Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 198

I. Allgemein

Der § 198 GVG hat seinen Ursprung in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2006.[1] Der EGMR beanstandete in dieser Entscheidung sowohl die Dauer eines deutschen Zivilprozesses als auch die fehlende Möglichkeit Einzelner sich gegen eine überlange Verfahrensdauer zu wehr zu setzten und sah hierin einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK. Hierbei handelt es sich nicht um das einzige Urteil, in welchen Deutschland verurteilt wurde hohe Entschädigungen zu zahlen: Zwischen 2006 und 2011 wurde Deutschland in 125 EGMR-Verfahren verurteilt, Entschädigungen in Höhe von knapp 1. Million Euro zahlen.[2]

Die Regelung des § 198 GVG beschränkt sich auf eine Wiedergutmachung der überlangen Verfahrensdauer im Sinne einer Entschädigung, trägt jedoch nicht zur Verkürzung der Verfahrensdauer bei.[3] Wird das Recht aus Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG auf eine Entscheidung in angemessener Zeit verletzt, weil ein Verfahren eine unangemessene Zeit lang dauert, löst dies den Tatbestand aus § 198 GVG aus, ohne dass ein Verschulden vorausgesetzt wird.[4]

1. Gerichtsverfahren (Abs. 6 Nr. 1)

Verfahrensbeteiligte die infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleiden können Entschädigung nach § 198 GVG beanspruchen.

Gem. § 98 Abs. 6 Nr. 1 ist ein Gerichtsverfahren, jedes Verfahren von der Eileitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe.

Ein Insolvenzverfahren gilt ab den Zeitpunkt der Antragsstellung, jedoch nur bis zur Eröffnung als Gerichtsverfahren. Keine Gerichtsverfahren iSv. Abs. 6 Nr. 1 sind demnach Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung. Hier gilt die Herbeiführung einer Entscheidung im Gerichtsverfahren. Grund dafür ist die Entscheidungsbefugnis der Insolvenzverwalter bzw. der Insolvenzgläubiger nach Eröffnung und der damit einhergehende Haftungsausschluss des Staates.[5]

Im Übrigen zählen auch Entschädigungsverfahren selbst zu den Gerichtsverfahren, für die eine Entschädigung wegen unangemessener Zeitdauer verlangt werden kann.[6]

2. Verfahrensbeteiligte (Abs. 6 Nr. 2)

§ 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG definiert Verfahrensbeteiligte. Hierzu zählt jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.[7] Nicht zu den Verfahrensbeteiligten gehören insbesondere Prozessbevollmächtigte einer Partei beziehungsweise eines Beteiligten, da sie keine eigenen Rechte hinsichtlich des Verfahrensgegenstandes haben und nur eine unterstützende Funktion ausüben.[8]

Im Strafverfahren sind Angeklagte, Nebenkläger, der Adhäsionskläger, und der Einziehungsbeteiligte Verfahrensbeteiligte iSv. Abs. 6 Nr. 2 GVG.[9]

II. Unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens

Zentrale Voraussetzung des § 198 GVG ist eine unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens.[10] Eine allgemein gültige Vorgabe hinsichtlich einer, als angemessenen oder unangemessenen geltenden Zeitdauer, existiert nicht.[11] Die Ziehung einer festen Jahresgrenze ist angesichts der Individualität eines jeden Verfahrens weder möglich noch sinnvoll.[12]

Da die Vorschrift einen Ausgleich zwischen der erforderlichen Zeitdauer eines Verfahrens und vermeidbaren Verzögerungen schaffen soll, wird zudem nicht lediglich auf die Zeitdauer eines Verfahrens abgestellt. Ob ein Verfahren eine angemessene Zeitdauer überschreitet, richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles.[13] Erforderlich ist eine Abwägung, bei der insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten Verfahrensbeteiligter und Dritter berücksichtigt werden.[14]

1. Bedeutung des Verfahrens

Hinsichtlich der Bedeutung des Verfahrens beziehungsweise des Rechtsstreits ist sowohl auf die persönliche Sicht der die Verfahrensdauer rügenden Person als auch auf die Bedeutung des Verfahrens für die Allgemeinheit abzustellen.[15] Dieses Kriterium der Bedeutung des Rechtsstreits für die Betroffenen wurde vom EGMR aufgestellt und nimmt in der deutschen Rechtsprechung – mit Ausnahme in Kindschaftssachen - nur eine geringe Rolle ein.[16]

2. Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens

Die Frage, wann ein Fall als „schwierig“ einzustufen ist, erfordert ebenfalls eine Gesamtbetrachtung. Grundsätzlich werden Fälle mit einer umfangreichen Klageschrift sowie zahlreichen Anlagen oder solche, bei denen mehrere Verfahrensbeteiligte vorhanden sind oder mehrere Gutachten benötigt werden als „schwierig“ angesehen.[17]

3. Verhalten Verfahrensbeteiligter und Dritter

Das Verhalten von Verfahrensbeteiligten sowie Dritten kann ebenfalls zur einer längeren Verfahrensdauer beitragen und muss daher mit in die Beurteilung einfließen.[18] Insbesondere können die vom Entschädigungskläger mitverursachten Verzögerungen keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen und dem Gericht entsprechend nicht angelastet werden, [19] Das gilt unabhängig von einer möglichen „Prozessverschleppungsabsicht“ oder sonstigem Verschulden des Entschädigungsklägers.[20] So kann sich bereits aus umfangreiche Stellungsnahmen, Anfragen, Fristverlängerungsanträge sowie Anträge auf Ruhelassens des Verfahrens und Ähnlichem eine längere nicht zu entschädigende Verfahrensdauer ergeben. Allerdings muss es dem Entschädigungskläger möglich sein, verschiedene Verfahrensschritte in Anspruch zu nehmen.[21] Diese Inanspruchnahme von Befangenheitsantrag, Beweisantrag etc. darf ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, es sei denn, sie kommt einem Boykott des Verfahrens gleich.[22] Eine ordnungsgemäße Inanspruchnahme von Verfahrensrechten ist weiterhin regelmäßig auch dann nicht gegeben, wenn der Entschädigungskläger durch zahlreiche Schriftsätze und einen sehr ausführlichen Sach- und Rechtsvortrag zur Überlänge des Verfahrens beigetragen hat.[23]

4. Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit 

In jedem Fall muss das Gericht ausreichend Gestaltungsspielraum sowie eine angemessene Zeit erhalten, in der es zur Entscheidungsfindung gelangen kann.[24] Art. 97 Abs. 1 GG normiert den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Diese ist ein grundlegendes Merkmal der rechtstaatlichen Rechtspflege. Aus der richterlichen Unabhängigkeit folgt, dass jeden Richter ein angemessener Zeitraum zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen muss.[25] Das Gericht benötigt einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der zu entscheidenden Rechtsfragen. Es muss selbst entscheiden welches Verfahren mit welchem Aufwand gefördert werden muss und welche Verfahrenshandlungen hierfür getätigt werden müssen.[26]

5. Geringfügige Verzögerungen

Werden im Verfahren nur geringfügige Verzögerungen festgestellt, die sich lediglich auf einzelne Verfahrensschritte beschränken und die Gesamtdauer nicht entscheidend beeinflussen, so ist eine Entschädigung nicht zu leisten.[27] Das gilt jedoch nur sofern diese Verzögerungen anderweitig - durch zurückliegende oder nachstehende, zur Verfahrensbeschleunigung beitragende, Maßnahmen -  kompensiert werden können.[28] Daher begründen grundsätzlich nur erhebliche Verzögerungen eine unangemessene Zeitdauer.[29]

Die angemessene Zeitdauer eines Verfahrens bezieht sich immer auf das Gesamtverfahren.[30] Nicht zur Verfahrensdauer zählen insbesondere eine angemessene Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts. Diese Zeit kann sich je nach Umständen des Einzelfalles auf bis zu zwölf Monaten je Instanz belaufen.[31] Ein nicht gerichtliches Vorverfahren ist für die Frage des Vorliegens einer unangemessenen Dauer ebenfalls nicht relevant.[32] Eine Ausnahme hiervon bildet das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren.[33] Hinzuzurechnen ist weiterhin auch eine Anhörungsrüge oder eine zulässige Gegenvorstellung.[34]

Ein Rückstand infolge chronischer Überlastung oder Unterbesetzung des Gerichts kann eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen.[35] Bund und Länder können sich insofern nicht auf systembedingte Umstände berufen. Entscheidend ist, ob die Verzögerungen der Justiz zuzurechnen sind.[36]

Ergibt eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles, dass die sich aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK ergebende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit abzuschließen, nicht eingehalten wurde, so ist von einer unangemessenen Zeitdauer auszugehen.[37]

III. Nachteil

Nach dem Wortlaut des Abs. 3 handelt es sich bei § 198 GVG nicht um einen klassischen Schadensersatzanspruch, sondern um einen Entschädigungs- bzw. Aufopferungsanspruch.[38]

Der Entschädigungskläger muss durch die unangemessene Zeitdauer des Verfahrens einen Nachteil erlitten haben.  Bei der Prüfung des Vorliegens von Nachteilen iSv. § 198 GVG ist zwischen materiellen und immateriellen Nachteilen zu differenzieren.

1. Materielle Nachteile

Möglich sind zunächst wirtschaftliche Nachteile. Wirtschaftliche Nachteile sind materielle Folgen. Hierzu zählen entgangene Gewinne[39], Wertminderungen, etwaige Rechtsverluste (Zinsverlust etc.)  sowie Verluste wegen Insolvenz.[40] Rechtsanwaltskosten des Vorprozesses sind in Höhe der gesetzlichen Gebühren zu ersetzen.[41] Bei der Feststellung der Unangemessenheit der Zeitdauer eines Gerichtsverfahrens müssen wirtschaftliche Nachteile stets ausgeglichen werden. Anders als bei immateriellen Nachteilen genügt der Hinweis auf die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nach Abs. 4 nicht aus.[42]

2. Immaterielle Nachteile

Weiterhin sind auch immaterielle Nachteile möglich. Überlange Strafverfahren verursachen in den meisten Fällen psychische Nachteile. Hierbei handelt es sich um immaterielle Folgen iSe. persönlichen Belastung, die durch eine lange Verfahrensdauer sowie die damit verbundene Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens entstehen.[43] Neben dieser psychischen Belastung handelt es sich weiterhin auch bei der Rufschädigung infolge eines überlangen Verfahrens sowie der Kindesentfremdung aufgrund eines überlangen Sorgerechtsstreits[44], um immaterielle Nachteile.[45]

3. Widerlegbare Vermutung eines Nachteils (Abs. 2)

Abs. 2 S. 1 normiert eine widerlegbare Vermutung hinsichtlich des Vorliegens eines immateriellen Schadens bei einer unangemessen langen Verfahrensdauer. Das bedeutet, dass bei Vorliegen einer unangemessen langen Verfahrensdauer von einem Nachteil ausgegangen werden muss, der nicht Vermögensnachteil ist.[46] Die Vermutung ist allerdings widerlegbar.[47] Wird eine überlange Verfahrensdauer festgestellt, so kann der Staat den Gegenbeweis erbringen, dass dem Entschädigungskläger kein immaterieller Schaden entstanden ist.[48] Dabei dürfen keine hohen Anforderungen an den Gegenbeweis gestellt werden.[49] Die Vermutung eines immateriellen Schadens ist regelmäßig dann widerlegt, wenn bei dem Entschädigungskläger aufgrund der Zugehörigkeit seines Verfahrens zu einer Vielzahl anderer ähnlich gelagerter (Massen-)Verfahren keine fühlbaren psychischen oder physischen Beeinträchtigungen festgestellt werden können.[50] Die Vermutung kann weiterhin widerlegt werden, wenn das verzögerte Verfahren für den Entschädigungskläger eine so geringe Bedeutung hatte, dass das Entstehen eines Nachteils in Form einer psychischen Belastung ausgeschlossen erscheint.[51] Schließlich ist einer Widerlegung der Vermutung nach § 198 Abs. 2 GVG auch bei bloße Behaaren auf einer Rechtsauffassung möglich, die vom erkennenden Gericht nicht geteilt wird und der Sache nach bereits entschieden wurde, möglich.[52]

4. Höhe der Entschädigung

Nach § 198 Abs. 2 S. 3 GVG erhält der Entschädigungskläger für die aufgrund einer unangemessenen Zeitdauer erlittenen immateriellen Nachteile eine Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung.[53] Die überwiegend herrschende Meinung geht davon aus, dass durch diese Gesetzesfassung eine Entschädigung für nicht vermögenswerte Nachteile, die durch eine unberechtigte Verzögerung von unter einem Jahr entstanden sind, nicht ausgeschlossen wird.[54]

5. Keine Entschädigung bei Wiedergutmachung durch Feststellung (Abs. 4)

Gem. § 98 Abs. 4 GVG kann der Entschädigungskläger auch auf „andere Weise“ entschädigt werden. So kann das Gericht statt einer Geldzahlung auch die Feststellung treffen, dass das Verfahren unangemessen lang gedauert hat.[55] In diesem Fall erhält der Entschädigungskläger keine Geldentschädigung. Bei dieser Art Entschuldigung wird der Name des „Täters“ nicht genannt, weshalb die Entscheidung, die Feststellung als Entschuldigung anzusehen, in der Literatur ablehnt wird.[56]

Eine Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer kann auch neben einer Entschädigung erfolgen.[57] Sie bedarf keines Antrags.[58]

Das Gericht hat weiterhin auch die Möglichkeit, in Fällen, bei denen der Entschädigungskläger die Verfahrensdauer nicht gerügt hat und deshalb eine Entschädigung ausgeschlossen ist, die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer treffen.[59]

VI. Verzögerungsrüge (Abs. 3)

Gem. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG muss ein Verfahrensbeteiligter die Dauer des Verfahrens rügen. Die Erhebung einer Verzögerungsrüge ist mithin eine weitere Voraussetzung für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs.[60] Die Rüge hat eine Doppelfunktion.[61] Sie soll zum einem das Gericht warnen, welches sich dann bemühen sollte, das Verfahren zu beschleunigen.[62] Andererseits soll die Verzögerungsrüge verhindern, dass der Entschädigungskläger die Verzögerung zum Zwecke der Erlangung der Entschädigung iHv. 1200 Euro je Jahr hinnimmt (Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs).[63] In der Literatur wird die Voraussetzung einer Verzögerungsrüge kritisiert. Dem Gesetzgeber wird vorgeworfen, dem Verfahrensbeteiligten die Verfolgung seiner Rechte zu erschweren, um eine übermäßige Auslastung der Staatskasse zu verhindern.[64] Eine Beschleunigung der Verfahren wird durch das Erfordernis nicht erfolgen. Wird ein gerügtes Verfahren tatsächlich beschleunigt geht das immer mit einer Benachteiligung der bisher nicht gerügten Verfahren einher.[65]

1. Form

Die Verzögerungsrüge ist formlos möglich und kann sowohl mündlich als auch schriftlich erhoben werden.[66]

2. Inhalt

Auch ein Mindestinhalt wird nicht vorausgesetzt. Erforderlich ist lediglich, dass die Dauer des Verfahrens gerügt wird.[67] So kann auch die Äußerung eines Verfahrensbeteiligten, welche nicht ausdrücklich als „Verzögerungsrüge“ bezeichnet wird, dennoch als solche ausgelegt werden.[68] Der Verfahrensbeteiligte muss nur auf irgendeine Weise zum Ausdruck bringen, dass er mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist oder diese beanstandet.[69] Eine Begründung iSe. Auflistung der Umstände, aus denen sich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer ergibt, ist nicht erforderlich.[70] Mithin ist auch eine Auslegung unklarer Schriftsätze zulässig.[71] Auch eine Bitte um die Beschleunigung des Verfahrens kann unter Umständen als ausreichend angesehen werden.[72]

Der Entschädigungskläger muss jedoch auf erkennbare Nachteile, die ihm durch die Verzögerung des Verfahrens drohen hinweisen. Diese Hinweispflicht gilt für alle Umstände, welche für die gebotene Zügigkeit zwar wichtig sind, jedoch noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind.[73]

Die Dienstaufsichtsbeschwerde nach § 26 Abs. 2 DRiG ersetzt nicht die Förmlichkeiten einer Rüge.[74]

3. Zeitpunkt

Gem. § 198 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 GVG kann die Rüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Anlass zur Besorgnis besteht regelmäßig dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfahren keinen angemessenen zügigen Fortgang nimmt.[75] Erst wenn objektive Gründe vorliegen, die bei einer vernünftigen Betrachtungsweise geeignet sind, zur einer unangemessen Verfahrensdauer zu führen, kann eine Rüge erhoben werden. Hierbei darf kein zu strenger Maßstab angelegt werden.[76] Das subjektive Empfinden der Verfahrensbeteiligten ist indes unerheblich.[77]

Eine Verzögerungsrüge kann auch mehrmals, jedoch nur mit einem Abstand von sechs Monaten erhoben werden.[78] Dieser Abstand von sechs Monaten kann nur gekürzt werden, wenn besondere Umstände, wie ein zum Beispiel ein Richterwechsel vorliegen.[79]

4. Kosten

Die Einreichung der Rüge erfordert weder eine Gerichtsgebühr. Da die Rüge zum Rechtszug gehört, fällt auch keine Anwaltsgebühr an.[80]

5. Anwaltszwang

Anwaltszwang für die Verzögerungsrüge besteht nur, sofern der Anwaltszwang auch im Ausgangsverfahren bestand.[81]

VI. Prozesskostenhilfe

Eine Verfahrenskostenhilfe kommt auch für die Entschädigungsklage in Betracht, sofern weitere Voraussetzungen vorliegen.[82] Weist das erstinstanzlich zuständige Oberlandesgericht den Prozesshilfegesuch ab, ist die Rechtsbeschwerde als Rechtsbehelf möglich.[83] Sie ist gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO jedoch nur statthaft, wenn das zuständige Oberlandesgericht sie im angefochtenen Beschluss zugelassen hat.[84] In jeden anderen Fall ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.[85]

VII. Entschädigungsklage (Abs. 5)

1. Zeitpunkt

Gem. § 198 Abs. 5 S. 1 GVG kann eine Entschädigungsklage frühstens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsklage erhoben werden. Die Fristeinhaltung stellt eine besondere Sachurteilsvoraussetzung dar[86] und wird von Amtswegen geprüft.[87] Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Zustellung der Klage.[88] Allerdings tritt die Wirkung der Fristwahrung bereits zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage ein, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt (§ 167 ZPO).[89] Klagen, die vor Fristablauf erhoben werden, sind unzulässig und werden nicht nach Ablauf der Frist zulässig.[90] Insofern liegt ein nicht heilbarer Mangel vor.[91] Nur in Sonderfällen[92] kann eine verfrühte Einreichung unschädlich sein.[93]Die Fristversäumung kann zudem nicht durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beseitigt werden.[94] Grund hierfür findet sich in § 233 ZPO der wiedereinsetzungsfähige Fristen normiert und diese Frist nicht nennt.[95] Die Frist wird vielmehr selbst dann nicht gewahrt, wenn ein Prozesshilfegesuch eingereicht wird, dem ein nicht unterzeichneter Entwurf einer Klageschrift beigefügt wurde.[96]

Gem. § 198 Abs. 5 S. 2 GVG muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden.[97] Die Frist stellt eine Ausschlussfrist dar.[98] Mithin hat der Kläger seinen möglichen Anspruch auf Entschädigung nach Fristablauf verwirkt.[99] Es sind jedoch Fälle denkbar, bei denen Treu und Glauben der Verwirkung des Entschädigungsanspruchs entgegenstehen.[100] Dieselbe Ausschlussfrist enthält im Übrigen auch Art. 35 Abs. 1 EMRK.[101]

2. Verjährung

Die Verjährung des Entschädigungsanspruchs richtet sich nach § 196 BGB.[102]

 

 

 
[1] EGMR (Große Kammer), Urt. v. 8. 6. 2006 - 75529/01Sürmeli/Deutschland = EGMR NJW 2006, 2389.
[2] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 2.
[3] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 3.
[4] BT-Drs. 17/3802, 18.; Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 4.
[5] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 23.
[6] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 26.
[7] Vgl. § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG.
[8] BT-Drs. 17/3802, 23; OVG Berlin-Brandenburg (3. Senat), Urt. v. 07.09.2021, OVG 3 A 34/20 = OVG Berlin-Brandenburg OVG 3 A 34/20.
[9] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 40.
[10] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 7.
[11] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 7.
[12] Vgl. BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 20. 7. 2000 - 1 BvR 352/00 = BVerfG NJW 2001, 214.
[13] BGH, Urt. v. 14. 11.2013 – III ZR 376/12 = BGH NJW 2014, 220; OLG Karlsruhe (Senat), Urt. v. 19.12.2013 - 23 SchH 2/13 EntV = OLG Karlsruhe BeckRS 2013, 22615; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 5.
[14] EGMR (V. Sektion), Urt. v. 24.1.2019 – 16741/16 (Fröhlich/Deutschland) = EGMR NJW 2020, 601 Rn. 38; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 5.
[15] BT-Drs.17/3802, 18.
[16] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 38.
[17] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 33.
[18] Graf in NZWiSt 2012, 121, 123 f..
[19] BGH, Urt. v. 13.2.2014 – III ZR 311/13 = BGH NJW 2014, 1183 Rn. 42; Graf in NZWiSt 2012, 121, 123 f..
[20] BGH, Urt. v. 13.2.2014 – III ZR 311/13 = BGH NJW 2014, 1183 Rn. 42.
[21] Graf in NZWiSt 2012, 121, 123 f..
[22] Althammer/Schäuble in NJW 2012, 1, 2; Graf in NZWiSt 2012, 121, 123 f..
[23] LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.11.2012 - L 2 SF 436/12 EK = LSG BW BeckRS 2013, 65326; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 10.
[24] Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 5.
[25] BGH, Urt. v. 14.11.2013 – III ZR 376/12 = BGH NJW 2014, 220; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 8; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 5.
[26] Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 5.
[27] BGH, Urt. v. 10.4.2014 – III ZR 335/13 = BGH NJW 2014, 1967.
[28] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 8.
[29] BVerfG Beschl. v. 25.9.2012 − 2 BvR 2819/11.
[30] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 13; Graf NZWiSt 2012, 121, 124.
[31] BSG, Urt. v. 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R = BSG BeckRS 2014, 74259; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 14.
[32] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 6.
[33] OLG Köln BeckRS 2015, 14622; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 6.
[34] BGH NJW 2017, 2478; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 6.
[35](EGMR, Urt. v. 25. 2. 2000 – 29357/95 Rdnr. 78 – Gast und Popp/Deutschland; EGMR, Urt. v. 27. 7. 2000 – 33379/96 Rdnr. 43 – Klein/Deutschland; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 5.
[36] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 17.
[37] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 7; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 5.
[38] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 41.
[39] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 40; Zuck NVwZ 2012, 265, 268; aA.: BT-Drs. 17/7217, 3; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 98, Rn. 7.
[40] OLG Braunschweig, Urt. v. 8. 2. 2013 – 4 SchH 1/12 = NJOZ 2013, 1386 (1394); Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 7.
[41] BGH Urt. v. 23.01.2014 – III ZR 37/13 = BGH NJW 2014, 939; Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 45.
[42] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 46.
[43] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 18.
[44] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 40; Althammer in JZ 2011, 446.
[45] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 41.
[46] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 41.
[47] Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 98, Rn. 8.
[48] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 41.
[49] BGH Urt. v. 12.02.2015 – III ZR 141/14 = BGH NJW 2015, 1312.
[50] Vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2017 – III ZR 277/16 = BGH NZG 2015, 717.
[51] OLG Hamm, Urt. v. 10.08.2016 -  11 EK 5/15 = OLG Hamm NJOZ 2017, 586.
[52] BGH, Urt. v. 13.4.2017 – III ZR 277/16 = BGH NJW 2017, 2478.
[53] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 49; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 8.
[54] BT-Drs. 17/3802, 20; BSG Urt. v. 21.02.2013 – b 10 ÜG 1/12 KL = BSG NJW 2014, 248 Rn. 47; Schenke NVwZ 2012, 258, 262; Söhngen NZS 2012, 493.
[55] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 43.
[56] Vgl. Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 43.
[57] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 30.
[58] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 30.
[59] BT-Drs. 17/3802, 22; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 31.
[60] BT-Drs. 17/3802, 22; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198 GVG, Rn. 23.
[61] BT-Drs. 17/3802, 20; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198 GVG, Rn. 24.
[62] Vgl. BT-Drs. 17/3802, 20; Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 52.
[63] Vgl. BT-Drs. 17/3802, 20; Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 52.
[64] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 52.
[65] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 52.
[66] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198 GVG, Rn. 23.
[67] BGH NJW 2021, 859 Rn. 18; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 9.
[68] BVerfG, Beschl. v. 17.12.2015 – 1 BvR 3164/13 = BVerfG NJW 2016, 2018 Rn. 31.
[69] BVerfG, Beschl. v. 17.12.2015 – 1 BvR 3164/13 = BVerfG NJW 2016, 2018 Rn. 31.
[70] BT-Drs. 17/3802, 21; Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 59.
[71] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 59.
[72] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 23.
[73] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 61.
[74] OLG Köln, Urt. v.  31.10.2013 – 7 SchH 7/12 = OLG Köln NJW-RR 2014, 636; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 9.
[75] BGH, Urt. v. 10.4.2014 – III ZR 335/13 = BGH NJW 2014, 1967 Rn. 31; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 9.
[76] BGH, Urt. v. 26.11.2020 – III ZR 61/20 = BGH NJW 2021, 859 Rn. 21.
[77] BGH, Urt. v. 26.11.2020 – III ZR 61/20 = BGH NJW 2021, 859 Rn. 21¸ Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 9.
[78] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 27.
[79] BT-Drs. 17/3802, 21; Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198 GVG, Rn. 27.
[80] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 64; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198 GVG, Rn. 9.
[81] BT-Drs. 17/3802, 20.
[82] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 41.
[83] BGH, Beschl. v. 27. 6. 2012 − III ZB 45/12 = BGH NJW 2012, 2449 Rn. 4
[84] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 42.
[85] BGH (III. Zivilsenat), Beschl. v. 25.06.2015 - III ZA 27/15 = BGH BeckRS 2015, 11400.
[86] Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 10.
[87] BGH, Urt. v. 17.7.2014 – III ZR 228/13 = BGH NJW 2014, 2588 Rn. 17.
[88] BGH, Urt. v. 13.3.2014  III ZR 91/13 = BGH NJW 2014, 1816 Rn. 21.
[89] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 76.
[90] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 73; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 10.
[91] BGH, Urt. v. 17.7.2014 – III ZR 228/13 = BGH NJW 2014, 2588 Rn. 17; Schlick in NJW 2014, 2686, 2688.
[92] BGH, Urt. v. 21.5.2014 – III ZR 355/13 = BGH NJW 2014, 2443.
[93] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 73.
[94] Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 10.
[95] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 74.
[96] Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 10.
[97] Vgl. Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 10.
[98] BT-Drs. 17/3802, 22; Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 74.
[99] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 74.
[100] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 75.
[101] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 74.
[102] Pabst in MüKo-ZPO, 6. Auflage, 2022, § 198, Rn. 77.
[103] Graf in BeckOK-GVG, 14. Edition, Stand: 15.02.2022, § 198, Rn. 8.
[104] EGMR (V. Sektion), Urt. v. 24.1.2019 – 16741/16 (Fröhlich/Deutschland) = EGMR NJW 2020, 601 Rn. 38; Wittschier in Musielak/Voit-ZPO, 19. Auflage, 2022, § 198, Rn. 5.

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 37/13 Verkündet am: 23. Januar 2014 F r e i t a g Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja GVG § 198 Abs

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bei uns veröffentlicht am 14.11.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 376/12 Verkündet am: 14. November 2013 K i e f e r Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Unangemessene.

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2015 - III ZR 141/14

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 141/14 Verkündet am: 12. Februar 2015 B o t t Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja GVG § 198 Abs.

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Verfassungsrecht: "Honeywell-Fall" - Feststellung eines Ultra-Vires-Akts nur bei schwerer Kompetenzüberschreitung

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Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 06.07.2010 die Entscheidung des EuGH im sog. „Mangold“-Fall bestätigt und die, ihr zugrundeliegende, Verfassungsbeschwerde verworfen. Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das BVerfG setzt einen hinreichend qualifizierten Kompetenzverstoß der europäischen Organe voraus. Dieser ist gegeben, wenn das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist. Weiterhin muss der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedsstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzgebung erheblich ins Gewicht fallen. Das BVerfG ist demnach nur berechtigt schwerwiegende Verstöße zu überprüfen. Es wird angehalten vor der Annahme eines Ultra-vires Akts den EuGH anzurufen. Das Schaffen eines Verbots der Altersdiskriminierung durch den EuGH stellt weiterhin keinen ausbrechenden Rechtsakt dar. Der EuGH habe mit seiner Entscheidung lediglich eine neue Fallgruppe geschaffen, wie Rechtsnormen behandelt werden, welche richtlinienwidrig erlassen wurden. Streifler & Kollegen - Rechtsanwälte - Anwalt für Verfassungsrecht

Zivilrecht: Das Bundesverfassungsgericht kippt den Mietendeckel

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Strafrecht: Schaufensterschrift „Asylanten müssen draußen bleiben“ mit Hundeabbildung ist wegen Volksverletzung strafbar

24.09.2020

Ein Schaufensterbild, das mit der Aufschrift „Asylanten müssen draußen bleiben“ inklusive dem Bild eines Hundes aufgestellt wird, ist wegen Volksverhetzung strafbar. Ein solches Bild setzt die Asylanten als Bevölkerungsgruppe mit Hunden als Tiere, die wegen Ihrer Unreinlichkeit Läden nicht betreten dürfen, auf dieselbe Stufe. Das Wort „Hunde“ mit „Asylanten“ zu ersetzen sei nach Ansicht des AG Wunsiedel eine böswillige Herabwürdigung – Streifler & Kollegen, Anwalt für Strafrecht

Verfassungsrecht: Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt

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Artikel zu Prozessrecht

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Zu welch interessanten Erkenntnissen das Posten eines völlig harmlosen, etwa 150 Jahre alten Gemäldes auf Facebook führen kann, hat jetzt ein Landgericht in Paris gezeigt.

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Es gibt keine allgemeine Regel, wonach die Eigengefährdung des Täters einem Tötungsvorsatz entgegensteht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. So hat der Tatrichter einzelfallbezogen zu klären, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Diesem Erfordernis wurde das Landgericht im strittigen Fall nicht gerecht: Allgemeine Erfahrungssätze, wie etwa „wer den Sicherheitsgurt nicht anlege, nehme für den Kollisionsfall zwangsläufig auch seinen eigenen Tod in Kauf“ (so das LG Frankfurt) genügen dem Erfordernis eines gewissen Begründungs- und Beweisaufwandes allerdings nicht – Dirk Streifler, Streifler & Kollegen Rechtsanwälte

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Um einen im Verfahren sitzenden Richter aus dem Prozess auszuschließen kennt die deutsche Strafprozessordnung zwei Möglichkeiten: Die Ausschließung nach § 22 StPO, die von Gesetzes wegen eintritt, sowie die Ablehnung nach § 24 StPO, die aufgrund eines Antrags gerichtlich geprüft wird. Ein Ablehnungsgesuch i. S. v. § 24 StPO ist dann begründet, wenn aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters bestehen – Streifler & Kollegen, Dirk Streifler, Rechtsanwalt für Strafrecht

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Unterlassungsanspruch: Frau fordert einstweilige Verfügung gegen Schwiegermutter und verzichtet zum eigenen Nachteil auf Anspruch nach Gewaltschutzgesetz

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Die Kehrseite des Erinnerns – Das OLG verneint den Auslistungsanspruch des Klägers aufgrund eines öffentlichen Interesses an der Berichterstattung

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Der Kläger begehrte die Löschung eines auf Google veröffentlichten Artikels, welcher unter Nennung seines vollen Namens einen unliebsamen Bericht über seine Handlungen aus der Vergangenheit (insb. persönlicher Gesundheitsdaten) erstattete. Das OLG verneinte einen solchen Auslistungsanspruch mit der Begründung, dass Interesse des Betroffenen nicht schwerer wiege als die kollidierenden Grundrechts- und Interessenlagen. – Streifler & Kollegen, Benedikt Mick – Anwalt für Strafrecht

Unzureichende Begründung der Fachgerichte bei der Verurteilung wegen Beleidigung eines Finanzministers als "rote Null"

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Das Bundesverfassungsgericht gelingt zu der Ansicht, dass die Verurteilung eines Mannes wegen Beleidigung, verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Die Meinungsfreiheit des Mannes wurde von den Gerichten nicht hinreichend berücksichtigt, weil eine Abwägung zwischen den allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Finanzministers und der Meinungsfreiheit des Mannes nicht stattgefunden hat. Der Mann hat in einen Schreiben an die Finanzbehörden, den damaligen Finanzminister unter anderen als "rote Null" bezeichnet. 

Bezeichnung eines Richters als "Kindesentfremder", "Provinzverbrecher" und "asoziale Justizverbrecher" nicht strafbar

24.03.2022

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Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 376/12
Verkündet am:
14. November 2013
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Unangemessene Verfahrensdauer

a) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1
Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.

b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer
dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG
ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung
beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des
Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19
Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren
in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.

c) Bei der Beurteilung des Verhaltens des Gerichts darf der verfassungsrechtliche
Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt
bleiben. Dem Gericht muss in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und
Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Es benötigt einen Gestaltungsspielraum,
der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen
ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches
Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen
dazu erforderlich sind.
BGH, Urteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12 - Oberlandesgericht Celle
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. November 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Wöstmann, Seiters, Dr. Remmert und Reiter

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 24. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs , an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger macht gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens geltend.
2
In einem gegen andere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft H. wurde der Kläger am 4. Juli 2007 als Zeuge staatsanwaltschaftlich zu der Frage vernommen, wann er ein bestimmtes Gutachten über altersgerechtes Wohnen erstellt habe. Der ermittelnde Staatsanwalt äußerte in einem Vermerk vom 24. Oktober 2007 den "dringenden Verdacht" , dass der Kläger die Unwahrheit gesagt habe, und forderte für diesen einen Bundeszentralregisterauszug an. Darüber hinaus veranlasste er, dass der Kläger am 28. November 2007 richterlich als Zeuge vernommen und vereidigt wurde. Ob ihm bei dieser Gelegenheit von Seiten des ermittelnden Staatsanwalts mitgeteilt worden ist, dass gegen ihn wegen Meineides ermittelt werde, ist zwischen den Parteien streitig.
3
Am 4. November 2009 wurde der Kläger als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung und des Meineids förmlich eingetragen und zu den Tatvorwürfen angehört. Am 5. Februar 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zum Amtsgericht H. . Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 9. April 2010 eine umfassende Einlassung abgegeben und die Staatsanwaltschaft hierzu am 29. April 2010 Stellung genommen hatte, beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 12. Mai 2010 die Gewährung einer (weiteren) Einlassungsfrist bis Ende Juni 2010. Die angekündigte Erklärung des Verteidigers erfolgte nicht. Mit Beschluss vom 23. Juni 2011, rechtskräftig seit 1. Juli 2011, lehnte das Amtsgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. In einem dem Kläger am 1. September 2011 zugegangenen gerichtlichen Schreiben wurde er über den Eintritt der Rechtskraft des Nichteröffnungsbeschlusses informiert.
4
Das Oberlandesgericht hat das beklagte Land unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger eine immaterielle Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 3.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Gleichzeitig hat es die Revision zugelassen "wegen der grundsätzlichen Bedeutung im Hinblick auf die Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers in Strafverfahren und die Frage, ob und inwieweit sich Fehler der Strafverfolgungsbehörden auf die Höhe der Entschädigung auswirken können".
5
Gegen dieses Urteil richten sich die Rechtsmittel beider Parteien. Der Kläger verfolgt mit der Revision seinen auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung von mindestens 4.000 € gerichteten Klageantrag weiter. Der Beklagte erstrebt mit Revision und (inhaltlich identischer) Anschlussrevision die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe


6
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Revision des Beklagten führt dagegen zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.


7
Die Revisionen sind zulässig.
8
Im Tenor des angefochtenen Urteils wurde die Revisionszulassung uneingeschränkt ausgesprochen. Den Entscheidungsgründen lässt sich nicht mit der notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit entnehmen, dass das Oberlandesgericht die Revision nur eingeschränkt zulassen, insbesondere nur dem Kläger Gelegenheit zur Überprüfung des Urteils geben wollte (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, NJW 2012, 2446 Rn. 6; vom 26. September 2012 - IV ZR 108/12, VersR 2013, 120 Rn. 7 und vom 19. April 2013 - V ZR 113/12, NJW 2013, 1948 Rn. 10). Im Übrigen wäre angesichts der (zusätzlich) eingelegten Anschlussrevision das angefochtene Urteil auch dann auf Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten zu überprüfen, wenn man den Gründen eine Beschränkung der Revisionszulassung für eine einzelne Prozesspartei entnehmen wollte.

II.


9
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
10
Der maßgebliche Zeitraum für die Beurteilung, ob das gegen den Kläger geführte Strafverfahren übermäßig lang gewesen sei, erstrecke sich von November 2007 bis zum 1. September 2011 (Mitteilung über den Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses vom 23. Juni 2011). Die Einschätzung des ermittelnden Staatsanwalts in dem Vermerk vom 24. Oktober 2007, es liege der "dringende Verdacht" einer unwahren Aussage vor, und der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde einen Auszug aus dem Bundeszentralregister angefordert habe, hätten dazu geführt, dass der Kläger von da an der Sache nach als Beschuldigter behandelt worden sei. Spätestens seit der richterlichen Zeugenvernehmung vom 28. November 2007, in der ihm vermeintliche Unwahrhei- ten in seiner Aussage vorgehalten worden seien und nach der er auf Antrag des anwesenden Staatsanwalts vereidigt worden sei, habe er davon ausgehen müssen, dass er als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren behandelt werde. Ermittlungshandlungen seien von November 2007 bis zur förmlichen Eintragung als Beschuldigter im November 2009 nicht erfolgt. Das Verfahren sei mehr als zwei Jahre überhaupt nicht betrieben worden, so dass dem Kläger für mindestens 24 Monate eine Entschädigung gemäß § 198 Abs. 1 i.V.m. § 199 GVG zustehe. Nach Anklageerhebung habe ab Juni 2010 keine nennenswerte Verfahrensförderung mehr stattgefunden. Es sei weder dargelegt noch erkennbar, warum das - allerdings recht umfangreiche - Verfahren nahezu ein Jahr lang nicht mit dem Ziel einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bearbeitet worden sei. Davon sei ein Zeitraum von sechs Monaten als unangemessen verzögerte Verfahrensdauer anzusehen. Nach allem ergebe sich im Rahmen der abschließend vorzunehmenden Gesamtwürdigung eine von den Behörden des beklagten Landes zu verantwortende Verzögerung von zwei Jahren und sechs Monaten. Bei Zugrundelegung des Regelsatzes der Entschädigung für immaterielle Nachteile von 1.200 € pro Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) stehe dem Kläger ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 3.000 € zu. Dieser Betrag sei nach den Umständen des Einzelfalls nicht als unbillig anzusehen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Schuldhafte Verstöße der Strafverfolgungsbehörden gegen die Vorgaben der Strafprozessordnung - der Kläger sei trotz bestehenden Anfangsverdachts und entgegen § 62 StPO zur Erlangung einer wahrheitsgemäßen Aussage vereidigt worden - rechtfertigten jedenfalls im Regelfall keine Abweichung von der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgesehenen Pauschale.
III. Die Revision des Beklagten
11
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Ersturteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht, soweit zum Nachteil des beklagten Landes entschieden worden ist.
12
1. Zutreffend und von der Revision nicht beanstandet geht das Oberlandesgericht davon aus, dass die verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Regelungen der §§ 198-201 GVG nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) auf den Streitfall Anwendung finden. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren , deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) ist oder noch werden kann. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Das vom Kläger als unangemessen lang angesehene Strafverfahren wurde durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juni 2011, rechtskräftig seit 1. Juli 2011, beendet und war damit bei Inkrafttreten des ÜGRG abgeschlossen. Die sechsmonatige, mit der Bekanntmachung der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung beginnende Frist für eine Individualbeschwerde zum EGMR nach Art. 35 Abs. 1 EMRK war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Entschädigungsgesetzes noch nicht abgelaufen. Die Dauer des Verfahrens hätte somit noch Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden können. Einer Anrufung des EGMR bedurfte es nicht (Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 198 Rn. 57).
13
Durch die am 17. Februar 2012 eingereichte und am 3. April 2012 zugestellte Klageschrift wurde die Ausschlussfrist des Art. 23 Satz 6 ÜGRG (3. Juni 2012) gewahrt.
14
2. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass in die Beurteilung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 199 GVG auch der Zeitraum von November 2007 bis November 2009 einzubeziehen sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
15
a) Mit rechtsfehlerhafter Begründung hat das Gericht angenommen, dass der Kläger bereits seit dem 24. Oktober 2007, dem Tag der Anfertigung des Vermerks des zuständigen Staatsanwalts, "als Beschuldigter behandelt worden" sei.
16
aa) Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. In zeitlicher Hinsicht erfasst der Begriff des Gerichtsverfahrens nach der Legaldefinition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG alle Verfahrensstadien von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Der Begriff "Einleitung" meint alle Formen, mit denen ein Verfahren in Gang gesetzt wird, unabhängig davon, ob dies durch Antrag oder Klageerhebung oder, wie im Strafverfahren, von Amts wegen geschieht (BT-Drucks. 17/3802 S. 22; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 51, 53 und § 199 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer aaO § 198 Rn. 7). § 199 Abs. 1 GVG erstreckt den Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Dieses ist eingeleitet, sobald die Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs. 1 StPO) oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes (§ 163 StPO) eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Einl. Rn. 60). Dabei ist Beschuldigter derjenige, gegen den polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung geführt werden. Die Beschuldigteneigenschaft kann nur durch einen Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde begründet werden, der regelmäßig in der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens liegt. Ausreichend ist es aber auch, wenn gegen den Betroffenen faktische Maßnahmen ergriffen werden, die erkennbar zum Ziel haben, ihn als Täter einer Straftat zu überführen (HK-StPO-Zöller, 5. Aufl., § 157 Rn. 1 und § 160 Rn. 6; KKGriesbaum , StPO, 7. Aufl., § 160 Rn. 14; Meyer-Goßner aaO Rn. 76).
17
bb) Nach diesem Maßstab ist nach Aktenlage gegen den Kläger erstmals mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 4. November 2009 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung und des Meineids eingeleitet worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde er als Beschuldigter förmlich eingetragen und anschließend zu den Tatvorwürfen angehört. Demgegenüber kann der (bloße) Vermerk des den Kläger als Zeugen vernehmenden Staatsanwalts vom 24. Oktober 2007, es bestehe der "dringende Verdacht" unwahrer Angaben, noch nicht als förmliche Einleitung eines Ermittlungsverfahren angesehen werden, zumal in der Folgezeit keine Maßnahmen ergriffen wurden, die erkennbar darauf abzielten, den Kläger einer Straftat zu überführen. Die bloße Anforderung eines Bundeszentralregisterauszugs kann ebenso wenig als eine solche Maßnahme angesehen werden wie der Antrag, den Kläger ermittlungsrichterlich als Zeugen zu vernehmen.
18
b) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts erweist sich aber auch unter einem weiteren Gesichtspunkt als rechtsfehlerhaft.
19
aa) In Strafsachen beginnt der nach § 198 Abs. 1 GVG zu beurteilende Zeitraum für den Beschuldigten nicht bereits mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens , sondern - der förmlichen Einleitung regelmäßig nachfolgend - erst mit der Eröffnung der Beschuldigung oder mit einer die Person ernsthaft beeinträchtigenden Ermittlungsmaßnahme (BT-Drucks. 17/3802 S. 24; Kissel/ Mayer aaO § 198 Rn. 13; Ott aaO § 199 GVG Rn. 6; vgl. auch BVerfG, NJW 1993, 3254, 3256; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rn. 196 jeweils zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK).
20
bb) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts musste der Kläger deshalb, weil ihm im Rahmen seiner Zeugenvernehmung vermeintliche Unwahrheiten seiner Aussage vorgehalten wurden und er auf Antrag der Staatsanwaltschaft vereidigt wurde, nicht davon ausgehen, dass er nunmehr als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren behandelt werde; erst recht kann hierin nicht die "offizielle Mitteilung" der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gesehen werden.
21
Bei Vorhalten handelt es sich um übliche Vernehmungsbehelfe, die allein für die Prüfung der Glaubwürdigkeit und die Auffrischung des Gedächtnisses des Zeugen von Bedeutung sind (Meyer-Goßner aaO § 69 Rn. 7). Nach § 59 Abs. 1 StPO kann die Vereidigung erfolgen, wenn dies vom Gericht nach dessen Ermessen auf Grund der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage für erforderlich gehalten wird. Demgemäß enthalten weder der Antrag auf Vereidigung noch die Vereidigung selbst die (konkludente) Mitteilung oder auch nur einen Hinweis darauf, dass gegen den Zeugen wegen des konkreten Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt wird. Dies ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil außerhalb der Hauptverhandlung im vorbereitenden Verfahren die Vereidigung eines Zeugen nur bei Vorliegen weiterer - vorliegend nicht gegebener - Voraussetzungen (Gefahr im Verzug; voraussichtliche Verhinderung am Erscheinen in der Hauptverhandlung , vgl. § 62 StPO) zulässig ist. Der Umstand, dass die Vernehmung eines Zeugen unter Verletzung strafprozessualer Vorschriften erfolgt, kann nicht zu einer Änderung der Zielrichtung dieses Vorgangs dergestalt führen, dass die Vernehmung nunmehr als Maßnahme gegen einen Beschuldigten zu bewerten ist.
22
Dass der Kläger durch eine sonstige konkrete Maßnahme der Strafverfolgung , die wegen eines Verdachts gegen ihn getroffen wurden, ernsthaft beeinträchtigt wurde (z.B. Haftbefehl, Festnahme, Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnung ), hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt.
23
c) Der Beklagte hat den Vortrag des Klägers, im Zusammenhang mit der richterlichen Vernehmung vom 28. November 2007 sei ihm durch den ermittelnden Staatsanwalt mitgeteilt worden, gegen ihn werde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Meineids geführt, bestritten. Da das Oberlandesgericht die Richtigkeit dieses Vorbringens - das sowohl für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als auch für die Kundgabe der Verfahrenseinleitung von Bedeutung sein könnte - ausdrücklich offen gelassen hat, ist bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugunsten der Revision des Beklagten zu unterstellen , dass der Staatsanwalt eine derartige Äußerung nicht getan hat.
24
3. Soweit das Oberlandesgericht angenommen hat, dass die Entscheidung des Amtsgerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 199 ff StPO) um sechs Monate verzögert ergangen sei, hält dies rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand, da für die diesbezügliche Beurteilung wesentliche Umstände unberücksichtigt geblieben sind.

25
a) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BT-Drucks. 17/3702 S. 18). Ein weiteres bedeutsames Kriterium zur Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht, die unter Berücksichtigung des den Gerichten zukommenden Gestaltungsspielraums zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen ist (vgl. BVerwG, Urteile jeweils vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D, BeckRS 2013, 55758 Rn. 40 f und 5 C 27.12 D, BeckRS 2013, 56027 Rn. 32 f; Ott aaO § 198 GVG Rn. 128).
26
Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich und würde im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit bereits an der Vielgestaltigkeit der Verfahren und prozessualen Situationen scheitern. Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), wurde bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes, wird durch dessen Entstehungsgeschichte bestätigt (dazu Steinbeiß-Winkelmann aaO Einführung Rn. 236 ff) und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Der Verzicht auf allgemeingültige Zeitvorgaben schließt es regelmäßig aus, die Angemessenheit der Verfahrensdauer allein anhand statistischer Durchschnittswerte zu ermitteln (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 28 ff und 5 C 27/12 D Rn. 20 ff; siehe auch BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL, juris Rn. 25 ff zu dem Sonderfall des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde nach dem SGG: statistische Zahlen als "hilfreicher Maßstab"). Ebenso wenig kommt ein Evidenzkriterium in dem Sinne in Betracht, dass eine bestimmte Verfahrensdauer schon für sich genommen ohne Einzelfallprüfung als unangemessen eingestuft werden müsste (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 88).
27
Feste Zeitvorgaben können auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht entnommen werden (siehe dazu die Übersicht bei Meyer-Ladewig aaO Art. 6 Rn. 199 ff, insbesondere Rn. 207 f). Auch das Bundesverfassungsgericht hat keine festen Zeitgrenzen aufgestellt und beurteilt die Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2811, 2812; Beschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12, juris Rn. 30, 32 mwN).
28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
29
Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) und die ihn ausfüllenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG müssen unter Rückgriff auf die Grundsätze näher bestimmt werden, die der EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben, zumal diese gefestigte Rechtsprechung dem Gesetzgeber bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG zum Vorbild diente (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 18; BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 38 und 5 C 27.12 D Rn. 30).
30
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 44; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 100 f). Hierbei muss auch in den Blick genommen werden, dass die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, mit zunehmender Verfahrensdauer sich verdichtet (vgl. nur Senatsurteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 11 mwN).
31
Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs gemäß § 198 GVG an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG) wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791 f; BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 39 und 5 C 27.12 D Rn. 31; siehe auch BSG aaO Rn. 26: "deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen").
32
c) Wie bereits dargelegt, ist ein bedeutsames Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens auch die Verfahrensführung durch das Gericht. Zu prüfen ist, ob Verzögerungen, die mit der Verfahrensführung im Zusammenhang stehen, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind. Dabei kann die Verfahrensführung nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist, wobei das Ausgangsgericht die Sach- und Rechtslage aus seiner Sicht ex ante einschätzen durfte (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 41 und 5 C 27.12 D Rn. 33).
33
Bei der Beurteilung des Verhaltens des Gerichts darf der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt bleiben. Da die zügige Erledigung eines Rechtsstreits kein Selbstzweck ist und das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu beru- fene Gericht verlangt (Senatsurteil vom 4. November 2010 aaO Rn. 14), muss dem Gericht in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Es benötigt einen Gestaltungsspielraum, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor (vgl. Senatsurteil vom 4. November 2010 aaO Rn. 14; BSG aaO Rn. 27; BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 42 und 5 C 27.12 D Rn. 34; Ott aaO § 198 GVG Rn. 81, 127 f; Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 97).
34
d) Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage entscheidet. Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (vgl. Senatsurteil vom 4. November 2010 aaO Rn. 18; Musielak/Ball, ZPO, 10. Aufl., § 546 Rn. 12).
35
Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs und der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich die Auffassung des Oberlandesgerichts, das gerichtliche Verfahren sei seit Juni 2010 um sechs Monate unangemessen verzögert worden, als rechtsfehlerhaft, da das Gericht, wie die Revision zu Recht beanstandet , nicht alle für die Abwägungsentscheidung nach § 198 Abs. 1 GVG maßgeblichen Umstände gewürdigt hat.
36
Das Oberlandesgericht beschränkt sich auf die Feststellung, dass seit Juni 2010 eine nennenswerte Verfahrensförderung nicht mehr stattgefunden habe und der Verfahrensinhalt im Wesentlichen aus zwei Anfragen des Klägers vom 27. September und 31. Oktober 2010 sowie einem (richterlichen) Vermerk aus dem Februar 2011 bestehe, der nahelege, dass eine Einlassung des Klägers nicht mehr erfolgen werde. In die an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls hätte das Oberlandesgericht jedoch - unter Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - noch weitere Gesichtspunkte einbeziehen müssen.
37
aa) Es fehlt eine nähere Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit des Verfahrens, die sich insbesondere daraus ergab, dass es für ein amtsgerichtliches Verfahren einen überdurchschnittlichen Umfang hatte (fünf Aktenbände und vier zum Teil sehr umfangreiche Sonderhefte), ein ebenso umfangreiches Parallelverfahren gegen Dritte (Az.: 5524 Js 46572/07) auszuwerten war und die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine komplexe Beweiswürdigung zahlreicher Indizien erforderlich machte.
38
bb) Was das Verhalten des Klägers betrifft, hätte das Gericht in seine Abwägung einbeziehen müssen, dass dieser mit Schreiben vom 2. Februar 2011 den (unzutreffenden) Eindruck erweckte, sein Verteidiger verfüge über zusätzliche Informationen, die in einer (weiteren) schriftlichen Stellungnahme aufbereitet würden. Dass das Strafverfahren den Kläger insbesondere in persönlicher und beruflicher Hinsicht unverhältnismäßig belastet hat, ist nicht ersichtlich. Wie das Amtsgericht in dem die Eröffnung ablehnenden Beschluss ausgeführt hat, bestand der Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung zu Recht; das Gericht hatte lediglich Zweifel hinsichtlich der Verurteilungswahrscheinlichkeit im Sinne von § 203 StPO. Soweit der Kläger unter Hinweis auf die Berufsordnung für Ärzte den drohenden Verlust der ärztlichen Approbation geltend machte, beschränkten sich seine Ausführungen auf formelhafte und nichtssagende Wendungen.
39
cc) Schließlich bleibt unerörtert, dass das Amtsgericht ausweislich des vom Oberlandesgericht zitierten Vermerks den Ausgang des vorerwähnten Parallelverfahrens 5524 Js 46572/07 in nicht zu beanstandender Weise abgewartet hat, um die schriftlichen Gründe des Urteils des Landgerichts Hi. vom 15. Februar 2011, aus denen sich wesentliche Gesichtspunkte zu Gunsten des Kläger ergaben, in die eigene Beweiswürdigung einbeziehen zu können.
40
4. Die Revision des Beklagten führt demnach zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache an das Oberlandesgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Mangels Entscheidungsreife ist eine eigene Entscheidung des Senats nicht möglich (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 562 Abs. 1 ZPO).
41
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Im Entschädigungsprozess gilt - wie auch sonst im Zivilprozess - der Beibringungsgrundsatz. Der Entschädigungskläger muss die Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, die nach seiner Auffassung eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens begründen. Unerheblich ist, ob es sich bei dem Ausgangsverfahren um einen Zivilprozess oder ein Strafverfahren handelt. Nicht anders als im Amtshaftungsprozess hat der Kläger die konkreten gerichtlichen Maßnahmen beziehungsweise Unterlassungen zu benennen, die aus seiner Sicht eine vermeidbare Verzögerung des Rechtsstreits zur Folge hatten. Eine bloße Bezugnahme auf die Akten des Ausgangsverfahrens reicht für einen schlüssigen Klagevortrag nicht aus. Bei gerichtsorganisatorischen Mängeln und Defiziten sowie sonstigen Umständen, die im Bereich der Justiz liegen und dem Einblick des Klägers entzogen sind, wird demgegenüber seitens der Gerichtsverwaltung Erklärungsbedarf bestehen (vgl. BT- Drucks. 17/3802 S. 25; Kissel/ Mayer aaO § 198 Rn. 39; Ott aaO § 198 GVG Rn. 244; siehe auch Senatsurteil vom 11. Januar 2007 - III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 22).
IV. Die Revision des Klägers
42
Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision stand.
43
1. Soweit der Kläger rügt, das Oberlandesgericht hätte bei der Bewertung der unangemessenen Verfahrensdauer den Zeitraum von Ende April 2010 bis zum 1. September 2011 zugrunde legen müssen, zeigt die Revision keine Umstände auf, die zum Nachteil des beklagten Landes in die abschließende Gesamtabwägung zusätzlich einzustellen gewesen wären mit der Folge, dass das Oberlandesgericht über die bereits festgestellten sechs Monate hinaus zu einer Verfahrensverzögerung von weiteren zehn Monaten hätte gelangen müssen. Unabhängig davon, wie die Dauer des Ermittlungsverfahrens einzuschätzen ist, enthält die Würdigung des Oberlandesgerichts nach Maßgabe der unter III. 3 d dargestellten Gesichtspunkte keine Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers.
44
Da der Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juni 2011 am 1. Juli 2011 formell rechtskräftig wurde, war der nachfolgende Zeitraum bis zum 1. September 2011 (Benachrichtigung des Klägers über den Eintritt der Rechtskraft) für die Entschädigungsfrage ohnehin bedeutungslos (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG).
45
2. Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand des Klägers, das Oberlandesgericht hätte den Regelsatz für die Bemessung der Entschädigung für immaterielle Nachteile (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG um 50 % erhöhen müssen.
46
§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sieht zur Bemessung der Höhe der Entschädi- gung für immaterielle Nachteile einen Pauschalsatz in Höhe von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vor. Ist dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Mit der Pauschalierung unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis sollen Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung, die eine zusätzliche Belastung der Gerichte bedeuten würden, vermieden werden. Zugleich ermöglicht dies eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen (Stahnecker aaO Rn. 146; vgl. auch BT-Drucks. 17/3802 S. 20). Im Hinblick auf den eine Verfahrensver- einfachung anstrebenden Gesetzeszweck ist der Tatrichter nur bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten, von dem normierten Pauschalsatz aus Billigkeitserwägungen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) abzuweichen. Dabei ist insbesondere an Fälle zu denken, in denen die Verzögerung zur Fortdauer einer Freiheitsentziehung oder einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung geführt hat (vgl. Schenke, NVwZ 2012, 257, 262; Stahnecker aaO Rn. 148; siehe auch Ott aaO § 198 GVG Rn. 227 aE). Derartige Umstände macht die Revision nicht geltend. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Der drohende Verlust der ärztlichen Approbation wird vom Kläger ohne hinreichenden tatsächlichen Hintergrund in den Raum gestellt.
47
Soweit der Kläger meint, schuldhafte Verfahrensverstöße der Strafverfolgungsbehörden (hier: im Zusammenhang mit seiner Vereidigung) würden eine Erhöhung des Regelbetrages rechtfertigen, vermag er einen Rechtsfehler nicht aufzuzeigen. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass § 198 GVG einen "staatshaftungsrechtlichen Anspruch sui generis" normiert, der einen Ausgleich für die Nachteile gewährt, die "durch die Verfahrensdauer" im Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers verursacht werden (BTDrucks. 17/3802 S. 19). Haftungsgrund für den Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer ist allein die Verletzung des Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG aaO Rn. 25). Auf die Frage, ob der Richter oder ein sonstiger Angehöriger der Justizverwaltung pflichtwidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es - anders als bei der Amtshaftung - nicht an (vgl. BTDrucks. 17/3802 S. 19; Ott aaO § 198 GVG Rn. 3, 95, 126). Dementsprechend ist im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG nicht schon deshalb ein Abweichen vom Regelsatz zugunsten des Betroffenen geboten , weil den zuständigen Behörden und Gerichten neben der Verfahrensverzögerung weitere Verfahrensfehler unterlaufen sind.
48
Nach alledem ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts, von dem Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG nicht abzuweichen, rechtsfehlerfrei ergangen.
49
3. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht dem Kläger einen Teil der Kosten entsprechend seiner Unterliegensquote nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO auferlegt hat.
50
Die Kostenentscheidung ergeht im Entschädigungsprozess grundsätzlich nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 91 ff ZPO. Wenn ein Entschädigungsanspruch allerdings nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe besteht, gleichwohl aber nach § 198 Abs. 4 GVG im Tenor des Urteils eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird, entscheidet das Entschädigungsgericht nach billigem Ermessen über die Kosten (vgl. Althammer/Schäuble, NJW 2012, 1, 6; Ott aaO § 201 GVG Rn. 26 f; Stahnecker aaO Rn. 180). Eine derartige Sonderkonstellation liegt hier nicht vor, da das Oberlandesgericht dem Kläger zwar eine geringere Entschädigung als beantragt zugesprochen, jedoch keine Feststellung nach § 198 Abs. 4 GVG ausgesprochen hat. Billigkeitserwägungen gemäß § 201 Abs. 4 GVG, wie sie die Revision anstellt, waren somit nicht veranlasst.
51
Die Revision des Klägers ist nach allem zurückzuweisen.
Schlick Wöstmann Seiters
Remmert Reiter
Vorinstanz:
OLG Celle, Entscheidung vom 24.10.2012 - 23 SchH 3/12 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 37/13
Verkündet am:
23. Januar 2014
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1
Satz 1 GVG müssen auch dann vollständig vorliegen, wenn die Entschädigungsklage
gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG während des noch andauernden
Ausgangsverfahrens erhoben wird.

b) Eine Klage unmittelbar auf Feststellung der unangemessenen Dauer des
Ausgangsverfahrens ist nicht möglich.

c) Entschädigung für bereits eingetretene immaterielle Nachteile kann nur im
Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden.

d) Die für die Entschädigung immaterieller Nachteile maßgebliche Frage, ob
eine Wiedergutmachung auf andere Weise im konkreten Fall ausreichend ist
(§ 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG), muss unter Abwägung aller Belange
im Einzelfall entschieden werden.
BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 - Hanseatisches OLG
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Januar 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Reiter

für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 10. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Kläger machen gegen die Beklagte mit Haupt- und Hilfsanträgen Ansprüche auf Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Bauprozesses geltend.
2
Das Ausgangsverfahren vor dem Landgericht, in dem die Architekten des privaten Bauvorhabens der Entschädigungskläger (im Folgenden: Kläger) diese auf Honorarzahlung in Anspruch nehmen, ist seit dem 18. Februar 2009 anhängig und noch nicht abgeschlossen. Im Gegenzug erhoben die dortigen Beklagten Widerklage.
3
Parallel zu dem Ausgangsverfahren laufen vor dem Landgericht weitere, dasselbe Bauvorhaben betreffende Prozesse, die von den Klägern beziehungsweise gegen sie geführt werden.
4
Nach Durchführung eines Verhandlungstermins am 1. Dezember 2010 erhoben die Kläger in dem streitgegenständlichen Ausgangsverfahren zusätzlich Drittwiderklage gegen bisher am Verfahren nicht beteiligte Dritte. Insgesamt machen sie wegen angeblicher Baumängel einen Schadensbetrag von mehr als 800.000 € geltend.
5
Mit Verfügung vom 21. April 2011 reagierte der zuständige Einzelrichter auf mehrere "dringende Bitten" der Kläger, das Verfahren zu fördern, indem er mitteilte, das Gericht bemühe sich um Verfahrensförderung, die dasselbe Bauvorhaben betreffenden Parallelverfahren erschienen jedoch vorrangig.
6
Ein mit Schriftsatz vom 24. August 2011 gestelltes Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den erkennenden Richter erklärte das Landgericht für unbegründet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. November 2011 zurück, wobei die Akten am 23. Dezember 2011 wieder an das Landgericht zurückgelangten.
7
Mit Schriftsätzen vom 5. und 7. Oktober 2011 erweiterten die Kläger ihre Wider- und Drittwiderklage. Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2011 erhoben sie zudem förmlich Verzögerungsrüge und wandten sich gegen eine mögliche Aussetzung des Verfahrens.
8
Unter dem 20. April 2012 wiederholten die Kläger die Verzögerungsrüge und wiesen gleichzeitig darauf hin, dass der Rechtsstreit noch nicht ausgeschrieben sei. Sie kündigten neuen Sachvortrag an, der umfangreich mit die Wider- und Drittwiderklage erweiternden Schriftsätzen vom 6. und 10. Juli 2012 erfolgte, so dass der Umfang der Gerichtsakte auf 826 Blatt anwuchs.
9
Mit Verfügung vom 17. Juni 2012 informierte das Landgericht die Parteien über eine Aktenanforderung der Staatsanwaltschaft und über die Verfahrensförderung durch einen in einer Parallelsache ergangenen Beschluss. Das Gericht kündigte weitere verfahrensfördernde Maßnahmen nach Rückgabe der Akten durch die Staatsanwaltschaft an.
10
Am 20. Juni 2012 reichten die Kläger die vorliegende Entschädigungsklage beim Oberlandesgericht ein.
11
Sie haben geltend gemacht, das Ausgangsverfahren sei über einen Zeitraum von fast zwei Jahren nicht einmal ansatzweise gefördert worden. Jedenfalls in dem Zeitraum vom 1. März 2011 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht liege eine entschädigungspflichtige Verzögerung vor. Die Frustration über die Dauer des Verfahrens und der mögliche mangelbedingte Abriss des Gebäudes hätten zu einer massiven Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität geführt. Zudem habe die verzögerte Verfahrensführung durch das Landgericht eine erhebliche Erhöhung der anwaltlichen Gebühren und Auslagen zur Folge gehabt, da sie mit ihren Prozessbevollmächtigten eine Vergütungsvereinbarung auf Stundenbasis abgeschlossen hätten. Ein darüber hinausgehender materieller Schaden stehe noch nicht fest, da noch unklar sei, ob die auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Architekten und Baufirmen illiquide würden.

12
Das Oberlandesgericht hat die Klage sowohl im Antrag 1 (Feststellung der Entschädigungspflicht für materielle, hilfsweise immaterielle Nachteile) als auch in den Hilfsanträgen 2 bis 4 (Zahlung einer angemessenen Entschädigung beziehungsweise Zahlung einer Entschädigung von 2.000 €, Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer) als "derzeit unbegründet" abgewiesen. Zugleich hat es die Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsrechtstreits abgelehnt.
13
Das Oberlandesgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, "die Fragen der Möglichkeit einer vorzeitigen Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 S. 1 GVG, der Entschädigungsbemessung in diesen Fällen sowie der Aussetzung nach § 201 Abs. 3 S. 1 GVG" seien von grundsätzlicher Bedeutung und dienten auch der Fortbildung des Rechts.
14
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe


15
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

I.


16
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
17
Nach der gesetzlichen Grundkonzeption der §§ 198 ff GVG diene die vorgezogene Klagemöglichkeit nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht dazu, direkt auf das Ausgangsgericht zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung einzuwirken. Sie habe lediglich die Funktion, die generell-präventive Möglichkeit einer Entschädigungsklage für die Fälle zu sichern, in denen das Ausgangsverfahren unangemessen lange dauere und bereits Schäden eingetreten seien. Der Betroffene sei auch insoweit auf eine bloße Kompensation beschränkt. Konkretpräventiv wirke lediglich die Verzögerungsrüge. Mit deren Erhebung seien die Einwirkungsmöglichkeiten auf das Ausgangsgericht ausgeschöpft.
18
Soweit die Kläger materielle Nachteile geltend machten, hätten sie nicht dargelegt, dass diese in dem von dem Antrag umfassten Zeitraum (1. März 2011 bis 10. Dezember 2012) bereits eingetreten seien. Die behaupteten anwaltlichen Mehrkosten seien kein Nachteil im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Die gebotene Beschleunigung des Ausgangsverfahrens habe nicht den Zweck, die Parteien vor einer Ausweitung des Prozessstoffes zu schützen.
19
Verfahrensrechtlich hätten die Kläger eine auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt des noch fortdauernden Ausgangsverfahrens bezogene Teilklage erhoben. Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention könne diese Klagemöglichkeit auf Konstellationen begrenzt werden, in denen bereits eine unangemessene und irreparable Verfahrensdauer vorliege und ein Zuwarten des Betroffenen auf eine nachträgliche Entscheidung nicht zumutbar sei. Im Bereich immaterieller Nachteile könne dem Betroffenen angesichts der geringen Höhe der Pauschalsätze des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG grundsätzlich ein Zuwarten mit der Entschädigungsklage auch bei unangemessener und irreparabler Verfahrensdauer zugemutet werden. Eine vorzeitige Entschädigung komme nur in Extremfällen in Betracht, in denen der immaterielle Nachteil zu- sätzlich wegen seiner Art oder wegen der ganz besonderen Dauer des Verfahrens ein herausragendes Gewicht habe. Die genannten Voraussetzungen lägen nicht vor. Es könne bereits keine unangemessene, irreparable Verzögerung festgestellt werden, auch wenn das Ausgangsgericht in einem Zeitraum von einem Jahr und sieben Monaten untätig geblieben sei. Denn eine Kompensation der bisher eingetretenen Verzögerung im weiteren Verfahrensfortgang sei keineswegs ausgeschlossen. Gerade bei komplexen und umfangreichen Verfahren sei dem Ausgangsgericht ein größerer zeitlicher Bearbeitungsspielraum zuzubilligen. Jedenfalls fehle dem behaupteten immateriellen Nachteil das herausragende Gewicht, das bei Geltendmachung einer vorgezogenen (Teil-)Entschädigung erforderlich sei. Ob den Klägern im Hinblick auf die Regelung des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG überhaupt ein Entschädigungsbetrag zustehe, lasse sich derzeit nicht hinreichend sicher beurteilen. Hierzu sei eine Gesamtbetrachtung des Verfahrensablaufs notwendig. Erst nach Abschluss des Ausgangsverfahrens könne sinnvoll geprüft werden, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend sei.
20
Auf die Feststellung, dass die Dauer des Ausgangsverfahrens in dem Zeitraum vom 1. März 2011 bis zum 8. November 2012 unangemessen gewesen sei, hätten die Kläger keinen Anspruch, da § 198 Abs. 2 Satz 2 lediglich als Ausschlusstatbestand formuliert sei.
21
Die Aussetzung des Entschädigungsprozesses bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens sei nicht geboten. § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG habe nicht den Zweck, die Kläger vor den prozessualen Konsequenzen ihrer in jeder Hinsicht verfrüht erhobenen Entschädigungsklage zu schützen.

II.


22
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Prüfung im Ergebnis stand. Dass die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG vorliegen, kann im derzeitigen Stadium des Ausgangsverfahrens noch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden. Die Klage erweist sich deshalb als zurzeit unbegründet.
23
1. Soweit die Kläger mit ihrem Hauptantrag die Feststellung der Entschädigungspflicht der Beklagten für materielle Nachteile in dem Zeitraum vom 1. März 2011 bis zum 10. Dezember 2012 begehren, stehen weder die Unangemessenheit der Dauer des Ausgangsverfahrens noch das Vorliegen eines materiellen Nachteils fest.
24
a) Die Entschädigungsklage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG ist eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage. Die Anspruchsvoraussetzungen ergeben sich aus § 198 Abs. 1 bis 4 GVG.
25
aa) Der für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch maßgebende Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteile vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL und 2/12 KL, BeckRS 2013, 69771 und 2013, 69268, jeweils Rn. 25; BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D und 5 C 27.5 C 27.12. D, NJW 2014, 96 Rn. 38 und BeckRS 2013, 56027 Rn. 30). § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nennt deshalb als haftungsbegründende Rechtsgutverletzung und zentrales Tatbestandsmerkmal die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens. Da im Entschädigungs- prozess gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, der die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten für entsprechend anwendbar erklärt, der Beibringungsgrundsatz gilt, muss der Kläger die Tatsachen, die die überlange Dauer des Ausgangsverfahrens begründen , vortragen und gegebenfalls beweisen (Senatsurteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, BeckRS 2013, 20955 Rn. 41, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
26
bb) Daneben verlangt § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einen Nachteil und die haftungsausfüllende Kausalität zwischen diesem und der Überlänge des Verfahrens. Hinsichtlich materieller Nachteile muss der Kläger im Fall des Bestreitens nachweisen, dass er gerade durch die Verfahrensdauer einen Vermögensnachteil erlitten hat (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 151, 156 f). Erfasst sind beispielsweise Kostenerhöhungen im Ausgangsverfahren auf Grund der Verzögerung (BT-Drucks. 17/3802 S. 19) sowie Ausfälle auf Grund der Insolvenz des Beklagten während der überlangen Dauer des Ausgangsverfahrens, sofern der Kläger geltend machen kann, dass er bei angemessener Verfahrensdauer noch Befriedigung seiner Forderung hätte erlangen können (Ott aaO § 198 GVG Rn. 146).
27
cc) § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG normiert als weitere Voraussetzung für die Gewährung einer Entschädigung, dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine Verzögerungsrüge erhoben hat (haftungsbegründende Obliegenheit, BT-Drucks. 17/3802 S. 20).
28
b) Die vorgenannten Anspruchsvoraussetzungen müssen auch dann erfüllt sein, wenn die Entschädigungsklage - wie hier - gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG (frühestens) sechs Monate nach Geltendmachung der Verzögerungsrüge während des noch andauernden Ausgangsverfahrens erhoben wird. Auch in diesem Fall müssen insbesondere die Unangemessenheit der Verfahrensdauer und das Vorliegen eines Nachteils feststehen. Daran fehlt es im Streitfall.
29
aa) Dass die Anspruchsvoraussetzungen vollständig vorliegen müssen, ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG. Danach kann eine Klage auf Entschädigung vor Abschluss des Ausgangsverfahrens nur "zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1" erhoben werden. Eine Leistungsklage muss grundsätzlich bereits möglich sein (zu Ausnahmen siehe unter cc).
30
bb) Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, der Anspruch auf ein zügiges Verfahren könne schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens verletzt werden und es könne deshalb auch ein Entschädigungsanspruch schon vor diesem Abschluss entstehen (BT-Drucks. 17/3802 S. 22). Dabei hatte der Gesetzgeber Konstellationen vor Augen, in denen vor Verfahrensabschluss eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über eine Kompensation für eingetretene Nachteile entschieden werden kann, obwohl das Ausgangsverfahren noch nicht beendet ist (BT-Drucks. 17/3802 S. 19, 22 und 41). Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Möglichkeit, eine Entschädigungsklage noch vor dem Abschluss des Ausgangsverfahrens zu erheben, somit solchen Fällen Rechnung tragen, in denen unabhängig vom weiteren Verlauf des Ausgangsverfahrens bereits eine Entscheidung über den Entschädigungsanspruch getroffen werden kann. Dies setzt voraus, dass sowohl eine unangemessene unumkehrbare Verzögerung des Ausgangsverfahrens als auch bereits endgültig eingetretene Nachteile feststellbar sind (vgl. auch Ott aaO § 198 GVG Rn. 254).
31
cc) Konventionsrechtliche Bedenken bestehen nicht. Denn dem Gebot effektiver Rechtsschutzgestaltung (Art. 13 EMRK) wird jedenfalls durch die Klagemöglichkeit während des noch laufenden Verfahrens hinreichend Rechnung getragen.
32
Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht, dass die auf der Grundlage des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG vorgezogene Entschädigungsklage bei fortbestehender Untätigkeit des Gerichts nach Erhebung einer Verzögerungsrüge keinen Nachteil im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erfordert. Dadurch wird verkannt, dass die Entschädigungsklage trotz ihrer generell-präventiven Wirkung, die Gerichte zur Nutzung von Beschleunigungsmöglichkeiten anzuhalten, in erster Linie auf die Kompensation bereits eingetretener Nachteile und nicht wie die Verzögerungsrüge auf eine konkret-präventive Beschleunigungswirkung abzielt (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 15 f; Ott aaO § 198 GVG Rn.173 f; Steinbeiß-Winkelmann aaO Einführung Rn. 218 f, 230). Bei der Geltendmachung von Vermögensnachteilen (siehe aber unten II 2) kann Schwierigkeiten bei der Bezifferung der Entschädigungshöhe dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass ausnahmsweise auf bloße Feststellung der Entschädigungspflicht nach § 256 Abs. 1 ZPO geklagt wird, und zwar auch dann, wenn - wie hier - Entschädigungsklagen noch während des laufenden Ausgangsverfahrens erhoben werden (a.A. insoweit wohl Ott aaO § 198 GVG Rn. 263). Denn es ist allgemein anerkannt, dass ein Kläger, der seinen Anspruch noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwendigen Begutachtung beziffern kann, nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verwiesen werden darf (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. § 256 Rn. 7a). Die sechsmonatige Mindestfrist für die Klageerhebung (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG) gilt auch für eine derartige Klage auf Feststellung der Leistungspflicht. Außerdem wird die Möglichkeit, das Verfahren nach § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG einstweilen auszuzusetzen, in Betracht kommen.
33
dd) Soweit das Oberlandesgericht die Möglichkeit einer Entschädigungsklage während des noch andauernden Ausgangsverfahrens auf Fälle beschränken will, in denen ein Zuwarten auf eine nur nachträgliche Entschädigung nicht zumutbar sei, und insbesondere für den Bereich immaterieller Nachteile eine vorzeitige Entschädigung nur in Extremfällen von "herausragendem Gewicht" gewähren will, findet diese Auffassung im Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keine Stütze. Danach kann die Klage "zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1" sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden, ohne dass zwischen materiellen und immateriellen Nachteilen differenziert wird. Entscheidend ist allein, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach § 198 Abs. 1 bis 4 GVG (unangemessene Verfahrensdauer, Nachteil, Kausalität, Verzögerungsrüge, ggf. keine Wiedergutmachung auf andere Weise ) gegeben sind.
34
Die Gesetzesmaterialien enthalten ebenfalls keine Hinweise auf eine einschränkende Interpretation der Regelung. Soweit in der Gesetzesbegründung darauf abgestellt wird, dass es namentlich in Extremfällen von jahrzehntelangen Verfahren unzumutbar wäre, den Betroffenen auf den - irgendwann - erfolgenden Abschluss des Ausgangsverfahrens und eine erst anschließende Entschädigungsklage zu verweisen (BT-Drucks. 17/3802 S. 41), sollte durch dieses Beispiel nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass in den übrigen Fällen der Abschluss des Ausgangsverfahrens abgewartet werden müsse.
35
c) Das Oberlandesgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine unangemessene und irreparable Verzögerung des Ausgangsverfahrens derzeit nicht feststellbar ist.
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
37
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung insbesondere zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41; vgl. auch BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 44; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 100 f).
Maßgeblich ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist (Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren , Rn. 92). Es wäre daher zu kurz gegriffen, Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten schlicht "aufzuaddieren" (Roderfeld in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 24). Stets muss allerdings in den Blick genommen werden, dass mit zunehmender Verfahrensdauer sich die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. nur Senatsurteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 11 mwN).
38
Die Verfahrensdauer muss eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen (Rechtsstaatsprinzip, Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit) für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 31 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 42; vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791 f; BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 39 und 5 C 27.12 D Rn. 31; siehe auch BFH, BeckRS 2013, 96642 Rn. 53; BSG, Urteile vom 21. Februar 2013 aaO jeweils Rn. 26: "deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen").
39
Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssa- chen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt , einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren naturgemäß zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Die besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren führt zwangsläufig dazu, dass während dieser Zeit die Förderung anderer diesem Richter zugewiesener Verfahren vorübergehend zurückstehen muss. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. BFH aaO Rn. 54).
40
Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 ff; BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 42 und 5 C 27.12 D Rn. 34).
41
bb) Diesen Grundsätzen wird die Würdigung des Oberlandesgerichts gerecht.
42
Das Ausgangsverfahren, das einen komplexen Architekten- und Bauprozess zum Gegenstand hat und erst seit Juli 2012 "ausgeschrieben" ist, ist vor allem durch die äußerst umfangreiche und mehrfach erweiterte Wider- und Drittwiderklage der Entschädigungskläger gekennzeichnet und war von vornherein auf eine mehrjährige gerichtliche Auseinandersetzung angelegt, zumal der zuständige Richter noch weitere Parallelverfahren in den Blick nehmen und widerspruchsfrei fördern muss. Dementsprechend sind dem Gericht eine ganz erhebliche Prüfungs- und Bearbeitungszeit sowie ein entsprechend großzügig bemessener Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Dies hat zur Folge, dass in einem Verfahrensabschnitt, der - wie hier - nur wenige Monate nach der letzten, sehr umfangreichen Widerklageerweiterung endet, eine Prognose über die Angemessenheit der Gesamtverfahrensdauer nicht einmal ansatzweise möglich ist. Im Hinblick auf die vielfältigen Möglichkeiten, etwaige eingetretene Verzögerungen im Rahmen eines komplexen mehrjährigen Verfahrens durch besondere Beschleunigungsmaßnahmen (z.B. mündliche Gutachtenerstattung, parallele Begutachtungen, Teil- und Zwischenvergleiche) zu kompensieren, scheidet auch hinsichtlich einzelner Verfahrensabschnitte die Feststellung einer unumkehrbaren Verzögerung aus.
43
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Oberlandesgericht bei seiner Beurteilung der Kompensationsmöglichkeiten auch nicht gegen den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz verstoßen. Denn die maßgeblichen Prognosegesichtspunkte ergeben sich ohne weiteres aus dem von der Beklagten vorgelegten Verfahrenskalender.
44
Bei dieser Sachlage kommt es auf die Gegenrüge der Beklagten, die bisherige Dauer des Ausgangsverfahrens sei nicht der Verfahrensführung des Ausgangsgerichts, sondern der Prozessführung durch die Entschädigungskläger geschuldet, nicht mehr an.
45
d) Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts , die behaupteten materiellen Nachteile seien gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht erstattungsfähig.
46
aa) Soweit die Kläger anwaltliche Mehrkosten auf Grund einer Honorarvereinbarung auf Stundenbasis geltend machen, ist bereits der Kausalzusammenhang mit der Verfahrensführung des Ausgangsgerichts nicht erkennbar. Der nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu ersetzende materielle Nachteil muss gerade durch die Verfahrensdauer im Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers verursacht sein (BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Daran fehlt es hier. Denn die geltend gemachten, angeblich durch die Erwiderung auf Einwendungen der Prozessgegner entstandenen anwaltlichen Mehrkosten beruhen zum einen auf der Prozessführung der Gegner, soweit diese neue Einwendungen vorgebracht haben, und zum anderen auf dem Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Kläger, soweit auf bloß wiederholenden Vortrag der gegnerischen Prozessbevollmächtigen überflüssigerweise erwidert wurde.
47
bb) Die fehlende Erstattungsfähigkeit der behaupteten anwaltlichen Mehrkosten ergibt sich aber auch aus dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
48
Im Rahmen der §§ 249 ff BGB zählen zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zwar grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger dem Geschädigten allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteile vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02, NJW 2004, 444, 446; vom 10. Januar 2006 - VI ZR 43/05, NJW 2006, 1065 Rn. 5 und vom 8 Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 70, jeweils mwN). Danach ist ein anwaltliches Zeithonorar nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren erstattungsfähig (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 249 Rn. 57).
49
Für den Entschädigungsanspruch nach § 7 StrEG hat der Senat mit Urteil vom 11. November 1976 (III ZR 17/76, BGHZ 68, 86) entschieden, dass dem von einer entschädigungspflichtigen Strafverfolgungsmaßnahme Betroffenen für seine Anwaltskosten nur eine Entschädigung bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren und Auslagen zusteht. Eine höhere vereinbarte Anwaltsvergütung ist danach nicht zu entschädigen. Während die Entschädigungspflicht nur für die gesetzlichen Gebühren und Auslagen einem Grundsatz entspricht, der in mehreren Verfahrensordnungen zum Ausdruck gekommen ist (vgl. § 91 Abs. 2 ZPO, § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 193 Abs. 3 SGG, § 139 Abs. 3 FGO), fällt der Abschluss einer Honorarvereinbarung und deren Höhe allein in den Verantwortungs - und Risikobereich dessen, der anwaltlichen Rat und anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt (BGH aaO S. 88). Der Schutzbereich der zur Entschädigung verpflichtenden Norm reicht nicht so weit, dass er auch die Entschädigung für höhere als die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts einschließen würde (BGH aaO S. 88 f).

50
Diese Erwägungen gelten auch für den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dieser Anspruch ist ebenfalls auf die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung beschränkt, so dass dem Betroffenen für seine Anwaltskosten keine über die gesetzlichen Gebühren und Auslagen hinausgehende Entschädigung zusteht.
51
Nach alledem stellen die von den Klägern geltend gemachten anwaltlichen Mehrkosten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen erstattungsfähigen materiellen Nachteil dar.
52
bb) Der Vortrag der Kläger zu einer nicht ausschließbaren künftigen Insolvenz der auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Architekten und Baufirmen vermag eine Entschädigungsklage vor Abschluss des Ausgangsverfahrens schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil damit ein bereits endgültig eingetretener Nachteil nicht einmal behauptet wird.
53
2. Der Hilfsantrag auf Feststellung der Entschädigungspflicht für immaterielle Nachteile, die den Klägern in dem Zeitraum vom 1. März 2011 bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Entschädigungsgericht entstanden sind, ist unzulässig, weil das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt.
54
Den Klägern ist die Erhebung einer Leistungsklage auf Entschädigungszahlung ohne weiteres möglich und zumutbar, so dass die Entschädigungsfrage in einem Prozess endgültig geklärt werden kann und für eine Feststellungsklage kein Raum mehr ist (vgl. nur Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 256 Rn 16; Zöller /Greger aaO § 256 Rn. 7a). Der Umstand, dass die Klageschrift im Zivilprozess gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO grundsätzlich einen bestimmten Klageantrag enthalten muss, steht dem nicht entgegen.
55
Zur Bemessung der Höhe der Entschädigung für immaterielle Nachteile sieht § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG im Regelfall einen Pauschalsatz von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vor, ohne dass es eines einzelfallbezogenen Nachweises bedarf. Dadurch sollen Streitigkeiten um die Höhe der Entschädigung , die eine zusätzliche und unnötige Belastung für die Gerichte bedeuten würden, vermieden und Rechtsstreitigkeiten im Interesse der Betroffenen zügig erledigt werden (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 46; BT-Drucks. 17/3802 S. 20). Wird mit der Entschädigungsklage dieser Regelsatz geltend gemacht, ist die Bezifferung des Klageantrags unproblematisch möglich.
56
Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Pauschalsatz gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Will der Kläger einen vom Regelsatz abweichenden Entschädigungsbetrag oder den Regelbetrag nur als Mindestbetrag geltend machen, kann er sich darauf beschränken, einen unbezifferten Klageantrag zu stellen. In diesem Fall muss er lediglich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts und die Größenordnung des Anspruchs angeben, so dass die angemessene Entschädigung nach § 287 ZPO ermittelt werden kann (vgl. Althammer/Schäuble, NJW 2012, 1, 6; Hk-ZPO/Saenger aaO § 253 Rn. 16 mwN; Ott aaO § 198 GVG Rn. 244; Stahnecker aaO Rn. 174).
57
Die Kläger müssen sich somit im Streitfall auf den Vorrang der Leistungsklage verweisen lassen.
58
3. Die Hilfsanträge 2 und 3 auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG hat das Oberlandesgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen.
59
a) Wie bereits ausgeführt, ist im derzeitigen Verfahrensstadium eine unangemessene Verfahrensdauer nicht feststellbar.
60
b) Gleiches gilt für die nach § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG zu treffende Abwägungsentscheidung.
61
§ 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG modifiziert den Entschädigungstatbestand des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG für den Fall, dass eine Entschädigung für immaterielle Nachteile verlangt wird, und bestimmt, dass hierfür eine Entschädigung ausgeschlossen ist, soweit nach den Umständen des Einzelfalles eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist. Als Möglichkeit der Wiedergutmachung auf andere Weise sieht § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere vor, dass das mit der Entschädigungsentscheidung befasste Gericht die ausdrückliche Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer treffen kann (BT-Drucks. 17/3802 S. 19, 21). Damit wird deutlich gemacht, dass die Geldentschädigung für Nichtvermögensnachteile bei überlangen Gerichtsverfahren kein Automatismus ist (Steinbeiß-Winkelmann aaO Einführung Rn. 257). Ein Anspruch setzt vielmehr voraus, dass die Ausschlussregelung nicht ein- greift. Dementsprechend stellt § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein "negatives Tatbestandsmerkmal" für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar, soweit Entschädigung für immaterielle Nachteile begehrt wird (Ott aaO § 198 GVG Rn. 65 f, 159, 262).
62
Die für die Entschädigung maßgebliche Frage, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise im konkreten Fall ausreichend ist, kann nicht pauschal beantwortet, sondern nur unter Abwägung aller Belange im Einzelfall entschieden werden. Ausreichen kann eine schlichte Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beispielsweise in Verfahren, in denen der Anspruchsteller durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder die Überlänge des Verfahrens den einzigen Nachteil darstellt (BT-Drucks. 17/3802 S. 20).
63
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Entscheidung darüber, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreicht, maßgeblich vom weiteren Verfahrensverlauf abhängt, insbesondere von der künftigen Verfahrensförderung durch das Ausgangsgericht und dem Prozessverhalten der Entschädigungskläger selbst. Dabei kann auch von Bedeutung sein, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung Erfolgsaussichten geboten hat. Ein verzögertes Verfahren kann zum Beispiel dann für den Entschädigungskläger objektiv keine besondere Bedeutung haben, wenn sein Klagevorbringen erkennbar unbegründet war (vgl. BFH, DStR 2013, 1027 Rn. 64). Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, dass im derzeitigen Stand des Ausgangsverfahrens die Voraussetzungen der Ausschlussregelung des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nicht hinreichend sicher beurteilt werden können, hält sich in den Grenzen zulässiger tatrichterlicher Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.

64
c) Soweit das Oberlandesgericht eine vor Abschluss des Ausgangsverfahrens im Wege der Klage nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG geltend gemachte Entschädigung für immaterielle Nachteile nur in Extremfällen zubilligen will, in denen der immaterielle Nachteil zusätzlich wegen seiner Art oder wegen der ganz besonderen Dauer des Verfahrens ein "herausragendes Gewicht" hat, folgt dem der Senat, wie bereits ausgeführt, nicht (siehe oben II 1 b dd). Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits eingetretene (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) immaterielle Nachteile sind zu entschädigen. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts kann der Anspruch auch auf diesen Zeitpunkt begrenzt werden.
65
4. Ohne Erfolg rügt die Revision, das Oberlandesgericht hätte jedenfalls die unangemessene Verzögerung des Ausgangverfahrens feststellen müssen. Unabhängig davon, dass eine unangemessene Verfahrensdauer im Streitfall nicht feststeht, ist eine Klage unmittelbar auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens nicht möglich.
66
a) § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG sieht als Möglichkeit der Wiedergutmachung auf andere Weise vor, dass das Entschädigungsgericht die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellen kann (BT-Drucks. 17/3802 S. 21). Das Gericht wird durch diese Regelung lediglich ermächtigt, nicht jedoch verpflichtet, eine Feststellung auszusprechen. Dementsprechend räumt § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG dem Betroffenen auch kein subjektives Recht ein, das er im Klagewege durchsetzen könnte (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 35 mwN; Ott aaO § 198 GVG Rn. 262).
67
b) Da der Vorschrift des § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG im Rahmen der Anspruchsprüfung nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG lediglich die Funktion eines negativen Tatbestandsmerkmals zukommt (siehe oben II 3 b), scheidet auch eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO aus. Denn einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses können nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein (Zöller/Greger aaO § 256 Rn. 3).
68
5. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, von einer Aussetzung des Entschädigungsprozesses bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens abzusehen, ist ermessensfehlfrei ergangen.
69
Keiner Entscheidung bedarf, ob die Revisionszulassung, soweit sie sich auf die Ablehnung der Aussetzung bezieht, als Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 252 ZPO zu verstehen ist (vgl. Zöller /Greger aaO § 252 Rn. 1c, 2). Denn auch in diesem Fall wären sämtliche Form- und Fristerfordernisse gewahrt (§ 575 ZPO).
70
§ 201 Abs. 3 Satz 1 GVG eröffnet dem Entschädigungsgericht die Möglichkeit , das Entschädigungsverfahren nach seinem Ermessen auszusetzen. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, eine Aussetzung des Entschädigungsverfahrens sei nicht geboten, weil die Klage in jeder Hinsicht verfrüht erhoben worden sei, stellt eine tatrichterliche Entscheidung dar, die von Rechts wegen nicht zu beanstanden ist. Da die Entschädigungsvoraussetzungen nach § 198 Abs. 1 und Abs. 2 GVG derzeit nicht feststellbar sind, durfte das Gericht die Entschädigungsklage als zurzeit unbegründet abweisen. Es war nicht gehalten, das Verfahren auszusetzen, um nach Abschluss des Ausgangsverfahrens endgültig darüber zu entscheiden, ob die Anspruchsvoraussetzungen "irgendwann" doch noch vorgelegen haben (Ott aaO § 198 GVG Rn. 254).

71
Die Revision der Kläger ist nach allem zurückzuweisen.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanz:
OLG Hamburg, Entscheidung vom 10.01.2013 - 14 OGV 1/12 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 141/14
Verkündet am:
12. Februar 2015
B o t t
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Zur unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1
GVG, wenn das der Entschädigungsklage zugrunde liegende Ausgangsverfahren
zu einer Vielzahl von gleich oder ähnlich gelagerten ("Massen"
)Verfahren gehört (hier: mehr als 4.000 Kläger), das deshalb einstweilen
zurückgestellt wird, weil das Ausgangsgericht "Musterverfahren" oder "Pilotverfahren"
, die die ganze "Fallbreite" ausschöpfen, auswählt und vorrangig
betreibt. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 148 ZPO kommt
es dabei nicht an.

b) Zur Frage, inwieweit einer Partei, gegen die eine Vielzahl von Verfahren
betrieben wird, ein fühlbarer immaterieller Nachteil dadurch entsteht, dass
einzelne dieser Verfahren nicht in angemessener Zeit erledigt
werden (Widerlegung der Vermutung gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG).
BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 - OLG Braunschweig
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Februar 2015 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Reiter

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 11. April 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger begehrt von dem beklagten Land Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer von zehn Schadensersatzprozessen, die gegen ihn bei dem Landgericht G. parallel geführt werden und Teil eines Gesamtkomplexes von mehr als 4.000 Schadensersatzklagen sind, die gegen den Kläger seit 2007 erhoben wurden.
2
Die der Entschädigungsklage zugrunde liegenden Ausgangsverfahren betreffen jeweils Schadensersatzansprüche, die von Kapitalanlegern gegen den Kläger geltend gemacht werden. Dieser wird als Verantwortlicher ("Konzeptant" ) des Unternehmensverbundes der sogenannten "G. Gruppe" per- sönlich in Anspruch genommen. In den Jahren 2007 und 2008 sind beim Landgericht G. insgesamt 2.441 Klagen gegen den Kläger eingereicht worden. Ab dem Jahr 2009 kamen sukzessive nochmals etwa 1.600 Klagen hinzu. Die streitgegenständlichen Ausgangsverfahren sind unerledigt und noch in der ersten Instanz anhängig. Dies gilt nahezu ausschließlich auch für die übrigen Prozesse. Sämtliche Verfahren wurden zunächst von der 2. Zivilkammer des Landgerichts G. bearbeitet. Zu Beginn des Jahres 2012 übernahm die neu eingerichtete 14. Zivilkammer einen Teil der Prozesse, darunter auch sämtliche Ausgangsverfahren.
3
Bei Zustellung der Klagen in den Ausgangsverfahren am 17. und 18. Januar 2008 waren bereits 386 Schadensersatzklagen mit einer Gesamtforderungshöhe von 10.777.752,53 € rechtshängig. Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Kläger, der sich zudem Steuerforderungen in Höhe von mehr als 10 Millionen Euro ausgesetzt sah, über kein nennenswertes Vermögen. Seine Vermögensverhältnisse haben sich auch in der Folgezeit nicht verbessert.
4
Im April 2008 bestimmte die damals allein zuständige 2. Zivilkammer in acht exemplarisch ausgewählten Verfahren, die sich sowohl gegen den (jetzigen ) Kläger als auch gegen einen weiteren Verantwortlichen der "G. Gruppe", den Zeugen S. , richteten, Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 7. August 2008. Zugleich traf sie die Entscheidung, (unter anderem) die streitgegenständlichen Ausgangsverfahren vorübergehend nicht weiter zu betreiben.
5
Nach Durchführung des Verhandlungstermins wies die Kammer am 8. August 2008 in allen acht vorgezogenen Verfahren die Schadensersatzklagen gegen den (jetzigen) Kläger durch (nicht rechtskräftige) Versäumnisurteile ab, da die klagenden Anleger keine Anträge gestellt hatten. Soweit sich die Klagen gegen den Zeugen S. richteten, ergingen lediglich in zwei Fällen klageabweisende Versäumnisurteile. Im Übrigen wies die Kammer die Klagen am 21. August 2008 durch Teilurteile, die nach Lage der Akten ergingen, ab. Da sämtliche Teilurteile mit der Berufung angefochten wurden, wartete die Kammer sodann den Ausgang der Berufungsverfahren ab. Sie versprach sich hiervon Erkenntnisse auch für die gegen den Kläger gerichteten Ansprüche, weil dem Kläger und dem Zeugen S. in allen Verfahren und im Wesentlichen gleichlautend vorgeworfen wurde, als Verantwortliche eine falsche Emissionskostenquote in den Prospekten ausgewiesen und gegen Investitionsgrundsätze verstoßen zu haben, so dass das gesamte Geschäftsmodell von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen sei.
6
Nachdem das Oberlandesgericht B. in einem der Berufungsverfahren am 20. August 2009 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt hatte , nahm dies der Vorsitzende der 2. Zivilkammer des Landgerichts G. zum Anlass, mit Verfügung vom 11. November 2009 den Parteien der streitgegenständlichen Ausgangsverfahren seinerseits Hinweise "zur Vorbereitung weiterer durchzuführender mündlicher Verhandlungen und auch im Hinblick auf weitere Schriftsätze" zu geben. In dieser Verfügung nahm die Kammer auf die im Berufungsrechtszug anhängigen "Pilotverfahren" Bezug und machte sich die Auffassung des Oberlandesgerichts zu Eigen. Unter anderem wies sie auf die Unschlüssigkeit der Klage hin.
7
Im September 2011 beantragte der Kläger in sämtlichen Verfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Schriftsätzen vom 20. Dezember 2011 wurden sämtliche Klagen dahingehend erweitert, die Ersatzpflicht der Beklagten auch für zukünftig noch entstehende Schäden festzustellen.

8
Mit Beschlüssen vom 2. und 9. Februar 2012 wies die nunmehr zuständige 14. Zivilkammer des Landgerichts G. die Prozesskostenhilfegesuche zurück. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers bewilligte das Oberlandesgericht B. in sämtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe, wobei in den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren die Entscheidungen am 15. und 21. Mai 2012 sowie am 8. und 11. Juni 2012 ergingen.
9
Der von der 14. Zivilkammer zunächst auf den 29. Februar 2012 bestimmte Verhandlungstermin wurde nach Eingang von Ablehnungsgesuchen der klagenden Anleger aufgehoben. Am 11. Juli 2012 beziehungsweise 15. August 2012 wurde sodann in sämtlichen Ausgangsverfahren mündlich verhandelt. Die Kammer ging nunmehr von der Schlüssigkeit des Klagevorbringens aus und erließ Auflagen- und Beweisbeschlüsse. Unter anderem ordnete sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
10
Der Kläger, der im April 2009 einen Herzinfarkt erlitten hatte, hatte in den Ausgangsverfahren bereits am 8. Dezember 2011, wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, Verzögerungsrügen erhoben. Schon zuvor hatte er sich in 1.415 Verfahren mit einer Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt, die der Gerichtshof im Jahr 2012 im Hinblick auf die nunmehr bestehende Rechtschutzmöglichkeit nach §§ 198 ff GVG für unzulässig erklärte.
11
Der Kläger hat geltend gemacht, die zehn Ausgangsverfahren seien in einem Fall um 47 Monate (1. September 2008 bis 1. August 2012) und im Übrigen um 48 Monate (1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2012) verzögert. Die Ver- zögerungen beträfen nicht nur den Zeitraum, in dem allein die 2. Zivilkammer zuständig gewesen sei, sondern hätten sich auch nach dem 1. Januar 2012 unter der Zuständigkeit der 14. Zivilkammer fortgesetzt. Das Gericht hätte keine Beweisaufnahme anordnen dürfen. Die dem Kläger zustehende Entschädigung für immaterielle Nachteile betrage auf der Basis des gesetzlichen Regelsatzes insgesamt 47.900 €. Außerdem sei die Unangemessenheit der Verfahrensdau- er auszusprechen.
12
Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
13
Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe


14
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.


15
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
16
Hinsichtlich der Zeiträume von September 2008 bis Februar 2010 und von September 2011 bis Dezember 2012 sei die Klage schon deshalb abzuweisen , weil es an der Anspruchsvoraussetzung einer unangemessenen Verfahrensdauer (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) fehle.

17
Die Justizverwaltung sei zwar grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, und könne sich im Regelfall nicht auf fehlendes Personal berufen. Im Streitfall spreche jedoch einiges dafür, dem beklagten Land eine bis Ende 2009 währende (erhebliche) Übergangsfrist zuzubilligen , um der in den Jahren 2007 und 2008 beim Landgericht G. eingegangenen "Klageflut" zu begegnen. Es hätten außergewöhnliche Umstände vorgelegen, weil der schnellen personellen Aufstockung eines kleinen Gerichts wie des Landgerichts G. Grenzen gesetzt seien. Bis zum Jahresende 2009 sei die Verfahrensdauer zudem schon deshalb nicht unangemessen, weil das Landgericht G. unechte Musterverfahren geführt habe. Die streitgegenständlichen Ausgangsverfahren hätten zurückgestellt werden dürfen. Dass die Musterverfahren den Zeugen S. betroffen hätten, sei nicht relevant. Es hätten sich aus der maßgebenden ex-ante-Sicht Rechtsfragen gestellt, die auch den Kläger betroffen hätten. Nach der Hinweisverfügung des Vorsitzenden der 2. Zivilkammer vom 11. November 2009 habe dem Landgericht wegen der Vielzahl der Verfahren noch eine Bearbeitungszeit bis Ende Februar 2010 zur Verfügung gestanden.
18
In den folgenden achtzehn Monaten von Anfang März 2010 bis Ende August 2011 hätten die Ausgangsverfahren eine unangemessene Dauer aufgewiesen. Die 2. Zivilkammer habe nicht untätig bleiben dürfen. Der Umstand, dass sie in 229 weiteren Schadensersatzprozessen Verhandlungstermine bestimmt habe, die sie nach Ablehnungsgesuchen der klagenden Anleger wieder aufgehoben habe, ändere daran nichts. Hypothetische Kausalverläufe seien bei Ansprüchen nach § 198 GVG unbeachtlich. Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen die Schadensersatzkläger in den Ausgangsverfahren ergriffen hät- ten, wenn das Gericht die Verfahren gefördert hätte, sei offen. Ob es dadurch zu Verzögerungen gekommen wäre, sei unklar.
19
Ab September 2011 sei die Verfahrensdauer nicht mehr unangemessen. In dieser Zeit seien die in sämtlichen Verfahren eingegangenen Prozesskostenhilfegesuche des Klägers bearbeitet worden, was angesichts der Vielzahl der zu bewältigenden Anträge einen erheblichen logistischen Aufwand erfordert habe. Durch die Erweiterung der Klagen im Dezember 2011 habe sich der Bearbeitungsaufwand zusätzlich erhöht. Über die Beschwerden des Klägers im Prozesskostenhilfeverfahren habe das Oberlandesgericht im Mai und Juni 2012 zügig entschieden. Es entspreche weiterhin straffer Verhandlungsführung, dass die (nunmehr zuständige) 14. Zivilkammer nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Prozesskostenhilfebewilligung am 11. Juli 2012 und 15. August 2012 mündlich verhandelt habe. Eine Entschädigung nach § 198 GVG scheide auch für den Zeitraum nach Durchführung der Verhandlungstermine aus. Im Entschädigungsprozess sei nicht zu untersuchen, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Recht angeordnet worden sei.
20
Soweit die Verfahrensdauer in dem Zeitraum von März 2010 bis August 2011 als unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG anzusehen sei, scheide ein Entschädigungsanspruch aus, weil dem Kläger hierdurch in den zehn streitgegenständlichen Ausgangsverfahren kein immaterieller Nachteil entstanden sei. Die Tatsachenvermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG sei widerlegt , weil der überschuldete Kläger zu dem Zeitpunkt, als die Klagen in den Ausgangsverfahren zugestellt worden seien, bereits Schadensersatzforderun- gen von Anlegern im Gesamtumfang von 10.777.752,53 € und Steuerforderun- gen des Landes B. in einer vergleichbaren Größenordnung ausgesetzt gewesen sei. Die Geltendmachung weiterer Schadensersatzforderungen habe zu keiner messbaren Mehrbelastung des Klägers geführt, zumal bei einer Vielzahl gleichgerichteter Schadensersatzforderungen aus demselben Komplex mit jedem Folgeverfahren die Belastung degressiv abnehme. In den vorliegenden Ausgangsverfahren erschöpfe sich der Nachteil in der bloßen Ungewissheit über den Verfahrensausgang, ohne dass weitere Nachteile erkennbar seien. Es fehle somit eine entschädigungspflichtige immaterielle Beeinträchtigung. Der im April 2009 erlittene Herzinfarkt des Klägers müsse außer Betracht bleiben, weil zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Verfahrensverzögerung vorgelegen habe.

II.


21
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Das Oberlandesgericht hat einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu Recht abgelehnt.
22
1. Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) auf den Streitfall Anwendung. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren , die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die seit Januar 2008 rechtshängigen Ausgangsverfahren sind weiterhin unerledigt.
23
2. Die Verfahrensführung in den Ausgangsverfahren war sowohl in dem Zeitraum von September 2008 bis Februar 2010 als auch in dem Zeitraum von September 2011 bis Dezember 2012 sachlich gerechtfertigt. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass insoweit keine im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer vorliegt, ist somit zutreffend.
24
a) Der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG setzt die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens als Tatbestandsmerkmal voraus. Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese in § 198 Absatz 1 Satz 2 GVG explizit genannten Kriterien sind zwar besonders bedeutsam, jedoch nur beispielhaft ("insbesondere") und keinesfalls abschließend zu verstehen. Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht, die zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Umständen in Bezug zu setzen ist (Senatsurteil vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 Rn. 25, 32).
25
Bei der Würdigung der Verfahrensführung durch das Gericht muss stets beachtet werden, dass die Verfahrensbeschleunigung keinen Selbstzweck darstellt und gegenläufige Rechtsgüter gleichfalls in den Blick zu nehmen sind. Dazu zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
26
Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist. Da der Rechtsuchende keinen Anspruch auf eine optimale Verfahrensförderung hat, begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 32 f; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rn. 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 39).
27
b) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ("Gesamtabwägung") ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen , verletzt ist (Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 36 ff und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 35 ff jeweils mwN). Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 31; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 42; und vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13, NJW 2014, 1183 Rn. 28). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. nur Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37).
28
c) Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat der Tatrichter einen Beurteilungsspielraum. Das Revisionsgericht ist darauf beschränkt zu überprüfen, ob das Oberlandesgericht den rechtlichen Rahmen verkannt beziehungsweise Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 34).
29
d) Nach diesen Maßstäben hält die Beurteilung des Oberlandesgerichts, die Ausgangsverfahren seien jedenfalls in den Zeiträumen von September 2008 bis Februar 2010 und von September 2011 bis Dezember 2012 hinreichend gefördert worden, den Angriffen der Revision stand.
30
September 2008 bis Februar 2010
31
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war das Landgericht ab dem Jahr 2007 mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl von gleichgelagerten Schadensersatzklagen gegen den jetzigen Kläger und den Zeugen S. befasst. Bis Ende 2007 waren 386 Klagen eingegangen. Binnen Jahresfrist stieg die Zahl der Verfahren auf 2.441 an und ab dem Jahr 2009 kamen zahlreiche weitere Verfahren hinzu, so dass der offene Bestand schließlich mehr als 4.000 Verfahren betrug.
32
Unter Berücksichtigung eines angemessenen Prüfungs- und Bearbeitungszeitraums sowie des den Gerichten bei der Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist eine unangemessene Verfahrensdauer nicht feststellbar. Die zunächst allein zuständige 2. Zivilkammer musste in dem sowohl tatsächlich wie auch rechtlich komplexen zivilrechtlichen Kapitalanlagerechtsstreit die ständig zunehmende Zahl an Klagen und Klägern nicht nur verfahrenstechnisch bewältigen (Aktenanlage, Zustellung der Klageschriften und Klageerwiderungen, Fristsetzungen etc.), sondern auch eine Gesamtplanung des Komplexes "G. Gruppe" entwickeln. Das Gericht musste insbesondere die zahllosen Verfahren sichten, das jeweilige Klagevorbringen auf Schlüssigkeit prüfen und einen Weg finden, der es ermöglichte, in einigen wenigen Verfahren über die ganze "Fallbreite" zu entscheiden (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3320). Es war daher sachgerecht, "Musterverfahren" oder "Pilotverfahren" auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während die übrigen gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren einstweilen zurückgestellt blieben (siehe auch Senatsbeschluss vom 21. November 2013 - III ZA 28/13, NJOZ 2014, 987 Rn. 9). Dadurch konnten Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden. Da- rauf, ob sich die Zurückstellung anderer Verfahren oder die Auswahl der Pilotverfahren - ex post betrachtet - als förderlich erwiesen hat, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, dass die Entscheidung des Landgerichts aus der Sicht ex ante vernünftig und zweckmäßig war (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791).
33
Der Einwand der Revision, es sei einem Gericht nicht gestattet, aus mehreren Verfahren einige als "Musterverfahren" herauszugreifen, diese zu bearbeiten und währenddessen die übrigen Streitigkeiten nicht zu fördern, verkennt zum einen die Besonderheiten sogenannter Massenverfahren, die ohne die Durchführung von Pilotverfahren regelmäßig nicht sachgerecht bewältigt werden können, und steht zum anderen im Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats. Danach ist dem Gericht zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht , dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen , auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren naturgemäß zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Die besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren führt zwangsläufig dazu, dass während dieser Zeit die Förderung anderer diesem Richter zugewiesener Verfahren vorübergehend zurückstehen muss. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (Senatsurteil vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39). Die Entscheidung, ein "Pilotverfahren" durchzuführen, gehört nach alledem zu den verfahrensgestaltenden Befugnissen eines Gerichts. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 148 ZPO kommt es nicht. Der Umstand, dass die Voraussetzungen einer förmlichen Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit nicht gegeben sind, steht der Durchführung eines Musterprozesses nicht entgegen. Es kann deshalb offen bleiben, ob § 148 ZPO bei Massenverfahren anwendbar ist, wenn das Gericht mit einer nicht mehr zu bewältigenden Zahl von Verfahren befasst ist (dazu BGH, Beschlüsse vom 30. März 2005 - X ZB 36/04, BGHZ 162, 373, 376 f und vom 28. Februar 2012 - VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rn. 8).
34
Der Revision ist zuzugeben, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Bund und Ländermüssen jeweils in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte sorgen. Verfahrensverzögerungen, die auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen sind, stellen grundsätzlich strukturelle Mängel dar, für die der Staat einstehen muss (BVerfG, NJW 2000, 797; NZS 2013, 21 Rn. 19; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 1243 mwN). Davon abgesehen , dass das Landgericht die Verfahren in dem hier zu beurteilenden Zeitraum (bis Februar 2010) - wie dargelegt - angemessen gefördert hat, zeigt der vorliegende Fall auch keine Strukturmängel im Bereich der Justiz auf. Die über das Landgericht hereinbrechende "Klageflut" war weder vorhersehbar noch kurzfristig aufzufangen. Sie ist vielmehr einem unvorhersehbaren Zufall beziehungsweise einem schicksalhaften Ereignis gleichzuachten.
35
September 2011 bis Dezember 2012
36
Die Ausgangsverfahren wurden jedenfalls ab September 2011 zügig betrieben. Nach vorrangiger Erledigung der in allen Verfahren gestellten Prozesskostenhilfeanträge des Klägers fanden im Juli und August 2012 mündliche Verhandlungen statt, die in Auflagen- und Beweisbeschlüsse (Einholung eines Sachverständigengutachtens) mündeten. Zutreffend hat das Oberlandesgericht es abgelehnt, im Entschädigungsprozess die Erforderlichkeit der angeordneten Beweisaufnahme zu überprüfen. Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung sind entschädigungslos hinzunehmen (Senatsurteile vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 46 und vom 13. Februar 2014 aaO Rn. 30). Anhaltspunkte dafür, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens, um das Konzept der "G. Gruppe" zu überprüfen, schlechthin unverständlich war, werden von der Revision nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht erkennbar.
37
3. Es kann dahinstehen, ob die Ausgangsverfahren, wie das Oberlandesgericht meint, in dem Zeitraum von März 2010 bis August 2011 als unangemessen verzögert anzusehen sind, obwohl das Landgericht in insgesamt 229 Parallelsachen Verhandlungstermine bestimmt hat, die klagenden Anleger eine - dem Gericht nicht zurechenbare - Verzögerungsstrategie verfolgten und die streitgegenständlichen Verfahren für den überschuldeten Kläger angesichts der bereits anhängigen zahllosen Schadensersatzklagen keine besondere Bedeutung hatten. Der Kläger hat durch eine etwaige Verfahrensverzögerung jedenfalls keinen entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteil erlitten. Ein solcher kann auch nicht nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet werden. Die Vermutung ist widerleglich und im vorliegenden Fall widerlegt.
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Bei dieser Sachlage kommt es auf die Gegenrüge des Beklagten, das Oberlandesgericht habe die Angemessenheit der Verfahrensdauer rechtsfehlerhaft verkannt, nicht mehr an.
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a) Grundlage eines Entschädigungsanspruchs für einen durch überlange Verfahrensdauer verursachten immateriellen Nachteil ist § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Als derartige Folgen eines überlangen Verfahrens kommen neben der "seelischen Unbill" durch die lange Verfahrensdauer vor allem körperliche Beeinträchtigungen oder Rufschädigungen und - in Sorge- oder Umgangsrechtsstreitigkeiten - die Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil in Betracht (BT-Drucks. 17/3802 S. 19; siehe auch Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 150; Roderfeld in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren , § 198 GVG Rn. 79; Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren , Rn. 143).
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Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG im Falle unangemessener Dauer vermutet. Dabei handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (BT-Drucks. 17/3802 S. 19, 41; siehe auch BeckOGK/Dörr aaO § 839 Rn. 1273; Ott aaO § 198 GVG Rn. 152, 154). Diese Vermutungsregel entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser nimmt eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür an, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat. Er erkennt aber auch an, dass der Nichtvermögensschaden in bestimmten Fällen sehr gering sein oder gar nicht entstehen kann. In diesem Fall müsse der staatliche Richter seine Entscheidung mit einer ausreichenden Begründung rechtfertigen (EGMR, NJW 2007, 1259 Rn. 204).
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Im Entschädigungsprozess ist die Vermutung widerlegt, wenn der Beklagte (Bund oder Land) das Fehlen eines immateriellen Nachteils darlegt und beweist, wobei ihm, da es sich um einen Negativbeweis handelt, die Grundsätze der sekundären Behauptungslast zugutekommen können (Hk-ZPO/Saenger, ZPO, 6. Aufl., § 286 Rn. 93 und § 292 Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., Vor § 284 Rn. 34 und § 292 Rn. 2). Im Hinblick darauf, dass der EGMR lediglich eine "ausreichende Begründung" zur Widerlegung verlangt, dürfen an den Beweis des Gegenteils keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils ist dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (vgl. BFHE 243, 151 Rn. 26 ff).
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b) Das angefochtene Urteil wird diesen Grundsätzen gerecht. Das Oberlandesgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender tatrichterlicher Würdigung der Fallumstände die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger durch die Dauer der Ausgangsverfahren kein ausgleichspflichtiger immaterieller Nachteil entstanden ist.
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Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).
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Wie das Oberlandesgericht ferner zutreffend gesehen hat, kann sich der Kläger auf den im April 2009 erlittenen Herzinfarkt als immaterielle Folge schon deshalb nicht berufen, weil zu diesem Zeitpunkt die streitgegenständlichen Verfahren überhaupt nicht verzögert waren. Hinsichtlich dieses Nachteils fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der "unangemessenen Dauer" eines Gerichtsverfahrens.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanz:
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 11.04.2014 - 6 SchH 1/13 -
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Durch die am 11. Mai 2012 eingereichte und am 25. Juni 2012 zugestellte Klageschrift wurde die Ausschlussfrist des Art. 23 Satz 6 ÜGRG eingehalten (§ 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 167 ZPO).