungen des vertikalen Ausrichtungsmodus (VA) mit einer Vielzahl von Pixeln
22 
anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
23 
die umfassen:
24 
erste und zweite Substrate (16,17); und eine Flüssigkristallschicht, die zwischen den ersten und den zweiten Substraten (16, 17) platziert ist; wobei das erste Substrat (16) zumindest eine erste Struktur (20A-1) und eine zweite Struktur (20A-2) aufweist, um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren; und das zweite Substrat (17) weist zumindest eine dritte Struktur (20B-3) und eine vierte Struktur auf (20B-4), um die Ausrichtung der Flüssigkristalle zu kontrollieren;
25 
dadurch gekennzeichnet, dass
26 
a) sich in einem Pixel die erste Struktur (20A-1) und die zweite Struktur (20A-2) linear in unterschiedliche Richtungen zueinander erstrecken;
27 
b) sich in dem Pixel die dritte Struktur (20B-3) im Wesentlichen parallel zu der ersten Struktur (20A-3) erstreckt und sich in dem Pixel die vierte Struktur (20B-4) im Wesentlichen parallel zu der zweiten Struktur (20A-2) erstreckt;
28 
c) sich die erste Struktur (20A-1), die zweite Struktur (20A-2), die dritte Struktur (20B-3) und die vierte Struktur (20B-4) in Richtungen erstrecken, die von der Richtung verschieden sind, in der sich ein Rand des Pixels erstreckt; und
29 
d) das erste Substrat (16) ferner mindestens eine Struktur (52) für die Kontrolle der Ausrichtung von Flüssigkristallen aufweist, die im Wesentlichen parallel zu dem Rand des Pixels verläuft.
30 
(Anspruch 1 von EP 1 870 767)
31 
Die Beklagte beantragt,
32 
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
33 
Die Beklagte ist der Ansicht, die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung seien nicht erfüllt. Die Verletzung sei nicht schlüssig vorgetragen. Es scheine weiterhin schon nicht vorgetragen, dass ein Verfügungsgrund vorliege. Besondere Umstände, die eine sofortige Entscheidung erforderten, seien ebenfalls nicht dargelegt.
34 
Weiterhin fehle es an den Voraussetzungen im Sinne der „Dutralene“-Rechtsprechung. So sei angesichts der komplexen Patentschrift vor dem Hintergrund komplizierter technischer Zusammenhänge die Verletzungsfrage nicht einfach zu beantworten. Insbesondere hinsichtlich des Merkmals 1.1.3. sei die Auslegung des Patents zwischen den Parteien umstritten. Nach Auffassung der Beklagten werde die patentgemäße Funktion einer „Kontrolle der Ausrichtung von Flüssigkristallen“ nicht von jeder Struktur erzielt, die als Domänenregelungsmittel und damit als Struktur im Sinne von Merkmal 1.1.1. und 1.2.1. in Betracht käme, sondern nur von Strukturen, welche eine geeignete Ausrichtungssteuerungskraft in dem Sinne aufweist, dass eine Ausrichtungssteuerungskraft in einer Richtung generiert werde, welche von der Ausrichtungsbeschränkungskraft verschieden sei, die von einem schrägen elektrischen Feld ausgeübt werde, das durch einen Rand der Zellelektrode generiert werde. Weiterhin würden bei der angegriffenen Ausführungsform Erhebungen statt Schlitze verwendet; dies werde vom Verfügungspatent nicht erfasst.
35 
Weiterhin fehle es angesichts der Tatsache, dass die Veröffentlichung der Patenterteilung erst am 31.12.2008 erfolgt sei, an dem Erfordernis der gesicherten Schutzrechtslage. Vor Ablauf der Einspruchsfrist könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Patent rechtsbeständig bleiben werde.
36 
Im übrigen nehme das Patent unzulässig Prioritäten in Anspruch, weshalb das Verfügungspatent im Erteilungsverfahren nicht vollständig auf den Stand der Technik überprüft worden sei. Die Anmeldungen JP 155 437 97, JP 23098297 sowie JP 230 991 97 erwähnten keine Struktur, welche die Ausrichtung von Flüssigkristallen kontrollierten und welche im wesentlichen parallel zum Rand des Pixels verliefen.
37 
Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2009 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
38 
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da die besonderen Voraussetzungen der Dringlichkeit für einstweiligen Rechtsschutz im Patentrecht nicht vorliegen.
39 
1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Verletzung gewerblich-technischer Schutzrechte setzt voraus, dass die begehrte Regelung gem. § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragsstellerin nötig erscheint. Dies verlangt nicht nur eine „Dringlichkeit“ in einem rein zeitlichen Sinne, sondern darüber hinaus eine materielle Rechtfertigung des vorläufigen Unterlassungsgebots aus den dem Schutzrechtsinhaber ohne das gerichtliche Eingreifen drohenden Nachteilen, welche gegen die Interessen des als Verletzer in Anspruch Genommenen abgewogen werden müssen.
40 
a) In Patentverletzungsstreitigkeiten ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Übereinstimmung mit der schutzbeanspruchten technischen Lehre, den Schutzumfang und die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Beklagten. Während der Kläger, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Verletzungstatbestand und den Rechtsbestand des Schutzrechts vor dem Einreichen eines Verfügungsantrags sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Beklagte auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Beklagten ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs und damit insoweit zu einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache.
41 
Das alles bedeutet allerdings nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Derartige Restriktionen widersprächen Art. 50 I des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. 4. 1994 (BGBl II, S. 1730), welcher die gerichtliche Anordnung einstweiliger Maßnahmen zur Verhinderung der Verletzung eines Rechts des Geistigen Eigentums oder zur Sicherung einschlägiger Beweise ausdrücklich vorsieht. Art. 50 I TRIPS ist zwar nicht unmittelbar anwendbar, aber zur Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts mit heranzuziehen (BGHZ 150, 377 = GRUR 2002, 1046 [1048] = NJW-RR 2002, 1617 – Faxkarte). Ebenso ergäben sich Widersprüche zur Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums vom 29. 4. 2004 (Enforcement-Richtlinie, ABlEU Nr. L 195, S. 16 = GRUR Int 2004, 615), nach deren Art. 9 I lit. a die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, auf Antrag einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um eine drohende Verletzung eines Rechts des Geistigen Eigentums zu verhindern. Auch die Richtlinie muss bei der Auslegung des § 940 ZPO jedenfalls in der Weise berücksichtigt werden, dass der Erlass einstweiliger Verfügungen in Patentsachen nicht übermäßig erschwert werden darf.
42 
b) Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt daher in der Regel, dass die Übereinstimmung des angegriffenen Gegenstandes mit der schutzbeanspruchten technischen Lehre und die Benutzungshandlungen entweder unstreitig oder für das Gericht hinreichend klar zu beurteilen sind. Darüber hinaus muss auch die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts hinlänglich gesichert sein (OLG Karlsruhe GRUR 1982, 169, 171 – Einhebel-Mischarmatur; GRUR 1988, 900 – Dutralene; GRUR-RR 2002, 278 – Sequestration patentverletzender Gegenstände; Kammer, GRUR-RR 2006, 348). Die Einschätzung der Rechtsbeständigkeit muss das Verletzungsgericht in eigener Verantwortung vornehmen.
43 
Auch wenn es keine festen Anforderungen an die Rechtsbeständigkeit gibt, kann sie im Allgemeinen nur dann als ausreichend gesichert angesehen werden, wenn die Patentfähigkeit des Antragsschutzrechts bereits in einem kontradiktorischen Verfahren zumindest durch eine erstinstanzliche Entscheidung anerkannt worden ist. Dagegen wird ein Verfügungsgrund in aller Regel zu verneinen sein, wenn der in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren entgegengehaltene Stand der Technik beim Verletzungsgericht so starke Zweifel an der Schutzfähigkeit hat aufkommen lassen, dass in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren die Verhandlung im Verletzungsrechtsstreit nach § 148 ZPO ausgesetzt werden müsste, um die Entscheidung über den gegen das Antragsschutzrecht eingelegten Rechtsbehelf abzuwarten (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin).
44 
2. Diese Voraussetzungen konnte die Klägerin nicht glaubhaft machen. Bei Anwendung der oben dargestellten Grundsätze überwiegen im Streitfall die Interessen der Beklagten gegenüber den Belangen der Klägerin.
45 
a) Die Verletzungsfrage ist nicht hinreichend eindeutig. Der durch das Klagepatent geschützte Erfindungsgegenstand ist keineswegs einfach und überschaubar gelagert. Es handelt sich vielmehr um ein kompliziertes Patent aus dem Bereich der Optik, dessen Erfassung und Durchdringung erheblichen Aufwand erfordert. Bereits aus dem Umfang der 92-seitigen Patentschrift mit insgesamt 62 Abbildungen wird deutlich, dass von einem einfach gelagerten Erfindungsgegenstand, der eine ebenso einfache Beurteilung der Verletzungsfrage ermöglichen würde, nicht die Rede sein kann. Die Auslegung des umfangreichen Patentanspruch – insbesondere Merkmal 1.1.3 – ist zwischen den Parteien umstritten und für die Kammer aus der Patentschrift nicht auf den ersten Zugriff zweifelsfrei vorzunehmen. Auch spricht bereits die Tatsache, dass die Klägerin die Verletzung nur durch Vornahme von umfangreichen technischen Simulationen substantiieren konnte, deren Zustandekommen die Beklagte naturgemäß nicht nachvollziehen kann, gegen die Annahme einer einfach festzustellenden Verletzungsfrage.
46 
b) Auch die Voraussetzung einer gesicherten Schutzrechtslage vermag die Kammer nicht mit hinreichender Gewissheit anzunehmen. Zwar hat die Beklagte – – was grundsätzlich erforderlich wäre – (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, GRUR 1988, 900 – Dutralene; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2007, 219, 220 – Kleinleistungsschalter m.w.N.) keine Entgegenhaltungen vorgelegt, die die Rechtsbeständigkeit konkret in Frage stellen. Die Kammer kann jedoch angesichts der Tatsache, dass die Patenterteilung erst am 31.12.2008 veröffentlicht wurde, das Patentrecht somit erst kürzlich entstanden ist und nicht einmal die Einspruchsfrist abgelaufen ist, eine gesicherte Schutzrechtslage nicht positiv feststellen.
47 
Die Phase eines möglichen Einspruchsverfahrens nach Art. 99 ff. EPÜ ist seiner Funktion nach als Fortsetzung des Erteilungsverfahrens anzusehen. Mit dem Einspruchsverfahren wird vor allem interessierten Wettbewerbern – und damit den potentiell Betroffenen des staatlich begründeten Ausschließlichkeitsrechts – eine Möglichkeit gegeben, sich frühzeitig in einem relativ einfachen, zügigen und preiswerten Verfahren in eine Prüfung der Patentfähigkeit einzuschalten. Auf diese Weise können Argumente und Unterlagen zum einschlägigen Stand der Technik in die Beurteilung eingeführt werden, die dem Europäischen Patentamt im Erteilungsverfahren nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Das betrifft insbesondere etwaige offenkundige Vorbenutzungen und solche Druckschriften, die über Datenbanken schwer recherchierbar sind, wie Firmenschriften, Tagungsunterlage, Fachbücher, Fachzeitschriften und allgemein Veröffentlichungen in solchen Sprachen und Schriften, die in den dem EPA zur Verfügung stehenden Datenbanken nicht erfasst werden. Insofern dient das Einspruchsverfahren wesentlich dem Ausfüllen systembedingter unvermeidlicher Lücken im Prüfungsverfahren (Benkard-Rogge, EPÜ, vor Art. 99, Rnr. 3) und beinhaltet Aspekte, die bei der Prüfung der Rechtsbeständigkeit im Verletzungsprozess eine gewichtige Rolle spielen. Konsequenterweise enthält das – grundsätzlich als Parteiverfahren ausgestaltete – Verfahren daher wesentliche Elemente eines Amtsverfahrens, so z.B. den Grundsatz der Amtsermittlung (Art. 114 EPÜ), der u.a. auch zur Beachtung der amtsinternen verbindlichen Prüfungsrichtlinien zwingt (Benkart-Rogge, EPÜ, vor Art. 99, Rnr. 10) sowie die Fortsetzung des einmal wirksam eingeleiteten Einspruchsverfahrens auch nach Rücknahme des Einspruchs (Regel 60 Abs. 2).
48 
Insofern kann die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgehen, dass im Erteilungsverfahren sämtliche der Rechtsbeständigkeit möglicherweise entgegenstehenden Entgegenhaltungen vom Prüfer erkannt, bewertet und als nicht einschlägig angesehen worden sind.
49 
Vor Ablauf zumindest eines Teils der Einspruchsfrist ist daher das gewährte Recht zumindest in dem Sinne unvollkommen, als es die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendige gesicherte Schutzrechtslage nicht begründen kann (i.E. auch Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 3. Aufl., Rnr. 672). Je mehr sich der Ablauf der Neun-Monats-Frist des Art. 99 Abs. 1 EPÜ nähert, desto eher wird einem Beklagten in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zuzumuten sein, konkrete Anhaltspunkte für eine mangelnde Rechtsbeständigkeit des Patents darzulegen. Acht Wochen nach Veröffentlichung der Patenterteilung jedoch besteht nach Auffassung der Kammer eine solche Darlegungslast für die Beklagte – auch angesichts der Tatsache, dass ein Großteil des Standes der Technik sowie möglicher Entgegenhaltungen aus Asien stammen dürfte und deshalb mit größerem Rechercheaufwand verbunden ist – nicht. Der Ablauf erst einen kleinen Teils der Einspruchsfrist spricht vielmehr gegen eine gesicherte Schutzrechtslage.
50 
c) Im übrigen spricht auch das Verhalten der Klägerin gegen das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Die Beklagte hat – insoweit unbestritten – vorgetragen, dass die Parteien zunächst Kreuzlizenzverhandlungen geführt haben, die, da sie zunächst erfolglos geblieben sind, zwar wechselseitige Klageerhebungen in mehreren Ländern zur Folge hatten. Die Verhandlungen an sich werden jedoch dessen ungeachtet nach dem insoweit ebenso nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten zwischen den Parteien weiterhin geführt. Dies lässt den Schluss zu, dass die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs für die Klägerin keine überragende Bedeutung hat, sondern vielmehr die Erzielung angemessener Lizenzeinnahmen im Vordergrund steht. Insoweit ist der Klägerin daher zuzumuten, die Durchsetzung ihres Patents im Hauptsacheverfahren mit einer vor der Kammer überschaubaren Verfahrensdauer von erfahrungsgemäß ca. sechs Monaten bis zur möglichen Erlangung eines vorläufig vollstreckbaren Unterlassungstitels zu erstreben und im Erfolgsfall den Schadensersatz bei der Beklagten zu liquidieren. Besondere wirtschaftliche Nachteile, die sie hieraus erleiden würde, sind nicht dargelegt.
51 
Die Tatsache, dass die Klägerin gegenüber Lizenznehmerinnen zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruch verpflichtet ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass diese Verpflichtung auch die Durchsetzung in einem einstweiligen Verfügungsverfahren betrifft, wurde nicht vorgetragen und erscheint der Kammer auch unwahrscheinlich.
52 
d) Jedenfalls bei einem Vergleich der Folgen, die sich für die Klägerin ergäben, wenn man ihr die einstweilige Verfügung versagte, das Schutzrechts sich aber als rechtsbeständig erwiese und eine Verletzung festgestellt werden könnte, mit denjenigen Nachteilen, die der Beklagten drohen, wenn man ihr einstweilen den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verbietet und sich später erweist, dass keine Verletzung vorliegt oder es an der Rechtsbeständigkeit mangelt, erweisen sich in der Zusammenschau der oben dargelegten Erwägungen die Interessen der Beklagten als schutzwürdiger.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Gründe

 
38 
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da die besonderen Voraussetzungen der Dringlichkeit für einstweiligen Rechtsschutz im Patentrecht nicht vorliegen.
39 
1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Verletzung gewerblich-technischer Schutzrechte setzt voraus, dass die begehrte Regelung gem. § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragsstellerin nötig erscheint. Dies verlangt nicht nur eine „Dringlichkeit“ in einem rein zeitlichen Sinne, sondern darüber hinaus eine materielle Rechtfertigung des vorläufigen Unterlassungsgebots aus den dem Schutzrechtsinhaber ohne das gerichtliche Eingreifen drohenden Nachteilen, welche gegen die Interessen des als Verletzer in Anspruch Genommenen abgewogen werden müssen.
40 
a) In Patentverletzungsstreitigkeiten ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Übereinstimmung mit der schutzbeanspruchten technischen Lehre, den Schutzumfang und die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Beklagten. Während der Kläger, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Verletzungstatbestand und den Rechtsbestand des Schutzrechts vor dem Einreichen eines Verfügungsantrags sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Beklagte auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Beklagten ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs und damit insoweit zu einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache.
41 
Das alles bedeutet allerdings nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Derartige Restriktionen widersprächen Art. 50 I des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. 4. 1994 (BGBl II, S. 1730), welcher die gerichtliche Anordnung einstweiliger Maßnahmen zur Verhinderung der Verletzung eines Rechts des Geistigen Eigentums oder zur Sicherung einschlägiger Beweise ausdrücklich vorsieht. Art. 50 I TRIPS ist zwar nicht unmittelbar anwendbar, aber zur Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts mit heranzuziehen (BGHZ 150, 377 = GRUR 2002, 1046 [1048] = NJW-RR 2002, 1617 – Faxkarte). Ebenso ergäben sich Widersprüche zur Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums vom 29. 4. 2004 (Enforcement-Richtlinie, ABlEU Nr. L 195, S. 16 = GRUR Int 2004, 615), nach deren Art. 9 I lit. a die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, auf Antrag einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um eine drohende Verletzung eines Rechts des Geistigen Eigentums zu verhindern. Auch die Richtlinie muss bei der Auslegung des § 940 ZPO jedenfalls in der Weise berücksichtigt werden, dass der Erlass einstweiliger Verfügungen in Patentsachen nicht übermäßig erschwert werden darf.
42 
b) Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt daher in der Regel, dass die Übereinstimmung des angegriffenen Gegenstandes mit der schutzbeanspruchten technischen Lehre und die Benutzungshandlungen entweder unstreitig oder für das Gericht hinreichend klar zu beurteilen sind. Darüber hinaus muss auch die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts hinlänglich gesichert sein (OLG Karlsruhe GRUR 1982, 169, 171 – Einhebel-Mischarmatur; GRUR 1988, 900 – Dutralene; GRUR-RR 2002, 278 – Sequestration patentverletzender Gegenstände; Kammer, GRUR-RR 2006, 348). Die Einschätzung der Rechtsbeständigkeit muss das Verletzungsgericht in eigener Verantwortung vornehmen.
43 
Auch wenn es keine festen Anforderungen an die Rechtsbeständigkeit gibt, kann sie im Allgemeinen nur dann als ausreichend gesichert angesehen werden, wenn die Patentfähigkeit des Antragsschutzrechts bereits in einem kontradiktorischen Verfahren zumindest durch eine erstinstanzliche Entscheidung anerkannt worden ist. Dagegen wird ein Verfügungsgrund in aller Regel zu verneinen sein, wenn der in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren entgegengehaltene Stand der Technik beim Verletzungsgericht so starke Zweifel an der Schutzfähigkeit hat aufkommen lassen, dass in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren die Verhandlung im Verletzungsrechtsstreit nach § 148 ZPO ausgesetzt werden müsste, um die Entscheidung über den gegen das Antragsschutzrecht eingelegten Rechtsbehelf abzuwarten (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin).
44 
2. Diese Voraussetzungen konnte die Klägerin nicht glaubhaft machen. Bei Anwendung der oben dargestellten Grundsätze überwiegen im Streitfall die Interessen der Beklagten gegenüber den Belangen der Klägerin.
45 
a) Die Verletzungsfrage ist nicht hinreichend eindeutig. Der durch das Klagepatent geschützte Erfindungsgegenstand ist keineswegs einfach und überschaubar gelagert. Es handelt sich vielmehr um ein kompliziertes Patent aus dem Bereich der Optik, dessen Erfassung und Durchdringung erheblichen Aufwand erfordert. Bereits aus dem Umfang der 92-seitigen Patentschrift mit insgesamt 62 Abbildungen wird deutlich, dass von einem einfach gelagerten Erfindungsgegenstand, der eine ebenso einfache Beurteilung der Verletzungsfrage ermöglichen würde, nicht die Rede sein kann. Die Auslegung des umfangreichen Patentanspruch – insbesondere Merkmal 1.1.3 – ist zwischen den Parteien umstritten und für die Kammer aus der Patentschrift nicht auf den ersten Zugriff zweifelsfrei vorzunehmen. Auch spricht bereits die Tatsache, dass die Klägerin die Verletzung nur durch Vornahme von umfangreichen technischen Simulationen substantiieren konnte, deren Zustandekommen die Beklagte naturgemäß nicht nachvollziehen kann, gegen die Annahme einer einfach festzustellenden Verletzungsfrage.
46 
b) Auch die Voraussetzung einer gesicherten Schutzrechtslage vermag die Kammer nicht mit hinreichender Gewissheit anzunehmen. Zwar hat die Beklagte – – was grundsätzlich erforderlich wäre – (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, GRUR 1988, 900 – Dutralene; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2007, 219, 220 – Kleinleistungsschalter m.w.N.) keine Entgegenhaltungen vorgelegt, die die Rechtsbeständigkeit konkret in Frage stellen. Die Kammer kann jedoch angesichts der Tatsache, dass die Patenterteilung erst am 31.12.2008 veröffentlicht wurde, das Patentrecht somit erst kürzlich entstanden ist und nicht einmal die Einspruchsfrist abgelaufen ist, eine gesicherte Schutzrechtslage nicht positiv feststellen.
47 
Die Phase eines möglichen Einspruchsverfahrens nach Art. 99 ff. EPÜ ist seiner Funktion nach als Fortsetzung des Erteilungsverfahrens anzusehen. Mit dem Einspruchsverfahren wird vor allem interessierten Wettbewerbern – und damit den potentiell Betroffenen des staatlich begründeten Ausschließlichkeitsrechts – eine Möglichkeit gegeben, sich frühzeitig in einem relativ einfachen, zügigen und preiswerten Verfahren in eine Prüfung der Patentfähigkeit einzuschalten. Auf diese Weise können Argumente und Unterlagen zum einschlägigen Stand der Technik in die Beurteilung eingeführt werden, die dem Europäischen Patentamt im Erteilungsverfahren nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Das betrifft insbesondere etwaige offenkundige Vorbenutzungen und solche Druckschriften, die über Datenbanken schwer recherchierbar sind, wie Firmenschriften, Tagungsunterlage, Fachbücher, Fachzeitschriften und allgemein Veröffentlichungen in solchen Sprachen und Schriften, die in den dem EPA zur Verfügung stehenden Datenbanken nicht erfasst werden. Insofern dient das Einspruchsverfahren wesentlich dem Ausfüllen systembedingter unvermeidlicher Lücken im Prüfungsverfahren (Benkard-Rogge, EPÜ, vor Art. 99, Rnr. 3) und beinhaltet Aspekte, die bei der Prüfung der Rechtsbeständigkeit im Verletzungsprozess eine gewichtige Rolle spielen. Konsequenterweise enthält das – grundsätzlich als Parteiverfahren ausgestaltete – Verfahren daher wesentliche Elemente eines Amtsverfahrens, so z.B. den Grundsatz der Amtsermittlung (Art. 114 EPÜ), der u.a. auch zur Beachtung der amtsinternen verbindlichen Prüfungsrichtlinien zwingt (Benkart-Rogge, EPÜ, vor Art. 99, Rnr. 10) sowie die Fortsetzung des einmal wirksam eingeleiteten Einspruchsverfahrens auch nach Rücknahme des Einspruchs (Regel 60 Abs. 2).
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Insofern kann die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgehen, dass im Erteilungsverfahren sämtliche der Rechtsbeständigkeit möglicherweise entgegenstehenden Entgegenhaltungen vom Prüfer erkannt, bewertet und als nicht einschlägig angesehen worden sind.
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Vor Ablauf zumindest eines Teils der Einspruchsfrist ist daher das gewährte Recht zumindest in dem Sinne unvollkommen, als es die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendige gesicherte Schutzrechtslage nicht begründen kann (i.E. auch Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 3. Aufl., Rnr. 672). Je mehr sich der Ablauf der Neun-Monats-Frist des Art. 99 Abs. 1 EPÜ nähert, desto eher wird einem Beklagten in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zuzumuten sein, konkrete Anhaltspunkte für eine mangelnde Rechtsbeständigkeit des Patents darzulegen. Acht Wochen nach Veröffentlichung der Patenterteilung jedoch besteht nach Auffassung der Kammer eine solche Darlegungslast für die Beklagte – auch angesichts der Tatsache, dass ein Großteil des Standes der Technik sowie möglicher Entgegenhaltungen aus Asien stammen dürfte und deshalb mit größerem Rechercheaufwand verbunden ist – nicht. Der Ablauf erst einen kleinen Teils der Einspruchsfrist spricht vielmehr gegen eine gesicherte Schutzrechtslage.
50 
c) Im übrigen spricht auch das Verhalten der Klägerin gegen das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Die Beklagte hat – insoweit unbestritten – vorgetragen, dass die Parteien zunächst Kreuzlizenzverhandlungen geführt haben, die, da sie zunächst erfolglos geblieben sind, zwar wechselseitige Klageerhebungen in mehreren Ländern zur Folge hatten. Die Verhandlungen an sich werden jedoch dessen ungeachtet nach dem insoweit ebenso nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten zwischen den Parteien weiterhin geführt. Dies lässt den Schluss zu, dass die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs für die Klägerin keine überragende Bedeutung hat, sondern vielmehr die Erzielung angemessener Lizenzeinnahmen im Vordergrund steht. Insoweit ist der Klägerin daher zuzumuten, die Durchsetzung ihres Patents im Hauptsacheverfahren mit einer vor der Kammer überschaubaren Verfahrensdauer von erfahrungsgemäß ca. sechs Monaten bis zur möglichen Erlangung eines vorläufig vollstreckbaren Unterlassungstitels zu erstreben und im Erfolgsfall den Schadensersatz bei der Beklagten zu liquidieren. Besondere wirtschaftliche Nachteile, die sie hieraus erleiden würde, sind nicht dargelegt.
51 
Die Tatsache, dass die Klägerin gegenüber Lizenznehmerinnen zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruch verpflichtet ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass diese Verpflichtung auch die Durchsetzung in einem einstweiligen Verfügungsverfahren betrifft, wurde nicht vorgetragen und erscheint der Kammer auch unwahrscheinlich.
52 
d) Jedenfalls bei einem Vergleich der Folgen, die sich für die Klägerin ergäben, wenn man ihr die einstweilige Verfügung versagte, das Schutzrechts sich aber als rechtsbeständig erwiese und eine Verletzung festgestellt werden könnte, mit denjenigen Nachteilen, die der Beklagten drohen, wenn man ihr einstweilen den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen verbietet und sich später erweist, dass keine Verletzung vorliegt oder es an der Rechtsbeständigkeit mangelt, erweisen sich in der Zusammenschau der oben dargelegten Erwägungen die Interessen der Beklagten als schutzwürdiger.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nur zulässig, wenn

1.
der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und
2.
diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hat.

(1) Zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden.

(2) Ist auf Grund dieses Gesetzes Klage auf Unterlassung erhoben worden, so kann das Gericht der obsiegenden Partei die Befugnis zusprechen, das Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei öffentlich bekannt zu machen, wenn sie ein berechtigtes Interesse dartut. Art und Umfang der Bekanntmachung werden im Urteil bestimmt. Die Befugnis erlischt, wenn von ihr nicht innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft Gebrauch gemacht worden ist. Der Ausspruch nach Satz 1 ist nicht vorläufig vollstreckbar.

(3) Macht eine Partei in Rechtsstreitigkeiten, in denen durch Klage ein Anspruch aus einem der in diesem Gesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird, glaubhaft, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das Gericht auf ihren Antrag anordnen, dass die Verpflichtung dieser Partei zur Zahlung von Gerichtskosten sich nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bemisst. Die Anordnung hat zur Folge, dass

1.
die begünstigte Partei die Gebühren ihres Rechtsanwalts ebenfalls nur nach diesem Teil des Streitwerts zu entrichten hat,
2.
die begünstigte Partei, soweit ihr Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden oder soweit sie diese übernimmt, die von dem Gegner entrichteten Gerichtsgebühren und die Gebühren seines Rechtsanwalts nur nach dem Teil des Streitwerts zu erstatten hat und
3.
der Rechtsanwalt der begünstigten Partei, soweit die außergerichtlichen Kosten dem Gegner auferlegt oder von ihm übernommen werden, seine Gebühren von dem Gegner nach dem für diesen geltenden Streitwert beitreiben kann.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 kann vor der Geschäftsstelle des Gerichts zur Niederschrift erklärt werden. Er ist vor der Verhandlung zur Hauptsache anzubringen. Danach ist er nur zulässig, wenn der angenommene oder festgesetzte Streitwert später durch das Gericht heraufgesetzt wird. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Gegner zu hören.

Einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand sind zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Einstweilige Verfügungen sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)