EuGH: Arbeitgeber darf das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz verbieten

erstmalig veröffentlicht: 17.08.2021, letzte Fassung: 19.10.2022

Der EuGH hat Mitte Juli zwei wegweisende Entscheidungen zum Thema Kopftuch am Arbeitsplatz gesprochen. Danach kann der Arbeitgeber das Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz verbieten, sofern er ein „wirkliches Bedürfnis“ nachweisen kann. Der Arbeitgeber muss durch den Umstand, dass seine Arbeitnehmer religiöse Symbole tragen, Nachteile erleiden. Das ist der Fall, wenn die unternehmerische Freiheit beeinträchtigt ist. Anders als bei den bisher vor den BVerfG diskutierten Fällen, stand nicht der Staat einer Privatperson gegenüber, sondern ein Unternehmen.

Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

 

Entscheidungen des BVerfG zum Kopftuch am Arbeitsplatz 

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich bereits in der Vergangenheit mit der Frage, wann das Tragen religiöser Symbole, insbesondere das Tragen eines Kopftuches am Arbeitsplatz verboten werden darf. 

Eine Entscheidung betraf die hessische Landesreform, die das Tragen religiöser Symbole im Referendariat untersagte. Beschwerdeführerin war eine Rechtsreferendarin im Land Hessen, die sich gegen die Verwaltungspraxis, das das Verbot umfasste, bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten ein Kopftuch zu tragen, wehren wollte. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der Eingriff in die Religionsfreiheit der Beschwerdeführerin gerechtfertigt sei. 

So hatte auch das Landesarbeitsgericht einer muslimischen Lehrerin im November 2018 5159 Euro Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zugesprochen, nachdem sie wegen ihres Kopftuches im Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigt wurde. Das BAG wies die Revision des Landes Berlin gegen das Urteil zurück und entschied, dass die Muslimin wegen ihrer Religion diskriminiert worden ist (BAG, Urteil vom 27.08.2020 - 8 AZR 62/19).

In einer anderen Entscheidung beschäftigten sich die Richter des höchsten deutschen Gerichts mit § 57 Abs. 4 S. 1 und S. 2 des nordrhein-westfälischen Schulgesetz, wonach Lehrerinnen und Lehrer keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen äußeren Bekundungen abgeben dürfen, die die Neutralität des Landes gegenüber Schüler:innen und Eltern gefährden oder stören. Hier entschied das BVerfG, dass eine pauschale Untersagung des Tragens eines Kopftuches sowie die Bevorzugung christlicher Werte und Traditionen verfassungswidrig ist. 

Die Neutralitätspflicht des Staates 

In allen Fällen standen sich Staat und Privatperson gegenüber. Ein für das Abwägungsergebnis ausschlaggebendes Kriterium war deshalb das Neutralitätsgebot des Staates. Der Staat soll eine Heimat für alle Bürger sein und muss deshalb gegenüber allen Weltanschauungen und Religionen neutral bleiben, was miteinschließt, dass er sich weder mit einer Religion noch mit einer Religionsgemeinschaft identifizieren darf. Demnach müssen auch staatliche Arbeitnehmer, die als Repräsentanten des Staates in die Öffentlichkeit treten, das staatliche Neutralitätsgebot einhalten und auf das Tragen religiöser Symbole verzichten.

Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und Religionsfreiheit

Die Entscheidungen des EuGHs betreffen jedoch – anders als die eben erläuterten Entscheidungen des BVerfG - nicht das Spannungsverhältnis zwischen Religionsfreiheit und Neutralitätsgebot. Weil hier nicht der Staat, sondern ein Privatunternehmen einer Privatperson gegenübersteht, muss vielmehr die Religionsfreiheit des Arbeitnehmers mit der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers abgewogen werden. Im Unterschied zu der Konstellation, in der sich der Staat und der Arbeitnehmer gegenüberstehen, ist der Arbeitgeber nicht zur Neutralität verpflichtet.

Wie kam es zur Entscheidung des EuGHs?

Gegenstand der beiden Entscheidungen des EuGHs ist das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz und die Frage inwieweit die Weisungsbefugnis eines privaten Arbeitgebers reicht. 

Klägerin im ersten Verfahren (C-804/18) war eine muslimische Angestellte einer überkonfessionellen Kindertagesstätte in Hamburg, die im Jahr 2016 die Entscheidung traf, das islamische Kopftuch als Glaubensbekenntnis auch am Arbeitsplatz zu tragen. Nachdem der gemeinnützige Verein WABE, der unter anderem auch die besagte Kita führt, im Jahr 2018 das Tragen sichtbarer politischer, weltanschaulicher und religiöser Zeichen für alle Mitarbeiter untersagte, weigerte sich die Muslimin, ihre Kopfbedeckung abzunehmen. Es folgte eine Abmahnung und schließlich die Klage der Frau vor dem Arbeitsgericht Hamburg.

Das zweite Fall (C-341/19) betraf eine muslimische Arbeitnehmerin der Drogeriekette „Müller“. Die Kassiererin trug nach ihrer Rückkehr von der Elternzeit ein Kopftuch. Nachdem sie zunächst von ihrer Vorgesetzen auf die Kleiderordnung, die Kopfbedeckungen aller Art für Angestellte mit Kundenkontakt verbietet, aufmerksam gemacht worden ist, reichte sie Klage beim zuständigen Gericht ein. Noch während des Verfahrens und nach einer Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz desselben Unternehmens, erhielt sie erneut die Anweisung keine auffälligen, großflächigen, politischen weltanschaulichen oder religiösen Zeichen zu tragen. Der Arbeitgeber hatte eine mit einem entsprechenden Verbot ausgestaltete Dienstanweisung in Form einer Leitlinie in seinem Unternehmen aufgestellt, um – nach eigenen Angaben - unternehmensinterne, soziale Konflikte zu vermeiden, welche in der Vergangenheit in Zusammengang mit Politik, Weltanschauung und Religion aufgetreten sind. 

Deutsche Gerichte bitten EuGH um Hilfe

Sowohl das Arbeitsgericht Hamburg als auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt riefen den EuGH an und legten ihm mehrere Fragen zur Vorabscheindung vor. Zum einem handelte es sich um die Frage, ob das das Europarecht in Hinblick auf die Mindestschutzklausel des Art. 8 I der 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) einer deutschen Regelung entgegenstehe, nach der zum Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit ein Verbot religiöser Bekleidung nicht schon aufgrund einer abstrakten Eignung zur Gefährdung der Neutralität des Arbeitgebers, sondern nur aufgrund einer hinreichend konkreten Gefahr gerechtfertigt werden kann. Es handelt sich also um die Frage, ob die nationale Rechtsprechung, die ein Kopftuchverbot - anders als der EuGH - nur bei Feststellung einer hinreichend konkreten Gefahr als gerechtfertigt ansieht, dem Unionsrecht entgegensteht. 

Der BAG wollte zudem wissen, ob eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG, aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens nur dann angemessen ist, wenn nach dieser Regel das Tragen jeglicher sichtbarer und nicht nur das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verboten ist. Der EuGH entschied nämlich bereits am 14. März 2017, in dem sogenannten „Achbita-Urteil“ (C-157/15), dass ein Verbot des Tragens religiöser Zeichen, Symbole und Bekleidung in privaten Unternehmen nur dann zulässig ist, wenn alle religiösen Zeichen von dem Verbot umfasst sind, und das Verbot eine, für alle in Kundenkontakt stehenden Angestellten, geltende Regel darstellt sowie Teil einer allgemeinen Unternehmenspolitik ist. 

Weitere Fragen betrafen das Verständnis der in Art. 10 GRCH normierten Religionsfreiheit und der in Art. 16 GRCH normierten unternehmerischen Freiheit sowie deren Verhältnis zum nationalen Recht.

Ist in einem nationalen Gerichtsverfahren unklar, wie europäisches Recht auszulegen ist oder nicht eindeutig, ob das europäische Recht Anwendung findet, kann ein deutsches Gericht diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen (vgl.  § 267 AEUV).

Verbot muss für alle unterschiedslos gelten

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz verbieten darf. Dies stelle dann keine unmittelbare Diskriminierung wegen Religion oder Weltanschauung dar, wenn die Vorschrift allgemein ist und alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen betrifft. Eine unmittelbare Diskriminierung kommt bei einem entsprechenden Verbot also nur dann in Betracht, wenn nicht alle Symbole gleichermaßen verboten werden, sondern zum Beispiel nur das islamische Kopftuch, die jüdische Kippa oder das Kreuz von dem Verbot umfasst sind. Dabei betonte der EuGH, dass Größe des Symbols unbedeutend ist - Es müssen entweder alle religiösen Zeichen verboten werden oder gar keine. 

Will der Arbeitgeber gegenüber den Kunden seines Unternehmens neutral auftreten oder soziale Konflikte vermeiden, kann dies ein „wirkliches Bedürfnis“ begründen. 

Arbeitgeber muss wirkliches Bedürfnis nach Neutralität nachweisen

Weiterhin ist erforderlich, dass der Arbeitgeber ein „wirkliches Bedürfnis“ zur Umsetzung des Verbotes nachweisen kann. Ein „wirkliches Bedürfnis“ könne sich daraus ergeben, dass ansonsten die Ausübung der unternehmerischen Freiheit gefährdet oder beeinträchtigt wäre. Ein solches Bedürfnis könne sich ebenfalls daraus ergeben, dass der Arbeitgeber gegenüber seinen Kunden politisch, weltanschaulich oder religiös neutral auftreten möchte. Das Verbot muss zudem „konsequent und systematisch“ durchgesetzt werden.

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