Strafrecht: Das Tragen eines Ansteckers mit der Beschriftung „FCK CPS“ ist als Meinungsäußerung straflos

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Das Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“ in der Öffentlichkeit stellt nicht ohne Weiteres eine strafbare Beleidigung dar.

Das Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“ (= Fuck Cops) im öffentlichen Raum ist vor dem Hintergrund des Grundrechts des Art. 5 I 1 GG der freien Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar. Durch eine solche Äußerung kommt die pauschale Ablehnung der gesamten Polizei bzw. der Ordnungsmacht des Staates an eine nicht überschaubare, konkret abzugrenzende Personengruppe zum Ausdruck. Eine Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht – Ist dies nicht der Fall, so ist der Eingriff in die freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt. (1BvR 1036/14)

Rechtsanwalt für Strafrecht - Streifler & Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
 
Angriffe und Feindseligkeiten von Bürgern gegen die Polizei haben sich in letzter Zeit nicht selten abgespielt: In der sog. „Krawallnacht“ in Stuttgart am 21.06 2020 wurde die Polizei von Bürgern angegriffen und beworfen. Nach diesen schweren Ausschreitungen gibt es Warnungen vor einer Zunahme von Attacken auf Polizisten – Dabei wird auf Zahlen des BKA verwiesen

Die offensichtlich rassistische Gesinnung, die die amerikanische Polizeigewalt in Minneapolis am Todestag von George Floyd an den Tag legte, hatte auch hier in Deutschland zur Folge, dass sich deutsche Bürger (aufgrund behaupteten Rassismus der Polizei) gegen die deutsche Polizeigewalt wendeten.
Demonstranten auf den Berliner Straßen schreien „Fuck Cops“ oder tragen Stecker/Kleidung mit der Aufschrift „All Cops are Bastards“ (ACAB).
 
Wichtig für die Demonstranten in solchen Fällen ist, ob solche Äußerungen als Kollektivbeleidigung der Polizeigewalt strafrechtlich geahndet werden können oder ob diese noch unter das Grundrecht der freien Meinungsäußerung des Art. 5 I 1GG fallen.  
 
Antwort auf diese Frage bildet der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02 2015 (1BvR 1036/14); auch nach 5 Jahren hat er an keinerlei Relevanz verloren.

Sanktioniertes Verhalten – Stecker „FCK CPS“

Ursache des damaligen Rechtsstreits war ein Anstecker, welchen die Beschwerdeführerin trug, als sie von einer Polizeistreife in ihrem Wohnort angetroffen wurde – Ein solcher war mit der Buchstabenkombination „FCK CPS“ (=Fuck Cops) beschriftet. Die Polizei bat sie vergeblich um die Abnahme des Ansteckers.
 
Das Amtsgericht (60 Ds 407 Js 4872 (39/13)) verurteilte die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB. „FCK CPS“ stehe bei verständiger Deutung als Abkürzung für „Fuck Cops“ – Diese Äußerung sei nicht von vornherein offensichtlich inhaltslos, sondern vielmehr als eine Kundgabe der Missachtung zu qualifizieren, weil sie den sozialen Wert der betroffenen Personen im Amt betreffe und herunterschrauben solle. Auch die Revision der Beschwerdeführerin zum OLG (31 Ss 14/14) blieb erfolglos.

Doch wie entschied das Bundesverfassungsgericht? – Kernelemente des Urteils

Der Aufdruck „FCK CPS“ sei nicht inhaltslos, sondern spiegele eine Kundgabe der Missachtung der Polizeigewalt wieder und sei demnach als Meinungsäußerung i. S. d. Art. 5 I 1GG zu qualifizieren. Die vom LG und OLG ausgesprochene strafrechtliche Verurteilung greife zu Unrecht in das Grundrecht der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.
 
Eine herabsetzende Äußerung, die keine bestimmen Personen namentlich benennt oder erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern vielmehr ohne individuelle Bezeichnung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter gewissen Voraussetzungen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Zu beachten sei dennoch, dass je größer das Kollektiv ist, desto schwächer auch die persönliche Beeinträchtigung des einzelnen Mitglieds werden kann. Bei den Vorwürfen an große Kollektive, wie die Polizeigewalt, handelt es sich meist nicht um das individuelle Fehlverhalten des Einzelnen, sondern um den aus der Sicht des Redners bestehenden Unwert des Kollektivs selbst.
 
Vielmehr erachtete das BVerfG es für verfassungsrechtlich unzulässig, eine auf Angehörige einer Personengruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deshalb als auf „eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen“ zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet
- Diesen Vorgaben wurden die vorherigen Instanzen nicht gerecht. Es reiche also nicht aus, dass die örtlichen Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizisten sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Zuordnung, für die es im strittigen Fall keine Anhaltspunkte gibt.
 
Zugunsten der Beschwerdeführerin kann vorliegend also nicht angenommen werden, dass die auf dem Stecker niedergeschriebene Beschriftung allein durch das Aufeinandertreffen der Beschwerdeführerin mit den kontrollierenden Polizeibeamten einen objektiv auf diese konkretisierten Aussagegehalt gewonnen hat.

Relevanz der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 I GG 

Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 IGG gewährleistet dem Bürger seine subjektive Ansicht in der Öffentlichkeit frei auszusprechen; sei es mündlich, schriftlich, bildlich oder durch andere Übertragungsmittel. Das BVerfG sagt, ein Eingriff in die Meinungsfreiheit als sog. „Jedermanns-Grundrecht“ – wie das allgemeine Gesetz des § 185 StGB i. S. d. Art. 5 IIGG – setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht. Ist dies nicht der Fall, so ist ein Eingriff in die freie Meinungsäußerung auch nicht gerechtfertigt.
 
Ein Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet also nur unter strengen Voraussetzungen eine Rechtfertigung.
 
Wieso ist das so? Die Meinungsfreiheit ist eine der wichtigsten Grundlagen in einer Demokratie – Denn keine Demokratie kann dauerhaft bestehen, wenn es ihr an Menschen fehlt, die von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Diesbezüglich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Recht der Meinungsfreiheit jedem Bürger gewährleistet, auch staatliche Behörden zu kritisieren und damit seine politische Ansicht in der öffentlichen Gesellschaft offenkundig zu machen und diese somit auch zu beeinflussen. Es muss dem Bürger demnach ermöglicht werden, ohne Furcht vor einer staatlichen Sanktion Kritik gegenüber der öffentlichen Gewalt auszuüben. Der freie Austausch der Meinungen bildet die Grundlage für eine demokratische Entscheidung im eigentlichen Sinne.
 
So machte auch das Bundesverfassungsgericht die gravierende Bedeutung der Meinungsfreiheit in seinem Lüth-Urteil (BVerfGE 7, – 1 BvR 400/51) deutlich: 

„Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige, geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist.“ 

Die heutige Rechtsprechung zum Thema „Kollektivbeleidigungen“ 
Neigt die Rechtsprechung also dazu, dem Bürger Äußerungen wie „ACAP“ oder „“FCK CPS“ im Hinblick auf die Relevanz des Grundrechtes der Meinungsfreiheit aus Art. 5 IGG durchgehen zu lassen? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an.
 
Grundsätzlich nimmt die Rechtsprechung an, dass jedes Kollektiv beleidigungsfähig ist, das eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche oder wirtschaftliche Funktion erfüllt und dazu fähig ist, einen einheitlichen Willen zu bilden.
 
Zu beachten ist natürlich, dass die Meinungsfreiheit nicht jede Kollektivbeleidigung zu schützen vermag. Demnach können Kollektivbeleidigungen unter § 185 StGB geahndet werden, wenn einzelne Personen aus der größeren Gruppe hinreichend individualisiert werden können, insbesondere durch einen „ostentativ“ (d.h. betont auffällig und mit Absicht vollzogen) zur Schau getragenen Stoffbeutel mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ – So das Bundesverfassungsgericht am 13. Juni 2017. (1 BvR 2832/15) Diese Entscheidung missachtet nicht das Grundrecht der Meinungsäußerung. Der Ehrenschutz der Beamten ist zu begrüßen.
 
Auch in ähnlichen Fällen gab das Bundesverfassungsgericht bekannt, dass die Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB stets voraussetze, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht– Die Kundgabe der Buchstabenkombination „ACAB“ (All Cops are Bastards)sei demnach nicht ohne weiteres strafbar
- So auch zwei Fälle, über die das Bundesverfassungsgericht befand (und vielmehr die Entscheidungen der vorhergehenden Instanzen über die Bejahung einer Ehrverletzung mangels Überschau-und Abgrenzbarkeit der Personengruppe gem. § 185 StGB verwarf):
 
1) Der Beschwerdeführer trug beim Besuch eines Fußballspiels eine schwarze Hose, die im Gesäßbereich großflächig mit dem Schriftzug „ACAB“ bedruckt war. Auf dem Rückweg begegnete er einigen Polizeibeamten. Das AG verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung nach § 185 StGB; die Berufung zum LG ((16 Ns 232 Js 212600/12)) und die Revision zum OLG (4 OLG 13 Ss 571/13)hingegen blieben erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 257/14) sah dieses bereits sanktionierte Verhalten vielmehr durch die Meinungsfreiheit geschützt; die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der Meinungsäußerung wurden nicht gewahrt.
 
2) In einem ähnlichen Fall hielt der Beschwerdeführer während eines Fußballspiels gemeinsam mit anderen Personen verschiedene großflächige Banner hoch, wie zum Beispiel mit der Aufschrift „Stuttgart 21 – Polizeigewalt kann jeden treffen“ oder „BFE ABSCHAFFEN“ (BFE = Beweis-und Festnahmeeinheiten der Polizei). Der Beschwerdeführer und vier weitere Personen trennten vier Buchstaben aus diesem Transparent ab und hielten diese dann in der Kombination „A C A B“ hoch. Das AG (830 Js 34947/13 – 51 Cs) sprach den Beschwerdeführer für schuldig. Die Revision (830 Js 34947/14 5 Ns) blieb erfolglos. Auch vorliegend hob das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2150/14) die vorherigen Entscheidungen auf und wies die Sache zurück an das OLG Karlsruhe.

Einschätzung

Schlussendlich lässt sich feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht der Meinungsfreiheit gerecht werdende Voraussetzungen dargelegt hat, unter denen eine Ehrverletzung und damit ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 5 IGG gerechtfertigt ist.
Die Wertung des Art. 5 I 1GG gebietet bei mehreren Deutungsalternativen diejenige auszuwählen, die am „meinungsfreundlichsten“ ist. Dennoch sollte der Ehrenschutz von Beamten nicht zu kurz kommen.
Die Meinungsfreiheit entfaltet seine Schutzwirkung nicht für jedwede Äußerung – Wenn eine bestimmte Personengruppe abgrenzbar und identifizierbar ist, so kann eine Ehrverletzung gemäß § 185 StGB vorliegen sowie das Verhalten sanktioniert werden. Dies ist auch notwendig, damit den Grundrechtsträgern nicht uferlos Handlungsspielraum zugesprochen wird, sodass sie sich dazu legitimiert fühlen, jegliche Äußerung über gewisse Kollektive in der Öffentlichkeit zu äußern – Schließlich sind Polizeibeamte trotz Dienstverhältnisses Grundrechtsträger und genießen mithin ebenso Schutz durch unsere Verfassung.
Die Meinungsfreiheit gebietet den Bürgern das Recht, den Staat und damit auch die Beamten, die einen solchen verkörpern, im öffentlichen Raum zu kritisieren und sein persönliches Meinungsbild darzulegen – So wird eine kritische bzw. beleidigende Äußerung ohne hinreichende Überschaubarkeit einer konkreten Personengruppe nicht per se als Beleidigung eingestuft. Die Relevanz des Grundrechts wird somit auch nicht verkannt. 

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Referenzen

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung.

2

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts trug der Beschwerdeführer bei einer Gegendemonstration gegen den Landtagswahlkampf einer Partei einen rosafarbenen, ca. 40 x 40 cm großen Stoffbeutel über der Schulter, der im oberen Bereich mit dem Aufdruck A.C.A.B. versehen war. Im mittleren Bereich war ein Kätzchen abgedruckt, unter dem in gleicher Größe wie das Akronym A.C.A.B. der Schriftzug "All CATS are BEAUTIFUL" prangte. Der Einsatzleiter der Polizei forderte den Beschwerdeführer auf, den Beutel nicht weiter offen zu tragen. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nicht nach und trug den Beutel "nunmehr ostentativ" und "nachgerade paradierend" vor den die Demonstration abschirmenden Einsatzkräften der Polizei.

3

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20 Euro. Indem der Beschwerdeführer, auch und gerade nachdem er vom Einsatzgruppenleiter aufgefordert worden sei, den gegenständlichen Stoffbeutel mit dem Aufdruck A.C.A.B. nicht weiter offen zur Schau zu tragen, sich nachgerade paradierend vor den Polizeieinsatzkräften positioniert habe, habe er sich vorsätzlich in eine visuelle Interaktion mit den Polizeieinsatzkräften vor Ort begeben. Er habe hierdurch eine erkennbare Konkretisierung der Kollektivbeleidigung "all cops are bastards" bewirken wollen. Das Landgericht verwarf die Berufung als unzulässig gemäß §§ 313, 322a StPO, da sie offensichtlich unbegründet sei.

II.

4

Die fachgerichtlichen Entscheidungen begegnen im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass der Aufdruck A.C.A.B. für die englische Parole "all cops are bastards" steht. Das Amtsgericht hat sich hinreichend mit weiteren Deutungsmöglichkeiten, auch im Zusammenhang mit dem abgebildeten Kätzchen und dem Schriftzug "all cats are beautiful" auseinandergesetzt. Es handelt sich bei der Parole um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Sie ist nicht offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. Mai 2016 - 1 BvR 257/14 -, juris, Rn. 12; - 1 BvR 2150/14 - , NJW 2016, S. 2643).

5

Die Schlussfolgerung, dass das "nachgerade paradierende" Zur-Schau-Stellen des bedruckten Stoffbeutels eine hinreichende Konkretisierung der angesprochenen Personengruppe enthält, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar reicht die alleinige Teilnahme des Beschwerdeführers an einer Versammlung in der Erwartung, dass dort auch Polizeibeamte anwesend sein dürften, ebenso wenig aus wie die Weigerung, den Beutel auf Aufforderung durch den Einsatzleiter wegzustecken. Denn es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266 <302 f.>). Es genügt daher nicht, dass die bei der Gegendemonstration anwesenden Einsatzkräfte der Polizei eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Ebenso wenig kann ein Mitglied des Kollektivs die Individualisierung dadurch herbeiführen, dass der Äußernde zur Unterlassung aufgefordert wird.

6

Vorliegend folgt die erforderliche personalisierte Zuordnung jedoch aus dem vom Amtsgericht festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers, der den Beutel "ostentativ" und "nachgerade paradierend" vor den Polizeibeamten zur Schau stellte. Daraus ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Polizeibeamten begeben und sich auf sie individualisiert bezogen hat, was für eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB ausreicht. Die Verfassungsmäßigkeit der Feststellungen des Amtsgerichts zum Sachverhalt wurden mit der Verfassungsbeschwerde nicht gesondert angegriffen und werden daher hier zu Grunde gelegt. Zu Recht hat die sodann vom Amtsgericht im Rahmen des § 185 StGB durchgeführte Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen wegen des geringen Aussagegehalts und der erheblichen Ehrverletzung zu einem Überwiegen der Belange des Persönlichkeitsrechts geführt.

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 18. Dezember 2013 - 4 OLG 13 Ss 571/13 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.

3. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB.

2

1. Beim Besuch eines Fußballspiels im Oktober 2012 trug der Beschwerdeführer eine schwarze Hose, die im Gesäßbereich großflächig mit dem Aufdruck ACAB bedruckt war. Nach dem Spiel verließ er in einer Gruppe weiterer Fußball-Fans das Stadion auf einem Weg, der vor einigen dort eingesetzten Bereitschaftspolizisten vorbeiführte. Dabei wurden die Bereitschaftspolizisten auf den gut sicht- und lesbaren Aufdruck ACAB aufmerksam. Einer der Bereitschaftspolizisten erstattete Anzeige gegen den Beschwerdeführer.

3

2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung gemäß §§ 185, 194 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 €. Es sei allgemein bekannt, dass die Buchstaben "ACAB" eine Abkürzung für den Satz "all cops are bastards" darstellten. Die Bezeichnung eines Polizeibeamten als "Bastard" sei zweifelsfrei ehrverletzend. Es handle sich auch nicht um eine straflose Kollektivbeleidigung, da eine Individualisierung auf einen abgegrenzten Personenkreis stattgefunden habe. Die Äußerung habe sich gegen sämtliche Polizisten gerichtet, die im Rahmen des Fußballspiels im Einsatz waren. Der Beschwerdeführer habe um die hohe Polizeipräsenz während des Fußballspiels gewusst und dabei billigend in Kauf genommen, dass Polizeibeamte während des Spiels den Aufdruck wahrnehmen und sich in ihrer Ehre verletzt fühlen.

4

3. Das Landgericht wies die Berufungen des Beschwerdeführers und der Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe der amtsgerichtlichen Entscheidung als unbegründet zurück. Eine Rechtfertigung komme weder nach § 193 StGB noch gemäß Art. 5 GG in Betracht. Der Angeklagte sei sich bewusst gewesen, dass er sich im Stadion einer anonymen Vielzahl von Polizeibeamten gegenübersehen würde und auf den Zu- und Abwegen einzelnen Polizeibeamten oder gruppenweise auftretenden Polizeibeamten begegnen würde. Er habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, dass einzelne Polizeibeamte die auf Gesäßhöhe positionierte Aufschrift sehen und sich daran stören würden. Es handle sich um eine Äußerung unter einer Kollektivbezeichnung, die jedoch unter anderem auch konkret gegenüber durch persönliches Aufeinandertreffen individualisierten Personen kommuniziert würde. Bei der Abwägung, inwieweit hier das Recht der freien Meinungsäußerung des Angeklagten durch eine eventuelle Strafbarkeit beeinträchtigt werden könne, sei kein ausreichender Anlass für gerade diese Meinungsäußerung zu erkennen. Dem Beschwerdeführer sei es allein um die Diffamierung und persönliche Herabsetzung der angegriffenen Personen gegangen.

5

4. Die gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht als offensichtlich unbegründet.

6

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandegerichts und rügt die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf willkürfreie Behandlung durch Polizei und Justiz gemäß Art. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, und des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG).

7

6. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz äußerte sich dahingehend, dass die Verfassungsbeschwerde unbegründet sei. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

8

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

9

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung von dieses Grundrecht beschränkenden Strafvorschriften (vgl. BVerfGE 43, 130 <136 f.>; 82, 43 <50 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).

10

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

11

a) Die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers greift in die Freiheit der Meinungsäußerung ein. Das Tragen der Hose mit der Aufschrift "ACAB" fällt in den Schutzbereich des Grundrechts. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen (BVerfGE 93, 266 <289>). Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfGE 90, 241 <247>; 124, 300 <320>).

12

Die Gerichte sind davon ausgegangen, dass der Aufdruck "ACAB" für die englische Parole "all cops are bastards" steht. Da diese Auflösung der Buchstabenfolge sowohl bei der Polizei als auch bei den Äußernden allgemein bekannt ist, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Verwendung der Buchstabenfolge der Äußerung der Aussage gleichgestellt wird. Die Gerichte haben sich hinreichend mit möglichen weiteren Deutungsmöglichkeiten auseinandergesetzt und sind mit schlüssigen Erwägungen zu dem naheliegenden Ergebnis der genannten Auslegung gelangt. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Parole ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2015 - 1 BvR 1036/14 -, NJW 2015, S. 2022).

13

b) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern unterliegt nach Art. 5 Abs. 2 GG den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre ergeben. § 185 StGB ist als allgemeines Gesetz geeignet, der freien Meinungsäußerung Schranken zu setzen (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 f.>).

14

c) Der in der Verurteilung liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit ist nicht gerechtfertigt, weil die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung nicht gewahrt sind.

15

Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen jedoch so interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt dieses Rechts in jedem Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 93, 266 <292>; 124, 300 <342>; stRspr).

16

Die Meinungsfreiheit findet in den allgemeinen Gesetzen und der durch diese geschützten Rechte Dritter ihre Grenze. Dies ist der Fall, wenn eine Meinungsäußerung die Betroffenen ungerechtfertigt in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der durch sie geschützten persönlichen Ehre verletzt. Dabei kann eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, unter bestimmten Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein (vgl. BVerfGE 93, 266 <299>). Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. Auf der imaginären Skala, deren eines Ende die individuelle Kränkung einer namentlich bezeichneten oder erkennbaren Einzelperson bildet, steht am anderen Ende die abwertende Äußerung über menschliche Eigenschaften schlechthin oder die Kritik an sozialen Einrichtungen oder Phänomenen, die nicht mehr geeignet sind, auf die persönliche Ehre des Individuums durchzuschlagen (BVerfGE 93, 266 <301 f.>). Es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266 <302 f.>).

17

Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe hat das Oberlandesgericht durch die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils verkannt. Es weist nicht in verfassungsrechtlicher tragfähiger Weise auf, dass sich die hier in Rede stehende Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht. Hierfür reicht es nicht, dass die im Stadion eingesetzten Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierten Zuordnung. Worin diese liegen soll, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Insbesondere genügt es nicht, dass der Beschwerdeführer, dem bewusst war, dass Einsatzkräfte der Polizei anwesend sein würden, hinter einer von der Polizei überwachten Gruppe das Stadion verließ. Es fehlen Feststellungen dazu, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte der Polizei begeben hat, um diese mit seiner Parole zu konfrontieren. Der bloße Aufenthalt im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei präsent ist, genügt den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine erkennbare Konkretisierung der Äußerung auf bestimmte Personen nicht. Es ist hieraus nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtet.

18

d) Die angegriffene Entscheidung beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

19

3. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da es an einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG genügenden Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben fehlt.

20

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Juli 2012 - 1(8) Ss 64/12-AK 40/12 -, das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 25. September 2013 - 9 Ns 410 Js 5815/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Mai 2014 - 1(8) Ss 678/13-AK 15/14 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen.

3. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Juni 2014 - 1(8) Ss 678/13-AK 15/14 - gegenstandslos.

4. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung.

2

1. Der Beschwerdeführer besuchte im Oktober 2010 ein Fußballspiel in Karlsruhe. Während des Spiels hielt der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Personen im Fanblock verschiedene großflächige Banner hoch. Ein Transparent trug die Aufschrift "Stuttgart 21 - Polizeigewalt kann jeden treffen", ein weiteres war mit der Aufschrift "BFE ABSCHAFFEN" versehen, wobei "BFE" für die Beweis- und Festnahmeeinheiten der Polizei steht. Der Beschwerdeführer und vier weitere Personen trennten vier Buchstaben aus diesem Transparent heraus und hielten diese dann in der Formation "A C A B !" hoch. Einige der im Stadion anwesenden Polizeibeamten fühlten sich durch das Transparent mit dem Akronym ACAB, das für "all cops are bastards" steht, in ihrer Ehre verletzt.

3

2. Das Amtsgericht sprach den Beschwerdeführer vom Tatvorwurf der Beleidigung frei. Nachdem die Berufung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht erfolglos geblieben war, hob das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück.

4

3. Das Landgericht stellte daraufhin fest, dass der Beschwerdeführer der Beleidigung schuldig sei, und verwarnte ihn unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30 €. Die ohne Zweifel ehrverletzenden Gehalt aufweisende Parole "all cops are bastards" beziehe sich vorliegend nicht auf eine unbestimmte Vielzahl von Polizeikräften. Durch das Hochhalten des Banners liege eine ausreichende Individualisierung auf die abgrenzbare Personengruppe der im Fußballstadion anwesenden Polizeibeamten vor, ohne dass es weiterer bezugsbegründender Handlungen wie etwa ein Hindeuten auf einzelne Personen oder ein Ansprechen Einzelner bedurft hätte. Eine Rechtfertigung gemäß § 193 StGB oder gemäß Art. 5 GG komme nicht in Betracht. Ausnahmsweise könne zwar auch eine unangemessene, ehrenrührige Äußerung gerechtfertigt sein, insbesondere, wenn ein irgendwie gearteter Zusammenhang zwischen Äußerung und Tätigkeit oder Verhalten des Adressaten denkbar sei. Die Bezeichnung als "Bastard" weise aber keinerlei inneren Bezug zur Tätigkeit oder zum Einsatz der Polizei auf, sondern sei eine Kundgabe mit verunglimpfendem Charakter ohne sonstigen sachlichen Inhalt.

5

4. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers. Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Aufdruck "ACAB" objektiv den Sinngehalt "all cops are bastards" habe und dass die so bezeichnete Person sowohl im englischen als auch im deutschen Sprachgebrauch als minderwertig und verachtenswert gekennzeichnet werde. Das Landgericht sei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Bezeichnung von Polizisten als "Bastarde" um eine herabsetzende Äußerung handle, bei der es nicht mehr um Kritik an der Tätigkeit der Polizeibeamten, sondern ausschließlich um die Diffamierung ihrer Person gehe. Dass eine solche Schmähkritik nicht den Schutz der Meinungsfreiheit genieße, entspreche höchstrichterlicher Rechtsprechung. Die Gehörsrüge des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht zurück.

6

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verurteilung. Er rügt die Verletzung seines Rechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Es handle sich bei der Äußerung nicht um Schmähkritik. Es dürfe nicht nur isoliert die Äußerung "ACAB" betrachtet werden. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich, dass es maßgeblich um die Auseinandersetzung mit zu diesem Zeitpunkt auch in landesweiten Medien stark kritisierten Polizeieinsätzen gegangen sei. Somit habe das Verhalten durchaus einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung dargestellt.

7

6. Dem Land Baden-Württemberg wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

8

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

9

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung von dieses Grundrecht beschränkenden Strafvorschriften (vgl. BVerfGE 43, 130 <136 f.>; 82, 43 <50 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).

10

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

11

a) Die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers greift in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung ein. Die Kundgabe des Akronyms ACAB fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen (BVerfGE 93, 266 <289>). Sie genießen den Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 93, 266 <289>; 124, 300 <320>).

12

Die Gerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass der Aufdruck "ACAB" für die englische Parole "all cops are bastards" steht. Da diese Auflösung der Buchstabenfolge sowohl der Polizei als auch den Äußernden allgemein bekannt ist, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Verwendung der Buchstabenfolge der Äußerung der Aussage gleichgestellt wird. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Parole ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2015 - 1 BvR 1036/14 -, NJW 2015, S. 2022).

13

b) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern unterliegt nach Art. 5 Abs. 2 GG den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre ergeben. § 185 StGB ist als allgemeines Gesetz geeignet, der freien Meinungsäußerung Schranken zu setzen (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 f.>).

14

c) Der in der strafgerichtlichen Verurteilung liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht gerechtfertigt, weil die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung nicht gewahrt sind.

15

aa) Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen jedoch so interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt dieses Rechts in jedem Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 93, 266 <292>; 124, 300 <342>; stRspr).

16

Die Meinungsfreiheit findet in den allgemeinen Gesetzen und der durch diese geschützten Rechte Dritter ihre Grenze. Dies ist der Fall, wenn eine Meinungsäußerung die Betroffenen ungerechtfertigt in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der durch sie geschützten persönlichen Ehre verletzt. Dabei kann eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, unter bestimmten Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein (vgl. BVerfGE 93, 266 <299>). Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. Auf der imaginären Skala, deren eines Ende die individuelle Kränkung einer namentlich bezeichneten oder erkennbaren Einzelperson bildet, steht am anderen Ende die abwertende Äußerung über menschliche Eigenschaften schlechthin oder die Kritik an sozialen Einrichtungen oder Phänomenen, die nicht mehr geeignet sind, auf die persönliche Ehre des Individuums durchzuschlagen (BVerfGE 93, 266 <301 f.>). Es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266 <302 f.>).

17

bb) Hiermit sind die angegriffenen Entscheidungen nicht vereinbar. Sie tragen die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils nicht. Hinreichende Gründe dafür, dass sich die allgemein formulierte Äußerung im konkreten Fall auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht, lassen sich ihnen nicht entnehmen. Hierfür reicht es nicht, dass die die Parole wahrnehmenden Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizisten und Polizistinnen bilden. Ebenso wenig genügt es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine personalisierte Zuordnung der Äußerungen, dass sich zur Sicherung des besuchten Fußballspiels auch Einsatzkräfte der Polizei im Stadion befanden und nach der Vorstellung des Beschwerdeführers die Möglichkeit bestand, dass diese die von ihm mit hochgehaltene Buchstabenfolge "A C A B !" wahrnehmen würden.

18

Eine strafbegründende Deutung der Aktion des Beschwerdeführers, wonach die Buchstabenkombination ohne weiteren Zusammenhang mit anderen Äußerungen im Rahmen des durch Einsatzkräfte der Polizei gesicherten Sportstadions als an diese adressiert hätte erscheinen müssen, war vorliegend den Feststellungen der Fachgerichte nicht zu entnehmen. Vielmehr war unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms "ACAB" Kritik an den Beweis- und Festnahmeeinheiten "(BFE)" sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts "Stuttgart 21" geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden. Hiermit setzen sich die Fachgerichte nicht sachhaltig auseinander. Aus den Feststellungen des Gerichts ist insofern nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtete.

19

Insoweit kann die strafgerichtliche Entscheidung auch nicht darauf gestützt werden, dass es sich bei der Aktion des Beschwerdeführers um eine unzulässige Schmähung gehandelt habe. Zum einen setzt auch die Annahme einer Schmähung eine personalisierte Zuordnung der Äußerungen voraus. Zum anderen ist der Begriff der Schmähung, der - anders als im Regelfall bei Entscheidungen über eine mögliche Beleidigung - keine Abwägung mehr mit der Meinungsfreiheit verlangt, von Verfassungs wegen eng zu definieren und erfasst nur Fälle, in denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). Auch hier konnten daher die zuvor gezeigten Transparente mit der allgemeineren Kritik an aktueller Polizeiarbeit nicht außer Betracht bleiben.

20

d) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

21

3. Wegen der festgestellten Verletzung der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kann offen bleiben, ob die Entscheidung des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer auch in seinen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und 103 Abs. 1 GG verletzt.

22

4. Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, da weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich sind. Dies dient dem Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>). Der Beschluss über die Anhörungsrüge ist damit gegenstandslos.

23

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).