Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2015:rk20151217.1bvr316413
bei uns veröffentlicht am17.12.2015

Tenor

1. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 30. September 2013 - 18 SchH 11/13 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Schleswig-Holstein hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Rüge der Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz durch die gerichtliche Auslegung des Begriffs der Verzögerungsrüge in einem Entschädigungsverfahren nach § 198 GVG.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer war Beklagter in einem baurechtlichen Schadenersatzprozess (Ursprungsverfahren) vor dem Landgericht, der insgesamt sieben Jahre (von März 2006 bis März 2013) dauerte. Er wurde unter Klageabweisung im Übrigen in der Hauptsache zur Zahlung von rund 4.800 € verurteilt.

3

2. Im Februar 2013 erhob der Beschwerdeführer vor dem Oberlandesgericht Entschädigungsklage nach § 198 GVG gegen das Land aufgrund überlangen Gerichtsverfahrens (Ausgangsverfahren). Er forderte eine Entschädigung in Höhe von 1.700 € für die Zeiträume August 2009 bis Februar 2010 (sieben Monate) sowie August 2011 bis Mai 2012 (zehn Monate). Diese Zeiträume betrafen die völlige Inaktivität des Gerichts. Sie enthielten keine Phasen, in denen das Verfahren aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers keinen Fortgang genommen hatte. Unter Bezugnahme auf eine der Klageschrift beigefügte Anlage zum Verfahrensgang war ausgeführt, der Beschwerdeführer habe beim Landgericht immer wieder die Verfahrensdauer gerügt und nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren auch entsprechende Verzögerungsrügen erhoben.

4

Der im Ursprungsverfahren tätige Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers hatte vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren in zwei Schriftsätzen um Verfahrensförderung gebeten.

5

Im Schriftsatz vom 31. Oktober 2011 war ausgeführt:

In dem Rechtsstreit […] bittet der Beklagte darauf hinzuweisen, dass der Rechtsstreit schon in Richtung einer "überlangen Verfahrensdauer" zu gleiten scheint. […]

Wir möchten daher das Gericht nachdrücklich um Förderung des Verfahrens bitten.

6

Im Schriftsatz vom 8. November 2011 hieß es:

[…] bittet der Beklagte hinsichtlich der "Verzögerungsrüge" nochmals auf folgendes hinzuweisen:

Nach den von ihm recherchierten Unterlagen ergibt sich eine Verfahrensrüge gemäß Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren. […]

Der Warnfunktion gegenüber dem Gericht ist in der Regel schon mit einer Verzögerungsrüge hinreichend genügt […]

Wir bitten daher nochmal das Gericht entsprechend der hier vorliegenden Verfahrensrüge nunmehr die Angelegenheit zeitnah zu fördern.

7

Nach Inkrafttreten des Gesetzes hat sich der Rechtsanwalt mit Schriftsätzen vom 19. Dezember 2011, 14. Februar 2012, 20. Juni 2012 und 20. Dezember 2012 an das Gericht gewandt.

8

Die Formulierung im Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 lautete:

[…] bittet unsere Mandantschaft nunmehr nach seit dem 02.12.2011 veröffentlichten Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren um die Erhebung einer förmlichen Verzögerungsrüge.

9

Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 nahm der damalige Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers auf die förmliche Verzögerungsrüge vom 19. Dezember 2011 Bezug und bat um Sachstandsmitteilung.

10

Unter dem 20. Juni 2012 erhob der Anwalt:

[…] auf Veranlassung und namens unserer Mandantschaft nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren eine förmliche[n] Verzögerungsrüge.

11

Im letzten Schriftsatz vom 20. Dezember 2012 erhob er:

[…] im Auftrage des Beklagten erneut aufgrund des überlangen Gerichtsverfahrens förmliche Verzögerungsrüge.

12

Das Oberlandesgericht wies die Klage nach vorangegangenem Hinweis mit dem angegriffenen Urteil als unbegründet zurück. Da Entschädigungsansprüche für Zeiträume vor Inkrafttreten der Neuregelung des Gesetzes geltend gemacht würden, fordere Artikel 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) für diese "Altfälle" eine unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge. Es könne dahinstehen, ob der Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 noch unverzüglich sei, denn jedenfalls enthalte er keine wirksame Verzögerungsrüge, weil die Ausführungen in Wortlaut und Inhalt - insbesondere im Vergleich mit den nachfolgend ab dem 20. Juni 2012 erhobenen Verzögerungsrügen - nicht eindeutig und unmissverständlich, sondern mindestens mehrdeutig seien.

13

Der Inhalt des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 könne insbesondere so verstanden werden, dass er nicht mehr als einen Hinweis an das Gericht enthalten solle, der Mandant sei an den Prozessbevollmächtigten herangetreten, habe ihn auf die gesetzliche Neuregelung hingewiesen und geäußert, der Prozessbevollmächtigte möge eine solche Rüge erheben. Damit könne der Schriftsatz als kollegialer Hinweis angesehen werden, dass sich der Prozessbevollmächtigte bei zögerlicher Bearbeitung des Rechtsstreits durch das Gericht in absehbarer Zeit genötigt sehen könnte, dieser Bitte nachzukommen und eine Verzögerungsrüge zu erheben. Dieses Verständnis sei im Vergleich mit den nachfolgenden Schriftsätzen - in denen eine (erste) eindeutige und eine (zweite) erneute Verzögerungsrüge erhoben worden seien - sogar naheliegend.

14

Die nach der wirksamen Verzögerungsbeschwerde vom 20. Juni 2012 durchgeführte Prüfung ergebe keine unangemessen lange Dauer des Verfahrens ab diesem Zeitpunkt. Dass in dieser Zeit bis zum Urteil im März 2013 Verzögerungen aufgetreten seien, behaupte der Kläger selbst nicht.

15

Das Verfahren wäre aber auch dann nicht unangemessen lang gewesen, wenn der Verzögerungsrüge vom 20. Juni 2012 Rückwirkung zugekommen und danach alle im Verfahren nach Inkrafttreten der Neuregelung eingetretenen Verzögerungen zu berücksichtigen gewesen wären. In diesem Fall hätte nach dem Vortrag des Klägers der Rechtsstreit bei optimaler Förderung fünf Monate früher geendet. Dieser Zeitraum mache einen umfangreichen, rund sieben Jahre dauernden Baumängelprozess mit einer vielfältigen, immer wieder insbesondere durch Einholung von Sachverständigengutachten erweiterten Beweisaufnahme nicht unangemessen lang. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Prozessverhaltens des jetzigen Klägers sowie des Umstands, dass er damals der auf Zahlung in Anspruch genommene Beklagte gewesen sei.

II.

16

1. Die Verfassungsbeschwerde rügt die Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz durch die Auslegung des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 als bloßen Hinweis statt als Verzögerungsrüge und sieht darin einen leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen, durch den rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt worden seien.

17

Die Formulierung des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 könne nicht zu der Auslegung führen, dass keine wirksame Verfahrensverzögerungsrüge erhoben worden sei. Weiter müsse berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer schon zuvor mehrfach die Verfahrensdauer beanstandet habe. Daraus sowie aus dem Umstand der früheren Beanstandungen der Verfahrensdauer, dem Wortlaut des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011, der Neuregelung des Gesetzes und der Notwendigkeit der Erhebung einer neuen Verzögerungsrüge ergebe sich zweifelsfrei, dass der Beschwerdeführer eine solche Rüge mit dem Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 habe erheben wollen.

18

Der Verstoß sei auch entscheidungserheblich, weil hierdurch keine weitere Prüfung der Verfahrensverzögerung stattgefunden habe.

19

2. Die Akte des Ausgangsverfahrens wurde beigezogen.

20

3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein Gelegenheit zur Äußerung. Die Verfassungsbeschwerde wurde ferner der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts zur Kenntnis zugeleitet.

21

Nach Auffassung des Ministeriums für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein ist die den Gerichten durch das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezogene Grenze zur Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz nicht überschritten. Selbst wenn die Erklärung des damaligen Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 tatsächlich nicht nur als Hinweis oder Ankündigung gemeint gewesen sein sollte, müsse jedem Rechtsanwalt klar sein, dass die Abgabe einer so unüblichen, weil distanzierten Prozesserklärung mehrdeutig sei und damit missverständlich wirke. Zumindest von einem Rechtsanwalt dürfe insoweit eine eindeutige und unmissverständliche Erklärung erwartet werden.

22

Der Beschwerdeführer hat ergänzend Stellung genommen.

B.

23

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Der Beschwerdeführer ist in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt und die Verletzung hat besonderes Gewicht.

24

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Maßstäbe der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes durch wohlwollende Auslegung des Inhalts von Rechtsbehelfen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>).

I.

25

Die seitens des Oberlandesgerichts gestellten Anforderungen an die Auslegung des Begriffs der Verzögerungsrüge bei überlanger Verfahrensdauer verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

26

1. a) Aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) lässt sich ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinn für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten ableiten (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>). Die daraus folgende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht, sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf allerdings einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen vorsehen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>; 60, 253 <268 f.>; 77, 275 <284>). Solche Einschränkungen müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den einzelnen Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belasten. Darin findet die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers zugleich ihre Grenze. Der Rechtsweg darf danach nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>; 77, 275 <284> m.w.N.). Formerfordernisse für Prozesshandlungen können der Rechtssicherheit dienen, sofern sie geeignet sind, die prozessuale Lage für alle Beteiligten rasch und zweifelsfrei zu klären.

27

Diese Grundsätze gelten nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>). Sie sind auf das Rechtsschutzbegehren der klagenden Partei in gleicher Weise wie auf das auf Rechtsverteidigung gerichtete Begehren des Gegners anwendbar. Auch der Richter muss die Tragweite des Grundrechts auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz beachten (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>). Er darf verfahrensrechtliche Regelungen, die den vorgenannten Grundsätzen widersprechen, nicht anwenden (Art. 100 Abs. 1 GG). Soweit Verfahrensvorschriften einen Auslegungsspielraum lassen, darf er sie nicht in einem Sinne auslegen, der zu einem solchen Widerspruch führen würde (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 ff.>).

28

Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allerdings Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt seine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen auf die Verletzung von Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; stRspr). Die Schwelle eines derartigen Verstoßes gegen Verfassungsrecht ist erst erreicht, wenn die Auslegung der Fachgerichte Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 <9 f.>; 99, 145 <160>; 129, 78 <102>). Dies ist hier der Fall.

29

b) Am 3. Dezember 2011 ist das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in Kraft getreten (Art. 24 des Gesetzes, BGBl I S. 2302<2312 f.>). Nach diesem Gesetz ist nunmehr gemäß § 198 GVG die Möglichkeit eröffnet, nach Erhebung einer Verzögerungsrüge eine Entschädigungsklage wegen der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens einzureichen. Artikel 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) sieht für bereits anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert sind, eine Übergangsregelung vor. Danach muss die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Sie wahrt dann einen Anspruch auf Entschädigung oder auf Wiedergutmachung in anderer Weise auch für den vorausgehenden Zeitraum.

30

Der Gesetzgeber hat Form und Inhalt der als zwingende Anspruchsvoraussetzung ausgestalteten Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht näher bestimmt. Den Gesetzesmaterialien kann lediglich entnommen werden, dass die Verzögerungsrüge schriftlich oder mündlich und im Anwaltsprozess nur durch den bevollmächtigten Anwalt erhoben werden kann. Das Vorhandensein einer entsprechenden Rüge ist von Amts wegen zu überprüfen (BTDrucks 17/3802, S. 20, 22).

31

c) Durch die Verzögerungsrüge muss der Betroffene lediglich sein fehlendes Einverständnis mit der Dauer des Verfahrens zum Ausdruck bringen (vgl. Althammer/Schäuble, NJW 2012, S. 1 <3>). Eine ausdrückliche Bezeichnung als "Verzögerungsrüge" ist nicht erforderlich (Zimmermann, FamRZ 2011, S. 1905 <1908>).

32

Das Recht auf effektiven Rechtsschutz sichert dem Bürger einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle zu (vgl. BVerfGE 81, 123 <129>; 96, 27 <39>). Ist dem Inhalt einer schriftlichen Erklärung eines Antragstellers in Verbindung mit Umständen, die für das Gericht offensichtlich sind, zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Antragsteller einen Rechtsbehelf einlegen will, so wäre es eine bloße, mit einer rechtsstaatlichen Verfahrensweise nicht vereinbare Förmelei, den Rechtsbehelf allein deshalb als unzulässig anzusehen, weil die Erklärung unzulänglich formuliert ist (vgl. BVerfGE 88, 118 <127> zum Einspruch gegen ein Versäumnisurteil). Auch im fachgerichtlichen Verfahren erhobene prozessuale Anträge sind wohlwollend im Sinne des am Gesamtvorbringens erkennbaren Rechtsschutzanliegens auszulegen (vgl. BVerfGE 134, 106 <114 Rn. 25>).

33

Dabei ist nicht nur anerkannt, dass es auf die wirkliche Natur des Rechtsschutzbegehrens ankommt und Falschbezeichnungen unschädlich sind (OLG München, Beschluss vom 19. März 2013 - 4 VAs 8/13 -, BeckRS 2013, 05324 "Untätigkeitsbeschwerde"), sondern ebenso, dass ein vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren mangels gesetzlicher Grundlage als sogenannte Untätigkeitsbeschwerde eingelegter Rechtsbehelf durch die Einführung der Verzögerungsrüge obsolet geworden und der bisherige Rechtsbehelf als Verzögerungsrüge auszulegen ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. September 2012 - 4 VAs 39/12 -, BeckRS 2013, 18849). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind in einem Anwaltsschriftsatz abgegebene Prozesserklärungen unter Zuhilfenahme ihrer Begründung auslegbar und ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschluss vom 29. März 2011 - VIII ZB 25/10 -, NJW 2011, S. 1455 <1456>).

34

Auch Nachfragen zum Verbleib von Eilanträgen können gegebenenfalls als Verzögerungsrüge auszulegen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2014 - 2 BvR 437/12 -, juris, Rn. 5, 14). Daher ist auch eine durch einen Rechtsanwalt erhobene bedingungsfeindliche Prozesserklärung, wie hier die Verzögerungsrüge, auslegungsfähig.

35

2. Gemessen daran führt die Auslegung des Oberlandesgerichts, im Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 sei keine Verzögerungsrüge zu erkennen, zu einer verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigten Verkürzung des Rechtsschutzes.

36

a) Allerdings war eine Verzögerungsrüge nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 nicht bereits deshalb entbehrlich, weil der Beschwerdeführer die Verfahrensdauer schon vor Inkrafttreten der §§ 198 ff. GVG mit Schriftsätzen vom 31. Oktober und 8. November 2011 die Verfahrensdauer beanstandet hatte. Denn nach der Übergangsregelung des Artikel 23 Satz 1 bis 3 ÜGRG ist bei bereits anhängigen, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes schon verzögerten Verfahren die Erhebung der Verzögerungsrüge ausdrücklich unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erforderlich. Frühere Beanstandungen der Verfahrensdauer ersetzen daher die Verzögerungsrüge nicht (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 22. Mai 2013 - 1 SchH 2/12 -, BeckRS 2014, 15590).

37

b) Das Oberlandesgericht hat jedoch bei der Frage, ob der Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 eine wirksame Verzögerungsrüge enthält, die Auslegung ersichtlich nicht am Gesamtinhalt des aus den eingereichten Schriftsätzen erkennbaren Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers ausgerichtet. Zwar hat das Ausgangsgericht auch den Inhalt der nachfolgenden Schriftsätze vom 20. Juni 2012 und vom 20. Dezember 2012 bei der Auslegung herangezogen. Allein aufgrund dieser Beurteilungsgrundlage mag die Wertung des Gerichts, der Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 enthalte keine Verzögerungsrüge, sondern im Sinne eines kollegialen Hinweises nur deren Ankündigung, noch vertretbar sein. Allerdings hat das Oberlandesgericht nicht geprüft, ob die vorherigen Bitten um Verfahrensförderung mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2011 und 8. November 2011 - bei letzterem unter Hinweis auf die gesetzliche Neuregelung - und der Inhalt des Schriftsatzes vom 14. Februar 2012 geeignet sind, den nach Auffassung des Gerichts mehrdeutigen Inhalt des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 zu präzisieren und ihm damit den Gehalt einer eindeutigen Verzögerungsrüge zu verschaffen. Da schon im Schriftsatz vom 8. November 2011 der Regelungsgehalt der §§ 198 ff. GVG angesprochen worden war, scheint es nicht ausgeschlossen, dass das Ausgangsgericht bei einer wohlwollenden, am vernünftigen Rechtsschutzziel orientierten Auslegung unter Berücksichtigung auch dieser weiteren Beanstandungen den Inhalt des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 als Verzögerungsrüge im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG ausgelegt hätte.

38

c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Ausgangsgericht zu einem abweichenden, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es die aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes in ihrer Bedeutung als Verpflichtung der Fachgerichte, Rechtsbehelfe unter Berücksichtigung des Rechtsschutzbegehrens wohlwollend auszulegen, beachtet hätte. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei Beurteilung des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 als wirksame Verzögerungsrüge auch deren Rechtzeitigkeit angenommen sowie haftungsrelevante Verzögerungen im Ursprungsverfahren in der Zeit von August 2009 bis Februar 2010 und von August 2011 bis Dezember 2011 beziehungsweise bis Mai 2012 festgestellt hätte, und dass diese Verzögerung genügt, um das konkrete Verfahren als unangemessen lang einzustufen.

39

Das Oberlandesgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - offengelassen, ob im Falle der Auslegung des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2011 als Verzögerungsrüge diese "unverzüglich" im Sinne des Artikel 23 Satz 2 ÜGRG nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben worden sei. Sofern die Neubewertung zur Einstufung als Verzögerungsrüge führt, liegt die Unverzüglichkeit jedenfalls nahe. Zutreffend weist das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der Rechtsbegriff der Unverzüglichkeit im Zusammenhang mit der Erhebung der Verzögerungsrüge mittlerweile in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 -, NJW 2014, S. 1967 <1968>; BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 -, juris, Rn. 22; BFH, Urteil vom 20. August 2014 - X K 9/13 -, juris, Rn. 23; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R -, juris, Rn. 27). Danach wird eine innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des ÜGRG erfolgte Verzögerungsrüge regelmäßig als unverzüglich erhoben betrachtet. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers dies als nicht ausreichend erachtet und eine sechsmonatige Frist entsprechend Artikel 35 Abs. 1 EMRK befürwortet, ist diese Frage nicht Gegenstand des konkreten Verfassungsbeschwerdeverfahrens.

II.

40

Die Verletzung des Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG hat besonderes Gewicht. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, den Betroffenen von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährleisteten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder wenn sie rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Das Oberlandesgericht hat die Würdigung des Inhalts der früheren Schriftsätze vor dem 19. Dezember 2011 und desjenigen vom 14. Februar 2012 nicht lediglich versehentlich mangels Kenntnisnahme unterlassen. Obwohl im Laufe des Entschädigungsverfahrens sowohl seitens des beklagten Landes als auch des Beschwerdeführers ausdrücklich auch auf die früheren Beanstandungen hingewiesen wurde, beschränkt sich das Gericht bei der Auslegung auf die Würdigung der nachfolgenden Schriftsätze, ohne auf die zuvor eingereichten Bitten um Verfahrensförderung und den weiteren Schriftsatz vom 14. Februar 2012 überhaupt einzugehen.

C.

41

1. Da die Klageabweisung durch das Oberlandesgericht auf dem Verfassungsverstoß beruht, ist das angegriffene Urteil hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

42

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

43

3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

Urteilsbesprechung zu Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13

Anwälte

1 relevante Anwälte

1 Anwälte, die Artikel geschrieben haben, die diesen Urteil erwähnen

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
EnglischDeutsch

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 198


(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach d
Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13 zitiert 10 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 198


(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach d

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 34a


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen ein

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 14 Rahmengebühren


(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermöge

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93c


(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsb

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 95


(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß

Referenzen - Urteile

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Urteil, 20. Aug. 2014 - X K 9/13

bei uns veröffentlicht am 20.08.2014

Tatbestand 1 A. Die Klägerin begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 10. N

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2014 - III ZR 228/13

bei uns veröffentlicht am 17.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 228/13 Verkündet am: 17. Juli 2014 K i e f e r Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GVG § 198 Abs.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Apr. 2014 - III ZR 335/13

bei uns veröffentlicht am 10.04.2014

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juli 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Bekla
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Dez. 2015 - 1 BvR 3164/13.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 30. Nov. 2018 - 5 B 32/18 D

bei uns veröffentlicht am 30.11.2018

Gründe 1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.), der Abweichung (2.) und des Verfahrensmangels (3.) gestützte Beschwerde hat keinen

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 30. Nov. 2018 - 5 B 33/18 D

bei uns veröffentlicht am 30.11.2018

Gründe 1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.), der Abweichung (2.) und des Verfahrensmangels (3.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Referenzen

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juli 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Arzthaftungsprozesses geltend.

2

In dem noch nicht abgeschlossenen Ausgangsverfahren nimmt der Kläger mit seiner am 20. Dezember 2006 beim Landgericht eingereichten Klage einen Arzt auf Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 15.000 € sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden im Zusammenhang mit einer am 29. April 2004 durchgeführten Knieoperation in Anspruch.

3

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschloss das Landgericht am 20. November 2007 die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der beauftragte Sachverständige Dr. B.   erstellte sein Gutachten unter dem 16. Dezember 2008 und ergänzte es mit Stellungnahme vom 18. Juni 2010 im Hinblick auf Fragen und Einwände des beklagten Arztes. Widersprüche zwischen dem gerichtlichen Gutachten und einem außergerichtlich erstellten Gutachten führten dazu, dass das Landgericht mit Beweisbeschluss vom 23. Dezember 2010 ein Obergutachten in Auftrag gab, dessen Fertigstellung der neue Sachverständige Prof. Dr. G.    bis Ende März 2011 in Aussicht stellte.

4

Auf Sachstandsanfrage des Landgerichts vom 23. Mai 2011 beanstandete der Sachverständige das Fehlen der dem Erstgutachter überlassenen Röntgenbilder, obwohl sich diese - wie sich später herausstellte - in der bereits am 26. Januar 2011 übersandten Gerichtsakte befanden. Für die folgenden sechs Monate sind keine prozessleitenden Anordnungen des Gerichts dokumentiert. Die Nachforschungen der Geschäftsstelle nach dem Verbleib der Röntgenbilder blieben erfolglos. Zudem ging das umfangreiche Post enthaltende Aktenretent verloren. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 teilte das Landgericht dem Sachverständigen Prof. Dr. G.    mit, dass eine Nachfrage bei den Parteien und bei Dr. B.   ergeben habe, dass Röntgenbilder dort nicht vorhanden seien, und bat ihn zugleich um erneute Prüfung, ob die Röntgenbilder seinerzeit mit der Gerichtsakte übersandt worden seien. Der Sachverständige reagierte nicht. Sachstandsanfragen des Klägers an das Landgericht vom 28. Februar, 25. Mai und 12. Juli 2012 blieben unbeantwortet. Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. August 2012 erhob der Kläger "Verzögerungsrüge gemäß § 198 GVG". Nachdem das Landgericht den Sachverständigen daraufhin unter dem 22. Oktober 2012 um Rückgabe der Akten gebeten und diese Mitte November 2012 erhalten hatte, teilte es dem Kläger mit Schreiben vom 24. Januar 2013 mit, dass die vermissten Röntgenbilder in den Akten aufgefunden worden seien. Gleichzeitig übersandte es die Akten an den Sachverständigen Prof. Dr. G.    mit der Bitte um bevorzugte Bearbeitung.

5

Noch bevor der Sachverständige sein Gutachten unter dem 27. Mai 2013 erstellt hatte, reichte der Kläger am 14. März 2013 die vorliegende Entschädigungsklage beim Oberlandesgericht ein.

6

Der Kläger hat geltend gemacht, das Verfahren sei bislang um sechs Jahre verzögert, weil der Rechtsstreit bereits seit dem Erstgutachten des Sachverständigen Dr. B.   entscheidungsreif gewesen sei. Die ihm zustehende Entschädigung für immaterielle Nachteile betrage auf der Basis des gesetzlichen Regelsatzes 7.200 €.

7

Das Oberlandesgericht hat den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile von 900 € verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass die Verfahrensdauer über den bei der zugesprochenen Entschädigung bereits berücksichtigen Zeitraum hinaus bisher um weitere vier Monate unangemessen war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

8

Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und zur Abweisung der Entschädigungsklage in vollem Umfang.

I.

10

Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

11

Nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (im Folgenden: ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) sei die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff GVG auf den noch beim Landgericht anhängigen Rechtsstreit anwendbar. Die Entschädigungsklage sei als Teilklage zulässig und teilweise begründet. Das Ausgangsverfahren weise bislang eine unangemessene und irreparable Dauer von insgesamt 13 Monaten auf.

12

In dem Zeitraum von Ende Mai 2011 bis Anfang Dezember 2011 liege eine Verzögerung von vier Monaten vor. Für die (erfolglosen) Nachforschungen bei den Parteien und dem Sachverständigen Dr. B.   nach dem Verbleib der vermeintlich fehlenden Röntgenbilder habe das Landgericht rund sechs Monate benötigt, während der hierfür noch als vertretbar anzusehende Zeitrahmen mit zwei Monaten anzusetzen sei.

13

Der nächste sachgerechte Verfahrensschritt sei mit der gerichtlichen Anfrage bei Prof. Dr. G.     vom 7. Dezember 2011 erfolgt. Das Landgericht habe jedoch nicht für eine umgehende Erledigung der Bitte um nochmalige Durchsicht der Akten gesorgt. Vielmehr habe der Kammervorsitzende erst mehr als zehn Monate später und zweieinhalb Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge die Akten am 22. Oktober 2012 von Prof. Dr. G.     zurückgefordert. Bei sachgerechtem Vorgehen hätte das Landgericht den Verbleib der Röntgenbilder bis Ende Januar 2012 klären können. Das Verfahren sei daher in diesem Abschnitt um weitere neun Monate verzögert worden.

14

Für die Folgezeit sei keine weitere Verzögerung festzustellen. Das Landgericht habe sich um eine bevorzugte Erledigung des Gutachtenauftrags bemüht. Dementsprechend habe der Sachverständige das Gutachten bereits im Mai 2013 fertig gestellt.

15

Die bisher eingetretene Verzögerung von insgesamt 13 Monaten könne bis zum Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens nicht mehr kompensiert werden. Die voraussichtliche Gesamtdauer der ersten Instanz von fast sieben Jahren stelle sich bereits jetzt als unangemessen lang dar.

16

Hinsichtlich der Verzögerung von vier Monaten, die bis zum Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 erfolgt sei, sei ein Entschädigungsanspruch des Klägers jedoch ausgeschlossen, weil die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich im Sinne von Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben worden sei. Insoweit sei jedoch nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GVG die unangemessene Verzögerung des Verfahrens festzustellen.

17

Für die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erfolgte Verzögerung von neun Monaten sei die regelmäßige Entschädigung von 100 € je Monat gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzubilligen. Art. 23 Satz 3 ÜGRG stehe dem nicht entgegen. Denn diese Vorschrift sei dahin auszulegen, dass das Unterlassen einer unverzüglichen Erhebung der Verzögerungsrüge einen Entschädigungsanspruch nur wegen des Zeitraums ausschließe, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liege. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs wahre die unverzüglich nachgeholte Verzögerungsrüge den Anspruch aus § 198 GVG so, als ob bereits zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG festgelegten Zeitpunkt gerügt worden wäre (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Dann aber dürften dem Betroffenen auch umgekehrt aus der Unterlassung der unverzüglichen Rügeerhebung keine weitergehenden Nachteile entstehen, als sie ihm entstanden wären, wenn das Institut der Verzögerungsrüge des § 198 Abs. 3 GVG bereits früher - als sich das Ausgangsverfahren vor Inkrafttreten des Gesetzes verzögert oder zu verzögern gedroht habe - bestanden hätte. Im Hinblick auf den in § 198 Abs. 3 Satz 2 genannten Zeitpunkt ("Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird") sei jedoch die Verspätung der Rüge grundsätzlich unschädlich, da die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht "bestraft" werden solle (BT-Drucks. 17/3802 S. 21).

II.

18

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

19

1. Für den Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge am 7. August 2012 steht dem Kläger kein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 GVG zu, weil es an einer unverzüglichen Rüge nach Art. 23 Satz 2 ÜGRG fehlt und in diesem Fall vor dem Rügezeitpunkt liegende Entschädigungsansprüche nach Art. 23 Satz 3 ÜGRG präkludiert sind.

20

a) Zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGRG auf den Streitfall Anwendung findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das am 20. Dezember 2006 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.

21

b) Die Entschädigungsklage konnte auch schon während des noch andauernden Ausgangsverfahrens erhoben werden. Aus § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG folgt, dass lediglich die hier unproblematische Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge gewahrt sein muss. Der Abschluss des Ausgangsverfahrens ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Dadurch hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass der Anspruch auf ein zügiges Verfahren schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verletzt werden kann und insoweit auch ein Entschädigungsanspruch in Betracht kommt (BT-Drucks. 17/3802 S. 22). Verfahrensrechtlich handelt es sich bei der Klage während des noch andauernden Ausgangsverfahrens regelmäßig um eine Teilklage, weil Entschädigung nur für einen bestimmten Abschnitt des Gesamtverfahrens verlangt wird (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 52, 252). Diese setzt voraus, dass unabhängig vom weiteren Verlauf des Ausgangsverfahrens bereits eine Entscheidung über den Entschädigungsanspruch getroffen werden kann. Dementsprechend müssen die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG vollständig erfüllt sein. Eine unangemessene und unumkehrbare Verzögerung des Ausgangsverfahrens sowie endgültig eingetretene Nachteile müssen feststehen. Daneben ist der Betroffene gehalten (haftungsbegründende Obliegenheit), eine Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 und 2 GVG wirksam zu erheben (Senatsurteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 27 ff). Für den frühestmöglichen Rügetermin verlangt das Gesetz einen (konkreten) Anlass zu der Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden kann.

22

c) Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGRG auf Altfälle angewandt, die am 3. Dezember 2011 bereits anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der Verzögerungsrüge durch Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die Verzögerungsrüge unverzüglich erhoben werden. Geschieht dies, so wahrt die Rüge den Anspruch aus § 198 GVG rückwirkend in vollem Umfang, das heißt so, als ob bereits zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG festgelegten Zeitpunkt gerügt worden wäre (Ott aaO Art. 23 ÜGRG Rn. 4, 6).

23

Die Verzögerungsrüge des Klägers vom 7. August 2012 ist nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhoben worden, obwohl das Verfahren zu diesem Zeitpunkt, was das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bereits um vier Monate verzögert war. Es wäre erforderlich gewesen, die Rüge binnen eines Zeitraums von längstens drei Monaten zu erheben.

24

"Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus gilt (Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 121 Rn. 3).

25

Soweit Art. 23 Satz 2 ÜGRG die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein sofortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu können, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121 BGB herausgebildete Obergrenze von zwei Wochen (dazu Palandt/Ellenberger aaO) beziehungsweise die zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar (vgl. BSG, NJW 2014, 253 Rn. 29; BFH, BeckRS 2013, 96642 Rn. 33, 35, 39, 42; OLG Bremen, NJW 2013, 2209, 2210; NJW 2013, 3109, 3110; OLG Karlsruhe, BeckRS 2013, 07833). Bei der Bemessung der gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird (BT-Drucks. 17/3802 S. 15). Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGRG). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Begriff der "Unverzüglichkeit" in Art. 23 Satz 2 ÜGRG weit zu verstehen. Eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes nur schwer vereinbar. Der erkennende Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (aaO Rn. 46) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu entsprechen, aber auch für ausreichend, damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist.

26

Diese großzügig bemessene Frist hat der Kläger mit seiner am 7. August 2012 eingegangenen Verzögerungsrüge deutlich verfehlt.

27

d) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts führt die gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG verspätete Verzögerungsrüge dazu, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer nicht nur bis zum Inkrafttreten des Gesetzes, sondern bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert sind. Der Kläger kann deshalb für die vom Oberlandesgericht bis zum 7. August 2012 angenommene Verzögerung von elf Monaten (vier Monate bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 und weitere sieben Monate bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge) keine Entschädigung verlangen.

28

Für dieses Ergebnis sprechen sowohl der Wortlaut und die Systematik des Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG als auch die Gesetzgebungsgeschichte sowie der Zweck der Regelung.

29

aa) Gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG muss die Verzögerungsrüge unter den dort genannten Voraussetzungen "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben" werden. Daran anknüpfend bestimmt Art. 23 Satz 3 ÜGRG, dass in diesem Fall die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den "vorausgehenden Zeitraum" wahrt. Damit ist ersichtlich der Zeitraum gemeint, der bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge verstrichen ist. Die Revision macht zu Recht geltend, dass sich der Satzbestandteil des "vorausgehenden Zeitraums" nach Wortlaut und Stellung unmittelbar auf die "Erhebung der Verzögerungsrüge" bezieht. Im Umkehrschluss folgt aus Art. 23 Satz 3 ÜGRG, dass bei verspäteter Rüge Entschädigungsansprüche nach § 198 GVG erst vom Rügezeitpunkt an entstehen können und für die Zeit davor Präklusion eintritt. Dieses Verständnis der Regelung entspricht auch der wohl einhelligen Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur (vgl. nur OLG Bremen, NJW 2013, 2209, 2210 und NJW 2013, 3109, 3110 mit eindeutigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen und lediglich missverständlich gefassten Leitsätzen; OLG Karlsruhe, BeckRS 2013, 07833; LSG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2013, 72538 und BeckRS 2013, 72539; Heine, MDR 2013, 1147; Ott aaO § 198 GVG Rn. 196 und Art. 23 ÜGRG Rn. 6).

30

bb) Soweit das Oberlandesgericht darauf abstellen will, dass im Falle des § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG eine Verspätung der Rüge grundsätzlich nicht relevant sei (dazu Ott aaO § 198 GVG Rn. 194 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 35 u. 41) und im Anwendungsbereich des Art. 23 Satz 3 ÜGRG nichts anderes gelten könne, wird außer Acht gelassen, dass beide Vorschriften unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben und sich nach Sinn und Zweck grundlegend unterscheiden.

31

§ 198 Abs. 3 Satz 2 GVG regelt den Zeitpunkt, zu dem die Verzögerungsrüge frühestens wirksam erhoben werden kann. Maßgeblich ist danach der Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird (Ott aaO § 198 GVG Rn. 186, 188). Die Verzögerungsrüge muss lediglich im laufenden Ausgangsverfahren erhoben werden, ohne dass ein Endtermin bestimmt und damit eine Frist für die Rüge festgelegt wird. Da nach dem Willen des Gesetzgebers die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll (BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 41), ist es nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG grundsätzlich unerheblich, wann die Rüge nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt wird. Dadurch soll das gesetzgeberische Ziel, keinen Anreiz für verfrühte Rügen zu schaffen, verwirklicht werden (Marx in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 135; Ott aaO § 198 GVG Rn.194).

32

Davon abweichend ist Anknüpfungspunkt für die Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG der spätestmögliche Zeitpunkt, zu dem eine Verzögerungsrüge erhoben werden muss (Ott aaO Art. 23 ÜGRG Rn. 4). Der für § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG maßgebliche Gesichtspunkt, dass die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll, spielt hier keine Rolle. Vielmehr muss der Betroffene innerhalb einer angemessenen Prüfungsfrist entscheiden, ob er die Verzögerungsrüge zur Rechtswahrung wegen bereits eingetretener Verzögerungen erhebt. Dies rechtfertigt es, dass bei nicht rechtzeitiger Rüge Ansprüche erst vom Rügezeitpunkt an begründet werden (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 196).

33

cc) Dieses Verständnis der Übergangsvorschrift wird durch die Entstehungsgeschichte der Entschädigungsregelung zusätzlich gestützt. In dem Referentenentwurf vom 15. März 2010 (abgedruckt bei Steinbeiß-Winkelmann/Ott aaO Anhang 5 S. 410 ff) wurde noch davon ausgegangen, dass ein Entschädigungsanspruch nur in Betracht komme, "soweit" die Verzögerungsrüge rechtzeitig zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG genannten Zeitpunkt erhoben werde, und dass die Entschädigung für den davor liegenden Zeitraum ausgeschlossen sei. Eine verspätete Rüge sollte dementsprechend zu einem Anspruchsverlust führen (Ott aaO § 198 GVG Rn. 194; Steinbeiß-Winkelmann aaO Einführung Rn. 224, 316).

34

Die mit Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG übereinstimmende Übergangsregelung in Art. 16 Satz 3 und 4 ÜGRG-RefE knüpfte daran an und sah bei einer verspäteten Rüge eine Kürzung des Entschädigungsanspruchs für den vor der Rüge liegenden Zeitraum vor (siehe auch Ott aaO § 198 GVG Rn. 196). Diese Bestimmung ist - anders als § 198 Abs. 3 Satz 1 und 2 GVG - im weiteren Gesetzgebungsverfahren inhaltlich nicht mehr verändert worden.

35

2. Für den Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge vom 7. August 2012 scheidet auch eine Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GVG aus. Nach dieser Vorschrift ist ein Feststellungsausspruch zur Verfahrensverzögerung trotz fehlenden Entschädigungsanspruchs nach dem Ermessen des Gerichts möglich, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 GVG nicht erfüllt sind. Da die Präklusionswirkung des Art. 23 Satz 3 ÜGRG jedoch nicht nur den Anspruch auf Geldentschädigung, sondern ohne Einschränkung alle Formen der Wiedergutmachung nach § 198 GVG erfasst, soweit sie sich auf Verzögerungen vor Rügeerhebung beziehen, findet § 198 Abs. 4 GVG im Streitfall keine Anwendung. Die Versäumung der Rügefrist hat zur Folge, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer vom Entschädigungsgericht nicht mehr überprüft wird.

36

3. Es kann dahin stehen, ob der Zeitraum von rund zwei Monaten zwischen der Erhebung der Verzögerungsrüge und der Rückforderung der Akten von dem Sachverständigen Prof. Dr. G.    am 22. Oktober 2012 - wie das Oberlandesgericht meint - sachlich nicht mehr gerechtfertigt war. Denn eine solche Verfahrenslücke wäre entschädigungsrechtlich ohne Relevanz.

37

Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs nach § 198 GVG an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG) wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 42, 55). Allzu "kleinteilige" Überlegungen sind bei der Bemessung der (noch) akzeptablen Verfahrensdauer verfehlt. Für die Anwendung eines eher größeren Zeitrahmens spricht auch, dass § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG die Entschädigungspauschale von 1.200 € für immaterielle Nachteile lediglich als Jahresbetrag ausweist und die Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG frühestens nach einem halben Jahr wiederholt werden kann (Schlick, Festschrift für Klaus Tolksdorf, S. 549, 555). Bei geringfügigen Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten, die gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht entscheidend ins Gewicht fallen, werden eine Geldentschädigung oder sonstige Wiedergutmachung daher regelmäßig nicht in Betracht kommen (Senatsurteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13, BeckRS 2014, 04692 Rn. 28; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10, juris Rn. 16; Steinbeiß-Winkelmann/Sporrer, NJW 2014, 177, 182 zur Frage einer "Geringfügigkeitsschwelle"). So liegt der Fall hier. Bei einem mehrjährigen Arzthaftungsprozess, der durch eine umfangreiche und kontroverse Beweisaufnahme mit Einholung mehrerer Gutachten und Gutachtenergänzungen gekennzeichnet ist, wahrt eine Verfahrensverzögerung von zwei Monaten noch den entschädigungslos hinzunehmenden Toleranzrahmen.

38

4. Dem Oberlandesgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, dass eine erstinstanzliche Verfahrensdauer von nahezu sieben Jahren schon für sich genommen als unangemessen einzustufen sei. Diese Betrachtungsweise lässt außer Acht, dass selbst bei einem mehrjährigen Verfahrenszeitraum dessen Angemessenheit nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Es ist unabdingbar, die einzelfallbezogenen Gründe zu untersuchen, auf denen die Dauer des Verfahrens beruht, und diese im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung umfassend zu würdigen und zu gewichten (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 40 f). Angesichts einer rechtlich relevanten Verzögerung von allenfalls zwei Monaten war deshalb die prognostizierte erstinstanzliche Gesamtverfahrensdauer von knapp sieben Jahren nicht geeignet, Entschädigungsansprüche zu begründen.

39

5. Den Ausführungen des Oberlandesgerichts, die eingetretenen Verzögerungen seien irreparabel, weil sie nicht mehr bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens kompensiert werden könnten, liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, die Kompensationsmöglichkeit einer etwaigen Verzögerung sei nur für die jeweilige Instanz zu untersuchen. Indes ist bei der abschließenden Gesamtwürdigung das gesamte Verfahren in den Blick zu nehmen und zu fragen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Prozesses kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 41; vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 37 und vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13, BeckRS 2014, 04692 Rn. 28). Dies kann auch dadurch geschehen, dass das zunächst verzögerte Verfahren in einer höheren Instanz besonders zügig geführt wird (Heine, MDR 2013, 1081, 1085; Ott aaO § 198 GVG Rn. 101).

III.

40

Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO).

41

Die Sache ist zur Endentscheidung reif, so dass der Senat die Klage insgesamt abweisen kann (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Schlick                     Wöstmann                    Tombrink

              Remmert                        Reiter

22
5. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die am 30. Dezember 2011 eingegangene Verzögerungsrüge sei nicht "unverzüglich" im Sinne von Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben worden, wird von der Revision zu Recht beanstandet. Diese Frage hat der Senat - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - mit Urteil vom 10. April 2014 (III ZR 335/13, NJW 2014, 1967) grundlegend dahin entschieden, dass eine Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht einging. Da die neue Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 in Kraft getreten ist, lag die Verzögerungsrüge noch innerhalb der dem Kläger eingeräumten Zeitspanne.

Tatbestand

1

A. Die Klägerin begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 10. November 2006 (Klageeingang beim Finanzamt --FA--) bis zum 26. März 2013 (Zustellung des Urteils) vor dem Hessischen Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der im Klageverfahren verstorbene Ehemann (E) der Klägerin war als Bürgermeister einer Stadt im Jahre 1987 wegen versuchter umweltgefährdender Abfallbeseitigung angeklagt worden. Er wurde Ende 1996 durch ein Urteil des zuständigen Landgerichts verwarnt und mit einer Geldbuße in Höhe von 3.000 DM belegt. Nach seiner Verurteilung legte er wegen der langen Verfahrensdauer zunächst Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und anschließend Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Im Jahr 2001 entschied der EGMR, neun Verhandlungsjahre seien im Vergleich zum Strafmaß nicht zu rechtfertigen und stellten folglich einen Verstoß gegen Art. 6 § 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten dar. E wurde deshalb neben einem Betrag von 10.000 DM für immaterielle Schäden ein Betrag von weiteren 15.000 DM für Auslagen und Gerichtskosten zugesprochen.

3

Für die Vertretung im Verfahren vor dem BVerfG entstanden Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen in Höhe von 28.681 DM und im Verfahren vor dem EGMR solche in Höhe von 20.050,72 DM, wovon 12.518,72 DM im Jahr 2000 in Rechnung gestellt und bezahlt wurden.

4

Die Klägerin und der mit ihr zusammen zur Einkommensteuer veranlagte E machten unter Anrechnung des vom EGMR ausgeurteilten Betrages von 15.000 DM die Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1997 geltend. Das FA erkannte diese Aufwendungen weder als außergewöhnliche Belastungen noch als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des E an.

5

Nach erfolglosem Vorverfahren reichten die Klägerin und E die Klageschrift am 10. November 2006 beim FA ein, die an das FG weitergeleitet wurde. Bis zum 19. Februar 2008 wurden Schriftsätze der Beteiligten ausgetauscht.

6

Am 5. November 2008 bat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin um Mitteilung, wann mit einem Fortgang des Verfahrens zu rechnen sei. Der Berichterstatter verfügte unter Verwendung eines entsprechenden Formulars, dass aufgrund zahlreicher vorrangig zu bearbeitender anderer Streitsachen derzeit leider noch nicht absehbar sei, wann im Ausgangsverfahren eine Entscheidung anstehe. Eine erneute Sachstandsanfrage der Prozessbevollmächtigten vom 8. Dezember 2009 wurde entsprechend formularmäßig beantwortet.

7

Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2010 verzichteten die Klägerin und E aufgrund eines Telefonats ihres Prozessbevollmächtigten mit dem Berichterstatter des FG vom gleichen Tag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Am 12. Oktober 2010 ging die Verzichtserklärung des FA beim FG ein, die dem Prozessbevollmächtigten am 13. Oktober 2010 übersandt wurde.

8

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011 wies das FG die Beteiligten auf die geänderte Rechtsprechung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Abziehbarkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen hin. Der sich hieran anschließende Schriftwechsel der Beteiligten endete mit Übersendung des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten vom 31. Oktober 2011 an das FA am 8. November 2011.

9

Mit Schreiben vom 22. November 2011 erhoben die Klägerin und E "vorsorglich die Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG)". Gleichzeitig übersandten sie eine Kopie des Beschlusses des BVerfG vom 13. Februar 1997  2 BvR 135/97, den das FG bereits mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 angefordert hatte. Am 6. Dezember 2011 ergänzten die Prozessbevollmächtigten ihre bisherigen Stellungnahmen.

10

Am 4. Juni 2012, beim FG eingegangen am 6. Juni 2012, wiederholten die Prozessbevollmächtigten ihre "bereits geltend gemachte Verzögerungsrüge" und erkundigten sich am 14. Dezember 2012 beim FG erneut nach dem Stand des Verfahrens.

11

Das FG teilte den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 21. Dezember 2012 mit, mit einer Entscheidung sei voraussichtlich im 1. Quartal 2013 zu rechnen. Mit Urteil vom 19. März 2013, das den Prozessbevollmächtigten am 26. März 2013 zugestellt worden ist, wies das FG die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zwischenzeitlich zurückgewiesen worden (BFH-Beschluss vom 11. Oktober 2013 VI B 41/13, nicht veröffentlicht).

12

Am 3. Mai 2013 haben die Klägerin und E die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Sie weisen darauf hin, die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Finanzgerichtsverfahren betrage nach einer Statistik des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich 17,5 Monate. Im vorliegenden Verfahren hätten die Klägerin und E gerade unter dem Eindruck der zu Gunsten des E ergangenen Entscheidung des EGMR und des hohen Alters der Kläger eine zügige Entscheidung erwarten können.

13

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, ihr, auch als Alleinerbin des verstorbenen E, wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen FG 12 K 3431/06 eine Entschädigung in Höhe von 8.400 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

15

Das Verfahren habe zwar insgesamt fünf Jahre und vier Monate keine Förderung durch das Gericht erfahren. Allerdings sei die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) erhoben worden. Relevant sei allein die am 6. Juni 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge. Somit sei die Zeit vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 ohne Belang. Ggf. könne eine Rückwirkung dieser Verzögerungsrüge bis zum Inkrafttreten angenommen werden. Deswegen komme allenfalls eine Entschädigung in Höhe von 1.200 € für die neun Monate ab Zugang der Verzögerungsrüge am 6. Juni 2012 und die Hälfte der sechs Monate bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG in Frage.

Entscheidungsgründe

16

B. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

17

Die Klage ist zulässig, da sie mehr als sechs Monate nach der (letzten) Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012, aber noch vor Rechtskraft der finanzgerichtlichen Entscheidung (§ 198 Abs. 5 Satz 2 GVG) erhoben worden ist. Das Urteil wurde mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 Abs. 5 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Beschluss vom 11. Oktober 2013 rechtskräftig.

II.

18

Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Soweit diese unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens den Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 betrifft, kann weder eine Entschädigung in Geld noch die Feststellung der Unangemessenheit ausgesprochen werden, da es an der nach Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nötigen unverzüglichen Rügeerhebung fehlt (dazu unter 1.). Für den Zeitraum ab der Rügeerhebung vom 4. Juni 2012 steht der Klägerin auch als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 1.200 € zu (dazu unter 3.).

19

1. Für den Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 steht der Klägerin --auch als Alleinerbin des E-- weder ein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG noch eine Feststellung der überlangen Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu, da eine unverzüglich i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhobene Rüge nicht vorliegt. Diese Ansprüche sind deshalb präkludiert.

20

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. Für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG bereits verzögert waren, gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich" nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). Weder die Rüge vom 22. November 2011 (unter aa) noch die vom 4. Juni 2012 erhobene Rüge (unter bb) werden dieser Voraussetzung gerecht. Der Senat kann demzufolge eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG für den Zeitraum bis zum 6. Juni 2012 (unter cc) nicht aussprechen.

21

aa) Die am 22. November 2011 erhobene "vorsorgliche Verzögerungsrüge" kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tag nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Eine bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht (so auch Senatsurteil vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.b).

22

bb) Die Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 wurde nicht mehr "unverzüglich nach Inkrafttreten" i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhoben.

23

Der Senat hat bereits entschieden, dass im Rahmen der gebotenen normspezifischen Auslegung des in Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG verwendeten Begriffs "unverzüglich" ein Zeitraum von drei Monaten als sachgerecht anzusehen ist (so schon Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.d; insoweit folgend auch Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 10. April 2014 III ZR 335/13, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 1967; ebenso BGH-Urteil vom 17. Juli 2014 III ZR 228/13, NJW 2014, 2588). Dieser Zeitraum ist vorliegend überschritten.

24

b) Folge der nicht "unverzüglich nach Inkrafttreten erhobenen" Verzögerungsrüge ist nach Ansicht des Senats, dass zunächst die Zuerkennung einer Geldentschädigung vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG entfällt (vgl. Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.b). Nach Ansicht des BGH in NJW 2014, 1967, unter II.1.d aa soll darüber hinaus ein solcher Anspruch nach § 198 GVG für den Zeitraum, der vom Inkrafttreten bis zur Erhebung einer solchen Verzögerungsrüge verstrichen ist, ausgeschlossen sein; dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss aus Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG. Mit Rücksicht auf diese Entscheidung und zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes schließt sich der Senat dieser Rechtsansicht an und hält an seiner im Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12 (BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547) geäußerten Rechtsansicht im Anwendungsbereich des Art. 23 ÜberlVfRSchG nicht weiter fest.

25

Folglich ist hier eine ggf. vorliegende Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer für die Zeit vor der Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 nicht möglich.

26

2. Bezogen auf den Zeitraum ab Erhebung der Verzögerungsrüge war die Dauer des Ausgangsverfahrens unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich auf sechs Monate.

27

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG (vgl. hierzu und zum Begriff der Angemessenheit im Finanzgerichtsverfahren ausführlich Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.2.).

28

b) Nach diesen Grundsätzen ist das Ausgangsverfahren für den Zeitraum nach Erhebung der Verzögerungsrüge um sechs Monate in unangemessener Weise verzögert worden.

29

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

30

Der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens war als eher überdurchschnittlich anzusehen. Einerseits waren Aufwendungen im Zusammenhang mit Rechtsanwaltskosten bei einem Verfahren vor dem EGMR zu beurteilen, für die eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vorlag. Zum anderen befand sich die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen, wenn auch den Zivilprozess betreffend, im Fluss.

31

Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens war für die Klägerin und E erheblich. Zum einen waren beide Eheleute bei Klageerhebung im Ausgangsverfahren hoch betagt und zum anderen hatten sie bereits ein Verfahren vor dem EGMR wegen eines überlangen Strafverfahrens anstrengen müssen. Verständlicherweise war ihr Wunsch nach endgültiger Klärung der Streitigkeiten groß, zu denen aus ihrer Sicht auch der Finanzgerichtsprozess um die Anerkennung der Rechtsanwaltsgebühren als Annex zu dem vorangegangenen Strafverfahren und den Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR zu zählen ist.

32

bb) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer in Bezug auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 unangemessen ist, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

33

Im Juni 2012 hatte das Ausgangsverfahren bereits fünfeinhalb Jahre gedauert. Faktisch hat es bis zu diesem Zeitpunkt geruht und wurde --trotz der Verzögerungsrüge am 4. Juni 2012-- erst dadurch aufgenommen, dass das FG im Dezember 2012 eine Entscheidung im 1. Quartal 2013 in Aussicht stellte. Demgemäß ist im Zeitraum von Juni 2012 bis November 2012 (insgesamt sechs Monate) eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens eingetreten.

34

3. Für die Verzögerung des Verfahrens von der Erhebung der Verzögerungsrüge vom 4. Juni 2012 bis zum November 2012 ist der Klägerin eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 1.200 € zuzusprechen.

35

a) Das Entstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.6.a).

36

b) Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG wäre im Streitfall für die unangemessenen Verzögerungszeiträume ab Inkrafttreten des Gesetzes nicht ausreichend. Dafür spricht vor allem, dass das FG auf die zahlreichen Versuche der Klägerin und des E, es zu einer Entscheidung innerhalb angemessener Frist zu bewegen, gar nicht reagiert und ihnen nicht einmal einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat, ab dem mit einer Verfahrensförderung zu rechnen sei. In diesem Fall ist offensichtlich, dass die Klägerin und E aus nachvollziehbaren Gründen an einer zügigen Entscheidung interessiert und infolgedessen von der Verfahrensverzögerung in stärkerem Maße betroffen waren.

37

c) Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich weder aus dem hohen Alter der Klägerin und des E noch daraus, dass dieses Ausgangsverfahren seinen Ursprung in einem erfolgreichen Verfahren vor dem EGMR hatte.

38

Auch wenn im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, kann dieser im konkreten Fall nach Monaten bemessen werden (ebenso bereits Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179).

39

d) Der Klägerin ist für den erlittenen immateriellen Nachteil für sich und E jeweils ein Entschädigungsbetrag von 600 € zu zahlen.

40

aa) Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Er ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht dementsprechend jeder Person zu, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist (weiterführend: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014  5 C 1/13 D, Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3). Verfahrensbeteiligt waren bei Klageerhebung die Klägerin und ihr während des Klageverfahrens verstorbener Ehemann, als dessen Alleinerbin die Klägerin das Klageverfahren fortführt.

41

bb) Der Entschädigungsanspruch des E ist vererblich, entspricht die Entschädigung doch einem Schadensersatzanspruch für immaterielle Schäden (zur Vererblichkeit eines solchen Anspruchs vgl. nur Palandt/Heinrichs, § 253 BGB Rz 22, m.w.N.).

42

Diese Vererblichkeit wird auch nicht durch die Regelung in § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ausgeschlossen (so auch Zöller/ Lückemann, ZPO, 30. Aufl., § 198 GVG, Rz 11, unter Hinweis auf Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rz 267). Zwar bestimmt diese Vorschrift, dass "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage (...) der Anspruch nicht übertragbar (ist)". Diese Vorschrift, die § 13 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nachgebildet worden ist, soll jedoch allein die Pfändbarkeit nach § 851 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und damit den Handel mit dem Anspruch verhindern (vgl. BTDrucks 17/3802, 36).

43

4. Der Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

44

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

45

Die Klägerin und E haben eine Entschädigung in Höhe von 8.400 € beantragt.

46

Der Klägerin ist --auch als Alleinerbin des E-- eine Entschädigung in Höhe von 1.200 € zuzusprechen, so dass sie zu 1.200/8.400, also zu 1/7 obsiegt hat.

47

6. Mit Einverständnis der Beteiligten (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 155 Satz 2 FGO) hat der erkennende Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.