Unzureichende Begründung der Fachgerichte bei der Verurteilung eines Mannes aus NRW wegen Beleidigung des Finanzministers als "rote Null"

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors

Das Bundesverfassungsgericht gelingt zu der Ansicht, dass die Verurteilung eines Mannes wegen Beleidigung, verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Die Meinungsfreiheit des Mannes wurde von den Gerichten nicht hinreichend berücksichtigt, weil eine Abwägung zwischen den allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Finanzministers und der Meinungsfreiheit des Mannes nicht stattgefunden hat.

Der Mann hat in einen Schreiben an die Finanzbehörden, den damaligen Finanzminister unter anderen als "rote Null" bezeichnet. 

Weil ein Mann aus NRW auf ein Schreiben der Finanzbehörden antworte und darin den damaligen Finanzminister als "rote Null" bezeichnete, verurteilte ihn das Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 35 Euro, wegen Beleidigung gem. § 185 StGB. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandgericht stimmten der Verurteilung zu. Zur einer anderen Ansicht gelang das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 - 1 BvR 1094/19). Die Voraussetzungen einer Schmähkritik sind nicht ersichtlich, weil ein hinreichender Sachbezug daraus resultiere, dass das Thema Steuern eine allgemeinpolitische Dimension aufweist. Auch eine Formalbeleidigung ist in folgenden Fall nicht zu erblicken. Deshalb beruhen die angegriffenen Entscheidungen auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG, so das Bundesverfassungsgericht.

Dirk Streifler - Streifler & Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

Der Sachverhalt

Der Beschwerdeführer erhielt im Rahmen eines Verfahrens, in dem insbesondere die Abzugsfähigkeit der Kosten für ein gerichtliches Vorgehen gegen den Rundfunkbetrag strittig war, ein beigelegtes Rundschreiben. Darin schrieb der damalige nordhein-westfällische Finanzminister Walter Borians unter anderem :

"Steuern machen keinen Spass aber Sinn. Die Leistungen des Staates, die wir alle erwarten gibt es nicht zum Nulltarif."

Der Beschwerdeführer verfasste daraufhin am 29. März 2017 wiederholt ein Schreiben, welches grundsätzlich die Frage nach der Absetzbarkeit der Kosten des rechtlichen Vorgehens gegen den Rundfunkbeitrag betraf. Er erklärte zum Ende des Briefes, dass es sinnlos sei weitere Dienstaufsichtsbeschwerden zu erheben. Wörtlich hieß es dort:

"[...] Solange in Düsseldorf eine rote Null als Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert, werden seitens des Fiskus die Grundrechte und Rechte der Bürger bestenfalls als unverbindliche Empfehlungen, normalerweise als Redaktionsirrtum des Gesetzgebers behandelt. Aber vielleicht führt ja die Landestagswahl im Mai 2017 hier zu Verbesserungen [...]"

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 35 Euro, wegen Beleidigung gem. § 185 StGB. Das Landgericht verwarf die Berufung. Das Oberlanggericht dann die Revision. Dem Beschwerdeführer blieb als einziger Rechtsbehelf die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Er rügt eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Die Instanzen

In den Entscheidungen der vorherigen Instanzen wird hauptsächlich darauf abgestellt, dass es sich bei den Äußerungen der Beschwerdeführers nicht um eine Auseinandersetzung mit dem öffentlichem Amtsführung des Politikrs Walter Borjans ging, sondern um einen gezielten Angriff auf dessen Ehre.

Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts

Der Begriff "rote Null" als Indiz für politischen Bezug zur öffentlichen Amtsführung des Finanzministers

Das Bundesverfassungsgericht vertritt hier eine andere Auffassung. Ein solcher Sachbezug zur öffentlichen Amtsführung ist in der Verwendung des Begriffes "rote Null" zu erblicken. So ist in Finanzkreises die übliche Rede von der "schwarzen Null". Auch steht die Verwendung des Begriffes in Zusammenhang mit dem personalisierten Anschreiben zu staatlichen Leistungen zum "Nulltarif".

Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass die angegriffenen Entscheidungen auf einer unzureichenden Auseinandersetzung mit der konkreten Situation beruhen und deshalb den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. Aus ihnen wird nicht ersichtlich weshalb das allgemeine Persönlichkeitsrecht des NRW-Finanzministers, die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers überwiegen soll. Vielmehr liegen Gesichtspunkte vor, welche für die Zulässigkeit der Äußerungen sprechen.

Hinreichender Sachbezug oder Schmähung?

Die strafrechtliches Urteile können sich nicht darauf stützen, dass es sich bei den Äußerungen um Schmähungen handelt. Die Annahme einer Schmähkritik bedarf einer ausführlichen Berücksichtigung aller Umstände. Nur wenn es völlig an einem Sachbezug fehlt und einzig die Diffarmierung der Person in den Vordegrung rückt, kann von einer Schmähkritik ausgegangen werden. Dies ist hier nicht der Fall. Der Sachbezug ergibt sich aus zwei folgenden Gesichtspunkten. Zum einem daraus, dass das Schreiben des Finanzministers mit dem Verweis auf die allgemeinen Sinn von Steuern und staatlichen Leistungen eine allgemeinpolitische Dimension aufwies, worauf der Beschwerdeführer antrwortete. Zum anderen ergibt er sich daraus, dass die angegriffenen Äußerungen das Thema Steuern und Rundfunkbeitrag zum Gegenstand hatten. Beides sind Themen welche damals Teil einer emotional geführten politischen Auseinandersetzung in der Gesellschaft waren. Der Brief kann als allgemeinpolitische Unmutsbekundung gegen den Behördenkampf und gegen den letztzuständigen für die "staatlichen Zumutungen" gesehen werden. Der Finanzminister ist schließlich im diesem Verfahren durch die Unterschrift des Schreibens selbst aufgetreten und richtete einen politischen Appell an den Beschwerdeführer gerichtet hat und deshalb auch Anlass für deren Reaktion gesetzt hat.

Auch können weder der Begriff "rote Null" noch der "dilletieren", nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, unter einer Formalbeleidigung subsumiert werden. Zur Formalbeleidigung gehört nur ein kleiner Kreis tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere herabzusetzen. Wie im vorliegendem Fall können sie jedoch, je nach den Umständen in denen sie gefallen sind durchaus als geläufige Ausdrucksmittel der Kritik betrachtet werden.

Fehlende Ausführungen zum Anlass, Motivation, konkrete Wirkung der Äußerung

Das Bundesverfassungsgericht bemängelt außerdem die fehlende Auseinandersetzung mit Anlass, Motivation und der konkrete Wirkung der Äußerung unter konkreten Umständen des Falles. Gerade letzteres ist von Bedeutung. Der von dem Beschwerdeführer verfasste Brief war keinem großen Kreis von Personen zugänglich. Die angegriffenen Äußerungen wurden in einem, an den zuständigen Sacharbeiter gerichteten Schreiben getätigt. Im übrigen auch im Rahmen eines nichtöffentlichen behördlichen Verfahrens. Die Zivilgerichte hätten darlegen müssen wieso der Beschwerdeführer die zulässigen Grenzen zulässiger Kritik an Politikern überschritten hat. So ist es in einer demokratischen Gesellschaft unbedingt notwendig, dass Bürger insbesondere gegenüber Amtsträgen in Regierungsfunktion, auch "Harsche Fundamentalkritik" ("Null" ) unabhängig davon ob sie dies begründen oder auch in weniger ehrverletzenden Ausdrucksformen hätten Kritik üben können.

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Referenzen

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 19.05.2020

Az.: 1 BvR 1094/19
 

Tenor:

Die Urteile des Amtsgerichts Wuppertal vom 5. Juli 2018 - 25 Cs-50 Js 144/18 - 116/18 -, und des Landgerichts Wuppertal vom 28. August 2018 - 29 Ns 79/18 (50 Js 144/18) - sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. März 2019 - III - 3 RVs 21/19 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Wuppertal zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung des ehemaligen Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Schreiben an die Finanzbehörden.

„Weitere Dienstaufsichtsbeschwerden behalte ich mir ausdrücklich vor. Sie jetzt zu erheben, dürfte allerdings sinnlos sein: Solange in Düsseldorf eine rote Null als Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert, werden seitens des Fiskus die Grundrechte und Rechte der Bürger bestenfalls als unverbindliche Empfehlungen, normalerweise aber als Redaktionsirrtum des Gesetzgebers behandelt. Aber vielleicht führt ja die Landtagswahl im Mai 2017 hier zu Verbesserungen […]“.

Im Mai 2017 fanden in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen statt.

2. Wegen dieser Äußerung verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer nach vorherigem Strafbefehl und daraufhin eingelegtem Einspruch wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 35 Euro.

3. Die Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht mit im Wesentlichen gleicher, aber teilweise ausgebauter Begründung zurück. Er habe den Finanzminister in seiner Person und Ehre gezielt herabgewürdigt. Mit dem Begriff „Null“ habe sich der Beschwerdeführer zwar auf eine Formulierung des an ihn gerichteten Schreibens des Finanzministers bezogen. Indem er diese Formulierung aufgegriffen und gegen den Finanzminister gerichtet habe, habe er jedoch nicht nur seine Meinung über dessen Politik und das laufende Steuerverfahren mitgeteilt. Vielmehr liege darüber hinaus ein Angriff auf die Person des Finanzministers vor. Bei den betreffenden Äußerungen handele es sich nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Politik des Adressaten in seiner Funktion als Finanzminister und ebenso wenig um eine Unmutsäußerung über die Abwicklung des Einspruchsverfahrens. Der Beschwerdeführer überschreite vielmehr die Grenze eines Angriffs auf die Ehre des Finanzministers, den er als Person herabwürdige. Zwar verkenne man nicht, dass die freie Meinungsäußerung ein hohes Rechtsgut sei und dass in der Öffentlichkeit stehende Personen deutliche Kritik auszuhalten hätten. Doch seien auch diese Personen wie andere Bürger geschützt, wenn die Grenze eines persönlichen Angriffs überschritten werde.

4. Die Revision des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht als unbegründet zurück. Das Landgericht sei im Ergebnis seiner Abwägung zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Äußerungen des Beschwerdeführers um nicht gerechtfertigte Schmähkritik handele. Nach dem Gesamtzusammenhang sei die Äußerung nicht nur eine Schlussfolgerung sachlich vorgetragener Umstände oder sonst polemisch überzogen oder ausfällig, was die Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung gemacht hätte. Hinzugetreten sei, dass nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund gestanden habe. Trotz des Umstandes, dass der Betroffene als politischer Verantwortungsträger auch polemische und überspitzte Kritik hinzunehmen habe, sei das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass hier das sachliche Anliegen durch die persönliche Kränkung in den Hintergrund gedrängt worden sei.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

6. Dem Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 90, 241 <246 ff.>; 93, 266 <292 ff.>). Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der §§ 185 ff. StGB (vgl. BVerfGE 82, 43 <50 ff.>; 85, 23 <30 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG durch das Urteil des Amtsgerichts, das Berufungsurteil des Landgerichts und den Beschluss des Oberlandesgerichts rügt. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts richtet, ist sie unzulässig, weil diese Entscheidung prozessual überholt ist (vgl. BVerfGK 10, 134 <138>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. April 2016 - 2 BvR 1833/12 u.a. -, Rn. 21; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juni 2019 - 1 BvR 2433/17 -‚ Rn. 14).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

a) Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung greift in seine Meinungsfreiheit ein.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>). Der Beschwerdeführer positioniert sich hier mit den Begriffen „rote Null“ und „Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert“ zur Amtsführung des Finanzministers und möglicherweise auch zu dessen Person. Die strafrechtliche Sanktion knüpft an diese in den Schutzbereich fallende Äußerung an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.

b) Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

aa) Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 ff.>), auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen.

(1) Bei Anwendung dieser Strafnorm auf Äußerungen im konkreten Fall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2732/15 -, Rn. 12 f.). Darauf aufbauend erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 85, 1 <16>; 93, 266 <293>; stRspr). Abweichend davon tritt ausnahmsweise bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>; stRspr).

Aus dem Nichtvorliegen einer solchen – unabhängig von einer Abwägung strafbaren – Antastung der Menschenwürde, Schmähung oder Formalbeleidigung folgt noch keine Vorfestlegung dahingehend, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei der dann gebotenen Abwägungsentscheidung zurückzutreten habe. Eine solche Vorfestlegung ergibt sich auch nicht aus der Vermutung zugunsten der freien Rede. Diese Vermutung zielt insbesondere darauf, der Meinungsfreiheit dann zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn es sich bei einer Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (vgl. BVerfGE 7, 198 <208, 212>; 93, 266 <294 f.>). Sie ist Ausfluss der schlechthin konstituierenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung, deren Lebenselement der ständige Kampf der Meinungen ist (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>). Als solche begründet die Vermutungsregel keinen generellen Vorrang der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsschutz. Aus ihr folgt aber, dass auch dann, wenn Meinungsäußerungen die Ehre anderer beeinträchtigen und damit deren Persönlichkeitsrechte betreffen, diese nur nach Maßgabe einer Abwägung sanktioniert werden können. Dabei ist diese Abwägung offen und verlangt eine der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung tragende Begründung in Fällen, in denen Äußerungen im oben genannten Sinne im Wege der Abwägung hinter dem Persönlichkeitsschutz zurücktreten sollen (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Darüber hinaus können sich hieraus auch für die Konfliktbewältigung im Einzelnen Vorrangregeln ergeben (vgl. etwa zur Auslegung von Äußerungen BVerfGE 93, 266 <295 f., 297 f., 303 f.>). Eine Asymmetrie zwischen den Grundrechten bei der Abwägung insgesamt ergibt sich hieraus jedoch nicht.

(2) Während Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG demnach als Voraussetzung von Verurteilungen nach § 185 StGB grundsätzlich eine die konkreten Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen verlangt, kann eine Verurteilung ausnahmsweise auch ohne eine solche Abwägung gerechtfertigt sein, wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>). Dabei handelt es sich um verschiedene Fallkonstellationen, an die jeweils strenge Kriterien anzulegen sind (vgl. den Kammerbeschluss vom heutigen Tag - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 18 bis 25).

Der Charakter einer Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert (vgl. BVerfGE 82, 272 <283>). Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung vielmehr erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294, 303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juni 2019 - 1 BvR 2433/17 -‚ Rn. 18; siehe näher dazu den Beschluss der Kammer vom heutigen Tag - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 18 bis 20).

(3) Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit. Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings – wie es der Normalfall für den Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht ist – eine grundrechtlich angeleitete Abwägung, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, anknüpft (vgl. BVerfGE 12, 113 <124 ff.>; 90, 241 <248>; 93, 266 <290>). Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte.

Das Ergebnis der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben (vgl. BVerfGE 85, 1 <16>; 99, 185 <196 f.>; stRspr). Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es lediglich zu überprüfen, ob die Fachgerichte dabei Bedeutung und Tragweite der durch die strafrechtliche Sanktion betroffenen Meinungsfreiheit ausreichend berücksichtigt und innerhalb des ihnen zustehenden Wertungsrahmens die jeweils für den Fall erheblichen Abwägungsgesichtspunkte identifiziert und ausreichend in Rechnung gestellt haben. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 93, 266 <296>).

(a) Mit Blick auf den Inhalt einer Äußerung kann zunächst deren konkreter ehrschmälernder Gehalt einen erheblichen Abwägungsgesichtspunkt bilden. Dieser hängt insbesondere davon ab, ob und inwieweit die Äußerung grundlegende, allen Menschen gleichermaßen zukommende Achtungsansprüche betrifft oder ob sie eher das jeweils unterschiedliche soziale Ansehen des Betroffenen schmälert. Ebenfalls kann in Rechnung zu stellen sein, ob eine abschätzige Äußerung die Person als ganze oder nur einzelne ihrer Tätigkeiten und Verhaltensweisen betrifft. Ungeachtet dessen, dass die Meinungsfreiheit sowohl die Form als auch den Inhalt einer Äußerung schützt (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 76, 171 <192>), kann für das Gewicht der in die Abwägung einzustellenden Meinungsfreiheitsinteressen insbesondere erheblich sein, ob durch die strafrechtliche Sanktion die Freiheit berührt wird, bestimmte Inhalte und Wertungen überhaupt zum Ausdruck zu bringen, ob und wieweit also alternative Äußerungsmöglichkeiten selben oder ähnlichen Inhalts verbleiben. Mit Blick auf die eine gleichberechtigte Beteiligung aller an der öffentlichen Kommunikation gewährleistende Dimension der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 12, 113 <125>) darf die Handhabung des § 185 StGB zugleich nicht dazu führen, Anstands- und Ehrvorstellungen eines Teils der Gesellschaft allen übrigen Mitgliedern aufzuzwingen; in diesem Sinn kann auch eine gegebenenfalls beschränkte Ausdrucksfähigkeit und sonstige soziale Bedingtheit des jeweiligen Sprechers in Rechnung zu stellen sein.

(b) Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>).

(c) Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 <293>). Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, Rn. 38). In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken mit seinen – unter Umständen weitreichenden – gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 1999 - 1 BvR 2126/93 -, Rn. 31).

Unter dem Aspekt der Machtkritik haben die Gerichte auch Auslegung und Anwendung des Art. 10 Abs. 2 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 111, 307 <316 f.>; 128, 326 <369>). In ständiger Rechtsprechung betont der Gerichtshof, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (vgl. EGMR [Plenum], Lingens v. Austria, Urteil vom 8. Juli 1986, Nr. 9815/82, § 42; Oberschlick v. Austria I, Urteil vom 23. Mai 1991, Nr. 11662/85, § 59; EGMR, Oberschlick v. Austria II, Urteil vom 1. Juli 1997, Nr. 20834/92, § 29; EON v. France, Urteil vom 14. März 2013, Nr. 26118/10, § 59). Insofern Politiker bewusst in die Öffentlichkeit treten, unterscheidet sich ihre Situation auch von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde.

Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte (vgl. dazu BVerfGE 12, 113 <131>; 24, 278 <286>; 54, 129 <138>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2016 - 1 BvR 2844/13 -, Rn. 25) in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern oder Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträger nicht aus (vgl. BVerfGE 42, 143 <153>). Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt. Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt dabei nicht nur an Art und Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen. Einem Bundesminister gegenüber können insoweit härtere Äußerungen zuzumuten sein als etwa einem Lokalpolitiker. Dabei liegt insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch „soziale Netzwerke“ im Internet ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus auch im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 -, Rn. 108 – Recht auf Vergessen I).

(d) Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es besonders abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Februar 2012 - 1 BvR 2883/11 -, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2015 - 1 BvR 3217/14 -, Rn. 16). Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit (vgl. BVerfGE 12, 113 <125>) impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität (vgl. BVerfGE 33, 1 <14 f.>) und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Dies gilt – unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände – grundsätzlich auch für textliche Äußerungen in den „sozialen Netzwerken“ im Internet. Abwägungsrelevant kann dabei auch sein, ob Äußernden aufgrund ihrer beruflichen Stellung, Bildung und Erfahrung zuzumuten ist, auch in besonderen Situationen – beispielsweise gerichtlichen und behördlichen Verfahren – die äußerungsrechtlichen Grenzen zu kennen und zu wahren. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erheblich, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde. Hierbei ist auch der Gesichtspunkt des sogenannten „Kampfs um das Recht“ zu berücksichtigen. Danach ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>).

(e) Ebenfalls bei der Abwägung in Rechnung zu stellen ist die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung (vgl. ebenso für zivilrechtliche Löschungsverlangen und Unterlassungsansprüche BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 -, Rn. 125 – Recht auf Vergessen I). Maßgeblich hierfür sind Form und Begleitumstände der Kommunikation. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise (vgl. BVerfGK 8, 107 <116>), etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird. Ein solches die ehrbeeinträchtigende Wirkung einer Äußerung verstärkendes Medium kann insbesondere das Internet sein, wobei auch hier nicht allgemein auf das Medium als solches, sondern auf die konkrete Breitenwirkung abzustellen ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 -, Rn. 125 – Recht auf Vergessen I).

(f) Diese dargelegten Gesichtspunkte, die für die konkrete Abwägung relevant sein können, müssen dabei nicht in jedem Fall in ihrer Gesamtheit „abgearbeitet“ werden. Vielmehr ist es Aufgabe der Fachgerichte, aufgrund der Umstände des Einzelfalles die je abwägungsrelevanten Gesichtspunkte herauszuarbeiten und miteinander abzuwägen. Je nach Umständen kann auch eine recht knappe Abwägung ausreichen. Maßgeblich ist, dass die konkrete Situation der Äußerung erfasst und unter Berücksichtigung der auf beiden Seiten betroffenen Grundrechte hinreichend gewürdigt wird.

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht.

(1) Die strafgerichtliche Verurteilung kann sich nicht auf den Gesichtspunkt der Schmähkritik stützen. Darauf, dass es den herabsetzenden Äußerungen an einem sachlichen Bezug fehle, stellen die Fachgerichte selbst nicht ab. Der Beschluss des Oberlandesgerichts nimmt zwar den Begriff der Schmähung in Bezug, trifft diesbezüglich aber keine spezifischen Feststellungen. Dass deren Voraussetzungen hier vorliegen könnten, ist auch nicht ersichtlich. Denn den ehrenrührigen Äußerungen in dem Schreiben vom 29. März 2017 mangelt es nicht derart an einem Sachbezug zu der vorherigen Auseinandersetzung, dass die Absicht der persönlichen Schmähung des Finanzministers gegenüber dem in dem Steuerfestsetzungsverfahren verhandelten Anliegen völlig in den Vordergrund gerückt wäre.

Der Sachbezug ergibt sich hier zum einen daraus, dass das personalisierte Rundschreiben des Finanzministers das Steuerfestsetzungsverfahren von seinem gewöhnlich eher technisch-administrativen Kontext löste und mit dem Verweis auf die allgemeine Sinnhaftigkeit von Steuern und staatlichen Leistungen eine allgemeinpolitische Dimension aufwies, worauf der Beschwerdeführer mit seiner nachgeschobenen Äußerung reagierte. Auch ist die Äußerung dadurch geprägt, dass das Verfahren – mittelbar – mit dem Rundfunkbeitrag und den dadurch finanzierten Leistungen den Gegenstand einer aktuell in Teilen der Gesellschaft emotional geführten politischen Auseinandersetzung betraf. Dabei war auch nicht ohne Sachbezug, diese allgemeinpolitische Unmutsbekundung gegen den Behördenkopf und Letztzuständigen für die vermeintlichen staatlichen Zumutungen zu richten, der zudem in dem Verfahren durch das seine Unterschrift tragende Schreiben selbst aufgetreten war.

(2) Auch der Gesichtspunkt der Formalbeleidigung rechtfertigt die angegriffenen Entscheidungen nicht. Die Begriffe „Null“ und „dilettieren“ gehören ganz offensichtlich nicht zum kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen. Sie sind vielmehr, je nach Kontext, durchaus geläufige Ausdrucksmittel von Kritik.

(3) Die angegriffenen Entscheidungen sind auch nicht von einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Abwägung getragen. Sie lassen keine hinreichende Auseinandersetzung mit der konkreten Situation, in der die Äußerung gefallen ist, erkennen und zeigen nicht auf, weshalb das Interesse an einem Schutz des Persönlichkeitsrechts des ehemaligen nordrhein-westfälischen Finanzministers vorliegend die erheblichen für die Zulässigkeit der Äußerung sprechenden Gesichtspunkte überwiegt. Sie gehen auf Inhalt, Anlass, Motivation sowie die konkrete Wirkung der Äußerung unter den konkreten Umständen des Falles nicht sachhaltig ein.

(a) Die angegriffenen Entscheidungen stellen in ihrer Begründung maßgeblich darauf ab, dass es sich bei der Äußerung des Beschwerdeführers nicht um eine Auseinandersetzung mit der Politik des Betroffenen, sondern um einen gezielten persönlichen Angriff auf dessen Ehre gehandelt habe. Damit wiesen die Entscheidungen der Äußerung ohne nähere Begründung eine unmittelbar in die Privatsphäre reichende Bedeutung zu. Angesichts der sonstigen Äußerungen des Beschwerdeführers in dem Verfahren, die sämtlich einen bestimmten politisch-ideologischen Hintergrund offenbaren, war es jedoch naheliegend, die Äußerung in erster Linie auf das politische und öffentlichkeitsbezogene Handeln des Finanzministers zu beziehen. Für einen solchen Bezug gerade zur Amtsführung spricht auch die Verwendung des Begriffes „rote Null“, der im zweifachen Zusammenhang mit dem Amt des Finanzministers stand (personalisiertes Anschreiben zu staatlichen Leistungen zum „Nulltarif“; in Finanzkreisen übliche Rede von der „schwarzen Null“).

(b) Auch auf den konkreten ehrschmälernden Gehalt der Äußerung gehen die angegriffenen Entscheidungen nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise ein. Hier wäre insbesondere zu berücksichtigen gewesen, dass die Fähigkeit einer Person zur sachgemäßen Führung höchster öffentlicher oder politischer Ämter nicht Teil des grundlegenden sozialen Achtungsanspruchs ist und dem auch nicht nahekommt. Insoweit für ungeeignet erklärt zu werden, schmälert das Ansehen nicht in derselben Weise wie es bei elementaren gesellschaftlichen Geltungsansprüchen der Fall wäre.

(c) Bei der Gewichtung der angesichts der konkreten Äußerungsumstände drohenden Ehrbeeinträchtigung versäumen es die Entscheidungen ferner, auf die konkrete Breitenwirkung der Äußerung einzugehen, obwohl diesem Faktor erhebliches Gewicht zukommt. Die bestrafte Äußerung wurde allein in einem an den zuständigen Sachbearbeiter gerichteten Schreiben im Rahmen eines nichtöffentlichen behördlichen Verfahrens getätigt und war damit nicht – wie etwa oftmals bei Äußerungen im Internet – einem größeren Kreis von Personen zugänglich. Zwar thematisieren die Entscheidungen im Rahmen des subjektiven Tatbestandes die Frage, ob und weshalb der Beschwerdeführer mit einer Kundgabe auch gegenüber dem Betroffenen rechnen musste. Abgesehen von diesem von der Breitenwirkung verschiedenen Gesichtspunkt gehen sie jedoch nicht auf den beschränkten Rezipientenkreis der Äußerungen ein.

(d) Schließlich findet in den angegriffenen Entscheidungen nicht ausreichend Berücksichtigung, dass der Betroffene sich mit seinem personalisierten Schreiben selbst zu Wort gemeldet, einen allgemeinpolitischen Appell an den Beschwerde- führer gerichtet und damit einen konkreten Anlass für dessen Reaktion gesetzt hatte, was den Beschwerdeführer erst zu seiner herabsetzenden Äußerung veranlasste. Der Bezug der Äußerung auf das Steuerfestsetzungsverfahren und das Schreiben des Ministers wird in der Entscheidung des Landgerichts zwar im Rahmen der Strafzumessung erwähnt. Im Rahmen der bei einer Anwendung der §§ 185, 193 StGB regelmäßig gebotenen grundrechtlich angeleiteten Abwägung wäre dieser Umstand jedoch bereits bei der Frage der Strafbarkeit zu würdigen gewesen.

(e) Die Annahme der angegriffenen Entscheidungen, dass mit der Äußerung zum Finanzminister auch eine Äußerung zur Person verbunden gewesen sei, die insgesamt den Boden der sachlichen Auseinandersetzung verlasse, reichen in dieser pauschalen und kaum auf die Umstände des Falles bezogenen Form nicht aus, um von einer Würdigung der gegen eine Strafbarkeit sprechenden Gesichtspunkte wie Inhalt, Motivation (Kritik an der Regierung), Anlass und Wirkung der Äußerung abzusehen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, ob sich eine Aussage zur Person nur mittelbar aus der abschätzigen Äußerung zur Amtsführung ergibt, was regelmäßig als bloßer Reflex erlaubter Kritik anzusehen sein wird. Denn Bürgern muss es möglich sein, straflos und ohne Furcht vor Strafe zum Ausdruck zu bringen, dass sie eine bestimmte Person für ungeeignet zur Führung der von ihnen bekleideten öffentlichen und politischen Ämter halten. Auch solche Kritik gibt zwar nicht das Recht, zu verhetzenden Formen zu greifen, Amtsträger unmäßig zu beschimpfen und in der Öffentlichkeit verächtlich zu machen. Es ist auch im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft notwendig, Amtsträger und Politiker vor solchen Angriffen zu schützen (vgl. den Beschluss der Kammer vom heutigen Tag - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 32). Bürger dürfen aber, insbesondere gegenüber Amtsträgern in Regierungsfunktion, auch harsche Fundamentalkritik („Null“) üben und zwar unabhängig davon, ob sie dieses negative Urteil näher begründen und ob es weniger drastische Ausdrucksformen für die Kritik gegeben hätte.

Für eine Verurteilung hätten die Entscheidungen daher im Einzelnen darlegen müssen, weshalb und inwiefern die Äußerung den Betroffenen über seine Amts- führung hinaus in seiner persönlichen Sphäre derart schwerwiegend herabwürdigte, dass die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen konnte. Dabei hätte sie auch die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 10 Abs. 2 EMRK beachten und darlegen müssen, warum der Beschwerdeführer die weiten Grenzen zulässiger Kritik an Politikern im vorliegenden Fall überschritten haben soll.

c) Die zulässig angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

3. Die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts sind demnach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.