Strafprozessrecht: Wann können persönliche Beziehungen zum Richter einen Befangenheitsgrund begründen?

erstmalig veröffentlicht: 16.01.2021, letzte Fassung: 19.10.2022
Zusammenfassung des Autors

Zwischen unterschiedlichen Graden persönlicher oder beruflicher Beziehung zum Richter muss unterschieden werden, um gerechtfertigte Zweifel über seine Objektivität zu hegen. In diesem Artikel lesen Sie, wann ein Richter aufgrund der Vermutung der Befangenheit aus dem Verfahren ausgeschlossen wurde und unter welchen Voraussetzungen ein solches Ablehnungsgesuch als unbegründet verwiesen worden ist - Streifler & Kollegen, Dirk Streifler, Anwalt für Strafrecht


Weist der Richter zu einer Prozesspartei, etwa dem Verfahrensgegner, eine gewisse persönliche Beziehung auf, so können schnell Zweifel an dessen Objektivität entstehen. Da jeder Prozesspartei stets auf seinen bestmöglichen Ausgang bedacht ist, darf sie auch über ein Antragsgesuch über die richterliche Ablehnung nachdenken. Zu beachten ist aber, dass solche Anträge auf Gerichtsentscheidung keine hohe Erfolgschancen haben. 
Nicht jeder Zweifel ist berechtigt – im folgenden Artikel lesen Sie, wie über solche Anträge entschieden worden sind.

1.Im Verfahren des zuständigen Richters involviert ist: Seine Ehefrau

Im strittigen Fall bejahte der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 15.03 2012, V ZB 102/11) ein Antragsgesuch. Der Richter wurde aus dem Verfahren ausgeschlossen. Dies wurde damit begründet, dass seine Ehefrau als Rechtsanwältin in der Kanzlei tätig sei, die den Verfahrensgegner in der Sache vertritt. 
Dies mag zum Grübeln anregen, denn im strittigen Verfahren war sie jedenfalls nicht involviert. Außerdem arbeitete sie in der Kanzlei nur Teilzeit und war auch nicht Partnerin. 

Der Gerichtshof begründete seine Ablehnung wie folgt: Schon allein die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gebe der Partei den begründeten Anlass zur Sorge, dass er auf den Richter unzulässig Einfluss nehmen könne. Zwar sei grundsätzlich von einem unabhängigen und distanzierten Richter, der seine Entscheidungen unvoreingenommen trifft, auszugehen. Allerdings sei es dieser Partei nicht zumutbar, darauf zu vertrauen, dass der Gegner eine unzulässige Einflussnahme auf den Richter unterlässt. 

2. Lobeshymnen eines Zivilrichters in einem Beitrag in einer Festschrift (BGH, Beschluss vom 7.11 2018, IX ZA 16/17

Die Lobeshymnen eines Zivilrichters in einer Festschrift waren auch ein Grund, wieso der Bundesgerichtshof ein Antragsgesuch für zulässig und begründet erachtete. Der Richter schrieb würdigte den Angeklagten im Geleitwort einer Festschrift in außerordentlicher Weise. Ein solcher Beitrag könne unstreitig für einen vernünftigen Prozessbeteiligten den Eindruck von großer persönlicher und beruflicher Nähe zum Angeklagten rechtfertigen. 

Die Beziehungen der restlichen Richter wurden nur als allgemeine beruflichen Kontakte zum Beschuldigten eingestuft. Sie wirkten an seinem Verlag als Autoren und Vortragende mit. Diese allgemeinen beruflichen Kontakte wiesen keine besondere Beziehung zum Richter auf, für die Zweifel an der Objektivität und Unvoreingenommenheit zu den Richtern nicht gerechtfertigt waren. 

3. Herkunft aus dem selbigen Ort und gegelegentliches Duzen 

Im vorliegenden Verfahren hatte sich das OLG Hamm (Beschluss v. 15.05 2012, I-1 W 20/12) mit der persönlichen Beziehung zwischen dem vorsitzenden Richter und dem Beklagten auseinander zu setzen. Beide stammten aus dem selben (kleinen) Ort. Aus diesem Grund duzten sie sich gelegentlich. Die Klägerin lehnte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. 

Das OLG lehnte den Antrag ab und begründete dies folgendermaßen:
Eine bloße Bekanntschaft oder lockere Freundschaft ist unzureichend, um aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Dies sei bei einer das übliche Maß an persönlicher oder kollegialer Bekanntschaft hinausgehenden freundschaftlichen Beziehung oder gar engen Freundschaft zwischen Richter und Partei anders zu sehen – ein solches Verhältnis könnte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründen. Dies sei aber hier nicht der Fall. 

Allein aus dem Umstand, dass sich der abgelehnte Richter und eine Partei bei einem zufälligen Treffen im Alltag duzen, könne nicht auf das Bestehen einer nahen persönlichen Beziehung geschlossen werden. Außerdem wählte der Richter in der mündlichen Verhandlung die förmliche Anrede „Sie. 

4. Richterpärchen in einer Kammer 

a) Anwälte wussten nichts von der Liebesbeziehung der beiden Richter 

Im strittigen Verfahren war der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung angeklagt. Von Beginn an ging es allerdings nicht um die von der Staatsanwalt angezeigte prozessuale Tat, sondern vielmehr um die Besetzung des Gerichts: 
Es stellte sich nämlich heraus, dass zwei der drei Berufsrichter ein Liebespaar darstellte  - die Berichterstatterin und der Vorsitzende.

Diese Beziehung der beiden Berufsrichter war dem Augsburger Landgericht vorher nicht bekannt. In der Folge zweifelten die Anwälte der Angeklagten an der Unabhängigkeit des Gerichts.
Zu Beginn der Hauptverhandlung gaben die beiden Richter in ihrer Stellungsnahme an, dass zwischen ihnen eine „besonders enge Beziehung bzw. ein enges persönliches Verhältnis“ bestehe. Dieses Verhältnis sei außerdem dem Präsidium bekannt. 

Dass dem Präsidium diese Liebesbeziehung der beiden bekannt war, der Umstand den Verteidigern aber nicht preis gegeben wurde, war für die Verteidiger stets ein ausreichender Grund, die Kammer abzulehnen – Durch die enge persönliche Beziehung zwischen zwei Richtern bestehe „die Gefahr des Fehlens der inneren Unabhängigkeit eines an der Entscheidungsfindung beteiligten Richters“.

b) Ablehnungsgesuch abgelehnt

Die enge persönliche Beziehung der beiden Richter bilde im Endeffekt aber kein Befangenheitsgrund nach § 22 StPO. Die Beziehung der beiden Richter sei kein Grund, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
Eine solche sei stets nur dann anzunehmen, wenn einer der Richter dem Angeklagten gegenüber eine „innere Haltung einnehme, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen“ könne. 

Das Gericht (19 KLS 509 JS 139507/16) betonte hierbei, dass enge persönliche Beziehungen durchaus das Besorgnis einer Befangenheit begründen könne – dies sei jedoch in Konstellationen zwischen Richter und Angeklagten, Verteidigern, Angehörigen oder Zeugen anzunehmen. 
In dieser Situation bildeten die beiden Verfahrensbeteiligten (inkl. einem anderen Berufsrichter und den Schöffen) eine Partei – das Gericht -, weshalb keine Gefahr einer möglichen Befangenheit bestünde. Die alleinige Feststellung, dass der Vorsitzende und die Berichterstatterin ein Liebespaar sind, genüge außerdem nicht. Außerdem sei die Kammer mit insgesamt fünf Richtern besetzt, so dass hierdurch auch eine gegenseitige Kontrolle gewährleistet sei. 

5.Fazit 

Wann Zweifel an die Unvoreingenommenheit eines vorsitzenden Richters gerechtfertigt sind, richtet sich je nach Grad der persönlichen Beziehung des Richters zu dem Angeklagten/Verteidiger/Staatsanwalt/Zeugen.
- Dahingehend sind die Anforderungen recht streng. Schon allein die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gebe der Partei den begründeten Anlass zur Sorge, dass er auf den Richter unzulässig Einfluss nehmen könne.

Zu beachten ist aber, dass eine enge persönliche Beziehung zwischen zwei Richtern – die grundsätzlich zu einer Partei, nämlich dem Gericht gehören – keine Befangenheit begründen vermag. Der Fall, dass zwei Richter eine besonders enge Beziehung haben, könne bei einem vernünftig denkenden Angeklagten nämlich keine berechtigten Zweifel an deren Unvoreingenommenheit bilden. 

Eine Befangenheit des Richters kann allerdings auch aus einer engen beruflichen Beziehung zum Angeklagten (etc.) begründet werden. So wurde im strittigen Fall ein Ablehnungsgesuch als begründet angesehen, da dieser den Angeklagten in einem Geleitwort zu einer Festschrift außerordentlich würdigte. Allgemeine berufliche Beziehungen bildeten allerdings keine berechtigten Zweifel an die Objektivität der Richterschaft. 

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Gesetze

Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 22 Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes


Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, 1. wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist;2. wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist;3.

Urteile

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 102/11
vom
15. März 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden,
wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner
vor diesem Richter vertritt.
BGH, Beschluss vom 15. März 2012 - V ZB 102/11 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 18. März 2011 aufgehoben. Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Oberlandesgericht D. wird für begründet erklärt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 612.000 €.

Gründe:


I.

1
Die Parteien haben gegen ein Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt. Über diese hat ein Senat des Oberlandesgerichts zu entscheiden, dem ein Richter angehört, dessen Ehefrau als Rechtsanwältin in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers tätig ist. Der Richter hat den Parteien gemäß § 48 ZPO von diesem Verhältnis Mitteilung gemacht. Die Beklagte hat den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Oberlandesgericht hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen , mit der die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch weiter verfolgt.

II.

2
Das Berufungsgericht meint, allein der Umstand, dass der Ehegatte eines Richters als Rechtsanwalt in der Kanzlei eines der beteiligten Prozessbevollmächtigten tätig sei, vermöge dann keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Richters zu begründen, wenn dessen Ehegatte das Mandat nicht bearbeite und mit der Angelegenheit auch zuvor nicht befasst gewesen sei. Als Teilzeitkraft im Angestelltenverhältnis sei die Ehefrau des Richters von dem Ausgang des Rechtsstreits allenfalls mittelbar betroffen, da sie an den Einnahmen der Sozietät nicht beteiligt sei. Es bestünden auch keine persönlichen Beziehungen zwischen dem Richter und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, die geeignet seien, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu wecken.

III.

3
Die Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Gesuchs auf Ablehnung eines Richters am Oberlandesgericht ist infolge der Zulassung durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO statthaft (BGH, Beschlüsse vom 8. November 2004 - II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294 und vom 5. Februar 2008 - VIII ZB 56/07, NJW-RR 2008, 800; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 46 Rn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 46 Rn. 14a). Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (vom 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1887) ist die uneinheitliche frühere Regelung, nach der die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch das Landgericht als Berufungsgericht zulässig (§ 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO aF), die durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht jedoch unstatthaft (§ 567 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F.) war, beseitigt und durch eine einheitliche, allerdings von einer Zulassung - hier durch das Berufungsgericht - abhängige Rechtsbeschwerde ersetzt worden (BT-Drucks. 14/4722, S. 69 und 116). Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig und hat in der Sache Erfolg.
4
1. Die Frage, ob allein eine Ehe oder nahe Verwandtschaft eines Richters mit einem in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Gegners tätigen Rechtsanwalt für die Partei die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO begründet, ist streitig.
5
a) Nach einigen Stimmen ist das zu bejahen (OLG Schleswig OLGR 2000, 390; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rn. 13). Zur Begründung wird auf § 20 Abs. 1 Nr. 3 BRAO aF verwiesen. Nach dieser Vorschrift konnte der Ehepartner oder ein Verwandter eines Richters in demselben Gerichtsbezirk grundsätzlich nicht als Rechtsanwalt zugelassen werden, womit das Ziel verfolgt wurde, den Anschein zu vermeiden, dass der Rechtsanwalt allein auf Grund der persönlichen Beziehungen zu dem Richter in der Lage sei, seinem Mandanten zu einem ungerechtfertigten Erfolg zu verhelfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 53/94, NJW-RR 1995, 1266 und vom 4. Mai 1998 - AnwZ (B) 78/97, NJW-RR 1999, 572). Dieser allgemeine, früher schon der Zulassung des Rechtsanwalts entgegenstehende Gesichtspunkt komme in einem Rechtsstreit für eine Partei besonders zum Tragen, wenn der Ehegatte des Richters in der den Gegner vertretenden Anwaltskanzlei (als Sozius oder als angestellter Rechtsanwalt) tätig sei. Allein dieser Umstand vermöge aus der Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis zu begründen, dass der Richter bei der Ausübung seines Amts davon beeinflusst sein könnte (OLG Schleswig, aaO). Zudem wird darauf verwiesen, dass eine Partei nicht wissen könne, ob der in der Anwaltskanzlei des Gegners tätige Ehegatte mit der Sache tatsächlich befasst sei oder nicht, da dies die interne Aufgabenverteilung in einer Kanzlei betreffe (Zöller/Vollkommer, aaO).
6
b) Dem steht die Ansicht gegenüber, dass die Ehe des Richters mit einer Rechtsanwältin, die zwar Mitglied der Sozietät oder angestellte Anwältin in der den Gegner vertretenden Kanzlei, aber nicht dessen Prozessbevollmächtigte sei, nicht die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertige; es müssten vielmehr konkrete Anhaltspunkte für eine Befangenheit hinzutreten (KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165; OLG Celle, OLGR 1995, 272, 273; OLG Hamburg, OLGR 2005, 406; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 43 Rn. 9; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rn. 4). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Annahme der Befangenheit des Richters wegen der Tätigkeit seines Ehegatten in der Kanzlei des Gegners einem gesetzlichen Ausschließungsgrund im Sinne des § 41 ZPO gleichkäme, der Gesetzgeber aber einen solchen Ausschließungstatbestand in den Katalog des § 41 ZPO nicht aufgenommen habe (OLG Celle, aaO). Auch gebe die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 20 BRAO aF für die Auslegung des § 42 ZPO nichts her, da deren Ziel der Schutz der Rechtspflege vor abstrakten Gefährdungen gewesen sei, während es bei der Frage, ob eine Befangenheit des Richters anzunehmen sei, um eine Entscheidung im konkreten Einzelfall unter Zugrundelegung eines parteiobjektiven Maßstabes gehe (OLG Hamburg, aaO).
7
Umstände, welche die Besorgnis der Befangenheit in diesen Fällen rechtfertigen, werden dann angenommen, wenn es infolge der Ehe zu einem Gespräch zwischen dem Richter und dem Prozessvertreter des Gegners über den Rechtsstreit gekommen ist (vgl. KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165) oder der als Rechtsanwalt tätige Ehegatte des Richters ein besonderes wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Prozesses hat (vgl. LG Hanau, NJW-RR 2003, 1368 - Rechtsstreit über eine Honorarforderung).
8
c) Der Bundesgerichtshof hat zu der Rechtsfrage noch nicht Stellung genommen. Die Entscheidungen, in denen es um persönliche Beziehungen von Richtern zu Rechtsanwälten ging, betrafen Mitglieder in den Vorinstanzen tätiger Rechtsanwaltskanzleien.
9
2. Der Senat teilt die Ansicht, dass ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt.
10
a) Ein Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Senat, Beschlüsse vom 2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 270 und vom 6. April 2006 - V ZB 194/05, NJW 2006, 2492, 2494 Rn. 26). Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (BVerfGE, 108, 122, 126 = NJW 2003, 3404, 3405). Die Vorschriften dienen zugleich der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs der Parteien, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (vgl. BVerfGE 89, 28, 36; BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1678).
11
b) Gemessen daran ist das auf die Tätigkeit der Ehefrau des Richters in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers gestützte Ablehnungsgesuch der Beklagten begründet. Schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gibt der Partei begründeten Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Ein- flussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen , die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschieht und ihr das bekannt wird (zur Begründetheit einer Ablehnung in diesem Falle: vgl. KG, NJW-RR 2000, 1164,

1165).

IV.

12
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Festsetzung des Beschwerdewerts , der hier dem Wert der Hauptsache entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1968 - IV ZB 2/68, NJW 1969, 796), folgt aus § 3 ZPO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 19.11.2010 - 1 O 3447/09 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 18.03.2011 - 13 U 62/10 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZA 16/17
vom
28. März 2019
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2019:280319BIXZA16.17.0

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Grupp, die Richterinnen Lohmann und Möhring, die Richter Dr. Schoppmeyer und Röhl
am 28. März 2019
beschlossen:
Die Gegenvorstellung der Klägerinnen vom 7. Januar 2019 gegen den Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.

Gründe:


1
Die Gegenvorstellung richtet sich gegen den Beschluss des Senats vom 5. Dezember 2018, durch den die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen den Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2017 zurückgewiesen worden ist. Sie gibt dem Senat keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung.
2
Die Entscheidung über die Anhörungsrüge war nicht gesetzwidrig. Entschieden wurde über die Rüge, der Beschluss des Senats vom 19. Oktober 2017 über den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerinnen habe diese in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Der mit der Gegenvorstellung geltend gemachte Umstand, dass die Klägerinnen nach dem Beschluss vom 19. Oktober 2017 gegen alle Richter des Senats Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt haben und diese Anträge bezüglich von zwei an der Beschlussfassung mitwirkenden Richtern später für begründet erklärt worden sind, führt nicht dazu, dass der Beschluss vom 19. Oktober 2017 unter Verletzung des Anspruchs der Klägerinnen auf rechtliches Gehör ergangen ist. Wirken an einer Entscheidung Richter mit, die wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden könnten, jedoch zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgelehnt wurden, begründet dies auch nicht die Nichtigkeit der Entscheidung nach § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (BGH, Urteil vom 15. September 2016 - III ZR 461/15, NJW-RR 2016, 1406 Rn. 15 mwN).
3
Im Übrigen bestehen keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Beschlusses vom 19. Oktober 2017. Die begehrte Prozesskostenhilfe war unabhängig von den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde und von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerinnen zu versagen , weil das Unterbleiben der Rechtsverfolgung keinen allgemeinen Interessen zuwiderlief (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
Grupp Lohmann Möhring
Schoppmeyer Röhl Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 20.05.2016 - 30 O 13615/13 -
OLG München, Entscheidung vom 07.04.2017 - 5 U 2875/16 -

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen,

1.
wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist;
2.
wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist;
3.
wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;
4.
wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist;
5.
wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.