Verfassungsrecht: Privilegien für Genesene? - Folgen eines Immunitätsnachweises im Zuge der COVID-19 Pandemie

erstmalig veröffentlicht: 22.05.2020, letzte Fassung: 19.10.2022

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Zusammenfassung des Autors

Ist die Idee eines Immunitätsnachweises eine durchdachte politische Lösung für ein drängendes Problem? Oder ist der Nachweis gesellschaftsspaltend, unsozial und sogar verfassungswidrig?
Zurzeit wird in Deutschland im Zuge der COVID-19 Pandemie über die Einführung eines Immunitätsnachweises diskutiert. Im Folgenden wird ein solcher Nachweis kritisch hinterfragt und mögliche gesellschaftliche Folgen dargestellt.

 

Mit Einführung eines Immunitätsdokuments sollen Bürger*innen nachweisen können, dass von ihnen keine Infektionsgefahr ausgeht. 
Die Regelung solle dann für alle Arten von Krankheiten gelten, nicht nur für den Covid-19-Virus. 
Der Nachweis soll den Namen der Krankheit, das Datum der Feststellung der Immunität und ihre voraussichtliche Dauer enthalten, sowie die Testmethode und den Namen des Arztes, der die Immunität festgestellt hat.

Jedoch sollte die Einführung eines solchen Nachweises scharf diskutiert werden

Schließlich besteht die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft in Statusinhaber und Statuslose und somit die Verstärkung sozialer Unterschiede. Denn jeder Status eignet sich als Anlass für Unterscheidungen und daraus folgende Diskriminierungen.
Ein inneres Gefühl des zwangsläufigen Benötigens eines Immunitätsnachweises würde für viele Bürger*innen entstehen. Da sie ohne Immunitätsdokument der Gefahr von konkreten Diskriminierungen im Alltag nicht entgehen könnten. Ein drastisches, aber durchaus mögliches Beispiel wäre etwa eine Einlasskontrolle bei Veranstaltungen. Frei nach dem Motto: „Einlass nur mit Immunitäts-Ausweis!“. Somit wäre ein Immunitätsnachweis eine mittelbare Verpflichtung immun zu werden, um ohne negative Auswirkungen am gesellschaftlichen Leben wie gewohnt teilnehmen zu können.

Impfpflicht in Kitas und Schulen

Auch die neu geltende Impflicht für Kinder in Kitas und Schulen zum Schutz vor hoch ansteckenden Masern wird scharf kritisiert. Und insbesondere unter einem verfassungsrechtlichen Standpunkt infrage gestellt.
Diese Impflicht beinhaltet, dass Eltern nun vor der Aufnahme in Kita oder Schule nachweisen müssen, dass ihre Kinder geimpft sind. Für die Kinder, die schon zur Kita oder zur Schule gehen, muss der Nachweis bis zum 31. Juli 2021 erfolgen. Kinder ohne Masernimpfung können vom Besuch einer Kita ausgeschlossen werden.
Mehrere Eltern haben beim Bundesverfassungsgericht Eilanträge und Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zur Masern-Impfpflicht eingereicht. Sie sehen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder, das Erziehungsrecht der Eltern und Gleichheitsgrundsätze verletzt. Die Impfpflicht lasse eine selbstbestimmte Entscheidung auf Basis sachgerechter, unabhängiger und neutraler Informationen nicht mehr zu.

Immunitätsnachweise und Impflichten sollten immer hinterfragt werden! 

Sie bringen zwangsläufig Unterscheidungen und Freiheitseinschränkungen mit sich, welche nicht nur unerheblich in Grundrechte eingreifen. Solche Entwicklungen sollten in einer freiheitlichen Demokratie nicht ohne Weiteres hingenommen werden und genaustens anhand rechtlicher, sozialer und politischer Normen bewertet werden.
Denn jeder Status droht die Gesellschaft noch weiter zu spalten. In Statusinhaber und Statuslose, Immune und potentiell Infizierte. Das soziale Misstrauen würde in einer Zeit wachsen, in der innerer Zusammenhalt essentiell ist, um die Herausforderungen gemeinsam bewältigen zu können.

Die konkreten Pläne für einen Immunitätsausweis im Zuge der COVID-19 Pandemie sind vorerst gestoppt. 
Wir werden die weiteren Entwicklungen diesbezüglich selbstverständlich mit Besonnenheit beobachten und Sie über neuste Entwicklungen informieren.

 

Haben Sie Fragen zum Thema Verfassungsrecht oder zu konkreten Rechten im Zuge der COVID-19 Maßnahmen? Nehmen Sie Kontakt zu den Rechtsanwälten bei Streifler & Kollegen auf und lassen sich fachkundig beraten.

 

 

 

[S.F.]

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