Verfassungsrecht: Kontroverse um den Begriff “Rasse” in Art. 3 GG - Verfassungsänderung?

erstmalig veröffentlicht: 14.07.2020, letzte Fassung: 19.10.2022

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Zusammenfassung des Autors

Unser Grundgesetz verbietet eine Diskriminierung aufgrund der „Rasse“ eines Menschen. Doch gibt es überhaupt menschliche „Rassen“? Ist der Begriff für sich nicht schon rassistisch? Durch welche Begriffe könnte das Wort ersetzt werden?
Diese Fragen werden im folgenden Artikel diskutiert. Zudem wird untersucht unter welchen Voraussetzungen eine solche Änderung überhaupt möglich wäre.

I. Um welche Kontroversen geht es?

Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai 2020 entstand auch in Deutschland eine starke Auseinandersetzung zum Thema Rassismus. Um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen und diesem aktiv entgegenzuwirken, strebt die Bundestagsfraktion der Grünen eine Grundgesetzänderung des Art. 3 (3) 1 GG an.

Art. 3 des Grundgesetzes lautet:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Konkret geht es um den Begriff „Rasse“ in Absatz (3). Gefordert wird eine Streichung des Begriffs aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 (3) 1 GG.
Nach Art. 3 (3) 1 GG darf niemand wegen seiner „Rasse“ benachteiligt oder bevorzugt werden. Das Problem ist, dass der Begriff „Rasse“ an sich aus verschiedenen Gründen sehr umstritten ist. Doch aus welchen Gründen?

 

II.  Aus welchen Gründen ist der Begriff bei Menschen problematisch?

In der Wissenschaft ist es mittlerweile Konsens, dass das Konzept der Rasse nicht auf den Menschen passt. Der Begriff suggeriert, dass "Rassen" anhand biologischer Eigenschaften erkennbar und mit ihnen bestimmte Charakteristika verbunden sind. Diese Verschiedenheiten sind bei den Menschen - anders als bei Tieren - aber eben nicht vorhanden. Es gibt bei den Menschen keine verschiedenen "Rassen". Wir gehören alle, wenn man den Begriff überhaupt verwenden möchte, derselben "Rasse" an: Mensch!

Die Historie der Verwendung des Begriffs geht unter anderem auf den Nationalsozialismus zurück. Denn die Rassentheorien, die von den Nationalsozialisten befürwortet wurden, wurden verwendet um Klassifizierungen von Menschen vorzunehmen, verbunden mit einer Besser- und Schlechterstellung und einer Über- und Unterordnung. 
Von Menschenrechtlern wird schon länger kritisiert, dass die Begrifflichkeit in Art. 3 GG das Konzept menschlicher „Rassen“ alsakzeptabel erscheinen lasse. 
Wenn Betroffene geltend machen wollen, dass sie rassistisch diskriminiert wurden, zwingt sie das Grundgesetz dazu, sich eben selbst einer solchen „Rasse“ zuzuordnen. Obwohl die Betroffenen sich gerade dagegen wehren wollen. Es trete genau das Gegenteil vom gewünschten Zweck ein: Rassistisches Denken könnte durch die Formulierung sogar gefördert werden, da der Begriff die Existenz von verschiedenen menschlichen "Rassen" vortäuscht.
Aber wie bereits festgestellt: Es gibt überhaupt keine menschlichen „Rassen“!

 

III. Wie geht es weiter: Begriff ersatzlos streichen oder ersetzen?

Was soll mit dem Begriff geschehen? Soll der Begriff „Rasse“ ersatzlos gestrichen werden oder mit einem neuen Begriff ersetzt werden? In jedem Fall darf der Schutz für Betroffene von rassistischen Diskriminierungen nicht vermindert werden. Deshalb kommt eine ersatzlose Streichung nicht in Betracht. Stattdessen gibt es verschiedene Vorschläge für einen neuen Begriff:
Zum Beispiel wird die Formulierung „ethnische Herkunft“ diskutiert, aber auch eine Änderung in „rassistische Gründe“. Ein weiterer Vorschlag ist, den Begriff „Rasse“ durch die Formulierung „rassistische Zuschreibungen“ zu ersetzen. In der Wissenschaft wird auch der Begriff "biogeografische Herkunft" verwendet. 
Dagegen schlagen die Grünen konkret vor, den Absatz wie folgt zu formulieren: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden." Angefügt werden soll zudem der Satz: "Der Staat gewährleistet Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."

Es gäbe viele Möglichkeiten den Begriff „Rasse“ zu ersetzen. Doch kann eine solche Änderung des Grundgesetzes überhaupt vorgenommen werden?

 

IV. Wie kann das Grundgesetz geändert werden?

Grundsätzlich ist es durchaus möglich das Grundgesetz zu verändern. Ausgenommen sind alle Änderungen, die den bundesstaatlichen Aufbau in Länder oder die grundsätzliche Mitwirkung der Bundesländer bei der Gesetzgebung korrigieren sollen. Unzulässig sind auch die Änderungen der Grundsätze der Art. 1 GG und Art. 20 GG. Grundlage hierfür ist die sogenannte Ewigkeitsgarantie des Art. 79 (3) GG.  
Für das verbleibende Grundgesetz gilt, dass es als Bundesverfassung nur mit den Stimmen von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages und mit zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates geändert werden kann.
Eine Änderung ist somit durchaus möglich, die Anforderungen sind aber entsprechend hoch.

Eine mögliche andere Formulierung des Begriffs „Rasse“ in Art. 3 (3) 1 GG sollte daher von einem Rat aus Verfassungsrechtlern, Wissenschaftlern und anderen Experten und Expertinnen erarbeitet werden. Ihre Vorschläge würden dann im Bundestag und im Bundesrat diskutiert werden. Diesen müssen dann zwei Drittel der Mitglieder des Bundetages und des Bundesrates zustimmen. 

 

V. Fazit

Aufgrund der vorangestellten Argumente, ist eine Änderung unumgänglich. Durch eine Änderung des Begriffs der „Rasse“ würde kein Schutz verloren gehen. Es würde den Schutz des Art. 3 (3) 1 GG eher verstärken! Ein neuer Begriff würde die Gesellschaft besser repräsentieren ohne sie in unhaltbare und dazu wissenschaftlich bestätigt falsche Kategorien der „Rasse“ einzuordnen. Zudem würde der Schutzbereich des Art. 3 (3) 1 GG neutraler und auch ein Stückmenschlicher formuliert werden. Betroffene müssen sich nicht mehr gezwungen fühlen, sich dem Begriff der „Rasse“ unterzuordnen. Es ist wichtig, Vorurteile und Benachteiligungen aufgrund von konstruierten menschlichen „Rassen“ aus der Welt zu schaffen und für eine echte Gleichbehandlung einzutreten. Nur so kann der Staat den Schutz durch Art. 3 GG gewährleisten. 

Es ist zu erwarten, dass aufgrund der gesellschaftlichen und medialen Debatte auch mit einer konkreten Diskussion über die Änderung im Bundestag zu rechnen ist und es zu einer Abstimmung kommen wird. Entwicklungen und Ergebnisse werden wir selbstverständlich in diesem Artikel ergänzen. 

 

 

 

 

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[S.F.]

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

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(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.